Die aufklärirische Praxis im Drama


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

4 Seiten


Leseprobe


Christian Freier

Die aufklärirische Praxis im Drama

Im aufklärerischen Selbstverständnis nahm das Drama eine bevorzugte Stellung ein. Ihm wurde stärker als den anderen literarischen Gattungen eine erzieherische, gesellschaftsverändernde Kraft zugemessen. Das Theater wurde in nur wenigen Jahren zum wichtigsten Erziehungs- und Bildungsinstitut. Weder vorher noch nachher hat das Theater jemals wieder eine solche Hochschätzung und eine solche Blütezeit erfahren wie im 18. Jahrhundert. Gottsched bezog sich auf die Wanderbühnen, die so genannten Pöbeltheater. Daneben gab es noch das angesehene und privilegierte Hoftheater, das der Unterhaltung der aristokratischen Hofgesellschaft dienste und von fest engagierten französischen und italienischen Schauspieltruppen getragen wurde. Beide Theaterformen, - das sogenannte Pöbeltheater ebensowenig wie das feudale Hoftheater - waren mit dem aufklärerischen Literaturprogramm nicht zu vereinbaren. Maßstab für Gottscheds Reformbemühungen war das klassizistische französische Drama, das er mit eigenen ,,regelmäßigen" Schauspielen, d.h. Schauspielen, die den Regeln entsprachen (gebundene Rede, feste Aktzahl, Einhaltung der drei Einheiten von Ort, Zeit und Raum, Ständelklausel, etc.) umzusetzen suchte.

Gegen die starre Regeldogmatik Gottscheds und seiner einer Freunde regte sich daher schon bald Widerspruch. Lessing ging so weit, Gottsched alle Verdienste an der Schaffung eines deutschen Theaters abzusprechen und beklagte die vorgefundene Theatersituation in den sechziger Jahren mit den nicht ganz zutreffenden Worten: ,,wir haben kein Theater. Wir haben keine Schauspieler. Wir haben keine Zuhörer". Lessing vertrat ein konsequent antifeudales Literaturprogramm. Er hatte sich vorgenommen, ein Nationaltheater zu schaffen, d.h. ein Theater für die ganze Nation, nicht für eine privilegierte Minderheit. Dieses Theater sollte frei von hemmendem ausländischen Einfluß sein und die aktuellen Probleme der Nation selbst thematisieren. Nur ein bürgerliches Theater konnte nach Lessing diese Forderungen erfüllen. Wenn es auch nicht gelang, die Nationaltheater- Problematik organisatorisch zu verwirklichen, so konnte Lessing doch der Entwicklung des bürgerlichen Dramas durch sein eigenes Dramenschaffen Auftrieb geben. Mit Emilia Galotti, Minna von Barnhelm und Nathan der Weise sind ihm Theaterstücke gelungen, die richtungsweisend für das bürgerliche Drama im 18. Jahrhundert wurden. Trotz vieler Unterschiede lassen sich bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen all diesen Dramen feststellen. Diese liegen in erster Linie in der ,,Bürgerlichkeit" der Stücke. Bürgerlich waren diese Dramen nicht im heutigem Sprachgebrauch. Sie war damals noch ein Begriff zur Klassenbezeichnung. In der kontrastierenden Gegenüberstellung von bürgerlich - privat und höfisch - öffentlich lag nichtsdestoweniger ein starkes gesellschaftskritisches Element. Bürgerlich waren diese Dramen also deshalb, weil in Ihnen Tugenden wie Humanität, Toleranz, Sittlichkeit, Mitleidsfähigkeit, Gerechtigkeit und Gefühlsreichtum dargestellt wurden. So stammt Lessings Emilia Galotti aus dem niederen Adel, verkörpert aber durch ihre Moralität das bürgerliche Tugendideal, das sich durch den Immoralismus des Hofes nicht korrumpieren läßt. In Kabale und Liebe wird ein ähnliches Thema behandelt wie in Emilia Galotti. In den beiden Dramen von Lessing und in de von Schiller geht es um das Motiv der ,,verführten Unschuld", in allen drei Dramen stehen Frauen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum, alle drei Dramen enden mit dem Tod der Heldin.

Der Konflikt in der Emilia Galotti ist noch zugespitzter. Dort versucht der Prinz von Guastalla, ein typischer Vertreter schrankenloser Tyrannenwillk ü r und erotischer Libertinage, die tugendhafte Emilia in seine Gewalt zu bringen und schreckt dabei auch vor dem Mord an Emilias Br ä utigam nicht zur ü ck. Emilia ihrerseits ist nicht unempf ä nglich f ü r die erotischen Lockungen, die von dem Prinzen, ganz im Gegensatz zu dem ,,guten Appiani" ausgehen. ,,Verf ü hrung ist die wahre Gewalt! - Ich habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe f ü r nichts" mit diesen Worten , die den Zeitgenossen ü brigens h ö chst anst öß ig vorkamen, fordert Emilia vom Vater den Dolch, um sich zu t ö ten. . Doch ist es schlie ß lich der Vater, der ihre den Tod gibt, weil er nicht zulassen kann, da ß die Tochter zur Selbstm ö rderin wird. In dem Vater Odoardo und dem Prinzen von Guastalla treten feudaler F ü rst und Privatmann schroff und unvers ö hnlich gegeneinander. Odoardo verachtet das Hofleben und lebt in seiner selbstgew ä hlten Einsamkeit auf dem Lande in rousseauistischer Abgeschiedenheit, fernab von den Verlockungen des Hofes. In der Tugend der Tochter sieht er den Garanten der eigenen moralischen Ü berlegenheit ü ber den Feudalherren, der er verachtet.

Die Töchter sind ,,Eigentum", ,,Vermögen" und ,,Ware" des Vaters, die Tugend ist nicht nur ein ideelles, sondern auch ein materielles Gut. Die Tugend der Töchter ist die Macht der Väter. Als ,,Ware" wird die Tochter zum Objekt des Austauschs zwischen Männern und zum Objekt der Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum. Die Töchter sind Opfer in doppelten Sinne: Sie bringen sich nicht einmal um, wie dies die Männer tun, sie werden umgebracht. Und sie sterben lange vor ihrem Bühnentod am Ende der Dramen als Opfer einer fetischisierten Tugendvorstellung, als die sie im Namen der bürgerlichen Moral stilisiert werden. Als entsinnlichte, reine Wesen, kurz als Engel im wahren Sinne des Wortes, sind sie nicht lebensfähig, sondern dem Tod geweiht.

Die Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum wird also nicht als eine politische geführt, sondern sie wird privatisiert und moralisiert und als ein Konflikt zwischen bürgerlicher Willkür und der Bühne ausgespielt, wobei es immer zu einer Präzisierung der sozialen Konfliktlage kommt. Lenz machte eine Mischung aus Tragischem und Komischem. Er hat durch die neue Dramenform alles neu aufgehoben. Ach die idealtypische Zeichnung der Charaktere, wie sie noch im frühen bürgerlichen Theater üblich gewesen war, ist bei Lenz überwunden. Obwohl Lessing in seiner Trauerspieltheorie die richtungweisende Konzeption des ,,gemischten Helden" entwickelt hatte, waren die Helden bzw. Heldinnen seiner Stücke doch eher Vertreter eines abstrakten bürgerlichen Tugendideals denn realistisch gezeichnete Charaktere. Erst die Stürmer und Dränger schufen in ihren Dramen wirklich lebendige Charaktere. Sie waren Wunschgestalten der Autoren. Eine wichtige, nicht unproblematische Gemeinsamkeit der bürgerlichen Dramen in jener Zeit liegt in der Darstellung und Konzentrierung auf die bürgerliche Kleinfamilie, die als private Sphäre gegen die öffentliche Sphäre des Hofes gesetzt ist. Die Familie wurde zum Schutzraum gegen feudale Willkür erklärt, und sie wurde zugleich zur Enklave des Gefühls gegen das in Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend sich durchsetzende Prinzip der Rationalität stilisiert. In vielen Dramen ist die Familie entweder unvollständig, weil die Mutter schon früh gestorben ist oder aber das Verhältnis zwischen den Ehepartnern ist notorisch schlecht. Oder aber das Verhältnis zwischen Vätern und Kindern ist außerordentlich gespannt bzw. gestört. So verwickeln sich die Töchter in tödliche Konflikte, wenn sie die Liebe zum Vater mit der Liebe zum Geliebten zu verbinden suchen, und die Söhne geraten untereinander in tödliche Konkurrenz, wenn es um die Liebe und das Erbe der Väter geht. Es entsteht ein neues Männer- und Frauenbild. Tugendhaftigkeit, Treue, Hingabe und Emotionalität werden zu weiblichen Eigenschaften erklärt. Männer dagegen werden als stark, tapfer und handelnd geschildert. Eine Umkehrung der Rollen von Mann und Frau war nur der damaligen Komödie möglich. In den Tragödien bleiben die Frauen entweder im Hintergrund, wie z.B. Amalie in den R ä ubern oder Maria im G ö tz, oder sie sind, selbst wenn sie Titel- oder Hauptgestalten sind, wie Emilia oder Luise in Kabale und Liebe, auf die Rolle des Opfers festgelegt. Die Tragödien sind deutlich in der Überzahl. Emilia Galotti wird auf ihren eigenen Wunsch hin von ihrem Vater Odoardo umgebracht. Mord, Selbstmord und Selbstverstümmelung stehen am Ende der bürgerlichen Tragödien, der bürgerliche Held bzw. Heldin scheitern an den Verhältnissen und können ihre Identität nur in der Selbstvernichtung bewahren. Die objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse ließen eine positive Lösung des Konfliktes zwischen bürgerlichem Emanzipationswillen und feudaler Macht nicht einmal auf der Ebene des Dramas zu.

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Details

Titel
Die aufklärirische Praxis im Drama
Autor
Jahr
1999
Seiten
4
Katalognummer
V98918
ISBN (eBook)
9783638973687
Dateigröße
398 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine kleine Epochenübersicht
Schlagworte
Praxis, Drama
Arbeit zitieren
Christian Freier (Autor:in), 1999, Die aufklärirische Praxis im Drama, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98918

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