Pluralismus. Definition, Theorien und seine Struktur in der BRD


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

4 Seiten


Leseprobe


1. Grundlagen

1.1 Definition

Im Pluralismus konkurrieren eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen mit- und gegeneinander um gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Macht. Sie versuchen ihren Einflußin den politischen Prozeßeinzubringen und auf die staatliche Gewalt durchzusetzen. Handwörterbuch des politischen Systems

1.2 Entstehung

Herausbildung des Pluralismus, vor allem im 20. Jahrhundert, durch:

- Ablösung des einheitlichen, christlich geprägten Weltbildes durch eine Vielfalt von weltanschaulichen Positionen
- Auflösung der Ständegesellschaft und Entstehung vieler neuer Interessensgruppen, die versuchen auf die staatliche Gewalt einzuwirken
- zunehmend sozialstaatliche Tendenz, die zur Folge hat, daß der Staat mehr und mehr auch über gesellschaftliche Konflikte entscheidet

1.3 Voraussetzungen für funktionierenden Pluralismus:

- Möglichkeit der Organisation von Interessen durch Bildung von Parteien und Verbänden
- Möglichkeit für gesellschaftliche Gruppen und Organisationen Einfluß auf die Staatsgewalt zu nehmen
- gegenseitige Machtbegrenzung und Kontrolle zwischen den einzelnen Gruppen; einer Organisation soll immer eine gleich machtvolle gegenüberstehen
- allgemeine Akzeptanz des vom Staat vorgegebenen Ordnungskonzepts, daß die Regeln für die Konfliktaustragung vorgibt
- rechtlicher Schutz und Gleichbehandlung der Opposition

1.4 Kennzeichen

- kein einheitliches Weltbild, sondern Legitimität einer Vielzahl verschiedener Auffassungen
- Spannungsfeld zwischen Konflikt und Konsens è das Ideal ist nicht der einheitliche Volkswille, sondern die Konkurrenz um Einfluß
- das Gemeinwohl wird nicht als feste Größe begriffen, sondern kann durch unterschiedliche Gruppen unterschiedlich gefüllt werden è Pluralismus als Gegenentwurf zum Totalitarismus, der von einer homogenen Interessenlandschaft ausgeht

2. Verschiedene Pluralismustheorien

2.1 Pluralismus in den USA

- Demokratievorstellung der Gründungsväter auf größtmögliche Konkurrenz ausgerichtet
- Geordnete Entfaltung der Konflikte in einem Netz sich gegenseitig kontrollierender Organe è ständiger Wettstreit der sozialen Gruppen mit dem Ziel eines Kräftegleichgewichts

Kritik:

- Interessen von Randgruppen werden nur mangelhaft vertreten oder bleiben völlig außen vor
- Gleichgewicht liegt weit auf Seiten privilegierter Schichten
- System neigt zur Stagnation; Beibehaltung des status quo einfacher als Veränderung

2.2 Pluralismus in der BRD; Neopluralismus

Entstehung:

- Entstehungszeit: 50er und 60er Jahre; Wortführer: Ernst Fraenkel
- Fraenkel: Sozialist und Politikwissenschaftler; mußte 1938 Deutschland verlassen und lebte in den USA è Verknüpfung der amerikanischen Idee des Pluralismus mit seiner sozialistischen Überzeugung unter Berücksichtigung der Kritik am amerikanischen System

Theorie:

- Unterscheidung einer notwendigen und unstreitigen Basis(Konsens) und dem streitigem Bereich(Dissens)
- Konsensbasis: Grund- und Menschenrechte; rechtsstaatlich gesicherte Verfahrensregeln
- Dissens: bestehende Gegensätze sollen aufgedeckt werden und sich frei entfalten können; dadurch erfolgt die Bildung des Staatswillens
- aber: Minimum an Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Gruppen muß vorhanden sein, um einen Kompromiß zu erreichen

Fazit:

- je stabiler die Konsensbasis ist, desto offener kann die Konfliktaustragung stattfinden

- das Gemeinwohl ergibt sich erst durch den politischen Prozeß, vorausgesetzt, daß die rechtlichen Grundlagen von allen Seiten akzeptiert werden

2.3 Kritik an diesen Theorien

- schwache Interessen kaum vertretbar, weil schlecht zu organisieren (Kinder, geistig Behinderte)
- langfristige Interessen finden gegenüber kurzfristigen kaum Gehör (Umweltschutz - Arbeitsmarkt)
- neue Interessen gewinnen nur sehr schwer an Einfluß
- allgemeine Interessen, die jeder hat, lassen sich nur schwer vertreten (Verbraucherinteresse)

➔ nicht alle Interessen werden vertreten, weil:

- nicht alle Interessen organisierbar sind
- nicht alle organisierbaren Interessen konfliktfähig sind
- nicht alle konfliktfähigen Interessen gleich einflußreich und mächtig sind

2.4 Gruppen- und Klassenverständnis aus Sicht der ehemaligen DDR

- keine eigentlichen Interessensgruppen, sondern Unterscheidung in verschiedene Klassen
- Klassen: führende Arbeiterklasse, Genossenschaftsbauern, Genossenschaftshandwerker, sozialistische Intelligenz
- jede Klasse ist geprägt durch ein bestimmtes Gruppeninteresse, Einzelinteressen sind nicht existent
- alle Klassen kooperieren zur Schaffung des Sozialismus
- Ziel: Kommunismus mit Nivellierung aller Klassenunterschiede

3. pluralistische Struktur in der BRD

3.1 Aktivrechte in der Verfassung

- Pluralismus ist im Grundgesetz nicht wörtlich erwähnt, kann aber aus verschiedenen

Artikeln abgeleitet werden:

Möglichkeit der Organisation von Interessen:

- Art. 9 GG: Vereinigungsfreiheit
- Art. 21 GG: Bildung von Parteien

Ermöglichung der Meinungsbildung und Mitwirkung:

- Art. 5 GG: Recht der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
- Art. 8 GG: Versammlungsfreiheit
- Art. 17 GG: Petitionsrecht
- Art. 38 GG: Wahlrecht

3.2 offene und konkurrenzorientierte Willensbildung

Verbände:

- Vielzahl von Verbänden mit verschiedenen Ausrichtungen und Interessen
- in erster Linie nicht politischer Natur, sondern Regelung der Angelegenheiten der Mitglieder untereinander
- Vermittlung der Mitgliederinteressen gegenüber anderen Vereinigungen è Konkurrenz und Diskussion zwischen verschiedenen Vereinigungen
- Mittel zur Durchsetzung:
- Weg über die Massenmedien; Ausübung von Druck auf verschiedene Institutionen è pressure groups
- Unterstützung von Parteien durch Stellen von Fachleuten und finanzielle Unterstützung

Medien:

- wichtig: unabhängige, nicht vom Staat gelenkte und regelmäßig erscheinende politische Presse
- Medien, vor allem Presse, halten die ständige Diskussion in Gang è umfassende Information; Orientierung für die Bürger
- Organisation nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen führt zu geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz è Gewährleistung einer Vielzahl unterschiedlicher Standpunkte und Anschauungen
- Gefahr: zunehmend konzernartige Zusammenballung von verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften kann zur Verengung der Interessenslandschaft und zur Manipulation der Konsumenten führen

Parteien:

- Parteien haben Vorrangstellung bei der Willensbildung
- Aufgabe: Heranführung des Bürgers an die politische Gesellschaft; Bekämpfung politischer Unwissenheit
- in Deutschland konkurrieren eine Vielzahl von Parteien um politischen Einfluß (vor der Bundestagswahl 1994: über 70 registrierte Parteien)
- alle Parteien haben ihr eigenes Programm, das sie in die Gesetzgebung einzubringen versuchen

3.3 Mehrheitsprinzip

- freie politische Willensbildung beruht in erster Linie auf Einigung
- aber: Einigung enthält immer nur das Minimum, das von beiden Konfliktparteien akzeptiert wird; Gefahr zu keiner problemlösenden Sachentscheidung zu gelangen è Entscheidung der Mehrheit
- Begründung: zur Gewinnung der Mehrheit muß bereits eine Einigung und Zusammenfassung von verschiedenen Einzelinteressen zu einem gemeinsamen Konzept stattgefunden haben
- im modernen Staat: politische Führung soll dem Volk nicht aufgezwungen sein è Notwendigkeit ständiger und regelmäßiger Legitimation der Führung durch Wahlen

3.4 Minderheitenschutz

- Legitimation der Regierung durch die Mehrheit bedeutet aber nicht, daß für die Minderheiten kein Platz ist oder das diese schutzlos der Mehrheit ausgeliefert sind
- das Grundgesetz betrachtet Minderheiten nicht als einen Irrtum über das Richtige è Sicherung der Konfliktaustragung durch Sicherung der Position von Minderheiten

- Maßnahmen:
- rechtliche Gleichstellung; Möglichkeit für die Opposition selbst einmal an die Macht zu kommen
- besonderer Schutz solcher Minderheiten, die keine Aussicht darauf haben, jemals zur Mehrheit zu werden oder keine Mehrheit anstreben

Literaturverzeichnis:

Gahlmann: Die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland;

Bayrischer Schulbuchverlag; München 1980: S. 90/91

Andersen, Woyke: Handwörterbuch des politischen Systems der BRD; 3. Auflage

Handwerger, Kappl, Schneider:Der politische Prozeß

C.C. Buchners Verlag; Bamberg 1981: S.16/17

Sutor: Grundfragen politischer Ordnung

Blutenberg-Verlag; München 1985: S. 83-87

Blumöhr, Handwerger,

Hümmrich-Welt, Kappl, Wölfl: Staatsformen der Gegenwart

C.C. Buchners Verlag; Bamberg 1997: S. 113/114

Hartwich, Grasser, Horn,

Scheffler: Politik im 20. Jahrhundert

Georg Westermann Verlag; Braunschweig 1964: S. 201

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Details

Titel
Pluralismus. Definition, Theorien und seine Struktur in der BRD
Autor
Jahr
2000
Seiten
4
Katalognummer
V98588
ISBN (eBook)
9783638970396
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pluralismus
Arbeit zitieren
Alexander Legath (Autor:in), 2000, Pluralismus. Definition, Theorien und seine Struktur in der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98588

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