Blinder Gehorsam nach Stanley Milgram


Hausarbeit, 2000

15 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Einführung in das Thema
1.1 Der Autor
1.2 Milgrams Intention
1.3 Grundaufbau des Experiments
1.4 Ausmaße des Experiments
1.5 Varianten des Experiments

2. Gehorsam
2.1 Voraussetzung
2.2 Der Agenszustand
2.3 Die Hierarchie
2.4 Bindungs- und Hemmfaktoren

3. Ungehorsam
3.1 Voraussetzung
3.2 Der Weg zum Ungehorsam und spannungslösende Mechanismen

4. Überprüfung der Ergebnisse
4.1 Bosetzky / Heinrich
4.1.1 Innerer Gehorsam
4.1.2 Kalkulierter Gehorsam
4.1.3 Resignativer Gehorsam
4.1.4 Mechanischer Gehorsam
4.2 Heinrich Popitz

1. Einführung in das Thema

1.1 Der Autor

Stanley Milgram wurde 1933 in New York geboren, promovierte in Sozialpsychologie und lehrte später an der Yale Universität und in Havard. 1964 wurde er mit dem sozialpsychologischen Preis der American Association for the Advancement of Science für seine Untersuchung des Gehorsams gegenüber Autoritäten ausgezeichnet. Bis zu seinem Tod 1984 unterrichtete er als Professor an der Universität von New York Psychologie.

1.2 Milgrams Intention

Milgrams Experiment befaßte sich mit der Frage, in wieweit ein Mensch bereit wäre, einem anderen Schmerzen zuzufügen, wenn ihm dieses von einer Autoritätsperson angeordnet wird. Die Ergebnisse seiner Experimente ergaben eine viel höhere Gehorsamsbereitschaft, als die von ihm und anderen vorausgesagte. Ferner lieferten sie die Erkenntnis, daß eine Handlung, die von einem Individuum auf Befehl ausgeführt wird, psychologisch eine völlig andere ist, als eine, die von diesem Individuum selbst initiiert wird. Ziel Milgrams war es diese Umstände genauer zu analysieren und er versuchte zu erklären, warum ein Mensch im Namen einer Autorität Handlungen beging, zu denen er aus eigenem Antrieb nie bereit wäre, da sie im krassen Gegensatz zu dessen verinnerlichter Moral standen.

1.3 Grundaufbau des Experiments

Milgram und sein Team inserierten Anfang der sechziger Jahre in einer Lokalzeitung, daß sie Freiwillige suchten, um an einem Experiment über Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit teilzunehmen. Statt fand das Experiment in einem eigens hierfür hergerichteten Labor der Universität Yale. Es nahmen jeweils zwei Versuchspersonen an einem Experiment teil. Die Freiwilligen wurden durch einen Versuchsleiter, der die Rolle der Autorität einnahm, in den technischen Ablauf des Experiments eingeführt. Der Versuchsleiter, ein Mann in weißem Kittel, welcher seinen Status symbolisierte, erklärte den Probanden, daß untersucht werde, inwiefern Bestrafung und Schmerz Einfluß auf das Lernverhalten eines Menschen hätten. Hierzu wurden sie durch ein Losverfahren in Schüler und Lehrer aufgeteilt. Dieses Verfahren war manipuliert, genau wie die Wahl der Freiwilligen, da einer dieser beiden in das Experiment eingeweiht war. Das Losen ergab stets, daß der Eingeweihte Schüler und der Uneingeweihte, welcher das eigentliche Untersuchungsziel des Experimentes war, Lehrer sein würde. Der Versuchsleiter erläuterte nun den weiteren Ablauf:

Der Schüler sollte eine Liste von Assoziationspaaren auswendig lernen und sein Partner, der Lehrer, würde ihn überprüfen. Man zeigte den Versuchsteilnehmern einen Schockgenerator, der mit einer Instrumententafel verbunden war. Auf dieser waren 30 Schalter in einer Reihe angebracht. Diese waren beschriftet mit Voltzahlen, die in Abständen von jeweils 15 Volt von 15 V bis 450 V reichten. Die Schalter waren aufsteigend angeordnet und zusätzlich noch mit Definitionen wie „leichter Schock“, „mittelschwerer Schock“ und „sehr schwerer Schock“ betitelt. Nach diesen Erläuterungen gingen Lehrer, Schüler und der Versuchsleiter in einen benachbarten Raum, in dem eine Art elektrischer Stuhl aufgebaut war. Der eingeweihte Schüler sollte auf diesem Platz nehmen und wurde durch Riemen fixiert. Elektroden wurden an ihm befestigt und mit dem Generator verbunden. Der Versuchsleiter bemerkte nun stets, daß die Schocks zwar schmerzhaft wären, jedoch keine bleibenden Gewebeschäden hinterlassen würden.

Natürlich war der Schüler nicht wirklich mit dem Generator verbunden und Schocks bekam er auch keine, er war lediglich ein guter Schauspieler. Der Lehrer hingegen, die eigentliche Versuchsperson, war stets von der Authentizität der Situation überzeugt, da ihr zusätzlich noch ein Probeschock von 45 V verabreicht wurde. Die Aufgabe des Lehrers war nun den Schüler zu testen. Dazu laß er ihm Wortpaare nacheinander vor und fragte sie anschließend ab. Gab der Schüler eine falsche Antwort, sollte der Lehrer einen Elektroschock verteilen. Dabei sollte die Schockstärke stetig erhöht werden, pro Fehler 15 V mehr.

Da es sich um ein wissenschaftliches Experiment handelte, ist es noch wichtig zu erwähnen, daß dessen Ablauf größtenteils standardisiert war. Die gespielten Reaktion des Opfers waren bei jedem Versuch genau gleich, kamen bei Verwendung einer akustischen Rückkopplung zwischen Schüler und Lehrer vom Band, und auch die Motivationen des Versuchsleiters die Versuchsperson zum Fortführen des Experimentes zu bewegen waren immer die Selben.

Nun begann das Experiment, der Schüler antwortete zu Anfang mehrmals richtig und einige Male falsch. Bei jedem Fehler sollte der Lehrer den Schüler bestrafen. Bei 75 V begann der Schüler zu stöhnen und zu klagen. Bei 150 V bat das Opfer darum aufzuhören. Bei 180 V schrie es, daß es die Schmerzen nicht mehr aushalten könne und sofort frei gelassen werden wollte. Natürlich waren die Versuchspersonen oft irritiert und wandten sich an den Versuchsleiter, der sie durch Aufforderungen wie: „Machen sie Weiter“, oder „Sie müssen weitermachen“, meist zum Fortsetzen der Bestrafung bringen konnte. Ab einer gewissen Voltzahl war keine Reaktion mehr von dem Schüler wahrzunehmen, und Antworten, ob richtig oder falsch, blieben aus. War die Versuchsperson jetzt noch bereit die Bestrafung bis zur höchsten Stufe durchzuführen, wurde sie mit der höchsten Voltzahl noch 2 mal wiederholt und das Experiment vom Versuchsleiter beendet.

1.4 Ausmaße des Experiments

Das Experiment wurde in den Jahren 1960 bis 1963 an der psychologischen Fakultät der Yale Universität durchgeführt und später noch in Princeton, München, Rom, Südafrika und Australien wiederholt.

Die Versuche wurden in mehreren Versuchsreihen mit jeweils 40 Versuchspersonen durchgeführt. Im Kern der Untersuchungen standen vier verschiedene Versuchsaufbauten, um die Gehorsamsbereitschaft von Versuchspersonen zu testen. In der ersten Reihe (Fernrückkopplung) waren Lehrer und Schüler sowohl räumlich als auch akustisch voneinander getrennt. Die Antworten des Schülers waren lediglich auf der Instrumententafel des Lehrers durch blinken von Lampen zu erkennen. Diese Trennung zwischen Schüler und Lehrer lieferte das Ergebnis, daß 26 von 40 Versuchspersonen bereit waren die Bestrafung bis zur höchsten Stufe durchzuführen. In der zweiten Versuchsreihe (akustische Rückkopplung), die wie jede Reihe mit neuen Versuchspersonen durchgeführt wurde, war es diesen möglich die Reaktionen des Schüler durch die Laborwand zu hören. Bei dieser Annäherung von dem vermeidlichen Opfer zur Versuchsperson führten immer noch 25 von 40 Testpersonen die Bestrafung bis zum Ende durch.

Erst die dritte Versuchsreihe (Raumnähe) führte dazu, das sich mehr Versuchspersonen dazu entschieden den Gehorsam zu verweigern. Hierbei war das Opfer durch eine Glasscheibe für die Versuchsperson sichtbar und die zwar nur gespielten Schmerzen und Befreiungsversuche, waren klar zu erkennen. Hier waren noch 16 Versuchspersonen bereit das Experiment bis zum Ende durchzuführen. Die vierte Versuchsreihe (Berührungsnähe) forderte von den Versuchspersonen einen noch aktiveren Einsatz bei der Bestrafung der Schüler. Um den Schock zu erhalten mußte der Schüler mit seiner Hand eine Kontaktplatte berühren. Ab einer gewissen Voltzahl weigerte er sich dies zu tun. Der Lehrer wurde vom Versuchsleiter aufgefordert in diesem Fall die Hand des Schülers auch unter Gegenwehr auf die Platte zu drücken. Hier waren 12 der 40 Versuchspersonen bereit die Bestrafung bis zur höchsten Voltzahl durchzuführen.

1.5 Varianten des Experiments

Milgram erkannte, daß diese 4 Testreihen nicht ausreichten um eine genaue Analyse über die Bereitschaft zum Gehorsam zu erstellen, und er schloß noch weitere Varianten an. Insgesamt waren es 18 Testreihen von denen ich nur die wichtigsten kurz erwähnen will.

Experiment 7

Bei dieser Variante verließ der Versuchsleiter unter einem plausiblen Vorwand das Laboratorium, nachdem er die Versuchsperson instruiert hatte und gab seine weiteren Anweisungen nur noch über Telefon. Hierbei waren lediglich noch 9 Versuchspersonen bereit die Bestrafung bis zur höchsten Schockstufe durchzuführen. Milgram erklärte dies mit dem Zusammenhang, daß die körperliche Anwesenheit der Autoritätsperson direkte Auswirkungen auf die Gehorsamsbereitschaft der Versuchsperson hatte. Bestätigt wurde dies durch die Tatsache, daß Versuchspersonen die sich weigerten das Experiment fortzuführen, oft weitermachten sobald sich der Versuchsleiter wieder zu ihnen begab.

Experiment 8

Hierbei wurden zum ersten Mal auch Frauen als Versuchspersonen eingesetzt. Milgram wollte untersuchen, ob es einen geschlechtsspezifischen Unterschied in den Testergebnissen geben würde. Dieser blieb jedoch aus und die Testergebnisse waren fast deckungsgleich.

Experiment 13

Durch gewisse Umstände ergab sich in dieser Testreihe die Situation, daß die Position des Versuchsleiters nicht länger von einer legitimen Autorität, sondern von einer Person, die den selben Status wie die Testperson hatte, eingenommen wurde. Diese bediente sich der selben Motivationen wie der ursprüngliche Versuchsleiter. Dies hatte zur Folge, daß sich 80% der Versuchspersonen dem Gehorsam widersetzten. Milgram erkannte, daß es wichtig für die Versuchspersonen war, welchen Status und Glaubwürdigkeit der Versuchsleiter im Rahmen der Institution inne hatte.

2. Gehorsam

2.1 Voraussetzungen

Um das Verhalten der Versuchspersonen bei denen es zu keiner Gehorsamsverweigerung kam zu verstehen, ist es wichtig bestimmte Verhältnisse zu klären. Vor dem Beginn der Experimente wurden Studenten und Psychologen zu ihren Einschätzungen der späteren Ergebnisse befragt. Diese vermuteten, daß nur ein schwindend geringer Teil der Versuchspersonen bereit wäre, die Bestrafung bis zur zum Ende durchzuführen. Man ging davon aus, daß die Versuchspersonen allein nach ihrem Gewissen handelten und deshalb die Bestrafung spätestens dann aussetzen würden, wenn das Opfer den Abbruch wünschte. Der Teil der Versuchspersonen, die bis zur höchsten Voltzahl bestraften, wären nach den Einschätzungen der Experten sadistisch oder grausam veranlagt. Die genannten Ergebnisse zeigten aber, daß ein erschreckend hoher Anteil der Versuchspersonen bereit war das Experiment bis zum Ende durchzuführen. Nun kann man all diesen Menschen aber nicht unterstellen sadistische oder grausame Wesenszüge in sich zu tragen und man muß eine andere Erklärung für deren Verhalten finden. Milgram entwickelte hierfür mehrere Erklärungsansätze, die erst vereint einen Ansatz einer Erklärung liefern.

2.2 Der Agenszustand

Für seine Analyse benutzte Milgram den Begriff: „Agenszustand“. Hiermit beschrieb er die Zeit in der die Versuchsperson bereit war, sich der Autorität des Versuchsleiters zu unterwerfen und die Bestrafung durchzuführen.

Die Voraussetzung für den Wechsel von dem selbstbestimmten, autonomen Zustand der Versuchsperson, in den der Agens, werden schon in den ersten Lebensjahren des Individuums geschaffen. In der Regel sind es zunächst die Eltern, denen das Kind gehorcht, später die Lehrer in der Schule und schließlich im Berufsleben die Vorgesetzten. Herbei lernt der Einzelne, den Befehlen der Autoritäten, unabhängig von deren Inhalt, zu gehorchen. Er erlernt die Fähigkeit, Autoritäten in bestimmten Situationen zu erkennen und sich diesen unterzuordnen. Im Falle des Experiments befindet sich die Versuchsperson in einer Situation, in der die legitime Autorität vom Versuchsleiter verkörpert wird. Die Macht der Autorität, das Handeln der Versuchsperson zu bestimmen, wird ihr somit auch von dieser zugesprochen, da sie es so in ihrer Entwicklung gelernt hatten.

2.3 Die Hierarchie

Zwar ist es dem Menschen möglich als Individuum zu handeln und sich somit als eigenverantwortlich für seine Taten zu verstehen, jedoch ist der gesellschaftliche Einfluß auf den Einzelnen größer, als er vielleicht zunächst erscheint. So hat die menschliche Entwicklung gezeigt, daß hierarchische Strukturen und damit ein geordnetes System der einzelnen Individuen untereinander, viele Vorteile in einer komplexen Gesellschaft mit sich bringt. Zwangsläufig heißt das aber auch, daß es in diesem System Individuen gibt, die das Handeln anderer beeinflussen und sogar steuern können bzw. dürfen. Ein einfaches Beispiel hierfür wäre das Militär, bei dem sich die Hierarchie Tannenbaumförmig entwickelt. Es gibt einen oder mehrere Individuen an die Spitze, die befugt sind, die ihnen Unterstellten zu befehligen. Die Bedeutung der Hierarchie im Experiment ist folgendermaßen zu verstehen:

Die Versuchsperson schreibt dem Versuchsleiter ein gewisses Maß an Autorität zu. Diese wird legitimiert durch den wissenschaftlichen Rahmen des Experimentes. Wissenschaft an sich hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Der Versuchsleiter wird von den Versuchspersonen als ein legitimer Repräsentant dieser Institution anerkannt. Damit stellt er für die Versuchsperson eine Autorität dar. Bekräftigt wird dieses Verhältnis durch den offiziellen Rahmen des Experiments, es handelt sich um eine hoch angesehene Universität und die wissenschaftliche Bedeutung von Experimenten wird wohl von jeder Versuchsperson als legitim und förderungswürdig verstanden.

Ein weiterer Aspekt der Hierarchie ist der Umstand, daß die Verantwortung für die Handlungen des Einzelnen, nach seinem Verständnis nicht mehr von ihm selbst, sondern von der Autorität getragen wird, die diese anordnet. So fragten die Versuchspersonen in dem Experiment oft, ob der Versuchsleiter die Verantwortung für die Konsequenzen tragen würde und fuhren erst fort, wenn ihnen dieses bestätigt wurde.

2.4 Bindungs- und Hemmfaktoren

Milgram stellte fest, daß eine Veränderung in der Versuchsperson stattfinden mußte, die sie dazu brachte, nicht länger nach ihrem moralischen Verständnis zu handeln, sondern sich selbst auf ein ausführendes Organ einer höheren Autorität zu reduzieren. Hier kommen die von Milgram entworfenen Hemm- und Bindungsfaktoren ins Spiel.

Als Hemmfaktoren versteht man hierbei Einflüsse, die auf die Versuchsperson einwirken und es dahin bewegen den Gehorsam zu verweigern und das Opfer aus seiner Zwangslage zu befreien. Milgram verweist hierzu auf die Eigenart eines Organismus nicht gegen andere der gleichen Art vorzugehen. Dieser Umstand resultiert aus seiner Notwendigkeit in einem sozialen Gefüge, welches ohne diese Hemmung nicht funktionieren könnte, da Gewalt im allgemeinen eine destruktive Wirkung zugesprochen wird.

Bindungsfaktoren sind laut Milgram die Einflüsse auf das Individuum, die es dazu bringen im Agenszustand zu verweilen, auch wenn es bereits seinen Unwillen und seinen Zweifel an der Richtigkeit des Experiments verkündete. Einer dieser Faktoren ist die Tatsache, daß ein Abbruch des Experiments, also die Entscheidung der Versuchsperson den Gehorsam zu verweigern, die Erkenntnis mit sich bringt, daß die zuvor ausgeführte Handlung bereits ein Fehler war. Die Versuchsperson müßte diese in Frage stellen, und sie als falsch anerkennen. Wenn sie jedoch weitermacht, erscheint ihr vorangegangenes Verhalten gerechtfertigt. Somit verbaut sie sich selbst die Entscheidung das Experiment abzubrechen.

Des weiteren fühlt sich die Versuchsperson dem Versuchsleiter für die Dauer des Experiments verpflichtet. Sie stimmte der Teilnahme an dem Experiment zu und wurde außerdem, wenn auch gering, dafür bezahlt. Die Gehorsamsverweigerung wäre also zusätzlich noch das Brechen eines unausgesprochenen Vertrages zwischen der Versuchsperson und der Autorität.

3. Ungehorsam

3.1 Ursachen

Damit sich die Versuchsperson dazu entscheidet den Gehorsam zu verweigern, sich also aus dem Agenszustand befreit, müssen bestimmte Faktoren auf sie einwirken. Die Tatsache, einem Unschuldigen Schmerzen zuzufügen, widerspricht zum Beispiel den allgemeinen Verhaltensnormen der Gesellschaft. Die Versuchsperson ist ebenfalls der Meinung, daß es eben so gut sie hätte sein können, die auf dem Stuhl sitzt, und sie würde auf jeden Fall erwarten, daß sie das Experiment jederzeit beenden könnte, wenn sie dies wolle. Diese Faktoren erwecken eine Spannung in der Versuchsperson, die sich simultan mit dem Zunehmen der zu verteilenden Schock erhöht. Um so mehr sich die Spannung in der Versuchsperson erhöht, um so größer wird auch ihr Konflikt mit der Bestrafung aufzuhören oder weiterzumachen.

3.2 Der Weg zum Ungehorsam und spannungslösende Mechanismen

Milgram beobachtete, daß der Schritt zum Ungehorsam mit verschiedenen Verhaltenszuständen der Versuchspersonen verbunden war. Zunächst äußerten die Versuchspersonen ihren Zweifel an dem Experiment gegenüber dem Versuchsleiter. Da dieser aber auf seiner Absicht beruht, mit dem Versuch fortzufahren, gingen die Versuchspersonen in eine Phase der Dissenz über, in der sie versuchten den Versuchsleiter zu überreden das Experiment vorzeitig zu beenden. Die Entwicklung der Versuchsperson kommt nun an einen interessanten Punkt, zum einen setzt diese einen Prozeß in Gang, der schließlich zum Ungehorsam führen kann, auf der anderen Seite bewirkt sie aber auch das Gegenteil:

Da die Versuchsperson ihre Zweifel äußerte, ist sie unter Umständen der Meinung mit ihrem Gewissen wieder ins Reine gekommen zu sein, da sie ja eigentlich nicht länger mit der Bestrafung fortführen wollte. Dies heißt aber keinesfalls, daß sie das auch tut. Milgram nennt dieses Phänomen einen spannungslösenden Mechanismus, der den inneren Konflikt der Versuchsperson lindert.

Steigert sich die Spannung dennoch, beginnt die Versuchsperson mit dem Abbruch des Experiments zu drohen und erst hiernach kommt es zur Gehorsamsverweigerung.

4. Überprüfung der Ergebnisse

4.1 Bosetzky / Heinrich

Neben Stanley Milgram gab es natürlich noch andere Menschen, die sich mit dem Gehorsam gegenüber Autoritäten beschäftigten. Zwei von ihnen sind Bosetzky und Heinrich, die im Rahmen ihrer Untersuchungen vier maßgebliche Gründe für Gehorsam erarbeiteten.

4.1.1 Innerer Gehorsam

„1. Sie stimmen innerlich, d.h. von den Werten, die sie hochschätzen, und von ihren Gefühlen her mit dem überein, was in den der Organisation von ihnen verlangt wird.“ (Bosetzky / Heinrich, Köln 1985, S.142ff)

Diese These stimmt mit der Analyse Milgrams überein. Für die Versuchspersonen war ihr Handeln im Experiment eine Zusammenarbeit mit der Institution der Wissenschaft. Zudem kann man ihnen, da sie sich für das Experiment freiwillig meldeten, unter anderem, ein persönliches Interesse an dieser Arbeit zuschreiben. Die von Bosetzky und Heinrich beschriebene innerliche Übereinstimmung der Gehorsamen mit der Organisation, ist somit in Milgrams Experiment gewährleistet.

4.1.2 Kalkulierter Gehorsam

„ 2. Sie leisten genau den Gehorsam, für den sie glauben, bezahlt oder anderweitig belohnt zu werden, d.h. sie bieten ihrem Arbeitgeber... soviel an Arbeit und Loyalität an, dass er sie möglichst hoch belohnt (und zwar mit Geld und Statussymbolen sowie immateriellen Gütern wie Anerkennung und Sinngebung für das Leben in der Gemeinschaft) bzw. möglichst wenig bestraft. “ (Bosetzky / Heinrich, Köln 1985, S.142ff)

Auch diese These läßt sich auf das Experiment anwenden. Die Versuchspersonen standen in einer Art Vertragssituation mit dem Versuchsleiter. Sie hatten das Bestreben seinen Aufforderungen nachzukommen und damit ihren Teil des Vertrages zu erfüllen. Milgram verwies in seinem Buch auf die Tatsache, daß die Bezahlung sehr gering gehalten wurde und deshalb kaum als Grund für den Gehorsam der Versuchspersonen in Betracht gezogen werden kann. Zu vermuten ist aber, daß die Höhe der Bezahlung in der Konfliktsituation der Versuchspersonen überhaupt keine Rolle spielt, allein ihre Präsenz bindet die Versuchspersonen innerlich an die Erfüllung des Vertrages. Des weiteren stellte Milgram fest, daß die Versuchspersonen gewillt waren den Versuchsleiter zufrieden zu stellen, um dadurch seine Anerkennung zu gewinnen und ihren Beitrag zu dem Gelingen des Experiments zu leisten.

4.1.3 Resignativer Gehorsam

„ 3.Sie fügen sich ihrem Schicksal als abhängige Arbeitnehmer und sind gehorsam, weil sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen bzw.ökonomischen Lebenslage keine Alternative sehen oder haben. “ (Bosetzky / Heinrich, Köln 1985, S.142ff)

Der resignative Gehorsam kann nur bedingt auf Milgrams Experiment angewendet werden. Dies resultiert aus der Tatsache, daß die Versuchspersonen freiwillig an dem Experiment teilnahmen und ihnen zusätzlich bestätigt wurde, daß sie den Versuch jederzeit und ohne jegliche Konsequenzen für sie beenden konnten. Dennoch läßt sich diese These zumindest auf einen Teil der Versuchspersonen anwenden. Manche von ihnen waren aufgrund ihres Selbstverständnisses nicht in der Lage den Nutzen und die Berechtigung des Experimentes in Zweifel zu ziehen. Der offizielle Rahmen des Experiments und die Anwesenheit von geschultem Fachpersonal ließen es für diese Versuchspersonen nicht zu, den Sinn des Ganzen in Frage zu stellen, nach dem Motto: „Wer bin ich denn, diese Autorität anzuzweifeln?“

4.1.4 Mechanischer Gehorsam

„ 4. Sie reagieren unreflektiert und mechanisch auf bestimmte Symbole und Daten, wie sie im Verlaufe normierter und programmierter Arbeitsprozesse an ihrem Arbeitsplatz gelangen, sowie auf die Impulse technischer Geräte, wie etwa der U-Bahnfahrer „ ganz automatisch “ (!) bremst, wenn ein Signal rot aufleuchtet. “ (Bosetzky / Heinrich, Köln 1985, S.142ff)

Auch diese Art des Gehorsams läßt sich nicht ohne Einschränkung auf das Experiment beziehen. Voraussetzung hierfür wäre eine gewisse Routine bei einer gleichbleibenden Tätigkeit des Individuums. Im Experiment waren die Versuchspersonen aber zum ersten Mal in einer solchen Situation und ein mechanisches Reagieren auf bestimmte Reize war deshalb nicht festzustellen. Anzuwenden ist der mechanische Gehorsam hierbei nur durch eine Verallgemeinerung. Ein Teil der Versuchspersonen ist es gewohnt Anweisungen zu bekommen und diese ohne eine weitere Überprüfung auf deren Inhalt auszuführen. Milgram beobachtete, daß einige Versuchspersonen während des Experiments erstaunlich ruhig blieben, der innere Konflikt der Versuchspersonen, der sich in Spannungen manifestierte, schien fast völlig auszubleiben und die Bestrafung wurde unpersönlich und mechanisch durchgeführt. Dieses Verhalten kann durch den mechanischen Gehorsam erklärt werden.

4.2 Heinrich Popitz

Auch Heinrich Popitz beschäftigte sich mit Gehorsam gegenüber einer Autorität. Er setzt dabei die besondere Beziehung zwischen dem Autoritätsabhängigen und der Autoritätsquelle in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. In Milgrams Experiment handelt es sich dabei um das Verhältnis zwischen Versuchsperson und Versuchsleiter. Die Versuchsperson ist demnach stark auf den Versuchsleiter fixiert, dabei insbesondere auf dessen Handlungen, die der Versuchsperson Rückschlüsse auf ihr Verhalten erlauben.

Popitz formulierte in diesem Zusammenhang verschiedene Kennzeichen, welche die Beziehung zwischen Autorität und Empfänger charakterisieren.

Zunächst stellt er fest, daß die Anerkennung einer Autorität dazu führen kann, daß deren Ideale und Absichten vom Autoritätsempfänger übernommen werden. Somit würde der Empfänger auch ohne Anwesenheit der Autorität nach deren Wünschen handeln. Milgrams Experiment Nummer 7 (s.o.) zeigt aber, daß dem nicht immer so ist. Der größte Teil der Versuchspersonen setzte die Bestrafungen aus, alsbald die Autorität ihr direktes Umfeld verließ. Erklären läßt sich dies durch den inneren Konflikt der Versuchspersonen, die ohne direkte Anwesenheit der Autorität, eher dazu geneigt sind nach ihrem Gewissen, also nach ihrer Moral, zu handeln. Die Versuchspersonen übernahmen die Ideale und die Absicht des Versuchsleiters, das Experiment bis zum Ende durchzuführen nur bedingt, was eine Voraussetzung für einen eventuellen Gehorsamsabbruch darstellt.

Ferner beschreibt er die Anerkennung einer Autorität, als eine Anerkennung deren Überlegenheit. Diese wird im Falle von Milgrams Experiment durch das immense Wissen, die besseren Kenntnisse, die größere Erfahrung und die höhere Einsicht in die Materie, die dem Versuchsleiter von der Versuchsperson zugeschrieben wird, definiert. Diese Anerkennung führt zu einer immensen Anpassungsbereitschaft, durch die sich erklären läßt, warum so viele Versuchspersonen nicht in der Lage waren mit der Autorität zu brechen.

Quellennachweis

Literatur

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zitate

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Blinder Gehorsam nach Stanley Milgram
Hochschule
Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel; Standort Wolfenbüttel
Autor
Jahr
2000
Seiten
15
Katalognummer
V96856
ISBN (eBook)
9783638095310
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Blinder, Gehorsam, Stanley, Milgram
Arbeit zitieren
Robert Siegl (Autor:in), 2000, Blinder Gehorsam nach Stanley Milgram, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96856

Kommentare

  • Gast am 9.9.2001

    gute hausaufgabe.

    Ich finde diese Hausaufgabe wurde richtig gut gemacht. sie weist keinerlei bzw. kaum Lückn auf ist leicht verständlich und ziemlich aufschlussreich. Ein dickes Lob an den Verfasser. GUTE ARBEIT!

Blick ins Buch
Titel: Blinder Gehorsam nach Stanley Milgram



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden