Warum gibt es keinen Sozialismus in den USA?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

17 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Zur Bedeutung des Wohlstandsniveaus
II.1 Zur Bedeutung der Einkommensverteilung

III. Ideologische Gründe
III.1 Die Idee der Gleichheit
III.2 Der Geist des Kapitalismus
III.3 Der amerikanische Individualismus
III.4 Die Rolle der protestantischen Kirche
III.5 Der amerikanische Moralismus
IV. Politische Determinanten
IV.1 Das amerikanische Wahlsystem
IV.2 Socialist Sectarianism
IV.3 Das Spoils-System

V. Zusammenfassung

VI. Literatur

I. Einleitung

Unter den Industrienationen sind die Vereinigten Staaten von Amerika das einzige Land, in dem sich nie eine sozialistische Massenpartei bzw. andere starke sozialistische Bewegungen gegründet haben.

Dieses Phänomen, das in der Literatur oft als „American Exceptionalism“ bezeichnet wird,[1] steht im diametralen Gegensatz zur marxistischen Theorie. Nach der Logik des historischen Materialismus, in dem ein positiver Zusammenhang von technischen Fortschritt bzw. allgemeiner gesagt, dem Entwicklungsniveau eines Landes und der Ausprägung der sozialistischen Tendenzen innerhalb seiner Gesellschaft postuliert wird, sollten die Vereinigten Staaten von Amerika, als technologisch fortschrittlichtes und am weitesten entwickeltes Land das erste sein, in dem die Sozialisten an die Macht kommen.[2]

Marx und Engels sahen vor allem zwei Gründe für die Schwäche des Sozialismus in den USA: das Fehlen einer feudalistischen Vergangenheit, wie sie in den europäischen Staaten gegeben ist, und das stetig rapide ansteigende Wohlstandsniveau.[3]

Neben diesen beiden Erklärungen – auf welche im Laufe der Arbeit noch einzugehen ist – gibt es eine Vielzahl weitere Annahmen, welche die geringe Stellung der sozialistischen Bewegungen und Programme in den Vereinigten Staaten zu begründen suchen. Grob lassen sich diese Annahmen in drei Kategorien unterteilen: in der ersten Kategorie werden die Auswirkungen des Wohlstandsnivaus und der Wohlstandsverteilung auf den Grad des Sozialismus betont, der Einfluss ideologischer Determinanten wird in der zweiten Kategorie hervorgehoben während in der dritten Kategorie der Focus auf dem politischen System der USA immanenten Faktoren liegt.

Die dieser Arbeit zugrundeliegende Literatur beinhaltet leider keine Beschreibungen statistischer Überprüfungen der postulierten Zusammenhänge einzelner Faktoren und der Stärke des Sozialismus. Um so wichtiger scheint es, bei der Darstellung der Erklärungen der gemachten Annahmen und von den Autoren explizit oder implizit vertretenden Hypothesen dort Schwerpunkte zu setzen, wo komparatistisch vorgegangen wird, heißt, der Vergleich von den Gegebenheiten in den Vereinigten Staaten zu denen anderer Länder gesucht wird.

II. Zur Bedeutung des Wohlstandsniveaus

In seinem Buch: „Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus,“[4] beschreibt Werner Sombart das Wohlstandsniveau als einen entscheidenden Faktor für die Stärke der sozialistischen Neigung innerhalb einer Gesellschaft. In Anlehnung an Sombart läßt sich folgende Hypothese formulieren:

Je höher das Pro-Kopf-Einkommen, desto schwächer sind sozialistische Neigungen.

In der Untersuchung seiner Hypothese geht Sombart komparatistisch vor; er vergleicht die Höhe des Pro-Kopf-Einkommen – speziell der Arbeiter – in den Vereinigten Staaten und Deutschland. In einem zweiten Schritt stellt er den Lebensstandard gegenüber, welchen das jeweilige durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den beiden Ländern zuläßt.

Sombart kommt in seiner Gegenüberstellung des Pro-Kopf-Einkommens der Arbeiter in Deutschland und den Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis: „Die Geldarbeitslöhne sind in den Vereinigten Staaten zwei- bis dreimal so hoch wie in Deutschland.“[5]

Um den Lebensstandard zu vergleichen ermittelt Sombart die Höhe des Reallohnes, d.h. er versucht festzustellen, „welche Gütermenge der Arbeiter mit seinem so viel höheren Geldlöhnen erwerben kann und ob sich auch hier der Abstand zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Arbeiter so groß erweist wie beim Geldlohn?“[6]

Die Ergebnisse seiner Untersuchungen, in denen er die Preise zahlreicher Güter – welche sich im wesentlichen in die Kategorien Nahrung, Wohnung und Kleidung unterteilen lassen – bajahen diese Frage. Die Lebenserhaltungskosten in den Vereinigten Staaten sind nicht bzw. nur unwesentlich teurer als in Deutschland.[7] Dies bedeutet, dass der amerikanische Arbeiter sich einen deutlich höheren Lebensstandard als der deutsche Arbeiter leisten kann oder wie Sombart es ausdrückt: „er [der amerikanische Arbeiter] wohnt besser, kleidet sich besser, nährt sich besser als sein deutscher Kollege.“[8] Der Lebensstandard der amerikanischen Arbeiterklasse[9] ähnelt eher dem der deutschen Mittelklasse als der deutschen Arbeiterklasse.

Im Gegensatz zu der Prophezeiung Marx und Engels in ihrem „Manifest der kommunistischen Partei“[10], führte die kapitalistische Wirtschaftsentwicklung in den Vereinigten Staaten nicht zu einer Verelendung des Proletariats, sondern im Gegenteil zu

einer Anhebung des Lebensstandards der Arbeiter in den Vereinigten Staaten im Vergleich

zum Lebensstandard der Arbeiterschicht auf dem alten Kontinent. Nährboden des Sozialismus ist aber eben jene Unzufriedenheit der Arbeiterschicht, welche aus seiner relativen Verarmung erwächst.

Zusammenfassend läßt sich also sagen, dass ein erster Grund dafür, dass sich sozialistische Tendenzen in den USA nicht durchsetzen konnten, das relativ hohe Pro-Kopf-Einkommen des amerikanischen Arbeiters war, was ihm einen weitaus höheren Lebensstandard erlaubte als dem europäischen Arbeiter oder um es mit Sombart zu sagen: „An Roastbeef und Apple-Pie wurden alle sozialistischen Utopien zuschanden.“[11]

Auch die ökonomische Entwicklung der Vereinigten Staaten im 20 Jhr. stellte die Weichen nicht gerade Richtung Sozialismus. Auch wenn andere Länder in Europa und Asien sich wirtschaftlich entwickelt haben, ist Amerika immer noch führend in der Höhe des kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommens und in der Schaffung neuer Arbeitsplätze.[12] Neben dem hohen Lebensstandard, den das realtiv hohes Pro-Kopf-Einkommen in Amerika zuläßt, genießen die Amerikaner darüberhinaus die Vorteile eines nicht gesättigten Arbeitsmarktes, was nicht nur Berufssicherheit, sondern auch Aufstiegschancen ermöglicht.

II.1 Zur Bedeutung der Einkommensverteilung

Auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt ein deutlicher Trend dahingehend auszumachen, dass vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte gesucht werden, während das Arbeitskräfteangebot im Niedriglohnbereich zunimmt. Dies führt zu einer Verstärkung der Einkommensungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft.[13] An dieser Stelle könnte vermutet werden, dass es durch die relative Absenkung des Einkommensniveaus und damit auch des Lebensstandards in der unteren Schicht der Bevölkerung zu einer Zunahme der bis dato nur marginalen Stimmenanteil der sozialistischen Partei kommen sollte. Dagegen läßt sich allerdings mit Lipset und Marks einwenden, dass die ärmste Schicht der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten zum Großteil aus illegalen Einwanderern, ethnischen Minderheiten und auch aus alleinerziehenden Müttern besteht, also aus politisch meist isolierten Gruppen, mit geringer Wahlbeteiligung.[14]

[...]


[1] Vgl. Lipset, Seymour Martin: American Exceptionalism. A double-Edged Sword. New York, 1996, S. 77.

[2] Vgl. ebda. S. 77.

[3] Vgl. ebda. S. 79.

[4] Sombart, Werner: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?, Tübingen, 1906. Da ein Textauszug des genannten Buches (S. 81 – 126) die einzige Grundlage dieses Abschnitts darstellt, wird im folgenden auf weitere Quellenverweise in Form von Fußnoten verzichtet. Zitate werden gekennzeichnet.

[5] Ebda. S. 93. Dieses Ergebnis beruht auf ausführlichen Vergleichen des Pro-Kopf-Einkommens der deutschen und amerikanischen Arbeiter zum einen in den einzelnen Industriezweigen und zum anderen auf Vergleichen des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens in ausgesuchten Gebieten in Deutschland und den USA. Die Ergnisse gelten für die Zeit um 1900, da sie aus Daten um die Jahrhundertwende gewonnen wurden. Aktuellere Beschreibungen der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens in den Vereinigten Staaten finden am Ende dieses Abschnitts Berücksichtigung.

[6] Ebda.: S. 94.

[7] Auch wenn hier der Präsens verwendet wird, geht es hier und im folgenden wieder um die Zeit um 1900.

[8] Sombart: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?, S. 115.

[9] Der Begriff „Arbeiterklasse“ ist hier nicht ideologisch gemeint. Ein Klassenbewußtsein, wie es in Europa um 1900 herrschte, gab es in den Vereinigten Staaten nicht. Die Frage des Klassenbewußtseins wird in Abschnitt III genauer untersucht.

[10] Vgl. Marx, Karl; Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. Wieder abgedruckt in: Marx-Engels-Studienausgabe, Bd. 3, S. 59 – 87, Frankfurt/Main, 1966.

[11] Sombart: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?, S. 126.

[12] Vgl. Lipset: American Exceptionalism, S. 55.

[13] Vgl. ebda, S. 56 – 57.

[14] Lipset, Seymour Martin; Marks, Gary.: It didn’t happen there. Why socialism failed in the United States, New York, 2000, S. 84f.

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Details

Titel
Warum gibt es keinen Sozialismus in den USA?
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Seminar für Soziologie)
Veranstaltung
Die amerikanische Gesellschaft
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
17
Katalognummer
V9708
ISBN (eBook)
9783638163385
ISBN (Buch)
9783638806077
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kapitalismus, USA, Einkommensverteilung, Sozialismus
Arbeit zitieren
Andree Martens (Autor:in), 2001, Warum gibt es keinen Sozialismus in den USA?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9708

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