Möglichkeiten, den Computer in die Lernorganisation der Grundschule einzubeziehen


Examensarbeit, 2000

114 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. Einleitung

2. Die veränderte Lebenswirklichkeit des Kindes
2.1 Kindheit im Wandel
2.2 Individualisierung, Pluralisierung, Werteverlust Kennzeichen heutiger Lebenswelten
2.3 Veränderte Familienstrukturen
2.3.1 Neue Familientypen
2.3.1.1 Scheidungsfamilien
2.3.1.2 Ein - Kind Familien
2.3.1.3 Ein - Eltern-Familien
2.3.1.4 Ausländer - und Aussiedlerfamilien
2.3.2 Zusammenfassung
2.3.3 Veränderte Erziehungsstile
2.4 Veränderte Zeitstrukturen
2.5 Veränderte Raumerfahrungen der kindlichen Erfahrungswelt
2.6 Kindheit als Medienkindheit
2.7 Fazit

3. Aufgaben und Ziele der Grundschule
3.1 Die Grundschule in ihrer historischen Entwicklung
3.2 Aufgaben und Ziele des heutigen Unterrichtes in der Grundschule
3.2.1 Der Erziehungsauftrag in den Richtlinien der Grundschule
3.2.2 Schulleben
3.2.3 Lernen und Leisten in den Richtlinien
3.3 Neue Aufgaben für die Grundschule angesichts veränderter Lebensbedingungen
3.3.1 Die neue Rolle des Lehrers
3.4 Schule und Medien
3.4.1 Medienerziehung

4. Möglichkeiten für die Organisation von Unterricht
4.1 Handlungssituationen
4.2 Handlungsmuster
4.3 Unterrichtsschritte
4.4 Sozialformen des Unterrichtes
4.4.1 Funktionen des Frontalunterrichtes
4.4.2 Funktionen des Gruppenunterrichtes
4.4.3 Lernen in offenen Unterrichtssituationen
4.4.3.1 Freiarbeit
4.4.3.2 Wochenplanarbeit
4.4.3.3 Projektunterricht
4.5 Fazit-Möglichkeiten für eine bessere Organisation von Grundschule

5. Lerntheoretische Grundlagen - das bahavioristische Lern-verständnis versus dem konstruktivistischen Lernverständnis
5.1 Behaviorismus
5.1.1 Kritik an behavioristischen Lernparadigmen
5.2 Theorie des Konstruktivismus
5.2.1 Konstruktion
5.2.2 Rekonstruktion
5.2.3 Dekonstruktion
5.2.4 Grundannahmen der modernen Wissenspsychologie
5.3 Anforderung an eine konstruktivistisch orientierte Lernumgebung
5.4 Die Rolle des Lehrers in einem konstruktivistisch orientierten Lernkontext
5.5 Fazit

6. Computereinsatz in der Grundschule? - zum gegenwärtigen Stand der Diskussion
6.1 Positionen der Bund - Länder - Kommission zum Einsatz des Computers in der Grundschule
6.2 Position der Bildungskommission NRW
6.3 Positionen zum Einsatz ne uer Medien in den Richtlinien
6.4 Situation im Ausland
6.5 Allgemeine Positionen zum Computereinsatz in der Grundschule
6.5.1 Argumente gegen den Einsatz des Computers in der Grundschule
6.5.2 Argumente für einen pädagogisch legitimierten Computereinsatz

7. Pädagogische Ziele des Computereinsatzes in der Grundschule
7.1 Einführung des Computers im Primarbereich
7.2 Lernsoftware
7.2.1 Übungsprogramme
7.2.1.1 Alfons Lernsoftware
7.2.2 Tutorielle Systeme
7.2.3 Simulation
7.2.3.1 Sim Town
7.2.4 Mikrowelten
7.2.4.1 Die Programmiersprache Logo
7.2.5 Anwenderprogramme
7.2.5.1 Der Computer als Schreibwerkzeug in der Grundschule
7.2.6 Hypermedia Arbeitsumgebungen
7.2.7 Autorensysteme
7.3 Beurteilungskriterien für Lernsoftware
7.3.1 Die Münsteraner Bewertungsmaske
7.3.2 Die SODIS Datenbank
7.3.3 Fazit - Nut zung der Bewertungskriterien für die Auswahl von Lernsoftware
7.4 Möglichkeiten des Interneteinsatzes in der Grundschule
7.5 Unterricht der Zukunft- ABC Schützen am PC- das erste interaktive Klassenzimmer

8. Resümee

9. Literaturverzeichnis

10. Abbildungsverzeichnis

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit wurde unter Beachtung der neuen amtlichen Rechtschreibregeln verfasst.

Aus Gründen des besseren Verständnisses habe ich mich in dieser Arbeit darauf beschränkt, synonym für die Begrifflichkeiten Lehrerinnen und Lehrer einheitlich den Begriff des Lehrers zu verwenden. Diesbezüglich soll keine Wertung meinerseits vorgenommen werden und auf die Neutralität des Begriffs hingewiesen werden. Gleichbedeutend wird der Begriff Schüler synonym für Schülerin und Schüler benutzt.

1. Einleitung

In der letzten Zeit wird der Einsatz neuer Medien in der Grundschule kontrovers diskutiert. Im Rahmen einiger Modellprojekte findet der Computer im Unterricht der Primarstufe bereits Verwendung. Angesichts meiner Position als angehender Lehrer und persönlichem Interesse, beschäftige ich mich in der vorliegenden Arbeit mit „Möglichkeiten, den Computer in die Lernorganisation der Grundschule einzubeziehen“. Es gilt zu untersuchen, ob der Computer die Qualität des Lernens in der Grundschule verbessern kann.

Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die veränderte Lebenswelt des Kindes. die sich angesichts. die als Ursache für einen gewandelten Erziehungsauftrag der Grundschule in Kapitel zwei thematisiert wird. Ausgehend von dieser Fra-gestellung, werden im folgenden Kapitel Aufgaben und Ziele der Grundschule und die damit verbundene Organisation des Unterrichts thematisiert. Traditio-nelle Aufgaben werden in diesem Zusammenhang neuen Aufgaben und Zielen , die die veränderte Lebenswirklichkeit des Kindes aufgreifen, gegenüberge-stellt. Im fünften Kapitel wird das behavioristische Lernverständnis dem kon-struktivistischen Lernverständnis gegenübergestellt, um die herkömmlichen, traditionellen Lernauffassungen zu den neueren Erkenntnissen aus der Lehr-und Lernforschung gegeneinander abzugrenzen.

Schließlich soll in Kapitel sieben, nach Darlegung der einzelnen Positionen bezüglich des Computereinsatzes, darauf eingegangen werden, welche Möglichkeiten der Computer in diesem Gesamtkontext bietet, und ob durch seinen Einsatz unter Berücksichtigung konstruktivistisch orientierter Lernumgebungen, ein besseres, effektiveres Lernen möglich ist.

2. Die veränderte Lebenswirklichkeit des Kindes

„Ich werde mit den Kindern nicht mehr fertig; zu meiner Zeit war das alles noch anders; was ist bloß mit der Jugend los? Die Kinder haben zu nichts mehr Lust! Ständig müssen sie motiviert werden! Kinder brauchen ständig Aktion! Die Kinder sind viel egoistischer geworden!“ Diese und andere, ähnliche Äu-ßerungen sind in den letzten Jahren immer häufiger von Eltern und Lehrern zu vernehmen (vgl. Fölling - Albers 1995, 127) und geben Anlass zu der Frage, womit dieses veränderte Verhalten der Kinder zusammenhängt. Viele Erwach-sene beklagen das Verhalten der Kinder und wissen nicht, wie ein pädagogisch sinnvolles Handeln aussehen könnte. Es kann sicherlich nicht geleugnet wer-den, dass sich heutige Kinder gravierend von den Kindern, die vor zwanzig Jahren zur Schule gingen, unterscheiden. Damit Pädagogen und vor allem Le h-rer in sinnvoller Weise erzieherisch tätig werden können, das Verhalten ihrer Schüler richtig interpretieren und Fehlentwicklungen präventiv vorbeugen, ist es wichtig, die heutigen Lebenswelten und Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, zu kennen. Worin bestehen diese Veränderungen im Vergleich zu früher und woraus resultieren sie? Unter welchen Sozialisationsbedingungen wachsen Kinder heute auf? Wie muss die Schule diese veränderten Lebenswel-ten in ihren Erziehungsauftrag mit aufnehmen?

In diesem Kapitel werden einleitend die aktuellen Lebenswelten, in denen Kin-der heute aufwachsen, beschrieben. In diesem Zusammenhang sollen die ver-änderten Sozialisationsbedingungen und damit verbundene Folgen in ihren zentralen Bereichen dargestellt werden. Zentrale Veränderungen haben sich im familiären Zentrum vollzogen. Ferner sollen die veränderten Raum - und Zeit-erfahrungen des Kindes, die ebenfalls auf die Lebensbereiche starken Einfluss haben, Thema sein. Den Schwerpunkt dieses Kapitels bilden die Medienerfa h-rungen und die damit verbundenen Veränderungen innerhalb kindlicher Le-benswelten. Mit kurzen Rückblicken auf frühere Tendenzen sollen aktuelle Entwicklungen aufgezeigt werden.

In der Literatur vermischen sich die Bereiche Kindheit und Jugend häufig. Diesbezüglich kann auch in diesem Kapitel nicht immer eine klare Trennung zwischen Kindheit und Jugend vorgenommen werden.

2.1 Kindheit im Wandel

Den Begriff der Kindheit, wie er heute gebraucht wird, gibt es in der Form erst seit dem siebzehnten Jahrhundert. Die Kindheit wurde im Zusammenhang mit Jean Jaques Rousseau bedeutsam, der die Bedürfnisse des Kindes in den gesellschaftlichen Blickpunkt rückte.

Im Mittelalter galten Kinder als „ kleine Erwachsene “(vgl. Decker 1998, 11), deren volle geistige Größe noch nicht ausgereift war. Philipe´ Aries, ein be-rühmter Forscher auf dem Gebiet der Kindheitsgeschichte schreibt in diesem Zusammenhang: „ Mit etwa sieben Jahren (...) traten sie ü bergangslos in die gro ß e Gemeinschaft der Menschen ein, teilten ihre Freunde, die jungen wie die alten, die t ä gliche Arbeiten und Spiele mit ihnen “ (Aries 1976, 559). Die Kin-der wurden ins Arbeitsleben integriert und ihre kindlichen Bedürfnisse nicht beachtet. Misshandlungen waren üblich. Es existierten keine pädagogischen Einrichtungen, demnach erfolgte auch keine Erziehung unter pädagogischen Gesichtspunkten. Kinder wurden lediglich aufgezogen. Durch Jean Jaques Rousseau entwickelte sich langsam eine Art „ Schonraum “ (vgl. ebenda, 12) für Kinder. Ihre Bedürfnisse fanden langsam Beachtung innerhalb der Erzie-hung. Im 17. Jahrhundert wurden erzieherische und ausbilderische Aufgaben erstmalig auf die außerfamiliäre Institution Schule übertragen. Aries beurteilte dies als den „ Anfang der Leidenszeit des Kindes “ , da die gesellschaftlichen Entwicklungen die Kinder aus einer zuvor ganzheitlichen Lebenswelt heraus-drängten und in pädagogische Anstalten hineinzwangen (vgl. Rolff & Zim-mermann in: Fölling Albers 1995, 29). „ Kindheit sei die Geschichte von zu- nehmender Gewalt, Ausgrenzung und Disziplinierung von Kindern “ (ebenda, 29). Aries bewertet die oben angesprochenen Entwicklung der Kindheit sehr negativ und beschreibt die Zeit des Mittelalters als positiv. Der Kindheitsfor-scher Lloyd de Mause hingegen bewertet den gesellschaftlichen Wandel und den damit veränderten Kindheitsbegriff als einen entscheidenden gesellschaft-lichen Fortschritt. Die Entwicklungen haben in seinen Augen dazu geführt, „ da ß heutige Kinder umsorgt, geliebt und besch ü tzt aufwachsen k ö nnen “ (e-benda, 29). Beide Positionen haben sowohl ihre Legitimität sollten aber ebenso kritisch betrachtet werden.

Allmählich definierte sich der Kindheitsbegriff so, wie wir ihn heute kennen. Unter Kindheit im heutigen Sinne wird die allmähliche Einführung in die Gesellschaft und das damit verbundene Erwachsenenleben verstanden (vgl. Decker 1998, 12). Negative Einflüsse sollen möglichst ferngehalten werden. Die Bedürfnisse des Kindes gilt es zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite gerät dieses positive Verständnis von Kindheit heutzutage immer mehr ins Wanken. Die hohe Leistungsorientierung in unserer Gesellschaft und Termindruck be-treffen zunehmend auch kindliche Lebenswelten. Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind und versuchen es dahingehend in allen möglichen Bereichen quali-fiziert zu schulen. Kindliche Bedürfnisse geraten so teilweise in Vergessenheit. Durch die Medienwelt werden die Grenzen zwischen Erwachsenen und Kin-dern aufgehoben. Neil Postman spricht sogar von einem „ Verschwinden der Kindheit “ (vgl. Titel des gleichnamigen Buches) und bezeichnet hiermit eine zunehmende Verwischung zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt. Die Me-dien Fernsehen und Computer haben einen einheitlichen Erfahrungs- und Er-lebnisraum für Kinder und Erwachsene geschaffen. Die Grenzen zwischen kindlichen und erwachsenen Lebenswelten heben sich immer auf. David El-kind geht sogar soweit, „ die Kindheit nach heutigem Verst ä ndnis als vom Aus- sterben bedroht anzusehen “ (vgl. Elkind 1991, 17). Der Begriff „Kindheit“ und das damit verbundene Verständnis hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Aufgrund sich verändernder gesellschaftlicher Bedingungen wird sich der Beg-riff Kindheit immer wieder in Abhängigkeit gesellschaftlicher Faktoren neu definieren. Konsequenterweise müssen Modifikationen auch mit einem Wandel in der Erziehung einhergehen, d.h. die Schule muss diese Veränderungen auf-greifen und entsprechend darauf reagieren. Ob, und wie der Lehrer die neuen Technologien in diesem Zusammenhang sinnvoll einsetzten kann, soll im Hauptteil dieser Arbeit thematisiert werden.

2.2 Individualisierung, Pluralisierung, Werteverlust - Kennzeichen heutiger Lebenswelten

„Die Welt steht dir offen!“ Dieser Ausspruch könnte als der prägende Satz für die heutige, junge Generation stehen. Fakt ist, dass die Lebenswelten von Kin-dern und Jugendlichen ein weites Spektrum von Freiheiten und eine Vielzahl an Individualisierungsmöglichkeiten bereithalten. „Alles ist möglich.“ Jeder kann und muss lernen, sich seine eigene, individuelle Biographie zu er-schaffen (vgl. Beck 1998, 150). Es zeichnet sich in diesem Zusammenhang eine Pluralisierung in allen Lebenslagen, Familienformen und Lebensstilen ab, die bereits im Kindesalter beginnt. Viele autonome Lebensbereiche, wie z. B. Freizeit, Sport, Arbeit, Bildung, Konsum sind entstanden, die unabhängig vo n-einander, nebeneinander exis tieren (vgl. Hopf 1993, 21). Gleichzeitig geht der angesprochene Individualisierungsprozess aber auch mit einem Verlust ver-bindlicher Orientierungen einher. Hopf nennt diese Orientierungen wichtige soziale Stützen und Traditionen (vgl. ebenda, 22). Verbindliche Normen und Werte bestehen nicht mehr in dem Maße wie früher. Erlaubt ist, was gefällt. Dies bedeutet aber auch, daß Identität nicht mehr in dem Umfang wie früher durch Übernahme vorhandener Orientierungsmuster gewonnen werden kann (vgl. ebenda). Begr iffe wie Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Selbstän-digkeit bekommen eine immer größere Bedeutung. Jedem werden heute eine Vielzahl von Lebensformen angeboten, aus denen er/sie sich mit Hilfe selbst-gewählter Normen und Werte seine/ihre eigene Biographie zusammenbastelt. In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff Bastelbiographie eingeprägt. Ziel ist es, „ dem eigenen Leben seine pers ö nliche, unverwechselbare Gestalt

(zu) geben “ (Beck 1998, 155 (verändert)). Neben diesen durchaus positiv scheinenden Ent wicklungstendenzen besteht vor allem für Kinder die Gefahr, dass sie dieser selbsttätige Individualisierungsprozess überfordert. Mit den vie-len Freiheiten, der Vielzahl von Wahlmöglichkeiten sein Leben zu leben, ist ebenfalls die Verpflichtung, sich für irgendetwas entscheiden zu müssen, ver-bunden. Da Stützen und Hilfen fehlen, wird ihnen, wie schon angesprochen, eine große Verantwortung abverlangt. Viele wissen nicht mit diesem großen Freiraum umzugehen und resignieren. Diese Resignation äußert sich dann zu-meist in Form von psychischen Erkrankungen, Alkohol und Drogenmissbrauch oder aggressivem Verhalten. Gerade diese Problematik legt es nahe, bereits in der Grundschule den Aspekt der Individualisierung aufzugreifen und Kinder präventiv auf diesen Prozess vorzubereiten. Neben einer pädagogischen Be-gleitung durch geschultes Personal müssen Stützen angeboten werden, die den Kindern in diesem schwierigen Entwicklungsprozess hilfreich sind. Die ange-sprochenen Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen zeichnen sich in nahezu allen Lebensbereichen des Kindes ab, was sich im Laufe des Kapitels zeigen wird.

2.3 Veränderte Familienstrukturen

Die oben genannten Strukturwandlungen betreffen auch das heutige Familien-system. Die Familie fungiert zwar immer noch als stärkste Sozialisationsin-stanz, ihre Funktion als soziales Bezugssystem löst sich aber zunehmend auf. Bis in die 60er Jahre waren die Kennzeichen einer traditionellen Familie das Zusammenleben eines verheirateten Paares mit mehreren Kindern. Die Rollen für Mann und Frau waren spezifisch festgelegt. Abweichende Familienformen galten als unvollständig. Heutzutage hat die bürgerliche Kleinfamilie ihre Mo-nopolstellung verloren und existiert als eine Familienform unter vielen (vgl. Preuß 1999, 135). Im folgenden seien einige Definitionen des heutigen Famili-enbegriffs genannt. Unter soziologischen Gesichtspunkten wird Familie fol-gendermaßen definiert:

„ Unter Familie im engeren Sinne und soziologischen Verst ä ndnis ist jene Lebensgemeinschaft und Sozialgruppe zu verstehen, in der Erwachsene sich der Erziehung (Sozialisation) von Kindern und Jugendlichen widmen. Die Erwachsenen sind in der Regel die leiblichen Eltern, aber Ausnahmen sind zahlreich “ (Sch ä fers 1990, 110):

Der Duden definiert den Begriff Familie fo lgendermaßen:

„ 1. a) Gemeinschaft der in einem gesetzlichen Eheverh ä ltnis lebenden Eltern und ihrer Kinder; b) Gruppe der n ä chsten Verwandten; Sippe. 2. Systematische Kategorie, in der n ä her verwandte Gattungen zusammengefasst werden “ (Du-den, 1982 244).

Die häufig zitierte Soziologin Rosemarie Nave-Herz charakterisiert Familie in folgender Weise und bezieht sich hierbei auf Neidhardt:

„ Familie (ist) eine Verbindung, in der Eltern oder ein Elternteil mit ihren bzw. seinen Kindern zusammenleben, zumeist in einer Haushaltsgemeinschaft “ (Nave-Herz 1994, 4, zit. nach: Jürgens 1997, 5). Sie unterscheidet drei Familient y pen:

1.) Die Drei-Generationen-Familie
2.) Die Eltern-Familie
3.) Die Ein-Eltern-Familie

Familie bezeichnet also als eine Gruppe von Individuen, d. h. mindestens einen Erwachsenen und ein Kind, die in einer Gemeinschaft zusammenleben. Der, oder die Erwachsenen, widmen sich hierbei, indem sie arbeiten, dem wirtschaftlichen Erhalt der Familie auf der einen Seite und der Erziehung des oder der Kinder auf der anderen Seite.

Auch heute noch bildet die Familie das Zentrum der verschiedenen Lebensbe-reiche des Kindes, die Bronfenbrenner als Microsysteme bezeichnet (vgl. Ha-cker in: Jürgens u.a. 1997, 6).Der heutige Familienbegriff wird weitläufiger gefasst. Das System Familie existiert zunehmend isoliert neben den anderen Lebensbereichen des Kindes. Es findet kein Austausch mehr statt. Als Beispiel wäre hier die anonyme Wohnsituation heutiger Städte zu nennen, in der kaum noch gute Nachbarschaftsverhältnisse existieren. Fölling- Albers und andere Autoren charakterisieren dieses Phänomen als „ Vereinzelung “, die einen „ zentralen oftmals bedrohlichen Aspekt heutiger Lebenswirklichkeit von Kin- dern, aber auch von Erwachsenen “ (Fölling - Albers 1990, 138) darstellt. Wie sich im weiteren Verlauf des Kapitels zeigen wird, kristallisiert sich dieses Phänomen auch in anderen Bereichen der Lebenswelten des Kindes heraus.

Der familiale Wandel lässt sich an zwei Faktoren festmachen:

1.) den familialen Strukturen

2.) dem Verhältnis der einzelnen Familienmitglieder zueinander

Auf diese beiden Faktoren wird im folgenden näher eingegangen.

2.3.1 Neue Familientypen

Da der Familienbegriff heutzutage sehr weit gefasst wird, sind eine Vielzahl von Familienkonstellationen möglich.

1.) Kind mit Eltern und Geschwistern
2.) Kind mit Eltern ohne Geschwister
3.) Kind mit einem biologischen Elternteil und Geschwistern
4.) Kind mit einem biologischen Elternteil ohne Geschwister
5.) Kind mit einem Elternteil und einem Stiefelternteil
6.) Kind mit Stiefgeschwistern
7.) Kind mit Adoptiveltern
8.) Kind mit Elternteil und neuem Partner des Elternteils
9.) Kind aus Umsiedlerfamilie- oder Ausländerfamilie
10.) Kind aus in Scheidung lebender Eltern (vgl. Hopf 1993, 32)

Es ist heutzutage immer wahrscheinlicher, dass ein Kind während seiner Kind-heit verschiedene Familienformen kennen lernt. Lassen sich Eltern z. B. sche i-den, entstehen durch das Kennenlernen neuer Partner, andere Familienkonstel-lationen.

2.3.1.1 Scheidungsfamilien

1997 erfolgten 187 802 Scheidungen in Deutschland. Bei 105 000 dieser Scheidungen waren Kinder mitbetroffen (vgl. Statistisches Jahrbuch 1999, 64). Die Zahl der Scheidungen hat sich in den letzten Jahren um ein Vielfaches er-höht. Wie die Statistik zeigt, sind auch immer mehr Kinder von diesem Prob-lem betroffen. Gründe für die hohen Scheidungszahlen liegen vor allem in der wachsenden Unabhängigkeit der Frau. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhält-nis besteht oft nicht mehr. Auf der anderen Seite wird heutzutage vielmehr Wert auf die Qualität einer Beziehung gelegt und die kann, wenn sie nicht funktioniert, heute in der Regel ohne Probleme gelöst werden. Der Bevölke-rungswissenschaftler Schwarz schätzte, dass ein Sechstel der Kinder, die 1990 geboren wurden, während ihrer Kindheit zu Scheidungsweisen würden (vgl. Rolff & Zimmermann 1990, 21). Diese Zahl wird sich voraussichtlich ange-sichts der steigenden Scheidungszahlen in den kommenden Jahren noch erhö-hen. Scheidungen sind heutzutage „selbstverständlich“ geworden, sie werden von der Gesellschaft toleriert (vgl. Hacker in: Jürgens u.a. 1997, 13). Dass Trennungen für Kinder sehr belastend sind, steht außer Frage. Jede Trennung bringt Veränderungen im Leben des Kindes mit sich. Innerhalb neuer Famili-enkonstellationen (vgl. Kap. 2.3.1) müssen alle Familienmitglieder andere Verhaltensmuster (vgl. Hopf, 1993, 25) innerhalb dieses fremden Familiensys-tems entwickeln. „ Trennungen und Scheidungen bedeuten f ü r alle beteiligten Familienmitglieder eine Krise, die sie dazu zwingt, eine teilweise neue Identit ä t zu entwickeln “ (ebenda).

Jedes Kind verhält sich in Trennungssituationen unterschiedlich. Die meisten reagieren mit großer Trauer. Andere fühlen sich in dieser Lage in ihrer Exis-tenz bedroht und entwickeln Ängste weggeschickt zu werden, sie fühlen sich minderwertig und allein gelassen (vgl. Hopf 1993, 26). Dieses Verhalten resul-tiert in der Regel daraus, dass die Erwachsenen zu diesem Zeitpunkt zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind und die Sorgen des Kindes nicht wahrnehmen. Das Kind muss allein mit seinen Problemen fertig werden. Je jünger die Kinder sind, desto seltener sind sie jedoch imstande mit der Tren-nung alleine fertig zu werden, da sie die Situation überfordert (vgl. Hacker in: Jürgens u.a. 1997, 13).

Die schulischen Leistungen leiden oft in diesem Zusammenhang, da das ganze Leben von dem Konflikt der Eltern bzw. der Familie bestimmt ist. Die Schule muss angesichts dessen, ihren Schwerpunkt verlagern und fort von der Wissensvermittlung, ihren pädagogischen Auftrag stärker in den Vorder-grund stellen. Sie muss die Schüler in Konfliktphasen unterstützen. Die neue Familienform kann durchaus Chancen enthalten und sich positiv auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Hopf bemerkt in diesem Zusammen-hang, dass die Zahl der kinderreichen Familien heutzutage immer seltener wird und statt dessen mehr „elternreiche Familien“ vorkommen, da Beziehungen, bedingt durch die oben erwähnten Faktoren, viel schneller und vermehrt ge-wechselt werden.

2.3.1.2 Ein- Kind Familien

Die Ein-Kind-Familie ist, nach aktuellen statistischen Angaben der weit verbreitetste Familientypus.

1998 lag die Zahl der Ein- Kind- Familien in Deutschland bei 6 521 000 (vgl. statistisches Jahrbuch 1999, 64). Kinder wachsen vermehrt als Einzelkinder auf. Untersuchungen im Bereich dieser Thematik kommen zu sehr wider-sprüchlichen Aussagen. Im allgemeinen werden zwei typische Verhaltensmus-ter bei Einzelkindern beobachtet. Einerseits wird ihr Verhalten als sehr sozial-orientiert, kooperativ, selbstbewusst und / oder unabhängig eingestuft. Ande-rerseits können sich diese Kinder auch sehr isoliert oder kontaktscheu verhal-ten. Allen gemeinsam ist in der Regel eine Orientierung an älteren Personen (vgl. Fölling- Albers 1990, 142). Soziale Beziehungen von Einzelkindern diffe-rieren stark im Vergleich mit denen von Geschwisterkindern. Da Einzelkinder nicht teilen müssen, gelten sie aus diesem Grund häufig als extreme Konsum- kinder, die „alles“ bekommen. Ihnen fehlt der Interaktionspartner für Ausei-nandersetzungen. Obwohl häusliche Reibungspunkte mit Gleichaltrigen fehlen, ist in sozialen Einrichtungen, wie z. B. dem Kindergarten, der Kontakt mit Gleichaltrigen gewährleistet. Hier entstehen in gleichem Maße Auseinander-setzungen und Rivalitäten wie in Geschwisterbeziehungen. Einzelkinder sind allerdings aufgrund ihrer Lage gezwungen, den Kontakt zu Gleichaltrigen au-ßerhalb der Familie zu suchen und zu pflegen. Aufgabe der Eltern ist dabei, die nötigen Erfahrungsräume zu schaffen, um die soziale Identität des Kindes durch den Kontakt zu Gleichaltrigen zu fördern (vgl. ebenda, 143).

Häufig zeigen sich im Bereich der Ein - Kind - Familie auffällige Klammerer-scheinungen, die sich in übermäßiger Bemutterung äußern. Kinder fühlen sich in hohem Maß der Familie verpflichtet. Oft müssen Einzelkinder, wenn sie in Kontakt mit Gleichaltrigen kommen, erst langsam lernen, dass ihnen nicht alles gewährt werden kann.

2.3.1.3 Ein - Eltern - Familien

Ein weiterer, weit verbreiteter Familientyp, ist die sogenannte Ein- ElternFamilie. Diesbezüglich lassen sich zwei Typen unterschieden:

Typ 1.) Der nach einer Trennung alleinerziehende Elternteil (Vater oder Mutter) und Kind

Typ 2.) Die von Beginn an alleinerziehende ledige Mutter

Bei der erstgenannten Gruppe stellt sich die „sozioökonomische Situation“ (vgl. Schäfers 1995, 132) oft als sehr schwierig da. 1997 lag die Zahl der al-leinerziehenden Mütter mit Kindern in Deutschland bei 2 311 000. 607 000 dieser Frauen waren ledig, 1174 lebten in Scheidung bzw. Trennung (Statisti-sches Jahrbuch 1999, 64). Die Zahl alleinerziehender Väter ist in Deutschland nur sehr gering. Ihre Situation stellt sich ähnlich als die alleinerziehender Müt-ter dar, soll aber an dieser Stelle nicht näher thematisiert werden. Die Versor-gung, die meist nur durch Erwerbstätigkeit zu gewährleisten ist, und eine gleichzeitige Betreuung und Erziehung des Kindes, sind nur schwer zu verein-baren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 1998 63,1 % der Alleinerziehenden Mütter erwerbstätig (Statistisches Jahrbuch 1999, 108). Der Arbeitsmarkt bietet fast keine geeigneten Maßnahmen und Möglichkeiten, Ar-beit und Erziehung des Kindes in Einklang zu bringen. Die Kinder sind die Leidtragenden, da ihr Leben von „ standardisierten und normierten Zeitstruktu- ren “ (vgl. Rolff & Zimmermann 1993, 26) bestimmt ist. Für die Kinder von heute bedeutet dies außerdem, dass sie vermehrt auf sich selbst gestellt sind, schnell selbständig werden müssen oder auf Betreuungspersonen oder Einrich-tungen wie z. B. den Hort außerhalb der Familie angewiesen sind. Die sozialen Kontakte sind, bedingt durch den Zeitmangel der Mutter, meist auf ein Minimum reduziert.

Bei Typ zwei der Ein - Eltern - Familien handelt es sich in der Regel um fi-nanziell besser gestellte Frauen, die sich von vornherein entschlossen haben, ihr Kind alleine groß zu ziehen. Diese Kinder sehen den Vater oft nur selten oder gar nicht. Die familiären sozialen Kontakte sind also auch hier einge-schränkt, wenn auch nicht in dem Maße wie in der erstgenannten Gruppe. Die-se Mütter haben sich bewusst für die alleinige Erziehung ihres Kindes ent-schieden und im Vorfeld ihr Leben entsprechend organisiert, d. h. die Erzie-hung und Versorgung des Kindes entsprechend koordiniert.

2.3.1.4 Ausländer- und Aussiedlerfamilien

Eine weitere Gruppe bilden die Ausländer- und Aussiedlerfamilien. Die famili-ale Sozialisation von Ausländerkindern unterscheidet sich grundlegend von der deutscher Kinder. Eiko Jürgens führt die Unterschiede auf die ökonomisch -utilitaristischen Erwartungen und die damit verbundenen geschlechtsspezifi-schen Unterschiede an, d. h. die Bevorzugung und das höhere Ansehen männli-cher Nachkommen. Diese Familien halten im Gegensatz zu deutschen Familien oft auch stärker an traditionellen Familienformen fest. Wahrscheinlich bietet dieses Verhalten den nötigen Halt in einem fremden Land. Häufig herrschen patriarchalische Züge in den Familien. Eine Lehrerin hat es schwer innerhalb dieser Strukturen etwas zu bewirken. Auch bei Familien, die in zweiter Gene-ration hier leben, sind diese Familienstrukturen noch anzutreffen und schwierig zu durchbrechen. Meist sind gerade deutsche Kinder auch der Auslöser für Konflikte innerhalb dieser Familien, die die traditionellen Strukturen stören. Als schwierig erweisen sich auch die sprachlichen Barrieren. In der Familie wird sich in der Muttersprache unterhalten, da die Eltern die deutsche Sprache nur unzureichend beherrschen. Dadurch haben die Kinder im Unterricht ver-mehrt Probleme mit der deutschen Sprache.

2.3.2 Zusammenfassung

Fasst man die erörterten Aspekte zusammen, so lässt sich sagen, dass Kinder bei der Vielzahl von Familienformen vermehrt in Ein - Eltern - Familien, als Scheidungskinder und Einzelkinder aufwachsen (Rolff & Zimmermann 1990, 21). Die Familie als Sozialisationsinstanz löst sich dabei nicht auf, sondern die herkömmliche „Normalfamilie“ kommt als ein Familientypus unter vielen an-deren heute typischen Familienformen vor. Inwieweit sich das Familienklima förderlich oder störend auf die Entwicklung beziehungsweise Bildungsmö g-lichkeiten des Kindes auswirkt, hängt von der Ausstattung mit „ö konomischen und kulturellen Ressourcen “, d. h. den finanziellen Mittel und dem Bildungs-potential der Familie bzw. der Eltern ab (vgl. Preuß 1999, 147). Defizite in diesen Bereichen lassen nicht zwangsläufig auf Defizite in der Erziehung schließen. Festzuhalten bleibt, dass sich die Sozia lisationsbedingungen für Fa-milien im allgemeinen nicht verbessert haben, sondern eine gute Erziehung bedingt durch ungünstige äußere Faktoren eher noch erschweren. Daher ist es gerade für Lehrer wichtig, die Pluralität von Familienformen im Unterricht zu berücksichtigen, also nicht mehr von einem einheitlich definierten Familien-begriff auszugehen, den es nicht mehr gibt.

Überdies gerät die Familie immer mehr in eine „isolierte Situation“ (vgl. Hopf 1993, 23), die von den anonymen Wohnverhältnissen, Berufstätigkeit der Eltern und der Ausweitung der sozialen Kontakte außerhalb des „Primärumfeldes“ noch begünstigt wird.

Eine besondere Fürsorge, das Bemühen um die Integration der familiären Son-dergruppen in unser „traditionelles Familiensystem“, sowie die Förderung des Zusammenlebens, sind innerhalb unserer multikulturellen Gesellschaft beson-ders wichtig, und hier muss die Grundschule ansetzen. Schule sollte zum fami-lienergänzenden Lebensraum werden. Sie muss den Pluralismus der Lebens-formen in ihrem Erziehungsauftrag berücksichtigen und verstärkt soziales, ko-operatives Lernen üben.

2.3.3 veränderte Erziehungsstile

Die Erziehungsstile haben sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels eben-falls verändert. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen Disziplin als obers-tes Gebot angesehen wurde, gelten heute Selbständigkeit, Kreativität und Kooperationsbereitschaft als primäre Erziehungsziele. Erziehung gestaltet sich liberaler. Damals wurden Befehle der Eltern ohne Hinterfragen ausgeführt, heute verhandelt eine Familie. Dies könnte z. B. so aussehen, dass die Hilfe bei der Hausarbeit mit einem längeren Wegbleiben des Kindes belohnt wird. Die Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen werden in seiner Gesamtheit betrachtet, freier und auf den Einzelnen ausgerichtet ind ividueller. Die Bedürf-nisse des Einzelnen haben Priorität. Die in der Einleitung dieses Kapitels ange-sprochenen Pluralisierungen erfassen auch den Bereich der elterlichen Erzie-hung. Früher waren Erziehungsziele klar definiert. Heutige Erzieher werden mit einem Pool unterschiedlichster Erziehungserwartungen und Normen kon-frontiert. Fachzeitschriften und Erziehungsberater geben eine Fülle von Ra tsch-lägen und Tipps, wie eine optimale Erziehung auszusehen hat. Die Eltern füh-len sich häufig überfordert, weil sie nicht in der Lage sind den „idealen Erzie-hungsstil“ herauszufiltern (vgl. Decker 1998, 15).

Gleichzeitig werden Erzieher mit immer größeren gesellschaftlichen Erwar-tungshaltungen konfrontiert. Kompetenzen wie z. B. Selbständigkeit, Le is-tungsorientierung oder Flexibilität werden zunehmend gefordert und müssen in die Erziehung mitaufgenommen werden, um das Kind auf die Gesellschaft vorzubereiten (vgl. hierzu Kapitel 3.2). Die Familie alleine kann diesem Auf-trag nicht gerecht werden und ist diesbezüglich auf die Mithilfe der Schule angewiesen.

2.4 Veränderte Zeitstrukturen

Im Vergleich zu früher haben sich unsere Zeitstrukturen einem Wandel unter-zogen. Geregelte Zeitabläufe bestimmen unseren alltäglichen Ablauf. Unser Leben wird mehr und mehr von dem Kalender, d.h. Terminen und der Uhr be-stimmt. Wir sind angewiesen auf genaue Zeitplanungen, innerhalb einer für alle gültigen Zeiteinteilung, um unser gesellschaftliches Zusammenleben zu koordinieren. Im Verlauf der Geschichte wurde Zeit immer knapper. Der Aus-spruch „Zeit ist Geld“ prägt das Zusammenleben der Menschen. Eine Uhr ist unentbehrlich. Der oben angesprochene Termindruck erweist sich ebenfalls für Kinder als großes Problem. „ Die kommerzialisierte Zeit ö konomie regelt inzwi- schen auch den Rhythmus, in dem Kinder leben und aufwachsen “ (Rolff & Zimmermann 1990, 136). Die Zeitstrukturen des Kindes sind dem Zeitrahmen der Eltern unterworfen. Eine individuelle, spontane Zeitstruktur des Kindes ist wegen der Berufstätigkeit vieler Eltern kaum möglich. Das Kind muss nach einem festgelegten Zeitrhythmus leben, der kaum aufgebrochen werden kann. Bereits im Vorschulalter ist die Zeit der Kinder stark verplant. Wirklich freie Zeit steht immer weniger zur Verfügung. Ursächlich für vielerlei Termine sind der gesellschaftliche Druck und die Angst „etwas zu verpassen“. Aus diesem Grund müssen möglichst viele kommerzielle Angebote wahrgenommen wer-den. Auch die Eltern tragen in hohem Maße zum Termindruck ihrer Kinder bei, wenn sie es möglichst vielseitig fördern wollen, und zum Besuch der Musik-schule, des Sportvereins, der Malschule oder anderen Angeboten verpflichten. Dass diese Angebote bzw. Hobbys häufig sehr konsumorientiert sind, d.h. vor allem von der Werbung angepriesene Freizeitaktivitäten favorisiert werden, die meist viel Geld kosten, ist ein weiterer Aspekt. Auch das Fernsehprogramm wird in den täglichen Zeitplan miteinbezogen. So können zu bestimmten Sen-dezeiten keine weiteren Verabredungen getroffen werden, da z. B. bestimmte Serien geschaut werden müssen, um „auf dem Laufenden zu bleiben“.

Verabredungen mit Freunden erfolgen seltener spontan, sondern müssen tele-fonisch, oft langfristig geplant werden. Ähnliches gilt für Verwandtenbesuche, die frühzeitig geplant und angekündigt werden müssen. Die freie Zeit be-schränkt sich vermehrt auf das Wochenende und die Ferien. Doch selbst diese „ Exklusivzeit “ (ebenda) wird durch langfristig geplante Wochenendausflüge, Sprachferien oder Aktivurlaub mehr und mehr reduziert. Eiko Jürgens be-schreibt heutige Kinder als Zeitnehmer, wobei diese heute nicht mehr frei über ihre Zeit verfügen, sondern die Zeit den Lebensrhythmus des Kindes bestimmt (Hacker in: Jürgens u.a. 1997, 22).

Auch die Schule gibt Zeitraster vor. Feste Unterrichtszeiten bestimmen den Schulalltag.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Zeit für Kinder zunehmend knapper wird. Sie müssen ihr Leben immer exakter planen. Für Spontanität bleibt nur wenig Raum. Dass der dadurch entstehende Zeitdruck sich negativ auf das Kind auswirkt, wenn Ruhephasen bzw. freie Zeiten mehr und mehr ausbleiben, ist unbestritten.

2.5 Veränderte Raumerfahrungen der kindlichen Erfahrungswelt

Neben dem Zeitfaktor ist der Raum ein weiterer Indikator, an dem die veränderte Lebenswelt des Kindes aufgezeigt werden kann. Dieter Baake hat den Lebensraum in vier „sozial ökologische Zonen“ eingeteilt:

1.) Das ö kologische Zentrum. Dieses umfasst den familialen Bereich, der sich im wesentlichen auf die elterliche Wohnung bezieht
2.) Im ö kologischen Nahraum, der Nachbarschaft, entwickeln sich erste Außenbeziehungen in Form von Freundschaften
3.) den ö kologischen Ausschnitten werden funktionsspezifische Aufgaben zugeschrieben. Hiermit sind Orte, wie z. B. die Musikschule oder das Schwimmbad, in dem der Schwimmunterricht stattfindet, gemeint.
4.) die ö kologische Peripherie. Hierzu gehören Orte, die nur zu bestimmten Gelegenheiten aufgesucht werden, wie beispielsweise der Urlaubsort (vgl. ebenda, 20).

Beginnt man bei der elterlichen Wohnung, nach Rolff und Zimmermann der familiäre Binnenraum, so hat mittlerweile fast jedes Kind sein eigenes Zimmer. Eltern neigen dazu, ihr Kind auf das eigene Zimmer einzuschränken. Dabei ist es für die Entwicklung des Kindes äußerst wichtig, sich den gesamten häusli-chen Bereich, das ökologische Zentrum zu erschließen. Die hier angesproche-nen „ Funktionstrennungen und Raumspezialisierungen “ (ebenda) sind zuneh- mend innerhalb jeglicher Art öffentlicher Räume und Lebensbereiche zu er-kennen. Eiko Jürgens spricht von einer „ r ä umlichen Monofunktionalisie- rung “ (ebenda, 21) unseres gesamten Lebensraumes. Gemeint ist hiermit, dass eine Vielzahl von Räumen nur noch auf einen bestimmten Zweck hin ausge-richtet sind. So hat beispielsweise die Straße ihre ursprüngliche Funktion als Treffpunkt, Kommunikationsort und „Spielstätte“ größtenteils verloren und dient nur noch der schnellen Verbindung zweier Ortschaften. Daneben gibt es speziell unterteilte Straßentypen mit spezifischen Funktionen, wie z. B. die Autobahn, den Radweg, den Fußgängerweg, die nur von spezifischen Personen genutzt werden dürfen. Auf diese Weise wurden Kinder zunehmend aus den öffentlichen Räumen verbannt. Die, um diesen Missstand zu beseitigen, ge-schaffenen Spielplätze sind nur selten attraktiv. „“ Sie sind „ lebensferne, reiz- arme und reglementierte Erfahrungsbereiche, die nicht als Spiel- und Kommu- nikationsorte in die Wohnumgebung eingebettet sind “ (Engelbert & Herlth 1993, 408 zit. nach Hacker in: Jürgens u.a. 1997, 21). Die Konsequenz hierbei besteht darin, dass Kinder sich mit ihrem Spiel immer häufiger in den familiären Binnenraum zurückziehen. Zinnecker charakterisiert dies als „ Verh ä usli chung “ (Zinnecker in: Behnken 1990, 142ff). Die Medien Fernsehen und Computer fördern diese Te ndenz.

Zusätzlich erhalten die oben genannten ökologischen Ausschnitte eine immer größere Bedeut ung. Bei diesen Orten handelt es sich in der Regel um pädago-gisch versierte Einrichtungen wie z. B. die Musikschule oder den Sportverein mit pädagogisch geschultem Personal. Auf diese Weise bieten sich dem Kind eine Vielzahl von Chancen, die persönliche Entwicklung zu fördern. Das Feh-len finanzieller Mittel schränkt die Möglichkeiten jedoch stark ein. Die darge-stellte Grafik soll das gerade angesprochene Phänomen, das in der Literatur als „ Verinselung “ (vgl. Rolff & Zimmermann, Fölling zeichnet wird, verdeutlichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Streifräume in den Vorkriegsjahren Quelle: Rolff & Zimmermann 1990, 138

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: heutige Streifräume

Quelle: Rolff & Zimmermann 1990, 138

Im Gegensatz zu früher, wo sich das Kind seinen Lebensraum selbstständig durch die schrittweise Erweiterung des ihm bekannten Raumes zu eigen machte, werden heutige Räume als unzusammenhängend bzw. „inselhaft“ erlebt. Das Kind lernt mehrere kleine, in sich geschlossene Welten mit jeweils eigenen Regeln und Norme n kennen. Die heutige Umwelt erschwert Kindern das alleinige Entdecken. Wie in der Grafik zu sehen ist, sind diese Räume viel weitlä u-figer, so dass die Kinder zwangsläufig auf die Erwachsenen angewiesen sind, die ihr Kind in die entspreche nden Räume fahren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bedingt durch die funktionale Insel-struktur für Kinder zunehmend schwieriger wird, sich ihren Lebensraum selb-ständig zu erschließen. Sie sind auf die Eltern angewiesen, die die Kinder zwi-schen den einzelnen Inseln hin und her transportieren, da die Erfahrungsberei-che sich räumlich immer weiter voneinander distanzieren. Die „Inselräume“ existieren unabhängig voneinander, eine Verknüpfung außer über das familiäre Binnensystem, ist nur schwer möglich. Hier muss die Grundschule ansetzen und das eigenständige Erschließen der kindlichen Erfahrungswelt fördern.

Vielleicht stellt sich an dieser Stelle die Frage, was die hier beschriebenen Er-fahrungsräume des Kindes mit der Grundschule zu tun haben. Die Grundschule muss die hier beschriebenen Lebensbereiche in ihrem Erziehungsauftrag be-rücksichtigen. Die Medienwelt, die im folgenden Absatz näher erläutert wird, hat zu den gesellschaftlichen Veränderungen und der damit verbundenen Um-strukturierung der Lebensbereiche beigetragen. Das Freizeitverhalten, die Arbeitswelt und auch die Erfahrungswelt des Kindes bleiben von den Mediati- sierungen nicht unberührt.

2.6 Kindheit als Medienkindheit

Wenn ich mich im folgenden auf die Medienerfahrungen der Kinder heute be-ziehe, möchte ich lediglich auf die „neueren“ Medien, d. h. die Bereiche Fern-sehen und Computer Bezug nehmen, da sie die Erfahrungen der Kinder gerade in den letzten Jahren grundlegend verändert haben. Auditive und Printmedien sollen nicht thematisiert werden, da sie, wie dem Titel zu entnehmen ist, nicht Kernpunkt der Arbeit sind. Allgemein kann gesagt werden, dass die Verwen-dung moderner, elektronischer Medien für Kinder heute selbstverständlich ist. Elektronisches und funktionalisiertes Spielzeug findet sich immer häufiger in den Kinderzimmern. Zu nennen wären hier z. B. ferngesteuerte Autos, Robo-ter, Laserwaffen und Computerspiele, die an die Stelle herkömmlicher Gesell-schaftsspiele treten. Im Vergleich dazu geht der Gebrauch von Printmedien nachweislich zurück. Die „neuen“ Medien beeinflussen das Freizeitverhalten der Kinder nachhaltig. Sie werden in zunehmendem Maße in die Aktivitäten der Kinder miteinbezogen. Kinder nutzen ihre oftmals eigenen Stereoanlagen, hören CDs und Kassetten und schauen gerne fern. Die Beschäftigung mit Vi-deo- und Computerspiele ist ein beliebtes Hobby. Paul Mayer beschreibt dieses Verhalten als einen „ zunehmenden Trend zu einem visuellen Lebensstil “ (vgl. Noller, P. in: Mayer 1993, 201). In nahezu jedem Haushalt befindet sich heute mindestens ein Fernsehgerät. Mit Hilfe des Fernsehens können Kinder jederzeit das aktuelle Geschehen auf der gesamten Welt verfolgen. Durch entsprechende Computersoftware können virtuelle Welten simuliert werden. Das Internet ge-währt einen Zugriff auf jegliche Art von Informationen. Anfang 1998 lag die Zahl der Computer in deutschen Haushalten bei 17mio (1993 befand sich in lediglich 8 Mio. Haushalten ein Computer), darunter hatten 8% der Haushalte privaten Zugang zum Internet.

(vgl. http://www.statistik-bund.de/presse/deutsch/pm/evs_einl.htm). Aufgrund der Angebotsfülle werden Kinder aller Altersstufen durch die Medien angesprochen. Bei ihrem Schuleintritt haben sie zum einen schon vielfältige technische Kenntnisse hinsichtlich medialer Bereiche erworben und sind den Lehrern diesbezüglich manchmal sogar voraus.

Die Medien haben den Kindern eine Vielzahl „visueller Welterfahrungen“ vermittelt. Hierbei handelt es sich häufig um unreflektierte Erfahrungen, worauf die begründete Sorge vieler Erzieher beruht, dass Medien eine negative Wirkung auf Kinder ausüben. Die Möglichkeit Primärerfahrungen zu machen, ist immer seltener gegeben.

An dieser Stelle sei kurz das Medienverhalten der Erwachsenen, besonders das der Eltern angesprochen. Computer und Fernsehen stellen für Erwachsene heutzutage eine beliebte Freizeitbeschäftigung dar. Beispielsweise wird der Computer für Computerspiele, Internetnutzung oder für Hobbys wie z. B. Foto-und Filmbearbeitung gerne genutzt. Das Fernsehen wird zur „Entspannung“ eingeschaltet und dient vielen als Informationsquelle. Das Fernsehen läuft meist unbewusst im Hintergrund. In manchen Haushalten fungieren die Medien diesbezüglich auch als Babysitter, wenn Eltern versuchen, ihr Kind durch Computerspiele oder Fernsehen ruhig zu stellen. Dass das Medienverhalten der Eltern sich langfristig sowohl positiv als auch negativ auf den kindlichen Me-dienkonsum und die Entwicklung auswirkt, ist unbestritten.

Wie in der Einleitung dieses Kapitels angesprochen, fehlen den Kindern heute allgemein verbindliche Maßstäbe, an denen sie sich orientieren können. Dieses Faktum wurde von der Medienwelt aufgegriffen, die den Kindern durch ver-mittelte Trends die notwendigen Orientierungen zur Verfügung stellt. Weltbil-der, Kriterien und Maßstäbe an denen sich die Kinder he ute orientieren kön-nen, werden von den Medien vorgegeben. Sie werden demnach auch mittels der Medien sozialisiert.

Der Fernsehkonsum ist bei Kindern generell angestiegen (vgl. Rolff & Zim-mermann in: Fölling - Albers 1995, 32). Damit geht ein Verlust an Eigentätig-keit einher, da Kinder ihre Freizeit vermehrt passiv vor dem Bildschirm ver-bringen. Kinder erleben Wirklichkeiten nicht mehr selbst, sondern konsumie-ren über den Fernseher selektierte Wirklichkeiten (vgl. ebenda, 33). Zusätzlich lässt sich eine schichtspezifische Unterscheidung vornehmen, wobei in sozia-len Unterschichten, die oft psychischen Belastungen ausgesetzt sind, häufiger und ungezielter Fernsehen geschaut wird als in sozial höher gestellten Famili-en. Hier wird das Fernsehen in den meisten Fällen gezielt, z. B. als Informati-onsquelle eingesetzt. Nach Hopf ist nicht die Fernsehzeit entscheidend, son-dern die im Vorfeld genannte „ psychosoziale Lebenssituation und die famili ä re Medienatmosph ä re “ (Hopf 1993, 37) Nicht das Fernsehen an sich ist also schädlich, sondern die äußeren Bedingungen können sich im Zusammen-hang mit dem Fernsehkonsum negativ auf kindliche Verhaltensweisen auswir-ken. Die Literatur gibt hinsichtlich des Einflusses von Fernsehen keine einheit-lichen Informationen. Eiko Jürgens erklärt, dass entgegen gängiger Vorurteile, das Fernsehen für Kinder in der Regel erst an Interesse gewinnt, wenn andere Alternativen, z. B. die Verabredung mit Freunden fehlen. Nach Glogauer wer-den Medien in der heutigen Zeit auch dann lieber von Kindern konsumiert, wenn ihnen andere Freizeitmöglichkeiten angeboten werden. „ Wenn ein fester zeitlicher Konsumrhythmus ausgebildet ist, verlieren die Anregungen aus dem au ß erh ä uslichen Bereich an Reiz “ (vgl. Glogauer 1995, 127).

Der Computer ist heutzutage in nahezu allen Lebensbereichen zu finden und aus diesen auch nicht mehr wegzudenken, da er die Arbeit stark erleichtert und perfektioniert. Der häufig zitiertete Satz: „Computerwissen gehört zur Allge-meinbildung,“ veranlasst viele Eltern, den Einsatz des Computers bereits in der Grundschule zu fordern. Aus diesem Grunde sehen die meisten Eltern die Nut-zung des Computers im Freizeitbereich auch nicht als problematisch an. „So werden die Kinder spielerisch an das Medium herangeführt,“ ist Meinung vie-ler Erwachsener. Der Markt hält ein großes Angebot an Computerprogrammen bereit, so dass praktisch für jede Altersklasse das passende Programm ausge-wählt werden kann. Der Markt stellt sich auf immer jüngere Konsumenten, die Computernutzer von morgen, ein.

Argumente für und gegen Computernutzung sind zahlreich (vgl. hierzu Kapitel 6).

Leider gibt es bisher noch keine Studien über die Langzeitwirkungen. Gege n-wärtig nutzen die meisten Kinder den Computer auch nur zeitweise (vgl. Ha-cker in: Jürgens u.a. 1997, 31). Momentan verfügen die Programme über feste Ablaufschemata und können vom Spieler nur bedingt beeinflusst werden, etwa in der Wahl der Schwierigkeitsgrade. Die Bildebene ist zweidimensional und der Nutzer kann nicht direkt in das Geschehen eingreifen, der Computerraum ist demnach noch ein rein virtueller Bereich. Die Möglichkeiten werden sich in den kommenden Jahren mit Sicherheit entscheidend erweitern. Die soziale Iso-lation erfolgt gerade bei Kindern nicht, da Untersuchungen ergeben haben, dass das Bedürfnis, Spielpartnern Möglichkeiten und Wege durch ein Programm zu zeigen und es zu erklären, sehr groß ist. Im Zusammenhang mit der Medie n- wirkung kann gesagt werden, dass eine direkte Übernahme von Verhaltensweisen genau wie beim Fernsehen bei Computerspielen nicht erfolgt. Auch hier spielen die äußeren Umstände eine wichtige Rolle.

Im Bereich der Medienforschung werden bezüglich Medienwirkung zwei An-sätze vertreten. Der erste Ansatz stellt Medienhandeln als „dinglich verursach-tes Ereignis“ (vgl. Hacker in: Jürgens 1997, 32ff) dar. In diesem Fall kann der Mediennutzer die Wirkung des Mediums nicht beinflussen. Der zweite Ansatz beschreibt Medienhandeln als „selbstbestimmte Willensäußerung.“ Letzteres spricht den „uses and gratification approach“ - Ansatz an (vgl. ebenda). Dieser Ansatz besagt, dass Bedürfnisse des Mediennutzers zu bestimmtem Nutzerver-halten führen. Die Persönlichkeit, Entwicklungsstand und äußere Sozialgrup-pen beeinflussen das Medienverhalten der jeweiligen Person. Auf dieser Basis können nach Jürgens, der sich hierbei auf Fromme und Kommer 1996 bezieht, folgende Vermutungen genannt werden:

Die Sozialisationswirkung von Medien ist abhängig vom Alter. Je jünger die jeweilige Person ist, desto eher lässt sich der Nutzer vom Medium beeinflus-sen.

Medien sind im Zusammenhang mit anderen Sozialisationsinstanzen in gewisser Hinsicht sozialisationsmächtig.

Medienanalysen müssen im Kontext der Gesamtsituation gesehen werden, so dass auf diese gezielt Einfluss genommen werden kann (vgl. Hacker in: Jürgens, 1997, 33).

Es steht außer Frage, dass Medien eine große Sozialisationswirkung haben, und dass die veränderten gesellschaftlichen Strukturen diese Mächtigkeit unterstüt-zen. Da Medien aus unserer Lebenswelt nicht mehr wegzudenken sind, muss man versuchen, positive Aspekte dieser Technologien sinnvoll zu nutzen und negative Seiten zu selektieren. Es muss die Fähigkeit erworben werden, brauchbare von unbrauchbaren Medieninhalten zu unterscheiden.

Auf diesem Hintergrund scheint es eine zentrale Aufgabe vor allem der Schule zu sein, Kindern zu einem kompetenten Umgang mit den „neuen“ Medien zu verhelfen. Sie müssen in der Lage sein, kritisch, sinnvoll und eigenverantwort-lich aus dem großen Angebot der Medien auszuwählen. Welche Möglichkeiten der Computer in diesem Zusammenhang bietet, soll innerhalb dieser Arbeit thematisiert werden. Dabei sollen die veränderten Lebenserfahrungen der Kin- der den Ausgangspunkt bilden.

2.7 Fazit

In den dargestellten veränderten Lebenswelten wurden sowohl positive als auch negative Entwicklungstendenzen sichtbar. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang im erstgenannten Fall von kulturoptimistischen Positionen im zweitgenannten von kulturpessimistischen Positionen. Abbildung 3 soll die in diesem Kapitel angeführten Aspekte noch einmal in ihren wesentlichen Punk-ten komprimiert darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Wie werden Kinder heute? Quelle: Hopf 1993,. 44

Nach „ kulturpessimistischer “ Ansicht wirken sich die in diesem Kapitel be-schriebenen soziokulturellen Veränderungen wie Medieneinflüsse, defizitäre Spiel- und Bewegungsräume, widersprüchliche Erziehungsnormen, die verän-derten Familienstrukturen und der hohe Termindruck, die in der Grafik in den Pfeilen aufgeführt sind, negativ auf die Entwicklung des Kindes aus. Nach „ kulturoptimistischem “ Standpunkt können diese Veränderungen die Entwick-lung des Kindes positiv beeinflussen. So führt das mediale Angebot zu einer Erweiterung der Kenntnisse des Kindes. Trotz der Auflösung außerhäuslicher Streifräume haben Kinder die Alternative, ganzjährig Sport- und Bewegungs stätten aufzusuchen. Fehlende Orientierungsnormen gehen mit einer flexibleren Verhandlungsfähigkeit des Kindes einher. Der Zerfall traditioneller Familien-strukturen und die damit verbundene Einbuße der Eltern als konstante Bezugs-personen hat ein frühes Selbständigwerden des Kindes zur Folge. Die Vielzahl von Terminen veranlassen Kinder frühzeitig ein besseres Zeitbewusstsein und Organisationstalent zu entwickeln. An dieser Stelle möchte ich einwenden, dass mir dieses Argument nicht ganz einleuchtet, da ich es nicht für sinnvoll halte, Kinder in jungen Jahren durch volle Terminpläne in ihren Freiräumen einzuschränken. Kinder lernen früh genug „ihr Leben nach der Uhr auszuric h-ten“.

Kindheit verändert sich mit dem Wandel von Gesellschaftssystemen. Da sich unsere Gesellschaft im Zuge schnell wechselnder Trends immer rascher wan-delt, wird auch die Kindheit immer schneller gelebt und verändert. Diese Te n-denz lässt sich gut an den Reifungsprozessen der Kinder beobachten. Das, was Zwölfjährige noch vor 10 Jahren fasziniert hat, stellt sich für heutige Zwölfjäh-rige bereits als „Kinderkram“ dar und ist schon lange nicht mehr aktuell. Die Schule muss eine Weg finden, diese Tendenzen aufzugreifen. Dies kann nur in der Vermittlung von Kompetenzen liegen, die Kinder dazu befähigen, in dieser schnelllebigen Zeit in unserer Gesellschaft zurecht zu kommen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten, den Computer in die Lernorganisation der Grundschule einzubeziehen
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (FB Pädagogik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
114
Katalognummer
V9951
ISBN (eBook)
9783638165280
Dateigröße
1664 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Computer, Grundschule, Lernsoftware, veränderte Kindheit
Arbeit zitieren
Andrea Werder (Autor:in), 2000, Möglichkeiten, den Computer in die Lernorganisation der Grundschule einzubeziehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9951

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