Nietzsche, Friedrich - Versuch eines Portraits


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

16 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Nietzsche - Versuch eines Portraits

Zitat aus der Vorrede von Nietzsche zum Antichristen:

,,Was ist gut? - Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.

Was ist schlecht? - Alles, was aus der Schwäche stammt.

Dies Buch gehört den wenigsten. Vielleicht selbst noch keiner von ihnen. Es mögen die sein, welche meinen Zarathustra verstehn: wie dürfte ich mich mit denen verwechseln, für welche heute schon Ohren wachsen? - Erst das Übermorgen gehört mir. Einige werden posthum geboren.

Die Bedingungen, unter denen man mich versteht (...) - ich kenne sie nur zu genau. Man muß rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte, um auch nur meinen Ernst, meine Leidenschaft auszuhalten. Man muß geübt sein, auf Bergen zu leben - das erbärmliche Zeitgeschwätz von Politik und Völker-Selbstsucht unter sich zu sehen. Man muß gleichgültig geworden sein, man muß nie fragen, ob die Wahrheit nützt, ob sie einem Verhängnis wird ... Eine Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen niemand heute den Mut hat; der Mut zum Verbotenen; die Vorherbestimmung zum Labyrinth. Eine Erfahrung aus sieben Einsamkeiten. Neue Ohren für neue Musik. Neue Augen für das Fernste. Ein neues Gewissen für bisher stumm gebliebene Wahrheiten. (...) Die Ehrfurcht vor sich, die Liebe zu sich; die unbedingte Freiheit gegen sich ...

Wohlan! Das sind meine Leser, meine rechten Leser, meine vorherbestimmten Leser: was liegt am Rest? - Der Rest ist bloß die Menschheit. - Man muß der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele - durch Verachtung ..."

Das Zitat selbst, wenn auch 5 Jahre vor seinem Tod geschrieben, mag einen geringen Einblick darin verschaffen, warum Friedrich Wilhelm Nietzsche als Philosoph einer der schillernsten und umstrittensten - und wohl auch am meisten mißverstandenen Persönlichkeiten der geisteswissenschaftlichen Historie ist. Er wurde am 15.10.1844, also gerade 4 Jahre vor der großen 48er Revolution, des deutschen Bauernaufstandes, in Röcken bei Lützen, geographisch zwischen Halle und Leipzig gelegen, geboren. Seine Mutter, Franziska Nietzsche, war gerade 17 Jahre alt gewesen, als sie sich mit Carl Ludwig Nietzsche, dem Vater, verheiratete. Carl Ludwig Nietzsche war Pastor und ein Mann der Tat, 1813 in Leipzig geboren, also im gleichen Jahr wie der Komponist Richard Wagner, der später der Gönner von Friedrich Wilhelm Nietzsche sein sollte. Sein Vater ereilte bereits im Sommer des Jahres 1848, im Revolutionsjahr, ein tödliches Unglück. Nach einem Sturz erlitt er eine Gehirnerschütterung, aus der sich eine Entzündung ergab, die schließlich zum Tode führte. Nietzsche hat seinen Vater also nie wirklich kennen gelernt, später aber immer in sehr hohen und bewundernswerten Tönen von ihm gesprochen. Und dies, obwohl Friedrich Nietzsche sich so weit von ihm weg entwickelten sollte. Denn er hatte es nicht sehr mit dem Christentum.

1850 siedelte der Rest der Familie Nietzsche, die Mutter Franziska, Friedrich und seine Schwester Elisabeth, notgedrungener Weise vom Dorf Röcken, wo ein Überleben ohne den Vater im Hause nicht mehr möglich war, in die Stadt Naumburg. Dort geht Friedrich Nietzsche in die Schule, die sogenannte Schulpforta, welche als eine der angesehensten in ganz Deutschland galt. Dort bildeten die Landesherren der damaligen Zeit die Beamten, Juristen und Geistlichen aus. Die Ausbildung an der Schulpforta war die Vorbereitung für die Universität. Gleichzeitig kam den Schülern hier eine straffe Erziehung vergleichbar mit der in preußischen Kadettenanstalten, zugute, einzig mit dem Unterschied, daß hier keine Offiziere, sondern humanistische Gebildete, künftige Leute der Wissenschaften herangebildet werden sollten. Nietzsche muß sich des Vorzuges, eine solche Schule besuchen zu dürfen, sehr wohl bewußt gewesen sein. So tritt denn auch in diesen jungen Jahren eines seiner hervorstechenden Charaktermerkmale auf: die Suche nach der Einsamkeit. Paul Deussen, ein gleichaltriger Schulkollege von Nietzsche, bemerkte in einer Notiz die ,,Gleichgültigkeit gegen die kleinen Interessen der Kameraden" des späteren Philosophen, die ihm als Charakterlosigkeit ausgelegt wird. Doch Friedrich Nietzsche tangiert das kaum. Er sucht sein Glück in der stillen Unterhaltung und Spazierengehen mit seinem dort einzigen Freund Deussen, während die anderen sich spielerischen Vergnügen hingeben. Deussen selbst empfand die Zuwendung Nietzsches sogar als großes Lob, obwohl er wohl spürte, daß ihre Freundschaft einzig von der Gnade des Freundes lebte! So schildert er auch eine Anekdote, in der er einen sehr regnerischen Tag beschreibt. Es regnete in Strömen. Nach Schulschluß verließen alle Kinder rasend das Gebäude, um dem Regen zu entfliehen. Allein Nietzsche trat den Heimweg wohl eiligen aber niemals laufenden Schrittes und mit stolzem Haupte an, ungeachtet der Tatsache, daß der Regen ihn bis auf die Knochen durchnäßte. Seiner Meinung nach geziemte es sich für einen Schüler der Schulpforta nicht, etwas so pöbelhaftes wie Laufen auszuführen, nur um ein paar Regentropfen zu entkommen, zudem es den Stolz auf die eigene Herkunft vermissen ließe. Und seine Herkunft, das war eine Bürgerlichkeit ohne Fehl und Tadel, im Bunde mit der Obrigkeit hat da alles seine Ordnung, ist man künstlerisch versiert, im politischen Sinne antirevolutionär an die preußische Staatsform gebunden und wohlanständig. Daraus geht Friedrich Nietzsche hervor. Und als solcher verfaßt er als erst 13- jähriger bereits einen Rückblick auf sein noch sehr kurzes Leben, mit dem er gleichzeitig ein Glaubensbekenntnis ablegt, das von rührender Treuherzigkeit und Naivität ist:

,,Ich habe nun schon so manches erfahren, Freudiges und Trauriges, Erheiterndes und Betrübendes, aber in allem hat mein Gott mich sicher geleitet wie ein Vater sein schwaches Kindlein. Viel Schmerzliches hat er mir schon auferlegt, aber in allem erkenne ich mit Ehrfurcht seine hehre Macht, die alles herrlich hinausführt. Ich habe es fest in mir beschlossen, mich seinem Dienste auf immer zu widmen. Gebe der liebe Herr mir Kraft und Stärke zu meinem Vorhaben und behüte mich auf meinem Lebenswege. Kindlich vertraue ich auf seine Gnade: Er wird uns insgesamt bewahren, auf das kein Unfall uns betrübe. Aber sein heiliger Wille geschehe! Alles, was er gibt, will ich freudig hingeben, Glück und Unglück, Armut und Reichtum, kühn selbst dem Tod ins Auge schaun, der uns alle einstmals vereinen wird zu ewiger Freude und Seligkeit. Ja, lieber Herr, laß dein Antlitz über uns leuchten ewiglich! Amen!"

Wie gesagt hat das Nietzsche mit dreizehn Jahren geschrieben, und es schien zu diesem Zeitpunkt für ihn klar zu sein, daß er in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte, die Predigerkanzel zu erklimmen. Er kennt sich bereits jetzt sehr gut in der Bibel aus und versteht sich ausgezeichnet auf die Welt des griechischen und römischen Altertums. Er ist ein Musterschüler, dessen Mutter bald durch den Rektor der Schulpforta eine Freistelle angeboten bekommt, was einem Stipendium dem Sinn nach gleichkommt und für die Familie von überaus großem Wert war. Allerdings bekommt er auf seinem Abschlußzeugnis, das ihn auf die Universität entlassen soll, ein Mangelhaft in Mathematik. Darüber hinaus bescheinigt man ihm ein unzureichendes Talent in den malerischen Künsten. Nur aufgrund seiner extrem ausgezeichneten Leistungen in Griechisch und Latein gibt man jedoch die Empfehlung, ihn in der Universität aufzunehmen. Dort trifft er auf den Philologen Ritschl, der schließlich mit daran Schuld trägt, daß Friedrich Nietzsche sich für ein Studium der Philologie entscheidet. Das ist ein Studium der alten Schriften, insbesondere des griechischen und lateinischen. Es treibt ihn also damit und zusammen mit seinem Freund Deussen nach Bonn, wo er 1 Jahr lang studiert. Zu dieser Zeit findet gerade in Köln auch der Karneval statt, an dem Nietzsche zwar nicht teilnimmt, zu dessen Zeit er allerdings wieder einmal in Köln ist, um sich umzusehen und das Historische der Stadt zu erforschen und genießen. Deussen berichtet von der Episode, das Nietzsche hier nun von einem Schlepper durch Übertölpelung in ein Bordell gebracht wurde, was später in vielen Biografien zu den spektakulärsten Analysen geführt hat. Möglicherweise hat sich Nietzsche hier auch tatsächlich eine Infektion eingeholt, die als Ursache für die später ausbrechende Geisteskrankheit gelten mag. Sicher ist aber, da? Nietzsche in einem mündlichen Bericht an Deussen gesagt hat: ,,Sprachlos stand ich eine Weile. Dann ging ich instinktmäßig auf ein Klavier als auf das einzige seelenhafte Wesen in der Gesellschaft los und schlug einige Akkorde an. Sie lösten meine Erstarrung und ich gewann das Freie." Im übrigen war der Besuch solcher öffentlicher Häuser gerade unter den Burschenschaften der Universitäten nicht anstößig, sondern wurde sogar von den Mentoren angeraten, um damit einem gewissen Verdruß vorzubeugen, der das Studieren vielleicht erschwerte.

Wie schon erwähnt, studierte Nietzsche in Bonn nur ein Jahr. Dies deshalb, weil er hier zum ersten Mal eine Erkenntnis über sich selbst erlangte und aus ihr eine Konsequenz zog. Denn er trat in eine Verbindung der Universität Bonn, der sogenannten Frankonia, ein, durch die er zum Waffenstudent wurde. Aber kaum das er eingetreten war, bemerkt er schon in einem Brief an seinen ältesten Freund Gersdorff, den er in der Prima des Vorgymnasiums der Schulpforta getroffen hat, daß ihm doch einiges daran mißfällt: ,,Das gilt z.B. in Betreff des Trinkens und der Trunkenheit, aber auch in der Mißachtung und Verhöhnung anderer Menschen, anderer Meinungen." Und das war nicht nach Friedrich Nietzsches Geschmack. Mehr und mehr dringt jetzt schon sein Typus des Einzelgängers, des nach Einsamkeit strebenden durch, und er muß sich überwinden, der Verbindung die Stange zu halten. Doch im Verlaufe des zweiten Semesters stoßen Nietzsche, so wörtlich, ,,die rohen Züge in den Trinksitten" und der ,,Biermaterialismus", sowie die geringe politische Urteilsfähigkeit in den Köpfen der Mitglieder so sehr auf, daß er schließlich den Antrag auf Ausschluß stellt. Die Verbindung entläßt ihn, den Sonderling, sofort ehrenvoll mit Band. Während sie es auch dabei belassen, um aller Konfrontation oder Ressentiments zu entgehen, kündigt Nietzsche in seiner Wut über seinen eigenen Fehler, dem Eintritt in die Verbindung, den Kompromiß der gegenseitigen Entlassung auf und sendet der Verbindung sogar das ehrenvoll erhaltene Band zurück. Damit wird er gleich aus der Burschenschaft überhaupt entlassen, was ihn dann aber doch sehr trifft. Als sein bereits erwähnter Mentor Ritschl schließlich die Bonner Universität verlassen muß und nach Leipzig geht, und auch sein Freund Gersdorff nun in Leipzig studieren wird, entschließt sich Nietzsche denn auch, dort hin zu gehen und Philologie bei Ritschl zu studieren. Hier beschäftigt er sich erstmals mit Schriften von David Strauss, einem Theologen, der die biblischen Quellen zum Leben Jesu auf ihre Beweisbarkeit hin untersuchte und für unbrauchbar befand. Es folgte ein philosophisches Fundament durch die Beschäftigung mit Hegel und Immanuel Kant. Arthur Schopenhauer hatte der junge Nietzsche schon vorher entdeckt. Zufällig hatte er in einem Bonner Antiquariat gestöbert und war dabei auf das Buch mit dem Titel ,,Die Welt als Wille und Vorstellung" gestoßen. Dies war ein vorentscheidender und schicksalhafter Fund, den Nietzsche selbst so beschreibt: ,,Ich weiß nicht, welcher Dämon mir zuflüsterte: Nimm dir dies Buch mit nach Hause. Es geschah jedenfalls wider meine sonstige Gewohnheit, Büchereinkäufe nicht zu überschleunigen. Zu Hause warf ich mich mit dem erworbenen Schatz in die Sofaecke und begann, jenen energischen, düsteren Genius auf mich wirken zu lassen. Hier war jede Zeile, die Entsagung, Verneinung, Resignation schrieb, hier sah ich einen Spiegel, in dem ich Welt, Leben und eigen Gemüt in entsetzlicher Großartigkeit erblickte. Hier sah mich das volle interessenlose Auge der Kunst an, hier sah ich Krankheit und Heilung, Verbannung und Zufluchtsort, Hölle und Himmel. Das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, ja Selbstzernagung packte mich gewaltsam." Damit war der Weg Nietzsches von Schopenhauers Pessimismus vorgegeben. Schopenhauer selbst, in Danzig am 22.02.1788 geboren, starb erst im September des Jahres 1860 72-jährig in Frankfurt/Main. Er stammte aus einem sehr reichen Hause, so daß er nie zu arbeiten brauchte und daraus auch keinen Hehl machte. Er traf unter anderem Goethe, Wieland und die Schlegel-Brüder und war seit 1831 Privatgelehrter in Frankfurt.

Schopenhauer verabscheute die Universität und lehnte es Zeit seines Lebens ab, dort Vorlesungen zu halten. Bereits 1819 gibt er seinen ersten von insgesamt vier Bänden der ,,Welt als Wille und Vorstellung" heraus. Darin verbindet er die transzendentale Ästhetik Immanuel Kants mit einer selbstständigen Willensmetaphysik und nimmt als einer der ersten Grundzüge der buddhistischen Denkweise in sein Denken mit auf. Das Christentum lehnt er als unphilosophisch ab. Als höchstes Ziel der Philosophie gilt ihm die Aufhebung des Wollens im interessenlosen Anschauen. Schopenhauer sagt: ,,Die Welt ist meine Vorstellung: dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wenn der Mensch sie allerdings nur in sein reflektierendes abstraktes Bewußtsein bringen kann: und tut er dies wirklich, so ist die philosophische Besonnenheit ( die philosophische Reflexion) bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d. h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist." Im Willen selbst sieht Schopenhauer nur das Triebhafte, das unterdrückt werden muß, um zu sich selbst finden zu können. Selbst Sigmund Freud unterließ es später nicht, immer wieder auf Arthur Schopenhauer hinzuweisen, dessen unbewußter Wille er den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichsetzte und der die Menschen seinerzeit schon an die Bedeutung des Sexualstrebens gemahnt hatte. Schopenhauer war auch ein erklärter Gegner des Staats- und Kirchenphilosophen Hegel, der für ihn nur ein instituionalisierter Philosoph, ein Fakultätsphilosoph war, einer, der lehrt, was die Regierung von ihm erwartet zu lehren, der der Bezahlung wegen von Staat und Kirche abhängig war. Sofern dies auch auf Kant zutraf, war ihm dieser doch eine Ausnahme, weil Kant nicht seine eigene Philosophie in Königsberg vorgetragen, sondern nur die Philosophien anderer erklärt habe. Mit dieser Ansicht war Schopenhauer natürlich auch nicht an den Universitäten besonders gefragt. So blieb dem jungen Nietzsche nichts anderes übrig, als zufällig sein Buch in einem Antiquariat zu finden und leidenschaftlicher Anhänger des Mannes zu werden, den man eher als Privatier denn als Philosophen hätte bezeichnen können, und dessen Grundlage für das philosophische Denken auch immer die Zinsen waren, die aus seinem Privatvermögen flossen und die ihn gegen die Belange der Öffentlichkeit unempfindlich und unabhängig machten. Er war (aus Angst um sein eigenes Vermögen) Gegner der 48er Revolution, Gegner jeden Fortschritts. Sein Motto war: die neue Welt ist am Ende wieder die alte, die sie gestürzt hatte. Das Elend in der Welt als das von Anfang an Mitgegebene ist etwas, das jeden Wandel übersteht.

Hier nun entwickelt sich der junge Friedrich Nietzsche am Anfang seiner Leipziger Studientage weiter, indem er, geprägt durch Arthur Schopenhauer und Friedrich Lange, einem linksbürgerlichen demokratischen Rheinländer, und durch dessen Schrift ,,Geschichte des Materialismus" endlich auf die griechischen Naturphilosophen, insbesondere auf Demokrit stößt, dessen Theorie vom Atom ihn hellauf begeistert und zum Fundament seiner Ansichten wird. Dabei knüpft er an die Meinung an, daß, wenn alle Atomwirbel sich in voller Bewegung befinden, dann ist die Frage nach dem Urheber der Ereignisse unangemessen, sie ist sinnlos, weil überhaupt nicht zu beantworten. Und die grundsätzliche Verschiedenheit der Dinge ergibt sich nun aus der Verschiedenheit der Atome an Zahl und Gehalt. Und aus ihrer eigentlichen Eigenschaft (also der Struktur des Atoms) ergibt sich im weiteren erst der leere Raum als Notwendigkeit, in der die Bewegung der Atome überhaupt erst vor sich gehen kann. Diese Bewegung im leeren Raum ist für Demokrit der eigentliche Weltprozeß, durch den die Natur in Gang gehalten wird. Anfang und Ende zugleich, alle Beziehungen sind Notwendigkeiten, jedes Entstehen ist auch ein Sterben, ein Weggehen. Somit wird aus Nichts eben nur Nichts, und dabei wird nur Nichts produziert. Purer Nihilismus, den sich Nietzsche aneignete und der später der Nährboden für seine Umwertung aller Werte wurde.

Als Friedrich Nietzsche 1865 nun sein Studium der klassischen Philologie und der Theologie in Leipzig fortsetzt, tobt im Norden der Krieg gegen Dänemark um Schleswig-Holstein, den der Preusse Bismarck 1864 angezettelt hatte. Mit genialen politischen Schachzügen hatte er die Habsburger und damit Österreich zum Verbündeten gewonnen, die ihn im Krieg zur Seite standen. Da Bismarcks Ziel allerdings die Einheit Deutschlands war, scherte er sich einen Teufel um die Moral und fiel nach der Einverleibung Schleswig-Holsteins 1866 in das mit Österreich verbündete Sachsen ein, weil er fand, daß dies der schnellste und bequemste Weg gegen das Haus Habsburg sei. Damit machte er die Verbündeten gegen Dänemark zum Opfer seiner Politik. Sachsen war besetzt. Es folgten Hannover und Hessen-Kassel, deren König, bzw. Kurfürsten er kurzerhand den Garaus machte. Nietzsche war Preuße. Als solcher studierte er ja in der Sachsenstadt Leipzig und erlebte hier als Student den Einmarsch der Truppen aus seinem Land. Nietzsche war Patriot, wenn auch ein kritischer. Dennoch ist er stolz auf Bismarck und schreibt an seine Mutter: ,,Am Ende ist diese preußische Art, die Fürsten loszuwerden, die bequemste von der Welt." An seinen Freund Gersdorff: ,, Aber stolz müssen wir sein, eine solche Armee zu haben, ja sogar ... eine solche Regierung zu besitzen, die das nationale Programm nicht bloß auf dem Papier hat, sondern mit der größten Energie mit ungeheurem Aufwand an Geld und Blut ... aufrecht erhält." Später ist sein Freund Gersdorff als Leutnant in Nürnberg stationiert. Auch Nietzsche ist regelrecht im Kriegsrausch und kann es kaum erwarten, zum Militär eingezogen zu werden. ,,Sieg oder Tod" lautet seine heroische Devise. An Gersdorff schreibt er: ,,Mißlingt es (die Umwälzung Europas), so haben wir beide hoffentlich die Ehre, von einer französischen Kugel getroffen auf dem Kampfplatz zu fallen." Auffällig und beeindruckend ist hier die politische Weitsichtigkeit Nietzsches, der schon vorausgesehen hat, daß Preußen über Österreich siegen wird, und die Habsburger sich an das Frankreich von Napoleon III. wenden würden, gegen das die Preußen dann unweigerlich auch in den Krieg ziehen müßte, was zwei Jahre später auch geschah. 1870 schließlich durfte Nietzsche für einige Monate nur als Sanitäter in diesen Krieg gegen Napoleon III., weil seine körperlichen Leiden keinen Dienst an der Waffe zuließen. Nietzsche war von nicht gerade bester körperlicher Konstitution und wegen eines Augenleidens blind wie ein Maulwurf. Möglicherweise kam auch daher der oft erwähnte und charakteristische stierende Blick Nietzsches. Zwischenzeitlich wurde er bereits wegen seiner hervorragenden Leistungen in der klassischen Philologie 1869 als Professor an die Universität Basel berufen. Friedrich Nietzsche war jetzt 25 Jahre alt. 1868 hatte er erstmals Richard Wagner, seinen Gott, kennen gelernt, der für einige Tage nach Leipzig kam, um seine Schwester dort zu besuchen. Wagner war Sachse, als verfolgter Revolutionär des 48er Aufstandes 1849 ins Exil und damit ins Elend verbannt. Er flüchtete nach Triebschen in die Schweiz, wo er zwanzig Jahre verbrachte, ehe er das immer noch aufrechterhaltene aber zumindest vom Bayernkönig Ludwig II. nicht mehr beachtete Aufenthaltsverbot in Deutschland brach, um sich schließlich in Bayreuth niederzulassen, wo unter Wagners Bemühungen das berühmte Wagner- Opernhaus gebaut wurde, und in dem seither jedes Jahr die Bayreuther Festspiele stattfinden, bei denen nur Wagneropern zur Aufführung kommen. Richard Wagner selbst war ein sehr heiterer, schnell redender Mensch, der eine Gesellschaft immer zu unterhalten wußte. Er wurde am 22.05.1813, also im gleichen Jahr wie Nietzsches Vater, den er ja mit 4 Jahren verlor, in Leipzig geboren und starb 1883 in Venedig wohnend an einem Herzleiden. Berühmt machten ihn seine Opern ,,Tristan und Isolde", ,,Tannhäuser", ,,Ring des Nibelungen" und der ,,Parsifal". Auch bei Wagner spielte das Heroische, Starke eine große Rolle, war das Rauschhafte von großer Bedeutung. Wagner war Psychologe, was seine Musik betraf. Und er war auf jeden Fall und im Gegensatz zu vielen Darstellungen und Interpretationen genau wie Nietzsche bekennender Antinationalist und keineswegs Antisemit. Die Nationalsozialisten der Hitler-Ära machten sich lediglich Auszüge aus den Werken beider zunutze, die geeignet waren, ein solches Bild entstehen zu lassen, wenn man bestimmte Herleitungen außer Acht ließ, und die ihnen auf jene Weise nutzten, ihrer propagierten Politik und Menschentheorie eine Rechtfertigung zu verschaffen. Was Wagner für Nietzsche so anziehend machte, war einerseits eben dieses Heldenhafte, Starke, Dramatische in Wagners Opern, zu denen Wagner selbst auch die Texte schrieb und was es in der Form bei keinem anderen Komponisten gab, und andererseits die Gemeinsamkeit, die sich bei beiden über Arthur Schopenhauer ergab. Nietzsche wie Wagner waren Anhänger, Verfechter der Philosophie Schopenhauers, der Philosophie des ewig Wiederkehrenden, des Pessimismus, des Nichts, das aus dem Nichts entsteht und wieder zu Nichts wird.

Nachdem Nietzsche nun ohne Staatsexamen seine Professorenstelle in Basel antrat und dort auch begeistert empfangen wurde, lernte er dort den schweizer Kultur- und Kunsthistoriker Jacob Burckhardt kennen, der als Professor in Zürich ein bedeutendes Werk über die griechische Kulturgeschichte geschrieben hatte. Dadurch war er für Nietzsche natürlich sehr interessant. Hier tat sich für ihn die später für seine ganze Philosophie so wichtige Welt des dionysischen und apollinischen auf, aus denen er eine Synthese zu schaffen suchte. Dies ist ihm allerdings nie wirklich und nachvollziehbar gelungen, und diesen Irrtum hat Nietzsche selbst auch niemals selbst eingesehen. Denn im Apollinischen verbirgt sich der Gott Apoll, Sohn des Zeus, der die Verkörperung des griechischen Ideals der strahlenden Schönheit darstellt. In ihm vereint sich alles Maßvolle, Klare, Geordnete und Harmonische. Ihm unterstand das Orakel von Delphi und er vertrat Recht, Ordnung und Frieden. Außerdem war er der Gott der Wissenschaften und der Künste. Dagegen steht der Gott Dionysos, ebenfalls Sohn des Zeus, und Gott des Weines und der Fruchtbarkeit. In ihm vereint sich alles Rauschhafte und Entzückte, alles Ekstatische und Orgiastische, bei ihm zerreißen seine jungen Verehrerinnen junge Tiere und verzehren deren rohes Fleisch. Die Vereinbarung dieser beiden Gegensätze, das apollinisch-dionysische Ideal, war Nietzsches angestrebtes Ziel in den Grundlagen seiner Schriften. Seiner Meinung nach war die letztliche Freiheit, also die Überwindung aller moral- und vernunftbestimmten Weltauffassung nur möglich in einer Synthese zwischen dem apollinischen und dem dionysischen, was für ihn zunächst in der griechischen Tragödie und in den Dramen Richard Wagners gelungen sei, der für ihn der wieder auferstandene Dionysos selbst war, und was Nietzsche die Ästhetisierung des Lebens nennt. Nach dem Bruch mit Richard Wagner, viele Jahre später, änderte sich diese Ansicht, indem er mehr und mehr mit einer radikalen Kritik an den christlich-, jüdisch-, abendländischen Wertvorstellungen und -systemen deren Überwindung fordert. Jene christlichen Wert- und auch Moralvorstellungen oder Ideale waren für Nietzsche ohnehin nur eine leidliche Rationalisierung der psychosomatischen Bedürfnisse zur Überdeckung von Schwächen gegenüber den Härten des Lebens. Dies bezeichnete er später als die sogenannte ,,Sklavenmoral" und forderte damit den moralisch ungebundenen und sich selbst überwindenden Übermenschen.

!872 erscheint Friedrich Nietzsches erstes Buch: die ,,Geburt der Tragödie", mit dem er zum ersten Mal für helle Aufregung in der Geistes- und Fakultätenwelt sorgt, weil er hier mit Theorien aufwartet, die aller Grundlagen entbehrt. Nicht nur, daß er die Tragödie an sich für tot erklärt und alle griechischen Autoritäten der Antike anzweifelt, sondern er schreibt damit, ganz im Sinne der schopenhauerischen Philosophie und unter dem Einfluß der Musik und Thematik Richard Wagners, ein philosophisches Werk, obwohl er seiner Berufung nach Philologe, also Schriftengelehrter ist. Das führte unweigerlich zu Widersprüchen, so daß sich Nietzsche einer gewaltigen Kritik seitens der Universität, auf der er selber lehrte, ausgesetzt sah. Die Kritik ging soweit, daß man ihn der vollkommenen Unkenntnis bezichtigte und ihn aufforderte, seinen Lehrstuhl abzugeben. Allein durch die Fürsprache Wagners und einen guten Rat seiner Frau, Cosima Wagner, nämlich ein weiteres, versöhnliches Werk zu schreiben, das die gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlege, bzw. überstrahle, blieb ihm sein Posten an der Universität zu Basel erhalten. Jedoch nur für einige Jahre. Nachdem er die ,,Unzeitgemäßen Betrachtungen" und den ersten Teil seines Buches ,,Menschliches, Allzumenschliches" geschrieben hatte, war der Druck auf den Philosophen, der er eigentlich sein wollte, der eigentlich Philologie lehren sollte, so groß, daß er 1879 schließlich seinen Lehrstuhl in Basel aufgab. Dabei waren die ,,Unzeitgemäßen Betrachtungen" eine erste Abrechnung Nietzsches mit seiner Zeit und einigen Zeitgenossen, sowie den Bildungsanstalten, denen er sich in einer Kritik ausführlich widmete. Außerdem zeichnet er hier seine eigene Lebensgeschichte vor, die in der Vereinsamung liegt, wie sie ihm von Schopenhauer vorgezeigt wurde als Folge einer Verzweiflung an der erkannten Wahrheit. Denn Nietzsche geht es nun um die Suche nach der Wahrheit. Und dies mit einer Unerbittlichkeit, die von jeder von ihm verhaßten Institutionalisierung, jeder Vereinigung der Vielen, wegführt und auf sich selbst zurück kommt. Es folgen dann 1881 die ,,Morgenröte" und 1882 ,,Die fröhliche Wissenschaft". Im ersteren Buch, der ,,Morgenröte" schreibt Nietzsche über sich selbst: ,,In diesem Buch findet man einen Unterirdischen an der Arbeit, einen Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden." Einen Maulwurf in voller Tätigkeit, der das Schweigen aufgibt und Kunde bringt von Neuem, das ,,nicht Jedermanns Sache sein dürfte". Nietzsche beginnt hier, wie er sagt, ,,unser Vertrauen zur Moral zu untergraben." Damit begann sich in aller Deutlichkeit und für die deutsche Geisteswelt auf unerhörte Weise die Umwertung aller Werte abzuzeichnen. Nietzsches Angriff erfolgt hier gegen alles, was die Kultur überhaupt ausmachte: ihre gesellschaftlichen Strukturen und das Christentum, welches er als gefährlich und die Christen als konspirativ bezeichnete. In späteren Papieren unter dem Titel ,,Der Wille zur Macht" schreibt er: ,,Die Zeit kommt, wo wir dafür bezahlen müssen, zwei Jahrtausende lang Christen gewesen zu sein...".

Während er dann, 1882, an der ,,Fröhlichen Wissenschaft" zu arbeiten beginnt, ereignet sich die einzige heftige Liebesaffäre in Nietzsches Leben: die Beziehung zu Lou von Salome. Zustande kam sie durch einen Freund Nietzsches, Paul Ree, der mit ihm eine Zeit lang in Genua verbracht hatte, wo Nietzsche zur Zeit am liebsten seine Zeit verbrachte. Diesen Paul Ree trieben finanzielle Bedürfnisse nach Rom, wo er eine vermögende Deutsche, Malwida von Meysenburg, auch eine sehr gute Bekannte von Friedrich Nietzsche, um Geld bitten mußte. Bei der Gelegenheit traf er auf eben jene Lou von Salome, die ihrerseits eine Tochter eines russischen Generals war, der im russischen Zarenhaus selbst Dienst tat und sogar einer deren Säulen war. Da in Rußland eine Epidemie ausgebrochen und Lou von Salome von gebrechlicher Natur war, hatte man sie für ein Jahr mit ihrer Mutter in die Obhut der im sonnigen Rom lebenden Malwida von Meysenburg geschickt. Paul Ree war von Lou sofort sehr begeistert. Sie zeichnete sich durch eine hohe Intelligenz und Allgemeinbildung aus.

Doch so sehr sie dies bewundernswert machte, so fehlte ihr doch der angemessene Körper. Sie war von auffallender Schwäche, bleich, hustete Blut und war, nach Paul Ree, von einer Dämonie des Leidens befallen. Nichts desto trotz findet er in Gesprächen immer wieder mit ihr zusammen und muß schließlich feststellen, daß er ihr vom Intellekt her kaum gewachsen ist. Deshalb schreibt er an Nietzsche: ,,Diese Intelligenz leuchtet Räume aus, die mir nicht zugänglich sind. Da muß ein anderer her, der einzige, der als Gesprächspartner für Ebenbürtigkeit garantiert." Damit war natürlich Nietzsche gemeint. Malwida von Meysenburg unterstützte den Vorschlag an Nietzsche, sofort nach Rom zu kommen, mit der unterschwelligen Absicht, Nietzsche damit gleichfalls in den Hafen der Ehe zu führen, wie sie es schon desöfteren versucht hatte. Nachdem der jedoch diese Absicht erkennt und zur Zeit höchstens einer (Zitat) ,,Ehe auf Zeit" zustimmen könnte, muß Paul Ree seinen Freund regelrecht überreden, nach Rom zu kommen. Nietzsche gibt schließlich nach und lernt so Lou von Salome kennen. Bis zu seinem Eintreffen in Rom jedoch hatte sich auch schon Paul Ree ernsthaft in die noch sehr junge Russin verliebt. Die genoß das offensichtlich und nutzte diesen Umstand für einen für damalige Zeit absolut unglaublichen Gedanken: sie hatte keine Lust nach Rußland in den goldenen Käfig zurück zu kehren und wollte den Zeitpunkt ihrer nahenden Rückreise so weit wie irgend möglich hinaus schieben. Und gleichzeitig, und das setzte allem die Krone auf, dachte sie, ob es nicht gleich das allerbeste wäre, mit beiden Männern, der eine, Paul Ree, schon zur Stelle, der andere, Nietzsche, schon im Anrücken, in einem Haushalt zu leben. Dabei ging sie im Verlauten ihrer Gedanken völlig rücksichtslos vor, indem sie in aller Offenheit und ohne Scham über ihr Vorhaben sprach. Paul Ree war zunächst dagegen. Nietzsche, der später erst anreiste und auch sofort von Lou von Salome eingenommen war, reagierte erst skeptisch, zeigte sich dann aber doch sehr begeistert von der Idee und unterstützte sie. Begleitet von der Empörung der Mutter der jungen Russin holt diese schließlich die Brüder aus Rußland zu sich, um die Revoluzzerin notfalls mit sanfter Gewalt zurück ins Zarenreich zu bringen. Es beginnt eine lange Heimreise mit vielen Umwegen, auf denen sich die drei im gegenseitigen Wechselspiel immer näher kommen. Ree und Nietzsche sind nun mehr Konkurrenten denn Freunde. Ree ist für Lou von Salome der Zurückhaltende, Gefühlvollere, poetischere Gesprächspartner, während Nietzsche in der Tat für sie den Helden, den Starken, wörtlich: den Titan darstellt, der die Welt auf den Kopf stellt. So ist Nietzsche denn auch bestrebt, ebenso wie Ree übrigens, Lou von Salome doch für sich alleine zu gewinnen., und er ärgert sich in einem Brief an seine Schwester Elisabeth darüber, daß er nie mit Lou alleine sein kann, ohne daß Paul Ree ihr ,,beständig souffliert", und ihn, Nietzsche, so daran hindert, sich ihr ganz offen dar zu tun. Dann kommt es allerdings zu einem Spaziergang am Monte Sacro, gelegen an einem der kleinen Seen in Oberitalien, den Paul Ree nicht mitmacht, weil er zu müde ist. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, was bei diesem Spaziergang zwischen Lou und Nietzsche vorgefallen ist, aber man hat Berichte und Notizen von allen Beteiligten, die auf eine ungeheure und verzückte Erregung Nietzsches bei dessen Rückkehr schließen lassen. Er befand sich wohl im Zustand des Schwebens und machte auch in den folgenden Wochen den Eindruck vollkommener und strahlender Gesundheit. Auch die Lou war wohl danach ein anderes Wesen, und auf die Frage, ob sie Friedrich Nietzsche geküßt habe, hatte sie geantwortet: ,,Ob ich Nietzsche auf dem Monte Sacro geküßt habe? - ich weiß es nicht mehr ...". Nach diesem Ereignis entzweien sich Nietzsche und Paul Ree merklich. Lou von Salome fühlt sich später jedoch auch mehr zu ihm, Paul Ree, hingeneigt und verbringt auch viel Zeit auf seinem elterlichen Landsitz. Trotzdem macht Nietzsche ihr, obwohl er ihre Zuneigung für Paul Ree spürt, zweimal einen Heiratsantrag, den sie ganz offen mit dem Hinweis auf seine kargen finanziellen Verhältnisse ablehnt. Zudem wurde Nietzsche für sie zu einer Art Halbgott, zu dem man aufschauen mußte, aber mit dem man keinesfalls eine Liebesbeziehung einzugehen hatte. Den Bruch zwischen ihr und dem Philosophen führte aber erst seine Schwester Elisabeth herbei, die mit Argusaugen über ihren Bruder wachte und nie davor zurück scheute, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln in Friedrich Nietzsches Leben einzugreifen. Mit allerhand Intrigen schaffte sie es bald, daß die Mutter ihn des Hauses auf immer verwies und Nietzsche selbst später über Lou von Salome als eine ,,Perverse" schimpfte, und schrieb, sie sei ein Mädchen auf der Suche nach ihrem Opfer, in die sie ihre Bereitschaft zum Leiden, zur Selbstpeinigung investiert, um nach vollendetem Triumph den von ihr Berauschten zurück zu stoßen und aus der Ferne die Qual, in der er sich windet, ungerührt in ihre Betrachtungen einzubeziehen. Es lag für ihn darin der Umschlag einer Masochistin von früh auf ins Sadistische und dies, was das Schlimmste dabei war, ohne eine Spur von Erotik! In einem Brief an Paul Rees Bruder Georg sah er in Lou von Salome nur noch das ,,dürre schmutzige übelriechende Äffchen, mit falschen Brüsten!" Diese Erfahrung Nietzsches mag in einigen seiner späteren Betrachtungen über die Frauen zu der einen oder anderen mißverständlichen Bemerkung über dieselben geführt haben, die aber lediglich seiner getroffenen Eitelkeit und Enttäuschung Ausdruck verliehen haben. So denn auch der Ausspruch ,,Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!", der nicht unmittelbar Nietzsches Aussage ist, sondern der in Nietzsches Werk Zarathustra einer alten Frau in den Mund gelegt wird, die so den Zarathustra zu belehren versucht. Nietzsche selbst war dem Grunde nach ein Anhänger und stiller Bewunderer der weiblichen Natur, der er nur manchmal ein recht merkwürdiges Antlitz verschaffte, was lediglich seinem eigenen Stil entsprach.

Sein Buch ,,Die fröhliche Wissenschaft" hatte er zum Zeitpunkt des Dramas mit Lou von Salome so gut wie abgeschlossen. Als zweites Hauptwerk neben seinem Zarathustra hat Nietzsche diese beiden Bücher auf dem Höhepunkt seines Lebens geschrieben. Und wieder entzieht er allem Althergebrachten den Boden. Der Ausdruck der ,,fröhlichen" Wissenschaft allein steht schon im Widerspruch zur damaligen Dogmatik, das Wissenschaft etwas durchaus Ernstes zu sein habe. Nietzsche wird zum selbsternannten ,,Prinz Vogelfrei" zum ,,Himmelsfeger", der ,,auf glatten Felswegen" pfeift, der den ,,Staub der Straßen" aufwirbelt, zum ,,Tänzer", der auf ,,tausend Rücken tanzt". Das war ein ganz neuer, unter Philosophen ungehöriger Ton der Fröhlichkeit. Schon gleich zu Beginn ein Überraschungsschlag für die Moralisten: ,,Alles, was der Mensch tut, steht von Anfang an im Dienste seiner einzigen Aufgabe, nämlich der Erhaltung der Art." Und weiter: ,, Der Haß, die Schadenfreude, die Raub- und Herrschsucht und alles was sonst böse genannt wird: es gehört zu der erstaunlichen Ökonomie der Arterhaltung, freilich zu einer kostspieligen, verschwenderischen und im Ganzen höchst törichten Ökonomie." Aber Nietzsche fügt auch an, daß wir es ihr verdanken, daß es die Menschheit überhaupt noch gibt. Was sich als schädlich oder als nicht nützlich erwies, wurde von der Evolution ausgeschieden, starb aus, so daß kein göttlicher Wille mehr dem zum Leben verhelfen könne, was sich als unbrauchbar gezeigt hat. Hier schon setzt er den blinden Trieb mit dem Willen gleich, mit Instinkt, Blindheit, Grundlosigkeit, als bloßer Wille zur Erhaltung der Art. Und gleichzeitig schlägt er hier wieder die Keule gegen die christliche Religion, wenn er behauptet, daß sie in diesem Sinne ein perfider Anschlag der Mißratenen auf die Gesunden ist, um so an der ,,Verschlechterung der europäischen Rasse" zu arbeiten, indem sie, die Religion, überflüssige Parteinahme bedeutet für die Mißratenen, Kranken, Entarteten, Gebrechlichen, notwendig Leidenden gegen die gelungenen Fälle. Sie erhält am Leben, was eigentlich zum Absterben verurteilt ist, was zugrunde gehen sollte, mit der Folge, daß der Typus Mensch sich auf einer niederen Stufe bewegt als biologisch an Möglichkeiten in ihm steckt. Das war natürlich Futter für das Nazi-Regime, das dabei wissentlich außer Acht ließ, daß Nietzsche damit die christliche Moral unterminieren wollte, die seiner Meinung nach zwar für sich in Anspruch nahm, den Menschen zu verbessern, ihn aber in Wirklichkeit nur zähmen wollte, - damit auch schwächen wollte, ihn so also krank machte und somit verdarb. Er degeneriert zum Sünder, wird zur Karikatur des Menschen, wird eine Mißgeburt, wird dadurch eben: Christ. Sein Ausleseprinzip hatte nichts mit Vernichtung, nichts mit Antisemitismus zu tun. Aber seine Umwertung der Werte ergibt sich nun aus der Aufhebung und Neueinteilung der Attribute ,,Gut" und ,,Böse", aus der Aufhebung der Moral, die der erste Schritt zur Überwindung des Selbst ist und in der die eigentliche Freiheit und der Übergang zum werdenden Übermenschen liegt. Diesen Übermenschen konstruiert Friedrich Nietzsche in seinem eigentlichen Hauptwerk, dem ,,Zarathustra - ein Buch für alle und für keinen". Dieses Buch wollte er nicht in Rom, wo er sich noch aufhielt, schreiben, weil es ein Buch der Einsamkeit, der Wüste und des Hochgebirges sein sollte. Deshalb ging Nietzsche 1883 in die Schweiz zurück, nach Sils Maria, wo er zwei Jahre lang, bis 1885, an seinem Zarathustra arbeitete. Zu dem Zeitpunkt konnte er als einigermaßen etablierter Schriftsteller von den Pensionen seiner vorangegangenen Werke dort leben wo er wollte, auch wenn es ihm immer noch viele Beschränkungen kostete. Insofern war allerdings die Aufgabe seiner Professorentätigkeit an der Baseler Universität 1879 ein Gewinn für ihn gewesen. Denn mittlerweile war er kein Sklave mehr, weil er, seiner eigenen Aussage nach, nunmehr über mindestens zweidrittel seiner Tageszeit selbst frei verfügte und sich nicht einem Arbeitgeber unterordnen mußte. ,,Zarathustra" ist unter den Werken Nietzsches eine Ausnahme. Es ist ein Gedicht, das nicht in Versen geschrieben ist. Es ist der Versuch Nietzsches, sich in einer Form auszudrücken, die ihm als Musiker mangels ausreichendem Talent versagt blieb: mit dem ihm ureigenen Mittel des treffenden Gebrauchs der Sprache, wie es ihm zu seiner Zeit in Deutschland keiner gleichtat. Damit verband Nietzsche seine sprachlich-psychologischen Fähigkeiten mit dem Wunsch nach Ausdruck in der Musik. Horst Althaus, ein exzellenter Nietzsche-Kenner, schrieb dazu in einem Artikel: ,,Noch ein anderer, ebenso starker Wille, in dem wiederum die alte homerische Formel des Wettkampfes zum Ausdruck gelangte, war an der Hervorbringung des ,,Zarathustra" mitbeteiligt: ,,Also sprach Zarathustra" ist die nachträgliche Herausforderung Wagners: das Buch ist Nietzsches ,,Ring der Nibelungen" mit ,,Übermensch" und ,,ewiger Wiederkunft des Gleichen", den beiden Hauptthemen von Wagners Tetralogie, im Namen der Beethovenschen Symphonie. Wenn sich das Werk heute in seiner Vierteiligkeit präsentiert, so zufällig das angesichts des ursprünglich auf größere Maße hin angelegten Konzepts sein mochte, so war damit die klassische Form der Symphonie eingehalten. ,,Zarathustra" als Symphonie und Attentat auf die bestehende Moral im Sinne eines neuen, erst noch zu schaffenden Menschen!" Und in der Tat tritt hier deutlich der hervor, der mit dem Hammer philosophiert, wie Nietzsche von sich selbst sagt. In der Tat benutzt er hier eine völlig neue, ungewöhnliche Sprache, mit der Ankündigung vom Übermenschen als neuem Typus ist dem Ideal demütigen Dienens von Nietzsche der Kampf angesagt worden, der von den Predigern des Christentums als von den Giftmischern und den Verächtern des Lebens redet. Die geltenden Gesetzestafeln müssen nun zerbrochen werden. Und Zarathustra ist der Zerbrecher! ,,Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen!" Juden- und Christentum sind für Nietzsche nur ein Irrweg. Nur die Darstellung der Bibel, die Arbeit mit Gleichnissen und Parabeln übernimmt er, um Zarathustra gesellschaftsfähig zu machen. Beispielhaft dafür mag der Paragraph ,,Vom Biß der Natter" sein: ,, ...".

Zarathustra ist der Verbreiter der Kunde, daß Gott tot ist. Diesen dann freigewordenen Platz nimmt der Übermensch ein, der den Sinn aller Evolution bildet, der noch werden muß, der noch geschaffen werden muß. Für Nietzsche steht der Übermensch im gleichen Verhältnis zum Menschen, wie der Mensch selbst zum Affen. Das sollen die Maßverhältnisse sein, in denen in der Zukunft gedacht wird. Das ist die Sprache des ,,Tänzers", daraus spricht der Dionysos. Der Mensch als etwas, das überwunden werden muß, der selber das ist, was er beim Affen belacht, bei seinem Anblick als Scham empfindet. Mit diesen weltumstoßenen Theorien verwundert es nicht, daß Friedrich Nietzsche für seinen Zarathustra zunächst keinen Verleger fand und es auf eigene Kosten drucken und an den Mann bringen mußte. Es folgten seine Werke ,,Jenseits von Gut und Böse" aus 1886 und die ,,Genealogie der Moral" aus 1887, die zum großen Teil auch Streitschriften waren und den totalen Bruch mit der Gesellschaftwelt herbeiführten. Wie besessen betreibt Nietzsche hier auch seinen Bruch mit den früheren Meistern und Begründern seines Denkens, mit Schopenhauer, mit Richard Wagner. 1888 schreibt er sein Pamphlet ,,Der Fall Wagner", das nichts anderes als eine Abrechnung mit ihm ist. Es folgt noch die ,,Götzendämmerung" und der Anfang des ,,Ecce homo", der nicht eigentlich ein Werk wurde, sondern vielmehr aus einer Sammlung von Gedanken besteht, die Nietzsche niederschrieb, kurz bevor er im Januar 1889 einen geistigen Zusammenbruch erlitt und in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Elf Jahre verbrachte er dann noch bis zu seinem Tod am 25.08.1900 in Weimar im Zustand der erheblichen geistigen Verwirrtheit, die auf eine Gehirninfektion oder auf eine sich möglicherweise Jahre zuvor in Köln eingefangene Krankheit zurückgeführt wurde, zu der aber sicherlich auch Nietzsches geistige Entwicklung das Ihre beigetragen haben mag. In dieser Zeit schrieb er nur noch kurze Abhandlungen wie ,,Der Wille zur Macht", ,,Der Antichrist" und ,,Ein Musikantenproblem", in dem er sich einmal mehr mit dem mittlerweile verstorbenen Richard Wagner Beschäftigte. Das Motiv für diese Abrechnung ist nach heutiger Ansicht nicht bewältigte Bewunderung für den Kompnisten. Nietzsche nennt Wagner hier verächtlich einen Verführer, der als decadent die Musik krank gemacht, der den Geschmack in der Musik verdorben habe. Er nennt ihn einen Schauspieler, und das war wahrhaftig eine Beleidigung, denn im ,,Willen zur Macht" schreibt er hierüber: ,,(Ein Schauspieler ist) derjenige, der sich Kompetenzen anmaßt, die er nicht hat, über Dinge spricht, von denen er eigentlich nichts versteht. Der Schauspieler spielt den Sachkundigen, den Fachmann. Er steht für alles Unechte und Unwahre. Wagner ist ein Schauspieler." Und dann, am 06. Januar des Jahres 1889 schreibt Nietzsche an einen Freund aus seiner Baseler Professorenzeit: ,, Dem Freunde Overbeck und seiner Frau. Obwohl ihr bisher einen geringen Glauben an meine Zahlungsfähigkeit bewiesen habt, hoffe ich doch noch zu beweisen, daß ich jemand bin, der seine Schulden bezahlt - zum Beispiel gegen euch ... Ich lasse eben alle Antisemiten erschießen ... Unterschrift: Dionysos." Damit zeichnete sich der geistige Untergang Nietzsches bereits deutlich ab. In den Folgejahren schreibt er viele Briefe an Freunde und seine Mutter, die er oft mit ,,Der Gekreuzigte" oder als ,,Der Immoralist", oder aber als ,,Ihr Nietzsche, das Untier" unterschrieb. Heute geht man von einer syphilischen Infektion aus, deren Herkommen sich nicht genau feststellen läßt und in deren Folge es wohl zu einer progressiven Paralyse gekommen ist. Erst der unbestreitbare Sensationswert seiner Krankheit verhalf ihm nach seinem Tode zu einer zu Lebzeiten nie erlangten Berühmtheit.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Nietzsche, Friedrich - Versuch eines Portraits
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
16
Katalognummer
V99190
ISBN (eBook)
9783638976398
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Nietzsche in einem Referat zu portraitieren, ist mehr als schwer, wenn nicht gar unmöglich, da er notorisch un- oder falsch verstanden bleibt. Wer aber ist der Mensch Nietzsche? Sieht man ihn, sieht man vielleicht auch ein Stück mehr von seiner Philosophie und warum sie seiner Meinung nach ene Philosophie des Hammers sein sollte. Sein Endziel, die Verschmelzung des Apollinischen mit dem Dionysischen ist ihm in seinen Büchern nie gelungen. Aber er selbst war eine solche Verschmelzung ...
Schlagworte
Nietzsche, Friedrich, Versuch, Portraits
Arbeit zitieren
Ralf Ohlendorf (Autor:in), 2000, Nietzsche, Friedrich - Versuch eines Portraits, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99190

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Titel: Nietzsche, Friedrich  - Versuch eines Portraits



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