Sozialstaat BRD


Seminararbeit, 2000

14 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


1. Einleitung

Sozialstaat ist die Bezeichnung des Konzeptes, wonach „der Staat eine aktive Rolle in der Steuerung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Abläufe übernimmt und sich dem Nachkommen der Forderung nach größtmöglicher Gleichheit der Lebens- chancen in den Dimensionen der Einkommenssicherung, Gesundheit, Wohnen und Bildung“ widmet.

2. Geschichte und Entstehung des Sozialstaates

Die Anfänge von unternehmerischer Fürsorge zugunsten der Arbeiterschaft reichen in die Zeit des Vormärzes zurück. Damals wurde über Sozialeinrichtungen sowohl eine materielle als auch eine innerliche Bindung des Arbeiters an das Unter- nehmen hergestellt, bei einem Wechsel der Arbeitstätte entfiel somit jeglicher An- spruch auf betriebliche Sozialleistungen. Zu dieser Zeit handelte es sich also um in- nerbetriebliche Sozialeinrichtungen, welche seit den 1830er Jahren vorwiegend in Form von Betriebskrankenkassen und wenig später verstärkt auch als Alters- und Pensionskassen entstanden.

Hierbei beispielhaft, wenn auch aus anderen, eigenen Beweggründen, waren die betrieblichen Sozialeinrichtungen des Gussstahlfabrikanten Alfred Krupp (1812- 1887). Dessen Betriebskrankenkasse (1836) war eine der ersten ihrer Art und basierte zunächst auf freiwilliger Mitgliedschaft, finanzierte sich aus Mitgliedsbeiträgen, Zuwendungen des Firmeninhabers sowie aus Strafgeldern aus Verstößen gegen die Betriebsordnung.1855 wurde die Beitrittspflicht für alle Werksangehörigen eingeführt und 1858 verpflichtete sich die Firma zur Zahlung von 50% der Mitgliedsbeiträge. Somit erreichte die Kruppsche Versorgungskasse jene Ausbaustufe, in der sie zum Vorbild für die spätere gesetzliche Krankenkasse wurde.

Diese Einrichtungen wiesen jedoch noch erhebliche Lücken auf in der Notfallabdeckung und erbrachten oft nur unzureichend hohe Leistungen. Im ganzen jedoch kann man hier von der Beschreitung zukunftsträchtiger Wege sprechen.

Der entscheidende Durchbruch zu jener Entwicklung, dass der Staat eine Grundverantwortung für die soziale Sicherheit seiner Bürger übernahm, erfolgte am Ende des 19.Jahrhunderts, zur Zeit Bismarcks, mit dem Aufbau einer Kranken-, Inva- liden- und Rentenversicherung (1883 und 89), Einrichtungen zur sozialen Absiche- rung der Arbeitnehmer. Die Finanzierung erfolgte je zu 50% durch Pflichtbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ein soziales Netz entstand durch das Hinzukom- men weiterer Versicherungseinrichtungen und deckte nach und nach auch breitere Bevölkerungsschichten ab.

Sozialpolitisch übernahm die BRD nach 1949 dieses von Bismarck eingeführte System der sozialstaatlichen Sicherung. Die Versicherungen konnten zunächst jedoch nur die notwendigsten Leistungen anbieten, da sie sich noch nicht ausreichend über Beiträge finanzieren konnten und auch der Staat nicht in der Lage war eine sogenannte Anschubfinanzierung zu leisten.

Als sozialpolitische Meilensteine sind Kriegsopferversorgung (Renten, ärztli- che Versorgung, Arbeitsplatzvermittlung), Heimkehrerentschädigung (Rente für Kriegsgefangene und deren Angehörige und Heimkehrer), Lastenausgleich für Ver- luste von Vertriebenen und Wiedergutmachung (z.B. Zahlungen an Israel) zu sehen. Aus- und angleichende Wirkung entfaltete der Sozialstaat BRD z.B. durch das

1.Wohnungsbaugesetz 1950, womit der soziale Wohnungsbau in Angriff genommen wurde, welcher durch die Wohnungsnot, die aufgrund der massiven Zerstörung von mehr als vier Millionen Wohnungen in Deutschland herrschte, notwendig geworden war.

Nach der Teilung Deutschlands in Ost- und Westteil muss man auch die Geschichte des Sozialstaates als getrennte Entwicklung sehen. Nach der Wende 1989/90 wurde das westdeutsche Sozialsystem auf die neu-en Bundesländer übertragen.

3. Aufgaben des modernen Sozialstaates

3.1 Grundlagen des Sozialstaates

Das Sozialstaatsprinzip, verfassungsrechtliche Grundlage des Sozialstaates, findet seine Verankerung im Art.20 des Grundgesetzes, welcher lautet: „(1)Die Bun- desrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat(...).“ Die Sozialstaatsklausel zielt auf annähernd gleiche Förderung des Wohlergehens aller Bürger.

Die sozialen Grundwerte, wie Existenzsicherung, Schutz der Gesellschaft, sozialer Ausgleich durch den Staat, Erhaltung der Arbeitskraft, unter anderem in den Artikeln 1, 2, 3, 6, 9, 14, und 15.

Obwohl eine Antinomie, also eine Widersprüchlichkeit, zwischen diesen sozialstaatlichen Grundwerten und den rechtsstaatlichen Grundwerten (Würde, Schutz und Freiheit der Gesellschaft, Gleichheit vor dem Staat, Eigentum), herrscht, muss die soziale Sicherung auch als Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele des Rechtsstaates gesehen werden.

Staatsbürgerrechte besitzen im Sozialstaat einen hohen Stellenwert und räumen somit dem Bürger große gesellschaftliche Freiräume ein.

3.2 Ziele und Aufgaben des Sozialstaates

Funktion der Sozialpolitik in der sozialen Marktwirtschaft ist immer, diejenigen materiell abzusichern, die noch nicht leistungsfähig sind und somit ihre zukünftigen Wettbewerbschancen zu erhöhen; die zeitlich befristet nicht leistungsfähig sind und/oder die nicht mehr leistungsfähig sind.

Ziele des Sozialstaates sind also die Verbesserung der Stellung sozial schwacher Personen, die Sicherung der sozialen Lage derjenigen, die dies nicht selbst können sowie eine annähernd gleiche Förderung des Wohles aller und eine gleichmäßige Verteilung der Lasten, also Kosten, die sich aus der Erfüllung dieser Ziele ergeben bzw. dafür notwendig sind.

Aus dem Sozialstaatsprinzip in Kombination mit dem 1. Grundrecht, der Wür- de des Menschen, ergibt sich der Fürsorgeanspruch (Sicherung des Existenzmini- mums im Bedürftigkeitsfall) sowie der Anspruch auf Daseinsvorsorge (u.a. Wasser, Gas, Strom, Schulwesen, Gesundheitsvorsorge). Weiterhin entsteht die Verpflichtung des sozialen Ausgleichs zwischen Schwachen und Starken. Enthalten ist auch die Zwangsversicherung als Krankheits- bzw. Altersvorsorge, d.h. jeder ist vom Gesetz her verpflichtet, krankenversichert zu sein.

Um der Erfüllung dieser und anderer sozialer Ansprüche gerecht werden zu können, fordert der Sozialstaat gebende und nehmende Eingriffe des Staates. Der soziale Rechtsstaat führt den klassischen liberalen Rechtsstaat, welcher vor Eingriffen des Rechtsstaates schützt, während, wie bereits erläutert, der Sozialstaat diese Eingriffe fordert, insofern weiter, indem nicht nur die rechtliche Freiheit und Gleichheit des Einzelnen von ihm gesichert wird, sondern gleichwohl die materiellen Vorraussetzungen für soziale Gleichheit geschaffen werden.

Die Erbringung sozialer Leistungen erfolgt nach dem Versicherungs-, Versor- gungs-, sowie Fürsorgeprinzip. Beim Versicherungsprinzip sollen eingezahlte Versi- cherungsbeiträge sicherstellen, dass man durch bestimmte Versicherungen in be- stimmten Situationen abgesichert ist. Durch das Versorgungsprinzip werden Perso- nen, die Anspruch auf Versorgung haben, z.B. Beamten- und Kriegsopferversorgung, durch Steuermittel abgesichert. Nach dem Fürsorgeprinzip werden Steuermittel zur Unterstützung von Personen verwendet, die sich in einer individuellen Notlage befin- den. Diese Unterstützung erfolgt z.B. durch Jugend- oder Sozialhilfe. Die Leistungen setzen sich dabei aus Versicherungsbeiträgen und staatlichen Mitteln zusammen.

Die Grundsäulen der bundesrepublikanischen sozialen Sicherung sind die Un- fallversicherung (Behandlungskosten, eventuell Rente bei Arbeitsunfällen oder Be- rufskrankheiten), die Krankenversicherung (Behandlungskosten, Krankengeld im Fal- le von Arbeitsunfähigkeit), die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Arbeitsförderung, wie z.B. Umschulungen, Wei- terbildungen) und die Pflegeversicherung. Die Versicherungsbeiträge werden hierbei im Verhältnis 1:1 von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erbracht, außer bei den Be- trägen für die Unfallversicherung, die ausschließlich die Arbeitgeber zu leisten haben und bei der Pflegeversicherung, wo Arbeitgeber die Möglichkeit haben, ihre Kosten in Form der Streichung eines Feier- oder Urlaubstages zu kompensieren. Diese Pflichtversicherungen gelten nicht für Selbständige, Beamte und Arbeit-nehmer, die eine bestimmte jährlich neu festgelegte Einkommensgrenze überschrei-ten. Diese Gruppen müssen zum Teil selbst eine private Vorsorge treffen. Versiche-rungspflicht für alle besteht jedoch bei der Pflegeversicherung.

Grundlage der gesetzlichen Sozialversicherungen ist das Solidarprinzip (Arbeitende zahlen für Arbeitslose, Gesunde für Kranke) und der Generatio- nenvertrag (Arbeitnehmer zahlen für Ehemalige, also Rentner), daraus folgt, die Beitragshöhe für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bemisst sich nach für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bemisst sich nach dem Ein- kommen.

3.3 Veränderung der Gesellschaft seit 1945

Der Aufbau der Bevölkerungsstruktur hat seit dem Ende des 2.Weltkrieges, wie bereits davor, einen ständigen Wandel erfahren und wird diesen auch in Zukunft erfahren.

Bereits seit Beginn des 20.Jahrhunderts sinkt die Geburtenziffer in Deutsch- land, gleichermaßen auch die Sterbeziffer, letztere nicht so stark wie erstere. In den Jahren 1930 - 1965 ist eine weitere schwache Abnahme der Sterbeziffern zu ver- zeichnen sowie eine auf niedrigem Niveau stagnierende Geburtenziffer. Seit 1965 sinken die Geburtenziffern weiter, die Sterbeziffer ist dabei stabil. Daraus ergibt sich unweigerlich, dass die Bevölkerungszahlen in Deutschland, wie auch in anderen westlichen Industrienationen, stagnieren oder in manchen Ländern schrumpfen. Da- bei ist zu beobachten dass sich natürlich auch der Altersaufbau immer weiter verän- dert hat. Es werden weniger Kinder geboren, das heißt, es gibt weniger junge Leute. Es sterben weniger alte Menschen, bzw. diese sterben in höherem Alter als früher, die Lebenserwartung ist also gestiegen, das heißt wiederum, dass es verhältnismä- ßig mehr alte Leute gibt.

Diese demographische Entwicklung gefährdet die Funktionalität des Generati- onenvertrages, der besagt, dass Arbeitende für die vorherige, im Ruhestand befindli- che Generation zahlt. Das heißt, diejenigen die arbeiten zahlen ihre Beiträge in die Rentenversicherung ein. Dieses Geld wird an die Rentenempfänger verteilt. Der Ge- nerationenvertrag wurde jedoch auf der Annahme erstellt, dass es mehr Arbeitende gibt als Rentenempfänger und somit genügend Geld vorhanden ist um die Renten zu finanzieren. Da sich jedoch der Aufbau der Bevölkerung von einem sogenannten py- ramidenförmigen Bevölkerungsmodell (viele Geburten, wenig alte Menschen, mit dem Alter abnehmende Bevölkerungszahlen) zu einem mittlerweile urnenförmigen Modell, das eine Überalterung der Gesellschaft darstellt, gewandelt hat, müssen immer weniger Menschen für immer mehr Menschen bezahlen, das eingehende Geld deckt also die Ausgaben nicht mehr im vorgesehenen Maße.

4.Vergleich des bundesdeutschen Sozialsystems mit dem Sozialsystem der Republik Österreich

Die Bundesrepublik Deutschland ist bei weitem nicht der einzige Sozialstaat. Auch in zahlreichen anderen, vor allem europäischen Ländern, gibt es Systeme der sozialen Sicherung der Bevölkerung.

Im folgenden möchte ich nun die wichtigsten Aspekte des Sozialsystems Ös- terreichs erklären und einen Vergleich mit unserem sozialen System anstellen. Kern des Österreichischen Systems ist ähnlich dem deutschen, die Sozialver-sicherung, welche drei Versicherungen umfasst, nämlich die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Letztere hat die Aufgabe unserer Rentenversicherung. An-ders als in Deutschland zählt die Arbeitslosenversicherung nicht mit zur allgemeinen Sozialversicherung, sie untersteht zwar weiterhin dem Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, wie die drei oben genannten Versicherungen auch, wurde aber mit zum 1.7.1994 ausgegliedert. Für ihre Durchführung ist nunmehr der soge-nannte Arbeitsmarktservice zuständig. Dessen Bundesgeschäftsstelle sind neun Landes- und etwa 100 regionale Geschäftstellen untergeordnet, die insbesondere für die Zahlung von Arbeitslosengeld an die Berechtigten zuständig sind. Die Sozialversicherung umfasst also Kranken-, Unfall- und Pensionsversiche-rung, deren Durchführung obliegt 28 Versicherungsträgern, selbstverwaltete öffent-lich rechtliche Körperschaften. In Österreich bestehen sieben Pensionsversiche- rungsträger, vier Unfallversicherungsträger sowie 24 Krankenkassen. Anders als in Deutschland besteht bei der Pflichtversicherung für die Versi-cherten keine Wahlfreiheit zwischen den einzelnen Versicherungsträgern. Bei uns besteht lediglich die Pflicht, sozialversichert zu sein, wo man sich derartig versichert, bleibt jedoch jedem freigestellt. In Österreich ist die Pflichtversicherung dagegen ab-hängig von der ausgeübten Tätigkeit, dem Beruf.

Aus historischen Gründen gliedert sich die österreichische Sozialversicherung nicht nur territorial sondern auch berufsständisch. Es gibt Sonderversicherungsanstalten für Landwirte, Gewerbetreibende und Notare sowie für Eisenbahner, öffentlich Bedienstete und Bergarbeiter.

Den Einzug der Beiträge für Unfall- und Pensionsversicherung führen neben denen für die gesetzliche Krankenversicherung die Krankenkassen durch. Ebenfalls tut sie dies aber auch für die Arbeitslosenversicherung.

Als weitere Beihilfen wären Familienbeihilfen, für die das Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie und die diesem unterstellten Finanzlandesdirektionen und Finanzämter zuständig sind, und das Pflegegeld zu nennen.

Das Pflegegeldgesetz ist zum 1.7.1993 in Kraft getreten. Pflegegeld wird dem Hilfs- und Betreuungsaufwand entsprechend in sieben Stufen als teilweiser Aus- gleich pflegebedingter Mehraufwendungen, also Pflegekosten geleistet. Die Auszah- lung des Pflegegeldes für Pensions- bzw. Rentenbezieher erfolgt durch den jeweils zuständigen Versicherungsträger für die Renten- oder Unfallversicherung. An jene Einwohner, die keinen Anspruch auf Pflegegeld des Bundes haben, zahlt dieses das jeweilige Bundesland, es gibt also neben den Sozialversicherungs-zweigen und dem Pflegegeld des Bundes, die Sozialhilfe der Länder.

5. Reformierung des Rentensystems der BRD

„Es war einmal ein Land, in dem es an nichts mangelte. Seine Bewohner waren bienenfleißig. Damit auch jeder sein Auskommen habe, auch die Kranken und Alten, zog die Regierung einen Zehnten ein (...) `Wohlstand für alle´ lautete ihre Losung. Plötzlich geriet das Land, keiner weiß warum in eine Krise...(...)“

Die ZEIT 7.11.97

(Artikel: „ Betrug an der Jugend “ )

5.1 Grundlagen des Rentensystems

„Der Generationenvertrag, auf dem die solidarische Rentenversicherung auf- baut, ist vor allem aus demografischen Gründen in eine Schieflage geraten. Die Ge- burtenraten sinken und die Lebenserwatung steigt in den nächsten Jahrzehnten auf im Durchschnitt über 80 Jahre. Dies führt dazu, dass sich bis zum Jahr 2030 der An- teil der Menschen im Rentenalter im Vergleich zu denen im erwerbsfähigen Alter fast verdoppeln wird. Die Folge ist langfristig gesehen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung der Alterssicherungssysteme (...).“

Birgit Schnieber Jastram, MdB(CDU/CSU)

Das Rentensystem baut sich also auf dem Generationenvertrag (Arbeitnehmer zahlen für ehemalige, also Rentner) und dem Solidaritätsprinzip auf. Die Rentenver- sicherung, aus deren Beiträgen die Rente finanziert wird, ist Bestandteil der Sozial- versicherung.

„Die beste Rente ist Fleiß, Tüchtigkeit, Arbeit und Erfolg, verbunden mit einem tannenbaumförmigen Altersaufbau.“

Dr. Henning Voscherau

Tannenbaumförmig war der Altersaufbau, als man den Generationsvertrag als Basis für das Rentensystem „schloss“, dies ist jetzt jedoch nicht mehr der Fall, vielmehr wurde aus dem einstigen „Nadelbaum“ eine Urne.

5.2 Notwendigkeiten einer Reformierung

5.2.1 Ausgangslage

Zur Zeit besteht bei jung und alt ein erheblicher Vertrauensverlust in unser Rentensystem. Die Jungen fragen sich, wieso sie so hohe Beiträge für ihre Renten- versicherung zahlen sollen, während sie sich doch gar nicht darauf verlassen kön- nen, dass, wenn sie einst im Rentenalter sind, noch etwas davon haben, sprich noch genug Geld im sogenannten Rententopf ist, dass sie eine Rente bekommen, wo doch die Zahl der Beitragszahler stetig fällt, während die Zahl der Rentenempfänger weiter wächst. Diese demografische Veränderung zwingt zu umfassenden Reformen, eine Beibehaltung des momentanen Systems würde ein unakzeptables Gerechtig- keitsdefizit nach sich ziehen. Die heutigen Beitragszahler würden eine Rente erhal- ten, die im Verhältnis zu den hohen Beiträgen viel zu niedrig wäre, da sonst aus dem vorhandenen Geld nicht der Bedarf gedeckt werden würde. Denn auf Dauer kann kein noch so gutes Rentensystem es verkraften, dass für immer mehr Rentner immer weniger Beitragszahler einen immer längeren Rentenbezug finanzieren. Die durch die hohen Rentenbeitragssätze steigenden Lohnnebenkosten (Kos-ten der Arbeitgeber neben denen für die Zahlung der Gehälter ihrer Arbeitnehmer) bremsen das Wirtschaftswachstum und gefährden Arbeitsplätze.

Auch die hohe Verschuldung der öffentlichen Hand und die knappen Kassen machen eine Finanzierung des bestehenden Rentensystems unmöglich.

5.2.2 Notwendigkeit der Reformierung

Wenn sie zukunftssicher sein soll, muss die gesetzliche Rentenversicherung auf Veränderungen reagieren. Verschiedene Entwicklungen haben eine besondere Auswirkung auf die gesetzliche Rentenversicherung. Diese sind: die veränderte demografische Entwicklung, also die veränderte Bevölkerungsentwicklung, der technologische Fortschritt und die damit verbundenen Veränderungen in der Arbeitswelt und der Wertewandel in der Gesellschaft.

5.3 Ziele und Voraussetzungen

Ziel der Rentenreform ist es, die Alterssicherung zukunftsfähig zu gestalten und auf die weitere demografische Entwicklung vorzubereiten. Die heutigen und zu- künftigen Beitragszahler dürfen nicht überfordert werden und das Leistungsniveau muss auch für zukünftige Rentner/innen auf einem angemessenen Standard gehal- ten werden. Nachhaltige Grundlagen für die Zukunftsfestigkeit der Rentenversiche- rung und des gesamten Alterssicherungssystems müssen dabei geschaffen werden. Dazu ist es notwendig, den Beitragssatz in der Rentenversicherung zu stabilisieren, damit sollen auch die Lohnnebenkosten begrenzt werden und die Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung und zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland geschaffen werden.

Voraussetzungen für eine entsprechende Reform ist zum einen das Erlangen eines überparteilichen Konsenses, die Regierungspartei kann die notwendige umfas- sende Rentenreform nicht allein tragen, es ist notwendig, dass sie mit der Opposition an einem gemeinsamen Strang zieht. Des weiteren muss Solidarität und Gerechtig- keit zwischen den einzelnen Generationen hergestellt werden, das heißt die junge Generation muss die heutige Rentengeneration angemessen unterstützen, während die ältere Generation nicht auf Kosten der jungen Generation leben darf.

5.4 Reformen / Reformvorschläge

Die Kernelemente der Rentenstrukturreform, die die Missstände im heutigen Rentensystem beheben und zu mehr Gerechtigkeit innerhalb desselbigen führen sol- len, sind zum ersten die grundlegende Modernisierung der Alterssicherung durch den Aufbau einer kapitalgedeckten zusätzlichen Altersvorsorge. Als Steuerungselement zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenreform soll ein Aus- gleichsfaktor eingefügt werden. Verschämte Armut im Alter, das heißt, dass ältere Menschen, bzw. ältere Menschen, die wegen Krankheit nur vermindert erwerbsfähig sein können, lieber auf ihnen zustehende Sozialleistungen verzichten und ihre Be- dürftigkeit verbergen, weil sie fürchten, dass für die Zahlung dieser Leistungen ihre Kinder, die vielleicht eh schon nicht genug haben oder selber sparen müssen, zur Kasse gebeten werden, will man verhindern. Des weiteren soll auch das Hinterblie- benenrentenrecht einer Reform unterzogen, die eigenständische Alterssicherung von Frauen ausgebaut und kindbezogene Leistungen verbessert werden. Der Aufbau einer zu der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzlichen freiwil- ligen kapitalgedeckten Altersvorsorge des Einzelnen will der Staat auf breiter Ebene fördern. Der Aufbau soll im Jahr 2001 mit 0,5% des Bruttoverdienstes beginnen und erhöht sich in den folgenden Jahren um jeweils 0,5%, bis im Jahr 2008 der endgülti- ge Wert von 4% des Bruttoverdienstes erreicht ist. Dieser Wert von 4% ist notwendig um ein solides Fundament der zusätzlichen Alterssicherung zu schaffen. Die Förde- rung besteht also aus Zulagen oder gegebenenfalls im Sonderausgabenabzug der Sparaufwendungen, also Eigenleistung und Zulage. Förderungsberechtigt sind alle in der Rentenversicherung Versicherungspflichtigen. Die Förderung erstreckt sich dabei auf Anlagen, die bis zu Beginn der Altersrente gebunden sind und bei denen für die spätere Leistung zumindest die eingezahlten Beiträge garantiert werden. Es ist eine Mindesteigenleistung von 1% des Gesamtsparbetrages zu erbringen. Für die Zula- gen vom Staat gibt es Höchstgrenzen, diese sind für Alleinstehende 300 DM/Jahr pro Jahr, für Verheiratete 600 DM/Jahr und je kindergeldberechtigtes Kind 360 DM/Jahr Kinderzulage. Durch diese zusätzliche Vorsorge gelingt es, die Vorteile sowohl des Solidargedankens des Umlagesystems als auch die Ergiebigkeit der Kapitalmärkte zu nutzen.

Der Ausgleichsfaktor, den man in die Formel der Rentenberechnung einfügen will, ist das Steuerungselement, mit dem man die Leistungsfähigkeit des umlagenfi- nanzierten Rentensystem so steuern kann, dass bei einem Rentenniveau nicht unter 64% der Beitragssatz nicht mehr als 22% des Einkommens beträgt. Der stufenweise eingeführte Ausgleichsfaktor setzt im Jahr 2011 mit 0,3% ein und erhöht sich bis 2030 mit jedem Zugangsjahrgang um 0,3%, so erreicht er im Jahr 2030 seine Wir- kung von 6%. Er berücksichtigt zielgenau die Zeit, die der einzelne für die zusätzliche Altersvorsorge hatte und gleichermaßen besondere Lebenssituationen wie z.B. Erwerbsunfähigkeit.

Rückkehr zu den Grundsätzen der Nettoanpassung

Die Renten folgen auch in Zukunft der Lohnentwicklung. Die Rentenanpassun- gen sollen in Zukunft wieder an der Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen orien- tiert werden. Von Steueranpassungen und Veränderungen von Sozialversicherungs- beitragssätzen, die nichts mit Altersvorsorge zu tun haben, soll die Rentenanpas- sung nicht tangiert werden. Da der Anstieg des Beitragssatzes zur Rentenversiche- rung als Lohnkostenbestandteil die Versicherten insgesamt belastet, muss diese Veränderung bei der Rentenanpassung berücksichtigt werden. Auch sollen in Zukunft konsequent die Aufwendung für die private zusätzliche Altersvorsorge berücksichtigt werden, da diese notwendig sind, um auch im Alter einen angemessenen Lebensstil erreichen bzw. beibehalten zu können.

Kindbezogene Leistungen

Das Konzept zur Rentereform sieht außerdem weiterhin eine zielgenaue För- derung von Frauen vor, die Kinder erziehen., da diese durch kindererziehungsbe- dingte Lücken im Erwerbsleben oder unterdurchschnittlicher Löhne oft nur niedrige Rentenansprüche haben. Darum wird bei Erziehungspersonen, die während der ers- ten zehn Lebensjahre des Kindes erwerbstätig sind, aber wegen des Kindes diese Erwerbstätigkeit nur in Form von Teilzeitarbeit ausführen können, die ab 1992 erziel- ten individuellen Entgelte um 50% auf maximal 100% des Durchschnittseinkommen aufgewertet, sofern 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorliegen. Diese Regelung ist auch auf Personen anwendbar, die aufgrund eines pflegebedürftigen, z.B. behin- derten Kindes bis zu dessen 18.Lebensjahr nicht erwerbstätig sein können. Der kindbedingte Verdienstausfall, der bei der Rentenbemessung fehlen würde, wird also durch den Staat weitgehend ausgeglichen.

Um älteren Menschen die Geltendmachung bestehender Sozialhilfeansprüche zu erleichtern, wird auf den Rückgriff gegenüber unterhaltsverpflichteten Kindern verzichtet, wenn diese Personen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen beanspruchen oder erhalten. Das gleiche gilt für Menschen, die krankheitsbedingt nur vermindert erwerbsfähig sein können. Mit dieser Maßnahme soll die sogenannte verschämte Altersarmut verhindert werden.

Renten wegen verminderter Erwerbstätigkeit

Es wird eine zweistufige Erwerbsminderungsrente eingeführt, die bei einem Arbeitsrestleistungsvermögen von unter drei Stunden, also wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen höchstens drei Stunden arbeiten kann, eine Vollrente zahlt. Kann der Betroffene drei bis höchstens sechs Stunden arbeiten, wird nur eine halbe Rente gezahlt.

Die Grundsätze der Reform sollen auf andere bundesgesetzlich geregelte Al- terssicherungssysteme - insbesondere die Beamtenversorgung -übertragen wer- den.

5.5 Wirkungen der Reform

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Gesamtleistung aus gesetzlicher und zusätzlicher kapitalgedeckter Altersvorsorge wird langfristig deutlich über 70% liegen.

Mit diesem Rentenkonzept erfolgt die Lösung der sich aus demografischer

Entwicklung ergebenden Probleme in einer weise, die den Interessen von Wirtschaft, Beitragszahlern und Rentnern Rechnung trägt.

(Stand: 26.9.2000)

„Wir wollen Gerechtigkeit zwischen den Generationen , (...) den Solidargedan- ken durch die Ergiebigkeit der Kapitalmärkte ergänzen. Beides zusammen schafft eine (...) ertragreiche und vor allem zukunftsfeste Alterssicherung. Insbesondere Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen werden wir unter die Arme grei- fen(...).“

(SPD)

5.6 Reaktionen / Kritiken (Stand: Juli 2000)

(Das im Juli von Arbeitsminister Walter Riester vorgestellte Konzept zur Rentenre- form entspricht in den wesentlichen Eckpunkten dem Stand vom September 2000. Auf diese Eckpunkte beziehen sich auch die Meinungen/Kritiken der Parteien.)

Christian Wulff - CDU

Wulff sieht es noch immer als unklar an, mit welcher Rentenformel Bundeskanzler Schröder die Probleme zu lösen gedenkt.

„Es bleibt festzuhalten, die Sozialdemokraten übernehmen schrittweise und punktuell Teile des Konzepts der Union (...).“

Thomas Goppel - CSU

Die CSU wäre nur bereit zu Verhandlungen mit der Regierungspartei, wenn diese ihr „in Gänze(...)“ entgegenkomme, da die CSU auf ihren Bedingungen beharrt.

Wolfgang Gerhardt - FDP

Gerhardt wirft dem Bundeskanzler und dem Arbeitsminister vor, sie bewegten sich mit den neuen Angeboten an die Gewerkschaften rückwärts und nähmen somit höhere Beiträge in Kauf.

Dieter Hundt - Arbeitgeberpräsident

Hundt übte Kritik an den SPD - Vorschlägen, da diese in seinen Augen den tatsächlichen Notwendigkeiten nicht gerecht würden. Er hält die geplante Einführung des Generationenfaktors erst ab dem Jahre 2011 für verspätet.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sozialstaat BRD
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2000
Seiten
14
Katalognummer
V98571
ISBN (eBook)
9783638970228
Dateigröße
359 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialstaat
Arbeit zitieren
Gesine Drebenstedt (Autor:in), 2000, Sozialstaat BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98571

Kommentare

  • Gast am 16.4.2008

    ad.

    hehe, danke.

  • Gast am 27.4.2007

    Cool.

    Also ich finde das soziale netz der brd super cool nur leider verstehe ich es nicht könnte mir bitte jemand eine erklärung schreiben wie es funktioniert und auf gebaut is?!

    MFG
    KLAUS

  • Gast am 11.11.2001

    Vortrag.

    Hallo du da! Dank dir ist meine morgige Sozailkundestunde gerettet! Herzlichen Dank! Ich finde deine Arbeit echt super und muss sagen, du hast dir wirklich Mühe gegeben! Weiterhin viel Glück! Tschau und Gruss, Kathl

  • Gast am 12.6.2001

    Sozialstaat BRD.

    Hallo Gesine,
    leider reproduzierst Du v. a. das unselige Geschwätz der Politiker und fürstlich d. h. beamtenmäßig versorgten Experten.
    Alterssicherung ist immer ein Drei-Generationen-Vertrag, ob umlage- oder kapitalfinanziert. Seit der Rentenreform 1957 ist es leider so, daß gut verdienende Singles, Dinks und Kinderarme sich hohe Versorgungsansprüche auf Kosten der Familien mit mehreren Kinder aneignen. D. h. nur erwerbsmäßige unselbständige Arbeit führt zu Rentenansprüchen. Harte, qualifizierte Erziehungsarbeit wird wie seither auch künftig diskreditiert. Nach wie vor müsste eine Frau 13 Kinder gebären, um eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhalten. Eine eher durchschnittliche Sachbearbeiterin mit 35-Stunden-Woche und ca 35 jähriger Berufstätigekit erhält das Doppelte! Von wem?
    Es war schon immer so: die aktive Generation mußte für die Alten und zugleich für die Kinder sorgen. Wer keine Kinder aufzog mußte sich einkaufen. Heute scheinen unsere Sozialpolitiker, den umgekehrten Weg zu gehen...
    MfG Hermann

  • Gast am 9.5.2001

    Sozialstaat BRD.

    Ich find das echt super!Hat mir mein Leben gerettet!

Blick ins Buch
Titel: Sozialstaat BRD



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden