Erlebnispädagogische Maßnahmen in Sozialtherapeutischen Trainingsmaßnahmen


Seminar Paper, 2000

7 Pages, Grade: 1


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Inhaltsverzeichnis

1 Was ist eigentlich Erlebnispädagogik?
1.1 Eine Definition
1.2 Techniken
1.3 Arbeitsfelder

2 Aspekte der Sozialtherapie
2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung
2.2 Inhalte sozialtherapeutischer Maßnahmen

3 Wie kann Erlebnispädagogik zu sozialtherapeutischen Maßnahmen beitragen?
3.1 Erlebnispädagogik als Einstieg
3.2 Erlebnispädagogik als Verhaltenstraining
3.3 Was ist zu beachten?

4 Verwendete Literatur

1 Was ist eigentlich Erlebnispädagogik?

Zwei weitverbreitete Klischees zu diesem Thema:

a) Erlebnispädagogik ist oft nichts als unreflektierter purer Aktionismus, der eigentlich mehr mit Freizeitaktivität als Pädagogik zu tun hat
b) Erlebnispädagogik hat da eine Berechtigung, wo die Mittel herkömmlicher Pädagogik versagen: Bei Maßnahmen mit Jugendlichen, die schwer abweichendes Verhalten zeigen. Der Boom der Erlebnispädagogik der letzten Jahre hat eine unglaubliche Vielfalt von erlebnispädagogischen Aktivitäten entstehen lassen, die Szene ist eigentlich nicht mehr überschaubar. Eine einheitliche Theorie hat sich nicht entwickelt, die pädagogische Legitimation wurde vernachlässigt und teilweise auch nicht gewollt, um sich bewußt von der ,,verkopften" Theorie abzusetzen.

Als Gemeinsamkeit der Projekte mit dem Etikett ,,Erlebnispädagogik" läßt sich die Handlungsorientiertheit des Ansatzes und das Verlassen der Alltagswelt, bevorzugt durch Aktivitäten in der freien Natur, feststellen. Die zwei großen Gefahren für die Erlebnispädagogik sind hier auch gleich angelegt: Die Vernachlässigung der pädagogischkonzeptionellen Legitimation durch überbetonte Handlungsorientiertheit einerseits und die Vereinnahmung durch die kommerziellen Ausbeutungsformen des ,,Erlebens" und ,,Abenteuers" andererseits (vgl. Fachlexikon der Sozialen Arbeit, S.274 f.) - also Erlebnis als Selbstzweck und Verlust der pädagogischen Zielsetzung.

Bedingt durch das Dilemma eines fehlenden allgemein akzeptierten theoretischen Überbaus steht in jeder Studienarbeit zu diesem Thema die Definitionsfrage.

1.1 Eine Definition

Die Definition von Erlebnispädagogik, die ich für mich gefunden habe, orientiert sich eng an Schad (1995), dessen Gedanken zum Thema ich recht gelungen finde. Im Folgenden verstehe ich unter Erlebnispädagogik eine Methode, bei der eine nicht- alltägliche Situation erzeugt wird (Setting), in der die Teilnehmer über intensive Erlebnisse Erfahrungen zur Bearbeitung relevanter Themen der Entwicklung machen können, was zur Änderung von Einstellungen, Verhalten und Kommunikationspotentialen im Alltag führen soll. Der Transfer der Erfahrungen aus der nicht-alltäglichen Situation in die Alltagswelt der KlientInnen muß vom Erzieher/Sozialpädagogen auf eine ungezwungene Art und Weise ermöglicht und gefördert werden.

1.2 Techniken

Als Technik dient der Erlebnispädagogik alles, womit das Setting der nicht-alltäglichen Situation generiert werden kann. In der Öffentlichkeit bekannt wurde vor allem die pädagogische Nutzung von Natursportarten (Klettern, Kanu, Segeln, Höhlenklettern, Kajak, Rafting, Canyoning, - vgl. Heckmair & Michl 1993, S.152-155). Die pädagogische Zielsetzung von Abenteuersportarten liegt in der Ausübung in der freien Natur, wodurch schon mal eine nicht-alltägliche Situation für Menschen des postindustriellen Zeitalters gegeben ist, durch reale Risiken, bei denen die Teilnehmer automatisch eine Herausforderung erleben und durch den sozialen Aspekt der Sportarten - um die Herausforderung bewältigen zu können, ist der Einzelne auf die Gruppe angewiesen.

Nun muß man dafür nicht gleich Natursport betreiben. In der Öffentlichkeit weniger beachtete Techniken, der sich erlebnispädagogische Projekte bedienen, sind z.B. Rollenspiele, kreative Methoden, Selbsterfahrung, Theater etc., für die die oben genannten Eigenheiten ebenfalls zutreffen. Für meinen Begriff von Erlebnispädagogik ist nicht das Medium entscheidend, sondern der o.g. Dreischritt Setting - Herausforderung - Transfer in den Alltag. Weitere Techniken sind zum Transfer des Erlebten in die Alltagswelt der Teilnehmer erforderlich. Dies kann z.B. durch Paraphrasierung (verdeutlichende Umschreibung) geschehen. Am Beispiel des Abseilens auf einer Klettertour: Der Pädagoge kann das Wesen der Situation des sich-gegenseitig-Sicherns beschreiben und auf die psycho-soziale Ebene (Sicherheit verspüren, Verantwortung übernehmen) übertragen.

1.3 Arbeitsfelder

Es gibt eigentlich keinen (sozial-)pädagogischen Bereich, der nicht mit Erlebnispädagogik arbeitet, wobei der traditionelle Schwerpunkt im Jugendbereich zu finden ist. Eine sinnvolle Unterscheidung der Aktivitäten wäre die Differenzierung in kurz- und längerfristige Projekte. Kurzfristige Maßnahmen werden mit Gruppen durchgeführt, im Rahmen von Freizeitpädagogik oder als Teil größerer Konzepte - wobei von Anti- Aggressions-Training bis Behindertenarbeit das ganze Spektrum sozialer Arbeit vertreten ist. Erlebnispädagogische Ansätze werden auch zur Kompetenzentwicklung von Führungskräften in der Wirtschaft verwendet.

Längerfristige Projekte gibt es v.a. im Rahmen der sozialpädagogischen Einzelfallhilfe. Mit schwer verhaltensauffälligen bzw. deliquenten Jugendlichen, bei denen die Möglichkeiten der Heimerziehung an ihre Grenzen gestoßen sind, werden über mehrere Monate andauernde erlebnispädagogische Maßnahmen, bevorzugt auf dem Meer oder im Ausland, durchgeführt (im Rahmen des §35 SGB VIII). Das Setting der nicht-alltäglichen Situation hat hier den Nebeneffekt, daß die Jugendlichen Abstand zu einem gefährdendem Umfeld (z.B. Drogenszene) bekommen.

2 Aspekte der Sozialtherapie

2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung

,,Sozialtherapie ist die interdisziplinäre Behandlung von Klienten in ambulanten oder Stationären Gemeinschaften" (Fachlexikon der Sozialen Arbeit, S. 900). Um Verwirrungen zu vermeiden, sollte hier jetzt erst eine Begriffsabgrenzung stattfinden. Unter dem Begriff ,,Sozialtherapie" versteht man in der Regel die Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einer sozialtherapeutischen Justizvollzugsanstalt bzw. in einer sozialtherapeutischen Abteilung einer ,,normalen" JVA nach §9 StVollzG. Der Begriff der Sozialtherapie ist aber weiter gefaßt. ,,Behandlungsziel ist die Erweiterung der sozialen Handlungskompetenz durch Aktivierung der Eigenkräfte der Klientel" (ebd., S. 901). Im Folgenden verstehe ich unter Sozialtherapie die ambulante oder stationäre Behandlung von verhaltensauffälligen oder delinquenten (im Sinne von Gewalttätern) Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in Gruppen, an deren Ende eine Steigerung der sozialen Handlungskompetenz des Einzelnen stehen soll, um dem Klienten ein straffreies Leben zu ermöglichen. Die Sozialtherapie im Rahmen des Strafvollzugs spielt für diese Arbeit nahezu keine Rolle, da institutionelle Zwänge erlebnispädagogische Maßnahmen nicht zulassen. Mein Augenmerk richtet sich in erster Linie auf Soziale Trainingskurse bzw. Soziale Gruppenarbeit nach §10I Nr.6 JGG bzw. §29 SGB VIII, also ambulante sozialtherapeutische Maßnahmen.

2.2 Inhalte sozialtherapeutischer Maßnahmen

Im Wesentlichen geht es für die Klienten um die Erlangung Sozialer Kompetenz. Soziale Kompentenz ist nach Hingsch & Pfingsten ,,Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen führen"

(aus: Pintzke-Thiem 1999). Die meisten Gruppenkonzepte zum Training sozialer Kompetenz beziehen sich inhaltlich auf das Konzept der Selbstsicherheit und in der formalen Ausgestaltung auf die Anwendung des therapeutischen Rollenspiels. Aufgrund der Annahme, daß Gewalttäter Merkmale von unsicherem oder aggressiven Verhalten aufweisen, ist das Ziel sozialtherapeutischer Maßnahmen, daß die Teilnehmer Wissen und Können erwerben, die für eine Legalbewährung notwendig sind. Dieses Wissen und Können wird erworben durch:

- Informations- und Wissensvermittlung (auf der praktischen Alltagsebene sowie auf der Verhaltensebene
- Einüben neuer Verhaltensweisen / Überprüfung von vorhandenem Verhaltensrepertoire (Rollenspiele mit Video-Feedback)
- Modellernen (im Rollenspiel und am Trainer)
- Transfer der exemplarischen Situation des Trainings auf die allgemeine Lebenssituation (vgl. Pientzke-Thiem 1999)

Sog. Anti-Aggressions-Trainings in Haft bzw. ambulant im Rahmen von §10I Nr.6 JGG (Weisungen) sind inhaltlich nahezu identisch mit dem oben vorgestellten Konzept des Soziale-Kompetenz-Trainings.

3 Wie kann Erlebnispädagogik zu sozialtherapeutischen Maßnahmen beitragen?

3.1 Erlebnispädagogik als Einstieg

Beim von der Nürnberger Bewährungshilfe angebotenen Anti-Gewalt-Training ist der Beginn der Maßnahme ein erlebnispädagogisch orientiertes Wochenende (Canyoning mit Bergführer). Ziel dieser Maßnahme ist es,

a) aus den Teilnehmern, die vom Gericht zu der Maßnahme verpflichtet wurden, eine gut eingespielte Gruppe zu formen
b) daß die Trainerinnen die Gruppe kennenlernen können, insbesondere wie die einzelnen Teilnehmer in Extremsituationen reagieren
c) daß die Teilnehmer bei der Extremsituation an ihre Grenzen kommen, und sich der Gruppe insofern öffnen müssen, da sie ihre selbst zugeschriebene Rolle (cool und überlegen) nicht permanent ausfüllen können.

Die beteiligten Trainerinnen berichten, daß das Canyoning-Wochenende sich als Einstieg in das Anti-Gewalt-Training bewährt hat.

Erlebnispädagogische Maßnahmen sind in hohem Maße dazu geeignet, daß sich aus Individuen eine Gruppe bildet. Die Herausforderung der nicht-alltäglichen Situation kann vom Pädagogen so gestaltet werden, daß gemeinsame Problemlösungsstrategien erforderlich sind. Besonders geeignet für verhaltensauffällige bzw. delinquente Jugendliche und junge Erwachsene ist das Moment des Abenteuers wie, z.B. bei Natursportarten. Durch eine gemeinsame Problemlösung bereitet eine erlebnispädagogische Maßnahme die Teilnehmer quasi spielerisch auf die Inhalte des Trainingsprogramms vor.

3.2 Erlebnispädagogik als Verhaltenstraining

Die in 2.2 aufgeführten Inhalte sozialtherapeutischen Trainings lassen sich ohne großen Aufwand in erlebnispädagogischen Maßnahmen integrieren. Für die Entwicklung und Erprobung neuer Verhaltensweisen sind insbesondere Aktionen geeignet, in denen der Themenkomplex ,,Verantwortung und Vertrauen" eine Rolle spielt - z.B. Klettern, Zweier- Kanu oder das Führen des Partners mit verbundenen Augen durch unbekanntes Gelände. Zur Entwicklung von Sozialer Kompetenz geeignet sind weiterhin Problemstellungen, die Teamwork erfordern - z.B. die Gruppe muß mit Kompaß und Karte zu einem vereinbarten Treffpunkt finden oder das ,,gemeinsame Kochen" aus dem Erlebnispädagogik-Seminar (Entwickeln eines Gesamtkonzepts in weitgehend unabhängig voneinander arbeitenden Kleingruppen). Hierbei wäre es wichtig zu reflektieren, welche gemeinsamen Strategien zu einem Erfolg führen bzw. welche weniger geeignet sind.

Das Reflektieren des eigenen Verhaltens per Videoaufzeichnung läßt sich in erlebnispädagogischen Aktionen i.d.R. technisch nicht durchführen, man kann das Verhalten des Einzelnen mit ähnlichen Ergebnissen aber auch durch die Gruppe reflektieren lassen.

3.3 Was ist zu beachten?

Das Klientel in sozialtherapeutischen Maßnahmen nimmt i.d.R. nicht oder nur bedingt freiwillig teil. Da es sich zumeist um Vollzugsersatzmaßnahmen handelt, haben die beteiligten Professionellen einen klar definierten, zeitlich begrenzten Erziehungsauftrag - die Klienten sollen Fertigkeiten erwerben, die sie zur Legalbewährung befähigen. Das Klientel - verhaltensauffällige und delinquente Jugendliche und junge Erwachsene - stellt auch besondere Anforderungen an das Setting. Ob es sich nun um die nicht-alltägliche Situation der Erlebnispädagogik handelt oder um therapeutische Rollenspiele - die Herausforderung muß für die Teilnehmer möglichst echt und ernstzunehmend sein. Von daher sind Natursportarten als Medium geeigneter als z.B. Theater.

Das Gelernte in die Alltagswelt zu übertragen, nimmt bei sozialtherapeutischen Maßnahmen einen herausragenden Stellenwert ein. Die Mehrzahl des Klientels hat auffällige bzw. dissoziale Verhaltensweisen internalisiert. Das Training sozialer Kompetenz bleibt ohne den Transfer in den Alltag situativ. Nichts desto trotz gilt auch hier der Grundsatz, daß von einer ,,verordneten Reflexion" durch den Professionellen abzusehen ist - der Transfer in die Alltagswelt muß als Angebot definiert sein und möglichst ungezwungen vom Erzieher / Sozialpädagogen in die Maßnahme integriert werden.

Weil das Klientel fasziniert vom Moment des Abenteuers ist, ist es in diesem Zusammenhang auch besonders wichtig, über Sicherheits- und Haftungsfragen Bescheid zu wissen (vgl. Volkersen) bzw. - wie im Fall des Anti-Gewalt-Trainings der Nürnberger BWH - einen professionellen Natursportler mit in der Maßnahme zu haben.

4 Verwendete Literatur

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge: 1997 Fachlexikon der Sozialen Arbeit 4, Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer

Heckmair, Bernd; Michl, Werner, 1993: Erleben und Lernen - Einstieg in die Erlebnispädagogik Neuwied / Kriftel / Berlin: Luchterhand

Pitnzke-Thiem, Anne, 1999: Materialien zum Seminar ,,Durchführung von Verhaltenstrainingsprogrammen" im Schwerpunkt Resozialisierung an der GSO-FH Nürnberg - Sammlung von Arbeitsblättern

Schad, Gerhard; 1995: Erlebnispädagogik: ein pädagogisches Konzept, aus: erleben und lernen 3&4/95

I. Volkersen, Nils: Risiko verantworten - Erlebnispädagogik und Recht, aus: Seidl, Bernhard: Ergänzende Unterlagen zum BMG Fach Erlebnispädagogik, Sommersemester 2000

Excerpt out of 7 pages

Details

Title
Erlebnispädagogische Maßnahmen in Sozialtherapeutischen Trainingsmaßnahmen
College
University of Applied Sciences Nuremberg
Course
Seminar Erlebnispädagogik
Grade
1
Author
Year
2000
Pages
7
Catalog Number
V98079
ISBN (eBook)
9783638965309
File size
434 KB
Language
German
Keywords
Erlebnispädagogische, Maßnahmen, Sozialtherapeutischen, Trainingsmaßnahmen, Seminar, Erlebnispädagogik
Quote paper
Andreas Meier (Author), 2000, Erlebnispädagogische Maßnahmen in Sozialtherapeutischen Trainingsmaßnahmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98079

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