Lehrwerke im Wandel. Eine Untersuchung ausgewählter Arbeitsbücher für die Sekundarstufe I


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der theoretische Hintergrund zur Analyse der ausgewählten Lehrwerke
2.1 Bildungsmedien
2.2 Schwierigkeiten mit Schulbüchern
2.2.1 Heterogenität
2.2.2 Deutsch als Zweitsprache
2.3 Linguistik und Schulbuchforschung
2.3.1 Wortschatz und Wortstruktur
2.3.2 Operatoren
2.4 Zusammenfassung der Theorie

3 Die Analyse der ausgewählten Lehrwerke
3.1 Startschwierigkeiten
3.2 Die Deutschbücher
3.2.1 Aufbau der Deutschbücher
3.2.2 Sprachliche Analyse I
3.3 Die Geschichtsbücher
3.3.1 Aufbau der Geschichtsbücher
3.3.2 Sprachliche Analyse II
3.4 Zusammenfassung der Analysen

4 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Sprache unterliegt dem Phänomen, sich ständig zu verändern. In der Linguistik spricht man von Sprachwandel, wobei es hierbei eher um den Wandel im Sprachgebrauch und weniger um eine Veränderung des Sprachsystems geht. Diese Veränderungen, so schreibt Ganslmayer (2014: 14), geschehen unbemerkt. „Das Sprachsystem ist gleichermaßen stabil und flexibel, so dass Sprecher jederzeit auf neue Realitäten und kommunikative Bedürfnisse reagieren können, ohne dass ein gegenseitiges Verstehen prinzipiell gefährdet ist.“ Auch ältere Forschungen kamen zu diesem Ergebnis. Lewandowski (1990: 1077) ist der Meinung, Sprachwandel sei „die Vielfalt der ständig verlaufenden Prozesse der Umgestaltung, des Verlusts und der Neubildung sprachlicher Elemente, d.h. die lexikalischen, morphologischen, phonologisch-phonetischen und syntaktischen Veränderungen einer Sprache.“ Neben diesen unbewusst ablaufenden Prozessen lassen sich aber laut Lăzărescu (2013: 214) „auch Beispiele von bewusster Sprachregelung“ identifizieren. Er nennt das Beispiel des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs.

Eine Bewusstmachung für Sprachwandel scheint mir, insbesondere im schulischen Kontext, notwendig zu sein. Nicht zuletzt aufgrund der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK)1 für das Fach Deutsch ist der Umgang mit Sprache in der Schule ein wichtiges Thema. Für die Schülerinnen und Schüler geht es um nicht weniger als die Teilhabe am kulturellen Leben. Am Ende der Sekundarstufe I sollen sie Handlungskompetenzen erworben haben, welche diese Teilhabe ermöglichen. Dazu gehört auch der Aspekt des Sprachwandels, der bei den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss (2004: 16) unter Punkt 3.4 (Sprache und Sprachgebrauch untersuchen) aufgeführt wird: „ausgewählte Erscheinungen des Sprachwandels kennen und bewerten: z.B. Bedeutungswandel, fremdsprachliche Einflüsse.“ Eine ähnliche Auffassung findet man in den Bildungsplänen der Bundesländer, die sich an den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz orientieren. Der Hamburger Bildungsplan für das Fach Geschichte an der Stadtteilschule für die Jahrgangsstufen 7-112 verlangt, neben einer allgemeinen Kompetenzorientierung, „bildungssprachliche Kompetenzen“ (2014: 14) und „Sprachbewusstheit“ (2014: 18) zu entwickeln. Beide Aspekte verweisen auf die Notwendigkeit, dass die Schülerinnen und Schüler lernen sollen, zwischen Alltagssprache und Bildungssprache sowie Alltagssprache und Fachsprache unterscheiden zu können. Wie bei den KMK-Bildungsstandards ist der Grund für diese Kompetenzorientierung also die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit beim Umgang mit Sprache sowie gesellschaftlicher Mündigkeit für die Schülerinnen und Schüler. Nebenbei sei erwähnt, dass dies, laut dem Hamburger Bildungsplan (2014: 18), sowohl für muttersprachliche Jugendliche als auch für Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) gelten soll.

Wenn man sich nun für Sprachwandel im schulischen Kontext interessiert, kommt man eigentlich nicht drum herum, sich mit dem Material zu beschäftigen, mit dem man Schülerinnen und Schülern die Lerninhalte beibringt. Immerhin ist ja davon auszugehen, dass wenn Sprachwandel, bewusst oder unbewusst, existiert, auch Bildungsmedien im Laufe der Zeit einem Wandel unterliegen. Ich schreibe ‚eigentlich‘, da laut Kiesendahl und Ott (2015: 7) „die Linguistik in dieser Diskussion bislang kaum vertreten ist und ihr noch immer ein Exotenstatus zugeschrieben wird.“ Die Rede ist von der Schulbuchforschung. Kiesendahl und Ott (2015: 7) schreiben, dass „nur wenige LinguistInnen und DeutschdidaktikerInnen das Schulbuch als Analysematerial in Betracht ziehen“, was ich mit dieser Arbeit versuchen möchte. Es soll untersucht werden, wie sich Lehrwerke beim Vergleich verschiedener Auflagen sprachlich voneinander unterscheiden. Ich werde also der Fragestellung nachgehen, inwiefern sich die Verwendung von Sprache bei den neueren Auflagen der Arbeitsbücher verändert hat. Ist ein bewussterer Umgang mit Sprache nachweisbar? Welche didaktischen, sprachsensiblen oder ggf. linguistischen Aspekte haben die Autoren berücksichtigt? Um Antworten auf die Fragestellungen zu finden, beginne ich zunächst mit einer theoretischen Auseinandersetzung. Der Hauptteil dieser Arbeit gliedert sich deshalb in zwei Bereiche. Im ersten Abschnitt werden die theoretischen Aspekte, die für die Auseinandersetzung relevant sind, dargestellt. Im zweiten Abschnitt erfolgt die Analyse der ausgewählten Materialien. Für die Analyse habe ich je zwei verschiedene Auflagen eines Lehrwerks für das Fach Deutsch und für das Fach Geschichte herausgesucht. Beide Lehrwerke habe ich in der Bibliothek einer Hamburger Stadtteilschule mit integriertem Gymnasium gefunden. Sie sind jeweils für die Jahrgangsstufe 7 konzipiert. Bei der Analyse soll ständig auf die theoretischen Aspekte Bezug genommen werden, um im abschließenden Teil dieser Arbeit Antworten auf die Fragestellungen formulieren zu können. Ein Fazit und ein persönlicher Ausblick sollen letztlich einen Transfer zwischen der theoretischen, linguistischen Forschung und dem praktischen Schulalltag leisten.

2 Der theoretische Hintergrund zur Analyse der ausgewählten Lehrwerke

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, hat die Linguistik in der Schulbuchforschung erst seit Kurzem Fuß gefasst. Forscherinnen und Forschern wie Kiesendahl und Ott ist es zu verdanken, dass in der Linguistik Schulbücher und andere Bildungsmedien nun verstärkt in Betracht genommen werden. Kiesendahl und Ott (2015: 7) haben Fragestellungen hervorgehoben, die auch für diese Arbeit interessant sind: „Welche Bewertungen und Nebenbedeutungen werden im Schulbuch zu einzelnen Sachverhalten sprachlich (mit)transportiert? Welche Operatoren finden Anwendung in den Aufgabenstellungen? Welcher Systematik folgt der Wissensaufbau im Schulbuch und wie spiegelt sich dieser auf sprachlicher Ebene wider?“ Ich gehe nicht davon aus, dass ich diese Fragen im vollen Umfang werde beantworten können. Immerhin ist die eigentliche Aufgabe dieser Arbeit ja auch die Untersuchung, ob und wie sich Lehrwerke im Laufe der Zeit sprachlich verändern und ggf. weiterentwickeln. Bei dieser Untersuchung erachte ich die zitierten Fragestellungen aber als äußerst hilfreich, da sie einen Rahmen vorgeben und so eine gezielte Untersuchung ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, eine Eingrenzung hinsichtlich der Aspekte, die für die spätere Analyse relevant sind, vorzunehmen, damit konkrete Ergebnisse präsentiert werden können. Im Folgenden werden also zunächst Definitionen und relevante Bestandteile aus Linguistik und Pädagogik aufgeführt und erläutert. Dabei werde ich mit einer Definition von Bildungsmedien beginnen, derer sich eine exemplarische Darstellung von Schwierigkeiten mit Schulbüchern anschließt. Danach muss aufgeführt werden, welche linguistischen Aspekte für diese Arbeit relevant sind. Mit einer abschließenden Zusammenfassung soll der nahtlose Übergang zum Analyseteil ermöglicht werden.

2.1 Bildungsmedien

Was sind Bildungsmedien? Jeder Laie hat vermutlich eine Ahnung, was sich hinter dem Begriff ‚Bildungsmedien‘ verbirgt. Bei einer Umfrage, was Bildungsmedien sind, würde man wohl des Öfteren das ‚Schulbuch‘ als Antwort erhalten. Menschen, die der Digitalisierung interessiert gegenüberstehen, würden vielleicht auch digitale Medien, z.B. Lernsoftware oder mobile Apps, mit denen man Sprachen lernen kann, nennen. Laut Ott (2015: 19) verwendet die Forschung die Bezeichnung ‚Lehr- und Lernmittel‘ synonym zu Bildungsmedien. Sie hat eine Definition formuliert, die es sowohl für Linguistinnen und Linguisten als auch für Didaktikerinnen und Didaktikern auf den Punkt bringt:

Unter Bildungsmedien verstehe ich Informationsträger, welche von Personen in der Rolle als Lernende und/oder Lehrende für die Aneignung bzw. Vermittlung und Festigung von Wissen, das in den verschiedenen Bildungsabschnitten (Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Aus- und Weiterbildung, Hochschule) als lehr- und lernrelevant gilt, verwendet werden können und welche für diesen Zweck konzipiert wurden; in der Regel heißt das auch: Das zu lernende Fach- oder Methodenwissen ist im Bildungsmedium didaktisch aufbereitet.

Ott (2015: 20) meint weiterhin, dass das Schulbuch als Prototyp unter den Bildungsmedien gelte. Diese Auffassung macht Sinn, blickt man nur auf die lange Tradition dieses Mediums. Bereits im 16. Jahrhundert entstanden Werke, die wohl im Zuge von Lehrtätigkeiten für den Unterricht geschrieben wurden. So hat es Gansel (2015: 114 f.) verstanden und in dem Zusammenhang für die Linguistik eine „textlinguistische und medientheoretische Verortung des Schulbuchs“ vorgenommen. Insbesondere die Betrachtung der historischen Entwicklung gibt letztlich Aufschluss darüber, wie das Schulbuch zu charakterisieren ist, nämlich, nach Gansel (2015: 133 f.), „als Medium struktureller Kopplung.“ Damit ist gemeint, dass dem Schulbuch die Funktion zugeschrieben werden muss, „eine Struktur im Kommunikationsprozess der Erziehung“ zu ermöglichen, anstatt als reines Medium der Wissensverbreitung zu gelten. Dieser Auffassung folgend, wird auch klar, dass Bildungsmedien, wie oben zitiert, didaktisch aufbereitet sein müssen. Meines Erachtens kann diese Funktion ansonsten nur gelingen, wenn die Lehrperson die Didaktisierung vornimmt. Bei der späteren Analyse der Lehrwerke wird darauf zu achten sein, ob die Funktion erfüllt wird oder ob die oder der Lehrende weiteren Aufwand betreiben muss.

Eine Schulbuch-Definition aus einer eher fachdidaktischen und weniger linguistischen Sichtweise liefert Detjen (2007: 165).

Das Schulbuch ist ein didaktisches Medium, das in der Regel aus einer Mischung von darbietenden Texten der Autoren (Funktion: Einleitung, Überblick), Materialien unterschiedlicher Herkunft und Kodierung (Texte, Bilder, Diagramme, Tabellen) sowie didaktisch reflektierten Arbeitsanregungen und Fragestellungen besteht. Das Schulbuch weist drei Besonderheiten auf, die es von allen sonstigen Büchern unterscheidet: Es ist zugleich Informatorium, Pädagogicum und Politicum.

Auch bei dieser Definition wird die Notwendigkeit einer Strukturierung sichtbar. Es ist davon auszugehen, dass Schulbücher sinnvoll aufgebaut sind und dass die Inhalte einer didaktischen Ordnung folgen, sprich dass das Schulbuch, so Detjen (2007: 165), „ganz offensichtlich als pädagogisches Hilfsmittel konzipiert“ wird. Ob die ausgewählten Lehrwerke dieser Aufgabe gerecht werden, gilt es zu überprüfen.

2.2 Schwierigkeiten mit Schulbüchern

Die obigen Ausführungen zu Bildungsmedien und Schulbüchern im Besonderen haben bereits eine Problematik offenbart. Ist das jeweilige Schulbuch für ‚meinen‘ Unterricht geeignet oder nicht? Erfahrene Lehrkräfte, die sich bestenfalls auch in der Linguistik auskennen, können bewusst darauf reagieren und bei der Benutzung des Schulbuchs die Entscheidung treffen, ob und wie es zum Einsatz kommt. Idealerweise wurde im Kollegium vorher schon analysiert, ob die Anschaffung eines Lehrwerks unter Berücksichtigung der Strukturierung sinnvoll ist.

Weitere Schwierigkeiten mit Schulbüchern, die für die Analyse in dieser Arbeit zum Tragen kommen, sollen im Folgenden jeweils mit einer einleitenden Frage diskutiert werden. Die anschließenden Unterpunkte vertiefen die Aspekte ‚Heterogenität‘ und ‚Deutsch als Zweitsprache‘.

a. Das Schulbuch als Hilfsmittel?

Der Definition von Detjen (2007: 165) folgend, ist das Schulbuch ein Begleitmedium für die Lehrerinnen und Lehrer. Somit hätte das Schulbuch eine Hilfefunktion für die Lehrkräfte, die damit ihren Unterricht gestalten können. Allerdings, so zitieren Oleschko und Moraitis (2012: 14) Detjen, könne das Schulbuch die Unterrichtsplanung nicht ersetzen. Doch wie sieht es für die Schülerinnen und Schüler aus? Ist ein Schulbuch nicht auch für sie ein Hilfsmittel, um Lerninhalte zu entdecken und zu verstehen? Insbesondere, wenn bei den Lernenden Kompetenzen zur Recherche noch nicht ausgebildet wurden, können Schulbücher an dieser Stelle Hilfestellungen leisten, indem entweder, beispielsweise im Fach Geschichte, Quellen im Buch verfügbar sind oder wenn Aufgabenstellungen im Schulbuch gezielt die Recherche-Kompetenz entwickeln. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen hier ggf. anleitend zur Seite stehen, sodass die Art und Weise des wissenschaftlichen Arbeitens gezeigt wird. Der Kern dieser Schwierigkeit ist dabei die verwendete Sprache im Schulbuch, aber auch die Sprachkompetenz der Individuen der jeweiligen Lerngruppe. Oleschko und Moraitis (2012: 14 ff.) zitieren diverse Forscherinnen und Forscher, denen dieses Problem im Bereich der Geschichtsdidaktik aufgefallen ist. Offenbar fehlen vielen Schülerinnen und Schülern oftmals sprachliche Kompetenzen, darunter vor allem die Lesekompetenz, um sinnvoll mit dem Schulbuch arbeiten zu können. Die Analyse in dieser Arbeit, insbesondere die, des Geschichtsbuchs, wird hoffentlich Erkenntnisse zu dieser Problematik liefern.

b. Selbstkonstruktion von Wissen durch die Verwendung des Schulbuchs?

Deklaratives Wissen wird über grammatische Proben als Problemlösungsverfahren eingeführt. Prozeduren werden so gut wie nicht ausgebildet und Metakognition kommt nur in Ansätzen vor. Bei den Aufgaben überwiegen Anwendungsaufgaben; Transferaufgaben fehlen fast vollständig.

Ossner (2007: 180) formuliert bei seiner Analyse von Deutsch-Grammatik-Lehrwerken ein ernüchterndes Urteil. Ich gehe davon aus, dass mittlerweile eine Verbesserung stattgefunden hat, sprich dass Schulbücher allgemein so konzipiert werden, dass ein konstruktivistisches Lernen möglich ist. Hierbei spielen sicherlich viele Faktoren eine Rolle. Wie es bei Ossner deutlich wird, müssen vor allem die Aufgaben in den Schulbüchern so gestaltet sein, dass nicht nur ein stupides Auswendiglernen erfolgt, sondern vorher generiertes Wissen transferiert und ggf. in einem anderen Kontext angewendet werden muss, und zwar möglichst selbstständig. Je nach Lernthema fällt so eine Konstruktion unterschiedlich schwer. Grammatische Inhalte sind, ohne für die Lernenden gekünstelt zu wirken, meines Erachtens schwerer zu transferieren als beispielsweise textanalytische Aufgaben. Auch hier spielt die verwendete Sprache erneut eine große Rolle. Klar ist, dass wenn Schülerinnen und Schüler die Aufgaben nicht verstehen, sie kein Wissen konstruieren können. Im Analyseteil werde ich darauf achten, wie diese Problematik im ausgewählten Deutschbuch gelöst wurde.

c. Knüpft das Schulbuch an Interessen und Lebenslagen der Lernenden an?

Vorwissen und Interessen spielen bei der Wissenskonstruktion eine große Rolle. In der Erziehungswissenschaft wird nicht ohne Grund ein schülerorientierter Unterricht erforscht. „Wenn Schülerinnen und Schüler Interesse an den gestellten Aufgaben haben, lernen sie auch besser und mehr.“ So lautet eine These bei Meyer (2010: 145). Nun ist es wenig verwunderlich, dass Vorwissen, Interessen und ebenso Lebenslagen stets unterschiedlich sind. Es sind also nicht nur sprachliche Hürden, die für Heterogenität sorgen, auch gerade nicht bei Lerngruppen mit einem hohen Migrationsanteil. Tatsächlich, so lese ich es bei Oleschko und Moraitis (2012: 16), sind soziale Hintergründe der eigentliche Heterogenitätsaspekt, auch bei Lernenden, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) lernen. Ein Schulbuch wird nun nicht für alle Individuen im gleichen Maße Anknüpfungspunkte bieten. Ich gehe aber davon aus, dass das ausgewählte Material zumindest für die angegebene Jahrgangs- und damit Altersstufe geeignet sein wird, sodass eher das Interesse der Lernenden geweckt wird. Diese Annahme gilt es zu überprüfen.

2.2.1 Heterogenität

Die obigen Ausführungen rechtfertigen einen genaueren Blick auf das Thema Heterogenität. Herrmanns (2017: 53 ff.) Darstellungen folgend besteht ein Anspruch auf Berücksichtigung von Heterogenität in Lehrwerken. Autoren und Verlage bemühen sich, diesem Anspruch gerecht zu werden. So gibt es wahrscheinlich heutzutage für diverse einzelne Heterogenitätsaspekte jeweils ein geeignetes Lehrwerk. Hermann (2017: 60 f.) nennt Beispiele für jahrgangsübergreifenden Unterricht, Unterricht für eine überwiegend lernschwache Schülerschaft oder für Unterricht mit offenen Aufgabenformaten. Matthes und Schütze (2017: 9) schreiben:

Das Vorhandensein von Heterogenität wird in der Erziehungswissenschaft häufig sehr schnell und ausschließlich als Bereicherung etikettiert […]; Heterogenität kann jedoch nur dann ihr positives Potential entfalten, wenn mit ihr offensiv und auch problembewusst, ja: grenzbewusst umgegangen wird und wenn sie in ihren unterschiedlichen Dimensionen sozusagen bearbeitet wird […].

Die Schwierigkeit liegt also meines Erachtens nicht bei einem Heterogenitätsaspekt allein, sondern beim Zusammentreffen vieler dieser Aspekte. Ich habe beispielsweise die persönliche Erfahrung an einer Hamburger Grundschule gemacht, dass Migration in Kombination mit einem schwachen sozioökonomischen Hintergrund die Schwierigkeiten exponentiell in die Höhe treiben. Da kann das Lehrwerk noch so gut sprachlich und didaktisch aufbereitet sein, allen Schülerinnen und Schülern kann man nicht gerecht werden, zumindest nicht ohne eine tiefgreifende Intervention. Ich habe die Grenzen jedenfalls kennengelernt.

Ein weiterer Punkt, der überaus spannend ist, zeigt sich beim offensiven Umgang mit Heterogenitätsaspekten gegenüber der Schülerschaft. Mit anderen Worten: Wie wird Heterogenität in Schulbüchern dargestellt? Herrmann (2017: 58) hat konstatiert, dass Schulbuchverlage, insbesondere im Rahmen der Inklusionsdebatte, verstärkt darauf achten, beispielsweise Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen darzustellen. Die Produzenten schwanken „zwischen der Abbildung von Lebenswelt einerseits und der Konstruktion von Wirklichkeit andererseits.“

Heterogenität hat also zwei Seiten. Auf der Seite der Lehrenden muss darüber nachgedacht werden, wie man den Individuen in heterogenen Lerngruppen gerecht wird. Auf der anderen Seite muss den Lernenden das Positive an der Vielfältigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens aufgezeigt werden. Letzteres gelingt meines Erachtens mit Schulbüchern, welche die Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswelt abholen. Im Analyseteil dieser Arbeit werde ich darauf achten, ob in den von mir ausgesuchten Lehrwerken mit dem Thema Heterogenität angemessen umgegangen wird.

2.2.2 Deutsch als Zweitsprache

Insbesondere unter Berücksichtigung der Linguistik erscheint es mir sinnvoll, kurz einen vertiefenden Blick auf Schülerinnen und Schüler zu werfen, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Wie wird mit DaZ-Lernern umgegangen? Welche sprachlichen Stolpersteine können auf dem Weg liegen? Welche Probleme warten in Schulbüchern?

Der Diskurswandel um die sprachliche, kulturelle und soziale Integration von Kindern und Jugendlichen aus Migrationsfamilien, der seit den internationalen Schulleistungsstudien PISA, TIMSS und IGLU zu vielfältigen Anstrengungen und Initiativen in Wissenschaft, Schule und Politik führte, ist eines der herausragenden Ergebnisse in der bildungs- und gesellschaftspolitischen Entwicklung. Die Benachteiligung von Migranten im deutschen Bildungssystem wird auf die mangelnden sprachlichen Kompetenzen in der Zweitsprache Deutsch zurückgeführt. Dabei gelingt es dem deutschen Bildungssystem weit weniger gut als anderen, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund beim Erwerb der Verkehrssprache zu unterstützen […].

Das Zitat von Röhner (2013: 7) stellt die Problematik dar, mit der die Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als Zweitsprache lernen, konfrontiert sind. Es gibt eine Benachteiligung für diese Lerner. Wenn die Schule keinen Weg findet, sprachliche Kompetenzen im DaZ-Hintergrund zu fördern, werden diese Menschen abgehängt. Röhner (2013: 11) verweist an einer anderen Stelle auf eine Schulbuchanalyse, bei der sprachliche Aspekte hervorgehoben werden, die den Lernern besonders schwerfallen, weil von Seiten der Schule nicht differenziert genug gearbeitet wurde. Die Bilanz dieser Analyse sei, „dass Schülerinnen und Schüler im Fachunterricht vor erhebliche sprachliche Anforderungen gestellt“ würden. Es wird dabei Bezug genommen auf Verbgebrauch, Nebensatzverwendung und Satzkomplexität. In Teilen gehe ich gleich noch einmal auf diese Punkte ein. Bei meiner späteren Analyse werde ich auf jeden Fall weitere Überlegungen zum Thema ‚Deutsch als Zweitsprache‘ anstellen.

[...]


1 https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_12_04-BS-Deutsch-MS.pdf, gesehen: 28.03.2019.

2 https://www.hamburg.de/contentblob/4327780/0e42f20dca0ff325631f60a42ae79543/data/geschichte-sts.pdf, gesehen: 28.03.2019.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Lehrwerke im Wandel. Eine Untersuchung ausgewählter Arbeitsbücher für die Sekundarstufe I
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Germanistik: FB SLM I+II)
Veranstaltung
Seminar II: (DaF/DaZ) Fachliches Lernen in der Zweitsprache Deutsch (am Beispiel des Fachs Geschichte)
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
27
Katalognummer
V493681
ISBN (eBook)
9783668991156
ISBN (Buch)
9783668991163
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Linguistik, Schulbuchforschung, Deutsch, Geschichte, Sekundarstufe I, DaZ, Operatoren, Arbeitsbuch, Unterricht, Lehrmittel, Lernmittel, Aufgaben, Handlungskompetenzen, Kompetenzorientierung, Sprache, deutsche Sprache, Schule, Deutschunterricht, Geschichtsunterricht, Anforderungsniveau, Wortschatz, Heterogenität, Sprachwandel, Sprachgebrauch, Lernen, Sprachentwicklung
Arbeit zitieren
Dirk Kopplin (Autor:in), 2019, Lehrwerke im Wandel. Eine Untersuchung ausgewählter Arbeitsbücher für die Sekundarstufe I, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/493681

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