Borchert, Wolfgang - Draussen vor der Tür #


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

8 Seiten


Leseprobe


Zum Autor:

Wolfgang Borchert wurde am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren. Sein Vater, Fritz Borchert, war Lehrer, seine Mutter, Hertha Borchert, eine in Norddeutschland schon damals recht bekannte Schriftstellerin. Gezwungenermaßen tritt er eine Buchhändlerlehre an. Parallel hierzu nimmt er jedoch Schauspielunterricht. 19-jährig stellt er sich der Schauspielabschlussprüfung, besteht sie, gibt die Buchhändlerlehre auf und schließt sich ab März 1941 der Landesbühne Osthannover - einem Wandertheater - an. Nach viermonatigem Engagement muss er Bühnenbretter gegen Panzergräben eintauschen: Im Juli 1941 tritt er als Panzergrenadier seinen Wehrdienst in einer Nachrichtenersatzabteilung in Weimar - Lützendorf an. Drill und Demütigungen der Militaristen, aber auch Denunziationen und Despotie im faschistischen Staat treiben ihn rasch als erklärten Regimegegner in die Oppositionsrolle. Die unmittelbare Nachbarschaft des Konzentrationslagers Buchenwald trägt ihr übriges hierzu bei. Im November 1941 erhält Borchert seinen Marschbefehl an die Ostfront. Bei Königsberg (Kalinin) besteht er im Dezember seinen ersten Einsatz. Zu Beginn des Jahres 1942 erkrankt er (zum erstenmal) an Gelbsucht und erleidet eine Handverletzung. Überführung in ein Lazarett in Schwabach. Dort wird Borchert im Mai festgenommen und nach dreimonatiger Untersuchungs- und Einzelhaft in Nürnberg vor Gericht gestellt. Der Antrag lautet auf Tod durch Erschießen wegen des dringenden Verdachts auf Selbstverstümmelung. Nach einem Freispruch erneute Verhaftung. Diesmal lautet der Vorwurf, Borchert habe sich „mündlich und schriftlich negativ gegen Staat und Partei“ geäußert, des weiteren habe er sich der „Zersetzung der Wehrkraft“ schuldig gemacht. Bemerkungen, wie: „Meine Kameraden, die vor vierzehn Tagen herausgekommen sind, sind alle gefallen. Für nichts und wieder nichts. Ich empfinde die Kasernen als Zwingburgen des Dritten Reiches. Ich fühle mich selbst als wesenlosen Kuli der braunen Soldateska.“ bringen ihm vier Monate Gefängnis, anschließend sechs Wochen verschärfte Haft mit nachfolgender Frontbewährung ein. Als Waffenloser nimmt er ab Dezember 1942 in den Kämpfen um Tropez Melder-Aufgaben war. Fußerfrierungen und erneute Gelbsuchtanfälle zwingen ihn im Januar 1943 ins Seuchenlazarett Smolensk. Nach zwei Monaten ist er transportfähig und kann heimatnahe auf deutschem Boden weiterbehandelt werden. Einen Heimaturlaub im September nutzt er für kabarettistische Auftritte im Hamburger Bronzekeller. Kurzzeitig kehrt er in seine Garnison nach Jena zurück und verrichtet seinen Wehrdienst in einer Durchgangskompanie Kassel - Wilhelmshöhe. Wegen nachhaltiger Dienstunfähigkeit beabsichtigen seine Vorgesetzten, Borchert aus dem aktiven Kriegsdienst zu entlassen und ihn zur moralischen Unterstützung der kämpfenden Truppe im Fronttheater einzusetzen. Er feiert seine Entlassung in der Hindenburg Kaserne mit dem Vortrag einer Goebbels - Parodie. Dieses bleibt (erwartungsgemäß!?) jedoch nicht ohne Folgen. Einen Tag vor seiner Entlassung hat die allgegenwärtige Denunziation wieder einmal zugeschlagen. Grund: Seine politischen Witze. 1944 sitzt Wolfgang Borchert fast neun Monate ohne Verurteilung im Gefängnis Berlin - Moabit. Seine Entlassung im September verbindet das Gericht in seinem Urteil mit der Auflage „Feindbewährung“. Die Zeit bis zu diesem Einsatz verbringt er in Jena. 1945 gerät er bei Frankfurt am Main in die Hände französischer Einheiten. Während des Transportes in die Kriegsgefangenschaft nach Frankreich gelingt ihm die Flucht. In einem 600-km-Marsch entlang der Frontlinie wandert er in Richtung Norden und kommt am 10. Mai schwerkrank in Hamburg an. Ab September 1945 tritt er wieder in einem Kabarett auf, im „Janmaaten im Hafen“, und wird Mitbegründer des Theaters „Die Komödie“. Nebenbei arbeitet er im November als Regieassistent für eine Inszenierung von „Nathan der Weise“ am Hamburger Schauspielhaus. Im Dezember verschlimmert sich sein Krankheitszustand akut. Von Jahresbeginn 1946 an bis Ostern hält der inzwischen unheilbar kranke Borchert sich im Krankenhaus auf und entfaltet dort hektische schriftstellerische Aktivitäten. In rascher Folge entstehen fünf Erzählungen und Prosaskizzen, darunter auch „Die Hundeblume“, eine psychologische Studie aus dem Zellenalltag. Neben der Aufarbeitung seiner Erfahrungen während der Haft sind auch die Situation des Heimkehrers, dessen Sichtweise in der Szenerie der Trümmerlandschaft und die „Stunde Null“ wichtige Themen für Borchert. In Form von Kurzgeschichten und knappen Porträts bis hin zur szenischen Darstellung im Stück „Draußen vor der Tür“ bearbeitet er diesen Problemkreis. Ab Ostern ist Borchert wieder zu Hause. Es bleibt ihm laut Aussage der Ärzte nur noch ein Jahr zu leben. Bis Ende 1946 sind insgesamt 24 Prosastücke entstanden, außerdem erscheint eine Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1940- 1945 mit dem Titel „Laternen, Nacht und Sterne“. Im Herbst (oder frühen Winter) 1946 entsteht „Draußen vor der Tür“. Schon nach kurzer Zeit, am 13. Februar 1947, wird das Werk in einer Hörspielfassung des Norddeutschen Rundfunks Hamburg gesendet. Das Stück entstand in nur ca. 7 Tagen. Borcherts Untertitel zu dem Drama „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ entsprach bei weitem nicht der Realität, denn die Resonanz nach der Übertragung war überwältigend. „Draußen vor der Tür“ und die meisten seiner weiteren Werke handeln vom Elend der Hungernden und der Kriegskrüppel, von Heimkehrern und Heimatlosen. Am 22. September 1947 bricht Wolfgang Borchert zu einem längeren Kuraufenthalt nach Basel auf, den seine Freunde ihm ermöglicht haben. Im Oktober verfaßt er hier sein berühmtes Manifest „Dann gibt es nur eins!“, ein Appell gegen Krieg, Rüstung und für das Leben. Am 20. November 1947 stirbt Wolfgang Borchert im Alter von 26 Jahren in Basel. Einen Tag nach seinem Tod wird das Drama „Draußen vor der Tür“ in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt.

INHALT:

Wolfgang Borchert schrieb dieses Drama im Spätherbst 1946in wenigen Tagen. Als Hörspiel wurde es am 13. Februar 1947 erstmals vom Nordwestdeutschen Rundfunk gebracht. Die Sendung wurde mehrmals wiederholt und auch von anderen deutschen Sendern übernommen. Als Bühnenstück erlebte es seine Uraufführung in der Inszenierung Wolfgang Liebeneiners am 21. November 1947, einen Tag nach dem Tode des Dichters, in den Hamburger Kammerspielen. Fast alle bedeutenden deutschen Bühnen haben das Stück in ihren Spielplan aufgenommen. Verfilmt wurde es unter dem Titel „Liebe 47“, Regie Wolfgang Liebeneiner. Außerdem wurde es in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Als Buch erschien es im November 1947 im Rowohlt Verlag.

Das Stück erzählt die Geschichte des Rußlandheimkehrers Beckmann, der nach drei Jahren sibirischer Gefangenschaft seine Frau in den Armen eines anderen findet. Er ist, wie es in der Vorbemerkung heißt, „einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße. Das ist ihr Deutschland.“ Beckmann, der Heimkehrer mit dem steifen Knie und der grotesken Gasmaskenbrille, beschließt, seinem Leben ein Ende zu machen. Doch die Elbe will ihn nicht; bei Blankenese wirft sie ihn wieder ans Ufer. Noch einmal muss er versuchen, im Leben Fuß zu fassen. Aber seine Versuche schlagen fehl. Eine Frau nimmt ihn mit und schenkt ihm die Kleider ihres verschollenen Mannes - da kehrt dieser, einbeinig und auf Krücken, zurück. Beckmann sucht seinen ehemaligen Oberst auf, um ihm „die Verantwortung zurückzugeben“, die ihm jener im Krieg für einen Spähtrupp aufgeladen hat und deren Folgen ihn heute nicht mehr schlafen lassen - aber der Oberst lacht ihn aus. Ein Kabarettdirektor, bei dem er nun mit tristen Liedern vom Leiden des Krieges Arbeit sucht, speist ihn mit Phrasen ab - „Positiv! Positiv, mein Lieber! Denken Sie an Goethe! Denken Sie an Mozart! Die Jungfrau von Orleans, Richard Wagner, Schmeling, Shirle Temple!“ - und schickt ihn weg - denn „wer will heute etwas von der Wahrheit wissen?“ An der Wohnungstüre seiner Eltern öffnet eine Frau Kramer und erzählt ihm, dass die beiden Alten sich inzwischen das Leben genommen haben. Beckmann will endgültig aufgeben: seine Straße führt hinunter, wieder der Elbe zu. „Der Andere“, eine Art lebensbejahendes, optimistisches Ego, das ihn auch auf seinen bisherigen Lebensstationen begleitet hat, versucht vergebens, ihn zur Umkehr zu bewegen. In einem Traum begegnet er einem weinerlichen alten Mann, dem „lieben Gott“, den er mit sarkastischem Mitleid seiner Wege schickt, und, in Gestalt eines Straßenkehrers, dem Tod, den er bittet, eine Tür für ihn offenzuhalten; auch seine „Mörder“ erscheinen ihm noch einmal, der Oberst, der Direktor, Frau Kramer, seine Frau mit ihrem neuen Freund; am Ende kommt der Einbeinige, um seinerseits von Beckmann Rechenschaft zu fordern - er ist in die Elbe gegangen, und so ist Beckmann ebenfalls zum Mörder geworden. Als er aus dem Traum erwacht, muss er erkennen, dass er kein Recht auf einen Selbstmord hat, dass er allein weiterleben muss, verraten, wie er ist: keiner hört ihn, keiner gibt ihm mehr Antwort.

Interpretation:

Das Buch „Draußen vor der Tür“ beginnt mit einer Vorbemerkung; „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“. Wolfgang Borchert hielt an dieser Vorbemerkung fest, obwohl das Bühnenstück auf fast allen Bühnen Deutschlands aufgeführt wurde. Er begründete diese Widersprüchlichkeit einer Baseler Presseagentur so: „Dass eine Reihe von Bühnen mein Stück aufführt ist reine Verlegenheit - was sollen sie sonst tun? (Außerdem will es kein Intendant mit Vater Rowohlt verderben - das ist alles). Denn mein Stück ist nur Plakat, morgen sieht es keiner mehr an.“ Mit dem ursprünglichen Titel „Ein Mann kommt nach Hause“ leitet Wolfgang Borchert die Vorrede ein und verwendet den ursprünglichen Titel in der Mitte der Vorrede noch einmal. Mit dem letzten Satz in der Vorrede „Das ist ihr Deutschland“ unterstreicht Borchert den ursprünglichen Titel, dass es ihm nicht um ein „allgemeinmenschliches“ Thema sondern um die „Situation in Deutschland geht“. Für Borchert war das Wort „Deutschland“ ein mit zwiespältigen Gefühlen behafteter Begriff. „So lange an Deutschlands Grenzen Paraden marschieren und nationale Sicherheit gefordert werden“ wollte er nicht über das Militär und den Nationalsozialismus diskutieren und „So lange die Zigarettenstummel fremder Militärmächte auf der Straße liegen“ wollte er nicht über Demokratie und persönliche Freiheit sprechen. Die Vorrede Borcherts kündigt einen Mann an, der sich innerlich und äußerlich verändert und eine vollkommene veränderte Heimat wiederfindet.

„Vorspiel“ und „Der Traum“:

Das Buch von Borchert fängt nicht mit der ersten Szene an, sondern Borchert lässt sein Stück mit einem "Vorspiel" und einem Traum beginnen. „Draußen vor der Tür“ ist ein Stationendrama. Im Stationendrama ist der Held, dessen Entwicklung es schildert, von Gestalten, die er an den Stationen seines Weges antrifft, aufs deutlichste abgehoben. Sie erscheinen, indem sie nur in seinem Zusammentreffen mit ihnen auftreten, in seiner Perspektive und so auf ihn bezogen. Und da den Grund des Stationendramas nicht eine Vielzahl von einander weitgehend gleichgestellten Personen, sondern das eine zentrale Ich bildet, sein Raum also kein a priori dialogischer ist, verliert auch der Monolog hier den Ausnahmecharakter, den er im Drama notwendig besitzt. Damit ist aber die unbegrenzte Eröffnung seines „verborgenen Seelenlebens“ allererst formal begründet. In der Konsequenz der subjektiven Dramatik liegt ferner, dass die Einheit der Handlung durch die Einheit des Ich ersetzt wird. Dem trägt die Stationentechnik Rechnung, indem sie das Handlungskontinuum in eine Szenenfolge auflöst. Die einzelnen Szenen stehen hier in keinem kausalen Bezug, bringen einander nicht, wie im Drama, selber hervor. Vielmehr erscheinen sie als isolierte Steine, aufgereiht am Faden des fortschreitenden Ich. Die dramatische Szene schöpft ihre Dynamik aus der zwischenmenschlichen Dialektik, sie wird vorwärtsgetrieben dank dem futuristischen Moment das dieser innewohnt. In der Szene des Stationendramas hingegen entsteht keine Wechselbeziehung, der Held trifft zwar auf Menschen, aber sie bleiben ihm fremd. Damit wird die Möglichkeit des Dialoges selbst in Frage gestellt.

Der Zusammenhang des Stationendramas „Draußen vor der Tür“ wird nur durch die Gestalt Beckmanns gewährleistet. Beckmann selbst ist - bis auf das Vorspiel - , das aus einem Dialog zwischen Gott und Tod als Beerdigungsunternehmer besteht, nicht existent, lediglich sein Selbstmordversuch ist Anlass zu dieser Diskussion. Beckmann wird im Vorspiel vielmehr in den Zusammenhang mit der Situation der damaligen Zeit gestellt, verdeutlicht am Beispiel, dass der einzelne Mensch nichts zähle „Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter.?, oder „Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahrhunderts“, eine Anspielung auf die beiden Weltkriege, die Millionen von Todesopfern forderten. Im „Der Traum“ ändert sich, nach den Regieanweisungen die Stimmung von einer eher bedrohlichen in eine eher friedliche. Statt bisher: „Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons „ heißt es später: „In der Elbe. Eintöniges Klatschen kleiner Wellen. Die Elbe.“. Auch sprachlich ändert sich die Atmosphäre. Die Elbe - vorher ein dunkler Fluß - wird zu einem gutmütigen und bestimmenden Wesen, denn die Elbe wollte Beckmanns „armseliges bißchen Leben nicht“ und akzeptierte so den Tod nicht. Auch verlangte sie einen individuellen Tod; deshalb waren Beckmanns Gründe nicht ausreichend. „Die Hose sollte man dir strammziehen, Kleiner, jawohl! Auch wenn du sechs Jahre Soldat warst. Alle waren das. Und die hinken alle irgendwo.“

1. Szene:

Die erste Szene ist eine konkrete, realistische Wiederholung des „Traumes“ und „Vorspiels“, welche von der Identifikation des Helden mit Soldatentum, Stalingrad, Verwundung und Selbstmordversuch handelt. Der Dialog in der ersten Szene zwischen Beckmann und dem Anderen zeigt ,dass Beckmann eine negative und der Andere eine eher positive Orientierung besitzt. Der Andere, der „Jasager“ gilt als der „Antreibende, der Heimliche, Unbequeme“ und „Ich bin Optimist, der an den Bösen das Gute sieht und die Lampen in der Finsternis“. Beckmann dagegen der „Neinsager“ versucht, mit dem „Nein“ dem Tod zu entsprechen; sein Gegenspieler „Der Andere“ mit seinem „Ja“ hingegen, dem „Weitermachen“. Am Ende der Szene scheint Beckmanns Leiden vorüber zu sein, denn Beckmann, dem Kriegskrüppel, bietet ein Mädchen jetzt ein neues Zuhause. Dieses Angebot entstand gerade weil er „so häßlich und bescheiden“ ist und eine „so hoffnungslose, traurige Stimme“ hat. „Such dir ein anderes Bett, wenn deins besetzt ist“, hatte die Elbe gesagt. Die Möglichkeit war Beckmann hier geboten. Doch nicht nur die Enttäuschung, die ihm seine Frau zugefügt hatte, war Grund für den Selbstmordversuch, sondern auch: „Das Bein, das Bett, das Brot“ und die Trümmer - das tote Kind.

2. Szene:

Die erste und die zweite Szene sind durch die Begegnungen mit „dem Anderen“, der am Anfang der ersten Szene und am Ende der zweiten Szene auftritt, als Rahmen angelegt. Mit Beginn der zweiten scheint für Beckmann ein Weg aus der aussichtslosen Situation gefunden zu sein, denn das Mädchen „fröhlich, nicht hart“ und „herzlich“ kümmert sich um Beckmann wie eine Mutter. Sie nimmt ihn mit „legt“ ihn „trocken“. Als das Mädchen Beckmanns Gasmaskenbrille abnimmt löscht sie zugleich seine Soldatenexistenz aus. Mit diesem Verlust der Existenz und ohne Aussicht auf eine neue sieht Beckmann „alles nur noch ganz verschwommen“ und sieht fast „nichts mehr“, selbst das Mädchen, welches vorher ganz nah war ist „mit einmal ganz weit weg“. Der Kommentar Beckmanns, „Vielleicht bin ich ein auch ein Gespenst. Eins von gestern, das heute keiner mehr sehen will.“ zeigt, die Weigerung Beckmanns mit dem Ablegen der alten Sachen die Vergangenheit auszulöschen. Nachdem Beckmann von dem Mädchen eingekleidet wurde, sieht er sich auf einmal als schuldig Unschuldiger, denn er sitzt in den Kleidern eines anderen neben dessen Frau. Einen Tag zuvor war Beckmann in der gleichen Situation, nur am Vortag war er das Opfer. Dieser „Andere“ - Traum, Vision, Realität werden ununterscheidbar - tritt geisterhaft auf, einbeinig, auf Krücken. Beckmann erkennt die Ähnlichkeit der Situation „Das habe ich gestern nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war.“ Dieser verließ das Zimmer aber der Einbeinige blieb.

Während die Ursache für Beckmanns Unglück nicht faßbar war, kennt der Einbeinige einen Schuldigen, den er mit dem Namen zu nennen wußte. Diesen Namen sprach er „leise, aber mit ungeheurem Vorwurf“ aus „Beckmann..., Beckmann..., Beckmann...“. Beckmann trägt die Schuld an der Verwundung des Einbeinigen, dem er befohlen hatte: „Sie halten Ihren Posten unbedingt bis zuletzt“. Um sich nicht als Schuldigen zu bekennen, sagte er: „ Das bin ich nicht! Das will ich nicht mehr sein“. Um einen Ausweg aus seiner Schuld zu finden, wollte er sich umbringen, aber „Der Andere“, der „Jasager“, schlug ihm eine Alternative vor. Er soll die Verantwortung zurückbringen zu dem, der sie ihm gegeben hatte: „Ja! Ich bringe ihm die Verantwortung zurück. Ich gebe ihm die Toten zurück. Ihm! Ja, komm, wir wollen einen Mann besuchen, der wohnt in einem warmen Haus, wir wollen ihm etwas schenken - einem lieben, guten, braven Mann, der sein ganzes Leben nur seine Pflicht getan, und immer nur die Pflicht!“.

3. Szene:

In der 3. Szene trifft nun Beckmann auf den Oberst, dem er seine Verantwortung, die „Toten“, die er auf dem Gewissen hat, zurückgeben will. Seine Gasmaskenbrille spielt wieder einmal eine Rolle: „Sag ihm doch, er soll die Brille abnehmen. Mich friert, wenn ich das sehe“, „Warum werfen sie den Zimt nicht weg? Der Krieg ist aus“. Diese Reaktion zeigt wieder einmal, dass die Menschen, - wie die Durchschnittsfamilie in dieser Szene - mit dem Krieg und den Heimkehrern nichts zu tun haben wollen. Auf den Zweck seines Besuches kommt Beckmann erst nach längerem Dialog in einem Zustand des Wachschlafes zu sprechen. „Ganz weit weg“, „schlaftrunken, traumhaft“ erzählt Beckmann seinen Traum vom General, der blutschwitzend eine Todessymphonie auf einem Knochenxylophon spielt. Beckmanns Traum, den er selbst als „ganz seltsam“ empfindet, bildet eine Anklage gegen den Krieg. „Die in den Krieg hineingetriebenen Menschen dienen mit ihren abgeschlagenen Gliedmaßen als Instrument für das grauenvolle Konzert eines Generals, den das Blut der Erschlagenen fett gemacht hat. Der Krieg missbraucht den Menschen als Werkzeug einer perversen Ästhetik der Zerstörung, als Spielzeug in einem makaberen, sinnlosen Spiel. Das Horrorszenario des Traumes enthüllt das Grauen des Krieges, dem die realistische Darstellung nicht länger beizukommen vermag. Nicht die Dokumentation grauenvoller Details führt in einer Zeit der totalen Destruktion des Menschlichen zur Erkenntnis der Wahrheit, sondern nur noch die phantastische Inszenierung des Grauens selbst.“ Die Kritik am Oberst, die er in seinem Wachschlaf erhob, belastet diesen, aber sie entlastet Beckmann nicht. Der Oberst empfindet für die Vergangenheit nicht einmal Schuld und Verantwortung, wie Beckmann, er findet sie nur noch komisch. „Der Oberst will Beckmann nicht verletzen, aber er ist so gesund und so sehr naiv und alter Soldat, dass er Beckmanns Traum nur als Witz begreift“ steht als Regieanweisung zu der vorher beschriebenen Situation. Aber auch der Oberst wendet die gleiche Technik an, um die Vergangenheit zu vergessen. „Schmeißen Sie Ihre zerrissenen Klamotten weg, ziehen Sie sich einen alten Anzug von mir an und dann werden Sie wieder ein Mensch, mein lieber Junge!“.

4. Szene:

In der 4. Szene sucht der Direktor eines Kabaretts nach Jugendlichen, „die zu allen Problemen aktiv Stellung ... nehmen“, „einen Geist wie Schiller“ und „die den dunklen Seiten des Lebens gefaßt ins Auge ... sehen, unsentimental, objektiv, überlegen.“. Beckmann nutzt die Chance beim Direktor vorzusprechen. Er wählt hierzu einen poetischen Vortrag, der sein durchlittenes Schicksal widerspiegelt. Dass dieses Thema das Publikum nach Ansicht des Direktors nicht sonderlich interessiere, möchte Beckmann nicht recht einsehen, da es doch durch und durch der Wahrheit entspräche : „Mit der Wahrheit hat die Kunst doch nichts zu tun! Wo kämen wir hin, wenn alle Leute plötzlich die Wahrheit sagen wollten! Wer will den heute etwas von der Wahrheit wissen?“ weist der Direktor ihn zurück. Auch er verdrängte die Verantwortung für die Heimkehrer und die Kriegsopfer, er hat „schließlich keinen nach Sibirien geschickt“. Beckmanns voller Verachtung gemeinte Antwort „Nein, keiner hat uns nach Sibirien geschickt. Wir sind alle ganz von alleine gegangen. Und einige sind alleine dageblieben“ ist schließlich die Reaktion auf die Abweisung des Direktors, der Beckmann im Grunde nur wegen der Befürchtung ablehnt, dass ein Anfänger wie Beckmann seinen wirtschaftlichen Ruin bedeuten könnte. Am Schluss der Szene steht Beckmann wieder „Draußen vor der Tür“; der „Andere“ schaltet sich abermals ein, der Beckmann empfiehlt „Du mußt nach Hause.[...] Da, wo man zuerst hingehen sollte, daran denkt man zuletzt“.

5.Szene:

In der fünften und letzten Szene versucht Borchert den Kern des Themas besonders hervorzuheben, wie das schlichte Bühnenbild zeigt: „Ein Haus. Eine Tür. Beckmann“. Beckmanns Heim existiert nicht mehr, denn ein fremder Name steht an der Tür: „Kramer“. Der Name tauchte bereits im Vorspiel auf und verkörperte dort den schon wieder etablierten Normalbürger, den Frau Kramer in dieser Szene darstellt. Wie der Normalbürger kümmert sich Frau Kramer nur um ihre Interessen. Es gilt einzig den Besitzfragen: „Was für ein unser Schild?“, „Ihre Wohnung ist das nicht. Die gehört uns.“. Die Nachricht von Kramer vom Selbstmord der Eltern wurde auf „rauhe“ Art überbracht. „Die alten Beckmanns konnten nicht mehr, wissen sie. Hatten sich ein bißchen verausgabt im Dritten Reich, das wissen sie doch, Sie, Sohn, Sie. [...] , immer wenn eine Bombe runterging, hat er einen Fluch auf die Juden losgelassen“. Was mit dem „alten“ Beckmann „ganz oberfaul“ war, wird jedoch nie in dem Drama genau erwähnt. Das Gespräch mit Frau Kramer endet damit, dass die Tür kreischend zuschlägt. Dies geschah schon viermal zuvor. Und jedesmal, mit Ausnahme der zweiten Szene, war dieses Kreischen und Zuschlagen begleitet von einem Beckmann, der schreiend die Konsequenz zog aus dem durch die zuschlagende Tür beendeten Gespräch: „Ich will nicht mehr Beckmann sein!“, „Ja was seid ihr denn? Menschen“, „Mit der Wahrheit macht man sich nur unbeliebt.“ In der fünften Szene sieht sein Abgang ganz anders aus. Beckmann droht Frau Kramer „...Machen Sie ganz schnell ihre Tür zu, sage ich Ihnen! Machen Sie!“. Beckmanns Schrei der Anklage bleibt diesmal aus, die Anklage aber nicht: „einen Mord“ hätte Beckmann begehen mögen, „diese Traurigen, die um das Gas trauern, ermorden“. Die Empörung über dieses herzlose Normalbürgerdenken war berechtigt. Aber Beckmann denkt in seinem Schmerz über den Verlust der Eltern und nicht mehr über die Ursache nach. Er reiht die toten Eltern in die Liste der unschuldigen Opfer des Krieges: „Zwei alte Leute sind in die Gräberkolonie Ohlsdorf abgewandert. Gestern waren es vielleicht zweitausend, vorgestern vielleicht siebzigtausend. Morgen werden es viertausend oder sechs Millionen sein. Abgewandert in die Massengräber der Welt. Wer fragt danach? Keiner.“. Dass die Eltern Beckmanns nicht nur Opfer waren, erkennt er nicht, sondern nur Frau Kramer: „Das war nun wieder konsequent von Ihrem Alten“. Beckmanns letzter Zufluchtsort existiert nicht mehr und nun steht er wieder „Draußen vor der Tür“. Allein auf der Straße erscheint Gott, der mit ihm ein Dialog führt. Das Ergebnis ist das gleiche wie im Vorspiel. Gott „ist der Gott, an den keiner mehr glaubt“. Aber ein Vorwurf kommt hinzu: „Du hast es [...] zugelassen“. Doch die Rechtfertigung Gottes berührt Beckmann nicht, denn er sieht kein Sinn im Glauben an Gott. Nun erscheint auch der Straßenfeger(der Tod) und weist auf einen immer bestehenden Ausweg hin: „Meine Tür steht immer offen“, doch der „Andere“ plädiert für das Leben. Bevor der Oberst, der Direktor und Frau Kramer auftauchen verurteilt Beckmann die drei als Mörder. Der Vorwurf Beckmanns wiederholt sich in der Begegnung mit den einzelnen Opfern. Auch Beckmanns Frau, die mit ihrem Liebhaber vorübergeht, wird als Mörderin bezeichnet. Spiegelbildlich zum Verlauf des Stückes kommt das Mädchen nun am Schluss dieser Szene an die Reihe und bittet Beckmann „Komm, wir wollen zusammen lebendig sein“, aber der Einbeinige erscheint und beschuldigt Beckmann: „Du hast ein Mord begangen, Beckmann“. Beckmann ist Opfer und Täter zugleich, jeder ist ein schuldiges Opfer: „Wir werden jeden Tag ermordet und jeden Tag begehen wir ein Mord“. Eine Lösung scheint Beckmann nicht zu finden, denn die Frage danach stellt er wieder und wieder: „Gibt denn keiner eine Antwort? Gibt keiner Antwort?? Gibt denn keiner, keiner Antwort???“.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Borchert, Wolfgang - Draussen vor der Tür #
Autor
Jahr
2000
Seiten
8
Katalognummer
V96901
ISBN (eBook)
9783638095761
Dateigröße
349 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Borchert, Wolfgang, Draussen
Arbeit zitieren
Harald Messner (Autor:in), 2000, Borchert, Wolfgang - Draussen vor der Tür #, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96901

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