Pflegefamilien- und Heimerziehung, Betrachtung zweier stationärer Betreuungsformen in der Jugendhilfe


Seminararbeit, 2000

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Pflegefamilie
2.1 Betreuungsformen der Pflegefamilie/Vollzeitpflege
2.2 ,,Normale" Familienerziehung in Überleitung zu Pflegefamilienerziehung und deren spezifische Probleme

3 Heimerziehung
3.1 Ziele der Heimerziehung
3.2 Die ,,typische" Organisationsstruktur von Einrichtungen der Heimerziehung
3.3 Spezifische Potenzen der Heimerziehung
3.3.1 Erziehungsplanung
3.3.2 Elternarbeit im Heim
3.3.3 Therapeutisches Handeln

4 Indikation für Heim- oder Pflegefamilienerziehung

5 Literatur

1 Einleitung

Seit nunmehr einem Jahr, gehe ich einer Nebenbeschäftigung als Erzieher in einer Heimeinrichtung nach, in deren Obhut sich verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche befinden. Was mir auf der einen Seite schon Berufserfahrung im Studium schenkt, lässt mich auf der anderen Seite Einblicke in die Praxis erleben. Nach Beginn meiner Arbeitsaufnahme im Mai letzten Jahres, fiel mir sehr schnell die beachtliche Zahl der Kinder bzw. Jugendlichen auf, die ihre Heimfahrt1 zu den Pflegeeltern antraten. Heimkind mit Pflegeeltern, beide Begriffe für stationäre Unterbringung und der doch recht einseitige Einblick in ,,meine" Einrichtung, animierten mich zu einem Vergleich und dem Erstellen dieser Arbeit. Weniger im Mittelpunkt der Arbeit stehen wird jedoch, die parallel in der ehemaligen DDR übliche Handhabung Pflegefamilienerziehung (soweit überhaupt existent) und Heimerziehung. Historisch betrachtet, beschreibt diese Arbeit den westdeutschen Zustand für den Zeitraum der beginnenden 70er Jahre bis hin zur Wiedervereinigung 1990.

,,Unterbringung in Pflegefamilien und Einrichtungen der Heimerziehung waren - und sind häufig noch - neben der Adoption die bedeutsamsten Möglichkeiten der Jugendhilfe zur Sicherung der Lebens- und Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen aus unzulänglichen, versagenden bzw. kindeswohlgefährdenden familiären Situationen." 2 Insbesondere stationäre Fürsorge bedeutet für Kinder und Jugendliche, längerfristige oder wenigstens aber die zeitweilige Verschiebung des Lebensmittelpunkts hinaus aus der eigenen Familie in eine Einrichtung der Jugendhilfe. Die nun bestehenden Möglichkeiten liegen in der Unterbringung in einer Pflegefamilie, die alternativ zu einer Form der Heimerziehung steht. Wie nicht anders zu erwarten, hängt die geeignetere Form in erster Linie von dem individuellen Bedarfsfall des Kindes bzw. Jugendlichen ab. Grundsätzlich muss eine Sensibilität und der Einbezug sowie die Auswertung sämtlicher zur Verfügung stehender Informationen der Anordnung zur entsprechenden Erziehungsmaßnahme Voraussetzung sein. Viel zu häufig jedoch, zwingen akute Situationen im Leben der/des Betroffenen zu sofortigem Handeln, womit der Qualität der Auswahl weniger Rechnung getragen werden kann. Bis zum Ende der 60er Jahre besaßen Heime eine Monopolstellung, was Hilfeleistungen in stationären Form betrafen. Die am Ende der 60er Jahre einsetzende ,,Heimkampagne", eine zu der Zeit begonnene und gegenwärtig immer noch nicht abgeschlossene Diskussion über die Reformbedürftigkeit der Heimerziehung, führte zwischen 1969 und 1974 zu vielfältigen ,,Alternativen zur Heimerziehung". Im Mittelpunkt stand zum einen die Intention, der Heimerziehung den althergebrachten negativen Ruf einer ,,Anstalt" zu nehmen, zum anderen waren es aber gerade die zunehmend steigenden Pflegekostensätze; die Folge war das Wiederbeleben der Pflegefamilienerziehung. Anhand einer Statistik, die in diesem Fall den Zeitraum 1975 bis 1986 einschließt und nur für das westliche Deutschland Gültigkeit besitzt, lässt sich leicht die Tendenz eines stetigen Anstiegs der Kindesaufnahme in Pflegefamilien, auf der anderen Seite aber auch eine kontinuierliche Abnahme von Heimeinweisungen zu dieser Zeit erkennen. Schon 1975 übertraf die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die zur Pflege in Familien lebten, die der Heimbewohner. Der konstante Abfall beider Aufnahmeformen seit Beginn der 80er Jahre, lässt sich nach Jordan und Sengling (1994, 171) mit demographischen Veränderungen in Deutschland erklären.

Abbildung 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Heitkamp 1989, 52)3

2 Pflegefamilie

2.1 Betreuungsformen der Pflegefamilie/Vollzeitpflege

Der Begriff der Vollzeitpflege beinhaltet die Erziehung über den Tag und die Nacht außerhalb des eigenen Elternhauses in einer anderen Familie. Intendiert ist hierbei eine Erwachsenen- Kind-Beziehung, die der Eltern-Kind-Beziehung ähnlich, auf keinem Fall aber gleich ist. Die Pflegeeltern müssen über pädagogische Qualifikationen verfügen, die den ,,normalen" elterlichen Kompetenzen entsprechen. Spezielle Problem- und Bedürfnislagen des Kindes erfordern jedoch zusätzliche Kenntnisse durch die Pflegeeltern. In Abhängigkeit der nachfolgend beschriebenen Form der Vollzeitpflege sollten die ,,neuen" Eltern gewillt sein, eine akzeptable Beziehung zu den leiblichen Eltern aufrecht zu erhalten, was sich durch ein Mindestmaß an Kontakterhaltung sowie gegenseitiges Kennen und Achten äußert. Das Ersetzten der (eigen)familiären Erziehung ist abhängig vom Einzelfall und kann für eine kurze Zeit (befristet), aber auch auf Dauer eingerichtet sein. Beide Formen stehen gleichberechtigt nebeneinander und finden ihre Regelung im § 33 des KJHG. Abhängig von der Dauer und Zielsetzung der Vollzeitpflege lassen sich drei Formen unterscheiden:

a) Kurzzeitpflegestellen, die dann eine Option darstellen, wenn die Herkunftsfamilie durch einen befristeten Ausfall nicht zur Verfügung steht. Gleichzeitig kommen sie in Krisen- und Notsituationen zur Anwendung, bis zu dem Zeitpunkt, wo die Klärung und weitere Hilfemaßnahmen ihren Abschluss gefunden haben.
b) Übergangspflegestellen stellen sich auch befristet dar, finden aber über einen vergleichsweise längeren Zeitraum statt. Als Beispiele dienen etwa Krankheit, Strafverbüßung, Beziehungsunfähigkeit oder auch die Abwesenheit durch berufliche Gründe der Eltern. Zu beachten ist die Beteiligung der Pflegefamilie an der Erziehungssituation gemeinsam mit der Herkunftsfamilie.
c) Dauerpflegestellen zeichnen sich durch ein fortwährendes Pflegeverhältnis aus. Der/die Minderjährige wird ohne weitere Mithilfe durch die Herkunftsfamilie versorgt und erzogen.

Wie nicht anders zu erwarten, sind die Grenzen zwischen den benannten Pflegeformen mehr als fließend. So kann es geschehen, dass eine angedachte Kurzzeitpflege den Status der Übergangspflege erreicht und ihren Abschluss in der Dauerpflege findet. Entscheidend ist die anfängliche qualifizierte sozialpädagogische Prognose,4 die durch die richtige Wahl der Form der Vollzeitpflege begründbar ist.

2.2 ,,Normale" Familienerziehung in Überleitung zu Pflegefamilienerziehung und deren spezifische Probleme

Wie bereits beschrieben, können die Begriffe Eltern-Kind-Beziehung und Erwachsenen-Kind- Beziehung nicht synonym genutzt werden. Aus diesem Grund wird der nächste Abschnitt mit der Beschreibung von Strukturbedingungen in der ,,herkömmlichen" Familie beginnen und mit spezifischen Problemen in der Pflegefamilie enden.

Sofort nach seiner Geburt, stellt sich das Neugeborene als körperlich, geistig und seelisch hilflos dar, womit es unbedingte soziale Hilfe erfahren muss. Diese Hilfe, die dem Kleinkind günstige Entwicklungschancen eröffnen sollen, wird durch eine feste Bezugsperson, in der Regel durch die Mutter, realisiert. Sie steht dem Kind immer zur Verfügung, reicht die der körperlichen Entwicklung notwendige Nahrung und sie steuert die Vielzahl der Lernvorgänge derart, dass sie diese: ,,durch eindeutige und widerspruchsfreie Bekräftigungen bei (...) (entsprechenden) (...) kongruenten Verhalten in einer konsistenten Umwelt steuert."5 Mit anderen Worten, dem Lebensumfeld des Kleinkindes wird so viel Komplexität des gesellschaftlichen Systems genommen, dass die nunmehrige ,,kleine Welt" weittestgehendst den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes angepasst ist. Findet die Entwicklung des Kindes zum einen durch die persönliche und dingliche Aufnahme der Umwelt statt, so sind es auf der anderen Seite Einwirkungen - die Eröffnung von Verhaltenmustern, fortschreitend mit dem Wachstum des Kindes - die, steuern und prägen sollen. Derartige Sozialisationsprozesse sind Lernprozesse, die sich sowohl aus kognitiven als auch affektiven Komponenten zusammensetzen. Das Fortschreiten der Entwicklung wird durch Lob und Anerkennung oder einfach durch die gegebene emotionale Nähe honoriert. Nach Heitkamp (1989) vollführt sich der Lernprozess umso erfolgreicher, je intensiver, eindeutiger und widerspruchsloser der Interaktionsprozess zwischen weniger Bezugspersonen und dem Kind vonstatten geht. Neben des beschriebenen Aspekts eines konsistenten Lebensumfeldes und der hiermit zusammenhängenden Übersichtlichkeit von Bezugspersonen, stellt die Familie noch weitere, die kindliche Entwicklung fördernde Faktoren bereit. So kann ein Klima des persönlichen Angenommenseins und der Wertschätzung erwartet werden; gerade auch in Versagenssituationen muss das Kind spüren, dass es geliebt wird. Eine weitere positive Eigenschaft ist die Bereitstellung eines freundlich gestalteten Interaktionsfeldes. Insbesondere die Häufigkeit von Interaktion, gepaart mit empathischer Grundhaltung, eröffnen ein weites Feld von Lernanreizen. Zu beachten bleibt jedoch, das Lernfeld insoweit als überschaubar zu halten, damit das Kind wiederkehrende Erfahrungen in Lernvorgänge reintegrieren kann, mit dem Ziel der Steigerung der Sicherheit und des Selbstvertrauens. Die bezeichneten Voraussetzungen lassen sich jedoch nur dann aufrechterhalten, wenn das Familienleben nicht durch Beziehungsstörungen oder andere Defekte, z. B. materieller Art, geprägt sind. Des weiteren ist das richtige Maß, die richtige Dosierung der o.g. Komponenten, ein für die positive Entwicklung des Kindes zu beachtender Faktor; zu viel Empathie kann sich genauso negativ auswirken wie das Untermaß und erschwert bzw. hemmt den erzieherischen Fortschritt gar.

Genauso wie die Intelligenzentwicklung bis zu einem gewissen Alter eines Kindes unmittelbar vom Wissenshorizont der vermittelnden Person abhängig ist, werden ihm soziale Freiräume und Tabuisierungen gereicht, die ebenso ihre Abhängigkeit besitzen, jedoch in der Form, als das sie die elterliche Enge oder Weite ihres Wertehorizonts darstellen. Eine zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft erzwingt oftmals den Rückzug in die familiäre Privatheit und eröffnet gar eine ,,Abschottung" nach außen hin. Die anfänglich positive Geborgenheit des Kindes vor der Komplexität der Gesellschaft durch die Eltern, kann sich unter Umständen auch als nachteilig erweisen. ,,Auf diese Weise werden schichtspezifische Rollen- und Charaktereigenschaften von einer Generation auf die nächste übertragen."6 Ein weitere Sozialisationsschwäche, fundiert auf die Familienstruktur, ist die althergebrachte Geschlechtsrollenspezifik. Genannt sei hier das Machtgefälle Männer- vs. Frauenrolle. Durch die Vorbildfunktion der Eltern, nehmen die Kinder die traditionell vorgeschriebene Rolle in der nachfolgenden Familiegeneration, genau wie die in der Gesellschaft erwartete, ein.

Spezifische Probleme der Pflegefamilienerziehung Zuzüglich zu den beschriebenen Stärken und Schwächen der Familienerziehung, ergeben sich in der Pflegefamilie noch weiterführende spezifische strukturelle und psychische Belastungen. Nach Heitkamp handelt es sich bei den nachfolgenden ,,typischen" Symptomen nur um Auszüge aus der komplexen Problematik.

a) Die Gegensätzlichkeit der gesellschaftlichen Bewertung von Pflegeeltern

Die Akzeptanz oder auch das Unverständnis für Pflegeelternschaft ist direkt aus den Reaktionen des sozialen Umfeldes ablesbar. So eröffnet sich eine Rollenerwatung an die Pflegeeltern, insbesondere aber an die Pflegemutter. Zum einen wird die Annahme ,,fremder" Kinder mit ,,Liebe" oder ,,Opferbereitschaft" erklärt, gleichzeitig steht die Erwartungshaltung nach sachlicher Fachlichkeit für die Erziehung schwieriger Kinder im Vordergrund. Diese Erwartungen, wenngleich auch Zuschreibungen können bei der Pflegemutter zu Identifikationsproblemen führen, wodurch eine neue Rollenerklärung erforderlich ist. Eine häufige Folge bei der Aufnahme von Pflegekindern erzeugt Unverständnis bei den der Familie Verwandten und Bekannten und kann in der Konsequenz zu Ablehnung, Ausgeschlossenheit bis hin zur gesellschaftlichen Isolation führen. Da Pflegeelternschaft eine Erziehungsleistung ist, für die finanzielle Mittel in Anspruch genommen wird, ergibt sich zwangsläufig eine erhöhte Aufmerksamkeit durch das soziale Umfeld. Besonderer Argwohn ergibt sich in der Regel zu Beginn der Kindesaufnahme, namentlich in der Eingewöhnungsphase, wobei dieser Aspekt noch durch anfänglich vermehrte Besuche durch Sozialarbeiter/innen erschwerend wirkt.

b) Der ungesicherte rechtliche Status

Noch immer ist die Verbesserung des Pflegeelternrechts nicht abgeschlossen. Konträr erscheint hierbei das Abwägen zwischen tatsächlichen und grundsätzlichen Rechten und Pflichten der Herkunftsfamilie bzw. der Pflegefamilie, selbstverständlich basierend auf der Grundsätzlichkeit des Kindeswohls. Häufig befinden sich Kinder bereits über einen langen Zeitraum in einer Pflegefamilie. Gleichzeitige Kontakte zur Herkunftsfamilie erscheinen verkümmert oder bestehen gar nicht. Eine hieraus resultierende tiefe emotionale Pflegeeltern - Kind-Beziehung muss faktisch als neue Eltern -Kind-Beziehung betrachtet werden; mit anderen Worten, diese Beziehung ist der biologischen Elternschaft vorzuziehen. Der ungesicherte rechtliche Status macht sich alsbald bemerkbar, wenn als Beispiel ein Herausgaberecht des Kindes durch die leiblichen Eltern geltend gemacht wird oder aber die vorherige Festlegung der Dauer des Pflegeverhältnisses ausläuft. In diesem Fall kann eher weniger von einem kindgerechten Handeln die Rede sein. Um so weniger erstaunlich ist in diesen Fällen das Misstrauen, die Angst der Pflegefamilie vor dem Jugendamt oder auch der Herkunftsfamilie.

c) Pflegefamilie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit

,,Pflegefamilien bieten Schutz vor öffentlichem Einblick und Kontrolle."7 Ein Widerspruch besteht darin, dass die benannte Zeile eine für das oberste Landesjugendamt bestehende Direktive darstellt; auf der anderen Seite hat aber selbiges den gesetzlichen Auftrag der Pflegekinderaufsicht und -kontrolle. Der bereits beschriebene Aspekt der Privatheit, der letztendlich den qualitativen Ausschlag für diese Erziehungsform bietet, wird jedoch gerade dadurch geopfert. Jeder Besuch des Jugendamtes spiegelt seine Doppelrolle wieder; zum einen ist sie ein Jugendhilfeangebot, zum anderen Klient desselben. Die gesetzliche Forderung an die Pflegeeltern, Kontakt und Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie aufrechtzuerhalten, dürfte sich auch als problematisch erweisen. Nicht selten erkennt die Herkunftsfamilie eigene Defizite in der abgebrochenen Erziehung, woraus Schuldgefühle resultieren können. Auf der anderen Seite, aus der Sicht des Kindes, erscheint die benannte ,,neue" Privatheit auch nicht leicht. So verfügt es gezwungenermaßen über mehrere direkte oder indirekte Bezugspersonen, die sich in Form von Pflegeeltern, Herkunftsfamilie und am Ende auch durch das Jugendamt darstellen.

d) Die ungewisse Dauer von Pflegefamilienverhältnissen

Der Begriff der Dauerpflegefamilie, vom Jugendamt so geprägt, erweckt bei den Pflegeeltern häufig die Vorstellung von der Kindesaufnahme ,,auf lange Zeit" oder ,,für immer". Die Begrenztheit des Pflegeverhältnisses wird von den Pflegeeltern als nicht gegeben angesehen. Aussagen und Forderungen durch Sozialarbeiter/innen, die die schnelle Aufnahme und die Akzeptanz des Kindes in der neuen Familie betreffen, lassen sich aus Sicht des Kindeswohls und durch eine beschränkte zeitliche Dauer kaum realisieren. Selbstverständlich erscheint es schwierig, die Länge der zeitlichen Dauer vor Beginn der Pflegefamilienaufnahme zu benennen. Wenn jedoch eindeutig feststellbar ist, dass eine vollständige, für das Kind positive Integration in die Pflegefamilie erreicht worden ist, sollten die ,,neuen" Eltern den biologischen vorgezogen werden. Insbesondere dieses Handling aber, steht im engen Zusammenhang mit dem ,,Ungesicherten rechtlichen Status" betitelten Absatz.

e) Schichtspezifische Probleme

Nach Heitkamp ist die Mehrzahl von Pflegeeltern in der bürgerlichen Mittelschicht zu finden. Die Mehrzahl der Pflegekinder hingegen, haben ihr Leben bis dato in unteren Schichten verbracht. Der rapide Aufstieg des Kindes, in eine nunmehr höhere Schicht bringt eine Vielzahl von verschiedensten Problemen mit sich. Zu nennen wäre die Verschiedenheit von Sprachcodes, die Unterschiedlichkeit emotionaler Ausdrucksweisen oder auch die Differenziertheit von Einstellungen zu Bildung, Beruf und Lebensführung. Solche Umstände können, je älter das Kind bei seiner Aufnahme, um so eher, geradezu brisante Formen annehmen, so dass die Pflegefamilie in der Konsequenz einfach ,,versagen" muss. Weiterhin bleibt abzuwägen, inwieweit es ratsam ist, Kontakte zum Herkunftsmilieu zu billigen. Nahe liegend wäre, dass bei einer völligen Unterbindung und mit viel Verständnis, Nachsicht und Geduld durch alle Beteiligten überhaupt ein erzieherischer Auftrag erfüllt werden kann.

f) Wechselseitige Abhängigkeiten

Als wiederholt problematisch, kann sich die anfänglich geforderte Aufrechterhaltung des Kontakts Kind - Herkunftsfamilie erweisen. Eine Trennung vom Herkunftsmilieu vollzieht sich in der Regel abrupt, wodurch sich die entgültige Verarbeitung dieser Trennung unter Umständen als sehr schwierig gestalten kann. Anschließende Kontakte, telefonisch, per Brief oder durch Treffen mit der Herkunftsfamilie rufen Hoffnung/Enttäuschung oder Freude/Trauer hervor. ,,Das Kind sitzt emotional zwischen den Stühlen". 8 Je größer die Gegensätzlichkeit beider Elternpaare erscheint, d.h. durch die Intensität des Kontaktaufrechterhalts zu den leiblichen Eltern auf der einen Seite und die Stärke der Aufgenommenheit durch die Pflegeeltern, desto eher kann eine Double - Bind - Situation 9 wirksam werden. Insbesondere bei älteren Kindern kommt noch eine dritte behördliche Instanz, die des Jugendamtes hinzu. Je unklarer sich das Beziehungsverhältnis, nicht zuletzt noch durch die Fremdbestimmung des zuständigen Jugendamtes, zwischen den Gegenpolen Eltern - Pflegeeltern gestaltet, umso schwieriger ist ein adäquater Orientierungsprozess bei dem Kind zu erwarten.

3 Heimerziehung

3.1 Ziele der Heimerziehung

Die Ziele von betreuten Wohnformen aber auch der Heimerziehung können sehr unterschiedlich sein. So formuliert das KJHG in dem § 34 drei mögliche Zielsetzungen:

1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbstständiges Leben vorbereiten.10

Hinzufügend muss noch der Aspekte der Krisenintervention, in Form von Noteinweisungen benannt werden; sei es durch den Wunsch des Kindes/Jugendlichen oder aber weil eine sozialpädagogische Schutzfunktion erforderlich ist.

Nicht zuletzt begründet durch ein umfangreich ausgebildetes Fachpersonal, können Heime auf die unterschiedlichsten Problemlagen von Kindern und Jugendlichen reagieren. Beginnend bei Schutz und Vorsorge, als Familienersatz oder aber auch bei der Gestaltung jugendspezifischer Lebenswelten, mit dem Ziel einer Heranführung an eine selbstständige Lebensgestaltung. Eine Aufnahme kann langfristig oder von kurzer Dauer sein und ist in der Lage, sozial- und heilpädagogisch, Sozialdefizite abzubauen oder wenigstens zu minimieren. Ursachen lassen sich in Schulversagen, in ungenügender Integration in Ausbildungsstrukturen, bei partiellen bis massiven Rückzügen aus sozialen Kontakten, bis hin zu psychosozialen Defiziten suchen. Heimerziehung kann ein weites Spektrum erfassen, insbesondere jedoch wird gerade bei Kleinkindern durch die Entwicklung des Hospitalismus von einer solchen Unterbringung abgesehen. Während bei älteren Kindern fremdfamiliäre Unterbringung, begründet durch die positive Bindungswirkung zu den Pflegeeltern, favorisiert, kann bei Jugendlichen, hier bedingt durch die natürliche altersgemäße Herauslösung aus der Familie, die Heimerziehung eine Lösung darstellen. Zu beachten ist selbstverständlich die Einbeziehung der adäquaten Heimform.

3.2 Die ,,typische" Organisationsstruktur von Einrichtungen der Heimerziehung

Wie so viele andere organisatorische Gebilde in modernen Industriegesellschaften, die in ihrer Vielzahl komplexe soziale Systeme darstellen, kann auch bei Heimeinrichtungen von Organisationen, im soziologischen Sinn, gesprochen werden. Hierfür bezeichnend sind einer bestimmter Mitgliederkreis, die internen Rollendifferenzierungen sowie die Orientierung auf bestimmte Ziele und Zwecke; Einrichtungen der Heimerziehung spiegeln einen Makrokosmos der gesellschaftlichen Komplexität wieder. Heimeinrichtungen verfügen über ein Organisationsgefüge:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

(Heitkamp 1989, 87)

Um die im Mittelpunkt stehende Erzieher - Kind - Beziehung formen sich konzentrische

Kreise, die nach außen hin in ihrer Dominanz des pädagogischen Bezugs abnehmen. Während Erzieher und Kind das ,,intimste" pädagogische Verhältnis haben, lassen sich direkte Einflüsse durch Hausbedienstete, Hausmeister oder auch durch den Zivilersatzdienstleistenden nicht leugnen. Fachdienste, wie Therapeuten, Psychologen oder Ärzte nehmen in so fern direkten Einfluss auf das Kind, als das sie nur bei Bedarf oder zu bestimmten Terminen, in der Regel einmal wöchentlich, in Beziehung treten. Die Leitungs- bzw. Verwaltungsebene einer Heimeinrichtung arbeitet vorzugsweise separiert von der Heimgruppe und hat somit den geringsten pädagogischen Einfluss auf das Gruppenleben. Auf der anderen Seite hat aber gerade die Leitung insofern die dominante Rolle, eine Abhängigkeit schaffende Position, als das sie zwischen der pädagogischen Arbeit und öffentlich - rechtliche und privatrechtliche Vorschriften vermitteln muss.

3.3 Spezifische Potenzen der Heimerziehung

Heimerziehung hat ein aus dem Herkunftsmilieu ausgrenzendes Erziehungsangebot und muss zusätzlich spezifische Kompensationsaufgaben übernehmen. Hinzu kommt der in den letzten Jahren verzeichnete Anstieg der Schwere von Sozialisationsbiografien. Das Bezugssystem und die hieraus folgende primäre Kommunikation und Interaktion zwischen Jugendlichen und Gruppenerzieher, minimiert den institutionellen Charakter der Organisation Heim. Auf der anderen Seite spiegelt das Verhältnis Jugendlicher - Erzieher, das sich helfend, fordernd oder auch belastend für den Jugendlichen darstellt, in seiner Konsequenz ein Stück weit die gesellschaftliche Komplexität wieder. Eine häufige Überlegung, Heimerziehung ähnlich einem strukturell familienorientierten Erziehungssystem anzubieten, ließe dem Heimkind neben verlässlichen Beziehungen in einem emotional geprägten Schonraum gleichzeitig Freiräume zur Selbstbestimmung der Dependenzintensität in der pädagogischen Beziehung.11 Auch die größten Bemühungen des pädagogischen Personals, die Dichte der Beziehung, wie sie in Familien vorherrscht zu erreichen, ist nur annährend möglich. Was auf den ersten Blick einen negativen Anschein erweckt, kann sich in speziellen Einzelfällen als vorteilhaft erweisen. Insbesondere Kinder und Jugendliche mit problematischen Eltern - Kind - Beziehungen, können aus dieser Situation Vorteile in Form von Abstand gewinnen. Ein weiterer Vorteil der beschriebenen ,,weiteren" Nähe liegt darin, dass die geringere Gefahr einer zu starken Bindung an Erwachsene, nicht zu Phänomenen einer ,,psychologischen Elternschaft", die nach der Herausnahme des Kindes zu nachhaltigen sozialen Entwicklungsstörungen führen kann.

3.3.1 Erziehungsplanung

Nach Heitkamp muss professionelle Erziehung, wenn sie zielgerichtetes Handeln sein soll, ,,geplante Erziehung"12 heißen. Gerade in der Heimerziehung, wo mehrere Erzieher maßgeblich an dem Erziehungsprozess teilhaben, sind es vier Komponenten, die die Erziehungsplanung wirksam werden lassen:

a) Die Art des Klientel

Das potentielle Klientel heutiger Heime ist in der Regel bestimmbar. Die alleinige Fürsorge und Pflege von Jugendlichen, deren Eltern ausgefallen sind, gehören der Vergangenheit an. Auch ist gerade bei jüngeren Kindern die Aufnahme in Pflegefamilien die zuerst genutzte Option. Jugendliche, die durch Störungen in ihrem psychischen und sozialen Verhalten geprägt sind, bedürfen qualifizierter und therapeutischer Einflussnahme in die Erziehung. Die häufige Verbundenheit von Mehrfachstörungen (z.B. Verhaltensauffälligkeit in Verbindung mit Lernstörungen) erfordert erst recht fachspezifische Profession, wie sie in entsprechenden Heiminstitutionen als gegeben angesehen sein dürfte.

b) Die Heterogenität des Erziehungsfeldes

Mit der Ausmerzung der institutionellen und sozialen Abkapselung im Zuge der Heimreform der 60er Jahre, sind die Kinder bzw. Jugendlichen in verschiedene, voneinander unabhängige Erziehungsfelder eingebunden. Neben dem Heim existieren die externe Schule, das Elternhaus, der Sportverein oder auch der Freundeskreis außerhalb der Einrichtung. Sind diese Felder planvoll aufeinander abgestimmt, dürften sie für einen positiven Fortlauf der sozialen Entwicklung nur dienlich sein.

c) Die Vielfalt und Austauschbarkeit der Erzieher

Hingegen Familien, wo in der Regel nur zwei Haupterziehungspersonen, oft auch nur eine präsent ist, arbeiten in Heimgruppen drei, vier Erziehungspersonen. Zu beachten bleibt, durch den natürlichen Umstand verschiedenen Erziehungsverhaltens der Kollegen, die Abstimmung und gemeinsame Einhaltung der individuell festgelegten Erziehungsleitlinien. Nur deren strikte Einhaltung kann Orientierungsverlust beim Kind bzw. Jugendlichen vermeiden.

d) Die institutionellen Determinanten

Verbindliche Leitlinien, festgelegt im pädagogischen Konzept der Einrichtung, legen den pädagogischen Alltag fest. Ein diszipliniertes, kontinuierliches und koordiniertes Erziehungsverhalten kann nur dann gewährleistet sein, wenn die Organisationsstruktur, d.h. die Zusammenarbeit der einzelnen institutionellen Fachbereiche wie Schule, einzelne Therapieangebote aber auch der finanzielle Aspekt, aufrechterhalten durch den Wirtschaftsbereich der Einrichtung, funktioniert.

Eben die vier genannten Komponenten sind es, die der Einrichtung Heim einen sinnreichen Gehalt, die individuelle Abstimmung und nicht zuletzt die Dauer einer Maßnahme für den Heranwachsenden bestimmen können. Allein sie kann die Formulierung von Erziehungszielen und die Strukturierung derselben, unter zu Hilfenahme der Reflexion der an der Erziehung Beteiligten, anstellen.

3.3.2 Elternarbeit im Heim

Hingegen Pflegefamilien, wo eine enge Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie gefordert, wenigstens aber gewünscht aber schwer durchzuführen ist, gestaltet sich die Beziehung Heim - Herkunftsfamilie als unproblematischer. Insbesondere durch die Realisierung der in den 70er Jahren geforderten intensiven Auseinandersetzung der Heimeinrichtungen mit dem Herkunftsmilieu des Kindes, gerade für den angestrebten Fall der Rückführung in die Familie, erfüllen die Ansprüche einer qualifizierten Elternarbeit. Ist es einerseits Aufgabe der Heimerziehung, familiäre Defizite in Bezug auf das Kind aufzuklären und abzubauen, eröffnen sich andererseits günstige Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit Heimeinrichtung - Eltern:

- Die Fremderziehung des Kindes bzw. Jugendlichen im Heim wird durch die Eltern weniger als ,,Konkurrenzfamilie" wahrgenommen.
- Der Erzieher wird von der Familie nicht als Rivale in Form von Bezugsperson angesehen.
- Die Pflicht der Zusammenarbeit mit der Familie und die Aufrechterhaltung des Kontaktes Kind - Eltern umgeht den o.g. Aspekt einer ,,psychologischen Elternschaft".
- In der Regel ist der Heimaufenthalt mit einem vorübergehenden Charakter belegt, so dass gerade Eltern und Kind stärker motiviert sind, die Voraussetzungen für die Rückkehr in die Familie zu erlangen.

Nicht zuletzt ist aber der in der Überschrift benannte Aspekt der Zusammenarbeit mit den Eltern ein im KJHG § 37 (1) geforderter Aspekt, der aufgrund seiner gesetzlichen Darlegung einfach zu akzeptieren und einzuhalten ist.

3.3.3 Therapeutisches Handeln

Die Art des Klientel und die häufige Schwere der seelischen Störungen, lassen gerade heutzutage keinen positiven Veränderungsprozess durch alleinige pädagogische Arbeit mehr zu. Der Begriff der Therapie der bislang der Kranken- und Heilbehandlung diente, hat mit Beginn der 70er Jahre einen inhaltlichen Einzug in die Psychologie genommen. Ergänzend zur pädagogischen Arbeit kann sie, in der richtigen Dosierung, Auswege aus festgefahrenen Entwicklungsdefiziten bieten. Tatsächlich ist es so, dass insbesondere Heime mit einer privaten Trägerschaft so Heimplätze belegen können. Eine zusätzlich angeschlossene therapeutische Gemeinschaft an die Einrichtung hat in ihrer Konsequenz also noch einen ,,werbeähnlichen" Charakter.

4 Indikation für Heim- oder Pflegefamilienerziehung

Abschließend und nach Betrachtung ,,typischer" Merkmale und Strukturen beider Erziehungshilfeformen, muss nun die Frage: ,,Welche Erziehungshilfe ist für welche Erziehungsproblematik indiziert?"13 gestellt werden. Vorerst, so Heitkamp, stehen keine, wenigsten aber nur unsichere, wissenschaftlich gesicherte Indikationsschemata zur Verfügung. Zumindest erscheint der Aspekt der Fremderziehung dann als sinnvoll, wenn nicht gar unumgänglich, wenn:

a) ein/der Primärerzieher durch schicksalhaften Ausfall, wie Unfall, Tod oder Krankheit nicht mehr zur präsent ist,
b) das Kindeswohl, in körperlicher, geistiger oder seelischer Form, in der Familie nicht mehr gewährleistet ist (durch Vernachlässigung, Misshandlung etc.) oder
c) wenn das Kind in seiner Entwicklung körperlich, sozial oder psychisch, also krankheitlichen Defiziten unterliegt.

Durch die Vielzahl möglicher Ursachen, durch mögliche Kombinationen derselben oder durch entstehende Kausalität, erscheint die eindeutige Bestimmung der Form der Erziehungshilfe als ein schier unmögliches Unterfangen. Nach Heitkamp muss der nächste Schritt, die Diagnostik sein; die hieran beteiligten Personen14 müssen nach einem 3-Ebenen-Plan vorgehen.

1.Ebene: Vorliegende psychosoziale St ö rungen

Diagnostizierte psychosoziale Störungen dürfen nicht nur additiv erfasst werden, sie sind je nach Behandlungsbedarf in eine Rangfolge zu bringen.

2. Ebene: Die pers ö nliche Biografie des Kindes

Unzureichend ist nur das Wissen über Erziehungs-, Bildungs- und Behandlungsbedarf, um hiernach die geeignete Hilfeform auszuwählen. Gleichsamt wichtig ist der Gesamtentwicklungsstand des Kindes, insbesondere bestimmend ist, wie das primäre Lebensfeld Familie von dem Kinde bisher erfahren wurde. Erlebte schwere familiäre Konflikte zum Beispiel, erfordern höchstwahrscheinlich Abstand von familiärer Beziehungsdichte, die in einem Heim als gegeben sein dürften. Gerade das Lebensalter und der Grad der Sozialisationserfahrung sind für diese Ebene bestimmende Faktoren.

3. Ebene: Das soziale Umfeld

Die Herausnahme aus dem die Entwicklung des Kindes prägenden sozialen Umfeld erweißt sich häufig als problematisch. Nicht selten führen sie zu Identitätskrisen, wodurch sich der neue Erziehungsraum als adäquat zu den Lernerfahrungen des bisherigen sozialen Umfeldes erweisen muss.

(vgl. Heitkamp 1989, 117f.)

Hiernach ist jetzt weiter nach den unterschiedlichen Arten der Fremdunterbringung, es

existieren ja Heilpädagogische bzw. therapeutische Heime, Kinderdörfer etc., genauso wie Normalpflegefamilien, Heilpädagogische bzw. therapeutische Pflegestellen usw., zu differenzieren. Ebenfalls Relevanz hat die zeitliche Dauer, das Ziel (Rückführung in die Herkunftsfamilie oder Verselbstständigung) der Maßnahme, die Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Eltern oder auch der Aspekt, therapeutischer Eingriffe. Nach wie vor ist also eine fachliche Kompetenz und die Betrachtung des Einzelfalls ausschlaggebend, für die ,,richtigere" Wahl.

Insbesondere jedoch bei Kindern, die das schulpflichtige Alter noch nicht erreicht haben, ist man sich in Fachkreisen einig, dass möglichst eine Fremdfamilienerziehung anzustreben ist.15 Keine Bedeutsamkeit für eine solche Form scheint nur dann gegeben, wenn Konflikte, Rivalität zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie durch die enge Beziehung des Kindes zu den leiblichen Eltern abzusehen ist, oder aber auch bei Übergangslösungen, wo die Eingliederung in z.B. eine Adoptivfamilie absehbar ist. Die Betrachtung des Potentials Heimerziehung lässt auf den ersten Blick die Möglichkeiten eines umfangreichen Interventionsangebots erkennen. Hinzu kommt noch die höhere Konfliktbelastbarkeit, bedingt durch das anwesende pädagogische und psychologische Fachteam, sowie durch die geringere abhängige Beziehung Kind - Erzieher.16 Für Heitkamp ist Heimerziehung dann die richtige Option, wenn:

a) Jugendliche akuten Krisensituationen ausgesetzt sind, für die eine dauerhafte Lösung noch aussteht, gleichfalls wenn die Rückführung in die Herkunftsfamilie in absehbarer Zeit möglich erscheint,
b) das Training sozialen Verhaltens, gleichzeitig mit Gleichaltrigen (Gruppenmitglieder) sowie Erwachsenen (Mitarbeiter der Institution); ausdrücklich durch Bestätigung oder Sanktionen sozialer Verhaltensweisen,
c) beide Elternpaare, insbesondere bei schwer verhaltensauffälligen Kinder/Jugendlichen eine gewisse Profession fehlt und eine Mehrzahl von Erziehern durch abgestimmtes Verhalten positive Erziehungsprozesse einleiten können,
d) Bedarf an therapeutischer Betreuung vor Ort besteht und somit ambulante Therapie nicht
als ausreichend erscheint,
e) eine spannungsfreiere Beziehung erforderlich ist, die zu einer Intensivierung des Verhältnis des Kindes zur Herkunftsfamilie führen soll und/oder
f) eine erdrückende emotionale Dichte, erlebt in der Familie, durch die sonst so häufig kritisierte Distanzlosigkeit in Heimeinrichtungen hilfreich sein kann.

(vgl. Heitkamp 1989, 120f.)

Den meiner Meinung nach wesentlichsten Indikator, der den pädagogischen Aspekt geradezu in eine Außenseiterposition verschiebt, bildet wie so oft in der Sozialpädagogik/-arbeit, der finanzielle Blickwinkel. Geht man davon aus, dass ein Pflegeplatz in einer Ersatzfamilie ein Viertel bis ein Fünftel kostet hingegen der einer Heimeinrichtung, wundert auch nicht, die anfänglich beschriebene Zunahme der familiären Ersatzunterbringung. Weiterhin ist es in zunehmenden Maße üblich, das insbesondere Heimeinrichtungen privater Trägerschaft, um Heimeinweisungen ,,feilschen" müssen. Mittlerweile ist es an der Tagesordnung, dass die Einrichtung mit dem geringeren Kostenangebot, was in der Regel auch eine schlechtere personelle, therapeutische u./o. materielle Ausstattung bedeutet, den ,,Zuschlag" des Jugendamtes erhält. Belebt die Konkurrenz den Markt, wird doch allzu schnell das Wohle des Nutznießers und die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung für ein späteres Leben in gelenkten Bahnen vergessen. Nicht zuletzt wären wir bei einem Fortlauf dieser Entwicklung in der Lage, den Gegenstand der <<Sozialpädagogik>> durch den Begriff <<Finanzpädagogik>> in Deutschland zu ersetzten.

Olaf F. Schwedler, Juni 2000

5 Literatur

Bickel, R.: Sozialpädagogik in den neuen Bundesländern. Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 1993. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Kinder- und Jugendhilfegesetz. Bonn: Weinmann, Dez. 1995.

Eyferth, H., Otto, H.-O., Thirsch, H.: Handbuch zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied; Darmstadt: Luchterhand, 1987.

Fuchs-Heinritz, W., Lautmann, R. & andere: Lexikon der Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994.

Galuske, M. & Rauschenbach, T. (Hrsg.): Jugendhilfe Ost. Weinheim; München: Juventa, 1994.

Heitkamp, H.: Heime und Pflegfamilien - konkurrierende Erziehungshilfen? Frankfurt/M.: Diesterweg, 1989.

Jordan, E. & Sengling, D.: Jugendhilfe. Weinheim; München: Juventa, 1994.

Stimmer, F.: Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. München; Wien: Oldenbourg, 1994.

Wabnitz, R.: Kinder- und Jugendhilfe im vereinten Deutschland: wissenschaftliche

Abhandlungen, Reden und Fachveröffentlichungen 1991 - 1998. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer, 1998.

[...]


1 Heimfahrten über das Wochenenden finden in der Regel einmal monatlich statt, da die hierfür anfälligen Heimreisekosten von den entsprechenden Jugendämtern getragen werden.

2 Jordan/Sengling 1994, 170

3 Die bei Heitkamp aufgeführten Zahlenwerte sind hier in Diagrammform wiedergegeben. Sie entstammen dem Statistischen Bundesamt.

4 Vgl. auch ,,Indikation für Heim- oder Pflegefamilienerziehung", S. 14

5 Heitkamp 1989, 100

6 Ibid, 101

7 Ibid, 107

8 Ibid, 114

9 Begriff, geprägt von G. Bateson 1956, in dem ein Individuum in Doppelbeziehung eingebunden ist, muss es häufig zwischen widersprechenden Botschaften vermitteln.

10 Dieser Aspekt steht im direkten Zusammenhang mit dem Alter des Jugendlichen, für den dadurch eine Reintegration in eine Familienform eher weniger Relevanz besitzt.

11 vgl. Heitkamp 1989, 91

12 Heitkamp 1989, 92

13 Ibid, 117

14 Solche sind zuständige Sozialarbeiter/-pädagogen des Jugendamtes; im Vorfeld auch Ärzte und Psychologen.

15 Die Leistungsfähigkeit ,,(Fremd)Familienerziehung" ist bereits im entsprechenden Abschnitt beschrieben.

16 Wie ebenfalls schon in ,,Spezifische Potenzen der Heimerziehung" beschrieben

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Pflegefamilien- und Heimerziehung, Betrachtung zweier stationärer Betreuungsformen in der Jugendhilfe
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V97762
ISBN (eBook)
9783638962131
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pflegefamilien-, Heimerziehung, Betrachtung, Betreuungsformen, Jugendhilfe
Arbeit zitieren
Olaf Schwedler (Autor:in), 2000, Pflegefamilien- und Heimerziehung, Betrachtung zweier stationärer Betreuungsformen in der Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97762

Kommentare

  • Gast am 3.1.2003

    Pflegefamilien+Heimerziehung.

    Schreibe meinen Erfahrungsbericht Zwecks Abschluß meiner Sozialpädagogischen Ausbildung. Habe großes Interesse an Ihr Buch "Heime und Pflegefamilien-konkurrierende Erziehungshilfen?
    Habe Ihre Belegarbeit gelesen - sehr gut!

Blick ins Buch
Titel: Pflegefamilien- und Heimerziehung, Betrachtung zweier stationärer Betreuungsformen in der Jugendhilfe



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