Biomechanische Prinzipien des Stütz- und Bewegungsapparates


Seminararbeit, 2000

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen für die Konstruktionsprinzipien
2.1 Das Verhältnis von Prinzipien und Gesetzen
2.2 Aufbau und mechanische Eigenschaften von Knochen, Gelenken und Muskeln
2.2.1 Die Knochen
2.2.2 Die Gelenke
2.2.3 Der Muskel
2.3 Beanspruchungsarten auf den Stütz- und Bewegungsapparat
2.3.1 Die Biegung als die Grundbeanspruchung des Röhrenknochens

3 Konstruktionsprinzipien zur Reduzierung der Biegebeanspruchung des Röhrenknochens
3.1 Das Prinzip der Leichtbauweise
3.2 Breitenwachstum des Röhrenknochens
3.3 Trajektorielle Bauweise des Röhrenknochens
3.4 Ausbildung röhrenförmiger Lamellen
3.5 Zuggurtung - ein Prinzip zur Reduzierung der Biegebeanspruchung durch das Muskelsystem
3.6 Seitliches Hüfthinken

4 Zusammenfassung

5 Anlagenverzeichnis

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In meiner Seminararbeit beschäftige ich mich den Konstruktionsprinzipien zur Reduzierung der Biegebeanspruchung des Röhrenknochens. Im ersten Teil dieser Arbeit befasse ich mich mit den Grundlagen der Konstruktuktionsprinzipien. Ich gehe davon aus, daß biomechanische Prinzipien biologische Charakteristiken enthalten müssen, die mit den mechanischen Gesetzen verträglich, aber keinesfalls identisch sind. Weiterhin spielt auch die Betrachtung der grundlegenden Eigenschaften und des Aufbaus von Knochen, Mus keln und Gelenken eine wesentliche Rolle. In diesem Zusammenhang muß auch erläutert werden, warum es sich bei der Biegebeanspruchung um die Grundbeanspruchung des Röhrenknochens handelt. Im zweiten Teil möchte ich auf die einzelnen Konstruktionprinzipien näher eingehen. Es handelt sich um biologisch relevante Prinzipien die im Zusammenhang mit dem Bau der einzelnen Knochen stehen und Prinzipien in Verbindung mit den Muskeln, Gelenken und Bändern. Diese Prinzipien können einerseits durch die Rouxsche Lehre von der funktionellen Anpassung und vom funktionellen Bau des Knochens und andererseits durch die Untersuchungen und Weiterentwicklungen dieser Konstruktionsprinzipien durch Friedrich Pauwels begründet werden.

2 Grundlagen für die Konstruktionsprinzipien

2.1 Das Verhältnis von Gesetzen und Prinzipien

Als Gesetze bezeichnet man notwendige, objektive, allgemeine und damit wesentliche Zusammenhänge zwischen Dingen, Sachverhalten oder Prozessen in der Natur, der Gesellschaft oder des Denkens. Sie zeichnen sich durch relative Beständigkeit aus und wiederholen sich unter gleichen Bedingungen. Als wissenschaftliche Gesetze versteht man die gedanklichen Widerspiegelungen objektiv wirkender Gesetze im Bewußtsein des Menschen. Die Naturgesetze beschreiben den objektiven und allgemeinen Zusammen hang zwischen meßbaren Größen. Dabei stellen die mechanischen Gesetze ein klassi sches Beispiel dynamischer Gesetze dar. Sie sind aus der Erfahrung durch meßbare Beobachtungen aus der Natur abgeleitet. Sie gelten damit für die belebte, sowie für die unbelebte Natur und lassen sich ohne weiteres auch auf biologische Systeme anwenden. Unterscheiden kann man die Gesetze zwischen einerseits kausalen oder de terministischen und andererseits nichtkausalen bzw. indeterministischen. Die Newtonschen Axiome und die Energie- und Impulserhaltungssätze können als Beispiele für Ge setze betrachtet werden. Kausale Gesetze verknüpfen immer Ursache und Wirkung mit einander. Das dynamische Grundgesetz ( 2. Newtonsche Axiom) ist das wichtigste und bekannteste Gesetz dieser Art. In der Formulierung Kraft = Masse x Beschleunigung ist die Kraft als Ursache einer Masse definiert. Nichtkausale Gesetze enthalten keine Ursache-Wirkungsrelation, sondern sie verknüpfen rein formale mechanische Größen. Nichtkausale Gesetze sind beispielsweise die Strukturgesetze, bzw. physikalische Erhaltungssätze, die besagen, daß bei bestimmten Umwandlungen oder Wechselwirkungen physikalischer Systeme gewisse Größen (Energie, Impuls, Masse u.a.) erhalten bleiben.

Prinzipien hingegen sind allgemeine, den Gesetzen übergeordnete Grundsätze, die das Verhalten von meist komplexen Systemen bestimmen. Daher lassen sich die Gesetze meist aus den Prinzipien herleiten. Die biomechanischen Prinzipien können somit als allgemeine Leitlinien verstanden werden, nach denen das biologische System des Menschen seine Bewegungen kontrolliert, aber auch die funktionell- strukturellen Zusammenhänge regelt. Prinzipien gelten innerhalb bestimmter Aufgabenklassen, die durch gleichartige mechanische Bedingungen und Zielstellungen gekennzeichnet sind. Ein Bei spiel für ein klassisches biomechanisches Prinzip ist das Prinzip der funktionellen An passung. Es stellt eine allgemeine und wesentliche Gesetzmäßigkeit für alle biologischen Systeme dar, die auf äußere mechanische Veränderungen mit systemerhaltenden Anpassungen reagiert. Des weiteren müssen biomechanische Prinzipien biologische Charakteristika enthalten, die mit den mechanischen Gesetzen verträglich, aber niemals identisch sind. Zusammenfassend bedeutet das also, daß die Gesetze in den Prinzipien dialektisch aufgehoben sind, ohne dabei deren Wesen zu bestimmen und umgekehrt, daß die Prinzipien auf den Gesetzen basieren, ohne mit diesen identisch zu sein. Die Prinzi pien sind also den Gesetzen übergeordnet(vgl. Brauer 1993, S. 22ff).

2.2 Aufbau und mechanische Eigenschaften von Knochen, Gelenken und Muskeln

2.2.1 Die Knochen

Zum Stützgewebe des Menschen zählen 208 Knochen, an denen 501 Willkürmuskeln ansetzen. Die Knochen sind nicht nur ein Stützgewebe und ein Mineralstofflager, sondern ihre Hohlräume haben noch eine andere Aufgabe. Im Inneren des Knochens befindet sich das weiche Knochenmark, in dem die roten und weißen Blutkörperchen gebildet werden(Anlage 1 /Abb. 1). Aufgrund des unterschiedlichen Aussehens und der ver schiedenen Bildung des Knochengewebes unterscheidet man die Knochen in drei Gruppen. Die platten Knochen wie beispielsweise das Brustbein oder die Schädelknochen, entstehen durch unmittelbare Umwandlung des Bindegewebes in Knochengewebe. Diesen Vorgang nennt man auch direkte Verknöcherung. Darum kann man auch bei Neu geborenen den Schädelknochen deutlich fühlen, weil der Schädelknochen noch nicht vollständig entwickelt ist und auch die Knochenbildung noch nicht abgeschlossen ist. Die meisten Knochen entstehen jedoch durch indirekte Verknöcherung wobei sich im Embryonalstadium ein Knorpelmodel bildet, das dann später in den Knochen umgewandelt wird. Kurze Knochen werden durch indirekte Verknöcherung gebildet, wobei die Zellen im Zentrum der wachsenden Knorpelmodelles absterben und in den dabei entstehenden Hohlraum von der den Knorpel überziehenden Haut sogenannten Osteoblasten einwandern. Diese werden dann nach und nach in Knochenzellen umgewandelt(Anlage 1/Abb. 2). Das gesamte Knorpelgewebe wird jedoch nicht verknöchert, sondern es bleiben gewisse Teile als Gelenkknorpel bestehen (vgl. Ahonen 1994, S.142 ). In der chemischen Zusammensetzung des Knochens findet man anorganische und organische Bestandteile vor. Die anorganischen Bestandteile geben dem Knochen die not wendige Festigkeit, während ihm die organischen die Elastizität verleihen. Die chemische Zusammensetzung ist jedoch weder bei allen Menschen noch bei den entsprechen den Knochen verschiedener Menschen gleich. Sie ist abhängig von der Ernährung, vom Wachstumsstand und von der Belastung des Menschen. In zunehmendem Alter nimmt der anorganische Anteil zu und man findet mehr Kalkeinlagerungen vor als noch in jun gen Jahren. Dadurch wird der Knochen zwar sehr hart, aber er ist nicht mehr so biege fest und es kommt so schneller zu Knochenbrüchen (vgl. Hochmuth 1981, S.60 ).

Knochen sind Bestandteile des axialen Skeletts und sie sind feste Teile in Körpergliedern. Sie bilden an ihren Verbindungsstellen zu benachbarten Knochen Gelenke und ermöglichen zusammen mit anderen Bestandteilen die Bewegungen der Körperglieder zueinander. Knochen werden als Elemente der Kraftübertragung bezeichnet, des weiteren bieten sie der Muskelsehne einen Ansatzpunkt. Da Knochen massebehaftet sind, hat der Knochen zunächst die mechanische Eigenschaft schwer und träge zu sein. Knochen sind entwicklungsgeschichtlich durch Anpassung optimierte Gebilde, was sich darin äußert, daß sie in einem optimalen Verhältnis der erwähnten Masseeigenschaften zu ihren Festigkeitseigenschaften stehen. Sie sind als Elemente der Kraftübertragung bis zu einem bestimmten altersabhängigen und individuell variierenden Grenzbereich wider standsfähig gegenüber Belastungen verschiedener Art, unter denen sie eine elastische Deformation erfahren. Ein Überschreiten der Grenzwerte führt allerdings zu Schädigun gen(vgl. Marhold 1990, S. 6).

2.2.2 Die Gelenke

Gelenke sind Verbindungselemente im menschlichen Gliedersystem, die Rotationsbewegungen benachbarter Glieder ermöglichen. In den Gelenken des menschlichen Bewegungsapparates gleiten die beiden ineinander greifenden Knochenenden der benachbarten Körperteilen auf ihren gekrümmten Oberflächen und ermöglichen dadurch Drehbewegungen. Das eine Knochenende ist dabei immer als Pfanne und das andere als Kopf ausgebildet. Je nach Oberflächengestalt von der Gelenkpfanne und dem Gelenkkopf sind Drehbewegungen um eine oder mehrere Achsen möglich, da her besitzt das Ge lenk eine oder mehrere Freiheitsgrade . Die Oberfläche von Gelenkkopf und Gelenkpfanne bestehen aus dem Gelenkknorpel, der sehr glatt ist und gute Gleiteigenschaf ten besitzt(Anlage 2/ Abb. 4). Die Gelenkoberflächen werden von der Gelenkflüssigkeit (Synovialflüssigkeit ) gewissermaßen geschmiert, wodurch die Reibung verhindert wird. Der Hilfsapparat eines Gelenks besteht aus Bändern, die dem Gelenk besonderen Halt geben. Die Bänder befinden sich hauptsächlich auf den Seiten des Gelenks nach denen keine Drehung oder eine Drehung in begrenztem Umfang stattfindet. Insgesamt wird durch die Bänder die Bewegungsamplitude aber eingeschränkt. Unter der Bewegungsamplitude eines Gelenks versteht man den in seinen äußersten Grenzen gemessenen Winkelbereich, in dem das Gelenk die Drehung eines Körperteils in einer bestimm ten Bewegungsrichtung erlaubt. Durch körperliches Training läßt sich allerdings die Bewegungsamplitude erheblich vergrößern. Sportler die Leichtathletik betreiben besitzen Gelenke mit großen Amplituden wo hingegen untrainierte Menschen Gelenke mit kleinen Amplituden besitzen(vgl. Hochmuth 1982, S. 60ff).

2.2.3 Der Muskel

Der menschliche Bewegungsapparat hat sich im Verlauf der Evolution der Lebewesen seinen Funktionen sehr gut angepaßt. Diese Tatsache trifft beim Muskelsystem noch stärker zu als beim Skelett. Es gibt drei Arten von Muskeln im Körper. Da für die menschliche Motorik die Skelettmuskulatur von besonderer Bedeutung ist, möchte ich mich nur mit deren mechanischen Eigenschaften befassen und die anderen beiden Arten von Muskeln, nämlich die glatte Muskulatur und die Herzmuskulatur nur nennen. Die Muskeln im Körper können ein völlig unterschiedliches Aussehen haben(Anlage 2/ Abb. 3). Da Muskeln elastische Körper sind, kann man sie bis zu einem gewissen Grad mit Gummibändern vergleichen, deren Zugkraft mit der Dehnung zunimmt. Der Muskel besteht im Gegensatz zu Gummibändern aus einzelnen Fasern, die in den einzelnen Muskeln unterschiedlich angeordnet sind. Eine Muskelzelle kann sich um etwa 50% verkürzen. Ein spindelförmiger Muskel kann sich somit in seiner Länge mehr verkürzen als ein gefiederter(vgl. Ahonen 1994, S. 148ff). Die Faserung des Muskels entspricht seiner Funktion im Bewegungsapparat. So sind beispielsweise zarte Muskeln typisch für die oberen Extremitäten, da sie bei großer Dehnung nur geringe Kräfte entwickeln. Es sind meist sehr lange, spindelförmige Muskeln, die mehrere Köpfe und recht schmale Ansatzstellen besitzen. Für die unteren Extremitäten sind dagegen die kräftigen Muskeln typisch, weil sie eine sehr schnelle Kontraktion erlauben und große Kräfte bei einem kleinen Dehnungsweg entwickeln können(vgl. Hochmuth 1982, S. 62ff). Muskeln sind elastische strukturierte Elemente, die in der Lage sind, auf einen Reiz hin zu kontrahieren und dabei chemische Energie in mechanische Energie und Wärmeenergie umzuwandeln. Die grundlegenden biomechanischen bzw. mechanischen Eigenschaften des Muskels lassen sich auf jene der Muskelfaser als Bestandteil einer motorischen Einheit zu rückführen. Die wesentlichen biomechanischen bzw. mechanischen Eigenschaften der Muskelfaser sind ihre Kontraktilität und ihre Elastizität. Die spezielle elastische Eigenschaft der Muskelfaser wird verdeutlicht in einer s-förmigen Kurve im Spannungs-Dehnungs-Diagramm. Die Kontraktilität eines Muskels ist faserspezifisch. Sie führt über unterschiedliche Impulsentladungsfrequenzen und Reizschwellen zu differenten biomechanischen Reizwirkungen, d. h. maximale Kraftwirkungen, Ermüdbarkeit sowie Stärke und Zeitdauer der Kontraktion werden bei optimalen Dehnungsgraden erreicht(vgl. Marhold 1990, S.19ff).

2.3 Beanspruchungsarten auf den Stütz- und Bewegungsapparat

Die Beanspruchung ist die Wirkung aller äußeren Kräfte auf den Stütz- und Bewegungsapparat. Als Arten der mechanischen Belastung bzw. Beanspruchung ergeben sich die Zug-, Druck-, Scher-, Biege und Verdrehbeanspruchung. Diese Belastungsarten treten hauptsächlich in gemischter Form auf und wirken auf den Bewegungsapparat in seiner Gesamtheit ein. Als Zugbelastung werden Körperpositionen im Sport bezeichnet, bei denen einander entgegengerichtete Kräfte auf derselben Wirkungslinie vom Knochen weg wirken. Dies ist z.B. im Streckhang an den Ringen der Fall. Die Schwerkraft der Körpermasseanteile, die jeweils unterhalb der betrachteten Körperstelle angeordnet sind, wirkt als Zugkraft Fz1 der gleichgroßen Widerstandskraft der Ringe Fz2 entgegen (Anlage 3/ Abb. 5). Durch dieses Zugkräftepaar entstehen Verlängerungen des Knochens in Kraftrichtung und Verkürzungen quer dazu. Im Bezug zur Fläche, das heißt zum Querschnitt des jeweiligen Knochens, treten Zugspannungen auf(vgl. Marhold, S.7ff). Druckbeanspruchung wird wie die Zugbeanspruchung durch Druckkräfte in Richtung der Längsachse eines Teilsystems des Bewegungsapparats her vorgerufen. Da die Druckkräfte den Zugkräften entgegengerichtet sind, erzeugen sie innerhalb des Teilsystems den Zugspannungen entgegengerichtete Druckspannungen. Anlage 3/ Abb. 6 zeigt die Druckbelastung und Druckbeanspruchung einer Gelenkfläche am Beispiel des Kniegelenks. Man sieht das sich die Druckbelastung bei vorhandenem Meniskus auf die gesamte Gelenkfläche verteilt, während sie sich ohne Meniskus auf eine kleinere Gelenkfläche verteilt. Als ein Beispiel aus dem Sport kann man die Endposition beim Gewichtheben nennen. Scherbeanspruchung tritt dann auf, wenn äußere Kräfte senkrecht zur Längsachse eines Teilsystems des Bewegungsapparates an greifen und auf der gleichen oder nur wenig voneinander entfernten Wirkungslinie liegen. Gewebeteilchen werden durch Scherkräfte gegeneinander verschoben und erzeugen innerhalb des Teilsystems Querkräfte, die Spannungen hervorrufen. Die Scherbelastung und Scherbeanspruchung bei einem horizontalen Meniskusriß wird in Anlage 3/Abb. 7 deutlich. Verdrehbeanspruchung tritt auf, wenn äußere Kräfte eine gegenseitige Verdrehung der Querschnitte eines Teilsystems bewirken(Anlage 4/ Abb. 8). Ein typisches Beispiel aus dem Sport für solche Belastungen kann man im alpinen Skilauf finden, wo es zu Unterschenkelknochenbrüchen kommen kann wenn der Fuß während eines Sturzes bei der Einwirkung erheblicher Drehkräfte nicht aus der Bindung frei kommt und das durch diese Kraft erzeugte Drehmoment das Verdrehwiderstandsmoment der Unterschenkelknochen übersteigt(Ballreich/Baumann 1988,S 45ff).

2.3.1 Die Biegung als die Grundbeanspruchung des Röhrenknochens

Wie bereits erwähnt können die Kräfte auf den Stütz- und Bewegungsapparat entweder axial, wobei die im Knochen vorhandenen Druckspannungen über den Knochenquerschnitt gleichmäßig verteilt sind, oder exzentrisch wirken. Von einer exzentrischen Wir kung einer äußeren Kraft spricht man, wenn die Kräfte nicht direkt auf die Achse, sondern einander entgegengerichtet wirken und somit eine Biegebelastung hervorrufen. Wenn ein Körper exzentrisch belastet wird, treten sowohl Druck- als auch Zugspannungen auf, das heißt er wird auf Biegung beansprucht(Anlage 4/ Abb. 9).Bei einer Biegung wird ein Teil des Körpers komprimiert während ein anderer gedehnt wird. An der Last zugewandten Seite entstehen dabei große Druckspannungen und an der gegenüber liegenden Last abgewandten Seite große Zugspannungen(Anlage 4/ Abb. 10 und Anlage 5/ Abb.11). Für die Beanspruchungsgröße eines Röhrenknochens ist also nicht nur die Größe der Last, sondern auch deren Lage verantwortlich. Die gefährliche Biegebeanspruchung des Knochens ist dem nach die Folge von der Entstehung von Druck und Zugkräften die unterschiedlich auf die Knochen verteilt sind. Untersuchungen zur Festigkeit zeigen, daß die Druckfestigkeit des Materialverbundes Kalziumapatit und Kollagen gegenüber der Zugfestigkeit größer ist. Die Festigkeitseigenschaften Druck und Zug stehen in einem Verhältnis von etwa 4:3(vgl. Leuchte 1999, S. 31ff). Da die Fließ- und Bruchgrenze des Knochengewebes unter Zugbelastung deutlich niedriger sind als unter Druckbelastung, beginnt das Versagen aufgrund des symmetrischen Querschnitts in dem Bereich der höchsten Zugspannung. Die Tatsache, daß die Zugfestigkeit des Knochens geringer ist als die Druckfestigkeit hat zur Auswirkung das Frakturen auf der Zug beanspruchten Seite eher auftreten als auf der Druckseite. Der Biegebruch setzt dabei mit einem einzelnen Querriß auf der Zugspannungsseite des Knochens ein. Die gefährliche Beanspruchung des Röhrenknochen wird im wesentlichen durch das Körpergewicht und eventueller Zusatzlasten verursacht, weil die Körperschwere stets mehr oder weniger stark exzentrisch zur Knochenachse liegt und in Folge dessen eine hohe Biegebeanspruchung hervorruft. Um diese Biegespannungen des Röhrenknochens auszugleichen wer de ich nun versuchen die Konstruktionsprinzipien des Stütz- und Bewegungsapparates zu erläutern(vgl. Burstein/Wright 1997, S.135).

3 Konstruktionsprinzipien zur Reduzierung der Biegebeanspruchung des Röhrenknochens

3.1 Das Prinzip der Leichtbauweise

In der Rouxschen Lehre von der funktionellen Anpassung und dem funktionellen Bau des Knochens wird gesagt, daß das Skelettsystem einen ausgesprochenen Leichtbau dar stellt, weil der einzelne Knochen für die Beanspruchung, die er im Stütz- und Bewegungsapparat erfährt, mit einem Minimum an Material gebaut ist. Des weiteren besagt seine Lehre auch, daß der Leichtbau des Knochens sowohl unter normalen als auch unter pathologischen Form- und Beanspruchungverhältnissen durch die Funktion, und zwar durch eine mechanische Steuerung des Breitenwachstums, geprägt wird. " Das wesentliche Merkmal für den funktionellen Bau und die funktionelle Anpassung ist also Materialersparnis im Skelettsystem, welches das Gerüst des Stütz- und Bewegungsapparates bildet. Der Leichtbau des Knochens hat seinerseits wieder Ersparnis an Muskel kraft und damit an zu bewegender Muskelmasse zur Folge sowie Ersparnis an der chemischen Energie, die zur Erhaltung des Knochens durch den kontinuierlichen Umbau erforderlich ist. Energieersparnis im Stütz- und Bewegungsapparat ist aber gleichbedeutend mit Erhöhung der Dauerfähigkeit des Individuums, die nach der Rouxschen Lehre das Kriterium für funktionelle Anpassung ist(Pauwels 1965, S. 400). In seiner Lehre vom funktionellen Bau und der funktionellen Anpassung des Knochens hatte Roux je doch übersehen, daß nicht nur der Bau des Knochens, sondern vor allem auch die Art seines Einbaus in die Gesamtkonstruktion des Stütz- und Bewegungsapparates für die Materialersparnis von ausschlaggebender Bedeutung ist. Weiterhin wurde übersehen, daß es außer der Anpassung durch Breitenwachstum auch funktionelle Anpassung durch Längenwachstum gibt. Friedrich Pauwels gelang es schließlich später das Prinzip der Leichtbauweise zu vervollständigen. Letztendlich kann man das Prinzip der Leicht bauweise durch den Bau des einzelnen Knochens für eine bestimmte Beanspruchung mit einem Minimum an Material und durch die Reduzierung der Beanspruchung des Knochens durch die spezielle Bauart des Stütz- und Bewegungsapparates charakterisieren. Da auch Bewegungsmaschinen in der Technik mit größtmöglicher Materialersparnis gebaut werden sollen, besteht die gleiche Grundforderung wie beim Knochen im menschlichen Stützapparat. Die Bedeutung der Leichtbauweise für Bewegungsmaschinen in der Technik besteht, abgesehen von der Kostenersparnis, darin, daß durch eine Gewichtsverminderung jener Energiebedarf reduziert wird, der allein zur Überwindung der Massenkräfte, des Eigengewichts und der Reibung erforderlich ist und für die Maschinenleistung verloren geht. "Die Leichtbauweise ist für den menschlichen Stütz- und Bewegungsapparat von erhöhter Bedeutung, weil bei diesem der unproduktive Energieaufwand weit größer ist, als bei technischen Maschinen und zwar deshalb, weil Muskel nicht nur bei der Bewegung der Glieder Energie verbraucht, sondern auch beim Halten von Lasten, was bei einem Kran z.B. nicht der Fall ist; ferner, weil auch die Erhaltung des Knochenmaterials mit Energieverbrauch verbunden ist im Gegensatz zu den Baustoffen der Technik(Pauwels 1965, S.197). Zusammenfassend kann man feststellen, das daß Wesen der Leichtbauweise darin besteht, daß der Körper in der Lage ist Muskelkraft, zu bewegende Muskelmasse und chemische Energie für den kontinuierlichen Knochenumbau zu sparen. Weiterhin findet im Stütz- und Bewegungsapparat eine Energieersparnis statt, die zum einen ein Kriterium für die funktionelle Anpassung dar stellt und zum anderen die Dauerhaftigkeit des Individuums erhöht(vgl. Pauwels 1965, S. 400ff).

3.2 Ungleiches Längenwachstum des Röhrenknochens

Das Ausschalten und Reduzieren von Biegebeanspruchungen durch ungleiches Längen wachstum ist ein Möglichkeit funktioneller Anpassung. Auch die zahlreichen klinischen Beobachtungen in pathologischen Fällen belegen diese Möglichkeit. Während der Entwicklung vollzieht sich das Längenwachstum durch die knorpeligen Epiphysenfugen.

Solange hier die Knorpelwucherung des Gewebes durch Zellvermehrung den Verknöcherungsproßes überwiegt, wächst der Knochen. Nach vollständiger Verknöcherung der Epiphysenplatte kommt das Längenwachstum schließlich zum Stillstand. Da das Wachstum des Epiphysenknorpels nun aber von seiner Beanspruchung abhängig ist, ist es der Größe der Druckspannungen die im Knorpel auftreten proportional. Wenn die Druck spannungen über die gesamte Querschnittsfläche der knorpeligen Epiphysenscheibe gleich groß sind, behält der Knorpel ein völlig gleichmäßiges Wachstum und die Längsachse des wachsenden Knochens bleibt gerade. Die Spannungsverteilung im Epiphysenknorpel hängt von der Lage der Resultierenden aller auf den Knorpel einwirkenden Kräfte ab. Anlage 5/ Abb. 12a zeigt, daß die Wirkungslinie dieser Resultierenden die Epiphysenplatte senkrecht im Zentrum des Querschnittes trifft, so das die Spannungen über die gesamte Fläche gleichmäßig verteilt sind. Bei gleichmäßig im Epiphysenknorpel(Ep) verteilten Druckspannungen erfolgt auch der Zuwachs(Zu) gleichmäßig(Abb. 12b). Trifft die beanspruchende Kraft(G) schräg auf den Epiphysenknorpel, ist die Verteilung der Druckspannungen ungleichmäßig(Abb. 12c). Auf der Seite der höheren Druckspannungen erfolgt ein stärkerer Zuwachs, dadurch wird die Längsachse des proximalen Knochenabschnittes in Richtung der Wirkungslinie der Kraft eingestellt(Abb. 12d).Durch diesen ungleichen Anbau erhält die Achse des werdenden Knochens einen Knick. Die Abwinklung nimmt so lange zu, bis die Epiphysenplatte wieder senkrecht zur Richtung der Resultierenden steht und diese den Querschnitt wieder im Zentrum schneidet(vgl. Kummer 1959, S.31). " Im Ergebnis des ungleichen Knochenwachstums auf der Seite der größeren Zugspannungen wird das Gelenk ausschließlich auf Druck beansprucht, der sich gleichmäßig über den Querschnitt verteilt. Dadurch wird das Prinzip verwirklicht, Gelenke frei von Biegebeanspruchung zu halten"(Leuchte 1999, S.38). Der Vorgang des Längenwachstums ist auch hinsichtlich der Umwandlung des O-Beines des Säuglings in das X-Bein des Kleinkindes von Bedeutung. Durch die vermehrten Biegebeanspruchungen bei den ersten Geh- und Stehversuchen des Säuglings erhöhen sich die Druckspannungen auf der medialen Seite des Knies. Die Epiphysenfugen sorgen daher für den notwendigen Wachstumsschub auf dieser Seite und wandeln die ein stige O-Beinstellung zu einer leichten X-Beinstellung um. Dadurch kommt es zum Verschwinden der Biegekräfte und das Bein wird wieder axial belastet(vgl. Leuchte 1999, S.39).. Aber auch die Geraderichtung der Achsenform in Winkelstellung verheilter gebrochener Röhrenknochen beim Menschen kann man wenn die Verletzung noch im Wachstumsalter, das heißt vor dem Verschluß der Epiphysenfugen erfolgte, auf diesen Mechanismus zurückführen(vgl. Kummer 1959, S.31).

3.3 Breitenwachstum des Röhrenknochens

Eine weitere Möglichkeit um die Biegebeanspruchung auszuschalten ist durch das Breitenwachstum des Röhrenknochens gegeben. Eine Grundlage für die funktionelle An passung durch Breitenwachstum ist, daß der Knochen bei erhöhter Beanspruchung mit Anbau von Knochengewebe, bei Herabsetzung der Beanspruchung mit Abbau von Knochengewebe reagiert, und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Größe der Spannung. Des weiteren wird davon ausgegangen, daß bei einer Säule die auf Druck und Biegung beansprucht ist, die Randspannungen an der Druckseite der Biegung stets größer sind als an der Zugseite. Da also Anbau und Abbauprozesse von Knochenmaterial durch die Größe der Spannungen gesteuert werden, muß an der Druckseite mehr Material angelagert werden als an der Zugseite, bzw. hier Material abgebaut werden, wenn die Spannungen die physiologische Größe unterschreiten. "Beim Röhrenknochen führt das Umbauprinzip lediglich dazu, daß das Knochenmaterial im Querschnitt dorthin gelagert wird, wo es am besten zur Widerstandsleistung ausgenutzt ist, also an den Rand, wo die höchsten Spannungen aus der Biegung auftreten"(Pauwels 1965, S.414). Dadurch ist die Knochenwand des Diaphysenrohrs im Ergebnis des Umbaus auf der zugbeanspruchten Seite dünner und auf der druckbeanspruchten dicker. Durch die Form des Röhrenknochens liegt der Vergleich mit einem Rohr nahe, da das Rohr für die Technik die optimale Konstruktion eines auf Biegung beanspruchten Stützelementes darstellt. In Anlage 5/ Abb. 13 werden links ein massiv gekrümmter Stab (a) und rechts ein gekrümmtes Rohr (b) auf gleiche Art und Weise exzentrisch belastet. Der massive Stab wird durch den Umbau geradegerichtet und ganz in die Druckrichtung eingestellt, wo durch er die gleiche Festigkeit besitzt jedoch mit deutlich geringerem Materialaufwand. Bei dem Rohr dagegen wird die Wandstärke an die Größe der Biegebeanspruchung angepaßt, während die Achsenform durch den Umbau nicht geändert wird(vgl. Pauwels 1965, S.414).

3.4 Trajektorielle Bauweise des Röhrenknochen

Wie bereits erwähnt bestehen die Knochen nicht nur aus der festen kompakten Masse (Substantia compakta ), die man äußerlich fühlen kann, sondern er besteht auch aus einem schwammigen Gewebe (Substantia spongiosa ) im Inneren. Der Knochen gewinnt seine typischen mechanischen Eigenschaften erst durch die funktionelle Struktur, die ihn zu einem außerordentlich lebendigen und reaktionsfähigen in einem ständigen Umbau befindlichen Gebilde werden läßt. Wenn man sich den Aufbau der Schwammsubstanz (Spongiosa ) genauer betrachtet sieht man, daß der Aufbau nicht irgendwie erfolgt und die Knochenbälkchen nicht geordnet sind, sondern in ganz bestimmten Zügen verlaufen die den Dreh-, Zug-, Druck- und Schubkräften der Knochen entsprechen. Die Kreuzungen der Spongiosabälkchenzüge erfolgen dabei unter rechten Winkeln(Anlage 6/ Abb. 14). Das knöcherne Schwammwerk weist somit eine Architektur auf, die mit der Statik und Mechanik des Knochens in enger Beziehung steht und auch als "Fachwerk" bezeichnet wird(vgl. Tittel 1994, S. 42). "In der Knochenbälkchenarchitektur spiegelt sich die mechanische Belastung und die biologische Beanspruchung wie der, denen der Knochen mit seiner ökonomischen Leichtbauweise während des Lebens ausgesetzt war"(Tittel 1994, S.42). Somit entsteht durch die Bälkchenarchitektur ein biegungsstabiles Fachwerk, insbesondere in den Knochenenden. Mit der Biegungsfrei heit des trajektoriellen Fachwerks ist also eine der Voraussetzungen für eine Minimumkonstruktion geboten. Eine zweite Voraussetzung besteht darin, daß das Fachwerk einen Körper gleicher Festigkeit darstellen muß. Dies geschieht zum einen durch die unter schiedliche Dicke der einzelnen Fachwerkstäbe, oder zum anderen durch eine unter schiedliche Dichte in der Anordnung der Stäbe. Für das Verständnis der Funktion des mit größter Materialersparnis gebauten biegungsfreien Schwammwerks ist die Tatsache, daß es sich nicht nur auf den einzelnen Knochen beschränkt, sondern sich über die Ge lenke hinwegsetzt in die benachbarten Knochen(vgl. Kummer 1959, S. 20). Pauwels erbrachte durch spannungsoptische Versuche den Beweis, daß die Massenverteilung der Spongiosadichte auch einen Rückschluß auf die Art der Beanspruchung erlaubt. Er fand heraus, daß die Verteilung der Spongiosadichte mit der Größenverteilung der Beanspruchung übereinstimmt(vgl. Pauwels 1965, S. 387ff).

3.5 Die Ausbildung röhrenförmiger Lamellen

So wie die trajektorielle Bauweise nur ein kleiner Baustein im gesamten Stütz- und Bewegungsapparat ist unseres Organismus ist, kann auch die Platten- bzw. Röhrenarchitektur des einzelnen Knochens nur als Teil eines Ganzen verstanden werden. So wie das Innere des Knochens durch die funktionelle Anpassung umgestaltet werden kann, richtet sich auch die Dicke der harten Rindenschicht nach der Beanspruchung. Man findet ne ben den Trajektorien der schwammigen Substanz in der derben Rindenschicht noch ein besonderes Bauprinzip vor, das denen ineinander geschobener Röhren entspricht. Der Geflechtknochen, der sich ca. ab dem dritten Schwangerschaftsmonat beim Fetus her ausbildet und dem die große statische Biegefestigkeit fehlt, wird im Kindesalter hinsichtlich seiner Form, Struktur und Funktion zum typischen schalenförmigen oder lamellären Knochen umgewandelt, wobei der Aufbau von Schalen bzw. Lamellenknochen und der Abbau von Geflechtknochen zumeist zur gleichen Zeit am gleichen Ort ablaufen. Die Ausbildung dieser Knochen wird hervorgerufen durch exzentrisch wirkende Kräfte, welche die Knochen zunehmend auf Biegung belasten. Die dabei von einem Mantel anorganischer Substanz umgebenen Kollagenfasern ordnen sich bei dieser Knochenbau art in konzentrisch geschichteten 4 bis 10Fm dicken Lamellen um feinste, im Durchmesser 30 bis 100Fm große Kanäle (sog. Havers-Kanäle),in denen Blutgefäße und Nerven verlaufen. In diesen Lamellen erkennt man eine spiralige Anordnung der kollagenen Fibrillen, wobei die jeweils benachbarten Lamellen ihre Schraubenrichtung umdrehen und sich somit in einem mehr oder weniger spitzen Winkel scherrengitterartig kreuzen. Dadurch kommt es zu einer besonderen Versteifung des Materials und der Knochen erhält eine relativ hohe Biege- und Drehfestigkeit. Die sich aus 5 bis 10 einzelnen Schalen zusammensetzenden Lamellen-Systeme oder Osteone, die an ihren Berührungsflächen etwas gegeneinander verschiebbar sind, können mit Sperrholzröhren verglichen werden, deren dünne Holzplatten mit ihren Faserrichtungen kreuzweise verleimt s ind(vgl. Tittel 1994, S. 42ff).

3.6 Zuggurtung - ein Prinzip zur Reduzierung der Biegebeanspruchung durch das Muskelsystem

Eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung der Biegebeanspruchung des Röhrenknochens ist das Prinzip der Zuggurtung. Dieses Prinzip ist vergleichbar mit einem Gegen gewicht zur äußeren mechanischen Belastung durch die exzentrisch gelagerte Last, wie es zum Beispiel das Körpergewicht des Menschen für die unteren Extremitäten darstellt. Die Abb. 15 b in Anlage 6 zeigt das Prinzip der Aufhebung der Biegung durch eine entsprechende Last auf der entgegengesetzten Seite. Die gleiche Wirkung in der Technik hat ein Zugdraht, wenn er an der Stelle des Gegengewichts mit der gleichen Kraft abwärts zieht. Im Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen ist das Prinzip der Zuggurtung durch die Spannung der Bänder und Muskeln verwirklicht, so daß die Biegebeanspruchung, die der Röhrenknochen durch das exzentrisch gelagerte Körpergewicht er fährt, durch die Spannung in den Muskeln und Bändern stark reduziert wird. Friedrich Pauwels hat dieses Prinzip an zahlreichen spannungsoptischen Versuchen, wie beispielsweise am Oberarmknochen (Humerus) oder des Tractus iliotibialis . Am folgen den Beispiel möchte ich die entlastende Wirkung der Muskeln auf die Beanspruchung des Humerus verdeutlichen. Anlage 6/ Abb.16 a zeigt die Beanspruchung bei einem versteiften Schulter- und Ellenbogengelenk, also bei der Belastung durch das Körpergewicht allein. In Abb.16 b ist am Ellenbogen ein Gelenk eingeschaltet, das durch einen Beugemuskel festgestellt wird. Man sieht, daß die Zahl der schwarzen Linien viel kleiner geworden ist und seine Beanspruchung von 9,2 kg/cm2 auf 4 kg/cm2, in Gelenknähe sogar bis auf 1 kg abgenommen hat(vgl. Pauwels 1965, S. 404ff). " Der zur Humerusachse fast parallel verlaufende M. biceps brachii stellt für den Oberarm nur unwesentliche Biegebeanspruchungen dar. Gleichzeitig erleidet das Unterarmskelett durch die ge lenknahe Ansatzfläche des gleichen Muskels eine hohe Biegebeanspruchung. Der M. brachioradialis vermindert durch seinen günstigen Ansatz und Ursprung diesen Biegeeffekt, vergrößert ihn aber um so mehr am Oberarm"(Leuchte 1999, S. 46). Das bedeutet zusammengefaßt, das nur das Zusammenspiel aller Muskeln zu einem vereinten Zug die Biegebeanspruchung der gesamten oberen Extremität reduzieren können. Das die Zuggurtung nicht nur eine statische, sondern auch eine dynamische Bedeutung erlangt, er klärte Pauwels an den Gangphasen des Menschen. In Anlage 7/ Abb.17 werden 4 Stellungen des Beinskeletts, die während der Standbeinperiode des Ganges aufeinanderfolgen betrachtet. Da die Entlastung des Röhrenknochens auch während der Bewegung notwendig ist, ergibt sich das Problem, daß die Wirkungslinie der Gewichtskraft im Verhältnis zur Stellung der Tibia sich ständig ändert und der Knochen dadurch in unter schiedlicher Richtung auf Biegung beansprucht wird, da die Momentfläche des Körpergewichts in jeder Stellung in Betrag und Richtung verschieden ist. In der Abbildung kann man erkennen, daß die Wirkungsrichtung des Körpergewichts einmal vor, ein anderes Mal hinter der Tibia liegt bzw. schneidet. Des weiteren sieht man, daß das Körpergewicht die Tibia abwechselnd in ganzer Länge oder in ihrem oberen und unteren Abschnitt nach entgegengesetzter Richtung hin auszubiegen trachtet. Außerdem weist die Momentfläche des Körpergewichts die verschiedensten Formen und unterschiedliche Größe auf. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die durch das Körperge wicht allein bedingte grundverschiedene Art der Biegebeanspruchung der Tibia durch die Muskelwirkung in ein und dieselbe Art von Biegebeanspruchung verwandelt wird. Die Tibia braucht dem zu Folge nur für eine Art von Biegebeanspruchung gebaut zu sein, wodurch maximale Materialersparnis gewährleistet ist. Die Gleichverteilung der Biegespannungen in Betrag und Richtung kann also nur dann erreicht werden, wenn die verschiedenen Muskelgruppen zu bestimmten Zeiten wohlkoordiniert wirksam wer den(vgl. Leuchte 1999, S.43ff).

3.7 Seitliches Hüfthinken

Diese Möglichkeit die Biegebeanspruchung zu verkleinern besteht darin, eine exzentrisch wirkende Last bis über die Mitte der Säule zu verschieben(Anlage 7/ Abb. 18). Beim seitlichen Hüfthinken wird durch die Neigung des Oberkörpers der Körperschwer punkt gegen das Hüftgelenk des Standbeines hin verschoben. Dadurch wird der Hebel arm des Standbeines stark verkürzt und die Beanspruchung des Schenkelhalses, also die biegende Wirkung des Körpergewichts, stark reduziert. Dieser Vorgang ist eine " rein funktionelle Anpassung", das bedeutet als Anpassung der Beanspruchungsgröße an eine verminderte Tragfähigkeit des Knochens, die durch komplizierte Reflexmechanismen erzwungen wird und nur vorübergehend während einer Belastung auftritt. Danach er folgt dann allmählich die "morphologische" funktionelle Anpassung, d.h. die Wiederherstellung der Festigkeit des Knochens, wobei das Hüfthinken langsam schwindet. Des halb ist das Nachlassen des Hüfthinkens ein Garant für das Fortschreiten der Heilung(vgl. Pauwels 1965, S. 410).

5 Zusammenfassung

Wie bereits erwähnt, werden alle beschriebenen Konstruktionsprinzipien zur Reduzierung der Biegebeanspruchung des Röhrenknochens auch als biologisch relevante Prinzipien bezeichnet. Diese Prinzipien müssen den im Jahr 1895 von Wilhelm Roux genannten Funktions- und Strukturzusammenhang berücksichtigen. Friedrich Pauwels hat aufbauend auf die Roxschen Lehren um 1960 mit großer Sorgfalt die Konstruktionsprinzipien des menschlichen Körpers ingenieurwissenschaftlich untersucht. Bei seinen Untersuchungen, die er unter statischen Bedingungen durchführte, ging er von den strukturell bedingten Festigkeitseigenschaften des Knochens und den Wirkungen der Skelettmuskulatur aus. Aus diesen Resultaten faßte er schließlich die folgenden Prinzipien zusammen: Die Biegespannung ist die gefährlichste Beanspruchung des Knochens, wobei der Knochen in seinen Eigenschaften von Dichte, Form und Struktur auf die Reduzierung der Biegespannung ausgelegt ist.

Die Anordnung der Muskeln ist derart, daß die Biegespannungen in den Knochen reduziert werden.

Durch antagonistische Muskelaktionen wird im Gelenk die Druckfläche vergrößert und damit eine Verminderung der Druckspannung.

Der großflächig Ansatz der Muskeln in den Knochen bewirkt eine gleichmäßige Druckverteilung im Gelenk und eine Vermeidung der Spitzenspannungen.

Für alle diese Ergebnisse lieferte Pauwels schlüssige Beweise und es wurden bisher auch noch keine widersprüchlichen Resultate bekannt. Da allerdings derzeit eine mathematische Formulierung der Prinzipien noch aussteht, ist die wissenschaftliche Untersuchung dieses Themas nicht abgeschlossen(vgl. Willimczik 1989, S. 99ff).

5 Anlagenverzeichnis

Anlage 1 / Abb. 1 - Quelle: Autorenkollektiv 1994, S.10 Abb. 2 - Quelle: Autorenkollektiv 1994, S.13

Anlage 2 / Abb. 3 - Quelle: Autorenkollektiv 1994, S. Abb. 4 - Quelle: Autorenkollektiv 1994, S.

Anlage 3 / Abb. 5 - Quelle: Marhold 1990, S. 8 Abb. 6 - Quelle: Ballreich/Baumann 1988, S. 47 Abb. 7 - Quelle: Ballreich/Baumann 1988, S. 47

Anlage 4 / Abb. 8 - Quelle: Ballreich/Baumann 1988, S. 48 Abb. 9 - Quelle: Ballreich/Baumann 1988, S. 48 Abb. 10 - selbst erarbeitet

Anlage 5 / Abb. 11 - selbst erarbeitet

Abb. 12 - Quelle: Kummer 1959, S. 31 Abb. 13 - Quelle: Pauwels 1965, S.414

Anlage 6 / Abb. 14 - Quelle: Tittel 1994, S. 42 Abb. 15 - Quelle: Pauwels 1965, S.403

Anlage 7 / Abb. 16 - Quelle: Leuchte 1999, S. 47 Abb. 17 - Quelle: Pauwels 1965, S. 410

6 Literaturverzeichnis

1. Autorenkollektiv.: Sportmedizin und Trainingslehre. Stuttgart, New York: Schattauer Verlag 1994.

2. Ballreich, R.; Baumann, W.: Grundlagen der Biomechanik des Sports. Stuttgart: Enke Verlag 1988.

3. Brauer, R.: Zum Verhältnis von Gesetz und Prinzip in der Theorie der Biomechanik. Halle: Diplomarbeit MLU 1993.

4. Burstein, A.; Wright, M.: Die Biomechanik in Orthopädie und Trau matologie. Georg Thieme Verlag, 1997.

5. Hochmuth, G.: Biomechanik sportlicher Bewegungen. Sportverlag Berlin 1967, 1982.

6. Kummer, B.: Biomechanik des Säugetierskeletts. Berlin: Walter de Gryter & Co. Verlag 1959.

7. Leuchte, S.: Funktionelle Anpassung und Konstruktionsprinzipien des Stütz- und Bewegungs apparates des Menschen. Halle: Studienmaterialien zur Biomechanik Bd. II: 1999.

8. Marhold, G.: Lehrbrief 2 - Biomechanische Voraussetzungen des menschlichen Bewegungsappa rates als eine Grundlage sportlicher Bewe gungen. Leipzig: DHfK Leipzig 1990.

9. Pauwels, F.: Gesammelte Abhandlungen zur funktionellen Anatomie des Bewegungsapparates. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag 1965.

10. Siebertz, K-M.: Biomechanische Belastungsanalysen unter Berücksichtigung der Leichtbauweise des Bewegungsapparates. Göttingen: Cuviller Verlag 1994.

11. Tittel, K.: Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen. Jena: Gustav Fischer Verlag 1994.

12. Willimczik, K.: Biomechanik der Sportarten. Reinbeck: Rowohlt Verlag 1989.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Biomechanische Prinzipien des Stütz- und Bewegungsapparates
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V96877
ISBN (eBook)
9783638095525
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biomechanische, Prinzipien, Stütz-, Bewegungsapparates
Arbeit zitieren
Thomas Uebe (Autor:in), 2000, Biomechanische Prinzipien des Stütz- und Bewegungsapparates, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96877

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