Art. 6 EMRK - Der Fall "Eckle" - EGMR 3/1981/42/67


Ausarbeitung, 2000

2 Seiten


Leseprobe


AG: „Europäischer Grundrechtsschutz: Der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte“ bei Prof. Dr. Petzold - deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer -

Zusammenfassung des „Eckle-Falles“ - 3/1981/42/67 -

- zur Frage der Verletzung des Art. 6 I EMRK bei überlanger Dauer eines Strafverfahrens, hier 17 Jahren, 3 Wochen bzw. 10 Jahren, 4 Monaten, 10 Tage
- Subsidiarität der Beschwerde zum Gerichtshof:

- Die Beschwerde zum Gerichtshof ist auf Grund des Erfordernisses einer bestehenden Verletzung der Konvention in Art. 25 a.F. (Art. 34 n.F.) EMRK subsidiär zu innerstaatlichen Entscheidungen, d.h. eine Beschwerde ist nur zulässig, wenn eine Verletzung nicht durch staatliche Maßnahmen ausgeglichen wor- den ist.
- Die Beschwer entfällt nur, wenn die staatlichen Justizbehörden eine Verletzung des Art. 6 I EMRK aus- drücklich feststellen und das Ausmaß der Berücksichtigung im Urteil ausdrücklich bestimmt. Eine zufäl- lige Beseitigung der Beschwer reicht indes nicht aus.

- Bestimmung der Dauer des Verfahrens:

- Der für die Bestimmung der Verfahrensdauer erhebliche Zeitraum beginnt bei Strafverfahren nicht erst mit der Anklageerhebung, sondern mit der erstmaligen Mitteilung durch die Justizbehörden an den Be- schwerdeführer (BF), daß gegen ihn ermittelt wird. Bei zunächst nicht beschuldigten Ehegatten beginnt der Zeitraum schon mit der Kenntnis von den Ermittlungen gegen zuerst beschuldigten Ehegatten.
- Das Verfahren endet im Falle des Strafverfahrens mit der endgültigen, rechtskräftigen Entscheidung. Da- bei sind auch Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen. Im Falle einer Verurteilung endet das Verfahren bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe erst mit deren Bildung.
- Überlänge der Verfahrensdauer:
- Ob ein Verfahren überlang ist, entscheidet sich daran, ob es im Einzelfall unter Berücksichtigung der tat- sächlichen und rechtlichen Komplexität des Falles und des Verhaltens des Beschwerdeführers und der Justizbehörden des Beschwerdegegners (BG) zu Verzögerungen gekommen ist.1
- Bei außergewöhnlich langer Verfahrensdauer obliegt es dem BG, darzulegen, daß ihn keine Verantwortung hierfür trifft.

- Im Falle eines Strafverfahrens ist der BF nicht verpflichtet, den Prozeß durch Mitwirkung aktiv zu för- dern.2 Die vollständige Ausnutzung aller vom Gesetz gegebenen Verteidigungsmaßnahmen stellt kein Verschulden einer langen Verfahrensdauer dar. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn der BF diese Maßnahmen gezielt zur Verzögerung einsetzt und durch unzulässiges Verhalten das Verfahren stört.

- Selbst wenn der BF die lange Verfahrensdauer z.T. mitverursacht hat, liegt eine Verletzung des Art. 6 I EMRK vor, wenn die Justizbehörden3 zumindest mitverantwortlich für Verzögerungen sind:

- Die Justizbehörden müssen alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um das Verfahren zu fördern und zu beschleunigen. Der BG kann sich dabei nicht auf Gesetzesdefizite berufen, in diesem Falle die späte Einführung des § 154 StPO, der für eine teilweise Einstellung herangezogen wurde. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn faktisch andere außergesetzliche Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung beste- hen.
- Eine qualitative und quantitative Überlastung der Gerichte ist nur dann eine ausreichende Entschuldi- gung, wenn dagegen alsbald durch die Justizverwaltung effektive Gegenmaßnahmen ergriffen werden.4
- Eine grundlos unterbliebene Förderung des Verfahrens stellt immer ein Verschulden der Justizbehör- den dar. Dies ist dann gegeben, wenn der Fall längere Zeit unbearbeitet bleibt.
- Im Falle einer Verletzung eines Konventionsgrundrechtes kann eine Entschädigung gem. Art. 50 a.F. (41 n.F.) EMRK nur nach Anhörung der Parteien hierzu gewährt werden.5

Weitere Entwicklung in Deutschland

- Lt. BVerfG bleibt das staatliche Urteil von der Entscheidung des EGMR unberührt und weiter gültig. Her- geleitet wird dies aus der Entschädigungsregelung und des Konzepts der ansonsten nur feststellenden Wirkung des Urteils, was eine Durchbrechung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Verpflichtung zur innerstaatlichen Beseitigung des völkerrechtswidrigen Zustandes bedeute. 6
- Das BVerfG leitet (unter Bezugnahme auf die Konvention) aus dem grundgesetzlich geltenden Rechts- staatsprinzip einen Strafmilderungsgrund der überlangen Verfahrensdauer her, der u.U. auch zur Einstellung des Verfahrens7 oder einem Verfahrenshindernis8 führen kann.
- BVerfG nimmt nunmehr auch direkt Bezug auf die Rechtsprechung des EGMR und die von dem Gerichtshof entwickelten Kriterien zur überlangen Verfahrensdauer.9
- In deutschen Strafurteilen ist auf Grund der Rechtsprechung des EGMR nach den allgemeinen Strafzumes- sungserwägungen die überlange Verfahrensdauer ausdrücklich festzustellen und auch die daraus resultierende Strafmilderung ausdrücklich zu bestimmen.10
- Zur teilweise dennoch problematischen Entscheidung der Angemessenheit der Verfahrensdauer im Strafver- fahren setzt BVerfG tlw. die Gesamtdauer des Verfahrens in Relation zur Verfolgungsverjährung.11 In der Literatur wird tlw. ein Vergleich zur angedrohten Höchststrafe angeregt.12
- Zur Auslegung des Art. 6 I EMRK - “civil rights”, “droit de charactère civil”, „zivilrechtliche Ansprüche“:

Neben strafrechtlichem Verfahren ist umstritten (gewesen), welche Streitigkeiten noch unter den Art. 6 I EMRK zu fassen sind. Die deutsche Übersetzung ist - insb. im Hinblick auf die englische Fassung des Textes - zu eng gefaßt.

„Zivilrechtliche Ansprüche“ sind demnach nicht nach dem nationalem Recht privatrechtlichen Ansprüche, sondern auch Ansprüche gegen den Staat in seiner Funktion als Hoheitsträger, unabhängig davon, ob diese vor ordentlichen oder Gerichten besonderer Gerichtszweige durchzusetzen sind.13

Mittlerweile sind u.U. auch die Verfahren vor dem BVerfG der Prüfung durch den EGMR unterworfen, nämlich dann, wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichts auf ein Verfahren vor den ordentlichen Ge- richten unmittelbare Auswirkungen hat.14

[...]


1 Mittlerweile erweitert um weitere Aspekte: Belastung des BF durch das Verfahren - EGMR NJW 1984, 2749 (2750) -, persönliche Umstände des BF, z.B. seine verbleibende Lebenserwartung - EGMR EuGRZ 1996, 192 (194) - A u.a. ./. Dänemark -, Bedeutung des Verfahrens für den BF - EGMR EuGRZ 1996, 514 ff - Süßmann ./. Deutschland -

2 Anders indes im Zivilprozeß: Soweit das Verfahren der Dispositionsmaxime unterliegt, obliegt es auch dem Beschwerdeführer, das Verfahren aktiv zu fördern. S.z.B.: EGMR EuGRZ 1996, 192 (194) - A u.a. ./. Dänemark -

3 Erweiterung in A u.a. ./. Dänemark (FN2): Bei Amtshaftung auch eine Verzögerung durch Beklagten (=staatliche Behörden) eine Verletzung des Art. 6 I EMRK möglich.

4 Interessant hierzu der Fall EGMR EuGRZ 1996, 514 (520) - Süßmann ./. Deutschland -, in dem der Gerichtshof zumindest andeutet, daß bei nur vorübergehenden Engpässen diese als Entschuldigung gelten können. (S. aber auch die Sondervoten!)

5 S. hierzu auch die Entscheidung A u.a. ./. Dänemark (FN1): Die Entschädigung umfaßt immateriellen Schadensersatz, tlw. Verfahrenskosten (insb. Für das Verfahren vor dem EGMR) und Verzugszinsen.

6 BVerfG EuGRZ 1985, 654 ff. - Fall Pakelli -

7 BVerfG EuGRZ 1984, 94 ff. - unter tlw. Bezugnahme auf Art. 6 I EMRK -

8 BVerfG StV 1993, 352 f. - unter tlw. Bezugnahme auf Art. 6 I EMRK -

9 BVerfG NJW 1995, 1277 f.

10 So auch BVerfG EuGRZ 1984, 94 f.

11 BVerfG StV 1993, 252 (253)

12 Scheffler, ”Die überlange Verfahrensdauer von Strafverfahren”, 1991, S. 271

13 EGMR EuGRZ 1988, 20 (26) - Deumeland ./. Deutschland - unter Bezugnahme auf EGMR EuGRZ 1978, 415 ff. - Fall König -

14 EGMR EuGRZ 1996, 514 (518) - Süßmann ./. Deutschland -

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Details

Titel
Art. 6 EMRK - Der Fall "Eckle" - EGMR 3/1981/42/67
Autor
Jahr
2000
Seiten
2
Katalognummer
V98611
ISBN (eBook)
9783638970624
Dateigröße
341 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei dem Handout handelt es sich um eine ZUsammenfassung des Eckle-Falles des EGMR von dem ausgehend das Problem der überlangen Verfahrensdauer (Art. 6 I EMRK) besprochen wurde.
Schlagworte
Grundrechte Europarecht EGMR EMRK
Arbeit zitieren
Jan Rudolph (Autor:in), 2000, Art. 6 EMRK - Der Fall "Eckle" - EGMR 3/1981/42/67, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98611

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