Die Wirtschaftsvorstellungen der Außerparlamentarischen Opposition


Facharbeit (Schule), 1998

13 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Kurzes Vorwort zur Facharbeit
1.2 Kurze Einführung in die Entstehungsgeschichte der Außerparlamentarischen Opposition und ihrer Legitimation

2. Sozialistische Wirtschaftsvorstellungen
2.1 Traditionell - sozialistische Wirtschaftsvorstellungen
2.2 Wirtschaftsvorstellungen der APO
2.2.1 Abgrenzung zu den traditionell - sozialistischen Theorien
2.2.2 Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland in den Augen der APO 2.2.3 Kritik der APO am Kapital
2.2.4 Kritik der APO an der Verwaltung und dem Staat
2.3 Das Verhältnis der APO zu den Gewerkschaften

3. Kritik an den Wirtschaftsvorstellungen der APO
3.1 Kritik von außenstehenden Theoretikern am Beispiel des Textes „Die Scheinrevolution und ihre Kinder“ von Jürgen Habermas

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1.Einleitung

1.1 Kurzes Vorwort zur Facharbeit

Außerparlamentarische Opposition, Neue Linke, SDS, 68‘er Revolution. Das alles sind Schlagwörter, die, vor rund 30 Jahren geprägt, noch heute eine Bewegung charakterisieren, die das etablierte politische System in der Bundesrepublik Deutschland reformieren und modifizieren wollte. Das Hauptaugenmerk dieser Bewegung lag sicherlich auf der Kritik an der Gesellschaft und in der Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit, jedoch wurden ebenfalls die Elemente des vorherrschenden Wirtschaftssystems näher beleuchtet. Um eben diese Wirtschaftskritik der außerparlamentarischen Opposition soll es in dieser Facharbeit gehen.

1.2 Kurze Einführung in die Entstehungsgeschichte der außerparlamentarischen Opposition und ihrer Legitimation.

Im Herbst 1966 traten die FDP - Minister aus der damals regierenden Koalition aus, die aus CDU/CSU und FDP bestand. Hierdurch ergab sich mitten in der Legislaturperiode der Zwang, eine neue Regierung zu bilden, die schließlich aus den beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD bestehen sollte. Die Koalitionspartner vereinten zusammen 86,9% der im Jahre 1965 abgegebenen Stimmen und sahen sich einer verschwindend kleinen Opposition von 9,6% in Person der FDP gegenüber. Aufgrund dieser offensichtlich nicht besonders effektiven Opposition sah sich eine Gruppe innerhalb der Bundesrepublik dazu gezwungen, eine „außerparlamentarische Opposition“, kurz APO genannt, zu gründen. Sie verfolgte eine linksdemokratische, später eine marxistisch - kommunistische Politik, die sich auf die Theorien bekannter Sozialisten stützte. Die meisten Mitglieder kamen aus den Reihen der Studentenschaft, die aktivsten hauptsächlich aus dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, der bereits vor den Zeiten der APO als links-oppositionelle Gruppe innerhalb der Gesellschaft fungierte. Als Frontmänner der APO sind Dutschke, Rabehl, Lefèvre, Teufel, Abendroth, Brückner, Agnoli und Rolshausen zu nennen.

2.Sozialistische Wirtschaftsvorstellungen

2.1 Traditionell - sozialistische Wirtschaftsvorstellungen

Die sozialistischen Wirtschaftsvorstellungen stehen im Gegensatz zu der Marktwirtschaft, die die Wirtschaftsform der westlich - demokratischen Staaten darstellt und streben eine sogenannte Planwirtschaft an. In dieser Planwirtschaft diktiert, wie der Name schon sagt, der vom Staat ausgegebene Plan die Wirtschaft und das gesamte wirtschaftliche Handeln.

Die ursprüngliche Form dieser Planwirtschaft ist die sogenannte Zentralverwaltungswirtschaft, die hauptsächlich von den Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels erdacht wurde. Bei dieser Form, die im Laufe dieses Jahrhunderts auch verwirklicht wurde, liegen die drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital fest in staatlicher Hand. Hieraus folgt, daß das Recht auf Privateigentum im Bereich der wirtschaftlichen Produktion vollkommen außer Kraft gesetzt wurde. Der Staat ist also der alleinige Unternehmer. Im System der Zentralverwaltungswirtschaft hat jedermann das Recht auf Arbeit, aber auch die Pflicht zu arbeiten. Wettbewerb ist nur im sozialistischen Sinne erlaubt; dies bedeutet, daß Wettbewerb nur mit dem Ziel der Planerfüllung stattfinden durfte.

Die Vorteile, die sich für die in einem solchen System lebenden Personen ergeben, sind die Währungsstabilität im eigenen Land, die fehlende Arbeitslosigkeit und der vergleichsweise niedrige Preis lebenswichtiger Konsumgüter.

Allerdings führten die Fünf- bis Siebenjahrespläne , die äußerst starr waren, häufig zu Mißwirtschaft. Das Angebot entsprach fast nie der Nachfrage und an den Produkten mangelte es aufgrund des fehlenden Verantwortungsbewußtseins und des fehlenden Konkurrenzdrucks der Produzenten an Qualität. Außerdem ergaben sich aus dem nicht vorhandenen Recht auf Privateigentum erhebliche Freiheitseinschränkungen für den einzelnen Bürger.

2.2 Wirtschaftsvorstellungen der APO

2.2.1 Abgrenzung zu den traditionell - sozialistischen Theorien

Wie bereits erwähnt, stützt sich die Kritik der APO in fast allen Belangen auf sozialistisch - marxistische Theorien. Allerdings werden die in diesen Theorien implizierten Aussagen nicht als dogmatisch hingenommen. Vielmehr ist es ein Anliegen der APO, die teilweise veralteten Schriften als Denkansatz zu nehmen, der einer gewissen Modernisierung auf die damals herrschenden Verhältnisse bedurfte, denn „Es besteht kein Zweifel daran, daß die überkommenen Annahmen der marxistischen Theorie in vielen Punkten der Präzisierung, Weiterentwicklung und Revision bedürfen.[..] Klassentheorie und Imperialismustheorie sollten im Mittelpunkt dieser theoretischen Auseinandersetzung stehen.“1 „Wir sind gegen jede Dogmatisierung des Marxismus, denn er ist schöpferische Wissenschaft, die sich auf der Grundlage der kritischen Methode der Dialektik mit jeder neuer Wirklichkeit auseinandersetzen muß.“2 Dies ist von immenser Bedeutung, wenn man bedenkt, daß etwa der Begriff des Monopolkapitalismus, der von der linken Studentenbewegung maßgeblich geprägt wurde, zwar kommunistische Wurzeln hat, seine endgültige Bedeutung sich aber auf die reellen Probleme in der Gesellschaft des Deutschlands der Sechziger Jahre bezieht und somit nur mit starken Abstrichen mit traditionell kommunistischem Vokabular verglichen werden kann. Dieser Monopolkapitalismus ist als Synonym für den Spätkapitalismus zu sehen, wurde aber in dieser Form als politisches Kampfmittel verwendet. In diesem Begriff charakterisierte sich die monopolartige Stellung globaler Konzerne, die, in den Augen der APO, nicht an die Gesetze von Angebot und Nachfrage gebunden sind und so ganze Wirtschaftssektoren kontrollieren können.

2.2.2 Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland in den Augen der APO

Der SDS betrachtete das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland äußerst kritisch. Um diese Kritik aber in all ihren Facetten verstehen zu können, muß man sich zunächst das Bild der Gesellschaft, wie es von der APO vertreten wurde, vor Augen führen. Die bundesdeutsche Gesellschaft war und blieb für diese Gruppe eine Klassengesellschaft, die als „spätkapitalistisch“ bzw. „monopolkapitalistisch“ bezeichnet wurde. Besonders kritisiert wurden das Kapital, die Bürokratie und der Staat. Diesem Staat wurde vor allem vorgeworfen, im Interesse des Monopolkapitalismus zu handeln.

2.2.3 Kritik der APO am Kapital

In der Kritik am Kapital liegt das Hauptaugenmerk der wirtschaftlichen Untersuchungen. In den Vorwürfen von Seiten der APO diesem Kapital gegenüber finden sich oftmals traditionelle marxistische Ansätze wieder. So sieht Dutschke beispielsweise immer noch den Klassenkampf als ein real existierendes Phänomen an wenn er sagt: „Der Kampf zwischen Produzenten und Kapitalistenklasse bestimmt die ganze Formationsperiode der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.“1 Allerdings herrscht im Spätkapitalismus nicht mehr eine bestimmte Arbeit, „sondern die abstrakt- allgemeine Arbeit vor.“2 Durch diese Vergegenwärtigung des Klassenkampfes sollte Einstellungen contra geboten werden, „die Lohnarbeiter und Kapitalisten unter dem trügerischen Schein einer Produktionsgesellschaft verbinden“3 sollten. Diese „Einstellungen“ wurden innerhalb der Betriebe vor allem in Form der etablierten Betriebsräte verkörpert, die noch bis heute Bestand haben. In diesen Betriebsräten allerdings schienen die einzelnen Arbeiter zu Subjekten zu verkommen und wurden in den Augen der APO bloß als Werkzeuge benutzt, die sich selbst ein Gefühl der Mitbestimmung vermitteln sollten. Wichtiger noch als diese Klarstellung der Verhältnisse war aber der Stellenwert, den die APO den Arbeitern bzw. Produzenten zuschrieb. Man betrachtete es als immens wichtig, die Arbeit der Arbeitnehmer wieder in einem ausreichenden Maße zu würdigen, sie als „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen“1 anzusehen.

Diese Existenzbedingung des Menschen sah die APO durch das Kapital bedroht. Durch das vermehrte Einsetzen von Maschinen und Maschinerien in der Produktion befürchtete man, daß die persönliche Arbeit als unproduktiv und somit als nicht erstrebenswert angesehen werden könnte. Die Arbeit des Produzenten wird somit der vergegenständlichten Arbeit der Maschine untergeordnet und wird damit auch „bloße Abstraktion.“2

Als beherrschendes und kennzeichnendes Element des Systems sah man den Industrialismus an. Unter dem Gesichtspunkt dieses Industrialismus analysierte der SDS das gegebene System und kam zu dem Schluß, daß der Spätkapitalismus „immer noch als krisenhaftes Profitsystem“ bezeichnet werden müsse, „ in dem die Produktion von Gebrauchswerten nur sekundär ist; als Tauschsystem, das seine Mitglieder in einem Prozeß blinder Notwendigkeit und Anarchie mit Gebrauchswerten versorgt; als Klassensystem, insofern die Bedingungen der Arbeit die Individuen prägen“3.

2.2.4 Kritik der APO an der Verwaltung und dem Staat

Die APO sah neben dem allmählichen Übergang von der wirtschaftlichen Konkurrenz hin zu monopolartigen Gebilden ein weiteres Phänomen als charakterisierend für den Spätkapitalismus an: die stärkere Verschränkung von Wirtschaft und Staat. Die Rolle des Staates hatte sich im Laufe der Jahre im Vergleich zu früheren Epochen qualitativ verändert. Dies war auch ein wesentlicher Grund, der zur Modifikation klassischer Sozialismuspositionen führen mußte, die vor allem eine Neubewertung der Rolle des Staates zum Inhalt haben sollte.1 Im Verlauf dieser Neubewertung kritisierte die APO vor allem, daß der Staat „ nicht nur Ruhe und Ordnung ‚an sich‘“ verteidige, wie es Vertreter des Staates immer wieder betonten, „sondern die konkrete Ruhe und Ordnung eines konkreten Wirtschaftssystems mit seinem politischen und ideologischen Überbau.“2 Um diese Ruhe und Ordnung des Wirtschaftssystem zu garantieren, bediente man sich verschiedenster Mittel. Diese Mittel zählt Claus Rolshausen wie folgt auf: „Der Staat übernimmt unrentable Schlüsselvektoren, saniert Unternehmen durch Verstaatlichung der Verluste und Reprivatisierung der Gewinne, trägt Subventionen und Exportrisiken.“3 Die Tatsache, daß der Staat anscheinend zu diesem Handeln gezwungen ist, soll demnach zeigen und beweisen, daß der Spätkapitalismus unvollkommen ist und ohne diese Interventionen die ökonomischen Machtverhältnisse und somit auch das gesamte System auseinanderfallen würden. Aber auch diese Stabilisierungspolitik birgt ein Risiko, nämlich das Risiko der Verschwendung und der Kapitalvernichtung. Auch die einhellige Meinung, Subventionen und andere Mittel zur indirekten Wirtschaftslenkung führten ausschließlich zu einer Festigung des ökonomischen Systems, verneint die APO. Diese „produktiven Konsumausgaben“, wie sie hier genannt werden, stehen nämlich in Widerspruch zu der „Logik des kapitalistischen Systems“, da sie „eine Konkurrenz für die Privatwirtschaft“ schaffen.4

Dies mag auch die Ursache für eine weitere Eigenart des spätkapitalistischen Systems sein: die der ‚schleichenden Inflation‘. Die eben genannten staatlichen Subventionsmittel haben eine mittelbare Vermehrung der Kaufkraft zufolge. Dies bewirkt aber, daß die Stabilität von Preisen und Einkommen nicht mehr uneingeschränkt garantiert werden kann. Diese schleichende Inflation, die den „allmählichen Verfall des Geldwertes aufgrund steigender Preise“1 bezeichnet, ist denjenigen Staaten eigen, die das System des Spätkapitalismus verwirklicht haben.2 Die offensichtlichste Gefahr, die die Politik eines Staates in einem spätkapitalistischen System birgt, ist die Entpolitisierung der Massen. Der Staat versteht es nämlich, durch wirtschaftliche Maßnahmen, wie beispielsweise soziale Absicherung, sich die Unterstützung der unpolitischen Mehrheit zu sichern. Die APO versuchte durch die politische Präsenz und ‚Aufklärungsarbeit‘ dieser Entwicklung Einhalt zu gewähren, da sie so den für sie offensichtlichen Legitimationsmangel des Spätkapitalismus aufzudecken versuchten.3

2.3 Das Verhältnis der APO zu den Gewerkschaften

Das Verhältnis von APO und Gewerkschaften war einige Jahre geprägt von einer fruchtbaren Kooperation. Diese Zusammenarbeit existierte bereits vor den Sechziger Jahren, allerdings beschränkte sich diese hier eher auf pazifistische Kampagnen wie bspw. „Kampf dem Atomtod“. Die nun beginnende engere Kooperation verlief vor allem zwischen der IG Metall in Frankfurt und der sogenannten ‚Frankfurter Schule‘ des SDS, die ihren Sitz ebenfalls in Frankfurt hatte. Von der sich nun abzeichnenden Verflechtung von Intellektuellen in der APO einerseits und Arbeitern in den Gewerkschaften andererseits versprach sich die APO die Verwirklichung zweier zentraler Vorhaben:

Zum einen war es nun möglich, die Jugendlichen in den Jugendverbänden der

Gewerkschaften für ihre Anliegen zu gewinnen. Darüber hinaus erreichte die APO hierdurch eine effektivere Politisierung der Arbeiterjugendlichen. Diesen Vorgang unterstützten die Gewerkschaftsfunktionäre ebenfalls, da die Jugendlichen, die ihre aktivistischen Erfahrungen zunächst außerbetrieblich, also in den Massenprotestbewegungen des SDS etwa erwarben, später fähig sein würden, in ihren Betrieben maßgeblich und effektiv an der Gewerkschaftsarbeit teilnehmen zu können. Zum anderen gewann die APO auf diesem Wege einen wichtigen politischen Partner. Dieser Partner sollte die APO in ihrem Vorhaben unterstützen eine allmähliche Modifikation des Gesellschafts- und des Wirtschaftssystems zu erreichen. Die Vertreter der APO, die sich in sogenannten Bildungsteams versammelten, arbeiteten nun hauptsächlich in Bereichen der Jugendarbeit mit den Gewerkschaftsjugendausschüssen zusammen. Allerdings erfuhren beide Gruppen, d. h. sowohl die Gewerkschaften als auch die APO, von dem jeweiligen Partner auch Unterstützung in allgemeinen Fragen in der Öffentlichkeit.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Kooperation sicherlich im Verlauf der Notstandsgesetzdiskussionen. Innerhalb dieser Debatten um die Notstandsgesetze, die die Spielräume der Gewerkschaften in Krisenzeiten gefährdeten, „war ein Mißtrauen abgebaut worden, das traditionell die Kooperation zwischen Intelektuellen und Arbeitern erschwert hatte."1

Schon kurz nach dieser Demonstration von Solidarität im Kampf gegen die Notstandsgesetze schien sich allerdings auch der Bruch dieser Kooperation abzuzeichnen. Die studentischen Gruppen, welche bis dato die Grundlage der Kooperation gebildet hatten, konzentrierten sich nun in immer stärkerem Maße auf die Hochschulangelegenheiten. Sie distanzierten sich von den Arbeiterjugendlichen sowohl intellektuell als auch inhaltlich. So konnten nämlich zum einem das Vokabular und die Aktivitäten der Studenten plötzlich von den Jugendlichen nicht mehr nachvollzogen werden, zum anderen konnten auch die neuen inhaltlichen Forderungen, wie z.B. die nach sexueller Revolution, nicht mehr von Seiten der Arbeiterjugendlichen unterstützt werden.

3. Kritik an den Wirtschaftsvorstellungen der APO

3.1 Kritik von distanzierten Theoretikern am Beispiel des Textes „Die Scheinrevolution und ihre Kinder“ von Jürgen Habermas

Die Revolution der ‚68‘er‘, wie die Studentenbewegung der APO oftmals genannt wurde, wurde auch von linken Theoretikern Ende der sechziger Jahre immer öfter kritisch begutachtet. Sie versuchten, die Mängel des Protestes, der von den Studenten ausging, offenzulegen, um ihm so die Möglichkeit zu geben, effektiver zu arbeiten. Der am häufigsten kritisierte Punkt der Techniken der APO war die offensichtliche Hysterie, in der die Proteste abliefen. Diese Hysterie schien die Bewegung dazu zu bringen, die Durchsetzung ihrer eigenen Ziele zu vernachlässigen. So konnte beispielsweise die gewünschte ‚Politisierung der entpolitisierten Masse‘ kaum stattfinden, wenn man diese nur in unzulänglichem Maße selber ansprach. Die Revolution war nämlich eine Revolution der Jugendlichen, die „für Leute über dreißig kaum zugänglich“1 war. Die Studentenbewegung erschien hier äußerst naiv, da sie „wiederholte Forderungen des Jüngeren an die Älteren, an ihrer Praxis teilzunehmen“2 aussprach.

Viel wichtiger erschien es den distanzierten Intellektuellen aber, daß die APO sich auf schwache Grundlagen stützte. Sie verwies in ihren Parolen und Kampfschriften immer wieder auf Werke von antiquierten Gesellschaftskritiken, wie z.B. sehr häufig auf Schriften von Marx. Diese Interpretationen aber, die von den Aktivisten als Leitfäden verwand wurden, sind heute mehr denn je ungewiß oder sogar nachgewiesenermaßen falsch. Auf jeden Fall aber waren sie unbrauchbar, „um Handlungsmaximen daraus abzuleiten“3. Diese instabilen Grundlagen müssen laut Habermas mittelbar zu Mißverständnissen oder sogar Falschaussagen in den politischen Aussagen der APO führen.

Der letzte wichtige Angriffspunkt an den Aktionen der APO ist zugleich ein Vorwurf. Die Studentenbewegung schätzte ihre Situation falsch ein. Deshalb erschienen die aktivsten Teile der Studentenbewegung unfähig, die Grenzen der Aktionen und die Grenzen der Mittel, die für diese Aktionen gebraucht wurden, zu erkennen. Diese Unverhältnismäßigkeit der Mittel führte zunächst zu einer Verachtung in breiten Teilen der Bevölkerung. Darüber hinaus aber, und hier liegt auch der Vorwurf, verbaute die APO dadurch auch die Akzeptanz zukünftiger politischer Proteste. Diese „auf Demokratisierung drängenden gesellschaftlichen und politischen Kräfte“1 werden durch die Aktionen der APO nämlich auch in Zukunft auf Ablehnung in der Bevölkerung stoßen.

4. Resümee

Die Wirtschaftsvorstellungen der APO sind unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. Auf den ersten Blick scheinen sie gut durchdacht und relativ plausibel begründet zu sein. Allerdings fällt doch auf, wie stark sich gerade die Wirtschaftsvorstellungen an klassischen Schriften wie etwa an denen von Marx orientieren. Wird von Seiten der Bewegung auch noch so oft wiederholt, ihre Schriften seien bereits einer benötigten Modernisierung in Bezug auf die neuen gegebenen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unterzogen worden, fehlt es hier meiner Meinung nach noch immer an einer Individualisierung der Kritik auf das behandelte bundesdeutsche System der sozialen Marktwirtschaft. Dieses System nämlich, daß bereits zu Zeiten der APO quasi einmalig auf der Welt war, besitzt Eigenarten, die von der Kritik der Marxisten, und damit auch von der Kritik der Studenten, nur unzulänglich erfaßt wurden.

Darüber hinaus scheinen mir die kritischen Ansätze teilweise eher destruktiv zu sein. Im gleichen Maße, wie die Merkmale der ‚spätkapitalistischen‘ Gesellschaft kritisiert werden, fehlt es an Alternativen zu ihr. Konnte die APO in ihrer allgemeinen Gesellschaftskritik noch fixe Ziele anbieten, auf die sie hinarbeitete, schien es ihr in der Wirtschaftskritik an konkreten Zielvorstellungen zu fehlen. Man beschränkte sich darauf, das gegebene System als unbefriedigend darzustellen und versteckte sich in Wirtschaftsfragen hinter alt-kommunistischen Parolen.

5. Literaturverzeichnis

Abendroth, Wolfgang; Brückner, Peter; Cerutti, Furio u.a., Die Linke antwortet Jürgen Habermas, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 1968

Agnoli, Johannes; Brückner, Peter, Die Transformation der Demokratie, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 1968

Bergmann, Uwe; Dutschke, Rudi; Lefèvre, Wolfgang; Rabehl, Bernd, Rebellion der Studenten oder die neue Opposition, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1968

Dutschke, Gretchen, Wir hatten ein barbarisches, sch ö nes Leben. Rudi Dutschke. Eine Biographie von Gretchen Dutschke, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1996

Fichter, Tilman; Lönendonker, Siegward, Kleine Geschichten des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstaufl ö sung, Rotbuch Verlag, Berlin, 1977

Hofmann, Werner, Grundelemente der Wirtschaftsgesellschaft. Ein Leitfaden für Lehrende, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1969

Küsel, Gudrun [Hrsg.], APO und Gewerkschaften. Von der Kooperation zum Bruch, Verlag Olle & Wolter, Berlin, 1978

Marcuse, Herbert, Psychoanalyse und Politik, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 1968

Otto, Karl A., Vom Ostermarsch zur APO : Geschichte der au ß erparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960 - 1979 ,

Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1977

Wolff, Frank; Windaus, Eberhard [Hrsg.], Studentenbewegung neunzehnhundertsiebenundsechzig bis neunundsechzig, Verlag Roter Stern, Frankfurt am Main, 1977

[...]


1 Claus Offe:“ Kapitalismus - Analyse als Selbsteinschätzung“ in: Abendroth - Brückner u.a. „Die Linke antwortet Jürgen Habermas“

2 Rudi Dutschke: „Die Widersprüche des Spätkapitalismus, die antiautoritären Studenten und ihr Verhältnis zur dritten Welt“ in : Bergmann - Dutschke - Lefèvre - Rabehl „Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition“ S. 55

1 Rudi Dutschke: „Die Widersprüche des Spätkapitalismus “ a.a.O. S. 33 f

2 ebd.

3 Claus Rolshausen: „ Neue Probleme und alter Kapitalismus“ in: Abendroth - Brückner u.a. „Die Linke antwortet Jürgen Habermas“ S.150

2 ebd.

1 Peter Brückner: „Die Transformation des demokratischen Bewußtseins“ in Johannes Agnoli - Peter Brückner : „Die Transformation der Demokratie“ S.189

2 Claus Rolshausen: „ Neue Probleme und alter Kapitalismus“ in: Abendroth - Brückner u.a. „Die Linke antwortet Jürgen Habermas“ S. 144.

3 Das. S. 143 f.

1 cf. Bernd Rabehl „ Von der antiautoritären Bewegung zur sozialistischen Opposition“ in Bergmann - Dutschke... „Rebellion der Studenten...“ S.163

2 Ekkehart Krippendorf „ Zum Verhältnis zwischen Inhalt und Form von Demonstrationstechniken“ in: Abendroth - Brückner... „ Die Linke...“ S.168

3 Claus Rolshausen „Neue Probleme und ...“ a.a.O. S.147

4 ebd.

1 ebd.

2 cf. Claus Rolshausen „Neue Probleme...“ S. 146 ff.

3 cf. Jürgen Habermas „Die Scheinrevolution und ihre Kinder“ in Abendroth - Brückner... „Die Linke antwortet Jürgen Habermas“ S. 5ff.

1 Hinrich Oetjen: „Die Zusammenarbeit von Studenten und Gewerkschaften in der Jugendbildung und der Notstandsbewegung“ in: Gudrun Küsel [Hrsg.] :“APO und Gewerkschaften“ S.38

1 Jürgen Habermas „Die Scheinrevolution...“ a.a.O. S.8

3 Das. S.9

1 das. S.12

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Wirtschaftsvorstellungen der Außerparlamentarischen Opposition
Autor
Jahr
1998
Seiten
13
Katalognummer
V98768
ISBN (eBook)
9783638972192
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wirtschaftsvorstellungen, Außerparlamentarischen, Opposition
Arbeit zitieren
Christoph Mohr (Autor:in), 1998, Die Wirtschaftsvorstellungen der Außerparlamentarischen Opposition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98768

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