Dänische Glossematik


Ausarbeitung, 1999

5 Seiten


Leseprobe


Dänische Glossematik

1 Die Kopenhagener Schule

Sozusagen als Antwort auf die Gründung des Prager Kreises versammelten Hjelmslev und sein älterer Kollege Viggo Brøndal (1887-1953) im Jahre 1931 einige befreundete Linguisten in einem eigenen Kreis, dem Cercle Linguistique de Copenhague. Die damit gegründete ,,Kopenhagener Schule" nahm als erste Schule ausdrücklich das Attribut ,,strukturalistisch" für sich in Anspruch. Es fungierte als eine Art Bindeglied zwischen den beiden Gründern des Kreises, die außer einer gewissen Vorliebe für abstrakt-spekulatives Denken nicht sehr viel verband. Als Publikationsorgane dienten die ,,Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague" und die ,,Acta Linguistica".

Die Glossematik, die heute fälschlicherweise meist als ,,Theorie der Kopenhagener Schule" bezeichnet wird, wurde erst 1935 entworfen, als Hjelmslev in Århus mit Uldall zusammentraf.

2 Der Begriff ,,Dänische Glossematik"

Auf dem zweiten Internationalen Phonetikerkongreß legten Hjelmslev und Uldall 1935 ein Arbeitsprogramm unter der Bezeichnung ,,Phonematik" vor. Wenig später nannten sie ihre Forschungsrichtung ,,Glossematik", um sich mit der Verwendung der griechischen Wurzel für ,,Sprache" anstatt des üblicheren lat. lingua namentlich von allen anderen Sprachwissenschaften abzugrenzen und die Originalität ihrer Theorie zu unterstreichen. Die Ausarbeitung dieser Theorie erfolgte nur teilweise: Erst in Uldalls Todesjahr erschien der erste Teil der Theorie. Die Zusammenarbeit zwischen Uldall und Hjelmslev wurde unterbrochen, als letzterer 1937 einen Lehrstuhl in Kopenhagen erhielt und ersterer wenig später ins Ausland ging. Anstelle des nie vollendeten theoretischen Hauptwerkes der glossematischen Schule trat Hjelmslevs Abhandlung ,,Omkring sprogteoriens grundlæggelse", die aber erst durch die englische Übersetzung 1953 unter dem Titel ,,Prolegomena to a Theory of Language" bzw. durch Hjelmslevs erweiterte Fassung 1961 internationalen Kreisen bekannt wurde.

3 Die Vertreter der Dänischen Glossematik

3.1 Louis Hjelmslev (1899-1965)

1899 Geburt als Sohn eines Mathematikprofessors in Kopenhagen 1921 Studienaufenthalt in Litauen

1923 Abschluß des Studiums der vergleichenden Sprachwissenschaft bei Holger Pedersen in Kopenhagen mit dem Magisterexamen Stipendium für Prag, wo allerdings ,,nur" traditionelle Linguistik gelehrt wurde'

1926/27 Studienaufenthalt in Paris, Kontakt mit den ,,Cours de linguistique générale" von F. de Saussure, auf dem seine spätere Theorie basiert

1928 ,,Principes de grammaire générale" (Prinzipien der allgemeinen Grammatik)

1931 Gründung des Kopenhagener Linguistenkreises, den er mit kurzer Unterbrechung bis zu seinem Tod leitete

1935 ,,La catégorie des cas" (Die Kategorie Kasus)

1935-43 Ausarbeitung der Theorie der Dänischen Glossematik, zusammen mit Uldall ab 1939 gaben Hjelmslev und Brøndal die Zeitschrift ,,Acta Linguistica. Revue internationale de linguistique structurale" (ab Band IX: ,,Acta Hafniensia") heraus, die gleichzeitig den im Exil befindlichen Mitgliedern der Prager Schule als Sprachrohr diente 1941 kurze, komprimierte Zusammenfassung aller Definitionen und Regeln seiner Theorie, die allerdings erst 1975 publiziert wurde

1943 ,,Omkring Sprogteoriens Grundlæggelse" (Prolegomena einer Sprachtheorie), was die einzige zusammenhängende Darstellung der Glossematik blieb ab 1943 Propagierung seiner Theorie; Beschäftigung u.a. mit struktureller Semantik; verstärktes Engagement als Hochschullehrer und Herausgeber; schließlich Verschlechterung seiner Gesundheit

1965 starb Louis Hjelmslev.

3.2 Hans Jørgen Uldall (1907-1957)

Studium der Anglistik bei Otto Jespersen in Kopenhagen

1927 Fortsetzung seiner phonetischen Studien bei Daniel Jones in London

1930-33 Feldforschung bei den indianischen Maidu in Kalifornien

1933-39 Fortsetzung seiner Arbeiten in Dänemark; Beginn der Zusammenarbeit mit Hjemslev; Entwicklung der ,,Phonematik", die auf Uldalls Vorschlag hin in ,,Glossematik" mbenannt wurde; geplant war ein großes gemeinsames Werk, ,,Outline of Glossematics"; Uldall sollte die Einleitung und ,,die Algebra der Sprache" verfassen; Hjelmslev die anderen Aspekte der Theorie

1939 Beorderung durch den British Council nach Griechenland, später nach Ägypten und schließlich in arabisches Gebiet

ab 1945 Arbeit in England und Südamerika

ab 1954 Arbeit an der Universität von Ibadan in Nigeria; inzwischen hatte er eine vom ursprünglichen Plan abweichende Algebra erarbeitet, die Hjelmslev zu kompliziert für die Darstellung natürlicher Sprache erschien und an die sich sein eigenes System von Definitionen nur schwer anpassen ließ; deshalb beschlossen beide

1957 in Oslo, wo sie sich auf dem Linguistenkongreß in Oslo trafen, zunächst nur den ersten, von Uldall verfaßten Teil zu veröffentlichen; allerdings starb Uldall kurz nach seiner Rückkehr nach Nigeria unerwartet an einem Herzanfall.

Veröffentlichung des ersten Bandes der geplanten gemeinsamen großen Darstellung der

Glossematik ,,Outline of Glossematics. A Study in the Methodology of the Humanities with Special Reference to Linguistics, Part I: General Theory".

4 Hjelmslevs ,,Prolegomena zu einer Sprachtheorie"

Der Entwurf Hjelmslevs besteht aus einem Gefüge von aufeinander bezogenen Definitionen. Folgende Bedingungen werden an die Theorie gestellt:

1. Widerspruchsfreiheit
2. Vollständigkeit
3. Einfachheit.

Die Theorie ist nach Hjelmslev keine Sprachtheorie im üblichen Sinne, sondern eine Theorie, die universell anwendbar ist. Schwierig wird die Anwendung auf nicht logische Systeme, z.B. auf die natürliche Sprache.

Die Glossematik ist kein System von Hypothesen, sondern ein arbiträres System von Prämissen und Definitionen, das als Modell geeignet ist, empirische Texte (im Sinne empirischer Deduktion) zu beschreiben.

Das Hauptanliegen der Theorie bestand darin, die Inhalts- und die Ausdrucksebene der Sprache zu untersuchen und sie einer exakten Beschreibung zuzuführen, die auf formal definierten Konzepten basiert. Hjelmslev faßte die Sprache als algebraische Struktur auf. Er unterscheidet zwischen vier Ebenen, den ,,vier Strata" der Sprache:

Sprache

Ausdrucksebene Inhaltsebene

Ausdruckssubstanz Ausdrucksform Inhaltsform Inhaltssubstanz

Gegenstand der Linguistik

Nach Hjelmslev gehören nur Ausdrucksform und Inhaltsform zum Untersuchungsgegenstand der Linguistik. Während Ausdrucks- und Inhaltssubstanz für alle natürlichen Sprachen gleich sind, sind Ausdrucks- und Inhaltsform sprachspezifisch bedingt und somit von Sprache zu Sprache verschieden; jede Sprache stellt nämlich ein eigenes phonologisches und semantisches System.

Die invarianten Minimaleinheiten der Ausdrucks- und der Inhaltsebene, die Glosseme, stehen durch Funktionen miteinander in Verbindung.

5 Uldalls ,,Algebra der Sprache"

Uldalls Algebra geht von positiven und negativen Einheiten aus, die syntagmatisch verknüpft sind.

Beim Vergleich zweier Einheiten ab und a kann man folgende Aussagen treffen:

- b ist positiv in ab
- b ist negativ in a, das nun ab geschrieben wird

Uldall legt drei glossematischen Hauptrelationen fest:

1. Kombination (= freie Verknüpfbarkeit): +ab+ab
2. Selektion (= einseitige Abhängigkeit): +ab-ab oder -ab+ab
3. Solidarität (=gegenseitige Abhängigkeit): -ab-ab

Und zum Üben eine algebraische Analyse aus der Phonologie:

Betrachtet werden die Konsonantenverbindungen einer Sprache mit s, p, t, k, r, l.

Folgende Verbindungen existieren in dieser Sprache: spr, skl, sp, st, sk, pr, tr, kr, pl, kl

Schreibe glossematisch:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

6 Kritik

Nicht nur von Gegnern, sondern auch von manchen Anhängern Hjelmslevs und Uldalls wurde die glossematische Theorie als eine hochspekulative Angelegenheit ohne praktische Relevanz angesehen. Sie mußte den Vorwurf der ,,Unfruchtbarkeit" über sich ergehen lassen.

7 Literatur

Jörn Albrecht: Europäischer Strukturalismus. Tübingen 1988. S.61ff, 121ff.

Brigitte Bartschat: Methoden der Sprachwissenschaft. Berlin 1996. S.110-128.

Gerhard Helbig: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Reinbek 1974. S.60-72.

Louis Hjelmslev: Prolegomena zu einer Sprachtheorie. Linguistische Reihe, Band 9. München 1974.

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Dänische Glossematik
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Veranstaltung
Übung zur deutschen Gegenwartssprache: Geschichte der Sprachwissenschaft
Autor
Jahr
1999
Seiten
5
Katalognummer
V97264
ISBN (eBook)
9783638099394
Dateigröße
381 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Germanistik Sprachgeschichte Strukturalismus Glossematik Hjelmslev Uldall
Arbeit zitieren
Katja Thrum (Autor:in), 1999, Dänische Glossematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97264

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