Das Gewissen. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls im Vergleich zu Aussagen von Franz Böckle


Seminararbeit, 1999

17 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Der Begriff „Gewissen“ geprägt durch die Scholastik des Mittelalters

3. Beurteilung einiger Tendenzen heutiger Moraltheologie durch Papst Johannes Paul II

4. Das sittliche Gewissen - Heiligtum des Menschen
4.1 Gewissen contra sittlichen Normen ?
4.2 Das sittliche Gewissen
4.3 Das Gewissensurteil
4.4 Das irrende Gewissen

5. Die Kompetenz des Gewissens nach Franz Böckle
5.1 Der Anspruch des Gewissens
5.2 Der Anspruch, das was man als gut erkennt, auch zu verwirklichen
5.3 Das Gewissen fordert vom Menschen ein begründetes Urteil
5.4 Persönliche Grundhaltungen (Tugenden) und verbindliche Normen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Die Moraltheologie ist der Bereich der Theologie, in dem Fragen der menschlichen Ethik behandelt werden. Fragen, die direkt das ethische Handeln betreffen und Fragen, die auf Voraussetzungen dieses Handelns gehen. Eine dieser Fragen ist die nach dem Gewissen.

Die Thematik: „Gewissen“ ist daher Bestandteil der Moraltheologie, die sich heute in einem Wandel befindet. Die Meinungen und Positionen gehen mitunter weit auseinander, und haben sich nicht selten vom bisher Üblichen und Überlieferten entfernt.

Die verkündete päpstliche Moraltheologie ist biblisch orientiert. Das biblische Ethos wird hierbei für die christliche Ethik als unverzichtbar angesehen.

In der folgenden Hausarbeit sollen Stellungnahmen und Aussagen des Papstes bzw. des apostolischen Stuhls zum Thema: „Gewissen“ wiedergegeben werden. Hierbei beziehe ich mich auf die Enzyklika „Veritatis splendor“ von Papst Johannes Paul II.

Anschließend möchte ich Veröffentlichungen von Franz Böckle1 ) vorstellen, in denen er sich mit dem „Gewissen“ auseinandersetzt.

Hier werden die Unterschiede sichtbar, die auf diesem Gebiet innerhalb der katholischen Kirche existieren.

2. Der Begriff „Gewissen“ geprägt durch die Scholastik des Mittelalters

Das „Gewissen“, steht in der Theologie und in der Ethik als Begriff für den inneren Sinn für Richtig und Falsch bei sittlichen Entscheidungen. In der christlichen Theologie, nach deren Auffassung sich im Gewissen der göttliche Wille Gehör verschafft, ist das Gewissen gemäß der in der „Hochscholastik“ ausgebildeten Gewissenslehre ein doppeltes: Synderesis, die durch Überlegung gewonnene Gewissenserkenntnis (wird auch als Urgewissen bezeichnet, die Fähigkeit, die obersten sittlichen Wahrheiten zu erfassen), und Conscientia, das aktuelle Gewissensurteil. Die Scholastik (von lateinisch schola: Schule), ist eine philosophische und theologische Bewegung, die mit Hilfe der natürlichen menschlichen Vernunft und insbesondere der Philosophie des Aristoteles2 ) versucht, übernatürliche Phänomene der christlichen Offenbarung zu verstehen. Die Strömung, die von Mitte des 11. bis Mitte des 15. Jahrhunderts den Diskurs an den christlichen Hochschulen und Universitäten Europas bestimmte, wollte letztlich die Philosophie der Griechen und Römer mit dem religiösen Wissen des Christentums zu einem geordneten System verbinden. Das Hauptinteresse der Scholastiker zielte nicht darauf ab, neue Tatsachen zu entdecken, sondern bereits in der Antike erworbene Erkenntnisse mit der christlichen Offenbarung in Einklang zu bringen. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zwischen der Scholastik und dem modernen Denken seit der Renaissance.

Die Absicht der Scholastiker setzte bestimmte Positionen voraus. Vor allem waren sie von der grundsätzlichen Möglichkeit einer harmonischen Übereinstimmung zwischen Vernunft und Offenbarung überzeugt. Da nach ihrer Auffassung Gott die Quelle für jede Formen der Erkenntnis bildete und Wahrhaftigkeit zu seinen Haupteigenschaften gehörte, könne er, so meinten sie, sich auch nicht in zwei unterschiedlichen Ausdrucksweisen ein und desselben widersprechen. Jeder scheinbare Gegensatz zwischen Vernunft und göttlicher Offenbarung beruhe entweder auf einer fälschlichen Anwendung der Vernunft oder auf einer falschen Interpretation der christlichen Botschaft.

Da die Scholastiker auf die Harmonie zwischen Glauben und Vernunft bauten, wollten sie die genauen Kompetenzen und Aufgaben der zwei Bereiche abstecken.

Erst in der Hochscholastik schuf der italienische Theologe und Philosoph Thomas von Aquin3 ) ein Gleichgewicht zwischen Glauben und Vernunft.

In der Regel bezeugten die Scholastiker den sogenannten philosophischen und theologischen Autoritäten hohen Respekt. Dazu zählten die bedeutenden antiken Philosophen sowie die frühen Kirchenväter.

Aristoteles betrachteten sie als unangefochtene philosophische Autorität und nannten ihn schlicht den Philosophen. Augustinus genoß diesen Ruf im Bereich der Theologie, übertroffen allein von der Heiligen Schrift und den offiziellen kirchlichen Konzilien. Die Scholastiker übernahmen die Theorien des Griechen für die empirischen Wissenschaften wie Physik, Astronomie oder Biologie. Die unkritische Übernahme schwächte jedoch letztlich ihre eigene Position.

Papst Leo XIII. hoffte im Jahr 1879 seinerseits darauf, die Konzepte der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts, vor allem jenes des Thomas von Aquin, den modernen Bedürfnissen anzupassen und ihnen dadurch zu einer erneuten Blüte zu verhelfen. Aus dieser Intention entstand die Neuscholastik, eine etablierte philosophische Strömung unserer Zeit.4 )

3. Beurteilung einiger Tendenzen heutiger Moraltheologie durch Papst Johannes Paul II

Mit der Enzyklika „Veritatis splendor“ wendet sich Papst Johannes Paul II an die Bischöfe der katholischen Kirche.

Er beabsichtigt mit der Enzyklika die Prinzipien aufzuzeigen, die für die Unterscheidung, was der „gesunden Lehre" widerspricht, erforderlich sind.

Die Fragen die die Menschen seit je her bewegten, wie z. B.: Was ist der Sinn des Lebens ? seien die Elemente der Sittenlehre der Kirche, die heute seiner Meinung nach, besonders dem Irrtum, der Zweideutigkeit oder dem Vergessen ausgesetzt sind.

Die Kirche die von Jesus ausgesandt wurde das Evangelium zu verkünden, besäße die von Gott gegebene Fähigkeit „auch die umstrittensten und kompliziertesten Fragen zu lösen“,5 ) sagt Papst Johannes Paul II.

Er warnt, die Freiheit des Menschen zu sehr zu verherrlichen oder sie sogar als Quelle aller Werte zu deuten. Er warnt auch, das individuelle Gewissen als das Absolute zu betrachten, und jede Handlungsweise damit zu rechtfertigen und zu begründen. Hierzu folgendes Papstzitat: „Zu der Aussage von der Verpflichtung, dem eigenen Gewissen zu folgen, tritt unberechtigterweise jene andere, das moralische Urteil sei allein deshalb wahr, weil es dem Gewissen entspringt ,so daß man zu einer radikal subjektivivtischen Konzeption des sittlichen Gewissens gelangt“.6 ) Das Gewissen wird, aus Sicht des Papstes, nicht mehr gesehen als ein Akt der Einsicht der Person, der es obliegt, die allgemeine Erkenntnis des Guten auf eine bestimmte Situation anzuwenden und so ein Urteil über das Richtige zu wählen, sondern man stellte sich darauf ein, dem Gewissen des einzelnen das Vorrecht zuzugestehen, die Kriterien für Gut und Böse autonom festzulegen und dementsprechend zu handeln. Diese Sichtweise entspräche eher einer individualistischen Ethik.

4. Das sittliche Gewissen - Heiligtum de s Menschen

Papst Johannes Paul II erklärt die Beziehung zwischen der Freiheit des Menschen und dem Gesetz Gottes, durch das sittliche Gewissen der menschlichen Person.

Hierbei beruft er sich auf die Feststellungen des II Vatikanischen Konzils:

„Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gegeben hat, sondern dem er gehorchen muß, und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zum Meiden des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens erklingt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist, und gemäß dem er gerichtet werden wird.“7 )

4.1 Gewissen contra sittliche Normen ?

Der Papst weist darauf hin, daß Handlungen die im Gegensatz zur Lehre des katholischen Lehramtes stehen nicht akzeptiert werden können.

Das individuelle Gewissen könne nicht, auch nicht in „Sonderfällen“, über sittliche Normen stehen. Denn damit würde man das sittliche Gewissen selbst in Frage stellen.

Die Behauptung verschiedener Theologen, daß sittliche Normen kein bindendes Kriterium für die

Urteile des Gewissens seien, sondern vielmehr eine allgemeine Orientierung für den Menschen, weist der Papst zurück. Für ihn wird, durch diese Ansätze, die Identität des sittlichen Gewissens gegenüber der Freiheit des Menschen und dem Gesetz Gottes in Frage gestellt.

4.2 Das sittliche Gewissen

Das sittliche Gewissen, so Papst Johannes Paul II, ist der Ort in dem Gott zum Menschen spricht. Das sittliche Gewissen öffne den Menschen für die Stimme Gottes.

Wenn der Mensch seine Handlung reflektiert, so stelle das Gewissen den Menschen dem Gesetz (Naturgesetz) gegenüber. Das Gewissen sei der einzige Zeuge. Dieser innere Dialog des Menschen mit sich selbst, sei der Dialog des Menschen mit Gott, dem Urheber des Naturgesetzes.

4.3 Das Gewissensurteil

Papst Johannes Paul II erklärt das Prinzip der praktischen Vernunft durch das Gewissensurteil, wobei das Gewissen die sittliche Verpflichtung des Naturgesetzes zum Ausdruck bringt.

Das Urteil des Gewissens sei ein praktisches Urteil, das heißt, es bewerte eine bereits ausgeführte Tat oder ordne an, was der Mensch tun oder lassen soll.

Das Gewissensurteil basiere darauf, daß man das Gute lieben und tun und das Böse meiden soll, auf eine konkrete Situation anwendet.

Dies ist das erste Prinzip der praktischen Vernunft und stellt die Grundlage des Naturgesetzes dar. Das Naturgesetz existiere zur Wahrung des sittlich Guten, und das Gewissensurteil realisiere die Anwendung des Naturgesetzes auf den Einzelfall. Für den Papst hat das Gewissensurteil wie das Naturgesetz selbst einen befehlenden Charakter. Der Mensch solle in Übereinstimmung mit ihm handeln. Handele der Mensch gegen dieses Urteil wird er vom eigenen Gewissen verurteilt. Papstzitat: „Das Gewissen ist keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen.“8 ) Der Papst weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß sich im praktischen Gewissensurteil auch die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Freiheit und Wahrheit offenbart.

Die Qualität des Gewissensurteils sei abhängig vom Suchen nach der Wahrheit, und nicht von der Befreiung des Gewissens von der Wahrheit, zugunsten einer Entscheidungsautonomie des Menschen.

4.4 Das irrende Gewissen

Papst Johannes Paul II erklärt, daß das Gewissen auch irren kann. Hier beruft er sich wieder auf das II Vatikanische Konzil, welches diese Thematik mit dem folgenden Wortlaut aufgegriffen hat: „Nicht selten jedoch geschieht es, daß das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zu wenig um die Suche nach dem Wahren und Guten kümmert und das Gewissen aus der Gewohnheit der Sünde fast blind wird“.9 )

Die Würde des Gewissens beruht immer auf der Wahrheit, so der Papst. Im Falle eines rechten (nicht irrenden) Gewissens würde es sich um die vom Menschen angenommene objektive Wahrheit handeln, im Falle eines irrenden Gewissens würde es sich jedoch um das, was der Mensch ohne Schuld subjektiv für wahr hält handeln.

Im letzteren Fall handele es sich um ein nicht schuldhaftes Fehlurteil der Person, die es begeht, aber dennoch sei es ein Übel in bezug zur Wahrheit. Das Gewissen würde in diesem Fall nicht seine Würde verlieren.

Anders verhalte es sich, wenn der Mensch sich nicht bemüht das Wahre und Gute zu suchen, und das Gewissen durch die Gewöhnung an die Sünde bereits abgestumpft ist. Hier verliere das Gewissen seine Würde, da es schuldhaft irrt.

In diesem Zusammenhang betont der Papst, daß die Katholiken in der Kirche und ihrem Lehramt eine große Hilfe für die Gewissensbildung haben. Nach dem Willen Christi sei die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit. Aufgabe der Kirche sei es, die Wahrheit zu verkünden, zu lehren und die Prinzipien der sittlichen Ordnung autoritativ zu erklären.

„Die Autorität der Kirche, die sich zu moralischen Fragen äußert, tut also der Gewissensfreiheit der Christen keinerlei Abbruch: ... Die Kirche stellt sich immer nur in den Dienst des Gewissens, indem sie ihm hilft, nicht hin- und hergetrieben zu werden von jedem Windstoß der Lehrmeinungen, ...“10 )

Im folgenden ein Ausschnitt aus einer Rede von Papst Johannes Paul II an die Teilnehmer des Internationalen Moraltheologenkongresses in Rom am 12.11.1988:

„Im Anschluß an die Bekämpfung von Humanae vitae (menschliches Leben) ist auch die christliche Lehre vom moralischen Gewissen in Frage gestellt und der Gedanke eines Gewissen angenommen worden, das sich die sittliche Norm selbst schafft. Auf diese Weise wurde das Band des Gehorsams gegen den Willen des Schöpfers radikal zerschnitten, in dem gerade die Würde des Menschen besteht.

Das Gewissen ist nämlich der Ort, an dem der Mensch von einem Licht erleuchtet wird, das nicht von seiner geschaffenen und immer fehlbaren Vernunft kommt Daraus ergeben sich einige Forderungen ... : Da das Lehramt von Christus dem Herrn eingesetzt worden ist, um das Gewissen zu erleuchten, bedeutet die Berufung auf das Gewissen, gerade um vom Lehramt verkündete Lehren zu bestreiten, eine Ablehnung der katholischen Auffassung sowohl vom Lehramt als auch vom sittlichen Gewissen.“11 )

Papst Johannes Paul II verweist hierbei also auf das kirchliche Lehramt, wobei er die Berufung auf das Gewissen einzuschränken versucht.

Diese Aussage scheint jedoch die Gewissenslehre im Hinblick auf lehramtliche Aussagen für viele Moraltheologen in Frage zu stellen. Hier wollte Franz Böckle anknüpfen und die Struktur und Bedeutung des Gewissens zu klären.

5. Die Kompetenz des Gewissens nach Franz Böckle

Im Umgang mit lehramtlichen Entscheidungen in Moralfragen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Katholiken. Insbesondere in jüngster Zeit, nach Ansprachen von Papst Johannes Paul II, in denen er beispielsweise davor warnt, einzelne vom Lehramt verkündete Lehren unter Berufung auf das Gewissen zu bestreiten.

In diesem Zusammenhang wollte Franz Böckle die Kompetenz und die Aufgabe des Gewissens nach katholischer Lehre darstellen.

5.1 Der Anspruch des Gewissens

In einer freien und offenen Gesellschaft steht das freie Selbstbestimmungsrecht des einzelnen im Vordergrund. Hier wird der mündige Bürger aufgefordert sich durch das Einholen von Informationen für das Eine oder das Andere zu entscheiden. Zivile wie auch kirchliche Stellen verweisen dabei oft an die persönliche Gewissensentscheidung. Beispiele hierfür sind Kriegsdienstverweigerung, Empfängnisverhütung, Abtreibung etc.

In früheren Zeiten war es in der geschlossenen Gesellschaft eines Dorfes die gemeinsam akzeptierte Sitte, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft bestimmte. Die Verhaltensnormen waren eingelebt und bedurften keiner zusätzlichen Überprüfung. Die Sitte, durch die man sich lenken ließ, wurde vom Dorfpfarrer und dem Lehrer des Dorfes gehütet.

Anstelle der Sitte sei in einer offenen Gesellschaft die Information getreten und nicht das Gewissen, auf das oft verwiesen wird, so Böckle.12 )

Die Informationen, an denen wir uns orientieren sollen, sind oftmals von Widersprüchen und hoher Komplexität gekennzeichnet, so daß sie für den einzelnen unüberschaubar werden. Beispiele hierfür liefern die täglichen Diskussionsrunden in den Medien.

In dieser Situation verweist Papst Johannes Paul II die Katholiken mit Nachdruck auf das kirchliche Lehramt.

5.2 Der Anspruch das, was man als gut erkennt, auch zu verwirklichen

Nach Böckle stellt sich das Gewissen schützend vor die Identität des Individuums. Es gibt Situationen, in denen Menschen feststellen, daß sie ohne Verlust der eigenen Identität nicht anders handeln können. Entscheidend hierbei ist die sichere Überzeugung, die Gewißheit, sich nicht anders entscheiden zu können bzw. zu dürfen. Diese Gewißheit ist nicht beweisbar, sondern nur bezeugbar. Die Bezeugung kann nur aufgrund der Glaubwürdigkeit der Person abgenommen werden.13 )

Die Gewissenslehre knüpft an dieser Tatsache an. Sie besagt, daß auch derjenige an sein Gewissen gebunden ist, der in einer konkreten Frage in einem sittlichen Urteil schuldlos irrt. Die Gewissenspflicht hängt demnach nicht an der Richtigkeit der Gewissensentscheidung (dem sittlichen Urteil).

Die sittliche Pflicht wurzelt in jedem Menschen selbst. Sie erfüllt sich nicht in einer Wahl zwischen Objekten, sondern als Selbstvollzug des wählenden Menschen. Der Mensch als Ganzer ist beansprucht, in Freiheit über sich selbst zu verfügen. Wobei er Gott begegnet durch den Anspruch, den das uneingeschränkt Gute auf den vernünftigen Willen ausübt.

Thomas von Aquin sprach in diesem Zusammenhang vom Urgewissen, das die praktische Vernunft prägt. Er unterschied (wie später auch Imanuel Kant) zwischen der theoretischen und der praktischen Vernunft. Die theoretische Vernunft ist die Grundlage empirischer Wissenschaft. Die praktische Vernunft dagegen nimmt Stellung. Sie erkennt oder anerkennt etwas als gut. Für Thomas von Aquin setzt nun die oberste Regel der praktischen Vernunft ein, nämlich das als gut erkannte zu tun und das als böse erkannte zu lassen. Diese oberste Regel ist das erste Prinzip der praktischen Vernunft.

Getragen wird das Prinzip vom Urgewissen. Das praktische Prinzip, die oberste Regel selbst, sei jedoch nicht angeboren, sondern wie jede Regel, von der Vernunft verfaßt. Der Mensch gewinne das erste Prinzip durch die Tätigkeit seiner Vernunft bzw. aus Erfahrung.

Das Urgewissen welches das uneingeschränkt Gute vermittelt, sei ein Ort des Glaubens. Der Anspruch des Gewissens vermittelte eine Begegnung mit Gott.

In unserer Zeit würde dem einzelnen diese Beziehung meist nicht bewußt werden. Er folge dem Anspruch seines Gewissens und vollzieht damit einen Akt des Glaubensgehorsams. Der Glaubensakt sei anonym, aber von Gott getragen.

Dies ist nach Böckle der grundlegende Aspekt des Gewissens, der Urgrund der Sittlichkeit.

5.3 Das Gewissen fordert vom Menschen ein begründetes Urteil

Um das Handeln verantworten zu können, muß der Mensch geprüft haben, ob das als „gut“ Erkannte auch wirklich gut ist. Das geschieht im Gewissensurteil. Es ist nach „bestem“ Wissen zu finden. Sittliche Selbstbestimmung nimmt den Menschen in seinem Urteilen und Entscheiden in Pflicht. Sie wäre keine Selbstbestimmung, würde der Mensch über die Entscheidung, die er trifft, sich selbst keine Rechenschaft geben.

„Im Gewissensanspruch erweist sich das Gewissen nicht nur als Ausführungsorgan vorgegebener Normen, sondern auch als suchendes und urteilendes Gewissen“.14 )

Das heißt nicht, daß das Gewissen die Wahrheit über Gut und Böse selbst kreiert, meint Böckle. Selbsterhaltung, Arterhaltung, die Erhaltung der Umwelt und der Schutz der Menschenrechte sind fundamentale Ziele die von der Schöpferhand Gottes in der menschlichen Person eingeschrieben seien, so daß das Gewissen also nicht einfach etwas Willkürliches sein kann. Gegenstand des Streites innerhalb der katholischen Kirche ist die Frage inwieweit diese Ziele dem Handeln bereits vorgegeben sind. F. Böckle kommt zu dem Ergebnis:

„Das Gewissen hat sich im praktischen Urteil zu orientieren an der Bedeutung, die einem bestimmten Tun im Ganzen der Person zukommt.“15 )

Zum Gewissen gehöre auch die Möglichkeit des Zweifels oder des Irrtums und damit die Notwendigkeit der Prüfung und Bildung des Gewissens.

5.4 Persönliche Grundhaltungen (Tugenden) und verbindliche Normen

Nach Thomas von Aquin eignet sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens sittliches Wissen an. Hier geht es um Erfahrungen. Die sittliche Erkenntnis vollzieht sich in einer steten gegenseitigen Beeinflussung von Erkenntnis und Entscheidung.

So baut sich nicht nur Erfahrungswissen auf, sondern es entwickelt sich eine Grundhaltung (Tugenden), die dem Entscheiden und Handeln Kontinuität verleiht.

Die Kenntnis über verbindliche Normen und die Auseinandersetzung mit ihnen ist wichtig für die Funktion des Gewissens und damit für das sittliche Handeln. Verbindliche Normen ermöglichen gemeinsame Verantwortung, garantieren Verläßlichkeit und geben dem Gewissen Orientierung. Sie fallen aber nicht vom Himmel. Sie entstammen einem kulturgeschichtlichen Entwicklungsprozeß, dessen verantwortliches Subjekt der Mensch selbst ist.

Will man die Verbindlichkeit der von der katholischen Kirche verkündeten Normen für unser Gewissen untersuchen, so stellt man fest, daß allgemeine Prinzipien nicht ausreichen um sie auf die sittliche Praxis anzuwenden. Konkrete Situationen verlangen nach konkreten Weisungen. Und eben diese konkreten Weisungen lassen sich nicht aus den allg. Prinzipien ableiten. Hier muß das Gewissen entscheiden, und die Gewissensentscheidung muß akzeptiert werden.16 ) Es herrscht somit hinsichtlich der Verbindlichkeit der Normen im innerkirchlichen Bereich Verwirrung. Normen gelten im allgemeinen unter den für sie gegebenen Bedingungen. Sie erhalten auch durch eine lehramtliche Bestätigung und Verkündigung keinen Absolutheitscharakter. Es wird aus diesem Grund von einem Katholiken ein religiöses Eingehen auf Normen gefordert, welches eine geistige und sittliche Mitverantwortung einschließt. „Daß dabei der einzelne Christ nach reiflicher Prüfung seines Gewissens auch zu einem vom kirchlichen Lehramt abweichenden Urteil kommen kann, entspricht bester theologischer Tradition“17 ).

6. Fazit

Kernpunkt von Franz Böckles Moraltheologie ist die Überzeugung, daß es ein echtes Mitwirken des Menschen mit Gott gibt. Dieses Mitwirken wird von der Gnade Gottes getragen und initiiert ist aber dennoch ein menschliches Handeln.

„Selber-Lichtwerden in Christus“, im Sinne eines echten Mitwirkens mit Gott, diesen Gedanken ethisch auszulegen erforderte es, die sittliche Beanspruchung des Menschen durch Gott neu zu durchdenken. Der Gottesgedanke stellt den Menschen nicht unter ein Fremdgesetz sondern konfrontiert ihn mit seiner eigenen Verantwortlichkeit.

Mit dem Bezug auf Thomas von Aquin wollte Franz Böckle aufzeigen, daß der Mensch eine Verantwortung für die sittliche Ordnung in den verschiedensten Lebensbereichen dieser Welt besitzt. Diese Verantwortung beinhalte für ihn eine Mitwirkungspflicht im öffentlichen Leben einer Gesellschaft.18 )

Sittliches Handeln ist für ihn ein Handeln aus objektiven, vernünftig überprüfbaren Gründen. Der Glaube schließt das Argumentieren im Sinn eines Gründegebens nicht aus, sondern nötigt dazu, unterscheidend zwischen gut und böse sich auf einen letzten Grund des Sittlichen zu beziehen.

Das Gewissen ist daher nicht nur Ausführungsorgan vorgegebener Normen, sondern auch als suchendes und urteilendes Gewissen zu sehen. Es sucht Antwort über die Bedeutung, die ein Tun für die Person selbst hat.

Die Diskussion um das Gewissen geht wesentlich um diese suchende und urteilende Funktion des Gewissens, im Hinblick auf bindende Normen (Normativität).

Grundlegende Bedeutung kommt in dieser Diskussion der Frage zu, ob und inwieweit es eine Normativität des Gewissens selbst gibt.19 )

Wenn sich die christl. Ethik z.B. mit Themen wie Sexualität beschäftigt, schöpft sie die entsprechenden Sinngehalte und Werte aus der Quelle der Offenbarung. In der Bibel steht einiges über den Schöpfungssinn der Sexualität geschrieben. Fragt heute jemand, wie er sich in welcher Weise verhalten soll, wenn er liebt und begehrt, so kann eine Antwort sich jedoch nicht nur auf das beziehen was in der Bibel steht. Dafür hat sich das Weltbild seit dem die Bibel existiert zu sehr verändert. Die Schriftsteller der Bibel hatten keine Erkenntnis über die Psychologie der Liebe oder über Hetero- und Homosexualität. Die Wirklichkeit steht nicht unmittelbar in der Bibel. Wahrheit wird geoffenbart, soweit religiöse Belange oder der Heilsinn des Lebens betroffen sind. Sittliche Richtigkeiten unter den Bedingungen moderner Lebenswelt und entsprechender human- und naturwissenschaftlicher Erkenntnis kann man mit der Bibel nicht unmittelbar begründen. Für diese Begründung ist die praktische Vernunft zuständig, die Fähigkeit zum Dialog und Einbeziehung von Erkenntnissen, um die Verbindlichkeiten für unser Handeln zu erschließen. Im Gewissen verbindet sich die Vernunft der einzelnen Erkenntnisse mit der zentralen Orientierung des Lebens im Glauben. Im katholischen Lehramt sollte sich die allg. zugängliche Vernunft mit der im Glauben verankerten Vernunft verbinden, zum Zweck des Dienstes an der christlichen Gemeinschaft. Will das Lehramt überzeugen, so muß es zum einen mit der Vernunft der allgemein zugänglichen Erkenntnis argumentieren und zum anderen mit der Vernunft die im Glauben verankert ist. Trifft beides zu, wie z.B. in der Verurteilung der Verletzungen von Menschenrechten, so ist das positiv zu bewerten. In einzelnen Normen des päpstlichen Lehramtes sind jedoch die Begründungen oftmals schwach z. B. bei der Norm für die Empfängnisregelung.20 )

Abschließend ein Zitat von Joseph Kardinal Ratzinger aus dem Jahr 1966:

„Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität steht noch das eigene Gewissen, dem zu allererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität“.

7. Literaturverzeichnis

/1/ Franz Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, Kösel-Verlag, München 1995.

/2/ Franz Böckle: „Fundamentalmoral“, Kösel-Verlag, München 1978.

/3/ Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls: „Enzyklika Veritatis splendor von Papst Johannes Paul II“, Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 5. Aufl., Bonn 1995.

/4/ Dietmar Mieth: „Moraltheologie im Abseits“, Herder Verlag, Freiburg 1994.

/5/ Gerhard Höver: „Der Streit um das Gewissen“, Schöningh Verlag, Paderborn 1993.

/6/ Microsoft Encarta 97 Enzyklopädie, 1993-1996 Microsoft Corporation.

[...]


1 ) Franz Böckle (1921-1991), 1953-1963 Professor in Chur, 1963-1991 ordentlicher Professor für kath. Moraltheologie an der Universität Bonn.

2 ) Aristoteles (384-322 v. Chr.), griechischer Philosoph, Schüler Platons und Lehrer von Alexander des Großen, gehört mit Platon und Sokrates zu den berühmtesten Philosophen des Altertums.

3 ) Thomas von Aquin (1225-1274), italienischer Philosoph und Theologe, gilt als wichtigster Vertreter der Scholastik und zählt zu den bedeutendsten römisch-katholischen Theologen.

4 ) Vgl. Microsoft Encarta 97 Enzyklopädie: „Scholastik“.

5 ) Enzyklika „Veritatis splendor“, S. 35

6 ) Ebenda S. 37

7 ) Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil: Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute verabschiedet und promulgiert am 7. Dezember 1965, Luzern / München 1966.

8 ) Enzyklika „Veritatis splendor“, S. 60

9 ) Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil: Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute verabschiedet und promulgiert am 7. Dezember 1965, Luzern / München 1966.

10 ) Enzyklika „Veritatis splendor“, S.63

11 ) Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, S. 45 ff.

12 ) Vgl. Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, S. 44 ff.

13 ) Vgl. Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, S. 47.

14 ) Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, S. 49.

15 ) Ebd., S. 50. 17 )

16 ) Böckle: „Ja zum Menschen, Bausteine einer konkreten Moral“, S. 52.

17 ) Ebd., S. 53. 6. Fazit

18 ) Vgl. Höver: „Der Streit um das Gewissen“, S. 127 ff.

19 ) Ebenda S. 7.

20 ) Vgl. Mieth: „Moraltheologie im Abseits“, S. 9 ff.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Gewissen. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls im Vergleich zu Aussagen von Franz Böckle
Hochschule
Universität Kassel
Veranstaltung
Seminar: "Sozialethische Themen im Religionsunterricht der Sek II"
Autor
Jahr
1999
Seiten
17
Katalognummer
V96529
ISBN (eBook)
9783638092050
Dateigröße
362 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewissen, Verlautbarungen, Apostolischen, Stuhls, Vergleich, Aussagen, Franz, Böckle, Seminar, Sozialethische, Themen, Religionsunterricht
Arbeit zitieren
Steffen Pfannkuch (Autor:in), 1999, Das Gewissen. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls im Vergleich zu Aussagen von Franz Böckle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96529

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