Familie - Ein aussterbendes Modell?


Seminararbeit, 2000

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Darstellung des Familienbegriffes
2.1 Die „Normalfamilie“
2.2 Wandel der Familienformen

3 Der Geburtenrückgang
3.1 Zahlen und Fakten
3.2 Gründe der „Kindermüdigkeit“
3.3 Zusammenfassung

4 Relative Armut als Folge von Familiengründung
4.1 Definition von Armut
4.2 Armut von Kindern
4.3 Trennung und Scheidung als Grund für Frauenarmut
4.4 Zusammenfassung

5 Möglichkeiten der Einschränkung des Geburtenrückganges
5.1 Einwanderung als Chance einer kinderlosen Gesellschaft?
5.2 Mögliche familienpolitische Maßnahmen

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Problem des Geburtenrückgangs und der gewollten Kinderlosigkeit ist ein häufig angesprochenes und oft beklagtes Phänomen der heutigen Zeit, das einige oft dramatisch dargestellte Folgen für die Gesellschaft mit sich bringt.

Die Sicherung der Rentenversorgung wird in Frage gestellt und eine Überalterung der Gesellschaft befürchtet. Außerdem wird mit dem Geburtenrückgang auch häufig der Rückschluss auf den Trend zur Ein-Kind-Familie gezogen.

Ich möchte in meiner Hausarbeit zeigen, welche Behauptungen der Realität entsprechen, welche sich als falsch erweisen und welche mit Vorsicht zu genießen sind.

Außerdem ist es mir ein Anliegen, die Gründe für eine gewollte Kinderlosigkeit darzustellen, die sich häufig aus gesellschaftlichen und familienpolitischen Missständen fast zwingend ergeben. In einem weiteren Kapitel möchte ich mich mit der aus der Familiengründung resultierenden relativen Armut (s. Kapitel 4.1) beschäftigen.

Einleitend habe ich mich mit dem Wandel der Familie und dem noch weitgehend vorherrschenden Bild der sogenannten „Normalfamilie“ befasst, weil ich es für wichtig erachte, die begrifflichen Probleme des Familienbegriffs, der in meiner Hausarbeit eine große Rolle spielt, deutlich zu machen.

Zum Schluss will ich mich um die Darstellung einiger möglicher familienpolitischer Maßnahmen bemühen.

2 Darstellung des Familienbegriffes

Wenn man sich um eine angemessene Beschreibung des Familienbegriffes bemüht, stößt man auf eine Fülle von unterschiedlichen Definitionen.

Die einen Autoren orientieren sich noch weitgehend an dem traditionellen Verständnis der „Normalfamilie“ und andere versuchen diesen Begriff den neuen Lebensformen entsprechend etwas weiter und lockerer zu fassen.

2.1 Die „ Normalfamilie “

Das Bild der „Normalfamilie“ ist auch heute trotz der veränderten Lebensformen noch das vorherrschende Bild in der Gesellschaft. Wenn man von Familie spricht, wird im Allgemeinen von der klassischen Kern- und Kleinfamilie ausgegangen. In diesem Verständnis wird davon ausgegangen, dass die Familie mindestens aus zwei Generationen bestehen muss und beide Eltern Teile der Familie sind. Die Familienmitglieder sollen in einer Haushaltsgemeinschaft miteinander leben und ihre spezifischen Rollen ausüben. Die Mitglieder der Familie verfolgen wie eine soziale Gruppe gemeinsame Zwecke und Ziele, wodurch es zu festen und zeitlich beständigen Beziehungen zwischen den Mitgliedern kommt (vgl. Cyprian, Frey, Heckmann 1993).

Tatsächlich ist dieses Verständnis von Familie auch in der Realität noch das Verbreitetste, auch wenn immer mehr neue Lebensformen hinzu kommen (z.B. Alleinerziehende, Patchworkfamilien...). Diese anderen Lebensformen werden aber als von der Familie abweichend charakterisiert, weil sie nicht dem gesellschaftlichen Ideal entsprechen.

Nach dieser Sichtweise werden den einzelnen Mitgliedern verschiedene geschlechtsspezifische Rollen zugeordnet. Der Vater wird immer noch als Ernährer angesehen, ist also für die existentielle Sicherung der Familie zuständig (nach Parsons „technischer / instrumenteller Fachmann“).

Die Mutter wird als „kulturelle Virtuosin“ bezeichnet, die für den emotionalen Spannungsausgleich verantwortlich ist.

Außer Acht gelassen wird hierbei, dass immer mehr Frauen zumindest teilweise erwerbstätig sind. 1996 waren 55% aller 15- bis 64jährigen Frauen mit Kindern erwerbstätig, über die Hälfte davon teilzeit. Gestiegen ist aber ausschließlich die teilweise Erwerbstätigkeit der Mütter und nicht etwa die Vollzeiterwerbstätigkeit (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a). Somit wird die Mutter zunehmend einer Doppelbelastung ausgesetzt, da sie zugleich für ein weiteres Einkommen zu sorgen hat und auch für alle anfallenden Probleme der Familie zuständig ist. Diese Schwierigkeit wird bei dem klassischen Verständnis von Familie völlig außer Acht gelassen.

Die Rollen der Kinder orientieren sich entsprechend ihres Geschlechtes an der Mutter oder am Vater, wodurch sich diese Sichtweise immer wieder wiederholt und festigt. Peuckert benutzt eine Definition der Normalfamilie von Pöschl: „Die Familie ist eine sozio-biologische Einheit, die durch enge Verwandtschaftsbeziehungen - vorwiegend das Eltern-Kind- Verhältnis - gekennzeichnet ist.“ (Peuckert 1996, 29). Wenn man bei Peuckert weiterliest, werden der „Normalfamilie“ folgende Merkmale zugeschrieben:

verheiratet, mit Kind / Kindern, zwei leibliche Eltern im Haushalt, lebenslange Ehe, Monogamie, Heterosexualität, Mann als Haupternährer (vgl. ebd.). Hieran kann man erkennen, dass diese Sichtweise von Familie durchaus noch aktuell ist, denn das Buch von Peuckert ist 1996 erschienen.

Aber mit einer solchen engen Fassung des Familienbegriffes wird gerade die Frage nach der Vielfalt von Familienformen völlig ausgeblendet (vgl. Nave-Herz 1994).

2.2 Wandel der Familienformen

Wie oben schon erwähnt, ist es heute nicht mehr möglich die Familie aus einem so engen Blickwinkel zu betrachten. Dazu hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahren zu sehr verändert und zu viele von dem Typus der „Normalfamilie“ abweichende Lebensmuster hervorgebracht.

Deshalb darf man, wenn man von Familie spricht, nicht mehr nur noch eine Gemeinschaft aus Ehepartnern und den gemeinsamen Kindern meinen.

Vielmehr muss man Alleinerziehende, nicht miteinander verheiratete Eltern und Stiefeltern mit in den Familienbegriff einbeziehen. Deshalb benutzt Engstler eine erweiterte Definition, wie sie auch im Mikrozensus1 gebraucht wird:

„Im Mikrozensus zählen als „Familien“ eng umgrenzte Personengemeinschaften innerhalb eines Privathaushaltes, die durch Ehe oder Abstammung bzw. das Sorgerecht miteinander verbunden sind. Im Einzelnen handelt es sich um zusammenlebende Ehepaare mit oder ohne ledige „Kinder“ im Haushalt sowie alleinstehende (d.h. ledige, verheiratet getrenntlebende, geschiedene und verwitwete) Mütter und Väter, die mit ihren ledigen Kindern im gleichen Haushalt zusammenleben.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998 a, 179).

Statistisch gesehen, haben die Familienformen, die nicht dem Muster der „Normalfamilie“ entsprechen, zugenommen. Allerdings sollte man nicht davon ausgehen, dass somit eine hohe Zahl von Kindern in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft aufwächst. Vielmehr treten neue Lebensformen erst in der Jugendphase auf. 1995 lebten 86% aller minderjähriger Kinder mit beiden leiblichen Eltern zusammen. Davon lebten 79% bei verheirateten und nur 7% bei unverheirateten Elternpaaren (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Nave-Herz 1994; Schimke 1998).

Tabelle 1: Lebensformen der Kinder unter 18 Jahren, 19951 )

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, Europäisches Haushaltspanel (Deutschland, Welle 2);

1) Kinder in Privathaushalten; nicht hochgerechnetes Stichprobenergebnis der rund fünftausend befragten Haushalte; Paare mit Kindern sind in der Stichprobe etwas überrepräsentiert (vgl. Bechtholt/Meyer in: Wirtschaft und Statistik, 5/1996, S. 301);

( ) Aussagekraft wegen geringer Stichprobenbesetzung (50-99 Fälle) eingescgränkt;

/ kein Nachweis wegen zu geringer Stichprobenbesetzung (unter 50 Fälle).

(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998 a, 36)

Die große Mehrheit der Kinder wächst demnach also bei ihren leiblichen Eltern auf. Man muss aber davon ausgehen, dass diese Familienkonstellation mit zunehmendem Alter der Kinder immer mehr zerbricht. Scheidung und Trennung der Eltern führt dann zu neuen Lebensformen (vgl. ebd.).

Auch in der 13. Shell-Jugendstudie wird bestätigt, dass Ehe und Familie auch für die heutigen Jugendlichen durchaus noch eine große Bedeutung haben.

Sie verbinden mit ihr Werte wie Treue, Vertrauen, Verlässlichkeit und emotionalem Rückhalt. Auch die hohen Scheidungsraten stehen zu dieser Einschätzung nicht in Widerspruch, da diese nur so zu begründen sind, dass in der gescheiterten Ehe die hohen Wertansprüche keinen Bestand hatten (vgl. Frankfurter Rundschau 27.03.2000).

So kann man nicht davon sprechen, dass die Familie zu einem aussterbenden Modell wird, sondern man muss vielmehr versuchen, die unterschiedlichen Lebensformen zu akzeptieren und als Chance zu nutzen.

So könnten z.B. Kinder von einem vielseitigen Beziehungsnetz auch profitieren, wenn alle beteiligten Personen es schaffen, verständnisvoll miteinander umzugehen. Aber erst, wenn die Gesellschaft bereit ist, diese Fülle von Lebensformen zu tolerieren und sich nicht mehr dazu hinreißen lässt, den einfachsten Weg zu gehen, nämlich an dem alten Bild der „Normalfamilie“ festzuhalten, können diese Lebensformen auch wirklich funktionieren, da sich dann diese Menschen nicht mehr als Versager fühlen müssten, nur weil sie nicht dem Bild der Gesellschaft entsprechen (vgl. Weber 1993).

3 Der Geburtenrückgang

Der Geburtenrückgang ist ein oft beklagtes Problem, das sich seit längerem abzeichnet. Er zeigt sich als unaufhaltsamer Trend, der regional in unterschiedlicher Intensität abläuft (vgl. Schimke 1998). War er zu Anfang vor allem darauf zurückzuführen, dass weitgehend auf mehr als zwei Kinder verzichtet wurde, so ist er jetzt immer mehr auf eine steigende Rate gewollt kinderloser Paare zurückzuführen. In den folgenden Abschnitten möchte ich die Zahlen und Fakten des Geburtenrückgangs sowie die Gründe für eine gewollte Kinderlosigkeit darstellen.

3.1 Zahlen und Fakten

Oft kann man in Veröffentlichungen zu diesem Thema lesen, die Geburtenrate sei in den letzten 25 Jahren um fast 50% zurückgegangen. Interessant ist aber, dass diese Angabe in unterschiedlichen Büchern zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemacht wurde. Diese unpräzise Angabe ist nur dann zulässig, wenn man vom Erscheinungsjahr aus 25 Jahre zurückzählen kann. Wenn aber diese Angabe immer wieder von verschiedenen Autoren übernommen wird oder unverändert in Neuauflagen erscheint, wird sie zunehmend falsch und verwischt tatsächlich vorhandene Schwankungen in der Kurve der Geburtenratenentwicklung. Wenn man diese Angabe immer noch sinnvoll lesen möchte, so müsste ihre Aussage sein, dass es sich um einen stetigen Rückgang der Geburtenzahlen handelt. D. h. alle 25 Jahre würde sich die Zahl der Geburten halbieren. Diese Aussage ist aber wahrscheinlich von den Autoren nicht beabsichtigt und vor allem auch statistisch falsch (vgl. Kraft 2000).

Richtig ist, dass die Geborenenzahlen, abgesehen von kürzeren Unterbrechungen ( z.B. zwischen 1975 und 1980 in der ehemaligen DDR) und des sogenannten Echoeffektes des früheren westdeutschen Geburtenbooms (heißt: geburtenstarke Jahrgänge wachsen in das Familiengründungsalter hinein), in Deutschland seit Mitte der sechziger Jahre sinken.

Diagramm 1

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Quelle: Jahrbücher des Statistischen Bundesamtes

(Kraft, 2000, 8)

Allerdings gibt es keine stetige Geburtenreduktion im Sinne einer sich ständig wiederholenden Halbierung der Geburtenraten. Vielmehr entsteht eine wellenförmige Kurve, wenn man die Geburtenzahlen in einer Graphik wie oben darstellt. Immer dann, wenn geburtenstarke Jahrgänge in das Familiengründungsalter kommen, gibt es auch wieder einen Anstieg der Geburtenraten.

Richtig ist, dass die Geborenenzahlen von 1964 bis 1978 um fast 50% zurückgegangen sind. Von 1978 bis 1992 sind sie aber auch wieder um 25% gestiegen, wie folgende Darstellung zeigt (vgl. ebd.):

Diagramm 2

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

(Kraft, 2000, 8)

Es ist wichtig, zu betonen, dass der Geburtenrückgang heute vor allem auf die steigende Zahl kinderloser Paare zurückzuführen ist und nicht darauf, dass die Zahl der Kinder in den Familien sinkt. Dies bedeutet, dass der Schluss, die Verringerung der Geburten bedeute zugleich, dass es zunehmend Ein-Kind-Familien gibt, ein Trugschluss ist. Das Gegenteil ist der Fall: entweder eine Familie entscheidet sich für zwei oder mehr Kinder oder gegen ein Kind; in den seltensten Fällen entscheiden sich die Eltern für nur ein Kind.

Dies hängt vor allem stark mit den hohen Ansprüchen zusammen, die an eine Familie im Blick auf die Erziehung der Kinder gestellt wird. Es heißt, dass es für ein Kind besser ist, mit Geschwistern aufzuwachsen. Da Familien heute bestrebt sind, in pädagogischer Hinsicht das Beste für ihre Kinder zu tun, entscheiden sich die meisten Paare dazu, mindestens zwei Kinder zu bekommen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Kraft 2000; Nave-Herz 1994).

Hingegen wird voraussichtlich jede vierte Frau des Jahrganges 1960 in Westdeutschland kinderlos bleiben. In Ostdeutschland ist dieses Phänomen der bewusst kinderlosen Frauen noch nicht so verbreitet; hier wird voraussichtlich nur jede zehnte Frau kinderlos bleiben.

Deshalb möchte ich mich in meiner Hausarbeit auch vor allem auf die westdeutschen Frauen beziehen.

Dieser Anstieg steht in engem Zusammenhang mit der gestiegenen Zahl der ledig Bleibenden oder auch kinderlos Geschiedenen. Ehepaare bleiben heute allerdings seltener kinderlos als noch vor 10 bis 15 Jahren. Dies hängt damit zusammen, dass die Ehe vor allem stark mit Kindern in Zusammenhang gebracht wird (fast jedes Kind wächst in einer ehelichen Gemeinschaft der Eltern auf), sie aber keine große Rolle mehr spielt, wenn kein Kinderwunsch vorhanden ist (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Nave-Herz 1994).

Statistisch gesehen steht die Kinderlosigkeit in den alten Bundesländern in engem Zusammenhang mit dem Bildungsniveau der Frau. 40% der 35- bis 39jährigen westdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss haben keine Kinder im Haushalt. Demgegenüber stehen 21% der Frauen mit Hauptschulabschluss (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a). Daraus lässt sich schließen, dass Frauen, die eine höhere Ausbildung haben, karrierebestrebter sind als andere Frauen und sich so bewusst gegen Kinder entscheiden. Darauf möchte ich aber später noch genauer eingehen.

Die Geburtenrate in Deutschland ist im europäischen Vergleich eine der niedrigsten. Nur in Italien ist die durchschnittliche Kinderzahl der Frauen noch geringer. Voraussichtlich werden die 1960 geborenen Frauen nur 1,63 Kinder bekommen, im Osten mehr (1,77) im Westen weniger (1,57) (vgl.ebd.).

Festzuhalten ist aber, dass trotz der gesunkenen Geburtenrate keine Abkehr vom Kind zu beobachten ist. Es hat nur eine Verlagerung stattgefunden. Viele Paare verschieben ihren Kinderwunsch nur in ein späteres Alter, was bedeutet, dass nicht immer von Anfang einer Beziehung an generell kein Kinderwunsch vorhanden ist. Die Geburt des ersten Kindes hat sich seit 1980 um 3 bis 4 Jahre nach hinten verlagert, wofür eine Reihe von Gründen verantwortlich sind, auf die ich später noch eingehen werde.

1996 waren Frauen im Durchschnitt bei der Geburt ihres ersten Kindes bereits 28,3 Jahre alt (vgl. Beck-Gernsheim 1998; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Hettlage 1992; Nave-Herz 1988; Eichenberger 1998; Schimke 1998).

Diagramm 3: Durchschnittliches Alter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes

Alter der Mütter von ehelichen erstgeborenen Kindern*

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

* ) Ehelich geborenes, erstes gemeinsames Kind des Ehepaares.

Alter der Mütter von Nichtehelichen geborenen Kindern

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt - Geborenenstatistik; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Dorbritz/Gärtner, Die demographische Bedeutung des Familienstandes, Stuttgart 1995, S. 341);

(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998 a, 101)

Für viele Paare wird aber dann der aufgeschobene Kinderwunsch auch später nicht realisiert. Sie entscheiden sich dann oft doch ganz gegen Kinder oder ihre Lebenssituation hat sich grundlegend verändert, dass Kinder nicht mehr in Frage kommen (z.B. kinderlos geschiedene Ehen) (vgl. Nave-Herz 1988).

3.2 Gründe der „ Kindermüdigkeit “

Bei Hettlage wird die gewollte Kinderlosigkeit als „Kindermüdigkeit“ bezeichnet, was die Sachlage meiner Meinung nach sehr gut trifft, da die bei ihm ausgeführten Gründe bei vielen Paaren in der Tat eine Art Müdigkeitszustand auslösen könnten.

Für sie passen Kinder nicht in ihre Lebensplanung hinein, was oft gesellschaftlich begründet werden muss.

Aber nicht nur Hettlage beschäftigt sich mit den Gründen, die gegen Kinder sprechen. Auch Nave-Herz, Beck-Gernsheim und andere Autoren haben sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt. Das Spektrum solcher Gründe, mit denen Familie zu kämpfen haben, reicht von ökonomischen und strukturellen Hindernissen bis zur neuen Lebenssituation der Frau.

In vielen Fällen darf man aber nicht nur eine Begründung für eine kinderlose Partnerschaft in Betracht ziehen. Meistens fallen mehrere Faktoren in der Entscheidungsfindung zusammen.

Ich möchte mich im Folgenden in erster Linie an der Einteilung von Hettlage orientieren, der zwischen ökonomischen und kulturellen Erklärungsvarianten unterscheidet. Diese werde ich dann anhand von anderen Darstellungen ergänzen.

Auch Hettlage warnt vor einem monokausalen Vorgehen, weshalb man die beiden oben genannten Ebenen auch nur zu analytischen Zwecken auseinanderhalten sollte.

Er definiert „ökonomisch“ im Sinne der materiellen Versorgung. Der Zusammenhang der Geburtenzahlen mit der Wirtschaftskonjunktur und dem Arbeitsmarkt ist mit dieser Definition eng verbunden. Wenn man von einer solchen Verbindung ausgeht, ist die demographische Entwicklung ein umkehrbarer Prozess, da junge Paare mit ihrer Kinderplanung sehr sensibel auf die vorhersehbaren Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt reagieren. Wenn sich also die strukturellen Bedingungen wieder verbessern würden (z.B. bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt), dann könnte dies eine Voraussetzung dafür sein, dass die Zahl der Kinder wieder ansteigt.

Das von Hettlage sogenannte Arbeitsmarktmodell geht davon aus, dass das Arbeitsmarktrisiko jungen Paaren (vor allem Müttern) umso höher erscheint, je jünger die allgemeine Erwachsenenwelt ist. Je mehr junge Menschen in einer Generation vertreten sind, desto höher ist die Konkurrenz auf dem Arbeitmarkt.

Deshalb geben junge Menschen also weniger schnell ihren Arbeitsplatz auf, da das Risiko höher ist, nach der Kindererziehung nicht wieder in den Beruf einsteigen zu können. Hettlage spricht hier vom sogenannten „Beute-Opfer-Modell“. Der Umkehrschluss dazu ist, dass die Chance einen Arbeitsplatz zu finden größer ist, wenn es mehrältere Menschen gibt. Also werden sich junge Paare eher dazu entschließen, eine eigene Familie zu gründen, wodurch die Fertilität steigt. Hieraus entsteht ein Kreislauf, nach dem die Geburtenzahlen je nach Generationsverdichtung steigen und sinken (vgl. Hettlage 1992).

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Ein weiterer Ansatz ist es, das Kind als „Wirtschaftsgut“ anzusehen. Bei dieser Vorstellung geht man von der traditionellen Gesellschaft aus, in der Kinder einen Nutzen für die Eltern haben mussten. Z.B. war es für die Versorgung der Eltern in höherem Alter wichtig, Kinder zu haben, die sich um sie kümmerten. Wenn man Kinder als Wirtschaftsgüter erachtet unterliegen sie also auch einem Herstellungskalkül. Diese Sprache klingt für uns heute sehr fremd, weil sie für unsere Entscheidung für Kinder keine Rolle mehr spielt. Aber in der traditionellen Gesellschaft sowie auch heute noch in den Dritte Welt Ländern war und ist die Familiengründung vor allem ökonomischen Motiven unterstellt. Kinder können als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden und dienen der Altersversorgung. Heute hat sich aber ein Wandel zu einer immer stärkeren Emotionalisierung vollzogen. Kinder sind nicht mehr notwendig, um im Alter versorgt zu sein. Dazu haben wir ein ausgebildetes Sozialversicherungssystem (auch wenn die Renten nicht mehr so sicher sind wie noch vor zehn Jahren).

Bei der Entscheidung für eine Familiengründung werden vor allem die Kosten mitbedacht, die nicht gering sind. Denn hier müssen nicht nur die realen Ausgaben für das Kind miteingerechnet werden, sondern auch die finanziellen Einbußen, die durch das Ausscheiden eines Elternteils (zumeist der Mutter) aus dem Berufsleben entstehen. Dies ist auch ein Grund dafür, dass Paare den Zeitpunkt für die Geburt des ersten Kindes immer mehr nach hinten verschieben. Sie wollen sich zunächst finanziell abgesichert wissen und nicht so viele persönliche Verzichte üben müssen. Erst wenn man es sich heute „leisten“ kann, bekommt man auch ein Kind.

Aber wenn Kinder uns heute keine ökonomischen Vorteile mehr einbringen, so haben sie für uns nur noch einen reinen „Emotionsnutzen“ (vgl. ebd.).

Außerdem wird es heute immer schwieriger, ein Kind aufzuziehen. Es stehen nicht genügend angemessene Wohnungen zur Verfügung, um ein kindgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen. Nach diesem Ansatz wird von den Defiziten des Sozialstaates aus argumentiert. Dieser scheint unzureichende Leistungen zu erbringen und so die Familiengründung nicht eben zu fördern. Will man seinem Kind geeignete Wohnverhältnisse bieten, so muss man große Summen an Miete aufbringen können. Schon deshalb wird die Frauenarbeit als wirtschaftliche Ergänzungsleistung oft unumgänglich (vgl. Beck- Gernsheim 1998; Hettlage 1992).

Aber auch in diesem Punkt versagt der Sozialstaat, weil er nicht ausreichende Betreuungsmöglichkeiten bietet. Auch wenn solche Betreuungsleistungen wie Tageskrippen, Ganztagsschulen und -kindergärten nur als Hilfskonstruktionen zu betrachten sind, so fehlen sie doch in weiten Teilen und machen vielen Familien gerade die Entscheidung für ein zweites oder drittes Kind zunichte. Denn eine solche Entscheidung zur Mehr-Kinder-Familie ist eine Entscheidung zur „relativen Armut“.

Solche kinderfeindlichen Lebensbedingungen setzen sich immer mehr durch und so werden sich auch immer mehr Paare dazu entscheiden, keine Kinder zu bekommen (vgl. Beck-Gernsheim 1998; Hettlage 1992).

Wenn die Frau auf Grund der hohen finanziellen Belastungen schon auch arbeiten muss, so sollte man annehmen, dass Möglichkeiten geschaffen würden, die eine solche Erwerbstätigkeit möglich machen. In der ehemaligen DDR war das Betreuungssystem zumindest strukturell sehr gut ausgebaut, so dass es jeder Frau möglich war, kurz nach der Geburt wieder in ihren Beruf einsteigen zu können. Über die pädagogischen und medizinischen Mängel dieser damaligen Kinderkrippen möchte ich mich in meiner Hausarbeit nicht weiteräußern, da sie für meine Betrachtungen unwichtig sind. Es erscheint mir viel wichtiger, dass überhaupt eine Struktur geschaffen wurde, die es Frauen ermöglicht, ebenfalls erwerbstätig zu sein. Allerdings war diese Einstellung, dass man direkt nach der Geburt seines Kindes wieder arbeiten ging, in den westdeutschen Bundesländern arg verpönt. Hier galt immer noch die Ansicht, dass es schädlich für das Kind sei, wenn die Mutter arbeiten ginge. Zumindest die ersten drei Jahre sollte die Mutter ausschließlich für das Kind sorgen. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass es für die Kinder keinesfalls schädlich ist, wenn die Mutter arbeiten geht. Wichtig ist ausschließlich die Einstellung der Mutter zu ihren Kindern, nicht aber so sehr die tatsächliche Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen. Eine Mutter, die erwerbstätig ist und somit weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen kann als eine nicht berufstätige Mutter, kann trotzdem eine bessere Mutter sein, da sie vielleicht ausgeglichener ist als eine „Hausfrau“. Diese Mutter hat vielleicht nicht alle ihre Lebensträume aufgegeben, sondern sich ihre eigenen Vorstellungen bewahrt. Bedeutend ist aber nicht, ob eine Mutter nun arbeitet oder nicht, sondern wie sie sich dabei fühlt und welche Einstellung sie ihren Kindern gegenüber zeigt. Es kann ebenso der Lebenswunsch einer Frau sein, sich ausschließlich um ihre Kinder zu kümmern und nicht arbeiten zu gehen. Dann wird sie sich ihren Kindern genauso ausgeglichen geben, wie eine Frau die ihren Ausgleich gerade in der Erwerbstätigkeit finden.

Es ist aber schon notwendig, eine kompetente Betreuung für die Kinder zu engagieren, die im günstigsten Falle nicht so häufig wechseln sollte. Ist dies gewährleistet, ist die Erwerbstätigkeit der Mutter keinesfalls schädlich, sondern kann auch eine Chance für die Kinder bedeuten, die von einem vielseitigen Beziehungsgeflecht ebenso profitieren können. Trotzdem war diese Anschauung vor ein paar Jahren noch nicht so verbreitet.

Diese Einstellung der Gesellschaft ist mit dafür verantwortlich, dass sich kein geeignetes Betreuungssystem ausgebildet hat. Denn auch im Kindergarten- und Schulalter sind die Strukturen noch immer nicht der erhöhten Teilerwerbstätigkeit der Mütter angepasst. Noch immer haben Mütter damit zu kämpfen, dass die Öffnungszeiten der Einrichtungen nicht mit ihren Arbeitszeiten übereinstimmen. Besonders wichtig wird hier die betreute Grundschule, da es heute für berufstätige Mütter erhebliche Schwierigkeiten darstellt, wenn ihre Kinder in die Grundschule kommen. Es gibt keine klaren Anfangs- und Endzeiten, sondern der Unterricht findet zu sehr unregelmäßigen Zeiten statt, so dass eine Planbarkeit (die für die Berufstätigkeit unersetzbar ist) unmöglich wird.

Heute hat aber auch in den alten Bundesländern die Bedeutung der Betreuungseinrichtungen zugenommen.

Dies hat sich auch darin ausgewirkt, dass den Einrichtungen ein pädagogischer Auftrag zugewiesen wird. Auch die Kinderkrippen werden eher als familienergänzende Institutionen angesehen und nicht mehr nur als „Aufbewahrungsort“ für die Kinder (vgl. Nave-Herz 1994).

Auch die „Verfügbarkeit“ der Omas ist heute nicht mehr selbstverständlich. Im Gegenteil. Geradeältere Menschen wollen sich heute im Alter noch selbst verwirklichen. Sie genießen zunehmend die freie Zeit, wenn keine eigenen Kinder mehr im Haus sind, um die man sich kümmern muss. Deshalb sind sie auch nicht mehr bereit, immer parat zu stehen, um die Enkelkinder zu betreuen (vgl. Beck- Gernsheim 1998).

Auch aus diesem Grund sind junge Familien immer mehr auf außerfamiliäre Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder angewiesen. Hier wäre eine Reform der bestehenden Strukturen von Nöten, um sie den tatsächlichen Bedürfnissen und Erfordernissen anzupassen. Erst dann ist es für die Frau auch wirklich möglich, das nötige zusätzliche Einkommen zu verdienen.

Diese Tatsache spielt natürlich auch bei den Frauen eine große Rolle, die zwar nicht unbedingt auf ein zweites Einkommen angewiesen sind, aber sich selbst in ihrem Beruf verwirklichen wollen und ihre Zukunftsplanung nicht ganz für Kinder aufgeben wollen. Zu dieser Problematik kommt Hettlage, wenn er über die kulturelle Erklärungsvariante spricht.

Bei diesem Ansatz steht die Frage nach dem Wandel der traditionellen Sinndeutungen, die sich fast selbstverständlich in hohen Geburtenraten niederschlugen, im Vordergrund.

Die Emanzipation der Frau ist ein besonders bekanntes Phänomen, das auch immer wieder in engen Zusammenhang mit der niedrigen Geburtenrate gebracht wird (Emanzipationsmodell).

Bei diesem Ansatz wird von der veränderten Rollenstruktur der Frau her argumentiert. Diese deutet sich z.B. in gesetzlichen Veränderungen an, die die Gleichberechtigung der Frau festlegen2. Trotzdem existieren solche Veränderungen zumeist nur auf dem Papier und im Bewusstsein. Tatsache ist aber, dass es immer noch eine große Konstanz im Verhalten und der Lage von Männern und Frauen gibt. Dies wird besonders auf dem Arbeitsmarkt deutlich. Im Bereich der Bildung hat sich aber auch eine ganz reale Angleichung an die Bildungsverhältnisse der Männer durchgesetzt. Doch durch diese Angleichung werden die Frauen sich ihrer Lage immer mehr bewusst. Durch die stärker festgesetzte Gleichheit, zeigt sich die wachsende Ungleichheit noch deutlicher. Frauen versuchen so immer mehr, ihr Recht auf Gleichheit durchzusetzen. Dadurch sind sie aber gezwungen, sich gegen die ungleichen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt (z.B. weniger Löhne) und das Verhalten der Männer (z.B. in der Hausarbeit) mit viel Einsatz durchzusetzen. Es gibt einen Widerspruch zwischen weiblicher Gleichheitserwartung und der Ungleichheitswirklichkeit. Männer treten zwar offen für die Gleichstellung der Frau ein, lassen ihren Parolen aber keine Taten folgen (Beck 1986; Hettlage 1992):

„Das Bewusstsein ist den Verhältnissen vorweggeeilt.“ (Beck, 1986, 162).

So ist es auch zu erklären, dass wie in Abschnitt 3.1 bereits erwähnt, die Geburtenrate stark mit den wachsenden Bildungs- und Selbständigkeitsambitionen der Frauen zusammenhängt. Vor allem Frauen mit einer höheren Ausbildung bzw. Hochschulabschluss entscheiden sich immer öfter gegen Kinder. Diese Frauen suchen nicht nur öfter ihre Selbstverwirklichung im Beruf, sie stehen auch unter einem hohen Druck, da sie sowohl finanziell als auch zeitlich viel in ihre Ausbildung investiert haben. Deshalb ist es für sie besonders wichtig, dass sich diese Investitionen auch gelohnt haben. Sie setzten sie so auch häufiger in berufliche Erfolge um, soweit diese ihnen offen stehen. Frauen stellen deshalb oft ihren Kinderwunsch zumindest eine zeitlang zurück, um sich ganz den hohen Anforderungen ihres Berufes widmen zu können. Diese Entwicklung drückt sich auch in dem steigenden Alter der Frauen aus, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Je länger sie aber ihren Kinderwunsch verschieben, desto mehr verabschieden sie sich dann ganz von dieser Vorstellung. Dies könnte vor allem so begründet sein, dass Frauen zwar einerseits aus ihrem Dasein als Hausfrau oder „Nur-Mutter“ entlassen werden, ihnen aber andererseits immer noch nicht die gleichen Möglichkeiten offen stehen wie Männern. Es ist auffallend, dass es immer weniger Frauen in einer Berufsgruppe gibt, je mehr Macht einer Gruppe oder Position zukommen (z.B. in Politik und Rechtssprechung).

Frauen müssen auch heute noch viel mehr berufliches Engagement zeigen, um Karriere zu machen. Von Männern wird dazu nicht annähernd so viel gefordert. Bei Männern spielt die Frage nach einer Familie und einem Kinderwunsch keine große Rolle. Und wenn doch, dann wird es ausschließlich positiv bewertet, wenn sie neben der Arbeit ein glückliches Familienleben führen. Dies dient einzig und allein ihrem Prestige.

Bei Frauen sieht das aber ganz anders aus. Bei ihnen wird es weniger gerne gesehen, dass sie neben dem Beruf auch noch den Wunsch nach einer Familie hegen. Man geht dann davon aus, dass die Frau weniger leistungsfähig sein könnte. In den meisten Fällen wird dies wohl auch so sein, da sich auch heute noch sehr wenige Männer bereit erklären, die Kindererziehung zu übernehmen oder sich genauso im Haushalt zu betätigen wie die Frau. Somit ist die Frau immer einer Doppelbelastung ausgesetzt, der sie im Normalfall nicht lange standhalten können wird. Deshalb entscheiden sich manche Frauen dann von vorneherein gegen Kinder bzw. Verschieben ihren Kinderwunsch auf später. Dann merken sie aber oft, dass sie beiden Anforderungen nicht gewachsen sein könnten und entscheiden sich dann ganz für ihren Beruf.

Tatsache ist, dass berufstätige Frauen weniger Kinder haben und auch häufiger geschieden werden. Dies könnte daran liegen, dass Männer häufig nicht mit dem Erfolg ihrer Frauen umgehen können. Außerdem wird der Ehe auch nicht mehr so viel Bedeutung beigemessen. Nur im Zusammenhang mit Kindern hat sie noch Bestand und scheint für die Paare auch eine wichtige Voraussetzung für die Kinderplanung zu sein.

Diagramm 4

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Quelle: Schulz, W. 1983: 405 (Hettlage, 1992, 149)

Allerdings sollte man aus dieser Argumentation heraus nicht schließen, dass Frauen mit einer höheren Berufsausbildung überhaupt keinen Kinderwunsch mehr haben. Das Gegenteil ist der Fall. Nur werden Frauen immer häufiger mit widersprüchlichen Erwartungshaltungen konfrontiert. Einerseits erwartet man von ihnen, dass sie ihre beruflichen Chancen nutzen und mit ihren Qualifikationen zur Existenzsicherung beitragen. Andererseits werden sie aber auch immer noch mit der Mutterrolle identifiziert. Die Männer haben auch weiterhin wenig Anteile an den alten Zuständigkeiten der Frauen. Trotzdem wünschen die Männer auch die Selbständigkeit der Frauen. Die Frau soll ihre eigenen Angelegenheiten und die der anderen Familienmitglieder selbständig und verantwortungsbewusst regeln, um damit zur Entlastung der Männer beizutragen. An diesem Anspruch wird noch einmal die doppelt Anspruchshaltung der Umwelt an die Frau deutlich. Wenn sie ihre Gleichstellung fordert, soll sie sie auch ausleben, aber ihre alten Aufgaben darf sie trotzdem nicht vernachlässigen.

Dazu kommt auch noch, dass sich die Ansprüche an die Kindererziehung weitgehend verändert haben. Die Eltern müssen sich immer mehr bemühen, ihre Kinder „optimal“ zu fördern. Dazu ist ein enorm großer pädagogischer Aufwand von Nöten.

In Widerspruch zu diesen hohen Anforderungen an die Eltern steht, wie oben auch schon erwähnt, eine strukturelle Kinderfeindlichkeit. Damit ist gemeint , dass die Umgebung der Kinder nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gestaltet wird. Dies ist besonders augenscheinlich im Wohnungsbau und im Straßenverkehr zu beobachten. Aber auch die Schadstoffe in der Luft und der Nahrung werden immer gefährlicher für die Kinder.

Dies hat zur Folge, dass die Eltern sich einem ständigen Widerspruch zwischen optimaler Förderung und widrigen strukturellen Verhältnissen gegenüber sehen. Sie müssen ständig versuchen, diesen Widerspruch auszubalancieren und für ihre Kinder das Bestmögliche zu erreichen.

Daran kann man sehen, dass die Erziehung der Kinder immer mehr Aufwand bedeutet und besonders junge Paare überfordern kann. Dies könnte ein weiterer Grund dafür sein, dass Frauen sich eher dazu entscheiden, sich später ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Eben erst dann, wenn sie sich selbst reif genug und in der Lagen sehen, die Kindererziehung mit all ihren Ansprüchen und Erfordernissen zu bewältigen.

Dieser hohe Erziehungsanspruch steht aber nicht nur mit den widrigen strukturellen Verhältnissen in Zusammenhang, sondern auch mit der wachsenden Berufstätigkeit der Frau.

Früher hatte die Frau selbstverständlich für eine angemessene Erziehung zu sorgen. Sie war dafür zuständig, einen emotionalen Spannungsausgleich zu schaffen und andere Belastungen abzufedern. Heute ist aber auch die Frau des öfteren vermehrten Belastungen ausgesetzt, wenn sie auch zur Existenzsicherung beitragen muss oder will. Frauen können auch nicht mehr davon ausgehen, dass sie von ihrem Mann mitversorgt werden. Oft reicht das Gehalt des Mannes nicht aus, um die Existenz seiner Familie zu sichern. Viele wollen sich aber auch nicht nur auf die Erwerbstätigkeit der Männer verlassen. Zu dem veränderten Selbstverständnis der Frau gehört oft auch die finanzielle Unabhängigkeit vom Mann (vgl. Beck 1986; Beck- Gernsheim 1998).

„Sie erfahren den Anspruch und Zwang zum eigenen Leben.“ (Beck-Gernsheim, 1998, 95).

An diesem Zitat wird deutlich, dass es zum einen Frauen gibt, die für sich den Anspruch haben, unabhängig und selbständig zu sein, es aber auf der anderen Seite auch andere gibt, die gezwungen sind, ebenfalls zur Existenzsicherung beizutragen.

Wichtig ist aber, dass den einen wie den anderen Frauen nur noch wenig Zeit für die Erziehung der Kinder und dem Dasein für ihre Familie bleibt. Dadurch haben viele Frauen überhaupt keine Chance, den Ansprüchen zu genügen, die an die Kindererziehung geknüpft werden.

Auch an diesem Punkt zeigt sich wieder die widersprüchliche Entwicklung, die mit der Emanzipation der Frau einhergeht: Zum einen wachsen die Aufgaben der Frau im außerfamiliären Bereich und zum anderen werden den Frauen immer höhere Anforderungen in der Kindererziehung und Partnerbeziehung entgegengestellt.

Ich möchte aber noch einmal vor dem Schluss warnen, dass der Kinderwunsch der Frauen auf Grund ihrer größeren Individualisierung völlig in den Hintergrund gerät. Dies könnte auch eine umgekehrte Folge haben, nämlich, dass die Kinder in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft immer mehr an Bedeutung bei der Suche nach Sinn, Bestätigung und Verankerung gewinnen (vgl. Beck- Gernsheim 1998).

Mit einem solchen Wertewandel steht auch das von Hettlage sogenannte Hedonismusmodell in Zusammenhang. Es gibt eine Veränderung in der Bildung von Lebenszielen, die einen wesentlichen Teil familiärer Veränderungen zur Folge hat. Man hält heute nicht mehr Werte wie Leistungsbereitschaft, Selbstkontrolle, Askese und Gehorsam für bedeutsam, sondern vor allem sogenannte Selbsterfüllungswerte (wie Freiheit, Selbstbestimmung, Emanzipation und psychisches Wachstum). Die Werteverschiebung unserer heutigen Wohlstandgesellschaft findet vor allem darin ihren Ausdruck, dass Freizeit, Konsum und Lebensgenuss für viele an erster Stelle stehen. In diesem Wertesystem haben Kinder nach Meinung der Vertreter dieses Modells keinen Platz. Sie würden von den Paaren als störend empfunden und passten nicht in ihre Lebensplanung hinein. So sei es auch zu erklären, dass Kinder immer mehr unter dem Kostenaspekt betrachtet würden.

Diese Behauptung kann man meiner Meinung nach nicht so stehen lassen. Ich denke eher, dass Paare deshalb so häufig den Kostengesichtspunkt mitbedenken, weil sie sich der Bedrohung der relativen Armut gegenüber sehen. In Zusammenhang mit dem oben erläuterten Aspekt, dass immer höhere Ansprüche an die Eltern gestellt werden, halte ich es für eine natürliche Überlegung, dass man sich erst dann für ein Kind entscheidet, wenn man sich auch finanziell dazu in der Lage sieht, seine Existenz zu sichern. Es scheint sehr verständlich, dass Paare sich mit einem Kind nicht unbedingt am Existenzminimum bewegen wollen.

Trotzdem glaube ich, dass es vereinzelt auch Paare geben kann, die aus rein egoistischen Gründen, die Kostenfrage des Kindes stellen, weil sie sonst ihren Lebensstandard gefährdet sehen. Dieses Phänomen würde ich aber eher bei jungen Paaren ansetzen, die vielleicht auch das Gefühl haben, noch nicht genug erlebt zu haben, oder bei solchen Paaren, die sowieso durch Beruf und Karriere so ausgelastet und wohl auch erfüllt sind, dass Kinder keine große Rolle in ihrer Lebensplanung spielen.

Interessant könnte diese Einstellung aber auch sein, wenn es um die Entscheidung für eine Mehr-Kinder-Familie geht. In diesem Fall glaube ich schon, dass die meisten Paare sich einen größeren finanziellen Spielraum wünschen, der mit einer großen Kinderzahl kaum zu verwirklichen ist. In einer solchen Situation könnte sich der finanzielle Aspekt direkt auf die Geburtenrate auswirken, in den anderen Fällen müssen immer noch andere Faktoren mitgedacht werden und dadurch wird der egoistische Aspekt weitgehend ausgeschaltet oder spielt zumindest nur noch eine untergeordnete Rolle (vgl. Hettlage 1992; Nave-Herz 1988).

Ein weiterer Punkt, der mit diesem Modell in Verbindung gebracht wird, sind die verbesserten Verhütungsmethoden, durch die eine Planbarkeit der Kinder erreicht wird. Hier ist aber anzumerken, dass es wohl heute nicht so sehr die verbesserten Verhütungsmethoden an sich sind, die einen Geburtenrückgang verursachen, sondern eher die Akzeptanz der Kontrazeptionsmethoden. Deshalb ist es wohl nicht so entscheidend, dass Familien keine Verhütungsmittel kannten, sondern eher, dass sie sie nicht benutzten, weil es nicht gerne gesehen war. Dies hängt wahrscheinlich mit der noch stärker vorhandenen Präsenz der Kirchen zusammen, für die der Geschlechtsverkehr einzig zur Kinderzeugung diente und die sich ja auch heute noch gegen Verhütungsmethoden aussprechen. So waren Kinder früher eben meistens nicht Wunschkinder, sondern sie gehörten zwingend zur Bestimmung der Frau dazu. Sie waren also nicht geplant. Heute entspricht aber gerade dieser Punkt der Planbarkeit von Kindern viel mehr den Normen der Gesellschaft. Paare, die nicht verhüten und viele Kinder zur Welt bringen, ohne z.B. die nötigen finanziellen Mittel zu haben, werden als unverantwortlich tituliert. Es ist von der Gesellschaft vielmehr gewünscht, dass man verantwortlich mit seiner Sexualität umgeht und seinen Kinderwunsch den eigenen Möglichkeiten anpasst. Auch im Hinblick auf die höheren Anforderungen, die an die Familien gestellt werden, spielt die Planbarkeit der Geburten eine große Rolle. Hier bekommt das Stichwort der „verantworteten Elternschaft“ (Hettlage, 1992, 151) eine erhebliche Rolle zugeschrieben. Damit hängt eben nicht zusammen, dass die Elternschaft an Bedeutung verliert, sondern, dass diese bewusst verstärkt wird, indem man erst dann eine Familie gründet, wenn man verantwortlich für sie sorgen kann ( vgl. Beck- Gernsheim 1984; Beck-Gernsheim 1998; Hettlage 1992; Nave-Herz 1988).

Hettlage schließt seine Ausführungen zur Begründung der „Kindermüdigkeit“ mit der „Emotionshypothese“. Er geht davon aus, dass eine Begrenzung des Kinderwunsches eng mit dem veränderten Bild von Ehe verbunden werden muss. Hier spielt die hohe Emotionalisierung der Ehegattenbeziehung eine große Rolle. Man heiratet nicht mehr aus sozialen oder ökonomischen Gründen, sondern aus Liebe. Dies hat zur Folge, dass das Fundament für die Ehe ein sehr wackeliges ist, weil Emotionen als einzige Grundlage instabil sind und den Bestand von Ehe und Familie in Frage stellen. Gefühle allein reichen nicht aus, um um den Erhalt einer Paarbeziehung zu kämpfen, weil sich Gefühleändern können und oft nicht von unendlicher Dauer sind. So könnten auch die hohen Scheidungsraten begründet sein.

Außerdem ist mit der hohen Emotionalisierung auch eine starke Bezogenheit und Abschottung der Familie in Bezug auf die Umwelt verbunden. Die Paare bauen sich ihre eigene innerfamiliäre Welt auf und errichten um sie einen Schutzwall, der alle Einflüsse von außen abhält. Dies bewirkt eine noch größere Bezogenheit der Partner aufeinander.

Diese Einstellung wirkt sich deshalb auf die Geburtenzahlen aus, da Kinder oft als Konkurrenz empfunden werden. Die Paarbeziehung wird durch das Kind gestört, da es nicht mehr möglich ist, sich ausschließlich auf den Partner zu konzentrieren.

Besonders deutlich wird diese Störung an dem sogenannten „Erst- Kind-Schock“. Die Paare sind besonders anfällig für die ökonomischen und vor allem psychischen Belastungen, die mit dem ersten Kind eintreten können. Und das im Hintergrund darauf, dass die Labilität der Beziehung sowieso latent vorhanden ist. So kommt es, dass viele Paare erst eine zeitlang warten, bis sie sich für weitere Kinder entscheiden.

Auch in diesem Punkt spielen die hohen Anforderungen, die sich Eltern im Blick auf die Kindererziehung stellen, eine große Rolle. Daran wird nochmals deutlich, wie sehr die einzelnen Begründungen der „Kindermüdigkeit“ zusammenhängen und in Verbindung zueinander gesehen werden müssen. Der Kindheit als Lebensphase wird immer mehr Bedeutung beigemessen, wodurch Eltern auch immer mehr in Unsicherheit geraten, weil sie Angst haben, Fehler in der Erziehung zu machen. Diese Angst scheint auch berechtigt, wenn man beobachtet, wie viele Kinder ihren Eltern vorwerfen, sie nicht genug gefördert zu haben und für ihre Probleme in der Gesellschaft verantwortlich zu sein.

Hier schlägt der Trend durch, die Eltern für alle Missstände, die die Kinder erfahren, verantwortlich zu machen. Gemeint sind hier nicht Missbrauchssituationen oder Verwahrlosung, sondern Probleme, die z.B. später im Berufsleben auftreten, wo den Eltern vielleicht vorgeworfen wird, die Fähigkeiten der Kinder nicht erkannt und sie dementsprechend auch nicht ausreichend gefördert zu haben. Diese Verantwortung kann nicht einfach an andere Familienmitglieder abgetreten werden, sondern muss von den Eltern eigenverantwortlich geleistet werden (vgl. Beck-Gernsheim 1985; Hettlage 1992; Nave- Herz 1988).

Die Familie wird auch im Gegensatz zur Ökonomie immer wichtiger, da sie sich als Emotionsinstrument und Schutzinstitution nach außen darstellt. Je stärker der Druck der Wirtschaft auf die einzelnen Familienmitglieder wirkt, desto größer wird die Bedeutung der Familie als emotionaler Ausgleich, wodurch sie auch einer erhöhten Belastung ausgesetzt ist. In den Zeiten immer größer werdender wirtschaftlicher Unsicherheit wird das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit immer größer. Somit wird die Familie zur unerlässlichen Ressource und zum verlässlichsten Auffangnetz (vgl. Eichenberger 1998).

3.3 Zusammenfassung

Wenn man sich alle diese Gründe für eine Kindermüdigkeit ansieht, dann muss man noch einmal betonen, dass diese Faktoren keineswegs nur nebeneinander bestehen, sondern immer im Zusammenhang gedacht und für jeden Einzelfall neu geprüft werden müssen. Auch kann man nicht davon sprechen, dass sie gleichbedeutend sind mit einem Untergang der Familie an sich. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass viele verschiedene Lebensformen und Familienmuster nebeneinander bestehen.

Hier zeichnen sich vor allem drei Lebensmuster ab:

1) die traditionelle Partnerschaft, die sich an alten Familienmustern orientiert und in der es meistens mehr als ein Kind gibt.
2) die „halbtraditionelle Partnerschaft“, in der die Verpflichtung zur Familie mit der Beruforientierung in Konkurrenz tritt. In dieser Partnerschaft gibt es meistens noch ein Kind (traditionelle Seite), aber die Bereitschaft zu weiteren Kindern ist deutlich abgeschwächt und wird von beruflichen Zielen verdrängt.
3) die „post-traditionelle Partnerschaft“, in der die traditionelle Familienform absolut keine Verbindlichkeit mehr besitzt. Hier gelten nur noch individuelle Entscheidungen. Entweder man entscheidet sich bewusst für Kinder (dann auch in den meisten Fällen für mehrere) oder die Paare entscheiden sich genauso bewusst gegen Kinder. Auch muss man noch einmal erwähnen, dass die Emanzipation der Frauen weiter fortschreitet und somit die immer noch vorhandenen Ungleichheiten noch deutlicher in den Vordergrund treten. Allerdings gibt es auch Tendenzen der Frauen, dass sie sich wieder zunehmend auf ihre Mutterrolle fixieren, sich dabei aber nicht der Gefahr bewusst sind, dass sie sich stark von ihrem Mann abhängig machen und sich bei einer eventuellen Trennung von Armut bedroht sehen müssen.

Die Emanzipation fordert von ihnen auch Unabhängigkeit. Es ist nicht mehr möglich, einfach in die alten Verhältnisse zurückzufliehen. Dazu hat sich im Bewusstsein der Gesellschaft bereits zu viel geändert. Jetzt müssen sich die Frauen dafür einsetzen, dass diesen Bewusstseinsänderungen auch Taten und konkrete gesellschaftliche Veränderungen folgen (vgl. Beck 1986; Hettlage 1992).

4 Relative Armut als Folge von Familiengründung

Wie in den vorhergehenden Abschnitten schon wiederholt angeklungen ist, sind Paare immer wieder der Gefahr ausgesetzt, durch die Familiengründung in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, da die tatsächlichen Kosten für Kinder immer mehr steigen und die Frau oft kein zusätzliches Einkommen mehr beisteuern kann, weil sie zu Gunsten der Kindererziehung auf ihren Beruf verzichten muss. Außerdem sind vor allem Frauen zunehmend von Armut bedroht, wenn die Ehe scheitert und sie keine eigene finanzielle Absicherung haben. Auch heute sind Frauen vielfach noch von den Einkünften ihrer Männer abhängig.

Im Zusammenhang mit der relativen Armut sind aber vor allem Kinder die Leidtragenden. Die wachsende Zahl von Kinderarmut bringt das deutlich zum Ausdruck.

Bevor ich auf die einzelnen Armutsrisiken und ihre Folgen für die Familie eingehe, möchte ich mich zunächst um eine Definition von Armut bzw. relativer Armut bemühen.

4.1 Definition von Armut

Wenn man versucht, den Begriff der Armut zu definieren, stößt manähnlich wie beim Familienbegriff auf eine Fülle von Definitionen und Ansätzen.

Deshalb ist es auch nicht möglich, einen einheitlichen Begriff von Armut darzustellen.

In der Literatur wird zwischen absoluter und relativer Armut unterschieden. Unter dem Begriff der absoluten Armut versteht man „die Bedrohung der Existenz eines Menschen durch Hunger, Obdachlosigkeit oder Krieg“ (Grau, 1999, 1).

Wenn man von absoluter Armut eines Menschen spricht, bedenkt man die Bedrohung dieses Menschen durch Tod mit. Diese Art von Armut ist aber in den westlichen Industrieländern fast vollständig verschwunden.

Auch im Bezug auf die Armut von Familien und insbesondere von Kindern spielt sie eigentlich keine große Rolle. Deshalb möchte ich diese Form von Armut nicht weiter in meine Ausführungen einbeziehen.

Es bietet sich daher eher an, von relativer Armut zu sprechen. Gerade auch deshalb, weil man keine klare Armutsgrenze ziehen kann. Relative Armut hängt immer von der gesellschaftlichen Wohlstandsituation ab und ist mit Bezugsgrößen wie Existenzminimum und durchschnittlichem Einkommen in Verbindung zu bringen. Der Begriff der relativen Armut setzt kein bestimmtes Existenzminimum fest, sondern ist immer in Abhängigkeit zum Wohlstandsniveau der Gesellschaft zu sehen (vgl. Grau 1999). Man könnte auch sagen, relative Armut ist „eine gesellschaftliche und soziale Benachteiligung von Personen bzw. Haushalten in Relation zum Durchschnitt der Bevölkerung“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998 b, 89).

Im 10. Kinder- und Jugendbericht des Familienministeriums ist als zentrales Definitionselement die Einkommensarmut angesetzt. Als arm gelten demnach alle die Personen, die Sozialhilfe beziehen oder weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Pro-Kopf- Einkommens zur Verfügung haben.

Wenn man von einem Durchschnittseinkommen von 1900 DM netto pro Person ausgeht, läge also die Armutsschwelle bei 950 DM. Der Sozialhilfesatz ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich, beträgt aber z.B. in Bayern 543 DM für den Haushaltsvorstand, kommt also nicht annähernd an die Hälfte des Durchschnittseinkommens heran (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 b; Grau 1999; Henning 1998). Man darf aber die Frage nach der Armut nicht nur auf die Einkommensfrage beschränken, da Armut nicht nur im materiellen Sinne gesehen werden darf.

Durch die unzureichenden finanziellen Mittel sind auch die Ausbildungs- und Berufschancen nicht ausreichend gewährleistet. Dazu kommt noch, dass Familien auf eine schlechte Wohnversorgung festgelegt sind, da sie sich keine hohen Mietzahlungen leisten können. Damit hängt aber auch zusammen, dass es nur ein unzureichendes Angebot an Freizeit- und Kulturprogrammen gibt. An die eingeschränkten materiellen Voraussetzungen knüpfen sich also noch eine ganze Reihe von sozialen Benachteiligungen, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Um eine solche angemessenere Definition von Armut bemühen sich z.B. die Caritas oder die EU, die einen Lebenslagenansatz vertreten (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 b; Grau 1999).

4.2 Armut von Kindern

Die Kinderarmut ist in Deutschland ein stark verbreitetes Problem. Im 10. Kinder- und Jugendbericht wurde die wachsende Zahl von Kindern, die von Armut betroffen sind, bestätigt.

1995 erhielten 6,1% aller Kinder und Jugendlichen Sozialhilfe.

1980 waren es nur ca. 2,1%. Und die Tendenz scheint steigend zu sein. 1997 waren rund eine Millionen Kinder von Sozialhilfe betroffen.

Diagramm 5:

Altersspezifische Sozialhilfeempfängerquote (HzL)* bei Deutschen im früheren Bundesgebiet, Jahresende 1980 und 1995 (in Prozent)

Abbildung in dieser Leseprobe nichtenthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistik der Sozialhilfe und der Bevölkerungsfortschreibung; eigene Berechnungen *) Empfänger(innen) von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (HzL) außerhalb von Einrichtungen

(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998 a, 170)

Anhand der Abbildung kann man erkennen, dass die Sozialhilfequote gerade bei Kindern unter sieben Jahren am höchsten ist (1995 - 6.7%). Auffallend ist, dass die Rate mit steigendem Alter immer mehr sinkt (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 b; Grau 1999; Henning 1998; Schimke 1998).

Hier sind aber nur diejenigen Kinder eingerechnet, die auch tatsächlich Sozialhilfe beziehen.

Man geht aber davon aus, dass es noch eine hohe Dunkelziffer gibt. Nach Schätzungen nehmen noch weitere 30 - 50% der Sozialhilfeberechtigten ihren Anspruch nicht wahr. Hier spricht man von „verdeckter Armut“.

Wichtig ist aber auch hier zu betonen, dass der Sozialhilfebezug noch nichts über die tatsächlichen Lebensbedingungen von Heranwachsenden aussagt.

Entscheidend ist, dass Kinder diejenige Gruppe sind, die am meisten von Armut betroffen sind.

Kinderarmut hängt zwar immer eng mit der Elternarmut zusammen, ist aber als eigenes Phänomen zu betrachten, da die Kinder ganz eigene Bedürfnisse und Handlungsziele haben, die es nötig machen, dass sie besonders gefördert werden. Die meisten Eltern, die von Armut betroffen sind, versuchen, die Kinder so wenig wie möglich mit ihrer Situation zu belasten. Dies hat zur Folge, dass die schwierige Lebenssituation von der Umwelt nicht erkannt wird.

Besonders bedroht sind die Kinder, deren Eltern von Arbeitslosigkeit oder Scheidung betroffen sind. Daran wird deutlich, dass Kinder immer über ihre Familiensituation von Armut betroffen sind und deshalb auch immer unschuldig in diese Lebenssituation geraten. Sie sind dann vor allem doppelt belastet, da ihre familiäre Situation sowieso schon schwierig ist und sie dann auch noch durch materielle Verhältnisse benachteiligt sind. An dieser Stelle muss man wieder mitbedenken, welche sozialen Folgen dieser materielle Verlust hat bzw. haben kann.

Dazu gehören z.B. geringere Bildungschancen, schlechtere Wohnbedingungen, unzureichende Möglichkeiten im Freizeitbereich, etc.

Man muss aber sagen, dass die meisten Kinder nicht in ihrer gesamten Entwicklung von Armut betroffen sind. Zwar sind Familien mit Kindern deutlich länger von Armut betroffen als andere Gruppen, insgesamt scheint Armut aber nur von begrenzter Dauer zu sein. Ein besonders häufig genannter und wahrscheinlich auch besonders wichtiger Indikator für das Risiko der Kinderarmut ist die Familienform.

Besonders häufig sind Kinder von Armut betroffen, die nur bei einem Elternteil leben. In solchen Familiensituationen ist die Gefahr viermal so hoch wie in „vollständigen“ Familien.

Dies liegt wohl besonders daran, dass vor allem Mütter alleinerziehend sind und ihre Bedingungen, ausreichend für ihre Kinder zu sorgen, wesentlich schlechter sind als die der Männer. Darauf möchte ich aber im nächsten Abschnitt noch näher eingehen. Eine weitere besonders gefährdete Familienform ist die Mehr-Kind- Familie. Bei diesen Familien liegt die Gefahr der Armut etwa doppelt so hoch wie bei Ein-Kind-Familien. Auch sind diese Familien häufiger Sozialhilfeempfänger. Die Armutsquoten liegen in dieser Familienform nach der OECD-Skala im Osten bei drei Kindern und mehr bei 68,6% und im Westen Deutschlands bei 30,9%. Dies stellt im Gegensatz zu kinderlosen Paaren, bei denen die Quote bei 5% bzw. 4% liegt, eine deutliche Benachteiligung dar.

Außerdem stehen Familien mit Kindern im Durchschnitt viel geringere Pro-Kopf-Einkommen zur Verfügung, als Ein-Personen- Haushalten. Einer Familie mit einem Kind stehen nur 73%, einer Familie mit zwei Kindern nur noch ca. 60% und einer mit drei Kindern sogar nur noch ca. 51% des Einkommens zur Verfügung, das ein Single im Durchschnitt verdient.

Wichtig ist, dass die Kosten für die Kinder durch die Transferleistungen nicht annähernd gedeckt werden. Es ist sogar eher paradox, dass die Familien stark zum Steueraufkommen beitragen und so die Sozialstaatsleistungen wie Kindergeld selbst finanzieren. Auch Kinder von ausländischen Familien sind überproportional von Armut betroffen, was in Abschnitt 5.1 noch von Bedeutung sein wird, wenn die Frage nach der Einwanderung, als Möglichkeit dem Geburtenrückgang entgegenzuwirken, gestellt wird

(vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 b; Grau 1999; Schimke 1998).

Es ist allerdings ganz gleich, welchem Familientyp ein Kind angehört und warum seine Familie in Armut geraten ist, die Auswirkungen auf das Kind unterscheiden sich deshalb nicht.

Natürlich ist es immer von Bedeutung, wie die Eltern mit der Armutssituation umgehen und wie sie sie gegenüber ihren Kindern darstellen. Man kann aber sagen, dass die Kinder, die von Armut bedroht sind, auch häufig eine starke Beschränkung ihrer Erfahrungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten erfahren.

Diese Benachteiligungen zeigen sich zum einen in strukturellen Aspekten, aber auch in psychischen und physischen Schwierigkeiten. Von Armut betroffene Familien haben besondere Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt, wo sie sich nur unzureichende Wohnverhältnisse leisten können, in denen die Kinder keinen Raum finden, sich zu entfalten oder ungestört ihre Hausaufgaben erledigen zu können. 1992 waren 44,7% der westdeutschen Familien mit drei und mehr Kindern und sogar 61,7%der ostdeutschen von unzureichenden Wohnungsverhältnissen betroffen. Das bedeutet, dass zwei Personen mehr in der Wohnung leben, als Räume einschließlich der Küche zur Verfügung stehen (vgl. ebd.).

Außerdem sind viele Familien gezwungen, in soziale Brennpunkte zu ziehen, in denen zum Teil erhebliche infrastrukturelle Mängel zu beobachten sind, die sich vor allem auf die Bereiche der Bildungs-, Spiel- und Kulturmöglichkeiten erstrecken.

Gerade im Bildungsbereich zeigt sich die Benachteiligungärmerer Kinder besonders deutlich. Nur sehr wenige Kinder aus weniger bemittelten Familien besuchen das Gymnasium. Weit häufiger sind sie auf Haupt- und Sonderschulen anzutreffen. Dies könnte vor allem in der oft ebenfalls schlechteren Bildung der Eltern begründet sein, die ihren Kindern so keinen Anreiz bieten können, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen. Außerdem könnte es eine Rolle spielen, dass Eltern sich einen schnellen Berufseinstieg ihrer Kinder wünschen, damit sie nicht mehr so stark durch sie belastet sind.

Es besteht auch die Gefahr, dass begabte Kinder auf Grund von mangelndem Selbstbewusstsein und Stigmatisierung durch die Umwelt trotzdem auf der Hauptschule bleiben.

Durch solche Faktoren besteht die Gefahr, dass die schlechten schulischen Bedingungen von Generation zu Generation weitergegeben werden und somit das Risiko der Armut verstärkt bestehen bleibt.

Wie im Zusammenhang mit den Bildungsmöglichkeiten schon erwähnt, ist die subjektive Selbsteinschätzung armer Kinder oft minderwertig. Allerdings reagieren eherältere Kinder und Jugendliche direkt auf die deprivierte sozioökonomische Situation der Familie. Oft scheint auch die gesundheitliche Entwicklung der Kinder aus armen Familien stark beeinträchtigt zu sein.

Wichtige Faktoren sind hier vor allem schlechte Ernährung, ungenügende Körperpflege und zu wenig Sport. Der letzte Punkt hängt wieder stark mit den Wohnverhältnissen und den strukturellen Gegebenheiten zusammen. Kinder aus sozialen Brennpunkten haben seltener die Möglichkeit, einem Sportverein beizutreten (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 b; Grau 1999; Henning 1998).

Abschließend kann man sagen, dass man die dargestellte Entwicklung nur als Warnzeichen begreifen kann, welches sozialpolitische Veränderungen, die eine Verbesserung der Stellung der Familie verfolgen, unumgänglich macht. Auf solche möglichen Maßnahmen möchte ich am Ende meiner Ausarbeitung noch einmal gesondert eingehen.

4.3 Trennung oder Scheidung als Grund für Frauenarmut

Trennung oder Scheidung führen häufig dazu, dass Frauen mit ihren Kindern in relative Armut geraten.

Dies liegt vor allem darin begründet, dass sich viele Frauen während ihrer Ehe von ihrem Mann abhängig machen.

Oft geben Frauen ihren Beruf auf, um sich um ihre Familie zu kümmern. Dadurch sind sie aber finanziell nicht abgesichert oder eben nur durch ihren Mann versorgt.

Nach einer Trennung hat die Frau dann eine doppelte Last zu tragen, da sie sich zum einen um ihre finanzielle Absicherung bemühen muss und zum anderen auch in den meisten Fällen weiter für die Kinder zu sorgen hat. Wie oben schon erwähnt, sind vor allem alleinerzeihende Mütter von der relativen Armut stark betroffen.

Deshalb gibt es bei diesem Familientyp auch einen hohen Anteil Sozialhilfeempfänger ( vgl. Grau 1999; Schimke 1998).

Dies könnte auch noch daran liegen, dass Frauen mit kleinen Kindern zunächst auf eine Arbeitsstelle verzichten, um sich besser um ihr Kind kümmern zu können. Denn wie in Kapitel drei schon mehrfach angeklungen ist, gibt es immer noch unzureichende Möglichkeiten der Betreuung von Kindern, so dass es den Frauen zudem noch erschwert wird, sich eine eigene Existenzsicherung aufzubauen. Vielfach wird argumentiert, dass die Frau doch eine Unterhaltszahlung des Gatten zur Absicherung erhalte. Darauf hat sie aber nur in ganz bestimmten eingeschränkten Fällen Anspruch. Außerdem widerspricht dieses System dem Gleichstellungsgrundsatz. Vielmehr müssen Bedingungen geschaffen werden, die es den Frauen ermöglichen, sich eigenständig finanziell abzusichern, oder zumindest durch ein Sozialversicherungssystem unabhängig vom Mann eine Existenzsicherung zu erfahren.

Um der Gefahr einer relativen Armut entgegenzuwirken, ist es wichtig für die Frau, sich bewusst zu machen, dass sie sich in der heutigen Zeit nicht mehr nur auf die finanzielle Absicherung durch den Mann verlassen darf. In einer Zeit, in der jede dritte Ehe geschieden wird, muss sie versuchen, sich eine materiell unabhängige Existenz vom Mann zu schaffen.

Dies muss aber immer unter der Bedingung gedacht werden, dass sich strukturelle Veränderungen ergeben, die der Frau eine solche Unabhängigkeit möglich machen.

4.4 Zusammenfassung

Familien geraten heute häufig durch eine hohe Kinderzahl oder Scheidung in den Zustand relativer Armut.

Besonders die Kinder sind davon in großem Ausmaß betroffen, was ihre Entwicklung in starkem Maße beeinträchtigen kann. Es ist deshalb von besonderer Bedeutsamkeit, dass familienpolitische Maßnahmen eingeleitet werden, die die Familie stark entlasten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass immer mehr Kinder in unzureichenden Lebensbedingungen aufwachsen müssen. Auch deshalb, weil immer mehr Familien von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Zwar kann man heute noch nicht von einem aussterbenden Modell der Familie sprechen, man muss aber in Betracht ziehen, dass immer mehr Paare sich gegen Kinder entscheiden werden, wenn sie sich mehr und mehr von relativer Armut bedroht sehen müssen.

Und eine solche Entwicklung kann wohl kaum im Sinne der Politiker sein, wenn sie auch weiterhin eine funktionierende Gesellschaft vertreten wollen.

5 Möglichkeiten einer Einschränkung des Geburtenrückgangs

Wie in den vorausgegangenen Kapiteln wiederholt angeklungen ist, ist es notwendig, dem Geburtenrückgang durch familienpolitische Maßnahmen entgegenzuwirken.

Ansonsten stehen wir vor dem Problem der Überalterung der Gesellschaft.

Bevor ich versuche, einen Abriss über mögliche sozialpolitische Maßnahmen darzustellen, möchte ich kurz den Lösungsvorschlag vorstellen, den ich in einem Artikel des Focus gefunden habe und den ich füräußerst problematisch erachte.

5.1 Einwanderung als Chance einer kinderlosen Gesellschaft?

Auch in den Printmedien (in diesem Fall im Focus) wird das Thema der Überalterung der Gesellschaft, die von den zurückgehenden Geburtenzahlen herrührt, in die Diskussion aufgenommen. In diesem Artikel wurde aber eine sehr unkonventionelle und meines Erachtens sehr problematische Lösungsmöglichkeit nahegelegt. Es wird davon ausgegangen, dass mindestens 2,1 Kinder pro Frau notwendig sind, um die erwerbstätige Bevölkerung zu stabilisieren. In Deutschland werden aber nur durchschnittlich 1,3 Kinder pro Frau geboren. Diese Zahl reiht nicht annähernd aus, um die Bevölkerungszahlen zu sichern.

Nach anraten der UN und eines Demographen sollte Deutschland nun über eine höhere Zuwanderungsrate nachdenken, um dieses Problem zu lösen. Die UN berechnete für Deutschland eine Zahl von 500 000 Immigranten pro Jahr, um die Geburtenzahlen wieder zu stabilisieren. Man geht davon aus, dass Familien aus weniger entwickelten Ländern noch weitgehend geburtenfreudiger sind und nicht so sehr über die Kosten und Risiken nachdenken, die mit Kindern heutzutage verbunden sind.

Um die Integrationskapazität Deutschlands nicht zu überlasten, schlägt der Demograph Herwig Birg eine Zuwanderrate von 200 000 im langjährigen Durchschnitt vor. Dies entspreche ungefähr den Zahlen der letzten 30 Jahre.

Ich halte diesen Vorschlag zur Bekämpfung des Geburtenrückgangs für sehr gefährlich. Nicht nur weil die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland immer mehr anwächst, sondern auch vor allem weil man den Zuwanderern keine ausreichenden Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten bieten kann.

Außerdem halte ich die Aussage, dass man Menschen aus weniger entwickelten Ländern nach Deutschland holen muss, weil die sich noch eher geneigt zeigen, eine große Familie zu gründen, an sich schon für ausländerfeindlich.

Wie in Kapitel 4.2 schon erwähnt, ist das Risiko für Zuwanderfamilien, in Armut zu geraten, sehr groß. Dies liegt vor allem daran, dass nicht genug Arbeitsplätze vorhanden sind und Zuwanderfamilien oft nur wenig Anspruch auf Sozialleistungen haben. Ich empfände es als sehr unehrlich, wenn man Deutschland als reiches und attraktives Land anpriese, den Zuwanderern aber nicht annähernd den Reichtum bieten kann, den sie erwarten. Außerdem glaube ich, dass man eine solche Politik nicht mehr vertreten und rechtfertigen kann. Die wachsende Ausländerfeindlichkeit lässt fast keine Integrationsideen mehr zu.

Zu viele Deutsche fühlen sich durch Ausländer bedroht und machen sie dafür verantwortlich, dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt und sie ihren Wohlstand gefährdet sehen.

Dieses Problem wird auch in der 13. Shell-Jugendstudie deutlich, in der 60 - 70% der deutschen Jugendlichen ausgesagt haben, dass der Ausländeranteil in Deutschland zu hoch sei. Besonders häufig wurde dies benannt, wenn sehr wenig Kontakt zu ausländischen Mitbürgern bestand. Es bestand in erster Linie die Angst vor Arbeitslosigkeit, wobei die Ausländer als große Konkurrenz gesehen werden. Hier zeichnet sich kein altersspezifischer Fortschritt ab, was darauf schließen lässt, dass sich dieser Eindruck auch im Erwachsenenalter bestätigt (vgl. Frankfurter Rundschau 27.03.2000).

Aus diesen Gründen halte ich es für wesentlich angebrachter, eine Politik zu führen, die die Familien stärkt und so einen Anreiz bietet, wieder mehr Kinder zu zeugen.

5.2 Mögliche familienpolitische Maßnahmen

Wenn die Politik es als ihre Aufgabe ansieht, dem Geburtenrückgang entgegenzuwirken und zur Stabilisierung oder Erhöhung der Geburtenraten beizutragen, so muss sie eine Reihe von Veränderungen anstreben, die vor allem den veränderten weiblichen Lebensansprüchen und -zusammenhängen entgegenkommen und die ökonomischen Nachteile des Kinderhabens reduzieren.

Dazu ist es nötig, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen und zu fördern und vor allem die soziale Wertigkeit von Elternschaft stärker anzuerkennen.

Um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders für Frauen zu ermöglichen, müssen in erster Linie die Öffnungszeiten von Kindergärten und besonders auch von Grundschulen den Arbeitszeiten der Frauen angepasst werden. Deshalb ist es besonders wichtig, eine Ganztagsbetreuung einzurichten.

Außerdem müsste der Anspruch auf einen Hortplatz durchgesetzt werden. Zwar haben Familien einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz für ihre Kinder ab dem dritten Lebensjahr; sie sind dadurch allerdings in den meisten Fällen immer noch gezwungen, in den ersten drei Lebensjahren ihrer Kinder zu Hause zu bleiben und sich ausschließlich auf die Kindererziehung zu beschränken. Im Norden Europas sieht das ganz anders aus. Dort hat jede Familie ein Anrecht auf einen Hortplatz, sobald das Kind ein Jahr alt ist. Dass sich dies auf die Geburtenrate auswirkt, zeigt die durchschnittliche Geburtenzahl von 1,7 Kinder pro Frau.

Außerdem liegen diese Länder auch in der Zahl der erwerbstätigen Frauen an der Spitze der europäischen Länder.

Auch in der ehemaligen DDR war es für Frauen selbstverständlich, arbeiten zu gehen und trotzdem eine Familie zu gründen. Hier gingen Frauen sogar noch eher wieder ihrem Beruf nach, als in den nördlichen Ländern. Die große Anzahl an Kinderkrippen ermöglichte es den Frauen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wie sehr dieser Faktor mit den Geburtenraten zusammenhängt, sieht man daran, dass auch in den ostdeutschen Ländern die Geburtenzahlen nach der Wiedervereinigung stark zurückgegangen sind. Seither sind die Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf weitgehend eingefroren worden.

Die berufliche Orientierung der Frau spielt vor allem deshalb eine so große Rolle, weil die Frauen sich nicht mehr von ihren Ehemännern abhängig machen wollen und dürfen. Die Ehe erscheint ihnen oft zu unsicher und instabil, so dass sie sich lieber finanziell eigenständig abgesichert wissen und nach einer Trennung oder Tod des Partners nicht auf Unterhalt oder Witwenrente angewiesen sind.

Dazu erscheint es notwendig, dass an einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frauen im Sinne eines Sozialversicherungssystems gearbeitet wird. Dort wäre z.B. ein Ausbau der Sozialleistungen wie das Erziehungsgeld denkbar, das eine soziale Absicherung der Frau auch während der ersten Jahre der Kindererziehung bewirken würde. Auch müssten die Erziehungszeiten noch stärker auf die Rente angerechnet werden. Um diese Rentenleistungen, die aus der Kindererziehung resultieren, zu finanzieren, wäre eine neue Rentenformel von Nöten, in der es eine Umverteilung von Männer- und Frauenrenten gäbe. Das würde bedeuten, dass es keine individuelle Abhängigkeit mehr gäbe, sondern eine Umverteilung über die Solidargemeinschaft aller Versicherten insgesamt. Eine weitere Forderung wäre, den Steuerfreibetrag bzw. das Kindergeld auf das Existenzminimum zu erhöhen. Damit würde zumindest annähernd ein Ausgleich für die Kinderkosten geschaffen. Solche Forderungen gelten natürlich immer auch für Männer, die die Aufgabe der Kindererziehung übernehmen. Allerdings ist das immer noch nur ein ganz geringer Prozentsatz. Trotzdem könnte man die Anerkennung der Erziehungszeiten von Männern zumindest als Signalwirkung einführen.

In diesem Zusammenhang müssten auch mehr Teilzeitarbeitsplätze für Männer geschaffen werden, die eine Anpassung der gesellschaftlichen Strukturen an die schon erfolgte Bewusstseinsänderung bedeuten würde. Außerdem würde dies auch die berufliche Beteiligung der Frauen fördern, wenn z.B. Mann und Frau teilzeit arbeiten gehen und somit gleichermaßen für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig wären (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a; Grau 1999; Kaufmann 1987; Nave-Herz 1994; Lücker-Alemann 1995).

6 Literaturverzeichnis

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Vom Geburtenrückgang zur Neuen Mütterlichkeit? Frankfurt / M 1984

Beck-Gernsheim, Elisabeth

Was kommt nach der Familie? München 1998

Beck, Ulrich

Risikogesellschaft Frankfurt / M 1986

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.)

Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik Bonn 19983 (a)

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.)

10. Kinder- und Jugendbericht - Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfe in Deutschland Bonn 1998 (b)

Cyprian, Gudrun; Frey, Hans-Peter; Heckmann, Friedrich (Hrsg.)

Soziologie für Erziehungs- und Sozialberufe München 19939

Daniel, Ellen

Kontinent der Greise in: Focus Nr. 12 vom 20.03.2000

Eichenberger, Ursula

Familienleben hat Hochkonjunktur - aber nicht das klassische aus: http://www.sonntagszeitung.ch/1998/sz09/223046.HTM vom 31.03.2000 um 11:44 Uhr (als Anlage 1 beigefügt)

Frankfurter Rundschau

Der anstrengende Weg ins Leben 27.03.2000, Nr. 73, S.10 (als Anlage 2 beigefügt)

Grau, Clara

Armut von Kindern als familienpolitisches Problem (Hausarbeit) Göttingen SS 1999 aus: http://www.hausarbeiten.de vom 31.03.2000 um 12:13 Uhr

Henning, Dietmar

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Das neue Kindschaftsrecht Darmstadt 19982

Weber, Doris

Die Sehnsucht nach Wärme und die Fesseln der Nähe in: Publik Forum vom 17.12.1993

[...]


1 „Der Mikrozensus ist eine im allgemeinen jedes Frühjahr stattfindende amtliche Haushaltsbefragung, an der rund 1 Prozent aller Privathaushalte teilnehmen (ca. 350 000 Haushalte).“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 a, 177)

2 Erst 1977 trat das Ehe- und Familienrecht in Kraft, welches z.B. die Haushaltsführung und die Kindererziehung in die Verantwortung beider Partner legte. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Frau per Gesetz für diese Bereiche allein verantwortlich.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Familie - Ein aussterbendes Modell?
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
44
Katalognummer
V97011
ISBN (eBook)
9783638096867
Dateigröße
835 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familie, Modell
Arbeit zitieren
Diana Hegen (Autor:in), 2000, Familie - Ein aussterbendes Modell?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97011

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