Über Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür"


Ausarbeitung, 1998

15 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Der Autor und sein Werk

Kurze Inhaltsübersicht

Das Vorspiel

1. Szene: Beckmann mit dem Anderen am Ufer der Elbe

2. Szene: Beckmann bei dem Mädchen - Der Einbeinige

3. Szene: Beckmann im Hause des Oberst

4. Szene: Beckmann und der Direktor des Kabaretts

5. Szene: Beckmann im Hause seiner Eltern

Beurteilung des Stückes

Literaturnachweis

Der Autor und sein Werk

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wolfgang Borchert1 ist nur 26 Jahre alt geworden: Er ist am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren und am 20. November 1947 in Basel gestorben. Seine literarische Laufbahn vollzog sich praktisch nur in den Jahren vom Kriegsende bis zu seinem Tode.

Die Eltern Borcherts lebten in Mecklenburg, ehe sie nach Hamburg übersiedelten. Hier arbeitete de Vater als Volksschullehrer. Die Mutter hatte den Umzug in die Großstadt nie verwinden können. Aus diesem Grund veröffentlichte Sie plattdeutsche Erzählungen in Zeitungen und im Rundfunk. Daneben brachte sie ein Prosabändchen heraus, was ihr einen guten Ruf als Heimatdichterin einbrachte. Die Kinderjahre erschienen Borchert immer als Paradies, was an dem Einfluss seiner Mutter auf seine Jugend lag.

Borchert besuchte in den Jahren von 1928 - 1932 die Volksschule. 1938 verließ er die Oberrealschule, auf der er sich von einem anfangs guten Schüler zu einem sehr schlechten entwickelt hatte. Die Hitlerjugend versuchte Borchert dadurch zu meiden, dass er in einem Musikzug als Flötenspieler mitwirkte. Später konnte er durch seine angegriffene Gesundheit dem Dienst in der HJ fernbleiben.

Borchert hatte den Wunsch, Schauspieler zu werden. Seine Eltern drängten allerdings auf einen soliden Beruf, so dass er am 1. April 1939 eine Lehre als Buchhändler begann. Da ihn dieser Beruf nicht befriedigte, nahm er heimlich Schauspielunterricht. Borchert traf sich mit gleichgesinnten Freunden zu literarischen Diskussionsabenden, auf denen streng verbotene expressionistische und eigene Gedichte vorgelesen wurden. Im April 1940 wurde er aufgrund einer Denunziation erstmalig eingesperrt. Nachdem er diese Verdächtigungen offenbar erfolgreich widerlegen konnte, hätte er mit seinen politischen Äußerungen sehr vorsichtig sein sollen, vor allem, weil bereits seine Eltern angezeigt wurden. Da er aber sehr mitteilungsbedürftig war, konnte er die erforderliche Zurückhaltung und Vorsicht nicht walten lassen.

Borchert arbeitete unterdessen verbissen an seinem Ziel, Schauspieler werden zu können.

Endlich am Ende des Jahres 1940 stellte er sich der ,,Reichstheaterkammer" zur Eignungsprüfung. Er erhielt nach drei Wochen sein Schauspielerdiplom und ein Engagement an der Landesbühne Osthannover. Durch die Arbeit an dieser Bühne verlor er einige Illusionen, die er sich im Zusammenhang mit dem Theater gemacht hatte. In der damaligen Zeit konnten ohnehin nur Stücke gespielt werden, die den Nazis angenehm waren.

Im Mai 1940 erhielt er den Einberufungsbefehl und wurde einer Panzer-Nachrichteneinheit zugeteilt. Er litt unter den Verhältnissen bei der Wehrmacht, den Erniedrigungen während der Ausbildung und der Sturheit seiner Kameraden. Nach der Ausbildung zum Funker wurde er sofort an die Ostfront abkommandiert. Hier erlebte der die deutsche ,,Generaloffensive" gegen Moskau mit. Die völlig unzureichend ausgerüsteten deutschen Soldaten konnten den Angriff wegen des starken sowjetischen Widerstandes und vor allem wegen des russischen Winters nicht fortsetzen. Die Zahl der Erfrierungen übertraf zeitweilig die Zahl der Verwundeten, die nicht gering war.

Durch eine Verwundung der linken Hand, bei der Borchert den Mittelfinger verlor, wurde er in ein Lazarett eingeliefert, in dem er sich außerdem noch mit Diphtherie und Gelbsucht infizierte. Nach Darstellung von Borchert kam es zu der Verwundung, weil in einem Deckungsgraben plötzlich ein Russe auftauchte, der ihn anfiel. Bei dem Kampf löste sich ein Schuss aus Borcherts Gewehr, der die Hand verletzte. Der Russe flüchtete aus Furcht vor weiteren Deutschen, die Borchert hätten zur Hilfe kommen können.

Weil der Feldwebel Borchert unterstellte, dass er sich die Verletzung absichtlich beigebracht hätte, um dem Dienst an der Front fernbleiben zu können, wurde er nach der Genesung verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Nürnberg gebracht. Die Anklage behauptete, er habe sich die Verstümmelung selbst zugefügt, um sich wehrdienstunfähig zu machen.

Erschwerend wurden noch inzwischen beschlagnahmte Briefe hinzugezogen, die eine eindeutige Stellungnahme gegen den Nazistaat enthielten. Die Anklagevertretung hatte den Tod durch Erschießen beantragt. Das Gericht hielt die Darstellungen Borcherts für glaubhaft und verurteilte ihn nach dreimonatiger Einzelhaft zu verschärftem Arrest mit anschließender Frontbewährung.

Im November 1942 wurde Borcherts Bataillon wieder nach Russland verlegt. Hier wurde er als Melder ohne Waffe eingesetzt. Nach Erfrierungen an den Füßen wurde Borchert wieder in ein Lazarett gebracht, unter anderem auch, weil sich wieder Fieberanfälle und Gelbsucht einstellten. Es bestand zeitweilig der Verdacht auf eine Fleckfieberinfektion, der sich jedoch nicht bestätigte. In diesem Seuchenlazarett konnte er aus dem Fenster die Gräber von 700 Fleckfiebertoten sehen.

Zur Genesung wurde er in ein Heimatlazarett in den Harz überwiesen. Entlassen in einen längeren Urlaub besuchte er seine Heimatstadt Hamburg, die bereits zu diesem Zeitpunkt durch Fliegerangriffe zur Hälfte zerstört war. Als er im Oktober wieder zurück zu seiner Einheit kam, begannen die Fieberanfälle und Leberbeschwerden wieder. Borchert sollte wegen Dienstuntauglichkeit aus der Wehrmacht entlassen und zu einem Fronttheater abgestellt werden. Einen Tag vor der Entlassung wurde er wieder verhaftet, weil er wegen politischer Witze, einer Parodie auf Goebbels, denunziert wurde. Aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen konnte er mit einer erneuten schweren Bestrafung rechnen. Er war daher bemüht, Zeugen für sich zu sammeln. Anfang 1944 wurde er n das Untersuchungsgefängnis in der Lehrter Str. in Tiergarten überführt. Hier ließ man Borchert neun Monate schmoren, ehe es zum abschließenden Prozess kam. Die Gefangenen hatten in diesem Gefängnis unter den Haftbedingungen besonders zu leiden, weil die sanitären Einrichtungen vollkommen unzureichend waren. Hinzu kamen die unablässigen Luftangriffe der alliierten Luftstreitkräfte auf Berlin. Während dieser Bombardements ließ man die Gefangenen in den Zellen.

Am 4. September 1944 wurde dann der Prozess eröffnet. Es konnte tatsächlich erreicht werden, dass Borchert keine zusätzliche Strafe zu der bereits verbüßten ,,Untersuchungshaft" absitzen musste. Ihm kamen für ihn positive Zeugenaussagen und die Tatsache zugute, dass er das Panzerkampf-Abzeichen sowie die Ost-Medallie erhalten hatte. Das Urteil lautete dann: ,,wegen Zersetzung der Wehrkraft neun Monate Gefängnis unter Anrechnung von fünf Monaten Untersuchungshaft". Die restliche Strafe wurde gegen ,,Feindbewährung"ausgesetzt.

Die Frontbewährung musste Borchert jedoch nicht mehr über sich ergehen lassen. Als seine Kompanie südlich des Mains eingesetzt werden sollte, flüchteten bereits die Offiziere. Die Mannschaften ließen sich von den Franzosen in Gefangenschaft nehmen. Aus der französischen Gefangenschaft floh er und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hamburg. Unterwegs wurde er von Amerikanern gefangen. Allerdings halfen ihm dort seine Haftvermerke weiter. Am 10. Mai erreichte er schließlich wieder unter großen Qualen Hamburg.

Nach einigen Versuchen, im Nachkriegsdeutschland ein Theater aufzubauen, brach die Krankheit Borcherts vollends durch und er konnte ab dem Winter 1945/46 das Bett nicht mehr verlassen. Die Ärzte der Krankenhäuser, in denen sich Borchert aufgehalten hatte, konnten die Krankheit weder diagnostizieren, noch heilen. Diese Zeit war allerdings die Phase, in der Borcherts fast hektische Schaffensperiode begann. Am 21. Januar 1946 schrieb er die Erzählung ,,Die Hundeblume". Zu Ostern 1946 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Borchert glaubte zu diesem Zeitpunkt noch fest an eine Genesung. Die Ärzte hatten den Eltern jedoch bereits die ungünstige Prognose vermittelt. Borchert schrieb bis zum Jahresende 24 Prosastücke. 1946 wurde ein Gedichtband mit Werken aus den Jahren 1940 - 1945 mit dem Namen ,,Laterne, Nacht und Sterne" veröffentlicht. 1947 folgte dann die Sammlung ,,Die Hundeblume".

Im Januar 1947 schrieb er in acht Tagen das Drama ,,Draußen vor der Tür". Dieses Werk wurde bereits am 13. Februar 1947 als Hörspiel gesendet. Die Aufführung des Dramas im Rundfunk machte Borchert schlagartig bekannt. Als Folge nahmen verschiedene Theater in Deutschland das Stück in ihre Spielpläne auf.

Freunde bemühten sich, Borchert einen Kuraufenthalt in der Schweiz zu vermitteln. Die Ausreise aus Deutschland war offenbar zu jener Zeit ein großes Problem, bei dem viele bürokratische Hindernisse zu überwinden waren. So konnte Borchert erst im September 1947 im Liegewagen in die Schweiz reisen.

Er starb am 20. November 1947.

Am folgenden Tag wurde sein Stück ,,Draußen vor der Tür" in Hamburg uraufgeführt. Von Hamburg trat sein Drama einen Siegeszug durch die Theater Deutschlands an und ging in die Geschichte der Weltliteratur ein.

Kurze Inhaltsübersicht

Bei dem Theaterstück ,,Draußen vor der Tür" handelt es sich um die Geschichte eines deutschen Soldaten der aus russischer Gefangenschaft in das kriegszerstörte Deutschland wieder zurückkehrt. Hier findet er keine Verehrung etwa als Kriegsheld oder Mitleid über seine Behinderung, sondern die Leute sind damit beschäftigt, sich mit den eigenen Problemen auseinander zusetzen.

Diese Stimmung wird meines Erachtens bereits im Epilog zum Stück in einer vielsagenden Art und Wiese zum Ausdruck gebracht:

Ein Mann kommt nach Deutschland.
Er war lange weg der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er
kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher
Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich - auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld musste er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
Ein Mann kommt nach Deutschland.
Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muss sich während der
Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er
wacht oder träumt. Aber dann sieht er, dass es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben. Und er denkt, dass es dann doch die Wahrheit sein muss. Ja, und als er dann am Schluss mit leerem Magen und kalten Füßen wieder auf der Straße steht, merkt er, dass es eigentlich nur ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. Von einem Mann der nach Deutschland kommt, einer von denen. Einer von denen, die nach Hause kommen und dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im
Regen auf der Straße.
Das ist ihr Deutschland.2

Das Vorspiel

Das Stück beginnt mit einem Vorspiel, in dem der Tod als überfressener, rülpsender Bestatter erscheint, der durch die vielen Toten (der letzten Kriege) reich geworden ist. Ebenfalls in dieser Szene tritt Gott in der Gestalt eines alten Mannes auf, der vergeblich um seine Kinder weint.

Das Vorspiel wird eingeleitet mit einem Monolog des Todes. Hierbei beobachtet er, wie ein Mensch, es handelt sich um den Heimkehrer Beckmann, in die Elbe springt, um sein Leben zu beenden. In dem folgenden Dialog zwischen Gott und dem Tod, beklagt Gott, dass er nichtsändern kann an den vielen Toten.

Im zweiten Teil des Vorspiels, ,,der Traum", erscheint die Elbe, in die gerade Beckmann gesprungen ist, um sich das Leben zu nehmen. Die Elbe entscheidet allerdings, dass Beckmann sich nicht so einfach das Leben nehmen darf, selbst wenn er kein Zuhause, keine Frau und nichts zu essen hat. Andere müssten dieses Schicksal ebenfalls tragen. Die Elbe ,,schmeißt" Beckmann bei Blankenese wieder an den Strand.

1. Szene: Beckmann mit dem Anderen am Ufer der Elbe

Mit der ersten Szene beginnt das eigentliche Stück. Beckmann steht nunmehr am Ufer der Elbe. Er ruft und erhält tatsächlich Antwort von dem Anderen . In der Gestalt des Anderen findet sich Beckmann selbst, als den Teil seiner Persönlichkeit, der eine wesentlich positivere Sicht der Dinge hat, als Beckmann.

Der Andere fragt ihn nach dem Vornamen, Beckmann antwortet, dass er jetzt nur noch ,,Beckmann" hieße, weil ihn seine Frau so nannte, als er am Vortag nach Hause kam und dort seinen Platz mit einem anderen Mann besetzt fand. Wir erfahren weiter, dass sein Sohn bei den Bombenangriffen ums Leben kam.

Plötzlich erscheint ein Mädchen am Elbstrand, holt Beckmann aus dem Wasser. Das Mädchen bringt es fertig, Beckmann von seinen Selbstmordgedanken abzubringen und bietet ihm Hilfe an. Der Andere bleibt am Strand und kommentiert den Abgang der beiden mit den Worten:

Erst lassen sie sich ins Wasser fallen und sind ganz wild aufs Sterben versessen. Aber dann kommt zufällig so ein anderer Zweibeiner im Dunkeln

vorbei, so einer mit Rock, mit einem Busen und langen Locken. Und dann ist

das Leben wieder ganz herrlich und s üß . 3

2. Szene: Beckmann bei dem Mädchen - Der Einbeinige

Das Mädchen nimmt Beckmann mit nach Hause und gibt ihm trockene Kleidung. Wie Beckmann dann erfährt, wartet das Mädchen selbst auf ihren Mann, der seit Jahren in russischer Gefangenschaft sein muss. Die ihm angebotene Kleidung ist von ihrem Mann. Beckmann ist entsetzt über die Vorstellung, dass er jetzt den Platz eines Mannes einnimmt, der noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt ist. Er befindet sich in der gleichen Lage, wie er es von seiner Frau und deren Lover erfahren hat. Das Mädchen, findet jedoch Gefallen an Beckmann und auch er scheint nicht abgeneigt zu sein, sich mit ihr einzulassen. Plötzlich taucht der Mann des Mädchens auf. Er geht an Krücken, weil er sein Bein in Russland gelassen hat. Der Einbeinige kennt Beckmann und wiederholt ständig dessen Namen. Beckmann erinnert sich, dass er dem Mann des Mädchens den Befehl gab, seine Stellung bis zuletzt zu halten. Der Andere rät Beckmann, die Verantwortung dem Offizier zurückzugeben, der ihm diese an der Front für seinen Zug seinerzeit übertragen hatte.

3. Szene: Beckmann im Hause des Oberst

Der Offizier hat nach seiner Rückkehr aus dem Krieg offenbar nicht so große Schwierigkeiten, wie diese die anderen Menschen erfahren mussten: Der Tisch ist reichlich gedeckt, die Familie beisammen. Der Oberst gehört zu den Menschen, die auch in schwierigen Situationen immer wieder auf die Beine kommen. Beckmann besucht die Familie, als diese beim Abendessen sitzt. Man fühlt sich durch das Auftauchen des zerlumpten Soldaten gestört. Der Oberst fragt Beckmann mit Blick auf seine Frisur, ob er etwas ausgefressen habe. Beckmann antwortet:

Jawohl, Herr Oberst. Bin irgendwo mit eingestiegen. In Stalingrad, Herr Oberst. Aber die Tour ging schief, und sie haben uns gegriffen. Drei Jahre haben wir gekriegt, alle hunderttausend Mann. Und unser Häuptling zog sich Zivil an und aßKaviar. Drei Jahre Kaviar. Und die anderen lagen unterm Schnee und hatten Steppensand im Mund. Und wir löffelten heißes Wasser. Aber der Chef musste Kaviar essen. Drei Jahre lang. Und uns haben sie die Köpfe abrasiert. Bis zum Hals - oder bis zu den Haaren, das kam nicht so genau darauf an. Die Kopfamputierten waren noch die Glücklichsten. Die brauchen wenigstens nicht ewig Kaviar zu löffeln.4

Der Oberst versteht nicht, weshalb ein ehemaliger Soldat, so reagieren kann, und behandelt

Beckmann entsprechend.

Ich habe stark den Eindruck, dass Sie einer von denen sind, denen das bisschen Krieg die Begriffe und den Verstand verwirrt hat. Warum sind Sie nicht Offizier geworden? Sie hätten zu ganz anderen Kreisen Zugang gehabt. Hätten `ne anständige Frau gehabt, und dann hätten Sie jetzt auch `n anständiges Haus. Wärn ein ganz anderer Mensch. Warum sind Sie kein Offizier geworden?5

Der Familie ist dieser ungebetene Gast mittlerweile sehr lästig geworden. Der Oberst vertröstet seine Angehörigen, weil er die Soldaten kenne.

Beckmann erzählt dem Oberst von seinem Albtraum, in dem der Tod mit menschlichen Knochen Xylophon spielt. Zu der Melodie der ,,Alten Kameraden" stehen Gefallenen aus den Massengräbern auf. Der General übergibt die Verantwortung für die Geistertruppe Beckmann und er möge abzählen lassen. Doch die Toten weigern sich und brüllen immer wieder ,,Beckmann". Diesen Traum habe er jede Nacht und wache dann schreiend auf. Er komme nun zum Oberst, weil er wieder schlafen können wolle und will die übertragene Verantwortung wieder zurückgeben.

Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück. Haben Sie das ganz vergessen, Herr Oberst? Den 14. Februar? Bei Gorodok. Es waren 42 Grad Kälte. Da kamen Sie doch in unsere Stellung, Herr Oberst, und sagten: Unteroffizier Beckmann. Hier, habe ich geschrien. Dann sagten Sie, und Ihr Atem blieb an Ihrem Pelzkragen als Reif hängen - das weiß ich noch ganz genau, denn Sie hatten einen sehr schönen Pelzkragen - dann sagten Sie: Unteroffizier Beckmann, ich übergebe Ihnen die Verantwortung für zwanzig Mann. Sie erkunden den Waldöstlich von Gorodok und machen nach Möglichkeit ein paar Gefangene, klar? Jawohl, Herr Oberst habe ich da gesagt. Und dann sind wir losgezogen und haben erkundet. Und ich - ich hatte die Verantwortung. Dann haben wir die ganze Nacht erkundet, und dann wurde geschossen, und als wir wieder in der Stellung waren, da fehlten elf Mann. Und ich hatte die Verantwortung. Ja, das ist alles, Herr Oberst. Aber nun ist der Krieg aus, nun will ich pennen, nun gebe ich Ihnen die Verantwortung zurück, Herr Oberst, ich will sie nicht mehr, ich gebe sie Ihnen zurück, Herr Oberst.6

Der Oberst entgegnet, dass das mit der Verantwortung nicht so gemeint gewesen sei. Doch Beckmann will sich damit nicht zufrieden geben. Beckmann gibt seine Ängste vor den Fragen der Angehörigen der Gefallenen wieder, die ihn nach den Albträumen heimsuchen. Er fragt den Oberst, ob er denn nicht die vielen tausend Stimmen höre, von denen, für die er die Verantwortung getragen habe. Zunächst ist der Oberst verunsichert, dann siegt aber sein Preußentum und er lacht, zieht den Vortrag Beckmanns ins lächerliche, will Beckmann dabei aber nicht verletzen. Er empfiehlt ihm seinen vermeintlichen Humor auf der Bühne zu verkaufen. Vorher solle erst einmal wieder ein Mensch werden, in dem er seine zerlumpte Uniform wegwirft und die alte Kleidung des Oberst anzieht. Da entsteht ein Tumult, weil Beckmann nicht verstehen kann, das ihn der Oberst in seinem jetzigen Aufzug nicht als Mensch identifizieren kann. In diesem Tumult wird es dunkel und Beckmann verschwindet mit einer Flasche Rum und einem halben Laib Brot. Er macht sich gleich daran, den Schnaps auszutrinken. Ermuntert durch den Alkohol sieht er die Welt wieder optimistisch. Er will, bewogen durch den Lachanfall seines Oberst, will er jetzt zum Kabarett gehen, das er als den ,,ganz großen Zirkus", die Welt, identifiziert.

4. Szene: Beckmann und der Direktor des Kabaretts

Beckmann bietet sich dem Kabarettdirektor als Komiker an. Der Direktor ruft nach Avantgardisten, die das leidvolle Gesicht der Zeit präsentieren sollen. Beckmann, der dieses Gesicht vollkommen repräsentiert, empfiehlt er allerdings, die Gasmaskenbrille abzunehmen. Sein Plädoyer für die Wahrheit entpuppt sich als Phrase, weil er den Zuschauern nicht zumuten möchte, sich mit den Themen zu befassen, die Beckmann gegenwärtig berühren. Beckmanns zur Probe vorgetragenes Lied wird vom Direktor zwar als nicht schlecht bewertet, habe aber zu wenig Esprit und Erotik. Das Verhalten des Direktors wird dem Untertitel des Stückes gerecht, der lautet: ,,Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will".

Frustriert verlässt Beckmann das Kabarett und will sich wieder in die Elbe stürzen. Der Andere schlägt jedoch vor, die Wohnung der Eltern aufzusuchen.

5. Szene: Beckmann im Hause seiner Eltern

Beckmann träumt von der Vergangenheit, er möchte jetzt einfach nur die Idylle des bürgerlichen Daseins genießen. Aber anstelle des bekannten Messingschildes mit seinem Namen, befindet sich jetzt ein fremder Name an der Wohnungstür.

Er klingelt und esöffnet ihm eine Frau Kramer, die ihm umständlich erklärt, dass seine Eltern Selbstmord nach dem Krieg begangen hätten.

Das nachstehende Zitat aus dieser Szene wird nunmehr erklären, weshalb die Eltern in den Freitod gegangen sind. Man vermisst an dieser Stelle des Stückes eine politische Kommentierung der Ursachen des Weltkrieges. Für sich genommen, kann unter dem Aspekt des leidenden Beckmanns eine Missdeutung gerade dieser Passage möglich sein.

FRAU KRAMER (vertraulich, schlampig, auf rauhe Art sentimental): Na, Sie sind vielleicht `ne Marke, Sie komischer Sohn. Gut, Schwamm drüber. Tausend Tage Sibirien ist auch kein Spaß. Versteh schon, wenn man dabei durchdreht und in die Knie geht. Die alten Beckmanns konnten nicht mehr, wissen Sie. Hatten sich ein bisschen verausgabt im Dritten Reich, das wissen Sie doch. Was braucht so ein alter Mann noch Uniform zu tragen. Und dann war er ein bisschen doll auf die Juden, das wissen Sie doch, Sie, Sohn, Sie. Die Juden konnte Ihr Alter nicht verknusen. Die regten seine Galle an. Er wollte sie alle eigenhändig nach Palästina jagen, hat er immer gedonnert. Im Luftschutzkeller, wissen Sie, immer wenn eine Bombe runterging, hat er einen Fluch auf die Juden losgelassen. War ein bisschen sehr aktiv, Ihr alter Herr. Hat sich reichlich verausgabt bei den Nazis. Na, und als das braune Zeitalter vorbei war, da haben sie ihn hochgehen lassen, den Herrn Vater. Wegen den Juden. War ja ein bisschen doll, das mit den Juden. Warum konnte er auch seinen Mund nicht halten. War eben zu aktiv, der alte Beckmann. Und als es nun vorbei war mit den braunen Jungs, da haben sie ihm mal ein bisschen auf den Zahn gefühlt. Na, und der Zahn war faul, das muss man wohl sagen, der war ganz oberfaul

..Und das hat den beiden Alten den Rest geben. Da konnten sie wohl nicht mehr. Und sie mochten auch nicht mehr. Na, da haben sie sich dann selbst endgültig entnazifiziert. 7

Beckmann istüber die Reaktion empört. Im Schmerz um den Verlust der Eltern bedenkt er jedoch nicht die Ursache. Er reiht seine Eltern in die Liste der unschuldigen Opfer des Faschismus ein. Dass die alten Beckmanns allerdings nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren, wird von Beckmann nicht problematisiert, sondern von der Nachmieterin.

Beckmanns letzter Zufluchtsort ist nicht mehr vorhanden. Damit kann Beckmann resümieren: Die Elbe will ihn nicht, also muss er leben.

Der in der Schlusssequenz auftretende Tod in der Gestalt des Straßenfegers bietet Beckmann einen Ausweg. Der Andereüberredet Beckmann jedoch wieder zum Leben, mit dem Hinweis, dass die ,,anderen" auch leben würden.

Die anderen werden dem Vorwurf ausgesetzt, Mörder zu sein. Schließlich wird er selbst als Mörder verurteilt durch den Einbeinigen, dessen Frau sich nun endgültig Beckmann zugewendet hat. Diese Tatsache veranlasst den Einbeinigen sich selbst das Leben zu nehmen. Beckmann wird sich nicht das Leben nehmen, sondern mit der Erkenntnis, dass niemand das Recht hat, das Leben wegzuwerfen, weiterleben müssen.

Beurteilung des Stückes Bei der Auswahl des Buches als Thema für die vorliegende Arbeit war ich von dem Gedanken getragen, dass ich ein Stück Weltliteratur einfach aufbereiten könne. Sicherlich ist der Stil, in dem Borchert seine Werke verfasste, sehr leicht lesbar und gefällig. Das ist jedoch nur der Eindruck, den man auf den ersten Blick gewinnen kann. Wie bereits in der Besprechung der 5. Szene zum Ausdruck gebracht, entstehen bei näherer Analyse Fragen, insbesondere, wenn man den Lebenslauf Borcherts mit dem Stück vergleicht. Trotz seiner Verhaftungen ist Borchert nicht als Widerstandskämpfer gegen den Faschismus anzusehen. Als Soldat war er ,,gewissenhaft" und hat militärische Auszeichnungen erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Dialoge, die Beckmann mit seinem Oberst führt, sehr zwiespältig.

Draußen vor der Tür wurde nicht nur als Theaterstück konzipiert, sondern auch als Hörspiel im Februar 1947 gesendet. Die Hörspielfassung ist gegenüber dem Theaterstück wesentlich abgespeckt. Dies wird wohl darin begründet sein, dass alle Sendungen im Rundfunk der frühen Nachkriegsjahre einer Vorzensur durch die alliierten Besatzungsmächte unterlagen. Insbesondere die Textstellen in der 5. Szene, in der sich Beckmann mit Frau Kramerüber seine Eltern unterhält, sind vollkommen umgeschrieben worden. Während Frau Kramer in der Theaterfassung als Grund für den Selbstmord der Eltern, deren Engagement in der Nazipartei und die Denunziationen von Juden identifiziert, lässt Borchert Frau Kramer in der Hörspielfassung lediglich eine Anspielung auf die Kriegszerstörungen der Werft, in der der Vater Beckmanns arbeitete, zu.

In den Kritiken und Rezensionen wird ,,Draußen vor der Tür" als Fortsetzung von Büchners ,,Woyzeck" 8, angesehen. Es handelt sich hier wie da nicht um das Schicksal einer ganzen Generation von Soldaten, sondern ist ein Einzelschicksal, das dargestellt werden sollte. Insgesamt gesehen, ist das Werk zum Teil mit großer Zustimmung aber auch mit harscher Kritik nach den Aufführungen in den frühen Nachkriegsjahren versehen worden. Unter den direkt Betroffenen Heimkehrern fand Borcherts eine große, positive Resonanz, als das Stück erstmalig in der Hörspielfassung gesendet wurde.

Der bekannte Theaterkritiker Friedrich Luft schrieb am 24. April .1948 in ,,Die Neue Zeitung":

Von einer vorrückenden, gedanklich fördernden Handlung ist hier keine Rede. Ein dialogisiertes Klagelied hebt an. Ein szenisches Lamento. [...] Borchert spült seinen negativen Helden durch viele Gossen des Elends. [...] Immer wieder versucht er sein Glück vor den Türen, von der Lust zum Tode durch den ,,Anderen" immer wieder auf den Weg des Lebens gestoßen. Er bietet sich als komische Figur in verzweifelter Bajazzolaune einem Unternehmer in Kleinkunst an. Dessen smarter Geschäftsgeist jagt ihn wieder vor die Tür. Er findet die Tür der elterlichen Etage. Die Eltern findet er nicht. Sie gingen in den Freitod, Bräunlinge und Denunzianten, die sie waren. Beckmann zieht neue Klage daraus. Borchert verdeutlicht die Lehre daraus nicht. Das ,,rein Menschliche", die unverbindliche, heimliche Lust an der Ungeheuerlichkeit des eigenen Leidens wird wieder laut. Sonst nichts. [...]

Ein Hiob mit einer Hoffärtigkeit im Ducken vor den Schlägen des

Schicksals, dass unser betrachtendes Mitleid schon nach den ersten mit

Symbolismen vollgestellten Bildern sehr erschöpft ist. Der Rest ist die Qual, ein neurotisches Lamento bis zum vagen Ende mit anhören zu müssen. 9

Literaturnachweis

1. Wolfgang Borchert,

Draußen vor der Tür und ausgewählter Erzählungen, Mit einem Nachwort von Heinrich Böll; Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Hamburg, 1993

2. Klaus Bahners, Gerd Eversberg und Reiner Poppe (Hrsg.),

Königs Erläuterungen und Materialien; Erläuterungen zu Wolfgang Borchert Draußen vor der Tür und Die Hundeblume Die drei dunklen Könige An diesem Dienstag Die Küchenuhr Nachts schlafen die Ratten doch- Neu bearbeitet und ergänzt von Reiner Poppe,

C. Bange Verlag-Hollfeld,

13. Auflage 1990

3. Bernd Balzer,

Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas, Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main, Berlin, München,

1. Auflage 1983

4. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden

Band 4: Bes-Buc

Bibliographisches Institut Mannheim/Wien/Zürich

Lexikonverlag

9. korrigierte Auflage 1980

Deutsch-Literatur C:\Daten\Andreas Preugschat\Dokumente\Schule\REFBORCH.DOC

[...]


1 Das Foto Wolfgang Borcherts entstammt ,,Meyers Enzyklopädisches Lexikon", Band 4, Seite 510

2 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 8

3 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 15

4 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 21

5 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 22

6 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 25

7 Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, Seite 36-37

8 Büchners Tragödie eines armen gequälten, der, durch Liebe und Eifersucht in seinen Gefühlen verwirrt, zum Mörder seiner Geliebten wird.

9 Zitiert nach: Bernd Balzer: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas ..., Seite 48-49

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür"
Note
1
Autor
Jahr
1998
Seiten
15
Katalognummer
V98043
ISBN (eBook)
9783638964944
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wolfgang, Borcherts, Draußen
Arbeit zitieren
Mareike Preugschat (Autor:in), 1998, Über Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98043

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