Haben wir moralische Pflichten gegenüber Tieren?


Essay, 2000

11 Pages


Excerpt


Haben wir moralische Pflichten gegenüber Tieren?1 (eingereicht von Emil Franzinelli)

Einleitung

In meinem Essay behandle ich den Text von Dr. Angelika Krebs und gehe auf ihn ein.

Diskutiert werden auch die Frage, ob die anthropozentristischen Anschauung berechtigt ist, und u.a. die Frage nach der Notwendigkeit für ein Verhalten. Das Argument der Notwendigkeit bietet kein wahres moralisches Kriterium, da der Mensch im Fall einer Bedrohung nicht von der Moral befreit wird, sondern möglicherweise bloß zu seinen Gunsten und zu Ungunsten anderen Lebens entscheidet. Der Egoismus, wie ich ihn mir ideal vorstelle, ist in dem Fall der Notwendigkeit, wie sie im Essay noch näher beschrieben wird, natürlich und findet unter moralischer Berücksichtigung allen Lebens statt.

Ich versuche die Pflicht für Menschen unserer Gesellschaft, (zumindest) Tiere in die

moralische Sphäre mit einzubeziehen, näher darzustellen. Ich bin der Meinung, daß jedes Leben seinen Sinn, bzw. möglicherweise so wie das des Menschen keinen wahren Sinn hat. Und ich bin der Meinung, daß jedes Lebewesen (auch Pflanzen) einen gewissen Lebensfunken hat, welcher bei vielen ein (Ich-)Bewußtsein impliziert. Wenn man von Lebenswertigkeit sprechen möchte, gilt meiner Meinung nach vorrangig jenes als wertvoller, welches mehr Bewußtsein hat. Einem neugeborenen Menschensäugling würde ich - auf dieser ersten Ebene argumentiert - folglich weniger Lebenswert zuschreiben als einem psychisch gesunden erwachsenem Menschenaffen. Andere Argumente lassen ein Menschenleben wiederum wertvoller erscheinen, indem das mangelnde Bewußtsein des einen Menschen durch das anderer (von diesem) ersetzt wird.

Der Essay ist übergehend, aber nicht immer direkt aufbauend strukturiert.

Zum Anthropozentrismus bzw. zur Position des Menschen in der Natur

Heutiger Anthropozentrismus ist der Antike entsprungen. Das Christentum stützt sich auf den Irrglauben, der Mensch wäre nicht der Tierwelt entsprungen, sondern von einem Gott geschaffen. So trotz Zweifel leider auch Immanuel Kant. Es gäbe einen höheren Grund und Sinn für die Existenz des Menschen als die Evolution. Der Mensch ist aber noch nicht einmal das Endprodukt der Evolution, sondern - ebenso wie jedes andere Leben auch - im Begriff, sich immer weiter zu entwickeln. Einzig, daß er seine Entwicklung immer mehr in die eigene Hand nimmt, soweit er es vermag.

Folgende Zitate Kants stellen den Menschen als Endzweck und die Natur als ihm zu dienen geschaffen dar: ,,So könnte man z.B. sagen: das Ungeziefer, welches die Menschen in ihren Kleidern, Haaren, oder Bettstellen plagt, sei nach einer weisen Naturanstalt ein Antrieb zur Reinlichkeit"2, ,,Hier ist nun eine bewundernswürdige Zusammenkunft von so viel Beziehungen der Natur auf einen Zweck; und dieser ist der Grönländer"3.

Kant meinte, ausgehend von einem Endzweck und einer Schöpfung, daß das Dasein der Dinge und die Existenz der Welt ,,zu nichts da sein würden, wenn es in ihnen nicht Menschen (vernünftige Wesen überhaupt) gäbe; d.i. daß, ohne den Menschen, die ganze Schöpfung eine bloße Wüste, umsonst und ohne Endzweck sein würde."4,,Wir sehen an den Werken der Natur, die wir beurteilen können, so ausgebreitete und tiefe Weisheit, die wir uns nicht anders als durch eine unaussprechlich große Kunst eines Weltschöpfers erklären können."5 Schopenhauer antwortet auf Kant: ,,Was nun also Kant von der Erscheinung des Menschen und seines Tuns lehrt, das dehnt meine Lehre auf alle Erscheinungen in der Natur aus, indem sie ihnen den Willen als Ding an sich zum Grunde legt."

Was der Mensch erkennen sollte, faßt Albert Schweitzer in einem Satz zusammen: ,,Die unmittelbare Tatsache des Bewußtseins des Menschen lautet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will."6 - unabhängig seines ,,göttlichen,, Intellekts und auch von der Fähigkeit zur Schmerzempfindung und räumlicher Beweglichkeit.

Das pathozentrische Argument

Das pathozentrische Argument nach Dr. Angelika Krebs knüpft moralischen Eigenwert an Empfindungsfähigkeit. Es versucht in fünf Schritten über das Erkennen der Leidensfähigkeit bei Tieren deren Anerkennung als ,,gleiche Mitglieder des moralischen Universums" gegen die anthropozentristische Ansicht, nur der Mensch gehöre zu diesem Universum, durchzusetzen.

Das ,,gute Leben,, beim Tier

Krebs unterscheidet das ,,gute Leben,, in das ,,angenehme Leben,, (Empfindungswohl bei empfindenden Lebewesen) und in ,,das aktive, erfüllte Leben,, (mit bewußten Zukunfts- projekten). Der Tiere ,,gutes Leben" wird aus der pathozentrischen Perspektive auf das momentan empfundene ,,angenehme Leben" eingeschränkt. Ein eventuell aktives, erfülltes Leben bei Tieren würde aus der moralischen Betrachtung herausfallen. Für die Frage, ob man Tieren etwas nehmen würde, wenn man sie tötete, also die Zukunft nähme, wäre die teleologische Argumentation zuständig. Jedoch einzig das pathozentrische würde laut Krebs unter den physiozentrischen Argumenten einer kritischen Prüfung standhalten. Da ,,auch Tiere ein gutes Leben, zumindest im eingeschränkten Sinn von well-being"7 haben, gebührt ihnen laut Krebs die Anerkennung moralischen Eigenwerts, also Wert um ihrer selbst willen. Das entscheidende Kriterium für die Pflicht des Anerkennens des moralischen Eigenwerts ist für Krebs die Existenz eines Bewußtseins beim Tier über dessen (im eingeschränkten Sinne) ,,gutes Leben,,. Dieses Empfindungsbewußtsein wird heute nicht mehr bestritten, sonst langte man bei der Maschinentheorie Descartes an. Empfindungen werden von Tieren gemacht - das impliziert auch gleichzeitig eine mit der Wahrnehmung synchrone Bewertung in un- bzw. angenehm. Die Unterscheidungsfähigkeit wiederum impliziert zumindest ein gewisses (Ich-)Bewußtsein und ein Interesse an einem ,,guten Leben".

Seelische Empfindungen

Es kann keine Frage sein, ob manche Tiere seelische Empfindungen haben können. Neben Schmerzen empfinden Tiere Angst, Freude, Erwartung, Langeweile, etc. Aus dieser seelischen Empfindungsfähigkeit kann man weiter folgern, daß diese Tiere ein Bewußtsein und sogar ein Selbstbewußtsein haben. Sie reflektieren den Schmerz, den sie einmal erfuhren, und haben Menschen gegenüber, die ihnen zuvor einmal geschadet haben, ein ängstliches oder feindseliges Abwehrverhalten. Es sind keine Reflexe oder triebgesteuertes Verhalten, das sie lenkt, sondern die Erinnerung an Schmerzerfahrung, die sie zu rationalem (!) Mißtrauen führt.

Anerkennung des Tieres als moralisches Objekt

Allein, daß das Tier diese Bewußtseinsfähigkeit und dieses Interesse hat, macht eine moralische Berücksichtigung für den Menschen meiner Meinung nach schon notwendig.

Nicht-menschlichen Lebewesen ist Rationalität zuzuschreiben, eine Person (als umfassender Begriff) stellen sie allerdings nicht dar: Eine Person ,,ist ein Wesen, das zu sich, zu anderen und der dinglichen Welt Stellung nimmt, z.B. Nein sagt, liebt und arbeitet, das sich die dafür notwendigen Fähigkeiten in einem komplexen psychischen Entwicklungsprozeß erworben hat, das in sprachlicher Kommunikation steht, das Verantwortung - weil Rechte und Pflichten - wahrnehmen kann. (...) In diesem Sinne aufgefaßt, kann der Begriff der Person nicht zur Beschreibung des Seins-Status von Tieren verwendet werden. Tiere sind keine Personen. Ich wende mich damit gegen gleichmacherische Tendenzen im angeblichen Interesse der Tiere."8

Tiere sind dem Menschen nicht gleich, sondern es bestehen qualitative Unterschiede, dennoch unterstütze ich die Forderung Krebs nach gleicher moralischer Berücksichtigung. Krebs fordert für das Tier schließlich nicht moralische Berücksichtigung als Subjekt, sondern als Objekt.

Ihre Aussage: ,,Anthropozentrismus (...) ist so unmoralisch wie Rassismus oder Sexismus"9 schwächt Krebs durch eine Anmerkung zwar ab, indem sie für Tiere lediglich die Anerkennung als gleiche moralische Objekte fordert, während Schwarze, Frauen etc. moralische Subjekte seien, aber dennoch würde ich den Grad der Unmoralität noch deutlicher abschwächen. Nicht weil - wie zu erwarten wäre - ich für Tiere weniger Moralität forderte, sondern weil ich davon ausgehe, daß man innerhalb der eigenen Spezies ,,Mensch" eher seines unmoralischen Handelns bewußt wird. Die Schuld aufgrund einer unmoralischen Handlung steigt meiner Meinung nach mit dem Bewußtsein darüber.

Moralisches Paradox

Das pathozentrische Argument stellt Tiere zunächst nur als empfindende "Gegenwarts-

Geschöpfe" dar, d. h., sie hätten keine Ziele und Vorstellung einer Zukunft. Angst- und schmerzfreies Töten von Gegenwartsgeschöpfen verstoße "somit nicht gegen den moralisch gebotenen Respekt für ihr gutes Leben"10 , da Tiere angeblich sich weder an Vergangenes erinnerten, noch in die Zukunft planten.

Quälen nein, töten ja - Wenn man anfängt, einem Lebewesen Eigenwertzugeständnisse zu machen, dann steht dieses Lebewesen somit bereits in der moralischen Betrachtung. Wie die Ausprägung dieser dann letztendlich ist, wird entweder willkürlich oder ohne Entscheidungsfreiheit unbewußt gebildet. Wie an meiner Argumentation zu erkennen ist, gehe ich nicht von dem Tier als "Gegenwartsgeschöpf" aus, sondern schreibe dem Tier einen höheren Eigenwert zu als nur den der Empfindungsfähigkeit. Das Leben des Tieres hat meiner Meinung nach generell ebenso wie das des Menschen die Möglichkeit zur positiven Veränderung und ebenso bzw. ebenso wenig wie das des Menschen einen Sinn, bloß daß der Mensch sich über eine Metaphysik eine Sonderstellung bzw. Illusionen schafft.

"Der große Mangel an Phantasie, an dem er (der gewöhnliche Mensch) leidet, macht, daß er sich nicht in andere Wesen hineinfühlen kann und daher so wenig als möglich an ihrem Los und Leiden teilnimmt. Wer dagegen wirklich daran teilnehmen könnte, müßte am Wert des Lebens verzweifeln; gelänge es ihm, das Gesamtbewußtsein der Menschheit in sich zu fassen und zu empfinden, er würde mit einem Fluche gegen das Dasein zusammenbrechen, - denn die Menschheit hat im ganzen k e i n e Ziele, folglich kann der Mensch, in Betrachtung des ganzen Verlaufs, nicht darin Tost und Halt finden, sondern seine Verzweiflung."11

Wenn ein Lebewesen aus moralischen Gründen, also aufgrund moralischen Eigenwerts, um seiner selbst, nicht um menschlicher Interessen willen, schon nicht sinnlos gequält werden darf, besteht bereits ein Eigenwertzugeständnis. Und Eigenwert gehört moralisch berücksichtigt.

Interessenantagonismus und -ungleichgewicht

Der Mensch hat ein Interesse daran, Tiere zu töten, fressen oder auszubeuten; das Tier möchte/hat den Urtrieb, zu leben und glücklich zu sein.

In diesem Interessenkonflikt kann nur die eine Partei auch ohne Gewalt nachgeben: nämlich der Mensch aufgrund seiner Vernunftsfähigkeit. Das Tier läßt sich natürlich nicht von den elementaren Grundinteressen alles Lebenden abbringen, kann sich aber nicht gegen menschliche Gewalt wehren oder verteidigen. Eben an dieser Stelle des Interessenkonflikts ist der vernunftsfähige Mensch verpflichtet, das "Für und Wider" aneinander abzuwägen.

"Ja, die Eudämonologie hat mit der Belehrung anzuheben, daß ihr Name selbst ein Euphemismus ist und daß unter "glücklich leben" nur zu verstehen ist, "weniger unglücklich", also erträglich leben. Allerdings ist das Leben nicht eigentlich da, um genossen, sondern um überstanden, abgetan zu werden (...). Denn die Genüsse sind und bleiben negativ (...). Die Schmerzen hingegen werden positiv empfunden: daher ist ihre Abwesenheit der Maßstab des Lebensglücks (...). Hieraus nun folgt, daß man nie Genüsse durch Schmerzen (...) erkaufen soll, weil man sonst ein Negatives und daher Chimärisches mit einem Positiven und Realen bezahlt."12

Ich denke, dieses Schopenhauer-Zitat ist zum Aufzeigen des Interessenungleichgewichts zwischen dem Interesse des Menschen nach Genuß und dem Interesse des Tieres nach Schmerzlosigkeit, Leben und Selbstentfaltung tauglich. Schopenhauer bezog sich zwar auf den Genuß und Schmerz bei dem einzelnen Menschen, nicht darauf, daß der Genuß des einen der reale Schmerz oder das Leid des anderen, geschweige denn eines Tieres sein könnte. Aber die Argumentation und Einstellung Schopenhauers, das Leben sei nicht eigentlich zu genießen, sondern zu überstehen, gilt sowohl für das vernunftsfähigere Tier, den Menschen, als auch für das vernunftsschwache Tier.

Ethologie beim Tier und Evolution

Die naturwissenschaftliche Forschung stellt fest, daß man noch nicht einmal das (Selbst- )Bewußtsein bei Pflanzen grundsätzlich ausschließen kann. Die Verhaltensforschung verweist auf Fälle, bei denen die Zuschreibung der Eigenschaften, die dem Menschen eine Sonderstellung einräumen sollen, so (Selbst-)Bewußtsein, Zukunftsbezug, Handlungs-, Sprach-, Kulturfähigkeit, auch möglich scheint. Man kann nicht einfach ,,Tier,, sagen, sondern muß differenzieren. Gerade die Menschenaffen zeigen Fähigkeiten: sie lernen ansatzweise menschliche Sprache, sie erfinden und benutzen Werkzeuge und Techniken, sind zu Lüge und Täuschung fähig. Neben dem Menschen gibt es auch andere handlungs- und kulturfähige Wesen. Die beiden Menschenaffenarten Schimpanse und Bonobo sind mit dem Menschen sogar näher verwandt als mit den beiden anderen, und in Gefangenschaft gibt es durchaus Anzeichen, daß sie moralisch interagieren. Sie können erfolgreich erzogen werden.13 Die Evolution ist keine Entwicklung zum Menschen hin; alle heute lebenden Arten stellen Experimente des Lebens dar, welche den gleichen Stellenrang haben wie das Experiment Mensch. Auch bei Lebewesen, die mit dem Menschen höchst entfernt verwandt sind, können wir nicht ausschließen, Fähigkeiten und Eigenschaften zu entdecken wie Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Rationalität. Der (sogar wirbellose) Oktopus ist das Musterbeispiel hierfür. Deren Gedächtnis- und Intelligenzleistungen übertreffen diejenigen vieler (vielleicht der meisten) Säugetiere.

Vergleiche von verschiedenen Tiergehirnen mit dem des Menschen lassen bei den dem Menschen näher verwandten Tierarten lediglich unterschiedliche Proportionen der Teilhirne erkennen. Es läßt sich folgern, daß manche Tiere (z.B. die Menschenaffen) ebenfalls empfinden, lernen, denken, kommunizieren, reflektieren und ein Selbstbewußtsein haben!

Solange man ein reflektiertes Bewußtsein als entscheidendes Kriterium für die Anerkennung als moralisches Objekt ansieht, darf man kein Lebewesen aus der moralischen Betrachtung ausschließen.

Kriterien für Lebenswertigkeit

Die Kriterien für eine Hierarchie der Lebensberechtigung bei Lebewesen könnten meiner Meinung nach ebensogut wie die Rationalität oder das Bewußtsein die Stärke des ,,Willens,, oder der Antrieb zum (artgerechten) Leben sein (Tiere können sehr wohl ihren "Un"willen zeigen) oder die (mentale) Gesundheit und Zufriedenheit (der Mensch ist aufgrund seines Zwanges zu immer weiteren "künstlichen Leidenschaften"14 nicht selten in einem Dauerzustand von Streß und eher unzufrieden mit seinem Leben als ein Tier in freier Natur), oder die restliche Dauer des noch zu lebenden Lebens.

Zur Rationalität

Der Mensch hat mehr Rechte als das Tier, und er soll sie aufgrund seiner Vernunftbegabung auch behalten. Aber eben aufgrund dieser Vernunftbegabung und der damit begründeten Einforderung von mehr Rechten steigen auch seine Pflichten und seine Verantwortlichkeit gegenüber allen Dingen, die durch die sich genehmigten Rechte des Menschen Leid erfahren könnten. So wie Schopenhauer in ,,Die Welt als Wille und Vorstellung,, schrieb, hätte jede Substanz seinen Willen. Leid erfahren, die Leidensfähigkeit besitzen, können aber nur die belebten, auf jeden Fall die Tiere. Je nach Höhe der Tierart können nicht nur körperliches, sondern auch seelisches Leid erfahren werden. Dies ist nicht anzweifelbar, wenn man sich den Menschenaffen betrachtet. Der Mensch ist ein höher entwickeltes Tier. Der Affe beweist dies durch eine gewisse Ähnlichkeit zum Menschen.

Den Wert der Rationalität als absolut zu betrachten, bezeichnet Krebs als ,,schlechte Metaphysik,,15 , da die Natur oder das Universum nicht bewertet oder erwählt, sondern ,,gleichgültig,, steht. Man könnte einwenden, daß die Rationalität die entscheidende Fähigkeit des Menschen war, sich gegen die Tierwelt (auch die eigene) durchzusetzen. Ich würde dem Menschen sogar diesen Bonus vor dem Tier lassen, betrachte diesen aber als quantitativ. Schopenhauers Philosophie ist dem Menschen und seiner Vernunftsfähigkeit gegenüber pessimistisch, dem zutreffenden Zitat nach wohl zurecht: ,,Wenn in den Menschen, wie sie meistenteils sind, das Gute das Schlechte überwöge, so wäre es geratener, sich auf ihre Gerechtigkeit, Billigkeit, Dankbarkeit, Treue, Liebe oder Mitleid zu verlassen, als auf ihre Furcht: weil es aber mit ihnen umgekehrt steht, so ist das Umgekehrte geratener.,,16 Und Aristoteles forderte eine Staatsautorität anstatt einer weiterreichenden Freiheit für den Bürger. Der Mensch braucht Grenzen und Moral, weil er mit Freiheit nicht umgehen kann.

Die Bestimmung des Tieres für den Menschen

,,Keiner sündigt, indem er eine Sache zu dem verwendet, wozu sie bestimmt ist. (...) Wenn deshalb der Mensch die Pflanzen gebraucht für die Tiere, und die Tiere zum Nutzen des Menschen, so ist das nicht unerlaubt.,, und: ,,So ist es denn erlaubt, sowohl die Pflanzen zu töten zur Nahrung für die Tiere, als auch die Tiere zur Nahrung des Menschen, und zwar auf Grund der göttlichen Ordnung.,,17

Eine Bestimmung des Tieres, der Pflanze, aber auch des Menschen liegt mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht vor (siehe Nietzsche-Zitat). Erst recht nicht aufgrund einer göttlichen Ordnung. Eine weitere atheistische Erläuterung erspare ich mir.

Formale Ethik und personale Integrität Die formale Ethik beschränkt sich auf zustimmungs- und einigungsfähige Wesen, welche ihr zufolge allein moralische Objekte sein können. Tiere sind weder zu einer einsamen Überlegung, in der sie im Falle eines moralischen Konfliktes jemand anderes in eine Situation projizieren, noch zu einem rationalen Diskurs mit dieser Überlegung zum Inhalt fähig. Man kann auch nicht erkennen, ob Tiere eine Situation akzeptieren würden oder nicht. Leiden oder Glücklichsein sind keine ausreichenden Anzeichen oder Kriterien. Die (Ersatz-)Überlegung des Menschen, was er in einer dem Tier vergleichbaren Situation akzeptieren würde, könnte durch die Vorstellung, Tiere würden eine Opfernotwendigkeit einsehen, beeinträchtigt werden. Aber Tiere würden fast in jeder Situation natürlich kein Opfer ihres ,,guten Lebens,, bringen wollen. Opfer wären ,,aus tierischer Perspektive schlicht Einbußen an gutem Leben.,,18

Gegen den formalethischen Einwand kontert Krebs, daß es unter Menschen ebenfalls ,,Unfähige,, gäbe, ebenfalls ohne personale Integrität. Sie stellt der formalen die materiale Ethik entgegen, in der ,,auch die nicht zustimmungs- und einigungsfähigen Wesen moralische Objekte,,19 sind.

Das moralisch Richtige

Krebs mißtraut offensichtlich der Rationalität des Menschen. Sie erwartet von einigen betroffenen Menschen im Diskurs über ein ,,güterethisches Prinzip für Tiere,,20 und was Tiere an - durch den Menschen verursachten - Schmerz (z.B.) akzeptieren könnten, sich nicht auf ,,das moralisch Richtige,,, welches ,,direkt einsehbar,, wäre21 , zu einigen. Mit der Begründung, ,,das moralisch Richtige,, sei direkt einsehbar, legitimiert sie die Abkopplung dieses ,,Richtigen,, von dem rationalen Diskurs.

Ich denke, Krebs mißtraut der menschlichen Urteilskraft nicht ganz zu unrecht, denn oft genug läßt uns der Egoismus moralisch gleichgültig und ignorant werden. Und dennoch: der Mensch ist generell zur Einsicht etwas ,,Richtigen,, (angenommen, etwas wäre richtig) fähig. Ich denke, bezogen auf Krebs Forderung eines güterethischen Prinzips für empfindende Lebewesen, daß jeder gesunde und reife Mensch tatsächlich die (direkte) Einsicht der moralischen Notwendigkeit erlangen könnte, wenn er von einigen Vorurteilen, die unser Denken mitbestimmen, und einigen angelegten Angewohnheiten Abstand nehmen könnte.

Moralische Rechtfertigung und Notwendigkeit

Massentierhaltung und die wohl meisten Tierversuche sind unvereinbar mit einer Rücksichtnahme auf das pathozentrische Argument. Krebs fordert für uns Menschen (ohne Berücksichtigung des Notwendigkeitskriteriums für den Menschen) einen stark verringerten Fleischkonsum und den Verzicht (z.B.) auf Tierversuche für neue Medikamente.

Ist bzw. fühlt sich ein Mensch in einer momentanen oder andauernden Situation, daß er andere Lebewesen schädigen müßte, um nicht selber inakzeptabel stark geschädigt zu werden, besteht möglicherweise die Notwendigkeit zu einer anderes Leben schädigenden Tat, sein Tun würde als ,,Notwehr,, (gegen die Situation) betrachtet, und er wäre soweit von moralischen Pflichten befreit. Ist der Mensch in einer Situation, in der es empfindlich um sein eigenes ,,gutes Leben,, geht, ist er wieder auf die Naturebene herabgelassen, d.h., er würde wie andere Tiere um sein Leben/Wohl kämpfen müssen. Dies ist heute für den Menschen in der westlichen Kultur aber eher der Ausnahmefall.

Zum Menschsein

Der Rückschritt für den Menschen auf der Ebene des Genusses, der Bequemlichkeit und der Tradition wird mehrfach aufgehoben durch den Fortschritt seiner moralischen Erkenntnis und somit seiner Rationalität.

Ich behaupte: Je mehr und differenziertere moralische Berücksichtigung und Einfühlen der Mensch der Natur und allem Leben gegenüber aufbringt, je mehr er also seine moralische Sphäre ausdehnt, desto mehr und differenzierter distanziert er sich von der (eigenen) Tierwelt.

Zusammenfassung meiner Meinung

Ich bin wie Krebs der Meinung, daß Tieren eine moralische Berücksichtigung (als Objekte) gebührt, würde das pathozentrische Argument lediglich um das teleologische (ob man Tieren eine Zukunft nähme) erweitern und es nicht auf die Tierwelt beschränken. Dafür würde ich allerdings ansatzweise hierarchisch in bezug auf Lebenswertigkeit vorgehen. Dem Menschen lasse ich die Möglichkeit, über eine ,,Notwendigkeit,, zu entscheiden, ob es für ihn notwendig wäre, einem anderen Lebewesen zu schaden.

Eine Legitimation zur Herrschaftsübernahme (durch Bestimmung von Natur oder göttlichen Autorität) des Menschen über andere Lebewesen ohne moralische Berücksichtigung derer als (zumindest) Objekte, weise ich zurück. Auch Tiere können ein ,,aktives, erfülltes Leben,, haben. Eine (höhere) Vernunftsfähigkeit ist kein Kriterium für ein Ausschließen aus der Moral.

Eine Notwendigkeit für den Menschen, welche diesen wieder auf die Naturebene stellte, würde ihn dazu legitimieren, egoistisch zu sein und sich von seinen moralischen Pflichten (soweit wie eben notwendig) zu befreien. Im Grunde findet keine Befreiung statt, sondern anderem Leben wird trotz moralischer Berücksichtigung aufgrund einer Notwendigkeit zugunsten des Menschen geschadet. Der Mensch ist als moralisches Subjekt verpflichtet, auch auf moralische Objekte (Wesen ohne Rationalität) moralische Rücksicht zu nehmen. Das güterethische Zusatzprinzip (empfindenden Lebewesen eine durch den Menschen nicht zu unterschreitende Basis an Moralzugehörigkeit zuzugestehen) erscheint mir "direkt einsehbar". Da diese Grundidee nicht befolgt wird, würde ich das Tierquälereiverbot um dieses von dem Gesetzgeber erweitern lassen.

[...]


1 nach dem gleichnamigen Text von Dr. A. Krebs in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 6/1993, S. 995-1008

2 Kant-Brevier; Insel Taschenbuch, Frankfurt/M 1974, S.50

3 ebd., S.52

4 ebd., S.52

5 ebd., S.53

6 Schweitzer, A.: Aus meinem Leben und Denken

7 Krebs, S.999

8 Holzhey, H.: Das Tier ist keine Sache, in: Antoine F. Goetschel (Hrsg.): Recht und Tierschutz. Hintergründe - Aussichten; Haupt Bern: 1993, S.205

9 Krebs, S.999

10 Krebs, S. 999

11 Nietzsche, F.: Menschliches, Allzumenschliches I; Kröner Stuttgart 1954, Kap. 33

12 Schopenhauer, A.: Aphorismen zur Lebensweisheit; Rhenania Koblenz, S.148

13 nach: Rippe, Kl.-P.: Weder Fisch noch Fleisch, aus: Aufklärung und Kritik, Zeitschrift der Gesellschaft für kritische Philosophie; Nürnberg, Sonderheft 1/1995

14 siehe J.-J. Rousseau in: Diskurs über die Ungleichheit; Schöningh Paderborn etc., S.267

15 Krebs, S.1002

16 Schopenhauer, A.: Aphorismen zur Lebensweisheit; Rhenania, Koblenz, S. 212

17 Thomas von Aquin: Summa Theologiae, 64.,1., Dtsch-lat. Ausgabe: Die deutsche ThomasAusgabe, 18. Bd.; Kehrle Heidelberg & Anton Pustet Salzburg 1953, S. 153.

18 Krebs, S.1004

19 ebd., S.1005

20 ebd., siehe S.1004

21 ebd., S.1005

Excerpt out of 11 pages

Details

Title
Haben wir moralische Pflichten gegenüber Tieren?
College
University of Frankfurt (Main)
Author
Year
2000
Pages
11
Catalog Number
V97548
ISBN (eBook)
9783638960007
File size
411 KB
Language
German
Keywords
Haben, Pflichten, Tieren
Quote paper
Emil Franzinelli (Author), 2000, Haben wir moralische Pflichten gegenüber Tieren?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97548

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