Megamedium Internet - Ein Medium frißt seine Eltern


Seminararbeit, 2000

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Vom ARPAnet zum Internet
2.1 Die Entstehung des ARPAnet
2.2 Die Entwicklung zum Internet

3 Kommunikationsdienste im Internet
3.1 E-Mail und Mailinglisten
3.2 Usenet
3.3 Das World Wide Web (WWW)

4 Massenmedien im Internet
4.1 Printmedien
4.1.1 Zeitungen versus Onlineinformationsdienste
4.1.2 Bücher aus dem Internet
4.2 Audiovisuelle Medien
4.2.1 Alternativen zu Tonträgern und Videos
4.2.2 Radio und Fernsehen im Internet

5 Zusammenfassung

1 Einleitung

Wohl kaum ein Thema steht derzeit so im Blickpunkt der - westlichen - Öffentlichkeit wie die stürmische Entwicklung von Internet, Mobilfunk & Co. - den “Neuen Medien”.

Gerade das Wachstum des Internet hat in den nicht einmal zehn Jah- ren seit der Entstehung seines wohl bekanntesten Dienstes, dem World Wide Web (WWW), und der Öffnung für die allgemeine Öffentlichkeit in einer regelrechten “Internetmanie” alles bisher da gewesene in den Schatten gestellt. An den Börsen werden Aktien, die auch nur weitestge- hend etwas mit dem Internet zu tun haben, mit exorbitant hohen Kursen bewertet, auf kaum einer Werbeanzeige fehlt die zugehörige Internet- adresse, Ge- heimdienste und Militärs rekrutieren sogenannte “Hacker” (Computer- spezialisten, die in fremde Computernetze eindringen, und diese aus- forschen und manipulieren können), da sie davon ausgehen, dass in der neuen “Informationsgesellschaft” die Herrschaft über “das Netz“ aus- schlaggebend für die Macht eines Staates sein wird (Taiwan stellt derzeit beispielsweise eine High-Tech-Armee aus Hackern auf, um gegen den im Bereich der konventionellen Waffen übermächtigen Nach- barn, der Volksrepublik China im “virtuellen Krieg” anzukommen).

Der Begriff der “neuen industriellen Revolution” des ausgehenden zwanzigsten, und beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts, der Entwicklung von der Industriegesellschaft hin zur Kommunikations- und Informationsgesellschaft, ist in aller Munde.

In der Medienlandschaft wird die Bedeutung des Internet nicht selten mit der des Buchdrucks gleichgesetzt. Fast panikartig wenden sich alle Medienschaffenden - Verlage, Radio- und Fernsehsender, die Musikin- dustrie - dem Internet zu, in der allgemein geteilten Auffassung, dass in eher kurzer als langer Zeit die konventionellen Medien vom neuen “Megamedium Internet” verdrängt oder verschluckt werden.

In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe von Fragen: Hat das Internet überhaupt das Potential, ernsthafter oder gar übermächtiger Konkurrent der konventionellen Medien zu werden - und wenn ja, wel- che Medien sind wie weitgehend betroffen? Was sind die revolutionären Vorteile des Internet als Kommunikationsinstrument und wie sind diese entstanden?

Das Potential des Internet abzuschätzen und seinen Weg zum Megamedium zu umreißen, soll die Aufgabe der folgenden Arbeit sein.

2 Vom ARPAnet zum Internet

2.1 Die Entstehung des ARPAnet

Am 04.10.1957 startete die Sowjetunion mit Sputnik-1 den ersten künst- lichen Satelliten. Die Folge davon war der sogenannte Sputnik-Schock - die Angst der westlichen Welt vor einer wissenschaftlich-technischen und militärischen Überlegenheit des Ostens. Unter dem Einfluss dieses Trau- mas startete die USA eine großangelegte Initiative zur Förderung mög- licherweise militärisch interessanter Projekte. Zu diesem Zweck wur- de vom Pentagon die Advanced Research Projects Agency (ARPA) ge- grün- det, mit der ausdrückliche Zielsetzung, neue, innovative Techno- logi- en zu entwickeln und dabei auch nach Visionen und verrückten Ideen Ausschau zu halten, um sie auf ihre Realisierbarkeit zu prüfen1. Neben konkreten Projekten wurde, unter anderem auf Initiative des damaligen US-Präsident Johnson auch die breite Grundlagenforschung gefördert.

„ Under this policy more support will be provided under terms which give the university and the investigator wider scope for inquiry, as contrasted with highly specific, narrowly defined projects. ” 2

Gefördert wurden unter anderem auch mehrere Projekte verschie- dener Universitäten, die darauf abzielten, ihre Computer mit dem Ziel der Maximierung von deren Rechenleistung zu vernetzen. Diese Forschungsprojekte wurden durch die vom Pentagon gegründete Advanced Research Projects Agency (ARPA) aufeinander abgestimmt, mit dem Ziel, so schnell wie möglich eine funktionsfähige Netzwerktechnologie zu entwickeln und ein Computernetzwerk aufzubauen.

Innerhalb des folgenden Jahrzehnts wurden mit der Entwicklung von Designstudien, Netzwerkkonzepten und Übertragungstechnologien (zum Beispiel den Konzepten des dezentralen Netzes und der paketorientier- ten Datenübertragung) die Grundlagen des zukünftigen ARPAnet gelegt. Im Laufe des Jahres 1969 schließlich erfolgte die Errichtung des ARPAnet: Großrechner in 4 US-Institutionen (University of California, Los Angeles [UCLA]; Stanford Research Institute [SRI]; University of California, Santa Barbara; University of Utah)3 wurden miteinander verknüpft.

2.2 Die Entwicklung zum Internet

Politik der ARPA war es nie, von ihr geförderte Technologien nur dem Militär vorzubehalten. Im Gegenteil - die Publikation der Forschungs- er- gebnisse und deren privatwirtschaftliche Nutzung wurde ausdrücklich begrüßt4. Dementsprechend blieb es nicht aus,dass die Technologie des ARPAnet bald auch in anderen, öffentlichen wie privaten Netzen An- wen- dung fand.

Schon in den 1970er Jahren entwickelten sich parallel zum Ausbau des ARPAnet Netzwerke innerhalb von Universitäten, Forschungseinrich- the Academic Capability for Science Throughout the Nation; in: J.L. Penick Jr., C.W. Pursell Jr., M.B. Sherwood, & D.C. Swain (Eds.), The Politics of American Science, 1939 to the Present. Cambridge: MIT Press. tungen und großen Unternehmen. Das größte und bekannteste unter ih- nen war das von der National Science Foundation (NSF) 1983 gegründete NSFnet5. Es gehörte zwar zu den späteren Gründungen, war dafür aber praktisch von Beginn an dem ARPAnet an Kapazität weit überlegen und wurde schon kurz nach der Gründung zum wichtigsten Netz der USA.

Auch außerhalb Amerikas bildeten sich relativ schnell Netzwerke, bzw. es schlossen sich Institutionen bestehenden amerikanischen Netzwerken an. So wurden im Jahr 1973 das University College of London in Großbritannien sowie das Royal Radar Establishment in Norwegen an das ARPAnet angeschlossen und die ersten zur umfangreichen Internationalisierung der Netz nötigen Satellitenverbindungen getestet.

Der Kompatibilitätsgedanke war bei der Bildung des ARPAnet immer sehr wichtig gewesen. Schließlich war es ja erklärtes Ziel, Computer zu verbinden, und das war nur mit kompatiblen Übertragungstechnologien möglich. Allerdings nutzten die neben dem ARPAnet entstandenen Netz- werke häufig sehr proprietäre Technologien, mit denen die Besitzer (allen voran die großen europäischen Telekommunikationsmonopole) den lu- krativen Netzwerkmarkt gegen Konkurrenten abschirmen wollten.

Um ein großes Metanetzwerk - das Internet - zu schaffen, war es da- her nötig, ein stabiles und leistungsfähiges Übertragungsprotokoll (einen Satz von Regeln, der die Art des Datentransfers zwischen Netzwerken fest- legt6 ) zu schaffen und dieses so überzeugend zu etablieren, dass es die parallel existenten Protokolle verdrängten konnte. Dieser Schritt wur- de getan mit der Entwicklung (1974-76) des - mit einigen Änderungen bis heute gebräuchlichen - Protokolls TCP / IP (Transmission Control Proto- col / Internet Protocol) , dass ab 1982 Standard im ARPAnet und allen großen Netzen der USA, und damit quasi Weltstandard wurde7.

Mit der Etablierung des Standards TCP / IP wurden die Netzwerke zu- einander kompatibel, konnten miteinander kommunizieren und wurden damit zu einem einzigen Metanetzwerk (Netzwerk aus Netzwerken) - ab 1982 spricht man denn auch vom Internet als der Menge aller zumindest temporär miteinander vernetzter Computer, die ein gemeinsames Adres- sierungssystem nutzen und deren Datenübertragungsprotokolle mit TCP / IP kompatibel sind.

„The Federal Networking Council (FNC) agrees that the following language reflects our definition of the term “Internet”. “Internet” refers to the global information system that

(i) is logically linked together by a globally unique address space based on the Internet Protocol (IP) or its subsequent extensions/follow-ons
(ii) is able to support communications using the Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) suite or its subse- quent extensions/follow-ons, and/or other IP-compatible pro- tocols; and
(iii) provides, uses or makes accessible, either publicly or privately, high level services layered on the communications and related infrastructure described herein.”8

3 Kommunikationsdienste im Internet

Das ARPAnet wurde geplant und realisiert für eine Nutzung als akademi- sches Forschungsnetz. Die wenigen (und teuren) an Universitäten vorhan- denen Computer sollten von möglichst vielen Wissenschaftlern genutzt, und dadurch optimal ausgelastet werden können9, außerdem sollten geo- graphisch voneinander getrennte Forscherteams effizient an gemeinsa- men Projekten arbeiten können. An eine Nutzung des Netzes zur Kom- munikation zwischen den Nutzern war ursprünglich nicht gedacht - vielmehr sollten Computer miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten können.

Die zu diesem Zweck eingesetzten Technologien File Transfer Proto- col (FTP - ermöglicht die Übertragung von Daten oder Computerprogram- me über eine Datenleitung von einem Computer auf einen anderen10 ) und Telnet (Anwendung zur Fernsteuerung eines Computers mittels eines Terminals, das selber nur Eingabe- und Ausgabegerät ist) waren jedoch nur kurz im Internet vorherrschend. Verdrängt von ihrer Spitzenposition wurden sie von Kommunikationsdiensten, die im Verlauf der Weiterent- wicklung des Internet teilweise sogar entgegen den Vorstellungen der Sy- stemadministratoren eingeführt wurden und das wahre Potential des In- ternet nutzten: die Optimierung der Kommunikation zwischen den Nut- zern des Internet.

3.1 E-Mail und Mailinglisten

Die Electronic Mail (E-Mail) wurde als erster, explizit für die Kommunika- tion zwischen Menschen vorgesehener Internetdienst ab 1971 in das AR- PAnet integriert. Eine breite Verwendung als Kommunikationsinstrument für die “normalen” Nutzer war bei der Einführung nicht geplant - vorge- sehen war die E-Mail lediglich als Hilfsmittel zur Verwaltung des ARPA- net, vorbehalten einer kleinen Gruppe von Netzwerkadministratoren.

Technisch gesehen handelt es sich um eine bidirektionale Individualkommunikation (Nutzer sind gleichzeitig Sender und Empfänger und versenden Inhalte zielgerichtet an spezifizierte Adressaten) - sie ermöglicht das Versenden von Nachrichten innerhalb vernachlässigbar kurzer Zeit über eine beliebig große Entfernung. Die E-Mail stellt damit das Internetpendant zum Brief dar11.

Erweitert wurden die Fähigkeiten der E-Mail durch die Einführung der Möglichkeit, eine Nachricht gleichzeitig an mehrere - theoretisch sogar unbegrenzt viele - Adressaten zu schicken. Dies führte zur Entstehung von Mailinglisten Mitte der 1970er Jahre, die der E-Mail das Potential eines Massenmediums verliehen. Bei der Hauptform der Mailinglisten schicken alle Teilnehmer ihre Beiträge an einen Moderator (meist der Initiator der Liste), der sie zusammenstellt und regelmäßig an alle Abon- nenten verschickt. Es ist jedoch auch möglich (aber nur bei kleinen Mailingli- sten praktikabel), dass jeder Teilnehmer seinen Beitrag an jeden anderen Abonnenten schickt.

Die E-Mail war die erste sogenannte ´´Killerapplikation” des Internet, das heißt, der erste Dienst, der eine große Menge potentieller Nutzer dazu motivierte, das Netz tatsächlich zu nutzen und damit das Wachstum des ARPAnet immens förderte - bereits 1973 waren 75% der übertragenen Daten im ARPAnet E-Mail12.

Wie erwähnt ist die E-Mail die elektronische Variante des Briefes - sie weist der normalenPost gegenüber jedoch wesentliche Vorteile auf. Zum einen dauert der Transport einer Mail unabhängig von der Entfer- nung nur Sekunden, verglichen mit der tage- bis wochenlangen Wege- dauer herkömmlicher Briefe ein enormer Fortschritt (die herkömmliche Post wird daher im Internet in Analogie zum Begriff E-Mail scherzhaft S-Mail - Snail Mail / Schneckenpost genannt). E-Mails sind ferner von je- dem vernetzten Rechner, und inzwischen auch von Mobiltelefonen aus abruf- bar - eine geographisch fixierte Adressierung ist im Unterschied zur Briefpost nicht notwendig. Ein weiterer Pluspunkt der E-Mail ist der Kostenfaktor: der Transport auch sehr langer Mails kostet nur ein Bruch- teil dessen, was für einen normalen Brief zu zahlen ist - und die Kosten sinken mit den abnehmenden Verbindungskosten im Gegensatz zu de- nen der Briefpost immer mehr. Hinzu kommt die relative Sicherheit der

E-Mail: elektronische Post kann zwar von Hackern oder Geheimdiensten sehr leicht abgefangen werden, allerdings ist auch die Briefpost absolut problemlos - und von einem viel größeren Personenkreis überwachbar. Immerhin weist die E-Mail einen sehr großen Vorteil auf: sie kann im Gegensatz zur Briefpost sehr einfach so verschlüsselt werden, dass sie für Unbefugte praktisch nicht lesbar ist. Außerdem ist es vergleichsweise schwer, eine E-Mail auf ihrem Weg zu blockieren: sie abzufangen heißt in der Regel nur, eine Kopie zu erhalten, die Mail wird an den Adressaten weitergeleitet - Briefpost hingegen kann sehr einfach dem Adressaten vorenthalten werden.

Allerdings gibt es nicht nur Vorteile der E-Mail gegenüber der traditio- nellen Post. Die persönliche Note eines handgeschriebenen Briefes ist durch eine E-Mail kaum zu erreichen. Ferner stecken die Technologien zur absolut sicheren Authentifizierung des Absenders noch in den Kin- derschuhen (wenn die Entwicklung in diesem Bereich auch sehr schnell voranschreitet), was gerade bei offiziellen Schreiben, die Unterschriften erfordern, problematisch ist - und schließlich ist einfach auch noch nicht Jeder per E-Mail erreichbar.

Im Vergleich der Vor- und Nachteile wird deutlich, dass die E-Mail ein ernstzunehmender Konkurrent der herkömmlichen Post ist und ihre Position mit der stark zunehmenden Zahl der Internetanschlüsse immer stärker wird. Es spricht wenig dagegen, Geschäftspost oder auch einen erheblichen Anteil des privaten Schriftverkehrs per E-Mail zu versenden. Immerhin wurden schon 1996 über 90% aller Briefe elektronisch erstellt13 - was liegt näher, als diese Schreiben auch elektronisch zu verschicken, statt sie umständlich auszudrucken und auf traditionellem Wege zu ver- senden?

So ist es jüngsten Verlautbarungen zu folge Ziel der Bundesregierung, es möglich zu machen, noch in diesem Jahrzehnt alle Behördengänge per Internet, und das heißt vor allem per E-Mail zu erledigen.

Angesichts der Vorteile der E-Mail und ihrer immer schnelleren Verbreitung (derzeit werden schätzungsweise 8 Milliarden E-Mails täglich versandt) liegt daher die Annahme nahe, dass sie den Brief als Medium der schriftlichen bidirektionalen Individualkommunikation zumindest mittelfristig weitgehend ablösen wird.

3.2 Usenet

Beim Usenet (erfunden 1979) handelt es sich um ein Medium der poly- direktionalen Massenkommunikation14 - jeder Nutzer kann als Sender und Empfänger fungieren und versendet Inhalte wie der klassische Rund- funk nicht an genau spezifizierte Adressaten, sondern stellt sie allen po- tentiellen Nutzern zur Verfügung. Das Prinzip des thematisch in News- groups unterteilten Usenet sieht vor, dass Nachrichten für jeden Inter- essierten lesbar auf einem Server gespeichert und auf diesem auch von Jedem kommentiert werden können.

Die Struktur des Usenet hat sich seit seiner Erfindung wenig geändert, es ist lediglich größer geworden, sowie offener, was die Bandbreite der geführten Diskussionen betrifft. Waren anfangs wissenschaftliche und politische Themen vorherrschend, so hat sich das Usenet zu einem sehr anarchistischen Medium entwickelt, in dessen weit über 100.000 Newsgroups über buchstäblich alles diskutiert wird.

Die Bedeutung des Usenet ist die eines völlig neuen Mediums. Es ist zwar im Prinzip mit einem schwarzen Brett vergleichbar15, geht aber in seiner Kapazität, Reichweite und Flexibilität (es können Textdateien, Programme, Audio- und Videodateien integriert werden) weit über die Fähigkeiten dieses Mediums hinaus.

In großen Bereichen des Usenet hat sich die kommerzialisierungs- feindliche Grundstimmung, die im Internet lange vorherrschend war, ge- halten und das Medium weitgehend erfolgreich vor der in allen ande- ren Bereichen des Internet grassierenden Kommerzialisierungswelle be- wahrt. Ein bekanntes Beispiel dafür, wie unangenehm die Wirkung des Versuchs der kommerziellen Nutzung des Usenet sein kann, ist der Fall US-ameri- kanischen Anwaltskanzlei Canter&Siegel, die im Jahr 1994 Werbebotschaften an 6.000 Newsgroups verschickte und von empörten Anwen- dern so viele Beschwerde-E-Mails bekam, dass ihr Zugangs-Provider vom Netz abgetrennt werden musste16.

Diese Haltung wird von der Struktur des Usenet begünstigt: die Nut- zer werden nicht mit Inhalten “berieselt”, sondern können sich unterein- ander über die Inhalte austauschen. Im Unterschied zu Homepages im World Wide Web bestimmt damit nicht der ursprüngliche Produzent ei- nes Inhal- tes dessen Darstellung - seine Inhalte stehen gleichberechtigt neben (ge- gebenenfalls unangenehmen) Kommentaren der Konsumen- ten.

„Firmen haben ein Interesse daran, mit ihren Kunden zu re- den, und dass auch die Kunden mit ihnen reden können. Aber kaum eine Firma hat Interesse daran, dass die Kunden ein Me- dium haben, untereinander über die Firma zu reden. Aber ge- nau das ist in den Newsgroups [...] der Fall. Hier bildet sich eine Öffentlichkeit über eine Firma und deren Produkte, die sich überregional ausdehnen, von der Firma aber nicht direkt kontrolliert werden kann. Der Umgang mit solchen polydirek- tionalen Medien ist für jemanden, der hier bestimmte Interes- sen verfolgt, sehr viel schwieriger als in einer stärker kontrol- lierten Umgebung.”17

Ein fast klassisches Beispiel für die Macht der User im Usenet ist die Affäre um den Pentium-Chip der Firma Intel18: In einer Newsgroup wurde ein Divisionsfehler des Computerchips zuerst bekannt und durch den vereinten Druck der Verbraucher in dieser Gruppe wurde Intel zu einer Umtauschaktion bewegt. Die Firma hatte in der Diskussion versucht, die Nutzer zu beschwichtigen, da der Fehler nur bei einer selten benötigten Rechenanwendung auftrete. Diese Taktik hätte einzelnen isolierten An- wendern gegenüber Erfolg haben können, was jedoch im Usenet nicht der Fall war, da die Nutzer sich untereinander austauschen konnten19.

Die Zukunft des Usenet als Kommunikationstool ist schwierig abzu- schätzen. Einerseits ist das Potential für offene, unzensierte Diskussio- nen nirgendwo größer, andererseits fristet das Usenet aufgrund von Skan- dalen (Kinderpornographie und Tipps zu Raubkopien können im Usenet genauso anonym ausgetauscht werden wie Rezepte und Gedichte) und einer bei weitem nicht so komfortablen Bedienung, wie sie das WWW bie- tet, eher ein Schattendasein im Internet. Im Gegensatz zur Zeit vor der Erfindung des WWW nutzt heute nur noch eine Minderheit der Internet- nutzer das Usenet.

Wie sich das Usenet zukünftig entwickelt, hängt vor allem ab von der Entwicklung des WWW - nimmt dort im Zuge der Kommerzialisierung die Anonymität und Offenheit ab, so hat das Usenet durchaus Chancen, sich weiterhin als starker Kommunikationsdienst im Internet zu behaupten.

3.3 Das World Wide Web (WWW)

Tim Berners-Lee vom Genfer Kernforschungszentrum CERN (Conseil Eu- ropeen pour la Recherche Nucleaire) entwickelte 1991 ein Hypertextsys- tem mit einer äußerst einfach zu bedienenden graphischen Benutzer- oberfläche. Mit dem von ihm als Public-Domain-System (also als öffent- liches Gut) eingeführten System wollte er Dokumente von allgemeinem

Interesse für alle Mitglieder der Forschungseinrichtung zugänglich ma- chen20. Revolutionäre Neuerung dieses Systems war die Hypertextfähigkeit: in HTML (Hypertext Markup Language) abgefasste Dokumente können mittels Querverweisen mit jedem anderen im Netz befindlichen Doku- ment verknüpft werden. Dadurch entstand ein “World Wide Web” - eine über den gesamten Globus verteilte Dokumentensammlung, deren In- halte nicht mehr voneinander isoliert nebeneinander, sondern in einem Kontext zu- einander stehen21.

Die ursprüngliche Kommunikationsstruktur des WWW ist - vergleich- bar mit den traditionellen Massenmedien - bidirektional aufgebaut. Ein Nutzer kann sich die angebotenen Inhalte ansehen (und selbst welche ins Netz stellen) und - falls vom Verfasser vorgesehen - auf sie beispiels- weise mittels E-Mail reagieren, er kann sie jedoch nicht verändern22. Das WWW vereinigt mit publishing, real-time-, und near-time-communication, broad- cast and narrowcast erstmals bisher entgegengesetzte Medieneigenschaf- ten23.

Im Laufe seiner Entwicklung integrierte das WWW die verschieden- sten Internetdienste. Beispielsweise sind Programmdatenbanken, auf die frü- her mittels FTP zugegriffen wurde, heute auch im WWW verfügbar und man kann im WWW E-Mails versenden und empfangen. Es wurde aber auch die bidirektionale Struktur aufgebrochen durch die Einbezie- hung von Medien mit polydirektionaler Kommunikationsstruktur: es fin- den bei- spielsweise Usenet-ähnliche Diskussionen statt, häufig sogar als “Chat” in Echtzeit.

Das WWW hat in den wenigen Jahren seiner Existenz eine sogar für das schnell wachsende Internet atemberaubende Karriere aufzuweisen: es wuchs 1993 mit einer Rate von 341.634%, wurde 1996 größter Internetdienst (gemessen an der Menge der übertragenen Daten24 ) und ist heute in Bedeutung und Bekanntheitsgrad so beherrschend, dass es von vielen Nutzern mit dem Internet gleichgesetzt wird.

Durch die Einbeziehung der Kommunikationsmöglichkeiten zum Bei- spiel von Usenet und E-Mail und die Entwicklung neuer Technologien wurde das WWW zu einer Plattform, auf der die verschiedensten For- men von Individual- und Massenkommunikation nebeneinander existie- ren und miteinander kombiniert worden sind. Dabei verknüpft es nicht nur die Fähigkeiten der anderen Internetdienste zu einem Meta-Internetdienst, sondern es scheint in der Lage zu sein, auch die Fähigkeiten der “Alten Medien” in sich zu vereinigen - und dies auf einer angehobenen Qualitäts- stufe.

4 Massenmedien im Internet

“ The traditional media of the Fourth Estate (originally called ’ the Press ’ ) are converging with computing and telecommuni cations to create nothing less than a new medium of human communication - with the Net at its heart. ”

Don Tapscott, Chair, Alliance of Converging Technolgies 25

Die kürzlich bekannt gegebene Fusion zwischen dem Internet-Provi- der AOL und dem Mediengiganten Time-Warner machte deutlich, dass der Trend in der Wirtschaft derzeit in der Fusion von Content (Netz- Inhalte) und Access (Netzzugang) besteht. Waren zu Beginn des “Internet- Zeitalters” - das im normalen Sprachgebrauch eigentlich dem Beginn des WWW-Zeitalters entspricht - die Nutzer sowie spezielle Internetunter- nehmen Lieferanten der Inhalte des Internet, so drängen mit der Etablie- rung des eCommerce (über das Internet abgewickelte Wirtschaftsaktivi- täten) und der zunehmenden Interneteuphorie auch verstärkt traditio- nelle ”Content-Provider”, allen voran die großen Medienkonzerne auf den lukrativen und zukunftsträchtigen Internetmarkt. Dabei wird das Netz sowohl als Medium zur Präsentation der Inhalte als auch als Distributions- kanal zur Übertragung von Inhalten, beispielsweise in Form von Audio- oder Textdateien genutzt.

4.1 Printmedien

4.1.1 Zeitungen versus Onlineinformationsdienste

Die Präsentation von Informationen im Internet gegenüber derjenigen in herkömmlichen Zeitungen eine ganze Reihe von Vorteilen. Zum einen verliert die alte Weisheit “Nichts ist älter als die Zeitung von gestern” im Internet ihre Bedeutung, da hier Inhalte sekündlich aktualisierbar sind - eine Zeitung von gestern gibt es auf (gut gepflegten) Onlineinformations- seiten nicht mehr. Ferner ist die Anzahl der publizierten Daten faktisch unbegrenzt, auch die Vielzahl der Publikationsmöglichkeiten ist bedeu- tend größer als bei “echten” Printmedien. Audio- und Videoelemente sind integrierbar, Archive können zugänglich gemacht werden und das WWW bietet die Möglichkeit zur direkten Kommunikation mit den Nutzern via E-Mail, Chat oder Diskussionsforum. Eine weitere bedeutende Neuerung ist, dass die Angebote personalisiert, also auf die Bedürfnisse jedes einzel- nen Nutzers gesondert abgestimmt werden können (der Nutzer kann bei- spielsweise mittels eines Fragebogens selbst entscheiden, aus welchen Themenbereichen er Informationen angezeigt haben möchte) - bei her- kömmlichen Printmedien undenkbar. Durch Navigationsprogramme wie Suchmaschinen wird dem Nutzer das Auffinden ihn interessierender In- formationen zusätzlich erleichtert.

Ein weiterer Punkt ist zu bedenken: das Internet ist so schwer zensier- bar wie kein anderes Medium (und wird gerade deshalb in Diktaturen gefürchtet und eingeschränkt oder gar verboten - in China werden beispielsweise alle Anbieter und Nutzer, die einen Internetanschluss genehmigt bekommen, polizeilich registriert).

„[...] eine ’Zensur’ des Internet gleicht dem Versuch, ein großes Sieb mit dem Daumen abzudichten. Das Konzept des Internet ist so ausgelegt, dass es auch nach einem atomaren Erstschlag noch funktionieren soll.´´26

Durch die besonderen Eigenschaften des Internet ist es möglich, über die in traditionellen Zeitungen verbreiteten Inhalte hinauszugehen. Mit ihrer Kombination aus purer, ungefilterter Informationen (aktuelle Börsenda- ten, Tickermeldungen) und journalistisch verarbeiteten Inhalten (tradi- tionelle Artikel, Kommentare) können Onlineinformationsdienste entste- hen, die die Vorteile von (Tages-)Zeitungen und Nachrichtenagenturen verbinden und durch direkte Nutzer-Anbieter-Kommunikation und Perso- nalisierung ganz neue Qualitäten der Informationsbereitstellung ermög- lichen.

Die Frage der Kosten ist auf der Anbieterseite ambivalent. Bezüglich der Produktionskosten ist das Internet der herkömmlichen Zeitung überlegen, es fallen zwar zur Pflege des Angebots zusätzliche Personal- und Infrastrukturkosten an, dafür werden Druck- und Distributionskosten in großer Höhe eingespart. Andererseits beschränken sich die Einnahmen auf Werbung und Anzeigenannahme - aufgrund der besonderen Struktur des WWW (es herrscht durch den globalen Markt und hohe Transparenz in dieser Beziehung fast vollkommene Konkurrenz) sind Gebühren für die Nutzung der Inhalte zumeist nicht realisierbar.

Als Nachteil wird oft empfunden, dass Onlineinformationsdienste le- diglich vom ans Netz angeschlossenen PC aus erreichbar sind, aber auch hier holt das Internet auf: Laptops mit Internetanschluss per Mobilfunk sind schon verfügbar und werden sowohl handlicher als auch immer ko- stengünstiger. Ein nicht unerheblicher Kostenfaktor, die Gebühren für die Internetverbindung, nehmen ebenfalls immer mehr ab und haben teilweise durch sogenannte Flat-Rates (zeitunabhängige Pauschaltarife) schon ein sehr niedriges Niveau erreicht und auch die Nutzungskosten für die Mobilkommunikation fallen ständig. Es sollte daher nicht mehr lange dauern, bis man auch unterwegs bequem und kostengünstig auf das Internet zugreifen kann

So kann es kaum verwundern, dass immer mehr Verlage auf das Inter- net setzen, um die Kundenbindung durch Extra-Service zu stärken und Erfahrung für einen möglichen kompletten Umstieg auf das Internet zu sammeln. Die Zahl der im Internet präsenten internationalen Tageszei- tungen ist beispielsweise von 154 Anfang 199627 auf 3622 Mitte des 1997 28 angestiegen - heute sind fast alle größeren Zeitungen, wenn auch un- terschiedlich intensiv, im Internet präsent. Einen radikalen Umstieg auf das Internet wagen schon einige Verlage, wie zum Beispiel der Medien- konzerns des Kanadiers Ken Thompson, der 130 hochprofitable Objekte, zumeist Regionalzeitungen verkaufte, um sich mit dem Erlös intensiv im Informationsgeschäft des WWW zu engagieren (Thompson behielt nur ei- ne einzige Zeitung). Auch europäische Verlagsriesen wie Rupert Murdoch („Ich glaube nicht mehr so recht an die Tageszeitung”29 ) und Pearson (Fi- nancial Times) engagieren sich immer mehr im Internet30.

Angesichts der heute zu beobachtenden Entwicklung ist es wohl kaum prophetisch anzunehmen, dass den herkömmlichen Zeitungen in Zu- kunft eine übermächtige Konkurrenz von den Onlineinformationsdien- sten er- wachsen wird. Den preislichen, und qualitativen Vorteilen des

Internet können die konventionellen Printmedien, die in Quantität und Qualität der publizierten Inhalte beschränkt, preispolitisch deutlich benachteiligt und inflexibler sind und deren Distribution starken zeitlichen und geo- graphischen Begrenzungen unterliegen, langfristig kaum etwas entgegen- setzen. Die Zeit der Nachrichtenübermittlung für Geld scheint mittel- fristig vorbei zu sein - Neuigkeiten gibt es im Netz umsonst, hochaktuell und neuerdings auch mobil.

„ Take it as a given that within five years, networked computers in the workplace and the home will compete on an equal footing with the existing news media as a routine source of news for over half the public and the industrialized world. ” Neuman 31

4.1.2 Bücher aus dem Internet

In jüngster Zeit wurden erste Experimente mit dem direkten Verkauf von Romanen im Internet gestartet. Damit ist allerdings nicht der schon weit verbreitete Handel mit traditionellen Büchern über das Internet gemeint, sondern der direkte Versand von Literatur als Software anstelle einer physischen Distribution.

Stephen King veröffentlichte sein Buch Riding the Bulletëxklusiv im Internet - mit überwältigendem Erfolg. In nur 24 Stunden wurde das für diese Frist kostenlose Buch über zwei Millionen Mal aus dem Internet heruntergeladen. Auch zum regulären Verkaufspreis ist das Buch sehr erfolgreich32.

Hauptgrund für den Erfolg dieses Buches ist neben der Popularität des Autors und dem Reiz des Neuen vor allem der Distributionsvorteil: der Preis ist mit 2,50 US-$ erheblich niedriger als der für gedruckte Bü- cher und es ist in Sekundenschnelle verfügbar. Diese Vorteile kommen be- sonders zur Geltung für die sogenannte Trivialliteratur, bei der es we- niger um die Form der Distribution, sondern mehr um den Inhalt geht.

Liebhaber des Kulturguts Buch kritisieren die nicht-physische Distri- bution von Literatur aufs schärfste: sie akzeptieren als Buch nur etwas, was “aussieht, sich anfühlt und riecht wie ein Buch”. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Form der Distribution eines Buches tatsächlich so viel zu seinem Wert als Kulturgut beiträgt - immerhin hat das Buch in seiner Entwicklungsgeschichte mehrere Metamorphosen seines Erscheinungs- bildes durchgemacht (von der Lehmtafel über die Papyrusrolle hin zu beschriebenen oder bedruckten Blattsammlungen) und dabei wohl kaum an kulturellem Wert verloren.

Der Versand von Texten im Internet ist strukturell bedingt global, daher lassen sich einzelstaatliche Buchpreisbindungen kaum noch auf- rechterhalten. Dies ist allerdings auch nicht nötig: die Begründung der Quersubvention, die in der Förderung auflagenschwacher, aber kulturell hochwertiger Bücher besteht, greift im Internet nicht mehr. Da kein phy- sisches Objekt verkauft wird, sind die Kosten der Publikation sehr ge- ring (keine Druck- oder Lagerhaltungskosten) und bestehen hauptsäch- lich aus Fixkosten. Dadurch verringern sich die Risiken der Aufnahme von Werken mit voraussichtlich geringem Absatz ins Verlagsprogramm enorm und die Voraussetzungen etwa für junge, unbekannte Schriftstel- ler, zu veröffentlichen, können steigen.

Die Kostenvorteile der Produktion können als niedrigerer Preis an die Endkunden weitergegeben werden, was die Lesekultur stärken könnte, da niedrigere Preis auch eine vergrößerte Kundenbasis und absolut höhere Absätze zur Folge haben können.

Im übrigen verbraucht Literatur aus dem Internet kein Papier und keine Druckerschwärze - ein Beitrag zum Umweltschutz!

Allerdings existieren natürlich nicht nur Vorteile. So gibt es beispiels- weise das Problem der Raubkopien. Dieses heute schon in der Musik- und Softwareindustrie bekannte Problem tritt wohl zwangsläufig auch im vir- tuellen Buchversand auf. Derzeit versuchen die Verlage, durch Kopier- schutzsysteme diesem Problem zu begegnen, allerdings häufig auf Ko- sten der Kunden: ein Weiterverkauf oder auch nur Verborgen virtuell er- worbener Literatur ist derzeit kaum möglich, was eine Nutzeneinschrän- kung darstellen kann.

Elektronische Literatur ist zudem - abgesehen von der Möglichkeit des Ausdruckens - nur am PC oder einem speziellen Computer wie zum Beispiel dem eBook lesbar. Da die benötigten Geräte eine Anfangsinvesti- tion in erheblicher Höhe (beim eBook derzeit 200-270 US-$) sowie zur Literaturbeschaffung in der Regel einen Internetanschluss voraussetzen, bestehen einige Vorbehalte seitens der Nutzer. Allerdings bieten sie auch Vorteile gegenüber dem traditionellem Buch. Die Geräte sind schon heute sehr handlich (das eBook hat Taschenbuchgröße und wiegt 627 Gramm) und bedienerfreundlich (mit Hyperlinks, Lesezeichen, beleuchtetem Dis- play zum problemlosen Lesen im Dunkeln) und können gleichzeitig meh- rere Textdateien in ihrem Speicher vorrätig halten (die Luxusversion des Rocket eBook besitzt genug Speicher für ca. 16.000 Textseiten). Kosten- lose Literatur (nicht mehr urheberrechtlich geschützte Werke von Ae- sop über Shakespeare und Goethe bis Karl May) ist im Internet ebenfalls schon zu finden33.

Die Lösung der Kopierschutz- und Anfangsinvestitionsprobleme wird entscheidend sein für die Entwicklung des Distributionskanals Internet. Auch der sogenannte Netzwerkeffekt spielt eine Rolle. Erst wenn ausreichend viele Nutzer entsprechende Geräte erworben haben, und die Anbieter weitgehend vor Raubkopien geschützt sind, werden auch Verlage oder auch einzelne Schriftsteller verstärkt ihre Literatur online anbieten. Sobald dies allerdings geschehen ist, kann sich eine sogenannte positive Spirale bilden: mehr verkaufte Geräte erzeugen ein größeres Literaturangebot, was wiederum den Geräteabsatz fördert.

Mittelfristig wird das Internet sicher ein bedeutender Distributionska- nal für Literatur sein - zu deutlich sind die Vorteile im Bereich von Preis- gestaltung und Komfort. Dies wird allerdings vorerst sicher nicht für alle Marktsegmente zutreffen. Nachschlagewerke, Bildbände und ande- re auch wegen ihrer repräsentativen Form geschätzte Büchern wird es wohl auch zukünftig noch geben. Es zeichnet sich ein Umwälzungspro- zess im Verlagsgeschäft ab, der unter anderem geprägt sein wird vom Internetver- sand, aber auch von “Print on Demand” und anderen neuen Distributions- formen.

4.2 Audiovisuelle Medien

Bei der Nutzung des Internets als Distributionskanal für Audio- und Videodateien relativieren sich die Vorteile des Internet (Geschwindigkeit und Kosten), da die betreffenden Daten sehr umfangreich, die Bandbreiten des Internet aber - noch - sehr begrenzt sind.

Allerdings hat sich hier schon viel getan: startete das Internet mit Maximalgeschwindigkeiten von 50 kbps (kilobit per second / 50.000 Bit pro Sekunde), so erreichen die Backbones des Internet (das “Rückgrat” des Netzes: die großen Datenleitungen, über die beispielsweise der inter- kontinentale Datenverkehr läuft) derzeit Geschwindigkeiten bis zu 2,5 Gbps (Gigabit per second / 2,5 Milliarden Bit pro Sekunde)34 - und mit der Weiterentwicklung beispielsweise der Glasfasertechnologie oder Nut- zung von Stromkabeln als Datenkanal werden zukünftig noch höhere Band- breiten erreicht werden.

4.2.1 Alternativen zu Tonträgern und Videos

Mit der schon relativ weiten Verbreitung von CD-Brennern ist es für viele Nutzer möglich geworden, beispielsweise Musik in Dateiform aus dem Internet zu beziehen und eigene CD’s selbst anzufertigen.

Die Übertragung der Inhalte einer normalen Audio-CD (bis ca. 650 MB) dauert derzeit aber noch zu lange, um konkurrenzfähig zu sein. Al- lerdings suchen sowohl Nutzer als auch Anbieter nach Möglichkeiten, diesen Engpaß zu überwinden. Beispielsweise hat sich für Audiodateien schon ein beträchtlicher (z.T. Schwarz-) Markt entwickelt. Dabei werden vor allem MP3-komprimierte Dateien übertragen (mittels MP3 werden Audiodateien qualitativ hochwertig auf bis zu 10% ihrer ursprünglichen Größe verkleinert, indem für das menschliche Ohr nicht hörbare Signale ausgefiltert werden).

Da Videodateien noch um einiges größer sind als Audiodateien, ist die Stellung des klassischen Videomarktes noch relativ unbedrängt. Es existieren bei weitem noch nicht die Bandbreiten, um qualitativ einer DVD (die neueste Technologie zur Videodistribution) gleichwertige Filme über das Internet zu vertreiben - sogar die heute gebräuchlichen lokalen Speichermedien stoßen hier an ihre Grenzen.

4.2.2 Radio und Fernsehen im Internet

Bei der Nutzung des Internet als Übertragungskanal für Radio oder Fernsehen ist eine hohe Übertragungskapazität des Netzes nötig, da ständig große Datenmengen versandt werden müssen.

Dies ist bei qualitativ mit dem klassischen Radio vergleichbaren Sendungen derzeit (bei guter Hardwareausstattung und gutem Internet-Pro- vider) der Fall (nicht jedoch bei Sendungen in CD-Qualität), daher sind diese schon relativ weit verbreitet - weltweit gibt es mittlerweile einige Tausend Internet-Radiosender.

Beim Fernsehen sind ausreichende Kapazitäten derzeit praktisch nie vorhanden. Daher existieren zwar bereits Ansätze für Internet-Fernsehen, diese bieten aber nur relativ kleine Bilder mit geringer Auflösung - von einer Konkurrenz zum traditionellen Fernsehen kann noch keine Rede sein.

Obwohl kurzfristig nicht mit einer Dominanz des Distributionskanals Internet im Audio- und Videobereich zu rechnen ist, bereiten sich sowohl Musikindustrie als auch Videoproduzenten darauf vor, ihre Inhalte über das Internet zu vertreiben, da angesichts der rasanten Entwicklungen in diesem Bereich das Übertragungspotential des Internet zumindest mittel- bis langfristig groß genug sein wird, auch umfangreiche Datenmengen zu übertragen, Außerdemist die Nachfrage der Nutzer nach multimedialen Daten aus dem Internet gigantisch: das Wort MP3 hat in den Suchma- schinen des Internet das in diesem Ranking lange unangefochten füh- rende Wort “Sex” als am häufigsten gesuchtes Stichwort bereits abgelöst.

Die kurzfristigen Aussichten des Internet als Fernsehsender oder CD- Verkaufs-Kanal sind aufgrund der noch bestehenden Bandbreitenprob- leme eher beschränkt, langfristig gesehen gehen jedoch Nutzer wie An- bieter von einer Verschmelzung von Radio, Fernsehen und Internet, sowie steigenden Marktanteilen in der Onlinedistribution von Multimediadaten aus.

5 Zusammenfassung

Das ARPAnet war entwickelt worden, um Computer zu verbinden und den Zugang zu ihnen zu erleichtern. Seinen Durchbruch erlebte es aber, weil es in der Lage war, die Kommunikation zwischen beliebig weit von- einander entfernten Menschen zu vereinfachen. Dabei spielte die Ent- fer- nung zwischen den angeschlossenen Computern vom bei der Ent- wick- lung nie eine Rolle - die Probleme bei der Vernetzung wären bei einem Me- ter Entfernung die gleichen wie bei Tausenden von Kilometern gewesen. Für die Nutzer jedoch erwies es sich als entscheidend, dass die Distanz zueinander irrelevant für die Kommunikation wurde, dass weit entfern- te Computerzentren plötzlich zusammenzurücken schienen und große Distanzen durch das Netz zusammenschrumpften35.

Nicht der Drang zu maximaler Effizienz der Forschungsmittel (durch Verknüpfung von Computerressourcen), sondern der Drang zu verein- fachter Kommunikation erwies sich als die treibende Kraft bei der Er- richtung des Internets. Und nicht einmal die wissenschaftliche Kommuni- kation war dabei entscheidend, sondern die Private: die erste bekannte Mailingliste war die der “Science-Fiction-Lovers”36, das Usenet ist zum überwiegenden Teil Schauplatz nichtwissenschaftlicher Kommunikation und auch das WWW feierte durch private Homepages seinen Siegeszug. “Klatsch und Tratsch” siegten über die wissenschaftliche Diskussion und trugen damit entscheidend zur heutigen Informations- und Kommuni- kationsrevolution, und mit ihr auch zum wissenschaftlichen Fortschritt bei.

Schon aus den technischen Eigenschaften wird deutlich, dass das Inter- net für die Nutzung als Medium wie geschaffen ist. Mit der Verbreitung billiger und leistungsstarker Computer vor allem in den 1990er Jahren und höheren Bandbreiten der Netzwerke sind die Kosten für die Veröffent- lichung von Informationen gegenüber den “alten” Medien teilweise kon- kurrenzlos niedrig geworden (mit Ausnahme des Audio- und Videobe- reichs) , sie sind außerdem fast völlig Fixkosten (Infrastruktur und Perso- nalkosten) und damit nahezu unabhängig von der Anzahl der Nutzer. Auf der Nutzerseite bestehen zwar noch relativ hohe Kosten für Computer und Telefonverbindung, diese werden aber ständig niedriger und sind wohl in näherer Zukunft vernachlässigbar. Ins Netz gebrachte Inhalte sind sofort weltweit verfügbar und jederzeit aktualisierbar.

In Verbindung mit fortschreitender Miniaturisierung der Computer, immer schnelleren Computernetzen, neuartiger papierdünner Lautspre- cher (die sich in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium befinden) und dem elektronischen Papier (dass noch in diesem Jahr serienreif sein könnte und durch elektronische Impulse beliebig oft wiederbeschreib- bar ist), scheint das Ende der konventionellen Medien nahe: Die Tapete wird zu Bildtelefon und Großbildfernseher mit Sound in Kinoqualität und Inter- netanschluss.37

Das Internet hat nicht nur das Potential, ein übermächtiger Konkur- rent für die traditionellen Medien zu sein - es nutzt dieses Potential be- reits: Kommunikation per E-Mail oder Chat ist heute für Viele selbstver- ständlich, Millionen Privatnutzer informieren sich online über Neuigkei- ten, Börsen- daten oder neue Schnäppchen oder hören Internet-Radio.

Tatsächlich ist kaum fraglich, dass das Internet der bis heute voll- kommendste Distributionskanal für Informationen ist. Es gibt kaum Ar- gumente, die an dem Siegeszug des Internet als Kommunikations-, Informationsund damit auch Bildungsmedium zweifeln lassen.

Index

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literatur

[1] Alpar, Paul: Kommerzielle Nutzung des Internet - Unterstützung von Marketing, Produktion, Logistik und Querschnittsfunktionen durch das Internet und kommerzielle Online-Dienste Berlin, 1996

[2] Ausstieg fürs Internet, in: Der Spiegel, 8/2000, S.109

[3] Baron, Ulrich: König der Lockvögel, in: Die Welt, 17.03.2000, S.1

[4] Canter, Laurence A., Siegel, Martha S.: How to Make a Fortune on the Information Superhighway, London, 1995

[5] FNC Resolution: Definition of “ Internet ”, 1995, URL:http://www.fnc.gov/Internet_res.html

[6] Gates, Bill: Keynote Adress, in: The Harvard Conference on the In- ternet and Society,

Harvard University Press, 1997

[7] Hammerstein, Konstantin von: Angriff aus dem Netz, in: Der Spie- gel, 12/2000, S.130-134

[8] Hill, Mathias: Kommerzialisierung des Internet, Examensarbeit, Marburg, 1997

[9] Hoffman, Donna L., Novak, Thomas P., Chatterjee, Patrali: Commercial Scenarios for the Web: Opportunities and Challenges, in: Journal of Computer-Mediated Communication, December 1995, Vanderbilt URL: http://www.usc.edu/dept/annenberg/vol1/issue3/hoffman.html

[10] Johnson, L. B.: Statement of the President to the Cabinet on Strengt- hening the Academic Capability for Science Throughout the Nation, in: J.L. Penick Jr., C.W. Pursell Jr., M.B. Sherwood, & D.C. Swain (Eds.): The Politics of American Science, 1939 to the Present, Cambridge: MIT Press., 1972

[11] Köhntopp, Kristian: Was ist das Internet?, in: Rost, Martin (Hrsg.): Die Netz-Revolution - Auf dem Weg in die Weltgesellschaft, Frankfurt am Main, 1996; S.20-36

[12] Kossel, Axel, Möcke, Frank: Pornowächter versus Internet, in in: c ’ t, Heft 2, 1996, S.14

[13] Martin, C.: The Digital Estate McGraw-Hill, New York, 1997

[14] Meyer, E.: All the newspapers that fit in: American Journalism Newslink, 29.10.1996 http://www.newslink.org/emcol.html.

[15] Meyer, E.: An unexpectedly wider web for the world ’ s newspapers in: American Journalism Newslink, 17.03.1998, http://www.newslink.org/emcol10.html

[16] Müller, Bernd : Das letzte Buch, in: Bild der Wissenschaft, 3/2000, S.48-51

[17] Müller, Bernd : Garaus für Gutenberg - Rocket eBook, in: Bild der Wissenschaft, 3/2000, S.52

[18] Musch, Jochen: Die Geschichte des Netzes ein historischer Abriß; in: B. Batinic (1997): Internet für Psychologen, Göttingen:Hogrefe, 1997

28

[19] Nur fünf Stellen, in: Der Spiegel, 51/1994, S.87/88

[20] Zakon, Robert: Hobbes ’ Internet Timeline - the definitive Internet history v5.0; (1999)

[...]


1 Musch, Jochen: Die Geschichte des Netzes ein historischer Abriß; in: B. Batinic: Internet für Psychologen, Göttingen:Hogrefe, 1997, Kapitel: Die Advanced Research Projects Agency (ARPA)

2 Johnson, L. B. (1972). Statement of the President to the Cabinet on Strengthening

3 Zakon, Robert: Hobbes’ Internet Timeline - the definitive Internet history v5.0, 1999; Kapitel: 1960’s

4 Musch, Kapitel: Die Advanced Research Projects Agency (ARPA)

5 Zakon; Kapitel: 1980’s

6 Alpar, Paul: Kommerzielle Nutzung des Internet - Unterstützung von Marketing, Produktion, Logistik und Querschnittsfunktionen durch das Internet und kommerzielle Online-Dienste, Berlin, 1996; S.15

7 Zakon; Kapitel: 1970’s

8 FNC Resolution: Definition of “Internet”; http://www.fnc.gov/Internet_res.html

9 Hill, Mathias: Kommerzialisierung des Internet; Examensarbeit, Marburg, 1997; Kapitel: 2.1.1. und 2.1.2.

10 Hill, Kapitel: 2.2.4.

11 Hill; Kapitel: 2.2.1.

12 Zakon; Kapitel: 1970’s

13 Gates, Bill: Keynote Adress, in The Harvard Conference on the Internet and Society, Harvard University Press, 1997; S. 27-35, hier S.27

14 Hill; Kapitel: 2.2.2.

15 Hill; Kapitel: 2.2.2.

16 Canter, Laurence A., Siegel, Martha S.: How to Make a Fortune on the Information Superhighway, London, 1995

17 Köhntopp, Kristian: Was ist das Internet? Ein Überblick, in: Rost, Martin (Hrsg.): Die Netz-Revolution - Auf dem Weg in die Weltgesellschaft, Frankfurt am Main, 1996; S. 20-36, hier S.31

18 siehe auch: Nur fünf Stellen, in: Der Spiegel, 51/1994, S.87/88

19 Hill; Kapitel: 3.3.2.2.

20 Musch; Kapitel: Das WWW

21 Hill; Kapitel 2.2.5.

22 Köhntopp; S.34; Köhntopp verweist darauf, dass diese Bidirektionalität entscheidend für die kommerzielle Akzeptanz des WWW ist.

23 Hoffman, Donna L., Novak, Thomas P. und Chatterjee, Patrali: Commercial Scenarios for the Web: Opportunities and Challenges, in: Journal of Computer-Mediated Communication, December 1995, Vanderbilt; S. 3/20

24 Zakon; Kapitel 1990’s

25 zitiert in Martin, C.: The Digital Estate, McGraw-Hill, New York, 1997

26 Kossel, Axel, Möcke, Frank: Pornowächter versus Internet, in: c’t , 2/1996, S.14

27 Meyer, E.: All the newspapers that fit, American Journalism Newslink, 29.10.1996, http://www.newslink.org/emcol.html

28 Meyer, E.: An unexpectedly wider web for the world’s newspapers, American Jour- nalism Newslink, 17.03.1998, http://www.newslink.org/emcol10.html

29 Hammerstein, Konstantin von: Angriff aus dem Netz, in: Der Spiegel, 12/2000, S.130-134, hier S. 130

30 Ausstieg fürs Internet, in: Der Spiegel, 8/2000, S.109

31 zitiert in Fulton, K.: A tour of our uncertain future, Columbia Journalism Review, March/April 1996, http://www.cjr.org/html/96-03-04.html

32 Baron, Ulrich: König der Lockvögel in: Die Welt, 17.03.2000, S.1

33 Müller, Bernd: Garaus für Gutenberg - Rocket eBook, in: Bild der Wissenschaft, 3/2000, S.52

34 Zakon; Kapitel: 1960’s und 1990’s

35 Musch; Kapitel: Die vergessene Anwendung

36 Zakon; Kapitel: 1970’s

37 siehe auch: Müller, Bernd ”Das letzte Buch”, in: Bild der Wissenschaft, 3/2000, S. 49-51

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Megamedium Internet - Ein Medium frißt seine Eltern
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
30
Katalognummer
V97616
ISBN (eBook)
9783638960687
Dateigröße
425 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Megamedium, Internet, Medium, Eltern
Arbeit zitieren
Martin Große (Autor:in), 2000, Megamedium Internet - Ein Medium frißt seine Eltern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97616

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