Gorbatschow und die Perestroika


Seminararbeit, 2000

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1. 1 Bereich A: Innenpolitik
1.1.1 Lang lebe der Sozialismus
1.1.2 Kurze Biographie Gorbatschows
1.1.3 Vorgeschichte der Perestroika
1.1.4 Erste Schritte
1.1.5 Bewußtseinswandel innerhalb der Bevölkerung

2.1 Bereich B: Außenpolitik
2.1.2 Die Idee einer neuen Außenpolitik
2.1.3 Freiheit der Wahl
2.1.4 Entlassung in die Freiheit; Gründe für den sowjetischen Wandel
2.1.5 Kleiner Exkurs zur Deutschlandfrage
2.1.6 Die Lage spitzt sich zu
2.1.7 Verhalten gegenüber dem Westen
2.1.8 Politik imWarschauer- Pakt

3.1.1 Krise und Zerfall der KPdSU
3.1.2 Nationalitätenproblem

4.1 Fazit

5.1 Literaturhinweise

Einleitung

Die folgende Arbeit soll einen Überblick der Geschehnisse in der Sowjetunion

zwischen 1985 bis 1991 geben. Hervorzuheben ist hierbei die neue Politik

Gorbatschows, dem Mann dieses Jahrhunderts,1 der den Stein ins Rollen brachte, der die gesamte Weltpolitik nachhaltig veränderte. Gleichzeitig wird hier dargelegt wie die innenpolitischen Ereignisse, nachhaltig die Außenpolitik und später auch die Politik der Verbündeten Staaten prägte.

Für mich persönlich stellte sich der Anspruch, die Ereignisse dieser Zeit im Welt und europäischen Kontext zu erfassen. Durch die mehr unbewußt erlebte Einigung Deutschlands und die Beendigung des kalten Krieges, der für meine Generation nicht richtig greifbar scheint, ist der Staat Sowjetunion schon Geschichte geworden. Trotzdem sind die Ereignisse der damaligen Zeit bisher kaum irgendwo nachzulesen.

1.1 Innenpolitik

„1.1.1 Lang lebe der Sozialismus„

Mit der russ. Revolution und dem Sieg der Arbeiterschaft über das zaristische System und der Bourgeoisie bricht für das Riesenreich Rußland eine neue Zeitrechnung an. Mit gigantischen Problemen konfrontiert, beginnt die totale Umstrukturierung der Gesellschaft. Dabei weichen die idealistischen Ziele sehr schnell dem Machthunger und der Angst vor „Klassenfeinden„.

Als Mann der ersten Stunde geht Josef Stalin hervor, der der SOWJETUNION mit rigorosen Methoden eine Revolution von oben aufzwingt, die in den Gulags, dem KGB und den stalinistischen Säuberungen gipfelt. Mit Terror und Gewalt werden in den 30er Jahren tausende Menschen umgebracht, nach Sibirien geschickt ect. (Die Forschung spricht von Zahlen zwischen 12 und 40 Millionen). Der große Vaterländische Krieg schweißt die SOWJETUNION zusammen, die nach seiner Beendigung mit territorialer Expansion beginnt. Schon bald soll der Sozialismus den westlichen Standard überholt haben, und die Weltrevolution für eine klassenlose Gesellschaft beginnen. Das Werrrüsten mit den USA beginnt, zulasten der eigenen Probleme, da die SOWJETUNION immer noch große wirtschaftliche Schwierigkeiten hat.

Als Stalin 1953 stirbt, macht er Platz für einen Reformer an der Spitze. Nikita Chrustschow, der die Sowjetunion aus den Trümmern des Stalinismus herausführen, die Massenarmut beseitigen und den Terror abschaffen will. Doch Chrustschow fürchtete „2 das Tauwetter könne eine Flut auslösen, die wir nicht mehr kontrollieren können, und in der wir untergehen würden.„ Zwar wuchs der Lebensstandard seit den 50er Jahren spürbar, aber die Führung nahm manche der versprochenen Lockerungen wieder zurück. Durch die Errungenschaften in der Raumfahrt und den atomaren „Erfolgen„, etabliert sich die SOWJETUNION außenpolitisch und vergrößert ihren Machteinfluß. Mit dem Machtwechsel Breschnew und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in der Tschecheslowakei und der Niederschlagung des Prager Frühling, formuliert die SOWJETUNION die These „von der begrenzten Souveränität sozialistischer Staaten3 „ (Breschnew-Doktrin) Die Regierungsjahre unter Breschnew kennzeichneten einen Status der „Ruhe und Ordnung„, der jedoch einen enormen Problemstau und Reformdruck zurück ließ. Die humanitären Bemühungen, der Appell die Menschenrechte zu wahren, und die politisch geschickten Schachzüge die sowjetische Verfassung zu wahren, wurden von Prominenten Sowjetunion - Bürgern wie etwa Andrej Sacharow getragen. Vom KGB bespitzelt manchmal sogar drangsaliert, in die Verbannung geschickt, ( Sacharow nach Gorki, Solschenizyn ins Ausland abgeschoben) blieben diese Ziele unerreicht4. Der Staat vermochte den Widerstand bis Anfang der 80er durch Einschüchterung und Gewalt zu zerschlagen. Nach Breshnews Tod 1982 (74jährig) zeigt ein Blick in die Führungselite, daß etwas geschehen muß. Fast alle im Politbüro sind weit über 70 Jahre alt. Nachfolger wird Jurij Andropow (66 Jahre) ehemaliger KGB Chef. An einen politischen Klimawechsel ist in den 2 Jahren seiner Amtszeit nicht zu denken. Noch kürzer im Amt bleibt der 71jährige Ustinowitsch Tschernenko, der im März 1985 stirbt. An die Spitze tritt nun auf den Vorschlag von Außenminister Gromyko der 54 jährige Ideologie-Sekretär Gorbatschow.

1.1.3 Kurze Biographie Gorbatschows

Geboren wird Michail Gorbatschow 1931 am 2.3 in Priwolnoje, einem kleinen Dorf in Südrussland. Seine Eltern stammten aus einfachen Verhältnissen und waren einfache Bauern. Nur mit großer Mühe konnte Gorbatschow eine höhere Schule besuchen. Nach seinem sehr erfolgreichen Abschluß wurde er Jurastudent an der Moskauer Universität. An der Universität wurde Gorbatschow bald in das Komsomol5 gewählt. Er lernte Raissa kennen und machte ein ausgezeichnetes Examen an der Universität. In Stawropol der Hauptstadt seines Geburtsbezirkes begann er seine Laufbahn als einfacher Sekretär. 15 Jahre später war er der 1. Parteisekretär von Stawropol, und studierte in einem Fernstudium Landwirtschaft. 1978 wurde er Sekretär im ZK der KPdSU und avancierte nach dem Tode von Andropow und Tschernenko zum Spitzenkandidat für das Amt des Generalsekretärs.6

1.1.4 Die Vorgeschichte der Perestroika

„Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen„, „Wir brauchen Glasnost„!!7 Als Michail Gorbatschow am 11.3 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wird, steht dieser vor einer schwierigen Aufgabe. Entgegen aller Versprechen hat die Sowjetunion nicht die wirtschaftliche Stabilität erreicht (Der elfte Fünfjahresplan bezeichnet ein historisches Tief),die noch in den 60er Jahren vorausgesagt wurde; die militärische Stärke und der damit verbundene außenpolitische Handlungsspielraum hat seit den 70er Jahren kontinuierlich abgenommen. Isoliert steht das Land auch wegen dem andauernden Krieg in Afghanistan, der nun auch innenpolitisch immer untragbarer wird.

Innerhalb der Gesellschaft zeichneten sich ebenfalls besorgniserregende Tendenzen ab. Viele Menschen waren nicht mehr bereit, die Herrschaftsstrukturen ohne Murren zu akzeptieren. Das Trauma der Stalinzeit, das ausgelöst durch Gewalt und Terror die Zweifel und den Widerstand der Bevölkerung lähmte, schien überwunden. Ein neues Selbstverständnis machte Schule, und gab den sozialistischen „Stiefkindern„ Aufwind ( Kirche, Nationalitätenbewußtsein, freie Meinungsäußerung). Im Selbstverlag, dem Samisdat erschienen Beiträge von Bürgerrechtsbewegungen, die der Zensur trotzten. Die Bildungsexplosion in den 50er Jahren, die das Analphabetentum beseitigt hatte, hinterließ nun eine breite Intelligenzschicht, „die aber von der Partei immer noch wie ein unmündiges Kind behandelte wurde.„

Zudem wuchs bei diesen Menschen der Anspruch und die Erwartungshaltung auf einen guten Job - der sinkende Anteil an gebrauchten Spezialisten hinterließ frustrierte Abiturienten und Hochschulabsolventen, die sich der Grundtendenz der Gesellschaft anpaßten und sich als perspektivenlos sahen.

Durch den wachsenden Medienfortschritt ließ sich nun auch nicht länger mehr das Bild vom gescheiterten Westen und dem daraus resultierendem Kapitalismus aufrecht erhalten.

Auch die Ideologie als tragende Säule des Sowjetsystems verlor an Boden. Nur noch wenige glaubten an die Ideale der „lichten kommunistischen Zukunft und vorallem daran, daß sich die Sowjetunion auf dem Wege dahin befände„8. Diese Zweifel machten auch vor den Führungskräften nicht halt. Beruflicher Aufstieg orientierte sich nur an und mit der Partei; auch hier bestimmte ein eher zynischer, halbherziger Sozialismus den Alltag, der keine positiven Impulse an die Bevölkerung lieferte.

Um den Sozialismus zu retten, blieb also nur ein kompletter Umbau, eine Perestroika. Zudem sollte die Sowjetunion „menschenfreundlicher„ werden und endlich mit den letzten Zügen des Stalinismus abschließen. Hier war mehr Transparenz gefragt, mehr Offenheit, ( Glasnost ) Gorbatschow und seine reformwilligen Mitstreiter brauchten ein Programm, das sowohl innen- wie auch außenpolitisch alte Strukturen verändern sollte, dem Sozialismus jedoch nicht die Wurzeln nehmen dürfte.

1.1.4.Erste Schritte

Primär sah Gorbatschow das Scheitern der Wirtschaft als zentrale Blockierung für die notwendigen Veränderungen. Das besondere seiner Politik war die Realität der Zahlen, der er sich stellen wollte. Noch 2 Jahre zuvor war es ihm verwehrt worden die wirklichen Zahlen und Bilanzen zu sehen. Man hatte sich angewöhnt die Realität auf ein verkraftbares Maß zu reduzieren. Wirtschaftliche Schwierigkeiten wurden schöngeredet und umgeschrieben. Der Presse teilte man völlig erfundene Tatsachen mit. Der riesige Verwaltungsapparat und die Bürokratie hatten sich verselbstständigt. Die Weisungen des Politbüros versickerten in den Behörden. So wußte man zwar nicht, wie schlimm es um die eigene Wirtschaft bestellt war, aber die Kluft zwischen der UdSSR und den modernen Industriestaaten war deutlich zu spüren. Konsequenz aus diesen Tatsachen war es von daher, den nächsten 5 Jahresplan anzukurbeln und das Tempo zu verschärfen.

Um dies zu erreichen, sprach Gorbatschow den Betrieben größere Selbständigkeit zu, welches aber genauso ein materielles Interesse der Arbeiter voraussetzte. Gleichzeitig bedeutete dies einen Eingriff in die staatliche Planung und Führung. Im Mittelpunkt dieser Intensivierung stand der wissenschaftlich technische Fortschritt und der Wandel zu einer „Technik der neusten Generation„9.

Raumfahrt und Rüstung waren die einzigen Bereiche in denen man sich mit dem Westen messen konnte. Aus diesen Bereichen sollten nun Wissenschaftler und finanzielle Unterstützungen verwendet werden, um die Poworot durchzusetzen.

Gorbatschow suchte anders als seine Vorgänger nach einem Gesamtkonzept, das sich zwar im Rahmen der sowjetischen Gesellschaft bewegte, aber diesen Rahmen immer mehr erweiterte. Um bei diesen Vorhaben nicht an der Engstirnigkeit der alteingesessenen Funktionären zu scheitern, brauchte Gorbatschow fähige reformbereite Mitarbeiter. So ernannte er im Sommer 1985 Nikolai Ryschkow zum Ministerpräsidenten, einen Mann der vorher stellvertretender Minister für Schwer- und Transportmaschienen gewesen war, und ein ausgeprägtes wirtschaftliches und technokratisches Interesse hatte, politisch bisher aber wenig Profil bewiesen hatte.

Die zweite große Kampagne war die Bekämpfung des Alkoholmißbrauches, der erschreckende Ausmaße angenommen hatte. Diese zog gleich mit den Bemühungen die Vetternwirtschaft, Korruption und die Veruntreuung auszumerzen. Mit der Anti-Alkoholkampagne hatte Gorbatschow seinen ersten Rückschlag. Zwar gelang es, die staatliche Herstellung und den Verkauf durch erhöhte Preise erheblich einzuschränken, gleichzeitig stieg die Anzahl an privaten Schwarzmarktbrennereien rapide an. Im Münchner Merkur findet man am 1.3.88 die Meldung, daß es im Jahr 1987 10.000 sowjetische Tote aufgrund von giftigem Alkoholersatz gegeben hat.10 Grundlegende Veränderungen fanden jedoch in der Parteispitze selber statt. Binnen kurzer Zeit wurde ein Großteil der Mitglieder des Parteikaders ausgetauscht und ersetzt. Das Bild des Sekretariats und des Zentralkomitees hatte sich somit grundlegend von dem „Erbe„ der Breshnew- Zeit gelöst. Dazu gehörte auch die Pensionierungswelle im April 1989 als 110 ZK- Altmitglieder einfach pensioniert wurden.

Diese Umwälzung veränderte nicht nur den Politapperat, sondern gab auch Impulse an die Bevölkerung. Zum ersten Mal wurde Kritik am Bestehenden von höchster Ebene geäußert, und fand so auch Zuspruch in der Presse, wo sich die Beschwerden über die langsame und schwerfällige Bürokratie häuften. Obwohl Gorbatschow sich hierzu wenig äußerte, war das doch genau jenes Glasnost, was die SOWJETUNION verändern sollte.

Bei seinem Amtsantritt hatte Gorbatschow keine klare Vorstellung davon, wie die SOWJETUNION nach einer „Perestroika„ aussehen sollte. Diese Ziellosigkeit, die ihm von seinen Gegnern immer wieder vorgeworfen wurde, entpuppte sich aber als die Chance, die z. Bsp. Chrustschow nicht genutzt hatte. Innenpolitisch konnte Gorbatschow Reformen und Veränderungen anordnen, und wenn sich diese nicht bewährten wieder zurücknehmen. Das erklärt auch die Zickzacklinie der politischen Ereignissen im den ersten Jahren nach seinem Amtsantritt.

Während Gorbatschow in den ersten beiden Jahren nach seinem Wahlsieg zunächst eher mit konservativen und altbekannten Schritten die Erneuerung anstrebte, radikalisierten sich seine Vorschläge ab 87 zunehmend. Glasnost war bald überall, und wurde von den Meisten auch mit großer Euphorie aufgenommen. Das Blatt wendete sich, die Reform (aber im nachhinein ja eher Revolution) ging nun von unten aus und die Politik reagierte.

Als radikaler Reformer galt Boris Jelzin, dessen Ansichten ihn bald im Kader Gorbatschow isolierten.

1.1.5.Der Bewußtseinswandel innerhalb der Bevölkerung

Da die Angst vor Repressalien, die schon in den 80er Jahren nicht alle Kritik verstummen lassen konnte, jetzt weitgehend wegfiel, entwickelte sich ein neues - Kritik und Beobachtungsbewußtsein. Zwar war Kritik an Lenin in den Jahren 86 und 87 noch tabu, aber nicht am gegenwärtige Zustand der Sowjetunion. So begann der Stern der Sowjetunion nach und nach zu sinken.

Mit der Bekanntgabe der authentischen Zahlen tat sich für viele ein Loch im Boden auf. Nur wenige hatten gewußt wie schlimm es um Rußland wirklich bestellt war. Ein paar Beispiele:

Nach dem Konsum von Waren und Dienstleistungen nimmt die Sowjetunion etwa Platz 50 bis 60 unter den Ländern der Welt ein.

- Die SOWJETUNION hat die größte

Anbaufläche der Welt und muß dennoch Getreide importieren.

- Unter der Produktivität nimmt die

SOWJETUNION etwa Platz 90 von 109 Ländern ein

- Ein SOWJETUNION-Bürger muß für

Fleisch etwa 10x länger arbeiten als ein US-Bürger11

Von der sowjetischen Sozialwissenschaftlerin Tatjana Saslawaskaja kommt die Meldung, daß etwa 1/3 aller Menschen unterhalb der Armutsgrenze liegt. Fast die Hälfte davon sind Rentner. Auch das vielgepriesene Gesundheitssystem erweist sich als Fassade, da viele Krankenhäuser unter unzureichenden Bedingungen arbeiten. Außerdem ist die Lebenserwartung niedriger, die Säuglingssterblichkeit höher und die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche fatal hoch.

Aus dem „fortschrittlichsten Land der Geschichte„, das den Anspruch auf einen Vorbildcharakter für andere Staaten und Völker erhoben hatte, wurde ein „moralisch verkommenes Land am Rande Europas, daß sich aus der Weltgeschichte ausgeklinkt hatte und in seinem ökonomischen und zivilisatorischen Entwicklungsstandard nicht einmal mit vielen Ländern der dritten Welt konkurrieren konnte.„12 Es ist von daher nicht verwunderlich, daß nur noch die wenigsten an die Zukunft des reinen Sozialismus glaubten. (Diesem Problem sah sich auch Gorbatschow gegenüber, der zwar die Wirtschaft reformieren, aber nicht den Schritt in die Marktwirtschaft gehen wollte.) Immer häufiger war von der Mafia die Rede, Drogenprobleme, Prostitution und Gewalt, eigentlich typisch „kapitalistische Symptome„ demontierten das Bild der Gegenwart.

Den Schuldigen zu suchen war nicht schwer, stellt er doch diejenigen dar, die jahrelang an den Hebeln der Macht gesessen hatten.

Damit begann auch eine starke Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Von der politischen Führung war die Ära Breshnew als „Zeit der Stagnation„ ausgerufen worden, und damit ließ man einen weiteren Schritt in Richtung Entstalinisierung und letztens auch den Bruch mit den sozialistischen Identifikationsmöglichkeiten zu. Autoren die über die Schrecken der Stalinzeit schrieben oder forschten und die bisher in der Sowjetunion nicht publizieren durften, veröffentlichten nun ihre Ergebnisse. Hatte Gorbatschow 1987 auf dem Parteitag der KPdSU noch die Kollektivierung der Landwirtschaft als herausragenden Sieg für eine neue Gesellschaftsordnung gelobt, so zeigten nun Forschungsberichte, daß allein 6 Millionen Menschen in der Ukraine im Zuge der Kollektivierung bei einer absichtlich herbeigeführten Hungerkatastrophe ums Leben kamen. Der Verlust der eigenen Geschichte ist für ein Volk immer demoralisierend. In der Sowjetunion kam die Tatsache erschwerend hinzu, daß jenes Geschichtsbewußtsein sonst immer eine zentrale Rolle gespielt hatte. Der Jahrestag der Oktoberrevolution, sonst ein Tag mit Prachtumzügen und Festtagsstimmung, (1989) wurde für viele nun die Geburtsstunde der Lüge, der sie solange gefolgt waren. Die Reform von oben, die Gorbatschow beabsichtigte, glitt ihm nun immer mehr aus den Händen.

2.1 Außenpolitik

2.1.2. Die Idee einer neuen Außenpolitik

Ziel der sowjetischen Regierung war es Anfang der 80er Jahre "möglichst viel Zeit, Mittel, Aufmerksamkeit und Phantasie auf die Lösung der enormen inneren Umstellungsprobleme zu verwenden. Dazu bedarf es eines relativ entspannten internationalen Klimas, das der UdSSR einen weitgehenden Rückzug von den überambitionierten Positionen und Engagements der 70er Jahre erlaubt.

In einer Grundsatzrede konkretisierte 1987 der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse Ziel und Weg der Außenpolitik, die in Verringerung der militärischen Konkurrenz, Beseitigung bestehender Konfrontationen zu anderen Staaten und Dämpfung von Konflikt- und Krisensituationen bestehen sollten.

Dahinter stand erstmals die Feststellung, daß sich die Sowjetunion außenpolitisch total übernommen hatte. Der Rüstungswettlauf mit den USA verschlang Milliarden Rubel und auch hier blieb die Sowjetunion technologisch hinter den USA zurück. Das in den 70er Jahren so vielversprechende Engagement in der 3. Welt hatte sich nicht ausgezahlt und ließ sich kaum noch rechtfertigen (innen- und außenpolitisch). Zudem kam die Verantwortung gegenüber den „Brüdern„ im Warschauer Pakt. Dem ständigen Druck Vorbild für diese Staaten zu sein war man nun nicht mehr bereit standzuhalten (Glasnost offenbarte ja viel zu offensichtlich die Schwächen der Sowjetunion) Das „neue Denken„ formulierte Gorbatschow folgendermaßen: „Wohlwollende und kooperationsbereite Staaten nützen dem System und damit unseren Interessen mehr als unterdrückte Satelliten.„13

Ideologisch bedeutete dies einen Kurswechsel: Die Weltrevolution mußte hinten angestellt werden zugunsten der Lösung der eigenen Probleme die, so hoffte Gorbatschow, mit ausländischen Fördergeldern aus dem Weg geräumt werden sollten. Dieser Aspekt stellt psychologisch die gesamte Außenpolitik der letzten Jahrzehnte auf den Kopf. Expansion und Ausdehnung sind ideologisch die wichtigsten Säulen der Außenpolitik, da die Sowjetunion ja eigentlich nur das sozialistische Gedankengut verbreiten will. Voraussetzung dafür ist die Tatsache, daß die Geschichte gegen den Kapitalismus arbeitet und dieser schwächer und schwächer werden würde, bis das System schließlich zusammenbrechen würde. Doch die Wirklichkeit zeigte das eben die Sowjetunion immer schwächer wurde und nicht der kapitalistische Westen. In einem friedlichen Umfeld konnten die Rüstungsabgaben gesenkt werden, und die Gelder in die Sanierung der Wirtschaft investiert werden. Die neue Politik nach außen sollte die Perestroika im Inneren schützen. 1986 stellte Gorbatschow die Idee eines "gemeinsamen europäischen Hauses" vor.

2.1.3 Freiheit der Wahl

Der entscheidende Schritt war aber die von Gorbatschow zugesicherte „nationale Selbstbestimmung„ der Warschauer Pakt Staaten. Zwar hatte schon Breshnew 1971 den Begriff „Freiheit der Wahl„ benutzt, er war außerdem sowohl in der sowjetischen Verfassung als auch im Gründungsvertrag des Warschauer Paktes verankert, jedoch nicht mit der Tragweite wie Gorbatschow diese Formel prägte und benutzte. .Jahrelang war Politik in den Warschauer Pakt Staaten nur nach Absprache mit dem großen Bruder Rußland möglich gewesen. Nun jedoch wurde den Staaten ein „Recht auf Selbstbestimmung„ zugesprochen, daß Gorbatschow 1988 im Dezember vor der Vollversammlung der UNO nochmals bestätigte und als selbstverständlich und absolut definierte. Ein Sonderstatus für einzelne Länder sollte hier nicht geschaffen werden. Wichtig hier ist auch die Tatsache, daß die Wahlfreiheit schriftlich fixiert und auf weltpolitischer Bühne erörtert wurde. Im Juli 1988 bei einer Sitzung des Komitees der Verteidigungsminister des Warschauer Paktes in Moskau, betonte Gorbatschow, daß die nationalen Interessen im Vordergrund ständen. Die Tragweite dieser Wahlfreiheit konnte zu diesem Zeitpunkt keiner wissen. Wie weit würde Gorbatschow gehen? Das Prinzip der Freiheit der Wahl kann gar nicht oft genug herausgestellt werden, da es doch die ganzen politischen Ereignisse der nächsten 3 Jahre prägte.

Chancen der Wahlfreiheit
- Kann weiter entwickelt werden und orientiert sich an gegebenen Situationen, dynamisiert sich und läßt flexiblen Handlungsspielraum zu
- Militärische Einmischung wie in Prag bleibt ausgeschlossen
- Politische Einflußnahme seitens der SU soll weitgehend vermieden werden
- Das Ergebnis von freien Wahlen im Zuge dieser Vereinbarung wird von der Sowjetunion anerkannt
- Nach dem Zerfall der DDR scheinen die Möglichkeiten der Wahlfreiheit noch nicht ausgeschöpft

Risiken der Wahlfreiheit
- Die Wahlfreiheit gilt nicht für das Volk sondern für die Regierung
- Die Politik der WP-Staaten wird von der Sowjetunion toleriert, auch wenn Gewalt gegen das Volk als Mittel zur Erhaltung der sozialistischen Gesellschaftsordnung eingesetzt wird.

Weiter noch: Seit 1987 machte die Gorbatschow-Führung deutlich, daß sie ihren Bruderländern den eigenen politischen Kurs(wechsel) als Vorbild nahelegte.14 Anders als bisher war aber auch diese Aufforderung an die Wahlfreiheit gebunden, und stellte keinen zwingenden Appell in den anderen Staaten dar. Eine Einmischung oder gar militärische Intervention war von sowjetischer Seite kaum noch zu befürchten. Dahinter stand auch die Idee, die Schranken und Spaltungen innerhalb Europas zu überwinden. Gorbatschow verurteilte zwar auf einer Konferenz öffentlich den Einmarsch in die CSSR, was indirekt noch eine weitere Abkehr von der Breschnew Doktrin bedeutete. Aber die Breshnew- Doktrin wurde nie offiziell widerrufen- hier mußte Gorbatschow auf die „Hardliner„ in seinem Stab Rücksicht nehmen.

Am deutlichsten wurde der Wandel der sowjetischen Außenpolitik also in der Aufgabe der ideologischen wie politischen Hegemonialmacht im Osten Europas.

2.1.5. Entlassung in die Freiheit

Gründe für den russischen Wandel

Was veranlaßte Rußland zu dieser Kehrtwende in der Außenpolitik? Grundsätzlich gilt auch hier, daß Gorbatschow mit der Perestroika keineswegs eine Aufgabe der kommunistischen Gemeinschaft wollte. Die Entwicklungen in Ostmitteleuropa waren nie beabsichtigt.

Um die russischen Probleme im Inneren zu lösen, brauchte man hauptsächlich Kapital um die marode Wirtschaft und den Lebensstandard anzukurbeln. Der RGW, der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, der ursprünglich mal ein Instrument zur Ausbeutung der kleineren Länder in Osteuropa war, hatte sich für die Sowjetunion längst zu einem Verlustgeschäft entwickelt.15

Gorbatschow schreibt in seinen Erinnerungen: „Es wurde immer offenkundiger wie trügerisch die abstrakten Vorzüge der Planwirtschaft in Wirklichkeit waren. Der Gedanke, daß der Sozialismus gleichsam a priori eine harmonische Entwicklung der Produktionskräfte und natürliche Abstimmung der Interessen garantiere, war stets ein bloßes Konstrukt geblieben Meine Ausführungen liefen darauf hinaus, daß sich die früheren Formen der Zusammenarbeit erschöpft hatten. Das alte Modell der Wirtschaftsbeziehungen (...) funktionierte nicht mehr, ja wurde für beide Seiten zunehmend unvorteilhaft.„

Dazu kam der politische Druck, da die russische Führung ständig mit einem unterschwelligen Protest der Bevölkerung in den „Bruderländern„ konfrontiert wurde. Mit dem Appell, Glasnost auch dort lebendig werden zu lassen, erhoffte Gorbatschow sich einen ähnlichen Effekt wie in der Sowjetunion zu erreichen. Die meisten Länder distanzierten sich anfänglich zögernd von dem Reformkurs. Als das Programm der Perestroika jedoch immer populärer wurde, wandten sich fast alle politischen Führer davon ab. Ceausescu erklärte, die KPdSU betrete einen gefährlichen Weg, Honecker verkündigte die Perestroika eigne sich nicht für die DDR, was auch Schiwkow für Bulgarien so deutete.

(Januar 1987-Bulgarien änderte später seine Meinung). Aufrichtig interessiert an der Perestroika waren nur Polen und Ungarn, die mit ihrem Reformkurs schon vor der Sowjetunion begonnen hatten, in der Tschechoslowakei waren die Erinnerungen an 1968 noch zu deutlich.

Da Gorbatschow umfassende Reformen jedoch für unausweichlich hielt, um den Sozialismus sicherzustellen, verlor er das Interesse und wandte sich verstärkt den Reformern Janus Kadar und Wojciech Jaruzelski zu.

Eine klare Fehleinschätzung der Bevölkerung in den WARSCHAUER PAKT-Staaten begründet ebenso den russischen Wandel. Der Kreml glaubte immer noch an die sozialistische Gemeinschaft, und die gemeinsamen sozialistischen Wurzeln. Man sah hier nicht, daß die meisten Völker durch die jahrelange Bevormundung genug von russischer Einmischung und dem Nacheifern ihrer Politik hatten. Die kulturellen und geschichtlichen Wurzeln verband die Mehrzahl nicht mit Rußland, sondern mit den anderen europäischen Staaten. So träumte der Großteil von nationaler Selbstbestimmung, mehr Demokratie und einer Abkehr von der UdSSR

2.1.6. Kleiner Exkurs zur Deutschlandfrage

In eben diesem gesamteuropäischen Konzept mußte auch die deutsche Teilung berücksichtigt werden. Es war klar, daß ein Zusammenwirken aller europäischen Staaten nur mit einem vereinigten Deutschland geschehen konnte „Das Schicksal der Deutschen ist mit den Geschicken von ganz Europa unlöslich verbunden, das heißt mit den Perspektiven des gemeinsamen europäischen Hauses.„16

Die DDR- Führung unter Erich Honecker, lehnte den reformpolitischen Ansatz nach russischem Vorbild jedoch ab, und hielt an ihrem reaktionären Kurs fest. Die Destabilisierungen, und die Entwicklungen die zur Einigung führten, begannen mit der Öffnung der ungarischen Grenzen., Am 11. 9.89 öffnete Ungarn seine Grenze zu Österreich für Flüchtlinge aus der DDR. (Auf die Vorgänge in Ungarn soll hier nicht weiter eingegangen werden )Nach Massendemonstrationen und Flucht zu den BRD- Botschaften in Warschau und Prag, zwang das Volk Staatschef Honecker zum Rücktritt.

Die friedliche Revolution die dann am 3.10 1990 in der Wiedervereinigung Deutschlands endete, wäre ohne Einverständnis von russischer Seite nie möglich gewesen. Dies ist auch der große Verdienst Gorbatschows, der für uns Deutsche zum Helden der Wiedervereinigung geworden ist. Dabei waren Gorbatschows Haltung und Äußerungen zum Einigungsprozess durchaus widersprüchlich.

Nach außen hin trat Gorbatschow immer für den Fortbestand der DDR ein, ohne jedoch politische oder andere Instrumente für dieses Ziel einzusetzen.17 Später gestand Gorbatschow den Deutschen jedoch „prinzipiell das Recht auf Einheit zu„ und ebnete so den Weg für Verhandlungen.

Obwohl Gorbatschow also nie das Scheitern der DDR gewollt hatte, gaben sich Schewardnadse und er nie die Schuld daran, sondern sahen es als eine Folge aus den Versäumnissen in den letzten Jahrzehnten unter Breschnew.

2.1.7. Die Lage spitzt sich zu

Ein Wandel in der sowjetischen Außenpolitik ist vor allem in den Jahren 89-91 zu verzeichnen. Gorbatschow radikalisierte zunehmend (auf Druck der russischen Bevölkerung und den explosiven Reform- Erwartungen )auch im WP seine Politik. Die fehlende Diskussions- und Änderungsbasis, die sich in politischen Gesprächen immer mehr zeigten, änderten sich trotz dem vielfach geäußerten Wunsch Gorbatschow´s nicht. Mit seinem Amtsantritt hatte Gorbatschow gehofft die erstarrten Linien und den Umgangston zwischen den RGW, Paktstaaten und der Sowjetunion ändern zu können, wurde aber hierbei enttäuscht. Diese Haltung ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, daß Gorbatschow nicht gleichbedeutend UdSSR bedeutete. Genauso konnte es morgen einen anderen tonangebenden sowjetischen Führer geben- die latente Vorsicht vor Umstürzen mußte man im Kreml (wie auch im Ausland ) beständig von den altkommunistischen Kräften fürchten.

Nach den ersten freien Wahlen zeigte sich ein alarmierendes Ergebnis. Die Kommunisten hatten fast überall verloren und wurden teilweise durch demokratische Akteure ausgetauscht. Die Wahlen in Polen wurden zur Generalprobe der „Freiheit der Wahl„. Doch Moskau blieb (relativ!) gelassen. Das Zentralkomitee und Gorbatschow zeigten zwar deutliche Anzeichen von Nervosität, verkannten aber die Tragweite der Lage. Die Signale an die Völker der anderen Länder waren überwältigend. Ohne russische Einmischung fürchten zu müssen, wandten sich große Teile der Bevölkerung in Ländern wie der CSSR, Ungarn und natürlich der DDR von der kommunistischen Grundidee ab.

Selbst hier gestanden sich Gorbatschow und seine Leute kein Scheitern der kommunistischen Idee ein. Das ganze wurde als einmaliger „Betriebsunfall„ gewertet und nicht als bedrohende alles mit sich reißende Bewegung. Man sprach von der Formenvielfalt des Sozialismus18. Selbst nach dem Mauerfall betonte Gorbatschow im Warschauer Pakt die Gemeinsamkeiten und hielt am bestehenden System fest.

2.1.8. Verhalten gegenüber dem Westen

Die politischen Ereignisse in den Jahren 86-89 wurden von den westlichen Staaten sehr begrüßt. Gorbatschow entwickelte sich zum Hoffnungsträger und knüpfte enge Beziehungen zu den westlichen Regierungen. Durch viele Auslandsreisen schon vor seiner Regierungszeit hatte er sich ein reales Bild vom Leben in den kapitalistischen Staaten gemacht und auch hier seine reformatorischen Ideen entwickelt. Gerade dieser Vergleich zeigten ja den deutlichen Abstand, den die Sowjetunion schon zum Westen hatte. Die neue Offenheit machte Dialoge mit den westlichen Regierungen möglich zu denen schon seit Jahren kein Kontakt mehr bestanden hatte. Obwohl die Sowjetunion ihren weltpolitischen Einfluß nicht verlieren wollte, akzeptierte Gorbatschow mehr und mehr die Rolle der Amerikaner in Europa, deren Vormachtstellung hier den vorigen russischen Regierungen als inakzeptabel erschienen war. Die KSZE Nachfolgekonferenzen die vom November 86 bis gegen Ende 89 stattfanden, bestärkten die Abrüstungsabsicht, und machten die Wahrnehmung der Menschenrechte zur obersten Priorität. Das gemeinsame Haus Europa sollte das Ende des Kalten Krieges besiegeln. „Gorbatschow beim Wort nehmen„ erklärte Hans Dietrich Genscher, ein Satz der sehr gut die Zweifel zum Ausdruck bringt, die der Westen immer noch an der Ernsthaftigkeit der russischen Absichten hatte. Gerade im Zuge der späteren Ereignisse zögerten die einzelnen Regierungen lange, bevor sie klar Stellung bezogen.

2.1.9. Politik im WARSCHAUER PAKT

Während der Reformprozess in vielen Ländern des WP in vollem Gange war, kristallisierten sich immer mehr zwei Fronten heraus. In Ungarn, Polen und in der Sowjetunion hatt sich die Reformen längst verselbstständigt und zusätzlich dynamisiert. Rumänien, die CSSR und die DDR verfolgten weiter einen strikten und unnachgiebigen Kurs, der Bedarf nach Erneuerung oder Veränderung im eigenen Land, wie auch im Umgang mit den anderen Staaten wurde gekonnt verdrängt oder ignoriert. Hier hoffte Gorbatschow lange Zeit auf personelle Änderungen nicht zuletzt auch wegen des hohen Alters der Funktionäre.

Der WP, der eigentlich nie so richtig das Gegenstück zur NATO, sondern eher ein sowjetisch diktierter Zwangsbund war, sollte aufgelöst werden. (Kommunique von Bukarest) An seine Stelle sollte ein gesamteuropäisches Bündniskonzept treten, daß die Idee vom „gemeinsamen europäischen Haus„ stützten sollte. Man erhoffte sich im Gegenzug die Auflösung der NATO. Wie weit entfernt diese Idee von der Realität ist, zeigt sich in den deutschen Einheitsverhandlungen, da selbst Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung niemals einem Austritt aus der NATO zugestimmt hätte.

In den 90er Jahren kommt es zu absurden Tagungen im WP. Durch die personellen Veränderungen in Ungarn, Polen und der DDR sitzen nun plötzlich Demokraten, die mit der sowjetischen Politik und dem kommunistischem Weltbild nichts mehr gemeinsam haben am Verhandlungstisch. Der Warschauer Pakt beginnt sich aufzulösen. (Ungarn hatte den Vorschlag schon viel früher gemacht). Die endgültige Auflösung (die DDR ist bereits nicht mehr dabei) wird am 1.6. beschlossen und birgt die Probleme des Truppenabzugs aus den einzelnen Ländern.

Die Sowjetunion hat ihren Weltmachtstatus endgültig verloren.

Warum es soweit kam ist zum Großteil auf die Versäumnisse der Ära Breschnew zurückzuführen. Gorbatschow hatte den aktuellen Ereignissen auf politischem Wege kaum noch etwas entgegenzusetzen. Außerdem hatte die Sowjetunion aufgrund ihrer immer dramatischeren und problematischen Innenpolitischen Entwicklungen nur noch wenig Spielraum im Hinblick auf außenpolitische Reformen.

3.Das Ende

3.1.1Krise und Untergang der KPdSU

Der Zerfall der Sowjetunion begann ab 1990 stetig. Die politische Bühne in Moskau war durch ein beständiges Spannungsverhältnis zwischen den konservativen Kräften um Ligatschow , und den liberalen Reformern um Jelzin geprägt. Gorbatschow versuchte das unmögliche, nämlich zwischen den beiden Blöcken zu agieren. Immer bemüht auf die beide Seiten Rücksicht zu nehmen, stagnierte bald die Perestroika Politik. Die Planwirtschaft, stellte sich nun endgültig als gescheitert dar, dieser Verfall bleibt aber ohne Konsequenz. ( die Einführung der Marktwirtschaft von liberaler Seite längst gefordert wird halbherzig auf später verschoben )Die Versorgungslage nahm katastrophale Züge an. Massenarmut und eine galoppierende Inflation ließen die Kritik an Gorbatschows „halber„ Reformpolitik wachsen. Es kam vielerorts zu Massendemonstrationen. Durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der einzelnen Republiken stand Gorbatschow zusätzlich unter Druck und im Kreuzfeuer der öffentlichen Meinung; sowohl im In- wie auch im Ausland (Massaker von Tiflis). Erschwerend hier kam der zunehmende Zerfall der Partei hinzu. Innerhalb der KPdSU kam es vermehrt zu Klub und Untergruppenbildung, die sich vom „undemokratischen Charakter„ und der Staatsokkupation trennen will.19 Doch alle Ansätze die KPdSU in eine parlamentarische Partei umzuwandeln scheiterten nicht zuletzt an der Weigerung Gorbatschows. Die meißten Reformer traten enttäuscht aus der Partei aus und schlossen sich demokratisch gesinnten Parteien an, die es seit einer Änderung des Parteiengesetztes jetzt geben durfte. Auch die orthodoxen Parteimitglieder sammelten sich in einer Untergruppe der Partei: Der Kommunistischen Partei der RSFSR Nach dem Austritt von Boris Jelzin folgte eine Welle der Massenaustritte. Die Bevölkerung hatte längst den Glauben an die Partei verloren - Der Vorwurf von Amtsmißbrauch und Korruption der nun öffentlich geäußert wurde, drängte die Partei aus den Betrieben (dem Stützpfeiler der Parteiarbeit ) und dem öffentlichen Leben. Durch diesen Machtverlust und dem Auseinanderbrechen der Union holten die reaktionären Kräfte zum Gegenangriff aus. Gorbatschow der eigentlich nur noch wenig mit den altkommunistischen Kräften gemein hatte, sich aber den Liberalen wegen ihrer viel zu weit reichenden Reformen nicht anschließen wollte, wandte sich dem orthodoxen Flügel zu. Nach dem dramatischen Rücktritt von Schewardnadse formierte sich der Beraterstab Gorbatschows neu, und lehnte sich an die reaktionären Kräfte an. Die Spaltung in der Union ( mit bevorstehendem Abschluß über einen neuen Unionsvertrages) und die Wahl Jelzins zum Präsidenten der russischen Förderation, dürften der letzte Anreiz für die Reaktionären gewesen sein zu putschen. Am 18.+19. August konstituierte sich ein achtköpfiges Staatskomitee für den Ausnahmezustand und erklärte sich zur obersten Staatsmacht. Gorbatschow saß derweil in der Krim in seinem Urlaubsort fest. Doch der (wahrscheinlich schlecht vorbereitet) Putsch scheiterte. Teilweise wegen dem Appell Jelzins der das Komitee für illegal erklärte und zur Mißachtung der aufgestellten Forderungen aufrief, teilweise wegen dem der Weigerung einzelner Truppen dem Komitee Folge zu leisten. Der Putsch hatte endgültig den Untergang der KPdSU besiegelt; das ZK hatte sich mit den Putschisten solidarisiert.

Gorbatschow legte am 24.8 seine Funktion als Generalsekretär nieder und rief das ZK zur Selbstauflösung auf. In fast allen Unionsrepubliken wurde die KPdSU verboten - sie hörte praktisch auf zu existieren.

3.1.2. Das Nationalitätenproblem

Das Ende der KPdSU besiegelte rasch auch das Ende des Riesenreichs Sowjetunion. Um dies zu verstehen muß man die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion und der KPdSU begreifen. 1917 zerfiel mit dem Untergang des zaristischen Systems das russische Reich in zahlreiche nationale und regionale Teile. Rußland war schon immer ein Zusammenschluß der unterschiedlichsten Völker und Kulturen gewesen. Sieht man sich die Grenzen der Sowjetunion an, werden diese schnell deutlich. Ein Bewohner der Turkmenischen SSR20 hatte mit einem Weißrussischen Bewohner aus Minsk oder einem an der chinesischen Grenze lebenden Mann kaum gemeinsame Wurzeln. Nur die sozialistischen Wurzeln !

Mit dem Untergang der KPdSU und damit faktisch den Bolschewiki die die Sowjetunion gegründet hatten, hörte auch die Existenznotwendigkeit der Union auf.

Ohne die kommunistische Partei gab es keine Notwendigkeit für das Fortbestehen dieses letzten europäischen Kolonialreiches in sozialistischer Form. Zudem kamen die Versäumnisse der Politik in vergangenen Jahren. Die Konstruktion der Union war im wesentlichen noch die gleich wie die unter Stalin grausam geschaffene Unionsgemeinde. Außer einer begrenzten Sprach und Kulturautonomie die man den Völkern zusprach, wurden alle wichtigen Entscheidungen in Moskau getroffen.21 Die Identifikationsmöglichkeit mit dem „eigenen Riesenstaat Sowjetunion„ ging nur über das ideologische und kommunistische Gedankengut. Die politische Führung hatte hier jahrelang alle Konflikte unter den Teppich gekehrt und verdrängt. Hinzu kommt das „Russenproblem„. Seit den 20er Jahren war man bestrebt gewesen überall Russen anzusiedeln und die Völker zu vermischen. Bei diesen Russen handelte es sich meist um ausgebildete Fachkräfte die die hohen Posten in den Fabriken und Betrieben besetzten. Weiter noch waren sie quasi Agenten der Zentralmacht und provozierten nicht selten antizentralistischen und antirussischen Widerstand.22

Nach dem Zerfall der Sowjetunion stellten die verschiedenen Nationalbewegungen die einzig greifbare politische Alternative dar.

Durch die Unabhängikeitsbestrebungen bspw. in Litauen schlossen sich in zahlreichen anderen Republiken und Teilrepubliken die Bevölkerung ebenfalls nationalen Bewegungen an. Die historischen Beweggründe hier aufzuführen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Tatsache ist, daß sich schon seit Jahrzehnten ein schleichender Prozeß der Entkolonialisierung, der erst in den 80er Jahren in eine militante und politische Phase eingetreten ist, bemerkbar machte.

Natürlich hat auch Glasnost zu den Entwicklungen beigetragen. Wichtig ist aber zu bedenken, daß Glasnost die Probleme nur sichtbar machte, bzw. öffentlich zugänglich. Den jahrzehntealten Groll und die Frustration in den einzelnen Republiken wurde so durch die öffentliche Diskussion bspw. um die Okkupation der baltischen Staaten (was schon 1940 einen klaren Bruch des Völkerrechtes bedeutete) durch Stalin, enormer Schub und Kraft verliehen.

4.Fazit

Am Ende stehen nun 74 Jahre sowjetische Geschichte. Sowjetische Geschichte die immer auch weltpolitische Geschichte bedeutete.

Ohne Zweifel sind die Errichtung und der Untergang der Sowjetunion die zentralen Ereignisse unseres Jahrhunderts. Das Ganze ist auch eine Geschichte des Scheiterns. Die kommunistische Idee, der Gedanke das Nationalbewußtsein zugunsten des Klassenbewußtseins aufzugeben, und nicht zuletzt die Idee von der friedlichen Koexistenz völlig unterschiedlicher Kulturen in der Sowjetunion, ist gescheitert. Noch heute ist das Erbe der Fehler dieses Systems zu spüren. Wenn man von Umweltschäden in der Ukraine liest, die maroden Atomkraftwerke in der ehemaligen Sowjetunion betrachtet, die Massaker in Tschetschenien verfolgt, oder aber das empörende Verhalten der russischen Regierung beim Untergang der Kursk betrachtet. Trotzdem bleibt die sowjetische Geschichte beispiellos in der Weltgeschichte.

4.2.Literaturverzeichnis

Verfasser: Deppe, Rainer

Titel: Demokratischer Umbruch in Osteuropa

Verfasser: Hertzfeldt, Lothar

Titel: Die Sowjetunion

Verfasser: Elvert, Jürgen

Titel: Der Umbruch in Osteuropa

Verfasser: Biermann, Rafael

Titel: Zwischen Kreml und Kanzleramt

Verfasser: Simon, Gerd

Titel: Verfall und Untergang des russischen Imperiums

Verfasser: Gorbatschow, Michail

Titel: Erinnerungen

[...]


1 FAZ kurz nach der Wiedervereinigung

2 Zit. Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums; Gerhard und Nadja Simon- DTV April 1993

3 Zit. DTV- Lexikon

4 Kleine Geschichte der SOWJETUNION; Helmuth Altrichtrer- Becksche Reihe S. 163

5 Die SOWJETUNION von 1917-1991; Franz Stadelmeier

6 Angaben aus: Gerd Ruge; Michail Gorbatschow Fischer Verlag

7 Internet: www-Glasnost.de

8 Hertzfeldt : Die Sowjetunion

9 Michail Gorbatschow; Gerd Ruge- Fischer Vlg. 1990 S 190

10 Das Prinzip Gorbatschow; Konrad Löw- Kölner Universitätsverlag S.179

11 bei Simon, S 50 basierend auf dem Report on the UdSSR - Soviet economist on US and Soviet living Standards

12 bei Simon, S 50

13 Michail Gorbatschow; Erinnerungen

14 bei Simon S 192

15 bei Simon S 192

16 Zwischen Kreml und Kanzleramt, R. Biermann S.87

17 bei Simon, S.195

18 Bei Deppe 55 ff

19 Bei Simon, S85

20 Sozialistische Sowjetrepublik (Wörterbuch zur Politik) DTV

21 http://www.bpb.de/

22 Bei Simon S131

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Gorbatschow und die Perestroika
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V98580
ISBN (eBook)
9783638970310
Dateigröße
374 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gorbatschow, Perestroika
Arbeit zitieren
Ulla Fricke (Autor:in), 2000, Gorbatschow und die Perestroika, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98580

Kommentare

  • Gast am 8.6.2002

    Ein sehr gelungene Hausarbeit!.

    Ich möchte ein großes Lob an die Autorin dieser Hausarbeit aussprechen. Ich habe selten eine solch gute Arbeit im Internet gelesen. Meistens zeigen mir Arbeiten im Internet wie man sie möglichst nicht machen sollte, aber mit Deiner Arbeit hast Du bewiesen, dass es auch sehr gute Arbeiten gibt.
    Glückwunsch nochmal zu dieser gelungenen Arbeit. Es läßt sich zudem sehr gut lesen!!!

Blick ins Buch
Titel: Gorbatschow und die Perestroika



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