Stabile Teilkomplexe und Andrews-Curtis-Operationen


Diplomarbeit, 2000

62 Seiten


Leseprobe


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Kapitel 1

Einfacher Homotopietyp

In diesem Kapitel stellen wir die Grundbegriffe f¨ ur die Theorie des Einfachen Homotopietys von CW-Komplexen bereit. Dabei beschr¨ anken wir uns auf die f¨ ur den Zusammenhang dieser Arbeit wichtigen Begriffe und Fakten. Eine breitere ¨ Ubersicht verschafft man sich am besten in dem Klassiker von Cohen [5] oder dem Buch von Hog-Angeloni, Metzler und Sieradski [12], das f¨ ur so manchen Diplomanden und Staatsexamenskandidaten in der AG Algebra und Topologie in Frankfurt l¨ angst erst recht zum Klassiker geworden ist.

1.1 CW-Komplexe

Der Begriff des CW-Komplexes begegnet dem Studenten sp¨ atestens in der Vorlesung ¨ uber Algebraische Topologie, er findet sich in jedem Standardbuch, so auch insbesondere in den B¨ uchern von Munkres [21] und St¨ ocker-Zieschang [25]. Weil wir den Begriff im Rahmen dieser Arbeit aber auf den Fingerspitzen brauchen, bringen wir hier noch einmal eine Definition.

Definition 1.1.1. (CW-Komplex). Unter einem CW-Komplex verstehen wir einen Hausdorffraum X mit folgenden Eigenschaften: i∈I e ni 1. X ist in Zellen zerlegt, also X = i mit einer geeigneten Indexmenge

I. Dabei ist jedes e ni ein zum R ni hom¨ oomorpher Raum und heißt eine Zelle der Dimension n i . Mit X k bezeichnen wir die Vereinigung aller h¨ ochstens k-dimensionalen Zellen von X. Wir nennen X k das k-Ger¨ ust von X.

i gibt es eine stetige Abbildung φ i : D ni X mit den 2. F¨ ur jede Zelle e ni Eigenschaften

(a) φ i (∂D ni ) X ni−1

(b) φ i | (D n i \∂D n i ) ist ein Hom¨ oomorphismus.

φ i heißt charakteristische Abbildung f¨ ur die Zelle e ni

i nj i e 3. F¨ ur jede Zelle e ni i ist e ni j nur f¨ ur endlich viele j nicht leer.

4. X hat die schwache Topologie bez¨ uglich des Systems {e ni |i ∈ I}.

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Aus Gr¨ unden der Sprach¨ asthetik wollen wir die 0-Zellen eines CW-Komplexes fortan als Ecken, die 1-Zellen als Kanten und die 2-Zellen als Scheiben bezeichnen. Einen 1-dimensionalen CW-Komplex nennen wir einen Graphen.

Definition 1.1.4. Ist X ein CW-Komplex, und ist A ein Teilraum von X, so heißen A ein Teilkomplex von X und (X, A) ein CW-Paar, falls A bez¨ uglich der Zellzerlegung von X selbst ein CW-Komplex ist.

Man kann sich davon ¨ uberzeugen, dass ein Teilraum A von X diese Forderung

genau dann erf¨ ullt, wenn f¨ ur jede Zelle e n von X gilt: e n A = ∅ ⇒ e n A. Wir k¨ onnen ¨ aquivalent zu Definition 1.1.4 verlangen, dass A abgeschlossen ist und die Zellen von X stets entweder ganz enth¨ alt oder gar nicht schneidet. Mit diesen ¨ Uberlegungen leicht einzusehen, aber sehr bedeutsam ist dann die Bemerkung 1.1.5. Sei X ein CW-Komplex, und sei n N. Dann sind (X, X n )

Definition 1.1.6. Euler-Charakteristik eines CW-Komplexes. Sei K ein CW-Komplex, und f¨ ur jedes i N sei z(i, K) die Anzahl der i-Zellen von K. Dann

i=0 (−1) i z(i, K). Wir nennen χ CW (K) die zellul¨ are setzen wir χ CW (K) :=

Eulercharakteristik von K. Dabei ist χ CW (K) = zugelassen.

Es gilt der wichtige

Dabei bezeichnet χ die klassische Euler-Charakteristik, also die Wechselsumme der Bettizahlen des topologischen Raumes. Wir verzichten hier auf eine Wiedergabe des Beweises, der eine sch¨ one Anwendung des Isomorphismus zwischen zellul¨ arer und singul¨ arer Homologie und des universellen Koeffizienten-theorems der Homologietheorie ist. Man findet ihn in dem Buch von St¨ ocker und Zieschang [25], dort Satz 10.6.8. Aus Satz 1.1.7 folgt insbesondere, dass die zellul¨ are Eulercharakteristik eine Invariante des Homotopietyps und damit erst recht eine topologische Invariante ist.

1.2 Einfacher Homotopietyp

Vor der folgenden Definition erinnern wir uns daran, dass wir unter einem Standardballpaar (D n , D n−1 ) ein zu (I n , I n−1 ) hom¨ oomorphes Raumpaar verstehen (der kleine Ball liegt in dem großen so wie eine W¨ urfelseite im W¨ urfel). Dann k¨ onnen wir die Begriffe von Kollaps und Expansion einf¨ uhren, die f¨ ur die gesamte Theorie des Einfachen Homotopietys die Keimzelle darstellen. Dieses mathematische Konzept geht zur¨ uck auf J. H. C. Whitehead, der damit den erfolgreichen Versuch unternahm, einen kombinatorischen Zugang zur Homoto-pietheorie zu er¨ offnen.

Definition 1.2.1. Elementarkollaps. In einem CW-Paar (K, L) heißt L ein elementarer Kollabierretrakt von K, wenn folgende Anforderungen erf¨ ullt sind:

1. K = L e n−1 e n f¨ ur geeignete Zellen mit den in den Exponenten angegebenen Dimensionen.

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aber schon bei der Produktbildung Unendlichkeit eines der beteiligten Komplexe zu Schwierigkeiten f¨ uhren kann, entnimmt man dem Buch von Schubert [24]. Probleme macht unter anderem die schwache Topologie des Produkts bez¨ uglich der Abschl¨ usse der Zellenprodukte. Bei Schubert kann man aber auch nachlesen, dass der Satz auch f¨ ur unendliche Komplexe noch stimmt, wenn in einem der beiden Komplexe jeder Punkt einen endlichen Teilkomplex als Umgebung hat 2 .

Beispiel 1.2.11. Der Torus S 1 × S 1 ist ein CW-Komplex mit einer Ecke, zwei

Beispiel 1.2.12. Identifiziert man K mit K × {0}, so folgt f¨ ur das Einheitsin-

1.3Stabile Teilkomplexe

In unserem Zusammenhang wird besonders interessant sein zu beobachten, inwieweit sich Teilkomplexe unter bestimmten Deformationen festhalten lassen, und inwiefern dieses Festhalten auch bei Ver¨ anderungen dieser Deformationen m¨ oglich bleibt. F¨ ur diese Betrachtungen sind die folgenden Definitionen hilfreich:

Definition 1.3.1. Unter dem Rest R(D) einer Deformation D zwischen den CW-Komplexen K und L verstehen wir den maximalen bez¨ uglich D stabilen Teilkomplex von K.

Um zu sehen, dass diese Definition ¨ uberhaupt vern¨ unftig ist, beachte man, dass

man R(D) leicht ger¨ ustweise konstruieren kann: Man beginnt einfach mit den Punkten, die nicht kollabiert werden. Hat man das n-Ger¨ ust von R(D), so betrachtet man alle (n + 1)-Zellen von K, deren Rand ganz in R(D) n liegt. Von diesen (n + 1)-Zellen f¨ ugt man diejenigen an R(D) n an, die im Verlauf von D nicht kollabiert werden. Nat¨ urlich ist D stets eine Deformation relativ R(D), und R(D) ist ein CW-Teilkomplex von L. Einfache Beispiele, etwa 2.3.1, zeigen, dass R(D) nicht zusammenh¨ angend sein muss, selbst dann nicht, wenn K zusammenziehbar ist.

Umgekehrt kann man sich nat¨ urlich auch fragen, welche Teile eines Komplexes uberhaupt daf¨ ur n¨ otig sind, dass man eine gegebene Deformation durchf¨ uhren ¨

kann. Wir f¨ uhren dazu den Begriff der Reichweite einer Deformation ein.

Definition 1.3.2. Sei D eine Deformation zwischen den Komplexen K und L. Mit Z(D) bezeichnen wir die Menge aller Zellen, die verm¨ oge D kollabiert oder expandiert werden. Dann ist Z(D) = Z(D −1 ). Unter der Reichweite W (D, K)

der Deformation D in K verstehen wir die Menge aller derjenigen Zellen von K, die einen nichtleeren Schnitt mit dem Abschluß einer Zelle aus Z(D) haben. Entsprechend ist W (D −1 , L) = W (D, L) die Reichweite von D in L.

Im allgemeinen ist W (D, K) nicht etwa ein Teilkomplex von K!

Beispiel 1.3.3. Man expandiere an eine Kante eines beliebigen Komplexes eine 3-Zelle mit freier Scheibe so, dass nur in der Kante, nicht in ihren beiden Randpunkten angeklebt wird:

2 Genau dann ist dieser Komplex lokalkompakt oder, wie man in der CW-Sprache sagt, lokalendlich.

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W (D, K) besteht nur aus der Kante ohne ihren Rand, ist also kein Komplex.

Um diesen Sch¨ onheitsfehler zu umgehen, kann man statt W (D, K) den minimalen Teilkomples von K betrachten, der W (D, K) enth¨ alt, und diesen mit ˜ W (D, K) bezeichnen. Man ¨ uberlegt sich direkt:

Satz 1.3.4. Sei D eine Deformation der Komplexe K und L. Dann besteht der Schnitt von W (D, K) und R(D) aus denjenigen Zellen von K, die durch D nicht kollabiert werden, aber entweder den Abschluß einer oder mehrerer kollabierter Zellen oder den Abschluß einer oder mehrerer expandierter Zellen schneiden.

Hilfreich ist auch der

Satz 1.3.5. F¨ ur jede Deformation D : K S S w L ist | ˜ W (D, K)| kompakt.

Das folgt daraus, dass definitionsgem¨ aß die Zahl der Deformationszellen endlich ist und jeder von ihrer Abschl¨ usse h¨ ochstens endlich viele Zellen von K schneidet.

1.4 Festhalten von Zellen

Die beiden folgenden Lemmata werden f¨ ur unsere sp¨ ateren ¨ Uberlegungen von entscheidender Bedeutung sein:

Lemma 1.4.1. Blockadelemma: K und L seien CW-Komplexe, K 0 sei ein Teilkomplex von K und L, es sei D eine sh-m- ¨ image 14de97b5339172cc28787bd8a636cf19
relativ K 0 . Es gehe K aus K dadurch hervor, dass in jeder m-Zelle e m (sofern vorhanden) und in jeder (m 1)-Zelle e m−1 Ball D m+2 bzw. D

m+2 i j eingeklebt wird. Gegebenenfalls kann man φ i , φ j trivial, also mit nur einem Bildpunkt w¨ ahlen. 3 Die so entstandenen neuen (m + 2)-Zellen heißen Blockadezellen. Analog entstehe L. Dann sind auch an

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Deformationsschritte von D m¨ oglich und vermitteln so eine sh-m- ¨ K S S w

L.

Beweis. Wir vollziehen die Schritte der Deformation D einzeln an den modifizierten Komplexen nach und machen uns klar, dass sie m¨ oglich sind: Wir starten K. Ist der erste Schritt von D eine Expansion, so k¨ onnen wir ihn ohne weiteres auch an

K durchf¨ uhren (und zwar mit denselben expandierten Zellen und

3 Dann hat man Sp¨ aren eingeh¨ angt.

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Kapitel 2

Stabile Teilkomplexe und

Wright-Deformationen

Mit den Mitteln von Kapitel 1 einschließlich Blockadelemma k¨ onnen wir nun betrachten, wie bei einem sehr wichtigen Standardisiserungsprozess von De-formationen, dem ¨ Ubergang von einer Deformation zu der zu ihr geh¨ origen Wright-Deformation, stabile Teilkomplexe respektiert werden.

2.1 Enge und direkte Deformationen

Definition 2.1.1. Enge Deformation. Eine einfache Homotopiedeformation D von dem CW −Komplex K nach dem CW-Komplex L nennen wir eng von der Dimension n, wenn sie nur aus Expansionen von n-Zellen und freien (n 1)-Zellen und Kollapsen von n-Zellen durch freie (n 1)-Zellen besteht. K und L heißen dann eng einfach homotopie¨ aquivalent oder eng sh-n-¨ aquivalent.

Definition 2.1.2. Direkte und st¨ uckweise direkte Deformationen. Eine Deformation D von dem CW-Komplex K nach dem CW-Komplex L nennen wir st¨ uckweise direkt, wenn D mit einer Expansion beginnt und im Verlauf von D auf jede Expansion direkt ein Kollaps folgt, in dem die h¨ oherdimensionale der vorher expandierten Zellen wieder kollabiert wird. Eine Deformation heißt direkt, wenn sie st¨ uckweise direkt und eng ist.

Wie man sofort sieht, ist Definition 2.1.2 symmetrisch, das heißt, mit D ist stets auch D −1 , die Deformation in umgekehrter Richtung, st¨ uckweise direkt bzw. di-

rekt. Besonders wichtig werden sp¨ ater st¨ uckweise direkte 3-Deformationen von Pr¨ asentations-Standardkomplexen sein, die wir in Kapitel 4 n¨ aher betrachten werden. Im Zusammenhang mit diesen Deformationen braucht man auch den Satz 2.2.1. Er zeigt, dass der Unterschied zwischen engen und direkten Deformationen vergleichsweise gering ist.

2.2 Der verallgemeinerte Satz von Perrin Wright

Der folgende Satz geht auf die Arbeit [29] von Perrin Wright zur¨ uck. Dort beweist Wright das Ergebnis des Satzes f¨ ur die Dimenson n + 1 = 3. In [12]

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als (n + 1) angef¨ ugt werden. Diese lagen nach Konstruktion bereits in K 0 und werden somit von den Deformationszellen von D und damit auch unter ˜ D festgelassen. ˜ D ist eine direkte sh-(n + 1)-Deformation von K nach L relativ K 0 , und die Behauptung ist gezeigt.

Wir wissen also schon von jetzt, dass die absolute Aussage von Satz 2.2.1 ohne Ansehen ihres Beweises eine relative Formulierung nach sich zieht. Es gilt aber noch mehr. Wenn wir uns den Beweis von Satz 2.2.1 ansehen, werden wir feststellen, dass sogar die dort konstruierte enge Transformation f¨ ur den absoluten Fall selbst auch schon eine f¨ ur den relativen Fall ist.

2.3 Wright-Deformationen

Wir holen jetzt nach, was wir in Kapitel 2.2 zur¨ uckgestellt hatten, n¨ amlich den Beweis von Satz 2.2.1.

Wir numerieren die (n + 1)-Zellen von D in der Reihenfolge ihres Erscheinens in D mit e n+1 , e n+1 image 2e7e21837e095bac78cd8e91fb0afcad

1 freie Seite, durch die e n+1 eine direkte Deformation ˜

Satz charakteristischer Abbildungen φ j , außerdem w¨ ahlen wir f¨ ur jeden Kollaps in D eine passende starke Deformationsretraktion (siehe auch Satz 1.2.3).

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Nun expandieren wir ˜ direkt wieder durch e n 1 . Wir expandieren nun ˜ deren Weise als e n+1 2

charakteristischen Abbildung φ 2 in e n 1 liegt, bekommt nun als neues Bild das

Bild von φ 2 (x) unter der vorhin gew¨ ahlten Retraktion, die den Kollaps durch e n 1 vermittelt. In allen anderen Punkten wird die charakteristische Abbildung belassen, wie sie schon in D war, und man ¨ uberzeugt sich leicht davon, dass man

tats¨ achlich eine Expansion vorgenommen hat: Man hat den Abschluß von e n+1

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gegebenenfalls einfach entlang der Retraktion durch e n+1 e n+1 gewonnen. Nun kollabieren wir e n+1 ˜

2 2

dass das auch tats¨ achlich geht: Dass e n 2 nicht schon vorher kollabiert wurde, ist 1 = e n 2 klar. Alle Punkte von e n+1 wegen e n , die nach D in e n 2 liegen, tun es

2

auch jetzt. Abschl¨ usse von h¨ oherdimensionalen Zellen liegen nach den bisherigen Schritten von ˜ D nicht in e n 2 , weil sie es dann auch schon bei D h¨ atten tun

m¨ ussen. In Definition 1.2.1 kann also nur die letzte Ziffer verletzt sein. Auch das kann in D noch nicht geschehen sein. Es kann nur durch das R¨ ucksaugen beim

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Ubergang von D zu ˜ D ein Punkt aus ∂e n+1 ¨

2 gewandert sein. Dies bedeutet aber ∂e n+1 e n e n+1 uberhaupt m¨ oglich wird, und ∂e n+1 ¨

1

in e n 2 ankommt. Beides zusammen bedeutet aber, dass in D beide Kollapse sich gegenseitig blockieren. (Der eine kann nicht stattfinden, wenn nicht vorher der andere stattgefunden hat — die potentiellen freien Zellen werden n¨ amlich von den h¨ oherdimensionalen des jeweils anderen Schritts festgehalten.) Nehmen wir nun an, wir h¨ atten die ersten k 1 Zellen nach dieser Methode expandiert und wieder kollabiert, dann expandieren wir nun die Zelle e n+1 k

nach derselben Methode wie die vorherigen: Die charakteristische Abbildung e n+1 w¨ ahlen wir genauso wie die von e n+1 image 0dae5eb6ed3d0e1da926ced4967439cf

von ˜ k

φ k in eine Zelle e n j abgebildet werden. Jeder Punkt x von ∂D n+1 , dessen Bild

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Kapitel 3

Gruppentheoretische

Hilfsmittel

Wir brauchen f¨ ur die folgenden Kapitel einige Ergebnisse aus der Kombinatorischen Gruppentheorie, die ¨ uber die nackten Grundkenntnisse hinausgehen. Es

handelt sich dabei einerseits um einige kleine Hilfss¨ atze, andererseits um einige echte ” Klassiker“, die wir hier in der f¨ ur diese Arbeit passenden Form darstellen. Begriffe wie ” Freie Gruppe“, ” Freies Produkt“ und ” Pr¨ asentation“ werden dabei

als bekannt vorausgesetzt, sie finden sich nicht nur in den klassischen B¨ uchern uber kombinatorische Gruppentheorie (etwa [18] oder [4]), sondern auch auf sehr ¨

lesenswerte Weise bei Zieschang, Vogt und Coldewey [30].

3.1 Untergruppen freier Gruppen und ihre

Nielsenbasen

Dass jede Untergruppe einer abz¨ ahlbar erzeugten Freien Gruppe wiederum frei ist, sieht man, wenn man ein bisschen Algebraische Topologie investiert, mit einem sehr kurzen Argument: Eine abz¨ ahlbar erzeugte freie Gruppe ist Fundamentalgruppe eines Graphen, eine Untergruppe davon ist wiederum Fundamentalgruppe eines ¨ Uberlagerungsgraphen 1 und deshalb wieder frei. Allerdings ist dieser Beweis f¨ ur unsere Zwecke nicht allgemein und auch nicht konstruktiv genug. Wir wissen durch ihn zwar, dass f¨ ur jede Freie Gruppe F der von uns betrachteten Art eine Untergruppe G F stets eine Basis hat, aber wir wissen fast nichts ¨ uber die genaue Gestalt dieser freien Basis von G.

Zur Vorbereitung des Beweises von Satz 3.2.16 betrachten wir uns diese Situation deshalb genauer. Zun¨ achst definieren wir die L¨ ange λ(w) eines Elements w von F als die L¨ ange des reduzierten Wortes zu w in den Erzeugendensymbolen von F (die Summe der Exponentenbetr¨ age). Dann wohlordnen wir die Elemente von F durch eine Relation auf folgende Weise: Wir setzen eine Wohlordnung < auf der Menge der Erzeugenden von F und ihrer Inversen voraus, und zwar eine solche, in der jedes Erzeugendensymbol direkt seinem Inversen benachbart ist. Haben wir nur abz¨ ahlbar viele Erzeugendensymbole, brauchen wir daf¨ ur noch nicht einmal Auswahlaxiom oder Wohlordnungssatz. Die

1 Man beachte die entsprechende Bemerkung auf Seite 12

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vw = pbc reduzierte Darstellungen sind. Ist b = 1, so folgt mit der reduzierten Darstellung uvw = abc die Behauptung durch Abz¨ ahlen:

λ(uvw) = λ(abc) = λ(a) + λ(b) + λ(c) = λ(u) λ(v) + λ(c) + λ(b).

Ist allerdings b = 1, so wird eine kompliziertere ¨ Uberlegung n¨ otig: Zun¨ achst

haben wir (weil v nur jeweils h¨ ochstens die H¨ alfte der anderen Faktoren k¨ urzt) λ(p) = λ(q) λ(w)/2, und wegen v = 1 haben wir auch p = q, also lexikographisch p < q oder q < p. In dem Fall p < q gilt vw = pc qc = w. Wir hatten aber gerade oben bewiesen, dass dies zu einem Widerspruch f¨ uhrt. In dem Fall q < p folgt der analoge Widerspruch mit uv = aq −1 ap −1 = v.

Definition 3.1.1. Ein System von Elementen einer Untergruppe einer Freien Gruppe, das bez¨ uglich der Erzeugendensymbole der Freien Gruppe die Bedingungen 1 bis 3 von Seite 24 erf¨ ullt, nennt man Nielsen-System.

F¨ ur Nielsen-Systeme N = {w i , i I = Indexmenge} gilt mit dem λ von vorhin α j α j+1 αj+1 ) −1 = 1 stets: und W¨ ortern w αj aus N mit w αj (w

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Diese Identit¨ at folgt durch eine einfache Induktion. Die Verankerung wird mit den Nielsen-Bedingungen (2) und (3) von Seite 24 erledigt. Kommt zu dem Produkt mit k Faktoren ein zus¨ atzlicher Faktor w αk+1 mit einem Vorzeichen gem¨ aß Voraussetzung hinzu, so wird von diesem h¨ ochstens eine H¨ alfte gek¨ urzt, und die L¨ ange des Produkts verl¨ angert sich echt um mindestens eins. Damit haben wir nun sogar bewiesen, dass G in N G frei ist: W¨ are das n¨ amlich nicht der Fall, dann g¨ abe es in den w j N G eine echte Relation, also eine Darstellung der eins mit einem Produkt nach (1). Das kann aber nicht sein wegen λ(1) = 0. Also haben wir bewiesen:

Satz 3.1.2. Seien F eine Freie Gruppe und G F eine Untergruppe. Dann hat G ein Nielsensystem bez¨ uglich der Erzeugendensymbole von F als Basis,

Der hier vorgestellte Beweis ist eine bloße Collage aus geeigneten Abschnitten der Bcher von Lyndon und Schupp [16] und von Zieschang, Vogt und Coldewey [30]. Die Behauptung des Satzes wurde erst 1950 von J´ onsson und Federer in [8] unter Verwendung einer wesentlich komplizierteren Ordnung als der hier angegebenen bewiesen. Nielsen konnte Anfang des Jahrhunderts nur die Version f¨ ur endlich erzeugte Untergruppen zeigen.

3.2 Zentralreihe, Kommutatoren und

h¨ ohere Kommutatoren

Definition 3.2.1. Kommutator, Kommutatorgruppe. Sei G eine Gruppe. Dann nennt man [a, b] := aba −1 b −1 den Kommutator von a und b. Die von der Menge {[a, b]|a, b G} erzeugte Untergruppe von G nennen wir die Kommutatorgruppe von G und bezeichnen sie mit G (1) oder [G, G].

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Lemma 3.2.18. [a, b] liegt sowohl im normalen Abschluß von a als auch in dem von b.

Beweis. Man schreibt einfach die Formel aus: [a, b] = aba −1 b −1 . Die ersten

drei Faktoren sind ein Konjugat von b, die letzten drei Faktoren ein inverses

3.3 Freie Produkte

Satz 3.3.1. Normalformensatz f¨ ur freie Produkte ohne Amalgam. F¨ ur jedes Paar von Gruppen G und H gibt es Einbettungen i G : G G H und i H : H G H. Damit k¨ onnen G und H als Untergruppen des Produkts angesehen werden. Bei Identifikation der Elemente von G und H mit ihren Bildern im Produkt gilt dann: Ist in G H ein Wort g 1 h 1 g 2 h 2 · · · g l h k mit stets g i G und h i H die Gruppeneins, so schon mindestens einer der Faktoren in der Gruppe, aus der er stammt. Insbesondere repr¨ asentiert ein Wort W in den Erzeugenden

Der Beweis ist eines der klassischen Ergebnisse der kombinatorischen Gruppen-theorie. Das Standardargument stammt von B. L. van der Waerden [28] und arbeitet etwa folgendermaßen: Wenn man alle alterniernden Worte in den Elementen der beiden Gruppen 3 Normalformen nennt - alternierend ist ein Wort dann, wenn benachbarte Buchstaben aus verschiedenen Gruppen stammenkann man beweisen, dass es injektive Homomorphismen von G und H in die Symmetrische Gruppe ¨ uber den Normalformen gibt, und dass sich diese beiden Homomorphismen zu einem gemeinsamen auf dem Produkt fortsetzen lassen. Man findet diesen Beweis etwa in den B¨ uchern von Zieschang, Vogt und Coldewey [30], oder Cohen [4]. Der Beweis funktioniert auch dann noch, wenn man ihn in Produkten mit Amalgam f¨ uhrt. Normalformen sind dann nicht mehr einfach alternierende Worte, sondern solche, in denen alle Buchstaben außer dem ersten Nebenklassenrepr¨ asentanten bez¨ uglich der gemeinsamen Untergruppe der Faktoren (des Amalgams) sind und der erste aus dem Amalgam selbst stammt. Eine andere Beweismethode verl¨ auft geometrisch mit van-Kampen-Diagrammen. Sie stammt mutmaßlich von W. A. Bogley. In Frankfurt hat sie Jens Harlander im Rahmen seiner Vorlesung ¨ uber Kombinatorische Gruppentheorie im Som-

mersemester 2000 pr¨ asentiert, allerdings nicht f¨ ur freie Produkte, sondern f¨ ur HNN-Erweiterungen.

3.4 Der Freiheitssatz

Besonders wichtig f¨ ur unseren Zusammenhang ist der Freiheitssatz von Magnus. Er wird f¨ ur den Beweis von Satz 6.1.2 und f¨ ur den von 6.3.2 entscheidend ben¨ otigt:

Satz 3.4.1. Sei die Gruppe G durch P = a 1 , . . . , a k |R pr¨ asentiert, sei R bereits zyklisch gek¨ urzt, und a k komme in R echt vor. Dann ist die von den a i ,

3 Man beachte die Formulierung: In den Elementen, nicht etwa in den Erzeugenden.

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Kapitel 4

Einfacher Homotopietyp

und Algebra

In diesem Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse ¨ uber den Zusammenhang

zwischen dem einfachen Homotopietyp von 2-Komplexen und der Kombinatorischen Gruppentheorie bereitgestellt. Die Wiedergabe von Beweisen ist nicht immer m¨ oglich; diese finden sich aber stets in [12].

4.1 CW-Komplexe und Fundamentalgruppe

Eines der wichtigsten Fakten in der Homotopietheorie der CW-Komplexe besteht darin, dass sich die Fundamentalgruppe eines Komplexes aus ihm ablesen l¨ asst. Wie das funktioniert, wollen wir hier skizzieren, aber f¨ ur den rigorosen Beweis daf¨ ur, dass es auch tats¨ achlich so funktioniert, sind weitergehende ¨ Uberlegungen n¨ otig, auf die jeweils entsprechend verwiesen wird. Hier also das etwas ausgeschm¨ uckte Kochrezept:

4.1.1 Herauslesen der Fundamentalgruppe

Wir starten mit einem wegzusammenh¨ angenden endlichen CW-Komplex K. Wie man etwa in dem Buch von St¨ ocker und Zieschang [25] nachlesen kann, gilt:

π 1 (K) = π 1 (K 2 ).

Es gilt sogar allgemein π n (K) = π n (K n+1 ). Die entscheidende Hilfe zu dieser Einsicht ist die Technik des ” Freimachens durch Deformationen“, die man

in [25] sehr sch¨ on beschrieben bekommt. Es reicht also f¨ ur den Fall der Fundamentalgruppe v¨ ollig aus, CW-2-Komplexe zu betrachten. Mit der Technik des Freimachens sieht man zus¨ atzlich, dass, lax formuliert, die Erzeugenden von π n (K) sogar schon in K n zu finden sind. Mathematisch korrekt formuliert finden wir:

Der Homomorphismus i # : π n (K n ) π n (K n+1 ) = π n (K) ist surjektiv. (Dabei ist i die Inklusion.)

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Dasselbe Verfahren wenden wir auf jede einzelne Scheibe von K an. Am Ende dieses Verfahrens gelangen wir zu einer Pr¨ asentation, in der f¨ ur jede Kante von K\B K ein Erzeugendensymbol und f¨ ur jede Scheibe von K ein Relatorwort in diesen Erzeugendensymbolen vorhanden ist. Diese Pr¨ asentation beschreibt tats¨ achlich die Fundamentalgruppe von K. Um das zu sehen, muss man sich uberlegen: Jeder geschlossene Weg in K 1 , der nicht schon dort nullfolgendes ¨

homotop ist, kann es in K nur unter Zuhilfenahme der Scheiben werden. Eine Scheibe f¨ ur sich allein kann aber keinen Wege nullhomotop machen, der echt k¨ urzer als ihr Rand ist, sondern, genauer, nur diesen Randweg, sein Inverses und seine Konjugate. Also wird ein in K 1 nichtnullhomotoper geschlossener Weg in K nur dann nullhomotop, wenn er dort Produkt von Konjugaten der Randwege ist. ¨ Ubersetzt in die algebraische Sprache heißt das, dass die Homotopieklasse dieses Weges im normalen Abschluß der durch Randwege definierten Klassen liegt.

F¨ ur jeden 2-Komplex K 2 bezeichnen wir die nach diesem Verfahren ausgelesene Pr¨ asentation mit Φ(K 2 ). Allerdings h¨ angt Φ(K 2 ) durchaus nicht nur von K 2 , sondern zum Beispiel auch von dem gew¨ ahlten Baum ab. Das ist aber kein echtes Problem, wie sich gleich herausstellen wird.

4.1.2 Standardkomplexe

Das Prinzip des Herauslesens von Pr¨ asentationen aus Komplexen k¨ onnen wir umdrehen. Zu einer vorgegebenen endlichen Pr¨ asentation P bilden wir einen sogenannten Standardkomplex K P , der die Pr¨ asentation topologisch realisiert: K P hat eine Ecke, und jedem Erzeugenden aus P lassen wir eine Kante entsprechen. Jedes Relatorwort R von P bestimmt eine Scheibe, deren Rand einfach die den Buchstaben von R entsprechenden Kanten der Reihe nach abl¨ auft. Weil keine Wahl eines aufspannenden Baumes von K P eine echte Kante enthalten kann, ist auf einen Schlag klar, dass die aus K P abgelesene Pr¨ asentation bis auf Permutation von Erzeugenden sowie Permutation und Konjugation von Relatoren gerade wieder P ist.

Allerdings bestimmt nicht etwa die pr¨ asentierte Gruppe den Homotopietyp des Komplexes: Schon die einfache Hinzunahme einer Folgerelation ver¨ andert den Homotopietyp:

Bemerkung 4.1.1. Der Standardkomplex zu a, b|a, b ist zusammenziehbar, der

Diese Entsprechung erm¨ oglicht uns unter anderem, den Begriff der Eulercharakteristik nunmehr auf Pr¨ asentationen zu ¨ ubertragen.

Definition 4.1.2. Unter der Eulercharakteristik χ(P) einer endlichen Pr¨ asentation P verstehen wir die Eulercharakteristik des zu P geh¨ orenden Standardkomplexes K P .

Aus dem Konstruktionsprinzip f¨ ur den Standardkomplex und Satz 1.1.7 folgt sofort:

Schließlich erhalten wir den

Satz 4.1.4. Folgende Eigenschaften eines kompakten, zusammenh¨ angenden und einfach zusammenh¨ angenden CW-2-Komplexes sind ¨ aquivalent:

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Beweis. (Nur die Idee): Zun¨ achst expandiert man an den Kanten a i und a k eine Scheibe mit neuer freier Kante a i . F¨ ur jede Scheibe R j des Komplexes

ersetzt man mittels einer 3-Deformation nach Lemma 1.2.8 jeden Abschnitt von ∂R j in a i durch a image 1b0cd8a2a039f3a7aa5f2c76e7d5da5e
i a k . Nachdem man das mit allen Scheiben gemacht hat, ist a i eine freie Seite und wird nach Einstechen durch a

Definition 4.2.4. Die Operationen nach 4.2.1 und 1 zusammen nennen wir Q -Operationen, kommen auch noch solche nach 2 hinzu, sprechen wir von Q ∗∗ -Operationen.

Alle gerade eingef¨ uhrten Operationstypen definieren ¨ Aquivalenzen unter den

Pr¨ asentationen. Schon Bemerkung 4.1.1 zeigt, dass es immer Pr¨ asentationen einer Gruppe gibt, die nicht Q ∗∗ -¨ aquivalent sind. In seiner Habilitationsarbeit

[19] bewies Wolfgang Metzler den viel sch¨ arferen Satz, dass es sogar Paare von Q ∗∗ -, aber nicht Q-¨ aquivalenten Pr¨ asentationen gibt. (Metzlers Beispiel ist ein Pr¨ asentationenpaar von Z 2 × Z 5 .)

Wir wissen also nun, dass die Q ∗∗ -Transformationen in den Pr¨ asentationen

durch 3-Deformationen erreicht werden k¨ onnen. Dass auch die Umkehrung richtig ist, steckt in dem folgenden Satz, den wir hier nur nach [12] zitieren k¨ onnen. Zum Beweis braucht man mehrere Lemmata, unter anderem Satz 2.2.1.

Satz 4.2.5. Die Zuordnung K 2 Φ(K 2 ) induziert eine Bijektion zwischen den 3-Deformationsklassen von zusammenh¨ angenden endlichen 2-Komplexen und den Q ∗∗ -Klassen von endlichen Pr¨ asentationen.

Korollar 4.2.6. Sei K ein zusammenh¨ angender endlicher CW-2-Komplex, und Φ(K) sei eine aus K ausgelesene Pr¨ asentation der Fundamentalgruppe. Dann 3 gilt K

4.3 Stabile Relatorenteilmengen

Nachdem wir in Kapitel 1 bereits stabile Teilkomplexe betrachtet haben, liegt es nahe, nun auch stabile Teilkomplexe von Pr¨ asentations-Standardkomplexen zu betrachten und den geometrisch-topologischen Stabilit¨ atsbegriff auch in die Terminologie der Q ∗∗ -Transformationen zu ¨ uberf¨ uhren. Das ist aber nicht

ganz unproblematisch! In den Transformationen nach Satz 4.2.3 bleiben in der Pr¨ asentation Erzeugendensymbole erhalten, w¨ ahrend im Standardkomplex die entsprechenden Kanten kollabiert werden. Immerhin wird bei diesem Vorgang eine Scheibe des Standardkomplexes nur dann kollabiert, wenn auch das zu ihr geh¨ orende Relatorwort ge¨ andert wird. Bei Q-Transformationen werden im Standardkomplex erkennbar nur dann an einer Scheibe Ver¨ anderungen vorgenommen, wenn der zugeh¨ orige Relator in der Pr¨ asentation eine Ver¨ anderung erf¨ ahrt. Außerdem werden Kanten nur dann kollabiert, wenn auch Scheiben ge¨ andert werden. Wir haben also:

Satz 4.3.1. Ein Relator R wird durch eine Q ∗∗ -Operation genau dann ge¨ andert,

wenn in der entsprechenden 3-Deformation von Standardkomplexen die zu R

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Kapitel 5

Die großen offenen Fragen

Man kann sagen, dass in der Mitte der sechziger Jahre die Theorie des Einfachen Homotopietyps an einen Wendepunkt gelangte. In dieser Zeit wurden entscheidende Ergebnisse erzielt, aber vor allem auch einige Probleme formuliert, die bis heute einer L¨ osung harren. Auch die Themen dieser Diplomarbeit kommen direkt aus der Arbeit an diesen großen offenen Fragen.

5.1 Das Wall-Ergebnis

Es liegt nahe, danach zu fragen, ob man f¨ ur zwei Komplexe K und L aus dem Vorhandensein einer sh- ¨ Aquivalenz allgemein die Existenz einer dimensionsm¨ aßig beschr¨ ankten sh- ¨ Aquivalenz folgern kann, etwa so, dass die Dimensionsbeschr¨ ankung der Deformation nur von den Dimensionen der Komplexe abh¨ angt. In seiner Arbeit ” Formal deformations“ [27] beweist C. T. C. Wall dazu den fundamentalen

Satz 5.1.1. Seien K und L zwei endliche, zusammenh¨ angende CW-Komplexe mit dem gemeinsamen Teilkomplex K 0 , und sie seien sh-¨ aquivalent relativ K 0 . Es sei

m = max dim(K\K 0 ) + 1, dim(K\K 0 ) + 1, 4 .

Den Beweis k¨ onnen wir hier nicht ausf¨ uhren, auch nicht skizzieren. Wall bemerkt in seiner Arbeit, was an diesem Satz trotz all seiner Sch¨ onheit unbefriedigend ist: das Vorkommen der Zahl 4. Wall kann also insbesondere nicht beweisen, dass zwei sh-¨ aquivalente CW-2-Komplexe stets sh-3-¨ aquivalent sind.

5.2 Offene Fragen

5.2.1 Die Andrews-Curtis-Vermutung

und ihre Verallgemeinerungen

Fast zeitgleich mit Wall ver¨ offentlichten Andrews und Curtis ihre Arbeit ” Free

groups and handlebodies“ [2]. Darin untersuchen sie regul¨ are Umgebungen zwei-

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Die Tatsache, dass diese Pr¨ asentationen die triviale Gruppe beschreiben, ¨ ubernimmt man jeweils (in dieser Reihenfolge) aus den Quellen von Rapaport [22], Crowell und Fox [6] und Akbulut und Kirby [1]. Was man seit Jahrzehnten nicht hat, sind Q ∗∗ ¨ image 36164a8cdabf23bb16cec288b81076c2

Aquivalenzen zur trivialen Pr¨ asentation, die es ja geben m¨ usste, wenn Vermutung 5.2.2 tats¨ achlich stimmen sollte. Also: ” tung ist, dass die Vermutung falsch ist“. (So hat das jedenfalls Wolfgang Metzler anl¨ aßlich der Disputation von Klaus M¨ uller formuliert.) Offensichtlich w¨ aren alle Varianten der Andrews-Curtis-Vermutung bewiesen, wenn in dem Wall-Ergebnis 5.1.1 nicht die Zahl 4 auftauchen w¨ urde. Bei einem Beweisversuch von 5.2.4 kann man nach Wall aus der einfachen Homotopie¨ aquivalenz aber umgekehrt die 4- ¨ Aquivalenz folgern. Man m¨ usste ” nur“ noch beweisen, dass diese sich auch noch durch eine 3-Deformation ersetzen l¨ asst.

5.2.2 Die Zeeman-Vermutung

Es gibt CW-2-Komplexe, etwa ” Bings Haus“, oder auch die ” Narrenkappe“,

beide sch¨ on zu betrachten in [12], die zwar zusammenziehbar und endlich, aber nicht kollabierbar sind 1 . Mitte der sechziger Jahre bewies E. C. Zeeman in [31], dass das topologische Produkt der Narrenkappe mit dem Einheitsintervall kollabierbar ist. Das brachte Zeeman zu der

Vermutung 5.2.6. Ist K ein endlicher CW-2-Komplex, so gilt K ×I ∗.

Wer die Andrews-Curtis-Vermutung f¨ ur falsch h¨ alt, muß auch die Zeeman-Vermutung f¨ ur falsch halten. Man sieht n¨ amlich sofort, dass ein Beweis f¨ ur 5.2.6 auch einer f¨ ur 5.2.3 w¨ are: K K × I w¨ are mit Satz 1.2.10 eine sh-3- ¨ Aquivalenz zwischen K und ∗. Umgekehrt w¨ aren Andrews-Curtis-Gegenbeispiele also auch Zeeman-Gegenbeispiele. Mit etwas Sarkasmus k¨ onnte man deshalb sagen: Die Tatsache, dass man bis heute noch nicht einmal 5.2.6 widerlegt hat, zeigt, wie weit man davon entfernt ist, 5.2.3 zu widerlegen. Andererseits muss man m¨ oglicherweise gar nicht Andrews-Curtis widerlegen, um Zeeman zu widerlegen. Vielleicht gibt es sogar Zeeman-Gegenbeispiele, die 3-¨ aquivalent zu sind. Hierzu gibt es in Frankfurt die Doktorarbeit von A. Zimmermann [32].

5.3 Strategien und Zusammenh¨ ange

(AC ) versus (relAC )“ 5.3.1 ”

Offenbar impliziert die relative Version von (AC ) die absolute - man setze einfach K 0 = ∅. Aber wie ist es eigentlich mit der anderen Richtung? Bisher ist nicht bewiesen, dass (relAC ) echt st¨ arker als (AC ) ist. Man h¨ alt zwar beide

f¨ ur ” gleich falsch“, aber damit hat es sich auch. Um in dieser Frage weiterzukommen, erscheint es sofort als hilfreich, zu einer ” absoluten Formulierung“ von

(relAC ) zu kommen, und genau das gelingt mit dem Blockadelemma.

1 Die Kollabierbarkeit scheitert schlicht am Nichtvorhandensein freier Seiten.

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Aquivalenz von (AC ) und Woran scheitert aber nun genau ein Beweis der ¨

(relAC )? Die Richtigkeit von (AC ) w¨ urde zun¨ achst die Existenz einer 3-

Deformation der 2-Ger¨ uste sicherstellen. Das Problem w¨ are aber die Fortsetzung dieser Deformation auf die Komplexe. An dieser Stelle haben wir im obigen Beweis die Stabilit¨ at von K 0 benutzt. ¨ Ahnliches steht uns hier gerade

nicht zur Verf¨ ugung. Eine denkbare Strategie, die noch fehlende Implikation dennoch zu bekommen, w¨ are aber folgende: Lemma 1.2.9 garantiert uns, da wir die Kompaktheit der beiden Komplexe voraussetzen, dass die 3-Deformation der 2-Komplexe fortgesetzt werden kann als eine Deformation von K in einen gegebenenfalls von L verschiedenen Komplex L . Wenn man hier die Reichweiten

entsprechend anpassen kann, hat man vielleicht eine Chance, die Verschiedenheit von L und L ad absurdum zu f¨ uhren.

5.3.2 Algebraisierung von (relAC )

Im Abschnitt 4.3 wurde bereits deutlich, dass eine ¨ Ubertragung des Begriffes

stabiler Teilkomplexe auf Pr¨ asentationen durch ihre Standardkomplexe m¨ oglich ist. Man kann formulieren:

Vermutung 5.3.3. (rel alg AC ): Seien P und Q Pr¨ asentationen, deren Erzeugendensymbole zu einem gemeinsamen Alphabet A geh¨ oren. Die Menge S von W¨ ortern in A sei Teilmenge der Relatoren von P und Q. K S bezeichne den Abschluß der zu Relatoren aus S geh¨ orenden Scheiben von K P , und es sei K P S S w K Q relativ K S . Dann gilt: P ist Q ∗∗ -¨ aquivalent zu Q relativ S.

Mit 4.3.1 und 2.2.2 folgt sofort die

Bemerkung 5.3.4. (relAC ) =⇒ (rel alg AC ).

Gegenbeispiele gegen (rel alg AC ) w¨ urden insbesondere (relAC ) widerlegen.

Unter anderem diese Tatsache ist Anlaß f¨ ur den Beweis einer relativen Version des Satzes zum Kommutatorschieben - und damit sind wir thematisch auch schon mitten im n¨ achsten Kapitel.

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Kapitel 6

Stabile Teilkomplexe und

Kommutatoren

6.1 Absolutes Kommutatorschieben

Eine denkbare Strategie, mit der man ein Gegenbeispiel zu (AC) als solches erweisen k¨ onnte, h¨ atte wegen Satz 3.2.16 darin bestehen k¨ onnen, verschiedene Pr¨ asentationsklassen durch Projektion von Relatoren ihrer Vertreter in geeignete Kommutatorstufen zu unterscheiden. Die Hoffnung w¨ urde darin bestehen, entlang h¨ oherer Kommutatoren der Relatorengruppe Invarianten f¨ ur Q ∗∗ -

Pr¨ asentationsklassen zu schaffen. Cynthia Hog-Angeloni und Wolfgang Metzler haben 1990 in ihrer Arbeit ” Stabilization by free products giving rise to Andrews-Curtis equivalences“, [11] folgenden Satz bewiesen:

Satz 6.1.1. Sind die kompakten und zusammenh¨ angenden CW -2-Komplexe K und L einfach homotopie¨ aquivalent, so k¨ onnen sie durch geeignete Deformationen der Dimension 3 in Komplexe K und L deformiert werden, so dass die zugeh¨ origen abgelesenen Pr¨ asentationen P = P K und Q = P L die folgenden Eigenschaften haben:

P = a 1 , . . . , a g |R 1 , . . ., R h und Q = a 1 , . . ., a g |S 1 , . . ., S h sind endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ), und es gilt R j S −1 N (1) j

In ihrer Arbeit ” Andrews-Curtis-Operationen und H¨ ohere Kommutatoren der Relatorengruppe“ [10] haben Cynthia Hog-Angeloni und Wolfgang Metzler dann - ebenfalls 1990 - folgenden Satz bewiesen, der die Hoffnung auf eine irgendwo in h¨ oheren Kommutatoren lebende Invariante zunichte macht:

endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ) und mit jeweils R j S −1 N (1) . Dann l¨ aßt sich zu jedem n N durch eine Q-Operation j

an P erreichen, dass die transformierten Relatoren R j S −1 N (n) erf¨ ullen. j

Den Beweis erledigen wir gemeinsam mit dem von Satz 6.2.1, der eine relative Version und damit eine Versch¨ arfung von Satz 6.1.2 darstellt. Die Q- Transformationdes Satzes 6.1.2 kann n¨ amlich unter gewissen Zusatzvoraussetzungen besonders ” sch¨ on“ gew¨ ahlt werden:

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6.2 Relatives Kommutatorschieben

endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ) und mit jeweils R j S −1 N (1) . Sei n N, sei 2 h < l, und es gelte R i S −1 N (n) j i

f¨ ur alle i ∈ {h + 1, . . . , l}. Dann gibt es eine Q-Transformation an P relativ {R h+1 , . . . , R l }, so dass die damit transformierten Relatoren R j S −1 N (n) f¨ ur j

alle j ∈ {1, . . . , h} erf¨ ullen.

Korollar 6.2.2. Es seien

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endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ) und R j S −1 j

N (1) f¨ ur alle j. Dann l¨ aßt sich zu jedem n N durch eine Q-Operation an P relativ {R h+1 , . . . , R l } erreichen, dass die transformierten Relatoren R j S −1 j

N (n) f¨ ur alle j ∈ {1, . . . , h} erf¨ ullen.

Wenn gewisse Relatoren in P also bereits zu ihren ” Partnern“ in Q kongruent

modulo n-ter Kommutatoren sind, also so, wie man sie gerne h¨ atte, und man mindestens zwei Relatoren ver¨ andern darf, dann kann man eine Q−Transfor- mationw¨ ahlen, die die bereits kongruenten Relatoren festl¨ aßt. ” Festlassen eines

Relators“ heißt dabei nicht nur, dass dieser nach der Transformation dieselbe Gestalt wie vorher hat, sondern sogar, dass er w¨ ahrend der gesamten Transformation nicht ver¨ andert wurde.

Die Voraussetzung h 2 ist f¨ ur den gleich folgenden Beweis wesentlich. Inwieweit und gegebenenfalls mit welchen Mitteln sich dieser ” Sch¨ onheitsfehler“

beheben l¨ aßt, werden wir im Kapitel 6.3 diskutieren.

Nat¨ urlich w¨ are es denkbar und m¨ oglich, Satz 6.2.1 etwas suggestiver zu formulieren. Zu dem Vortrag des Satzes in der obigen Fassung auf dem Treffen der AG in Heidenrod stellte Sergeij Matveev die verst¨ andliche Frage: ” Warum so

viele Buchstaben?“ Die Antwort darauf ist: Es erscheint sinnvoll, den Satz 6.2.1 so zu formulieren, dass sein Beweis m¨ oglichst w¨ ortlich aus dem f¨ ur Satz 6.1.2 erreicht werden kann, und genau das wollen wir nun tun:

Beweis. Zun¨ achst haben wir uns um die Situation h = 1 im ersten Satz zu k¨ ummern: Ist h = 1, so erzeugen die Worte R 1 und S 1 in a 1 , . . . , a g denselben normalen Abschluß, und dann sind sie nach dem Korollar zum Freiheitssatz von Magnus (Korollar 3.4.2) konjugiert oder invers konjugiert zueinander. Insbesondere sind sie dann aber Q−¨ aquivalent.

Wir k¨ onnen f¨ ur Satz 6.1.2 also h 2 annehmen, im Fall von Satz 6.2.1 ist dies ohnehin Voraussetzung. (Satz 6.1.2 ist in diesem Fall der Spezialfall von Satz 6.2.1 mit der Besetzung der R h+1 , . . .R l mit dem leeren Wort.) Der gemeinsame Beweis besteht aus einer Induktion nach der Kommutatorstufe n. Dabei ist die Verankerung, n = 1, bereits unmittelbar in der Voraussetzung erledigt. Zum Beweis beider S¨ atze nehmen wir nun als Induktionshypothese an, die Behauptungen seien f¨ ur die Kommutatorstufe n 1 mit n 2 gezeigt. Der Induktionsschluß besteht nun aus sechs Schritten.

Ziel von Schritt A ist das beweistechnische Zur¨ uckspielen des relativen Falls auf den absoluten. Wir bezeichnen die bereits transformierten Relatoren in P so

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An dieser Stelle betrachten wir

W i (S i , S m ) := U (S i · U (S −1 image fe1f4f07a5129d3b47242a2007ec370a
m , S i ), S i

) W m (S i , S m ) := (U ) −1 (S i · U (S −1

Wie schon in (7) k¨ onnen wir S m in R i durch 1 ersetzen. Danach k¨ onnen wir mit derselben Methode S i in R m durch W −1 i (1, S m ) = (U ) −1 (1 · U (S −1 m , 1), 1) = 1 ersetzen. Damit haben wir

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Damit haben wir (21) und den Abschluß von Schritt F erreicht, die Beweise von

Das Korollar 6.2.2 folgt direkt aus dem Satz: Gilt R j = S j , so ist n¨ amlich trivialerweise R j S −1 j

6.3 Der Fall eines einzigen beweglichen Relators

Es seien nun zwei Pr¨ asentationen

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gegeben, und es gelte RS −1 N (1) , R j S −1 N n . Gibt es dann eine Q- j

Transformation an P relativ {R 1 , . . . , R l }, so dass f¨ ur den einzigen dann trans-formierten Relator R danach gilt RS −1 N (n) ? Diese Frage k¨ onnen wir auch

mit Satz 6.2.1 nicht positiv beantworten. Der Beweis von Satz 6.2.1 hat, wie schon entlang des Beweisgangs erl¨ autert, gerade deshalb funktioniert, weil mindestens an zwei Relatoren Ver¨ anderungen vorgenommen werden durften. Diese M¨ oglichkeit entf¨ allt nun. Und siehe da, das gew¨ unschte Ergebnis ist in diesem Fall auch nicht zu erzielen:

6.3.1 Ein Q-Gegenbeispiel f¨ ur den Fall h = 1

∈ {−1, 0, 1} und m Z, m 0 mod m 2 Satz 6.3.1. (Metzler 2000) Seien f¨ ur j / und

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die Pr¨ asentationen

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Letzteres hakt im Reidemeisterquotienten auch die Multiplikation mit Konjugaten von T ab: Weil T Kommutatorprodukt ist, ist T Reidemeister-¨ aquivalent zu seinen Konjugaten.

Betrachten wir nun die einzelnen Schritte und ihre Wirkung auf eine Normalform nach (1):

Inversion ¨ andert nur die Vorzeichen der ζ und macht aus dem a ±1 ein a 1 .

Die bei Inversion sonst ¨ ubliche Reihenfolgenvertauschung in den Erzeugenden

f¨ allt im Reidemeisterquotienten wegen der Vertauschbarkeit mit Kommutatoren weg. Inkongruenz eines ζ modulo m 2 bleibt stets erhalten, also bleibt uns eine Normalform in der gew¨ unschten Gestalt erhalten.

Konjugation mit t ist dasselbe wie die Konjugation jedes einzelnen Faktors mit t. Diese bewirkt in (1) eine Ver¨ anderung jedes Index k, i, r, s um 1. Die ζ springen einfach einen Index weiter; die Sortierung der ζ nach Gleichheit eines Index mit dem ersten t-Exponenten bleibt unber¨ uhrt. Die Gestalt der Normalform bleibt erhalten.

Konjugation mit a: Weil a in Reidemeister¨ aquivalenz mit allen Kommutatoren Vorbeiziehen“ eines a an dem Term t k a ±1 t −k vertauschbar ist, macht nur das ”

eine Ver¨ anderung an der Normalform aus. Dieses entspricht, wie wir im Existenzbeweis von Satz 3.2.13 gesehen haben, einer Multiplikation mit einer Potenz des Elementarkommutators [t k at −k , a]. In (1) werden also nur Exponenten

ver¨ andert, die zwischen den beiden Produktzeichen stehen. Insbesondere bleiben diejenigen rechts des zweiten Produktzeichens unge¨ andert. Multiplikation mit T ist im Reidemeisterquotienten Multiplikation mit dem Fak-tor [tat −1 , a] m 2 . Dieser ist Potenz eines Normalformenfaktors. Bis auf Kongruenz modulo m 2 bleiben also alle Exponenten in (1) erhalten - insbesondere bleibt Inkongruenz modulo m 2 erhalten.

Zusammengefasst heißt das: Welche Q-Transformation wir auch an R vornehmen, immer bleibt in der Reidemeister-Normalform ein Kommutatorfaktor mit echtem Exponenten stehen. Die Normalform tat −1 , in der es keinen solchen

6.3.2 Trennung der Erzeugenden

Zumindest in einer Situation kann man das Problem nur eines beweglichen Re-lators aber sogar auf dem Niveau der Q- ¨ Aquivalenz noch positiv entscheiden. Es gilt n¨ amlich der

Satz 6.3.2. Gegeben seien

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als zwei Pr¨ asentationen mit derselben Relatorengruppe N in den genannten Erzeugenden. Es gelte R = R(a i ), S = S(a i ) sowie stets R j = R j (b k ) und S j = S j (b k ). Dann ist bereits R Konjugat oder inverses Konjugat von S.

Wenn wir also in der Lage sind, die Argumente des einzigen ver¨ anderbaren Re-

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lators so von denen der festzuhaltenden zu trennen, dass die ¨ ubrigen Vorausset-

zungen nach wie vor erf¨ ullt bleiben, haben wir eine sehr einfache Q- ¨ der gew¨ unschten Art.

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6.4 Diskussion der Ergebnisse

Die Ergebnisse von Satz 6.2.1 und Satz 6.3.3 scheinen f¨ ur den relativen Fall auf den ersten Blick nicht so weitreichend zu sein wie das von Satz 6.1.2 f¨ ur den absoluten Fall: Wir w¨ urden uns n¨ amlich eine Situation w¨ unschen, in der wir nach getaner Transformation das modifizierte t auch wieder zur¨ uckk¨ urzen k¨ onnten. Dann h¨ atten wir Satz 6.2.1 auch f¨ ur nur einen einzigen beweglichen Relator n¨ amlich zwar immer noch nicht auf dem Q−Level, daf¨ ur aber immerhin auf dem Q ∗∗ −Level bewiesen. Genau das haben wir aber nicht geschafft. Es

bleibt also bei der

seien endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ) und mit jeweils R j S −1 N (1) . Sei n N, sei 1 h < l, und es gelte R i S −1 N (n) j i f¨ ur alle i ∈ {h + 1, . . ., l}. Dann gibt es eine Q ∗∗ −Transformation an P relativ {R h+1 , . . . , R l }, so dass die damit transformierten Relatoren R j S −1 N (n) f¨ ur j

alle j ∈ {1, . . . , h} erf¨ ullen.

F¨ ur den Q-Fall ist die Vermutung falsch, wie Satz 6.3.1 zeigt. Es gibt zumindest ein Argument, das die Vermutung nahelegt, auch f¨ ur den Q ∗∗ -Fall sei 6.4.1

falsch: Um den zus¨ atzlichen Relator k¨ urzen zu k¨ onnen, m¨ usste man ihn auf seine urspr¨ ungliche Form zur¨ uckbringen k¨ onnen. Die Umkehrung der gerade durchgef¨ uhrten Transformation oder ” Verwandte“ dieser Transformation schei-

den aus, weil sie auch die anderen Relatoren mutmaßlich ver¨ andern w¨ urden. Also m¨ usste ein Beweis von 6.4.1 ziemlich allgemein die ¨ Uberf¨ uhrbarkeit eines

RR −1 N (k) in R relativ der anderen Relatoren zeigen. Und das w¨ are

allerdings ziemlich nahe an einem Beweis von (AC). Wer glaubt, dass (AC) falsch ist, kann also nicht an 6.4.1 glauben. Man kann aber folgende ¨ Uberlegung machen: Satz 6.1.1 l¨ aßt sich nach aktueller Meinung seiner Autoren auch in entsprechender relativen Form beweisen. Durch eine triviale Verl¨ angerung beider Pr¨ asentationen P K und P L erhalten wir wieder die n¨ otigen zwei beweglichen Relatoren in P K . Die frohe Botschaft lautet nun: Auch hier lassen sich zu beliebig vorgegebenem n N durch Q- Transformationenan P K die Relatorkongruenzen in n-ten Kommutatoren herbeif¨ uhren. Sofern man nicht die Anzahl der Relatoren in die zu konstruierende Invariante echt einbauen will, gilt dann: Die ” Kommutatorstrategie“ scheitert

damit nicht nur f¨ ur einen Versuch der Widerlegung von (AC ), sondern wohl auch f¨ ur den der Widerlegung von (relAC ).

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Kapitel 7

Ein Ausblick

Wie fast immer im Leben, so ist es auch bei dieser Diplomarbeit: W¨ ahrend der intensiven Besch¨ aftigung mit den in dieser Diplomarbeit behandelten Fragen haben sich neue Fragen und Ideen ergeben. Diese befriedigend zu diskutieren oder zu beantworten, ist im Rahmen dieses Diploms leider nicht mehr m¨ oglich gewesen. Hier werden sie aber wenigstens skizziert:

7.1 Andrews-Curtis-Operationen und

Iterationen von Wortgruppen

Sei irgendein Wort W in Symbolen irgendeines Alphabets vorgelegt, und sei G eine Gruppe. Das Erzeugnis der Elemente w von G, die sich als Produkt der Form W schreiben lassen - das heißt, dass in w Elemente von G an die Stelle der Symbole von W treten - nennen wir dann die zu W geh¨ orige Wortgruppe in G und bezeichnen sie mit V W (G). In dem Buch von Magnus, Karass und Solitar k¨ onnen wir sehr sch¨ on nachlesen, dass in freien Gruppen die Wortgruppen gerade die Endomorphismen-invarianten Untergruppen sind. Man muß ¨ ubrigens bei

der Wahl von W etwas geschickt vorgehen, wenn man V W (G) = G ausschließen will. Beispielsweise gilt V W (G) = G schon dann, wenn auch nur ein Symbol in W die Koeffizientensumme 1 hat.

Die Wortgruppenbildung k¨ onnen wir in naheliegender Weise iterieren: Wir set- (1) (n) (n−1) zen einfach V W (G) = V W (G) und V W (G) = V W (V (G)). Per Definition

W

sind Kommutatorgruppen Wortgruppen, und die Iteration bei Kommutatoren ist gerade die von Wortgruppen.

Die Beweise von Satz 6.1.2 und Satz 6.2.1 arbeiten wesentlich mit dem Einsetzen von Kongruenzen in Worte. Also liegt die Vermutung nahe, dass sich das Kommutator-Veto zu einem Wortgruppen-Veto verallgemeinern l¨ asst.

Vermutung 7.1.1. Sei W ein Wort mit der Eigenschaft V W (F ) = F f¨ ur jede freie Gruppe F . Seien

endliche Pr¨ asentationen mit gleicher Relatorengruppe N F (a i ) und mit jeweils R j S −1 V W (N ). Dann l¨ aßt sich zu jedem n N durch eine Q-Operation j

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an P erreichen, dass die transformierten Relatoren R j S −1 (n) V W (N ) erf¨ ullen.

j

Das w¨ urde bedeuten: Wenn sich schon die ” einfache“ Wortgruppe zu einem

Wort W nicht zur Konstruktion einer Andrews-Curtis-Invarianten eignet, dann tut es auch keine iterierte Wortgruppe von W . Eine entsprechende relative Version dieser Vermutung kann man ebenfalls aufstellen.

7.2 Stabile Teilkomplexe und freie Produkte

Ist P Pr¨ asentation eines freien Produkts, so liegt in der Q ∗∗ - ¨ image c7e34f61031973309ff1212e8c35a82a

von P auch eine halbgesplittete Pr¨ asentation ˜ P.

Erzeugendensymbole nach Faktoren sortiert sind und alle Relatoren h¨ ochstens zwei Abschnitte mit Buchstaben aus demselben Faktor haben. Monika Eufinger hat in ihrer Diplomarbeit [7] bewiesen:

Satz 7.2.1. Wenn zwei halbgesplittete Pr¨ asentationen P und Q durch eine Q ∗∗ -

Transformation ineinander ¨ uberf¨ uhrbar sind, dann kann diese Transformation sogar so gew¨ ahlt werden, dass die Halbgesplittetheit nach jedem Elementarschritt erhalten bleibt.

Es steht zu vermuten, dass auch hiervon eine relative Version zu beweisen ist:

Vermutung 7.2.2. Wenn zwei halbgesplittete Pr¨ asentationen P und Q mit gemeinsamen Relatoren R 1 , . . . , R k durch eine Q ∗∗ -Transformation relativ der Relatorenteilmenge {R 1 , . . ., R k } ineinander ¨ uberf¨ uhrbar sind, dann kann sogar eine Transformation relativ {R 1 , . . ., R k } so gew¨ ahlt werden, dass die Halbgesplittetheit nach jedem Elementarschritt erhalten bleibt.

* *

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Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Stabile Teilkomplexe und Andrews-Curtis-Operationen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Autor
Jahr
2000
Seiten
62
Katalognummer
V98891
ISBN (eBook)
9783638973410
Dateigröße
847 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stabile, Teilkomplexe, Andrews-Curtis-Operationen
Arbeit zitieren
Alexander Kühn (Autor:in), 2000, Stabile Teilkomplexe und Andrews-Curtis-Operationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98891

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