Die Existenz von Kriegen als stabile Konstante


Hausarbeit, 2000

11 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Die Existenz von Kriegen als stabile Konstante

Aufgabe:

Thema I: Kriege gab es schon immer und wird es immer geben. Erörtern Sie diese These kontrovers anhand zweier Theorieansätze des Fachs Internationale Politik.

Im folgenden Essay soll in die in der Aufgabenstellung genannte These ,,Kriege gab es schon immer und wird es immer geben." anhand der Theorieansätze des ,,klassischen" Realismus und des Idealismus dargelegt und erörtert werden. Die Analyse stützt sich hauptsächlich auf den Text Hans Morgenthaus Macht und Frieden (1963) als Vertreter des klassischen Realismus und Ernst Otto Czempiels Aufsatz Kants Theorem (1996) als Stellvertreter der neoliberalen Schule. Zur Verdeutlichung der Theorien und deren Ansätze wird in einem ersten Analyseschritt eine Darstellung der zugrundeliegenden Denkschulen der realistischen und idealistischen Schule versucht, die durch die Texte Leviathan (1651) von Thomas Hobbes und die von Immanuel Kant verfasste philosophische Schrift Zum ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf. (1795) repräsentiert werden. Durch diese Erläuterungen der theoretischen Basis des jeweiligen Ansatzes soll verdeutlicht werden, wie die Autoren zu unterschiedlichen Erklärungen der in der Aufgabenstellung gestellten These gelangen. Im letzten Analyseschritt wird versucht, die Ergebnisse zusammenzufassen, sie zu vergleichen und abschließend eine Antwort zu finden, wie die beiden Ansätze die obengestellte Frage beantworten. Eröffnet wird das Essay mit der Definition des Begriffs ,,Krieg" als Ursache für das Fach ,,Internationale Beziehungen".

,,Krieg ist die besondere Form organisierter Gewaltanwendung zwischen Gemeinwesen und um die Ordnung des Gemeinwesens. In neuerer Zeit ist dies der Staatenkrieg, der oft als Krieg bezeichnet wird, " (Jahn, 1993, Seite 260).

Anhand dieser Definition wird Krieg in der politisch-theoretischen Wissenschaftsdiskussion als eine anthropologisch gegebene Grundkonstante verstanden, die dem menschlichen Individuum und besonders den Kollektiven menschlicher Individuen (Staaten) innewohnt.

Verursacht durch das Phänomen des Kriegs, versucht das Fach ,,Internationale Beziehungen / Internationale Politik" die gesellschaftspolitischen Bedingungen und Abhängigkeiten zu erklären, die zu Konflikten - in ihren gewalttätigsten Formen zu Kriegen - führen. Dabei sind unter Verwendung unterschiedlichster Erklärungsansätze Theorien und Modelle um die zentralen gesellschaftlichen Kategorien von Konflikt, Herrschaft und Integration mit dem Ziel entwickelt worden, den anarchischen Zustand zwischen den Staaten auf internationaler Ebene zu erklären. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Menschenbilder und die daraus abgeleiteten Zielvorstellungen und Erklärungsversuche des Realismus und des Idealismus werden im folgenden aufgezeigt und erläutert.

I. REALISMUS

Die Schule des Realismus basiert in ihren Grundannahmen auf den Lehren des englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes (1588 - 1979), besonders auf der im Jahr 1651 verfassten Schrift Leviathan, die das Problem menschlichen Zusammenlebens und damit den Staat thematisiert. Hobbes geht von einem bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle aus) ( Hobbes 1978,S. 96) im Naturzustand aus, in der die cupitidas naturalis (natürlichen Begierden) vorherrschend waren, was bedeutet, das jedem das Recht auf alles gegeben ist. Der Naturzustand bezeichnet den Zustand, bevor sich die Menschen durch einen Sozialvertrag zu einer Gesellschaft zusammenschlossen und dadurch den Zustand der Willkür und der Anarchie beendeten.

Nach Hobbes beinhaltet die menschliche Natur drei Konstanten, die Konfliktpotential enthalten: Wettbewerb, Verteidigung und Ruhmsucht, aus denen als natürliche Folge Macht- und Anerkennungsstreben entsteht, das unabwendbar zum kriegerischen Konflikt führen muss. Vereinfachend ist dieses negative Bild des Menschen in der Widmung der Schrift De cive zusammengefasst: ,,Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf!" (Homo homini lupus.) Diese Haltung des Menschen erklärt sich aus seinem Selbsterhaltungstrieb, der begründet wird mit der Furcht des Menschen vor dem Tod, das für Hobbes bestimmende Element des Menschen. Der Mensch sei kein geselliges Wesen, die Gründung der menschlichen Gesellschaft und des Staates diene nur dem Selbstschutz des Menschen und wird angetrieben durch den Streben nach Nutzen und Macht. Der Staat ist somit nicht anderes als ,,die Machtballung des kollektiven Egoismus." (Hirschberger 1980, S. 197).

In dem materialistischen Menschenbild, das Thomas Hobbes entwirft, existiert keine ethische Grundlage, die kann schafft erst der Staat. Das Leben sei beschränkt auf die ,,Bewegung der Glieder", Ideale finden in seinem Empirismus keinen Platz. Der Mensch ist nicht frei, sondern Gefangener seiner Sinne. Es existiert für Hobbes kein finis ultimus oder summum bonum, Glückseligkeit sei - im Gegensatz zu der Aristotelischen Auffassung der eudaimonia - für den Menschen das ständige Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zum nächsten. Das Streben nach Macht, eine natürliche Folge des Triebs der Selbsterhaltung, kann auch nicht durch einen moralischen Standpunkt verurteilt werden, denn es liegt der Natur des Menschen zugrunde und stellt die einzige Möglichkeit dar, sich gegen die Unterwerfung durch andere Kräfte (Menschen) zu schützen. Es existiert daher im Naturzustand keine Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, denn Gesetze und Obrigkeiten sind noch nicht existent. Daraus zieht Hobbes den logischen Schluss, dass ,,Gewalt und Betrug" (Hobbes 1978, S. 98) die Kardinaltugenden im Krieg seien, denn sie verschaffen einen Vorteil über Gegner.

Das Phänomen des Kriegs zwischen Staaten ist nach Thomas Hobbes damit eine natürliche Begebenheit, denn nach der Staatsgründung ist der Staat als ,,kollektiver Mensch" (Hirschberger 1980, S. 198) im Verhältnis zu anderen Staaten erneut in der Situation eines anarchischen Systems, wie vorher beschrieben, im Naturzustand. Es existieren keine Obrigkeiten und keine festgelschriebenen Gesetze, somit weder moralisches Recht noch Unrecht, ein Staat darf also - in Gestalt des Souveräns - nach Willkür verfahren. Die Souveränität des Staates findet somit keine moralischen Einschränkung und ist an keine Konventionen gebunden. Die Ursachen des Phänomens Krieg sind ableitbar aus dem Menschenbildes Thomas Hobbes' und der Krieg kann durch die Sichtweise, der Mensch sei von Natur aus schlecht, nicht verurteilt werden, sondern bleibt eine natürliche Begebenheit.

Hans Morgenthaus Theorie des ,,Realismus" basiert auf dem von Hobbes entworfenen Menschenbild und dem daraus folgenden zentralen Moment des Strebens nach Macht. Morgenthau überträgt den von Hobbes geschilderten Naturzustand auf die Ebene des internationalen Staatensystems, welches durch Nichtexistenz einer Zentralgewalt und vorherrschender Regellosigkeit gekennzeichnet ist und damit ein Anarchie ist. In Analogie zu Thomas Hobbes ist der anzusetzende Maßstab für Morgenthaus Theorie ein pragmatischer und empirischer, also ein ,,realistischer", denn eine politische Theorie muss zeigen, ,,wie das menschliche Wesen wirklich ist, und mit den geschichtlichen Abläufen, wie sie den Tatsachen entsprechen" (Morgenthau 196, S. 49) übereinstimmen. Morgenthaus Theorie beinhaltet auch kein summum bonum, denn ,,moralische Grundsätze können niemals vollkommen verwirklicht werden." (ebenda). Das optimalste Ergebnis sei die Annäherung an die moralischen Grundsätze. Der Realist sei sich zwar einer höheren Vernunft oder einer Tugend bewusst, aber, wie Morgenthau es vermehrt deutlich macht, ,,da diese Welt ihrem Wesen nach von entgesetzten Interessen und von Konflikten zwischen ihnen beherrscht wird" (ebenda), können nur realistische Ansätze zur Erklärung des internationalen Staatensystems führen. Die Theorie im Realismus bestehe darin, Tatsachen festzustellen und durch Vernunft Sinn zu verleihen, sowie die Gesellschaft zu verbessern, indem man die in ihr herrschenden Gesetze verstehe.

,,Internationale Politik ist, wie alle Politik, ein Kampf um Macht." (Morgenthau 1963, S. 69). Machtstreben ist für Morgenthau das Ziel jeder Nation. Die sechs Grundsätze des politischen Realismus, die Morgenthau aufstellt, thematisieren somit als zentrales Moment die Kategorie der Macht oder den ,,im Sinne von Macht verstandene(n) Begriff des Interesses" (Morgenthau 1963, S. 50) von Staaten. Dieses Interesse wird bestimmt durch den Kampf um Macht und findet (beschränkte) Begrenzung in der Moral. Das theoretische Modell stützt sich auf die Begriffe Macht, Interesse und Moral als zentrale Momente von Staaten in der Beschreibung des anarchischen Staatensystems. Die Definition, die Morgenthau von Macht gibt, ist die der Herrschaft von Menschen über das Denken und Handeln anderer Menschen. Er greift damit auf die Definition der Macht von Max Weber zurück, die da lautet: ,,a tut das, dass er ohne Aussage von b nicht tun würde."

Morgenthau definiert als die Ursachen des Machtstreben der Nationen folgende: Hoffnung auf Gewinn, Furcht vor Nachteil und Streben nach Achtung der Anderen. Diese Ursachen stimmen mit den oben angeführten Konstanten, die der menschlichen Natur nach Thomas Hobbes innewohnen, überein.

Machterhaltung und Machtvergrößerung als das Bestreben eines jeden Nationalstaates sind also die bestimmenden Elemente der Internationalen Politik nach ,,der realistischen Schule" Morgenthaus. Jeder Staat, der sich als im Kampf um Macht als unabhängige Einheit im anarchischen System behaupten will, muss, um seine Ziele erreichen zu können, an dem Kampf um Macht teilhaben. Jede Nation habe die Wahl zwischen Machtpolitik und anderen Formen der Aussenpolitik, die von Verlangen nach Macht unberührt sind, sowie die Möglichkeit, Bündnisse mit anderen Staaten einzugehen. ,,Ob eine Nation eine Bündnispolitik verfolgen soll, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, nicht aber des Grundsatzes. (Morgenthau, 1963, S. 159). Morganthau macht deutlich, dass das Eingehen von zwischenstaatlichen Bündnissen ein Mittel zum Zweck bedeute und nicht auf idealistischen Grundsätzen beruht, denn wenn eine Nation ein ausreichendes Maß an Machtpotential ausweist, wird sie - nach Morgenthau - das Eingehen von Bündnissen vermeiden.

Der Kampf um politische Macht wird durch den nach Morgenthau wichtigsten Faktor auf internationaler Ebene entschieden, den der militärischen Stärke, die als tatsächliche Waffe, Drohung und auch zur Abschreckung eingesetzt werden kann.

Morgenthau macht deutlich, dass die einzelne Macht eines Staates, die sich aus Faktoren der Geographie (einziger stabiler Faktor), des wirtschaftlichen Potentials, des militärischen Potentials, der Population, des Nationalcharakters und der Diplomatie zusammensetzt, nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern nur im Vergleich zu anderen Staaten.

Anhand der Betrachtungen der Einzelstaaten gelangt er zu dem Modell des Gleichgewichts der Mächte, das aus der Mechanik stammt. Die Staaten können innerhalb dieses Modells nach dem Prinzip der Nullsumme ein Zuwachs an Macht erreichen, indem andere Staaten die gleiche Summe an Macht verlieren. Das Gleichgewicht der Mächte versteht Morgenthau als Weltkonzept, dessen Zweck er in der Stabilitätserhaltung des gesamten Systems ausmacht. Den Staaten, die als unabhängige Einheiten isoliert in dem System enthalten sind, stehen unterschiedliche Möglichkeiten offen, das Gleichgewicht zu verschieben: durch Eingehen von Bündnissen, Expansionspolitik oder Neutralität, die Morgenthau mit dem Begriff ,,Zünglein an der Waage" kennzeichnet.

Wird das Gleichgewicht aufgrund eines Akteurs (eines Nationalstaats) durch das Streben auf Machtzuwachs verschoben, so werden die anderen Akteure versuchen, durch Massnahmen wirtschaftlicher oder militärischer Art, diesem Streben Einhalt zu gebieten, um eine Hegemonie vorzubeugen. Somit besteht in dem System des Gleichgewichts ständiges Konfliktpotential, denn die Akteure als bestimmende Elemente unterliegen den unterschiedlichsten äusseren Umständen. Dieses Phänomen wird als Sicherheitsdilemma bezeichnet. ,,Im System des Gleichgewichts stellt sich das Hegemoniestreben eines beliebigen Mitglieds als Angriff auf das gesamte System dar." (Naßmacher 1998, S. 355).

Notwendigerweise müssen Kriege entstehen, denn jedes imperialistische Bestreben einer Macht muss von den am Status quo interessierten Mächten durch Interventionen behindert werden, um das Gleichgewicht zu erhalten. Nach den von Morgenthau ausgemachten Grundkonstanten beinhaltet diese ,,Korrektur" erneut Konfliktpotential, denn beim Zurückdrängen gewinnt die vorher am Status quo interessierte Macht ein Zuwachs an Machtpotential, welches sie bestrebt ist, auszubauen. Das Modell beschreibt somit einen ,,ewigen Kreislauf", der Konflikte, bzw. Kriege beinhalten muss, um zu Verschiebungen innerhalb des Systems zu gelangen. Der Frieden kann in diesem Modell niemals absolut sein, er hat die Bedeutung des zeitweiligen Schweigens der Waffen. Aufgebrochen werden kann der Kreislauf kann nur Erlangung der absoluten Hegemonie eines Akteurs, dann würde das System seinen anarchischen Charakter verlieren und ein hierarchisches werden.

II. IDEALISMUS

In der staatsphilosophischen Schrift Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. (1795) entwirft Immanuel Kant ein weltpolitisches Modell, durch welches das internationale anarchische System durch Vernunft und innerstaatliche Bedingungen zum Weltbürgertum und - als anzustrebendes letztes Ziel - zum Weltfrieden gelangen kann. Die Erreichung dieses Ziel knüpft er an bestimmte innerstaatliche Bedingungen, wie die Überwindung nationalstaatlichmachtpolitischer Grundmuster, die gegeben sein müssen, um zu einer höhere zivilisatorische Entwicklungsstufe zu gelangen.

Die Basis seiner Theorie bildet sein positives Bild des Menschen, der durch seine Ratio, bzw. Vernunft befähigt ist, seine eigene böse Natur zu überwinden. Auch Kant geht von einer immerwährenden Bedrohung im Naturzustand aus, aber die ,,Boshaftigkeit der menschlichen Natur" (Kant 1992, S: 65) wird seitens der Ration besiegt, denn es besteht eine ,,moralische Anlage im Menschen" (Kant 1992, S. 66), welche die Kraft hat, das böse Prinzip zu beherrschen. Der Mensch ist also endliches Vernunftwesen, welches zwar auch den Ansprüchen, Neigungen und Bedürfnissen unterworfen ist, sich aber letztlich durch die Kraft seiner eigenen Vernunft befreien kann. Es existiert damit ein angeborenes moralisches Naturrecht des Menschen, welches unveränderliche Grundrechte entstehen lässt, die auf dem Grundrecht der Freiheit basieren. Die Vernunft schafft somit eine Ordnung, der sich die Menschen nicht unterwerfen müssen, sondern die eine Chance der vernünftigen Lebensgestaltung jedes Menschen darstellt, in Überwindung der permanenten Unsicherheit. Kant fordert als Bedingung für eine gerechte Gesellschaft eine bürgerliche Verfassung, die republikanisch und nicht demokratisch sein soll. Czempiel weist darauf hin, dass Kants Vorstellung einer republikanischen Verfassung dem heutigen ,,liberal-demokratischen Demokratieverständnis" (Czempiel 1986, S. 80) entspricht. Jede andere Verfassungsform würde das Oberhaupt des Staates begünstigen, Willkür im Kriegsfalle walten zu lassen, denn Kriege stellten in diesen Verfassungen für das Oberhaupt ,,Lustpartien aus unbedeutenden Ursachen" (Kant 1992, S. 61) dar. In einer bürgerliche Verfassung muss nach Kant des weiteren das Staatsbürgerrecht (ius civitatis), das Völkerrecht der Staaten (ius gentium) und das Weltbürgerrecht der Staaten (ius cosmopoliticum) als notwendige Bedingungen zur Idee des Frieden enthalten sein. Bei Annahme dieser Rechte und Gesetze führe die Einsicht, durch die Vernunft gefördert, notwendigerweise zu der Erwägung eines internationalen Friedens, der, basierend auf einer Förderation freier Staaten, das Völkerrecht manifestieren würde. Kant versteht den Völkerbund nicht als einen Völkerstaat, sondern als einen Föderalismus freier Staaten. Durch diesen Bund kann das asymmetrische Verhältnis zwischen der innerstaatlichen Verfassung mit drei festgesetzten Gewalten und dem anarchischen Verhältnis auf internationaler Ebene behoben werden. Kant betont, dass die Staaten ihr Recht durch Krieg verfolgen, da keine äußere rechtsregulierende Instanz existiert. Durch Friedensverträge könne Kriegen ein Ende bereitet werden, aber nicht den Kriegszustand beenden. Er verweist damit - wie auch die Realisten - auf den temporären Charakter von Bündnissen, Allianzen und Verträgen hin. Im Gegensatz dazu gehe der Friedensbund aber nicht auf den Machterwerb eines Staates zurück, sondern auf Betonung der Erhaltung und Sicherung der Freiheit aller verbündeten Staaten, ohne einem Zwang unterworfen zu sein. Somit kann nur die Idee der Föderalität zum Frieden führen, denn es ,,kann [...] nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie [die Staaten, Anmerkung d. V.], ebenso wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose Freiheit) aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat, der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden." (Kant 1992, S. 68). Somit ist die Idee des Völkerrecht unabwendbar verbunden mit der Vernunft. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind die Vorbedingungen, die Kant in den Präliminarartikel der Schrift voranstellt, denn mindestens zwei von ihnen - die Betonung des Souveränitätsprinzips (heute geltendes Völkerrecht) und die geltenden Konventionen im Kriegsfall (Genfer Konventionen) - weisen die visionären Charakter auf. Er spricht sich gegen einen Friedensschluss aus, der nur unter Vorbehalt eines zukünftigen Krieges geschlossen wird; er verurteilt die Instrumentalisierung von Staaten durch die Erbfolge; er weist auf das Angriffspotential von stehenden Heeren hin, die Grundlage für einen Angriffskrieg bilden; er spricht sich gegen Staatsverschuldung aus, die nicht der Verbesserung innerstaatlicher Verhältnisse dient; er bezeichnet das Souveränitätsprinzip jedes wichtiges Instrumentarium im internationalen Staatengefüge und stellt Konventionen auf, die auch im Krieg, den er als ,,traurigste(s) Notmittel im Naturzustande" (Kant 1992, S. 55) bezeichnet, Geltung haben.

Ernst-Otto Czempiel entwickelt in seinem Aufsatz Kants Theorem. Oder: Warum sind die Demokratien (noch immer) nicht friedlich? (1996) eine Ableitung des Kant'schen Theorem, in dem er die Hypothese zu beweisen versucht, dass Demokratien - als das politische System mit dem höchsten Partizipationsgrad der Gesellschaft an politischer Mitbestimmung - eine geringere Neigung besitzen, im internationalen System zu Gewaltanwendung zu tendieren, d.h. Kriege zu führen, als Systeme, in denen der Grad an gesellschaftlicher Mitbestimmung niedriger ist. Die zweite These, die Czempiel aus der Schrift Zum ewigen Frieden ableitet, ist die der Beseitigung des Sicherheitsdilemmas durch den Zusammenschluss von Staaten in internationale Organisationen, die zur Beseitigung der ,,zweiten großen Gewaltursache" (Czempiel 1996, S. 79), dem Sicherheitsdilemma, beitragen soll. Diese Aufstellung der Thesen macht deutlich, dass Czempiel zur Begründung der Ursache von Kriegen eine akteursimmanente sucht, d.h. in diesem Fall die Begründung für Konfliktpotential nach außen in der Mitbestimmung der Gesellschaft an der jeweiligen Struktur des politischen Systems. Zur Verdeutlichung der These muss gesagt werden, dass Czempiels den Begriff ,,Krieg" in diesem Fall nur als Angriffskrieg und nicht als Verteidigungskrieg versteht; dass aber beinhaltet, das Czempiel zwischen ,,Opferrolle" und ,,Täterrolle" im Kriegsfall entscheiden muss, was bei heutigen militärisch geführten Konflikten zuweilen ein schwieriges Unterfangen darstellen dürfte (siehe momentaner Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien). Demokratien untereinander führen keine Kriege, was quantitativ und qualitativ bewiesen worden ist, denn verschiedene Staaten mit gleichen oder ähnlichen Herrschaftsstrukturen verfolgen zumeist ähnliche Interessen, während sich Demokratien gegenüber autoritär/diktatorialen Systemen wie jene selbst verhalten, bzw. gegenüber Kleinstaaten Expansionspolitik betreiben. Czempiel verweist darauf, dass quantitative Analyse und empirische Daten keine Hilfe zur Falsifikation oder Verifizierung der Hypothese geben, sondern nur eine qualitative Analyse des Außenpolitik eines Staates zur Auflösung führen kann. Wenn Demokratien nicht durchweg der Anwendung von Gewalt negativ gegenüberstehen, so sei die These falsifiziert, aber Czempiel verweist darauf, dass erst der Nachweis erbracht werden muss, dass Demokratien ausreichend demokratischen Charakter im Sinne der Hypothese Kants aufweisen. Das strukturpolitische Merkmal des demokratischen Mitbestimmungsgrades, den Czempiel als ,,Wertverteilungsprozess" (Czempiel 1996, S. 80) kennzeichnet, wird in dieser These bei geringer Verteilungsgerechtigkeit als die Hauptursache für Gewalt bestimmt. Als Beleg dieser These verweist Czempiel auf den Stimmungswandel gegenüber dem Vietnamkonflikt in den Vereinigten Staaten, der sich einstellte, als die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde und somit die ganze Gesellschaft zur Teilnahme an dem Krieg gezwungen wurde und die Last gerecht verteilt wurde. Um diese Verteilungsgerechtigkeit bestimmen zu können, muss die Nicht-Existenz der Einheit zwischen Gesellschaft und Politischem System aufgezeigt werden, die nach Czempiel auch in Demokratien besteht. Der Staat darf nicht als einheitliche Analyseeinheit betrachtet werden, sondern die Anforderungs- und Umwandlungsprozesse bedürfen einer detaillierten Analyse. Als weitere wichtige Gewaltverursachungen nennt Czempiel die anarchische Struktur des weltpolitischen Systems, das daraus entstehende Sicherheitsdilemma, welches die Staaten zur Sicherheitsvorsorge durch Verteidigungsaufrüstung zwingt, die Eigendynamik großer Kollektive, sowie auch die strategische Inkompetenz der außenpolitischen Akteure (Diplomatie).

Auf der Basis des Kant'schen Friedensbundes, weist Czempiel darauf hin, dass internationale Organisationen (Sicherheitsgemeinschaften) dem aus der anarchischen Struktur entstehenden Sicherheitsdilemma entgegenwirken. Entscheidender Faktor sei hierbei nicht die vertragliche Norm, sondern die Praxis der Kooperation, die in einer Organisation institutionalisiert wird. Des weiteren schaffe der institutionalisierte zwischenstaatliche Kontakt eine Existenzgarantie und reduziere damit das Sicherheitsdilemma.

Diese beiden obengenannten Thesen verbindet Czempiel, indem er den ,,demokratischen Frieden" als ,,das Ergebnis des Zusammentreffens von zureichenden Demokratisierungsgraden mit durch die Interdependenz hoch verdichteter Kooperation in internationalen Organisationen." (Seite 79) kennzeichnet.

Um den Bezug zu der in der Aufgabenstellung genannten These wieder herzustellen, werden die Ergebnisse der Analyse im folgenden zusammengefasst, um ihre konträr gegenüberstehenden Theorien des weltpolitischen Systems und der sich daraus ergebenen Betrachtungsweise des Phänomens Krieg zu verdeutlichen: Die Schulen des Idealismus und Realismus haben eine grundsätzlich sich gegenüberstehende Auffassung vom Wesen des Menschen, aus dem sich eine gegensätzliche Auffassung von der Gesellschaft, vom Staatswesen und auch der Politik ergibt. Während nach der realistischen Sichtweise der Mensch dem Wesen nach schlecht ist und sich moralische Grundsätze niemals verwirklichen können, sondern im optimalsten Falle eine Annäherung an die moralischen Grundsätze erreicht werden kann, geht der Idealismus davon aus, dass der Mensch sich kraft seiner Vernunft, als der Begründungsinstanz ethischer Handlungsnormen, und dem ihm innewohnenden moralischen Recht sowie durch Erfahrung zu einem vernünftigen Zusammenleben und zur Verpflichtung auf den Frieden entscheidet, wobei ,,Rückschläge" in den Naturzustand, in dem Willkür und Anarchie herrscht, nicht ausgeschlossen werden. Der Mensch ist damit nicht nur an der eigenen Harmonie interessiert, sondern auch an der friedlichen Gemeinschaft aller Menschen. Die Übertragung dieses Menschenbildes auf das weltpolitische System führt, wie vorher gezeigt, dazu, dass die realistische Schule die Ursache von Kriegen in der Eigenart des internationalen Systems sieht, während die idealistische Schule die internen Bedingungen der Staaten, wie politische Herrschaftsstrukturen, Wirtschaftsstrukturen, etc. als Grund für kriegerische Konflikten anführt. Die These vom niemals endenden Krieg bejaht der Realismus eindeutig, denn nach der realistischen Sicht der Dinge ist das Machtstreben der allein bestimmende Faktor für die Außenpolitik eines Staates und Kooperation in Form von Bündnissen nur ein Mittel zum Zweck darstellt. Kriege können nicht vermieden und auch nicht verurteilt werden, denn es existiert kein moralisches Recht, dem die Staaten verpflichtet sind, zu folgen. Das Ergebnis ist ein Modell der internationalen Politik in der Form eines Kreises, welches keine höheren Entwicklungsstufen zulässt. Die großen Staaten als Akteure müssen in ständiger Bereitschaft sein, militärische Gewalt anzuwenden.

Der Idealismus bejaht die These im Grunde auch, aber er behält sich die theoretische Möglichkeit einer Abkehr von kriegerischen Konflikten offen. Dies bedarf genauerer Erklärung: Indem Czempiel deutlich macht, das die heutigen Demokratien - im Sinne der Kant'schen Hypothese - einen zu geringen Demokratisierungsgrad aufweisen und der Grad an gesellschaftlicher Mitbestimmung zu gering ist, um Angriffskriege durch den Druck der gesamten Gesellschaft zu unterbinden, weist er - durch die Umkehrung seiner These - daraufhin, dass dieses Ziel eigentlich nicht zu erreichen sei, denn das sich die heutigen westlichen Demokratien in naher Zukunft noch mehr ,,demokratisieren" ist unwahrscheinlich. Dabei sind die totalitären und autoritären Systeme noch völlig außer Acht gelassen. Die internationalen Organisationen, welche die - nach Czempiel - zweite große Gewaltursache, das Sicherheitsdilemma, bekämpfen, können dies auch nur, wenn an ihnen beteiligten Nationen sich an deren Statuten und Konventionen halten, sonst entsteht nicht der Sog des Anschlusses an diese, sondern ihnen wird seitens der Staaten, die den internationalen Organisationen nicht angehören, nur eine Alibifunktion eingeräumt werden. Das dem Idealismus zugrundeliegende Modell der ständigen Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft, welches durch einen in vertikale Richtung strebenden Pfeil repräsentiert wird, findet somit eine Einschränkung, denn der Pfeil bewegt sich - nach Umkehrung des Kant'schen Theorems - stagnierend in horizontaler Richtung.

Abschließend soll aufgezeigt werden, wie die beiden ,,Schulen" Frieden kennzeichnen, durch den der Stellenwert, der dem Krieg eingeräumt wird, aufgezeigt wird: Der Realismus bezeichnet Frieden als Waffenstillstand, also die Zeit zwischen den kriegerischen Konflikten, während der Idealismus den Aufschub von Feindseligkeiten nicht als Frieden gelten lässt, sondern nur ein vorbehaltloser Zustand als Friede gilt.

Literatur

1 Blum / Rupp / Gawlina: Politische Philosophien, München, 1997
2 Czempiel, Ernst Otto: ,, Kants Theorem". In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Bd.
3 (1996),Heft 1. S. 79 - 101
3 Hobbes, Thomas: Leviathan, Frankfurt am Main, 1978
4 Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie, Frankfurt am Main, 1980
5 Jahn, Egbert: Konflikt. In: Boeckh, Andreas: (Hrg.): Lexikon der Politik. Bd. 6 Internationale Beziehungen, München, 1993
6 Jahn, Egbert: Krieg. In: Boeckh, Andreas: (Hrg.): Lexikon der Politik. Bd. 6 Internationale Beziehungen, München, 1993
7 Kant, Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf. Hamburg, 1992
8 Morgenthau, Hans: Macht und Frieden, Gütersloh, 1963
9 Nassmacher, Hiltrud: Politikwissenschaft, München / Wien, 1998

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Die Existenz von Kriegen als stabile Konstante
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1.3
Autor
Jahr
2000
Seiten
11
Katalognummer
V99375
ISBN (eBook)
9783638978194
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Existenz, Kriegen, Konstante
Arbeit zitieren
Erik Mohns (Autor:in), 2000, Die Existenz von Kriegen als stabile Konstante, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99375

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Existenz von Kriegen als stabile Konstante



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden