Kommunikationstheorie: Marshall McLuhan und die Toronto School of Kommunication


Skript, 2000

4 Seiten


Leseprobe


Marshall McLuhan und die Toronto School of Communication Die Geschichtstheorie der Medien

1. Grundideen und Einflüsse McLuhans: The Medium is the Message

1.1 Grundideen

Neue Medien, v.a. die Elektrizität, lösen das Leitmedium Buch ab und erfordern eine neue Art des Denkens. Linearität wird durch mosaikartige Ideengebilde ersetzt, denn diese weisen Wechselwirkungen, komplizierte Konstellationen, vielschichtige Beziehungen auf, lösen Linearität "logischer" Denkstrukturen auf, bieten dem Nutzer Freiheiten und bringen ihn zum aktiven Umgang ("do-it-yourself-Theorie", Verweis auf Harold Innis).

- Wichtiger Teil des Mosaiks ist der Analogieschluß. Analogie ist ein Mittel, Lebendiges zu verstehen und in den Bereich des Theoretischen zu integrieren.
- Die Offenheit des Ausdrucks ermöglicht eine Vielfalt von Bedeutungen und Anschluß möglichkeiten. Der unvollständige Charakter der Aussagen bezieht den Rezipienten ein. Denken ist hier nicht auf Logik und Beweis ausgerichtet, sondern auf Ideenreichtum, Viel- falt und sinnliche Wahrnehmung.
- Die Methode des schwebenden Urteils hat als Basis die Relativität der eigenen kulturellen Perspektive.

McLuhan selbst setzt die Ideen um. Er versucht im Buch die Form des Buches aufzuheben durch Collagen, Puzzels, assoziative Elemente, Widersprüche... Er versteht seinen Ansatz als transdisziplinär, denn er verwertet Ideen und Anregungen aus den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft und Kultur.

1.2 Zu den wichtigsten Einflüssen zählen:

- James Joyce: Technik und Intention;
- der "new criticism" als Literaturtheorie der 60er Jahre, die von der Selbstbezüglichkeit der Kunst ausgeht;
- die Werke des Altphilologen Perry, der Schrift selbst als Medium betrachtet;
- die Ideen des Ökonomen Harold Innis, der die Geschichte als Abfolge von Epochen, die vom jeweiligen Kommunikationsmedium geprägt ist, betrachtet. Die Form der Medien bestimmt für ihn die gesellschaftiche Entwicklung und Wahrnehmung. Dabei ist der Inhalt der Medien nachrangig, verschleiert die tatsächlichen Wirkungen. Medien sind generell auf Zeit (Stein) oder auf Raum (Papier) bezogen, eine ideale Gesellschaftsform setzt die Har- monie der Kommunikationsmedien voraus. Medientheorie ist Kulturtheorie.

Die Form eines Mediums ist f ü r eine Aussage wichtiger und wirkt st ä rker als der eigentliche, vermute Inhalt der Aussage.

Medien umfassen den Bereich der Sprache und der Technologie, fast alles kann f ü r McLuhan ein Medium sein.

Medien sind die Form der spezialisierten Beschleunigung des Informationsaustausches.

2. The Extensions of Man

2.1 Grundlagen

Prämisse ist, daß die Wahrnehmung durch das Zusammenspiel der verschiedenen Sinne, koordiniert durch das zentrale Nervensystem (ZNS) funktioniert.

Jede Technik ist eine Ausweitung des menschlichen Körpers/ der Körperorgane. Weil der Mensch keine ausreichenden organischen Fähigkeiten besitzt, entwickelt er bestimmte Tech-niken zur Kompensation dieser Mängel (Organersatz, Organverstärkung, Organentlastung). Diese Körperausweitung ("Auslagerung" bestimmter Funktionen auf Techniken) ist ein un-bewußter Prozeß der Selbstamputation, der Mensch bemerkt nicht, daß die Technik ein Teil seiner selbst ist und empfindet sie als fremd. Die Ausgrenzung eines Organs stellt einen schweren Eingriff in den Gesamtzusammenhang des Körpers dar (Koordination der Sinneseindrücke). Aus einer solchen Veränderung des körperlichen Zustands ergibt sich zwangsläufig eine Veränderung der Wahrnehmung.

Historisches Modell der Technikentwicklung: Der menschliche Körper reagiert auf Überlastung mit der "Amputation" eines Körperteils, was aber die Ganzheit der sinnlichen Empfindung stört und somit zu neuer Überlastung führt, neue "Amputationen" nötig macht usw. Der Körperausweitungsprozeß wird zum Selbstläufer, der vom Menschen nicht erkannt wird und erst im elektronischen Zeitalter überwunden werden kann.

2.2 Wirkung von Medien auf die Wahrnehmung

Auch ein Medium ist eine Technik und seine Anwendung hat damit Auswirkungen auf die Sinnesorganisation und die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung. Die Anwendung von Medien hat damit tiefgreifende individuelle und in der Gesamtheit auch soziale Auswirkungen. Es gibt zwei Arten von Medien:

- "Heiße Medien" sind detailreich, sprechen gezielt einen Sinn an, lassen wenig Raum für Eigenkonstruktionen/ Interpretationen/ kreativen Umgang (Film, Buch, Radio)
- "Kalte Medien" vermitteln dagegen qualitativ und quantitativ wenige Informationen, eine Eigenbeteiligung des Rezipienten ist erforderlich. Sie sprechen verschiedene Sinne an, Reizkombination. (Sprache)

McLuhan wertet die beiden Arten nicht, hat allerdings das Ideal von einem harmonischen Zusammenspiel aller Sinne, das vielschichtige Eindrücke ermöglichen soll.

2.3 Kritik

Unklarer Medienbegriff, mangelnd Einbeziehung sozialer, ökonomischer und politischer Faktoren für "Wahrnehmung", insgesamt unklare Terminologie, Utopie: Linearität ist nicht zu überwinden (Eco)

3. The Gutenberg Galaxy

McLuhan unterteilt die Geschichte in vier, durch die Art der jeweiligen Medien bestimmte, Epochen:

3.1 Die orale Stammeskultur

Hier ist das Ohr Herrschaftsorgan. Kommunikation und Wissensüberlieferung erfolgen aus- schließlich sprachlich (kaltes Medium). Die Wahrnehmung zeichnet sich entsprechend aus durch Dynamik, Diskontinuit ä t, Simultanit ä t, Aktivit ä t. Die Gesellschaft ist gekennzeichnet durch totale gegenseitige Abhängigkeit, die keine Individualität zuläßt. Das Ohr wird überbeansprucht, es entsteht eine "Tyrannei des Ohres".

3.2 Die literale Manuskriptkultur

Die phonetische Schrift beseitigt die Dominanz des Ohres in der Wahrnehmung, da sie die visuelle Komponente betont und Abstraktion ermöglicht. Die Wirkung der Schrift auf die gesellschaftliche Entwicklung ist einschneidend -> Zivilisation.

Dabei entspricht Lesen noch "lautem Lesen" und stellt ein Zusammenspiel zwischen Gesicht und Gehör dar. "Do-it-yourself"-Kulur: uneindeutige Grammatik, Rechtschreibung, Interpunktion; an der Sinnkonstruktion arbeiten unzählige anonyme Verfasser und "Interpreten" mit. (Texte sind heterogen, Wissen ist im Fluß, Wissenschaft offen und unabgeschlossen). Rhetorik überwiegt Logik. Zwischenstufe in der Entwicklung von der oralen Stammeskultur zur Gutenberg-Galaxis.

3.3 Die Gutenberg-Galaxis.

Buch als erstes Massenprodukt, Mechanisierung der Schreibkunst als Beginn der Industrialisíerung. Erfahrungsbeschränkung auf einen einzigen Sinn: Sehen. Die Art der Wahrnehmung zeichnet sich aus durch: Statik, Wiederholbarkeit, Linearit ä t, Logik.

Bewegung wird in chronologische Abfolge statischer Momentaufnahmen übersetzt, dynamische Abläufe werden arretiert und analytische zerlegt. Das Gefühl wird vom Verstand gelöst, Denken entspricht einer logischen Maschine. Verengung des Blickwinkels durch feste Begriffsdefinitionen, einheitl. Grammatik, Typographie.

-> erwirkt "starre Haltung" eines Standpunktes, Persönlichkeit und individuelle Absichten des Autors erhalten Relevanz, dabei Festlegung auf bestimmte Aspekte und Ausschluß von Möglichkeiten.
-> begründet neuen Wissenstypus: die Zerlegung von Prozessen in Segmente wird zur wissenschaftlichen Methode systematisiert, wiss. Terminologie wird präzisiert, Wissen mehr und mehr nach Nützlichkeit beurteilt
-> Wirkungen auf öffentliches Leben: Vereinheitlichung von Sprache schafft Nationalbewußtsein und führt schließlich zum Nationalismus, das Buch als Massenmedium eignet sich als Mittel zur Lenkung und fördert so Zentralismus, Buch als Bühne für das Individuum schafft Individualismus Ergebnis: Uniformierung der Sprache, des Denkens und des Wissens; begründet den neuzeitlichen Fortschritt.

3.4 Das elektronische Zeitalter

Das Aufkommen der elektronischen Medien beendet die Gutenberg-Galaxis. Neue Medien, neues Denken.

4. The Global Village und das elektronische Zeitalter

4.1 Elektrizität und Körperausweitung

Dei Gutenberg-Galaxis endet mit dem Auftritt des Mediums Elektrizität, über das eine neue Stufe der Körperausweitung erreicht wird. Die E. ermöglicht die Herstellung eines naturgetreuen Modells des zentrales Nervensystems, schafft eine neue Koordinierungsinstanz für die verschiedenen "Extensions of Man" außerhalb des Körpers. Die Körperausweitung ist total und umfassend, sie schafft einen organische Einheit von Körperausweitung und Bewußtsein und ermöglicht es dem Menschen, das Wesen der Technik zu erkennen. Dabei ist das 20. Jhdt. ein Zeitalter des Übergangs in der tradierte Kultur zerfällt, aber auch Konser-vativismus auftritt: neue Medien werden mit den Maßstäben der alten gemessen, womit die Chancen der neuer Erkenntnis vertan werden.

4.2 soziale Auswirkungen

Das Medium Elektrizität führt zur Aufhebung von Zeit und Raum (Vernetzung/ Geschwindigkeit). Daraus leitet McLuhan die These ab, das Individualismus und Nationalismus als Charakteristika der Buchdruckkultur verschwinden werden und das organische Ganze des "Globalen Dorfes" an dessen Stelle treten wird. Öffentlichkeit ist nicht mehr nur die Addition passiver Individuen, sondern kommt durch aktive Teilnahme aller zustande.

4.3 Das Medium Computer

Der Computer stellt eine Erweiterung des Gehirns dar (äußerst mögliche Erweiterung überhaupt), er wird zur koordinierenden Instanz aller technischen Körperausweitungen. Mittels gezielten Medieneinsatzes wird ein Gleichgewicht der sinnlichen Wahrnehmung angestrebt (Idealzustand: alle Sinne gleichmäßig/ ausgewogen beansprucht). Dieser gezielte Medieneinsatz soll von Künstlern gesteuert werden. In der Utopie sieht McLuhan alle Menschen als potentielle Künstler. Arbeit als zentraler Faktor des Lebens wird durch Wissen und Lernen abgelöst, der Mensch arbeitet nicht mehr, sondern er erschafft, denn die Technik verhilft ihm zur Realisation seiner geistigen Produkte und macht den Menschen wirklich frei.

5. Kritik an McLuhan

- Das Internet: "global village" oder "information highway"?
- neue Techniken, neues Sozialverhalten? soziale Auswirkungen der Medien!
- McLuhan sieht die Verknüpfung von sinnlicher Wahrnehmung und technischen Medien als

Voraussetzung für die positive Entwicklung der Menschheit, Gegensatz dazu: Postman, Virilio - >"Vereinnahmung des Menschen durch Technik", "technische Kolonialisierung"

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Kommunikationstheorie: Marshall McLuhan und die Toronto School of Kommunication
Hochschule
Universität Münster
Autor
Jahr
2000
Seiten
4
Katalognummer
V96599
ISBN (eBook)
9783638092753
Dateigröße
348 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kommunikationstheorie, McLuhan
Arbeit zitieren
Svenja Kunze (Autor:in), 2000, Kommunikationstheorie: Marshall McLuhan und die Toronto School of Kommunication, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96599

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