Diagnostik psychischer Störungen im Erwachsenenalter


Hausarbeit, 1998

12 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Allgemeines zu den Zwangsstörungen

2. Klassifikation nach ICD-10
2.1. Diagnostische Kriterien

3. Klassifikation nach DSM-IV

4. Verlauf der Zwangsstörung

5. Differentialdiagnose und Comorbidität
5.1. Zwang und Depression
5.2 Zwang und Angststörung
5.3. Zwang und Schizophrenie
5.4. Zwang und Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

6. Theoretische Modelle
6.1. Zwei-Faktoren-Modell
6.2. Kognitives Zwangsmodell

7. Diagnostische Instrumente zur Erfassung des Zwangs

8. Therapie von Zwangsstörungen
8.1. Konfrontation und Reaktionsverhinderung
8.2. Behandlung von Zwangsgedanken
8.2.1. Konfrontationsverfahren
8.2.2. Unterdrücken oder Beendigen der Gedanken
8.2.3. Kognitives Therapieverfahren

9. Literatur

1. Allgemeines zu den Zwangsstörungen

Zwangsstörungen sind komplexe klinische Zustandsbilder, die einen Patienten (und dessen soziale Umgebung) zumeist massiv beeinträchtigen, sowohl dessen berufliches, soziales und familiäres Leben als auch sein Freizeitverhalten und Genußerleben. Zentrale Vorstellungen, Handlungen und Rituale schränken den Lebensvollzug einer Person und ihren Spielraum in höchstem Maße ein

Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sind von der Zwangsstörung betroffen, wobei eine genaue Erfassung hier deshalb schwierig ist, weil gerade Patienten mit Zwängen versuchen, ihre Störung lange zu verheimlichen. Neuere Studien gehen bei der Geschlechtsverteilung von einem Verhältnis von 55% Frauen zu 45% Männern aus.

Innerhalb der Familie gibt es eine deutliche Häufung des Auftretens von Zwängen, jedoch müssen diese Häufungen bei Verwandten ersten Grades von Zwangspatienten nicht unbedingt als Zwänge ausgeprägt sein, sondern sie betreffen zumeist verschiedene „neurotische“ Stö- rungen.

2. Klassifikation nach ICD-10

Die Zwangsstörung (F42) wird klassifiziert unter den Angststörungen.

Wesentliche Kennzeichen der Zwangsstörung sind Zwangsgedanken und/oder Zwangshand- lungen.

Unter „F42.0 Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang“ werden Zwangsgedanken als Bewußtseinsinhalte beschrieben, über die der Patient keine Kontrolle besitzt und deren Inhalt Unruhe, Angst und Erregung auslöst. Die Person kann sich die Gedanken meist nicht erklären und erlebt sie als sehr störend, beeinträchtigend und sinnlos.

Der Inhalt eines Zwangsgedanken besitzt oft einen rationalen Kern („Ist der Gasherd abge- dreht?“), aber das Ausmaß der Beeinträchtigung stellt sich oft völlig übertrieben dar. Bei Zwangsgedankeninhalten dominieren die aggressiven Zwangsgedanken, Zwangsgedan- ken, die sich auf Verschmutzung, Ansteckung, Gewalttätigkeit, Religion und Sexualität be- ziehen. Die aggressiven Zwangsgedanken können sich in Befürchtungen äußern, sich selbst wie auch andere zu verletzen, aufgrund unkontrollierbarer Impulse zu handeln oder durch

Unachtsamkeit andere zu schädigen. Zwangsgedanken, die sich auf Verschmutzung beziehen, können konkret Sorgen über oder Ekel in bezug auf körperliche Ausscheidungen sein, oder Sorgen über Schmutz und Keime mit den Befürchtungen, sich selbst oder andere zu infizieren bzw. zu erkranken.

Die Beziehung zwischen Grübelzwängen und Depression ist besonders eng. Eine Zwangsstörung ist nur dann zu diagnostizieren, wenn der Grübelzwang nicht während einer depressiven Episode auftritt und anhält.

Erscheinungsformen von Zwangsgedanken sind:

- Zwanghaftes Zweifeln ( der Patient beschäftigt sich über lange Zeit hinweg mit Gedanken über eigene Handlungen und deren Folgen [„habe ich jemanden verletzt, als ich nach Hause gefahren bin?“... „War dort nicht ein Schatten, es hätte ein Verletzter sein kön- nen?“... „Ich sollte die Polizei anrufen.“ usw.]),
- Zwanghafte Impulse (Spüren eines subjektiven Drangs, bestimmte Handlungen auszufüh- ren, z.B. Fluchen in der Kirche, Schlagen od. Verletzen [z.B. Fallenlassen] eines Kindes) und
- Zwanghafte Vorstellungen/Bilder (gegen den Willen des Patienten; die Bilder kann er kaum bzw. überhaupt nicht beeinflussen [Bilder einer Auto- oder Flugzeugkatastrophe, verwesende Leichen]).

Unter „F42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]“ werden Zwangshandlungen als meist exzessive Wiederholungen beschrieben, die alltägliche Verhaltensausschnitte darstellen. Die Zwangsakte laufen zumeist stereotyp ab und bekommen den Charakter von Ritualen (bestimmte Akte werden mehrere Male hintereinander realisiert). Dieses Verhalten der Patienten dient dazu, äußerstes Unbehagen od. schreckliche Ereignisse od. Situationen un- wirksam zu machen bzw. zu verhüten.

Als häufigste Zwangshandlungen zeigen sich das Kontrollieren und das Waschen bzw. Reini- gen. Das zwanghafte Kontrollieren bezieht sich häufig auf Elektrogeräte oder Türschlösser, wobei das „Haften“ an einzelnen Objekten soviel Zeit in Anspruch nehmen kann, daß für das Verlassen der Wohnung bis zu mehrere Stunden benötigt werden. Kontrollen können sich aber auch darauf beziehen, jemanden verletzt oder z.B. einen Fehler am Arbeitsplatz gemacht zu haben. Zwanghaftes Waschen äußert sich meistens im exzessiven, in ritualisierter Form durchgeführten Händewaschen (z.B. bis zu 100mal am Tag nach Kontakt mit vermeintlich

„verseuchten“ Gegenständen, wobei eine ganz bestimmte Abfolge eingehalten werden muß). In ähnlicher Form können auch andere Abläufe der Körperpflege durch Zwangsverhalten be- einträchtigt werden (z.B. Duschen, Zähneputzen usw.). Zu dieser Gruppe von Zwangshand- lungen gehört auch die Reinigung von vermeintlich beschmutzten Gegenständen. Unter den Zwangsstörungen werden außerdem „F42.2 Zwangsgedanken und -handlungen gemischt“, „F42.8 Sonstige Zwangsstörungen“( Primäre zwanghafte Langsamkeit: alltägliche Handlungen (Anziehen, Frühstücken...) werden extrem langsam und bedächtig ausgeführt, wie im Zeitlupentempo) und „F42.9 Zwangsstörung nicht näher bezeichnet“ klassifiziert.

2.1. Diagnostische Kriterien

Die diagnostischen Leitlinien für Zwangsstörungen nach dem ICD 10 besagen, daß Zwangsgedanken und/oder -handlungen an den meisten Tagen mindestens zwei Wochen lang bestehen, quälend sind und die normalen Aktivitäten stören.

Merkmale der Zwangsgedanken, -handlungen sind folgende:

- Zwangsgedanken und -handlungen werden als eigene Gedanken/Handlungen angesehen und nicht als von außen eingegeben.
- Sie wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm empfunden; mindestens ein Zwangsgedanke oder eine -handlung werden als übertrieben und unsinnig anerkannt
- Vom Patienten wird der Versuch unternommen, Widerstand zu leisten; aber gegen min- destens einen Zwangsgedanken oder eine -handlung wird gegenwärtig erfolglos Wider- stand geleistet (wenn wiederholt nicht widerstanden werden konnte, gibt die Person nach, und Zwangshandlungen werden in die alltägliche Routine integriert).

Betroffene leiden unter den Zwangsgedanken, -handlungen und/oder werden in ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert, meist durch den besonderen Zeitaufwand.

3. Klassifikation nach DSM-IV

Zwangsstörungen (300.3) werden auch hier unter den Angststörungen klassifiziert, es gibt aber einige kleine Unterschiede zum ICD-10.

Im DSM-IV werden als Hauptmerkmal der Zwangsstörung wiederkehrende Zwangsgedanken und/oder -handlungen beschrieben, die schwer genug sind, um zeitaufwendig zu sein (sie be- nötigen mehr als eine Stunde am Tag). Im ICD-10 erfolgt hier eine genauere Beschreibung, indem

gesagt wird, daß Zwangshandlung an den meisten Tagen, mindestens zwei Wochen lang be- stehen.

Im DSM-IV gibt es die Zusatzcodierung „Mit Wenig Einsicht“. Diese Zusatzcodierung kann herangezogen werden, wenn die Person im Verlauf der derzeitigen Episode die meiste Zeit nicht erkennt, daß die Zwangsgedanken oder -handlungen übertrieben oder unbegründet sind. Hier erfolgt im ICD-10 eine ungenauere Beschreibung, indem lediglich gesagt wird, daß im allgemeinen, wenn auch nicht immer, dieses Verhalten von der betroffenen Person als sinn- los und ineffektiv erlebt wird.

4. Verlauf der Zwangsstörung

Nur ca. ¼ aller Patienten mit schweren psych. Störungen suchen eine professionelle Therapie auf. Man weiß daher nur sehr wenig über Beginn, Merkmal und Verläufe der Zwangsstörung. Die Festlegung des Beginns dieser Störung erfolgt meist willkürlich und fast ausschließlich retrospektiv und kann dadurch fehlerbehaftet sein.

Man weiß, daß Waschzwänge zu etwa ¾ der Fälle sehr abrupt beginnen, so daß sich ihr erstes Auftreten einigermaßen klar festhalten läßt. Kontrollzwänge beginnen dagegen in ca. 2/3 der Fälle schleichend und führen dann bis zu einem Ausmaß, das schließlich unerträglich wird. Das Durchschnittsalter bei Beginn der Zwangsstörung liegt bei ca. 23 Jahren. Kontrollzwänge (überwiegend bei Männern) beginnen mit ca. 18 Jahren; Waschzwänge (bevorzugt bei Frau- en) beginnen mit ca. 27 Jahren.

Ca. 95% aller Zwänge entstehen vor dem 40. Lebensjahr, ein Beginn nach dem 50. Lebens- jahr wurde so gut wie noch nie beobachtet, wofür es jedoch noch keine Erklärung gibt.

Erst nach ca. siebeneinhalb Jahren nach Beginn des Zwangs suchen Patienten eine Behandlungseinrichtung auf; die stationäre Behandlung erfolgt erst nach ca. 10 Jahren nach Beginn der Störung, weil Personen mit einer Zwangsstörung versuchen, ihre Problematik üblicherweise lang Zeit zu verbergen und selbständig damit zurandezukommen.

5. Differentialdiagnose und Comorbidität

5.1. Zwang und Depression

Depressive Stimmung kann vor, während und nach Ausformung des Zwangs auftreten aber Zwänge und Depressionen können sich auch unabhängig voneinander entwickeln. Anhaltendes Grübeln ist eher ein Aspekt der Depression als ein Zwangsgedanke, z.B. ist das Grübeln darüber, wertlos zu sein, kein Zwangsgedanke bei einer depressiven Person, da Grü- beln nicht ich-dyston ist.

5.2 Zwang und Angststörung

Bei vielen Patienten steht eine nicht konkret zu benennende, aber in ihren Verhaltensauswir- kungen massive Angst im Vordergrund, die sich auf Ereignisse bezieht, die auftreten könnten, wenn ein bestimmtes Zwangsritual nicht durchgeführt wird. Es gibt aber trotzdem Gegenar- gumente für die Klassifizierung von Zwang unter den Angststörungen, so zeigen z.B. Patien- ten nicht die typische Angst, wie dies bei anderen Angststörungen der Fall ist; sondern sie reagieren eher mit Unruhe, Gereiztheit oder Anspannung. Außerdem zeigen Patienten mit Zwängen im Vergleich zu Patienten mit Angststörungen kaum Placebo-Reaktionen.

5.3. Zwang und Schizophrenie

Zwangsstörungen und die Schizophrenie sind streng voneinander zu trennen.

Bei Patienten mit Zwangsstörungen kommt der Drang, etwas zu tun oder zu denken von der Person selbst, d. h. von innen. Schizophreniepatienten werden die Gedanken eingegeben, eine Stimme sagt ihnen, daß sie etwas tun sollen.

Zwangspatienten versuchen sich gegen ihre Gedanken und Handlungen zu wehren, Patienten mit Schizophrenie glauben, daß ihnen etwas aufgetragen wurde und daß sie das ihnen Aufgetragene erfüllen müssen. Sie wehren sich nicht dagegen.

Die Patienten mit Zwangsstörungen distanzieren sich von den Inhalten ihrer Gedanken, wogegen sich Schizophreniepatienten mit den Inhalten ihrer Gedanken identifizieren.

5.4. Zwang und Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Obwohl die Namen dieser beiden Störungen recht ähnlich klingen, sind auch die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und die Zwangsstörung voneinander zu trennen. Die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist nicht durch das Vorliegen von Zwangsgedanken und -handlungen gekennzeichnet, stattdessen zeigt sich ein durchgängiges Muster des starken Beschäftigtseins mit Ordentlichkeit, Perfektionismus und Kontrolle. Außerdem wird die Störung, anders als bei der Zwangsstörung, ich-synton erlebt, d. h. Patienten mit Zwanghafter Persönlichkeitsstörung identifizieren sich mit dem, was sie tun.

6. Theoretische Modelle

6.1. Zwei-Faktoren-Modell

Nach diesem Modell von Mowrer (1947) erwirbt eine neutrale Situation aufgrund traumatischer Bedingungen im Laufe der Zeit selbst aversive Stimulus-Charakteristika (=erster Faktor). Durch diskriminative Hinweisreize lernt das Individuum, die Situation zu fliehen bzw. gänzlich zu vermeiden. Dieses Vermeidungsverhalten wird durch das Ausbleiben der (ver- meintlichen, erwarteten) aversiven Situation negativ verstärkt (= zweiter Faktor). Man kann also vereinfacht sagen, daß Zwang ein instrumentelles Vermeidungsverhalten ist, welches auf ursprünglich traumatische Situationen zurückgeht und nunmehr stabil im Verhaltensrepertoire des Individuums verankert ist.

Da durch diese behavioristische Sichtweise das Kognitive stark vernachlässigt wurde, entwi- ckelte man u. a. ein weiteres Modell, das die Entstehung von Zwangsstörungen erklären soll- te.

6.2. Kognitives Zwangsmodell

Nach Salkovskis (1989) besteht die zentrale Annahme in diesem Modell darin, daß Gedanken (auch aufdringliche Gedanken) ein völlig normales Ereignis sind. Eine affektive Bedeutung erlangen sie erst im Prozeß der Bewertung, die eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung eines (aufdringlichen) Gedankens spielt.

Eine negative Bewertung des Gedankens ist für den Patienten ein Hinweis auf die Relevanz und die Wichtigkeit desselben und bildet den zentralen Faktor für die weitere kognitive Be- schäftigung und damit Aufrechterhaltung des Gedankens bis hin zur zwanghaften Beschäfti- gung

Bemerkenswert an diesem Modell ist hier die Trennung in eine Stimulus- und Reaktionskomponente der Zwangsstörung.

Salkovskis beschreibt die Entstehung einer Zwangsstörung folgendermaßen:

Eine Person erlebt einen aufdringlichen Gedanken (1); sie findet diesen Gedanken schlimm, abscheulich (2); dies beunruhigt die Person (3) und führt zum Bedürfnis der Neutralisierung (Patient erklärt sich für Inhalt und mögliche Konsequenzen der Zwangsgedanken verantwortlich und setzt neutralisierende Rituale in Gang).

Aber an dieser Stelle gibt es eine Rückkopplung; d. h. die Neutralisierung gelingt nur unvoll- ständig (4); dies erhöht wiederum die Erregung/Unruhe, und (3) und (4) sind für die Person ein Hinweis auf die Bedeutung des Gedankens (2) und erhöhen die Beschäftigung mit dem Gedanken.

7. Diagnostische Instrumente zur Erfassung des Zwangs

Zunächst wird das Klinisches Interview zur möglichst präzisen Klärung des Problems und dessen Bedingungen sowie der Verläufe und Schwankungen der Störung eingesetzt. Das klinische Interview bildet eine optimale Möglichkeit für eine direkte Beobachtung von Zwangshandlungen und Zwangsgedanken, die auch während oder am Rande der Exploration eine Rolle spielen. Beispiele dafür bilden Patienten, die einen Türgriff nicht oder nur mit besonderer Vorsicht berühren können.

Die Erfassung von Zwängen ausschließlich auf dem Wege über das klinische Interview weist neben solchen Vorteilen auch Probleme und Beschränkungen auf. Es ist z.B. zu berücksichti- gen, daß es sich jeweils um Berichte über das Verhalten, Kognitionen und Emotionen handelt und nicht um Verhalten, Kognitionen und Emotionen selbst. Daher sind diese Berichte Ver- zerrungen unterworfen. Außerdem ist die Situation des Interviews von der Alltagssituation eines Patienten stark unterschiedlich, d. h. viele Patienten fühlen sich in der Interviewsituation sicher, sie sind hier nicht durch ihre Zwangshandlungen und/oder -gedanken belastet.

Zum Zweck der Diagnose und zur Erfassung des Verlaufs von Zwangsstörungen wurden ei- nige Inventare entwickelt. Das gängigste Instrument bildet das Maudsley Obsessional- Compulsive Inventory (MOC; Hodgson & Rachman; 1977), welches in erster Linie zur Erfas- sung beobachtbarer Zwangsrituale (Kontrolle, Reinigung, Langsamkeit, Zweifel) dient. Das MOC enthält 30 Items, die im Wege des Selbstberichtes einen allgemeinen Überblick über die Zwangsproblematik liefern. Der Patient hat bei jedem Item anzugeben, ob die betreffende Aussage auf ihn zutrifft.

Das zweite gängige Instrument ist das Leyton Obsessional-Compulsive Inventory (LOI; Coo- per; 1970) zur bevorzugten Abfragung von Zwangsgedanken und den damit verbundenen Einstellungs- bzw. Persönlichkeitsmerkmalen; aus diesem Grunde bildet das LOI eine opti- male Ergänzung zum MOC. Das LOI ist ebenfalls eine Selbstberichtsskala bestehend aus 69 Items, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind. Im Falle einer zustimmenden Beantwor- tung werden zu jedem Item weitere Informationen eingeholt, nämlich das Ausmaß, in dem die Person das betreffende Verhalten als unsinnig ansieht (Fünf-Punkte-Skala) und der Grad, in dem Gedanken und Verhalten eine Behinderung des allgemeinen Lebensvollzugs darstellen (Vier-Punkte-Skala).

8. Therapie von Zwangsstörungen

8.1. Konfrontation und Reaktionsverhinderung

Der Patient wird mit der Situation konfrontiert, die seine Zwangsrituale auslöst (zunächst beim Therapeuten, später auch in der natürlichen Umgebung); die Reaktionsverhinderung betrifft v. a. das Neutralisieren, also den Versuch, Angst und Unruhe kurzfristig zu senken, und der Patient soll angstfreie Verhaltensalternativen entwickeln.

Für diese Art der Behandlung werden 10 - 20 Sitzungen unterschiedlicher Dauer (zumindest am Anfang täglich od. jeden zweiten Tag) veranschlagt. Ein Beispiel soll an dieser Stelle diese Therapie verdeutlichen:

Eine 42jährige Patientin mit einem 18 Jahre andauernden Waschzwang hatte sich durch ihre Proble- matik total isoliert: Sie konnte einzelne Gegenstände nur berühren, wenn sie sich vorher und nachher einem lange dauerndem Reinigungsritual unterzogen hatte. So konnte sie etwa das Telefon nicht mehr abheben oder auch die Tür bei einem Besuch nichtöffnen, weil sie viel zu lange brauchte, um sich vorher zu reinigen. Die Wasch- und Reinigungsrituale verkomplizierten den Ablauf des Haushaltes bis hin zur Unerträglichkeit (z.B. Kochen, Wäsche waschen, Radio anschalten, Zeitung lesen...).

Nach einigen wenigen vorbereitenden Konfrontationen im therapeutischen Setting (Berühren des Bodens, des Tonbandgerätes, eines Stiftes...) wurde die eigentliche Konfrontation zusammen mit eine Co-Therapeutin bei der Patientin zu Hause durchgeführt: die Patientin hatte nacheinander eine ganze Reihe von vorher abgesprochenen Gegenständen zu berühren (Konfrontation), ohne daßsie dazwischen die Waschrituale durchführen durfte (Re- aktionsverhinderung). Dies war für die Patientin anfangs sehr belastend, schuf ihr aber bald einen Freiraum für angenehme Dinge, die sie jahrelang nicht mehr tun konnte (z.B. Kuchen backen, telefonieren, jemanden besu- chen, Babysitten usw.). (aus Reinecker, H. S. (1994). Zwänge. Diagnose, Theorien und Behandlung. S. 81)

8.2. Behandlung von Zwangsgedanken

8.2.1. Konfrontationsverfahren

Die Konfrontation mit dem Zwangsgedanken erfolgt in der Vorstellung oder durch ausführli- ches Schildern der Gedanken. Folgendes Beispiel verdeutlicht das Konfrontationsverfahren:

Bei der Therapie einer 28jährigen Frau mit zwanghaften Tötungsgedanken gegenüber ihrem jüngeren von zwei Kindern sowie teilweise gegenüber dem Ehemann wurde die Patientin instruiert, ihren Gedanken aus- führlich und im Detail zu schildern. Zum Zwecke der Auslösung der Gedanken legte der Therapeut während der Sitzung ein großes Küchenmesser auf den Tisch; die Patientin wurde instruiert, mit diesem Messer zu hantieren, Spitze und Klinge zu prüfen usw. Die Patientin wollte - wie im Alltagüblich - dem für sie sehr unangenehmen Gedanken entfliehen, indem sie ihn abbrach oder neutralisierende „ gute “ Gedanken einführte, z.B.: „ ... aber ich liebe mein Kind doch! “ usw. Die Patientin sollte diese Neutralisierung nicht anwenden, sondern sie dachte län- gere Zeit an den Gedanken und erlebte nach wenigen Minuten eine Abnahme ihrer Angst und Unruhe. Damit wurde für die Patientin die wichtige Entkopplung geschaffen: Sie lernte, daßer Gedanke mit Angst verbunden ist, daßder Gedanke selbst unangenehm ist, daßdiese Unruhe aber abnimmt und vor allem, daßder Gedanke nicht unbedingt die (von ihr gefürchtete) Handlung nach sich zieht. (aus: Reinecker, H. S. (1994), Zwänge. Di- agnose, Theorien und Behandlung. S. 95)

8.2.2. Unterdrücken oder Beendigen der Gedanken

Eine weitere Methode zur Behandlung von Zwangsgedanken ist Gedankenstoppen. Hierbei lernen die Patienten auf den Zuruf „Stop“, einen produzierten Gedanken zu unterbrechen. Allerdings birgt diese Methode auch ein Problem in sich: Der Versuch, einen Gedanken zu unterdrücken, kann paradoxerweise dazu führen, daß der Gedanke häufiger wird.

8.2.3. Kognitives Therapieverfahren

Bei diesem Verfahren soll die dem Gedanken folgende Bewertung zum Gegenstand der Intervention gemacht werden.

Hohe Angst bietet eine Einstiegsmöglichkeit in die Auseinandersetzung mit dem Zwangsgedanken. Durch Angstreduktion kommt es in der Folge auch zu einer Veränderung der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit und Bewertung der Relevanz des Zwangsgedanken.

9. Literatur

- Davison, G. C. & Neale, J. M. (1996). Klinische Psychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union
- Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M. H. (1993). Internationale Klassifikation psychi- scher Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch -diagnostische Leitlinien. (2. Auflage) Bern: Huber
- Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M. H. & Schulte-Markwort, E. (1994). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Forschungskriterien. Bern: Huber
- Petermann, F. (1997). Fallbuch der Klinischen Kinderpsychologie. Göttingen; Bern; To- ronto; Seattle: Hogrefe
- Rasche-Räuchle, H./Winkelmann, G.& Hohagen, F.. Zwangsstörungen - Diagnose und Grundlagen. In: extracta psychiatrica. Jg. 9, Heft 5/95, S.22-32
- Reinecker, H. S. (1994/1998). Lehrbuch der Klinischen Psychologie. Modelle psychischer Störungen. Göttingen: Hogrefe
- Reinecker, H. S. (1994). Zwänge. Diagnose, Theorien und Behandlung. 2. Auflage. Bern: Huber
- Saß, H., Wittchen, H.-U. & Zaudig, M. (1996). Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen Hogrefe

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Diagnostik psychischer Störungen im Erwachsenenalter
Hochschule
Universität Potsdam
Autor
Jahr
1998
Seiten
12
Katalognummer
V96854
ISBN (eBook)
9783638095297
Dateigröße
358 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diagnostik, Störungen, Erwachsenenalter
Arbeit zitieren
Eva Hartmann (Autor:in), 1998, Diagnostik psychischer Störungen im Erwachsenenalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96854

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