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Inhalt
1. Einleitung
2. Etablierung der „Gerichtsshows“
2.1. Recht im TV - Vorläufer in Deutschland
2.2. amerikanisches Vorbild: Judge Judy
2.3. Anfänge der Gerichtsshows im deutschen Fernsehen
3. Konzept
3.1. Aufbau der Shows
3.2. Authentischer Rahmen: das Gerichtspersonal
3.3. Fiktive Dramaturgie: Die Fälle
4. Gerichtsshow vs. Talkshow
4.1. Gemeinsamkeiten
4.2. Eine Fortentwicklung des Talkshow-Konzepts?
5. Schluss
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wo sich noch vor wenigen Monaten Nachmittagstalker wie Hans Meiser, Arabella Kiesbauer oder Vera Int-Veen die Klinke in die Hand gaben, tummeln sich heute Herren und Damen in amtlicher Robe: Sogenannte „Gerichtsshows“ geben derzeit im Nachmittagsprogramm von SAT.1 und RTL den Ton an.
Spätestens seit RTL Anfang September 2002 das Repertoire der täglichen Fernsehgerichte noch um zwei neue erweiterte, lässt sich der Boom des neuen TV-Formates nicht mehr ignorieren. Zwischen 14 und 17 Uhr teilen sechs verschiedene Fernsehrichter den Großteil des Nachmittagspublikums unter sich auf - allen voran Vorreiterin Richterin Barbara Salesch mit einem Marktanteil von 21,2 %.[1]
Zunächst sollen in dieser Arbeit die aus dem Internet recherchierten Fakten zur Geschichte des Justizfernsehens und zu den Anfängen der Gerichtsshows zusammengetragen werden. Ferner werde ich das Konzept des Formates vorstellen und auf die Mischung aus fiktiven Fällen und realem Gerichtspersonal eingehen. Schließlich stellt sich noch die Frage, wie sich die enorme Popularität dieser Art des Justizfernsehens erklären lässt und inwiefern es sich bei den Gerichtsshows um eine Spielart, wenn nicht gar um eine Weiterführung der Daily Talkshows handelt.
2. Etablierung der „Gerichtsshows“
2.1. Recht im TV - Vorläufer in Deutschland
Die erste Sendung, die sich im deutschen Fernsehen mit Rechtsfragen auseinandersetzte, startete das ZDF bereits in den sechziger Jahren mit Wie würden Sie entscheiden?. Damals wurden authentische Gerichtsverhandlungen für das Fernsehen nachgestellt. Vor der Verkündung des Richterspruchs durfte das Studiopublikum sein Urteil abgeben, so dass nach Bekanntgabe der tatsächlichen Entscheidung ein Vergleich mit der Zuschauerabstimmung und ein Gespräch über eine mögliche Divergenz stattfinden konnte. Es galt also, den Zuschauer zu informieren und das deutsche Rechtssystem transparenter zu machen.
Einen ähnlich niveauvollen Anspruch verfolgten zwei weitere Justizsendungen, die in den frühen achtziger Jahren im ZDF-Programm lanciert wurden: Auch Ehen vor Gericht und Verkehrsgericht zeigten mit Schauspielern nachgestellte Fälle aus der juristischen Praxis und lieferten zusätzlich zu den Gerichtsszenen Bilder der Vorgeschichte, Hintergrundinformationen und eine Studiodiskussion unter der Leitung Petra Schürmanns und eines Experten.
Im April 1999 bewegte sich Ehen vor Gericht zwar noch unter den fünfzehn deutschlandweit meist gesehenen Sendungen, Ende 2000 wurde jedoch auch diese Justizsendung wie die anderen zuvor aus dem Programm genommen.
2.2. Amerikanisches Vorbild: Judge Judy
Die neue Art, Justiz im Rahmen einer „Gerichtsshow“ im Fernsehen zu fokussieren, orientiert sich weniger an den deutschen Vorläufern der sechziger und achtziger Jahre als an US-amerikanischen Vorbildern. Die Live-Übertragung des spektakulären Prozesses gegen den ehemaligen Football-Star O.J. Simpson sorgte 1995 monatelang in ganz Amerika für Einschaltquotenrekorde. Die Fernsehmacher erkannten das enorme Potential der Gerichtsbarkeit im TV und schickte mit Judge Judy die erste Fernsehrichterin ins Rennen. Seit 1996 verhandelt Richterin Judy Sheindlin in ihrer halbstündigen Show von Montag bis Freitag Gerichtsfälle aus dem ganzen Land, meist Ehe- und Familienstreitigkeiten.
Mit durchschnittlich 8,2 Millionen Zuschauern überbot die frühere New Yorker Familienrichterin zwischenzeitlich sogar den Talkstar Oprah Winfrey. Teil des Erfolgsrezeptes ist Sheindlins Persönlichkeit: Resolut und doch verständnisvoll wie eine Mutter sorgt sie im Sinne des gesunden Menschenverstandes für Gerechtigkeit und wirkt als moralische Instanz im amerikanischen Fernsehen.[2]
Mittlerweile wetteifern in den USA insgesamt sechs Fernsehrichter um die Gunst ihrer Zuschauer.
Die Meinungen über diese Gerichtsshows sind kontrovers: Während Gegner die stereotype Abhandlung der Fälle im halbe-Stunde-Takt und die effekthascherische Inszenierung von Jurisdiktion bemängeln und darin die „fortschreitende Trivialisierung des Fernsehangebots“ sehen, verweisen Sende-Direktoren auf den "Volkshochschul-Effekt“ ihrer Sendungen.[3]
Dieses Argument wird immerhin von einer Umfrage unterstützt, die besagt, dass 40 Prozent der unter 30 Jahre alten Amerikaner angeben, sie würden sich über Politik ausschließlich durch Unterhaltungssendungen wie die abendlichen Talkshows von David Letterman oder Jay Leno informieren.[4]
2.3. Anfänge der Gerichtsshows im deutschen Fernsehen
Die neuen „Gerichtsshows“ im deutschen Fernsehen bedienen sich des bereits bewährten Formats der Amerikaner. Anders als die früheren Justizsendungen sind sie vor allem geprägt von Emotionalität und Aggressivität und haben ihr Augenmerk weniger auf den juristischen Fakten, die einst Einblick in das vergleichsweise trokkene deutsche Rechtssystem geben sollten. Wie die amerikanischen Vorbilder propagierten die Macher anfangs vor allem echte Fälle mit echten Betroffenen, echten Emotionen und dem rechtskräftigen Urteil eines echten Richters. Doch genau dieses Prinzip stellte sich als schwer durchführbar heraus, zumal sich das deutsche Gesetz bekanntlich erheblich vom amerikanischen unterscheidet. In Deutschland dürfen nur weniger spektakuläre Schiedsgerichtsfälle, also Bagatellen, im Fernsehen entschieden werden. Und das Urteil des TV-Richters ist zudem nur dann rechtskräftig, wenn sich alle Beteiligten bereits im Voraus schriftlich damit einverstanden erklären.
Mit Streit um drei startete das ZDF im April 1999 einen Versuch, an den früheren Erfolg ihrer Justizsendungen anzuknüpfen. Anfangs verhandelte der pensionierte Richter Eugen Menken, der später von Guido Neumann abgelöst wurde, in „informativer Form“[5] mit Schauspielern nachgestellte, aber reale Zivilklagen. Am Ende der TV-Verhandlung erläutert der Rechtsexperte und Fachjournalist Ekkehard Brandhoff dem Zuschauer das Urteil und nennt Vergleichsurteile. Die anfänglich erfolgreiche Sendung bleibt mittlerweile mit einer Sehbeteiligung von 8-10 %[6] weit hinter der privaten Konkurrenz zurück.
Auf Vox lief im Herbst 1999 Klarer Fall?! - Entscheidung bei Radka an. Wegen mangelnder Sehbeteiligung wurde dieses TV-Schöffengericht jedoch bereits wenige Wochen später wieder eingestellt.
Die SAT.1-Variante Richterin Barbara Salesch übernahm dagegen anfangs konsequent das Konzept des amerikanischen Vorbildes Judge Judy. Als die damals 30-minütige Sendung im Herbst 1999 jeden Werktag um 18 Uhr auf Sendung ging, verhandelte die dynamische Salesch also noch reale, dafür weniger spektakuläre Schiedsfälle - mit ebenfalls weniger spektakulären Quotenanteilen von höchstens 10 %.[7]
Daraufhin entschieden sich die Macher, die Sendung von dreißig auf sechzig Minuten zu verlängern, von 18 Uhr auf 15 Uhr vorzuverlegen und Salesch fortan über fiktionalisierte - häufig immerhin von der Wirklichkeit inspirierte - Straftaten richten zu lassen. Die Rechnung ging auf: Die Quoten stiegen schnell über 20 %, seit Mai/Juni 2001 sogar regelmäßig über 30 %.[8] Damit war endgültig der Startschuss für das als „Gerichtsshow“ bezeichnete Fernsehgenre, das sich klar von dem Informationscharakter früherer Justizsendungen abgrenzt, gefallen.
[...]
[1] Der Spiegel 42/2002, S. 189.
[2] www.judgejudy.com/bios/allaboutjudy.asp#
[3] Diederichs, Friedemann. www.sz-newsline.de/serien/talk4.htm
[4] ebd.
[5] www.zdf.de/ZDFde/druckansicht/0,1986,2000840,00.html
[6] www.tv-quoten.de/Hintergrunde/Gerichtssendungen/body_gerichtssendungen.html
[7] www.tv-quoten.de/Hintergrunde/Gerichtssendungen/body_gerichtssendungen.html
[8] ebd.
- Quote paper
- Katja Hettich (Author), 2002, Die Gerichtsshow - ein neues Erfolgsformat im deutschen Fernsehen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9954
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