Auf dem Weg in die Erlebnisgesellschaft - Schulzes Erlebnismodell


Seminararbeit, 1998

16 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Konzeptionelle Ansätze zum Milieukonzept
2.1 Das Milieu als soziologischer Grundbegriff
2.2 Das Milieu als sozialmoralische Einheit
2.3 Das Milieu subjektorientierter Teil der Lebensstilforschung

3. Das Milieu in der Lebensstilforschung und bei Gerhard Schulze

4. Die Erlebnisgesellschaft
4.1 Der Wandel zur Erlebnisgesellschaft
4.2 Lebensstilsemantik
4.3 Schulzes Modell der Erlebnismilieus
4.4 Milieubildende und -anzeigende Zeichen
4.4.1 Alltagsästhetischer Stil als Zeichen
4.4.2 Alter als Zeichen
4.4.3 Bildung als Zeichen

5. Schulzes Modell in der Kritik - Fazit

6. Anhang

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Begriffe wie ,,Individualisierung", ,,Lebensstil" (oder neudeutsch ,,Lifestyle") und

,,Wertewandel" haben das Areal der Sozialwissenschaften verlassen und sind heute in aller Munde. Die Soziologen selbst wurden durch diese Begriffe eher verunsichert: ,,Unsichtbare Komplexität, neue Unübersichtlichkeit oder gar das Ende des Sozialen - so lauten die Metaphern der Ratlosigkeit."1

Gerhard Schulze setzt dieser These vom ,,Ende des Sozialen durch die Vervielfältigung der Lebensstile" sein Paradigma der Erlebnisgesellschaft entgegen.

Wichtige und interessante Elemente seiner These sind ein neues Milieuverständnis sowie ein Handeln der Individuen, welches nur noch auf ,,das kurzfristige Erleben und eine erfolgreiche Ästhetisierung"2 ausgerichtet sind. Dieses Handeln führt zu einer Veränderung der sozialen Wahrnehmung.

An diesen Punkten habe ich mich in dieser Hausarbeit orientiert.

Interessant war für mich außerdem, ob Gerhard Schulzes Modell aus den 80er Jahren auch noch auf die späten Neunziger mit ihren eventuell veränderten Rahmenbedingungen anwendbar ist.

Dieser Frage stelle ich ans Ende meiner Arbeit.

2. Konzeptionelle Ansätze zum Milieukonzept

In den letzten Jahren war in der Sozialstrukturanalyse und der Lebensstilforschung eine verstärkte Hinwendung zum Milieubegriff zu beobachten. Die Ursachen hierfür sind zu finden in der Leistungsfähigkeit für eine Analyse realer und kultureller Ausprägungen - vor allem für Wirtschaft (Marktforschung!) und Politik, aber auch für die Sozialwissenschaften, zum Beispiel der Kultursoziologie.3

Es lassen sich verschiedene Ansätze zum Milieukonzept feststellen:

2.1 Das Milieu als soziologischer Grundbegriff

Emile Durkheim verwandte erstmals den Milieubegriff in der Soziologie. Nach seiner Auffassung sind Milieus reale Bewegungsformen sozialer Individuen. Milieus spiegeln überindividuelle normative Zwänge - welche Ursachen sozialer Phänomene sind - wieder.4

2.2 Das Milieu als sozialmoralische Einheit

In den 60er Jahren führte M. Rainer Lepsius den Milieubegriff wieder stärker in die (deutsche) Soziologie ein. Er sieht Milieu als spezifische soziale Einheit an, die sich durch einen komplexen Bezug auf eine sozialmoralische Einheit konstituiert. Die Bestimmung dieser Einheit geschieht durch eine komplexe Konfiguration religiöser, regionaler, sozialer, wirtschaftlicher und ähnlicher Einheiten.5

2.3 Das Milieu als subjektorientierter Teil der Sozialstrukturforschung

Laut Stefan Hradils Ansatz ist ein Milieu eine Gruppe von Menschen, die solche Lebensbedingungen oder -haltungen aufweisen, aus denen sich gemeinsame Lebensstile herausbilden.

3. Das Milieu in der Lebensstilforschung und bei Gerhard Schulze

In der Lebensstilforschung sind Milieubegriffe stark verbreitet. Dabei werden Milieu und Stil häufig als Synonyme verwandt. Hier bezeichnet Milieu eine möglichst homogene Lebensstilgruppe. Gerhard Schulze versteht unter sozialen Milieus ,,große Personengruppen mit ähnlichen subjektiven und situativen Merkmalen, die sich von einander durch erhöhte Binnenkommunikation abheben"6 und die ,,typische Existenzformen aufweisen".7 Binnenkommunikation wiederum ,,manifestiert sich in erhöhter Wahrscheinlichkeit persönlicher Kontakte von Angehörigen derselben Gruppe, insbesondere in Partner- und Freundschaftsbeziehungen, im Bekanntenkreis, in Vereinen, in Szenen".8 Sie bewirkt Stabilisierung, sorgt für ähnliche Verarbeitung von Erlebnissen und erzeugt Gruppenbewußtsein.

Laut Schulze läßt sich die Entstehung sozialer Milieus nicht durch ein zeitloses Modell beschreiben.9 Die Milieubildung läuft heute nach einem anderen Muster als früher ab: ,,Beziehungswahl ist an die Stelle von Beziehungsvorgabe getreten".10

,,Früher waren Milieus vor allem regional und ökonomisch definiert, es gab kaum einen individuellen Spielraum jenseits des Existenzminimums, in einer Warenwelt geringer Diversifizierung, eingeschränkt durch Konvention und kontrolliert durch Sanktionen. In einer Welt eines diversifizierenden Warenangebots, der schrankenlosen Kommunikation, der Aufhebung von Konventionen wird die Konstitution des Milieus immer stärker zu einem aktiven Akt der Menschen."11 Neu treten dabei ,,altersspezifische Milieus als gegeneinander abgegrenzte Kontaktfelder mit eigenen Mentalitäten"12 bzw. ,,kohortenspezifische Erlebnismilieus"13 auf.

Gerhard Schulze findet fünf Milieus in der Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland.14 Diese unterscheiden sich nach Alter, Stil und Bildung.15

Da in jedem Milieu theoretisch Untereinheiten gebildet werden könnten und Teilmilieus mit anderen Teilmilieus eine Basis an Ähnlichkeiten aufweisen, ergibt sich ein Unschärfeproblem16: ,,[...] die Grenzen zwischen den Milieus lassen sich nicht als Linien modellieren, sondern müssen als Zonen modelliert werden, und es bedarf der Differenzierung innerhalb der Milieus."17

Aus diesem Grunde führte Gerhard Schulze den Begriff der ,,Szenen" ein.

4. Gerhard Schulze und die Erlebnisgesellschaft

4.1 Der Wandel zur Erlebnisgesellschaft

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hat auf die Veränderung der Lebensbedingungen mit einer Veränderung der Lebensweise reagiert: Immer mehr Menschen handeln erlebnisorientiert.18,,Die Suche nach dem schönen Erlebnis ist zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags geworden."19 Unter einem schönen Erlebnis ist die ,,positive innere Reaktion auf eine Situation"20 zu verstehen.

Erlebnisorientiertes Handeln liegt dann vor, wenn das Ziel einer Handlung ein solches schöne Erlebnis ist. Am häufigsten äußert sich alltagsästhetisches Handeln in ,,alltagsästhetischen Episoden". Laut Gerhard Schulze sind diese Episoden dann alltagsästhetisch, wenn der Handelnde nicht von äußeren Umständen zu dieser Handlung gezwungen wird, also aus freien Stücken eben so handelt. Außerdem muß eine Erlebnisabsicht des Handelnden vorliegen. Nur ,,wiederholbare und kollektiv verbreitete Handlungsmuster"21 werden hier berücksichtigt. Schulze weist die Zunahme erlebnisorientierten Handelns durch die ,,kollektive Zunahme alltagsästhetischer Episoden"22 nach - empirisch belegbar ist dies nicht unbedingt: Eine beliebige Handlung läßt sich von außen weder auf ihren Erlebniswert untersuchen, noch, ob Erlebnisorientierung bei der Ausführung eine Rolle spielt.

4.2 Lebensstilsemantik

Die Zunahme der Bedeutung differenzierbarer Lebensstile zeigt sich in der heute schon für viele selbstverständlich erscheinenden, ,,zunächst kaum merklichen Veränderung der sozialen Unterscheidungspraxis."23 Die Menschen sind dazu übergegangen, sich selbst und andere nach Lebensstilkriterien zu beurteilen und Kommunikations- sowie Kontaktchancen davon abhängig zu machen.24 Im Prinzip sekundäre Geschmacksfragen werden dadurch zu Stilfragen und -urteilen erhoben, um zu definieren, ,,zu welchen Szenen wir uns zuordnen, zu welchen Leuten wir uns lieber gesellen."25

Lebensstilsemantik bedeutet, daß die Einstufung von Personen und Gruppen mittels Stilkriterien vorgenommen wird. Diese Kriterien basieren auf Eigenvorstellungen und (zunehmend massenmedial, kommerziell und politisch generierten, verbreiteten und genutzten) Fremdbildern.

Da allen Lebensäußerungen kulturelle Bedeutung beigemessen wird, werden soziale Differenzierungsschemata sensibilisiert. Dies führt zu einer Aufwertung des kulturellen Feldes, also zur ,,Kulturalisierung der Gesellschaftsauffassung".26,,Das Individuum wird zum Lebensstilträger."27 Weil die Unterscheidungskriterien der Lebensstile nach ihrem jeweiligen Selektionsschema ausgerichtet sind, konkurrieren Lebensstile lediglich auf ,,Teilmärkten" miteinander. Zudem stehen sich Lebensstile nur dort direkt gegenüber, wo ,,die Wahrnehmung anderer in Opposition zu den eigenen Wertmaßstäben [...] steht"28, wo also Feindbilder vorhanden sind. Gerhard Schulze liefert zur direkten Konfrontation ein anschauliches Beispiel: ,,Ein älterer Mensch mit geringer Bildung leidet fast schon physisch, wenn er laut aufgedrehte Pop-Musik anhören muß. Er könnte sich allerdings wirksam wehren, wenn er den Störer zwingen könnte, einen geselligen Abend mit den Oberkrainern zu besuchen."29

Lebensstile konkurrieren nur in Ausnahmen und dann auch nur in Teilen miteinander, darum lassen sie sich nicht in einen gesamtgesellschaftliche Hierarchie bringen. Schulze meint hierzu: ,,(Es) existieren [...] Milieus nebeneinander, die sich nicht in eine klare Rangordnung nach dem Kriterienbündel sozialer Ungleichheit bringen lassen, obwohl sie sich trotzdem als deutlich abgezeichnete Großgruppen abzeichnen."30

4.3 Gerhard Schulzes Modell der Erlebnismilieus

In der Bundesrepublik Deutschland bestimmt nicht mehr ,,die klassische Problemperspektive der Lebenssicherung"31, sondern eine sich immer mehr verbreitende Erlebnisorientierung die Existenz der Menschen: ,,Der Blick vieler Menschen auf ihre Umwelt erfolgt aus dem ästhetischen Blickwinkel"32, wenn auch nicht immer, so doch immer öfter. Alltagsästhetik drückt die ,,bewußten oder [...] beiläufigen ästhetischen Entscheidungen des täglichen Lebens"33 aus. Als alltägliches Unterscheidungsschema wurde das Prestige, welches sich vor allem über Beruf und Einkommen definiert, von der Alltagsästhetik abgelöst.

Der These von der entstehenden unübersehbaren Vielfalt autonomer Lebensstile setzt Schulze eine ,,ausgeprägte kollektive Struktur alltagsästhetischer Grundorientierungen"34, die durch das Hochkultur-, Trivial- und das Spannungsschema geformt werden, entgegen. ,,Jedes dieser Schemata ist ein alltägliches [...], das auf die [...] Art der Distinktion in Form alltagsästhetischer Entscheidungen hinweist."35 Diese alltagsästhetischen Schemata sind deshalb distinktiv, ,,weil sie in der Alltagsinteraktion durch ihre Zeichenhaftigkeit sozial relevante Unterscheidungen herbeiführen."36 Damit spielt die Alltagsästhetik die dominierende Rolle bei der Auswahl sozialer Beziehungen, bei der Selbstdefinierung und bei der Abgrenzung.37

Mit den alltagsästhetischen Schemata stehen zwei leicht erkennbare und einzuordnende Merkmale der Lebenssituation in Verbindung: Bildung und Lebensalter.

4.4 Milieubildende und -anzeigende Zeichen

Die Binnenkommunikation sozialer Milieus erfolgt über die ,,wechselseitige Dekodierung sozialer Stile".38,,Die Wahrnehmung erfolgt über milieuindizierende Zeichen, die schnell und einfach dekodierbar sei müssen. Als wesentliche Eigenschaften gelten Evidenz und Signifikanz."39 Unter Evidenz ist leichte Wahrnehmbarkeit und unter Signifikanz relative Zuverlässigkeit zu verstehen.40 Daher sind für Gerhard Schulze drei Zeichen von besonderer Bedeutung: Stiltyp, Alter und Bildung.41

4.4.1 Alltagsästhetischer Stil als Zeichen

Der Kaufpreis einer Ware an sich sagt kaum noch etwas über die soziale Lage seines Besitzers aus. Denn durch den hohen Lebensstandard ist es im Prinzip jedem möglich, sich mit jeder Ware (und damit mit dem zugehörigen Status, bezogen auf die ,,alte" soziale Hierarchie mit ihren Zeichen Berufsposition und Vermögen) "auszustatten". Deshalb ist es wichtig, mit der Ware nicht nur einen Gebrauchs-, sondern auch einen Erlebniswert zu erwerben.

Da Konsum in der Bundesrepublik kaum noch Notwendigkeitskonsum, sonder immer mehr Wunschkonsum ist, weisen angeeignete Dinge, die am anderen zu erkennen sind, nicht auf dessen Lebensbedürfnisse, sondern auf die ,,Erlebensbedürfnisse" hin. Die Ware zeigt nicht soziale Ungleichheit, sondern Subjektivität an:42,,Je mehr ich auf das, was ich habe, verzichten kann, desto mehr zeige ich, auf was ich nicht verzichten will."43

4.4.2 Alter als Zeichen

Das Lebensalter des Gegenübers ist ein sehr schnell erkennbares und einstufbares Zeichen. Verwertbar wird dieses Zeichen durch die generationenspezifische Ausprägung des Geschmacks.44 Als direkt aufeinandertreffende Merkmale dieser Ausprägung führt Gerhard Schulze das mit zunehmendem Alter zunehmende Bedürfnis nach ,,Ordnung, Ruhe, Harmonie und Tradition"45 einerseits und den jugendspezifischen Hunger nach Unruhe, Erfahrung und Abwechslung andererseits46 an.

4.4.3 Bildung als Zeichen

Der Bildungsgrad ist dem Alter an Evidenz und Signifikanz vergleichbar. Evident ist er, weil es zur ungefähren Bestimmung des Bildungsniveaus des anderen nur ein Gespräch bedarf. ,,Sie zählt zu den Standardinformationen, die beinahe unvermeidlich am Anfang jeder Bekanntschaft ausgetauscht werden [...]."47

Die Signifikanz ergibt sich - ähnlich dem Alter - durch die Zuordnung Bildung - Milieuzugehörigkeit. ,,Mit einer groben Einteilung des Bildungsgrades [...] ziehen wir gewissermaßen Fächer in den Rahmen ein [...]"48, den das Alter vorgibt.

5. Gerhard Schulzes Modell in der Kritik - Fazit

Das Grundschema Gerhard Schulzes von der modernen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt vom Bild einer Überflußgesellschaft. Gerhard Schulze theoretisiert den Überfluß49 - im Gegensatz zur ,,klassischen" Soziologie, die ,,von Marx bis zum heutigen Tage [...] eine Mangel- und Knappheitswirtschaft"50 war: ,,[...] Habermas sorgt sich um die kommunikative Unversehrtheit unserer Lebenswelt, [...] Dahrendorf und [...] Offe befürchten das Knappwerden der Erwerbsarbeit, [...] (Beck) schildert die ökologische Bedrohung [...] - alles wird verknappt: Sinn, Arbeit und Natur."51

Da nicht mehr das Überleben, sondern das Erleben in den Mittelpunkt des Lebens getreten ist, wurden alte Statussymbole (die lediglich auf den Besitz von Gütern basieren) abgelöst von einer Betrachtungsweise, ,,die alle Ereignisse auf ihren Erlebniswert hin untersucht."52 Laut Schulze werden alle Milieus seines Modells von einer erlebnisorientierten Grundhaltung geprägt (deshalb ja auch ,,Erlebnismilieus").

Abgesehen davon, daß eine Analyse von Lebensstilentwicklungen, die nur auf eine ,,ästhetisch-expressive Rationalität"53 ausgerichtet ist, beliebige Interpretationen zuläßt54, stellt sich die Frage, ob wirklich alle Milieus, insbesondere die ,,älteren", von einer subjektbezogenen Erlebnismentalität dominiert werden. ,,Wenn damit vor allem Innenorientierung gemeint ist, zeigen gerade die drei älteren Milieus einen starken Außenbezug durch die Vorstellung von der Welt, mit der man rechnen muß."55 Hans-Peter Müller meint sogar: ,,Genaugenommen trifft die Erlebnisorientierung nur auf die beiden jüngeren Milieus mit ihrer starken Ich-Verankerung zu."56

Auch wenn ich soweit nicht gehen will, meine ich, daß die Erlebnismentalität am deutlichsten in der jüngeren Generation zum Ausdruck kommt. Teilweise bildet die Suche nach Erlebnissen bizarre Formen aus, die in den älteren Milieus so nicht zu beobachten sind. Möglich ist natürlich auch, daß diese Erlebnisorientierung der jüngeren Milieus - zum Beispiel durch die Massenmedien propagiert - als subjektives Klischee stärker auftritt als in der Realität.

Ein weiterer Kritikpunkt findet sich, wenn Schulze anhand der Entvertikalisierung der Alltagsästhetik eine ,,Entvertikalisierung des Verhältnisses sozialer Großgruppen"57 feststellt. Dadurch wird nach seiner Meinung die individuelle Ausprägung eines Lebensstils kaum noch durch Einkommensverhältnisse eingeengt. ,,Nach wie vor vorhandene

Einkommensunterschiede haben nicht mehr die Auswirkung, daß sie unterschiedliche Milieuzugehörigkeit durch die maximal erreichbare Aufwendigkeit der Lebensstilführung determinieren würden. Jede der [...] Großgruppen ist für jeden Durchschnittsverdiener erreichbar."58

Schulze vermengt hier allerdings zwei Dinge: Die Verwendung eines alltagsästhetischen Schemas ist eine Sache. Die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu ist eine andere. ,,So ist es heute durchaus vorstellbar, daß Arbeiter in die Oper bzw. Ins Theater gehen. Zum Großbürgertum (bzw. ,,Nivaeumilieu" [...]) gehören sie deshalb aber noch lange nicht."59

Methodisch stellt sich die Frage, ob die Milieustruktur der Bundesrepublik Deutschlands durch eine Lokal- und Regionalstudie beschrieben werden kann - ,,ist Nürnberg repräsentativ für die alte Bundesrepublik Deutschland?"60

Die empirische Zeitdiagnose Schulzes ist heute schon wieder veraltet: Die Überflußgesellschaft existiert nach wie vor. Doch haben in Zeiten der ,,neuen Armut", der hohen Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit mit all ihren unangenehmen sozialen Begleiterscheinungen noch alle Zugang zu ihr - oder ist sie nur noch Territorium der ,,Leistungsträger" und ,,Besserverdienenden"?

,,Die Erlebnisgesellschaft in ihrem zeitdiagnostischen Gehalt (ist) Höhe- und Schlußpunkt der 80er Jahre - eine Dekade wird besichtigt."61

Trotz dieser berechtigten Kritikpunkte hat Gerhard Schulze mit seinem Modell der Erlebnisgesellschaft ein vielbeachtetes und vielzitiertes Werk geschaffen.

,,Die Konzeption von Alltagsästhetik als ein Zeichen von Milieuzugehörigkeit macht seien Kultursoziologie für die [...] Lebensstildiskussion so inspirierend und fruchtbar. Kann an der theoretischen Ausarbeitung [...] Kritik geübt werden, so eröffnet die empirische Anlage [...] einen weiten Fundus an Operationalisierungshinweisen [...]."62

,,Trotz [...] (Einwänden) ist Gerhard Schulze mit der Erlebnisgesellschaft ein großer Wurf gelungen, der die Kultursoziologie noch nachhaltig beschäftigen wird."63

6. Anhang: Das Modell der Erlebnismilieus von Schulze

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Modifizierte Übernahme der von Schulze entwickelten schematischen Darstellung soziokultureller Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. Die Modifikation besteht in der Hinzunahme der drei alltagsästhetischen Schemata. Diese sind so angeordnet, daß die alltagsästhetische Typik des Milieus sichtbar wird.

- bedeutet Distanz der jeweiligen Alters- und Bildungsklasse zu einem bestimmen Schema + bedeutet Nähe der jeweiligen Alters- und Bildungsklasse zu einem bestimmen Schema

Abbildung und Text nach:

MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Der Wandel der Milieustruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 1994. S. 41

7. Literaturverzeichnis

BERGER, PETER: ,,Lebensstile" - strukturelle oder personenbezogene Kategorie? In:

BLASIUS, JÖRG / DANGSCHAT, JENS: Lebensstile in den Städten. Opladen 1994. S. 137- 150

GEORG,WERNER: Zur quantitativen Untersuchung von Lebensstilen. In: SCHWENK, OTTO G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft, Opladen 1996. S. 165-183

HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 183-203

KLOCKE, ANDREAS: Sozialer Wandel, Sozialstruktur und Lebensstile in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt 1993

MICHAILOW, MATTHIAS: Individualisierung und Lebensstilbildungen. In: SCHWENK, OTTO G.: Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen1996. S. 71-99

MÜLLER, HANS-PETER: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension). In: KZfSS 45. S. 778-780

MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Der Wandel der Milieustruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 1994

RITTER, CLAUDIA: Lebensstilbildung und Zivilisierung. In: SCHWENK, OTTO G.

(Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft, Opladen 1996. S. 53-71

SCHNIERER, THOMAS: Von der kompetativen Gesellschaft zur Erlebnisgesellschaft? In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 25, Heft 1. Stuttgart 1996. S. 71-82

SCHULZE, GERHARD: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt 1992

SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik

Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990

VOIGT, LOTHAR: Die Verlockungen des Lebensstilbegriffs. In: BLASIUS, JÖRG / DANGSCHAT, JENS: Lebensstile in den Städten. Opladen 1994

[...]


1 MÜLLER, HANS-PETER: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension), KZfSS 45: S. 787

2 ebd., S.788

3 vgl. HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 183

4 Dieser Milieubegriff blieb wegen seiner großen ,,Bandbreite" unklar und wurde von Anfang an kritisiert. Vgl. HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 184

5 vgl. ebd., S. 185

6 SCHULZE, GERHARD: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt 1992. S. 23

7 ebd., S. 170

8 ebd., S. 174

9 vgl. ebd., S. 175

10 vgl. ebd., S. 88

11 HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opl0 vgl. SCHULZE, GERHARD: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt 1992. S. 182

12 ebd., S. 188

13 ebd., S. 189

14 Diese Milieus benennt Schulze nach ihren Lebenszielen: Selbstverwirklichungsmilieu -

Unterhaltungsmilieu - Niveaumilieu - Integrationsmilieu - Harmoniemilieu. Vgl. SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 418

15,,Zwischen diesen Gruppierungen verläuft eine Altersgrenze, die etwa um das vierzigste Lebensjahr zu lokalisieren ist. Sowohl die beiden jüngeren Milieus - Selbstverwirklichung und Unterhaltung - als auch die drei älteren Milieus [...]" (SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 419) sind am besten durch das Merkmal der Bildung zu trennen. Dazu auch die Grafik im Anhang.

16 vgl. SCHULZE, GERHARD: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt 1992. S., S. 210 ff.

17 HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 187

18 MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Der Wandel der Milieustruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 1994. S. 89

19 MICHAILOW, MATTHIAS: Individualisierung und Lebensstilbildungen. In: SCHWENK, OTTO G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 89

20 ebd., S. 89

21 MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Der Wandel der Milieustruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 1994. S. 89

22 ebd., S. 89

23 MICHAILOW, MATTHIAS: Individualisierung und Lebensstilbildungen. In: SCHWENK, OTTO G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 80

24 vgl. ebd., S. 80

25 ebd., S. 80

26 ebd., S. 81

27 ebd., S. 82

28 ebd., S. 92

29 SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 427

30 ebd., S. 425

31 MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Wiesbaden 1994. S. 39

32 ebd., S. 39

33 ebd., S. 40

34 ebd., S. 40

35 ebd., S. 40

36 MÜLLER-SCHNEIDER, THOMAS: Schichten und Erlebnismilieus. Wiesbaden 1994. S. 40

37 Abgrenzungen finden statt durch gegenseitige Positionszuweisung und in Regularien, die als Arenen der Lebensstilkämpfe funktionieren. Schulze nennt hier z. B. Szenen oder Musikstile.

38 KLOCKE, ANDREAS: Sozialer Wandel, Sozialstruktur und Lebensstile in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt 1993. S. 91

39 ebd., S. 91

40 SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 413

41 vgl. GEORG, WERNER: Zur quantitativen Untersuchung von Lebensstilen. In: SCHWENK, OTTO G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 178

42 vgl. SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 415

43 ebd., S. 415

44 vgl. ebd., S. 416

45 ebd., S. 417

46 vgl. ebd., S. 418

47 SCHULZE, GERHARD: Die Transformation sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland. In: BERGER, PETER A. / HRADIL, STEFAN: Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen 1990. S. 418

48 ebd., S. 418

49 vgl. ebd., S. 415

50 MÜLLER, HANS-PETER: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension). KZfSS 45. S. 778

51 ebd., S. 778

52 ebd., S. 778

53 RITTER, CLAUDIA: Lebensstilbildung und Zivilisierung. In: SCHWENK, OTTO G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 67

54 vgl. ebd., S. 67

55 ebd., S. 780

56 ebd., S. 780

57 HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 188

58 SCHULZE, GERHARD: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt 1992. S. 177

59 HOFMANN, MICHAEL / RINK, DIETER: Milieukonzept zwischen Sozialstrukturanalyse und Lebensstilforschung. Eine Problematisierung. In: SCHWENK, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen 1996. S. 188

60 MÜLLER, HANS-PETER: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension). KZfSS 45. S. 780

61 ebd., S. 780

62 KLOCKE, ANDREAS: Sozialer Wandel, Sozialstruktur und Lebensstile in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt 1993. S. 92

63 MÜLLER, HANS-PETER: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension). KZfSS 45: S. 780 This Web page was created using a Trial Version of HTML Transit 3.2.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Auf dem Weg in die Erlebnisgesellschaft - Schulzes Erlebnismodell
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Veranstaltung
Institut für Soziologie, Proseminar "soziale Ungleichheit"
Autor
Jahr
1998
Seiten
16
Katalognummer
V96454
ISBN (eBook)
9783638091305
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erlebnisgesellschaft, Schulzes, Erlebnismodell, Institut, Soziologie, Proseminar, Ungleichheit
Arbeit zitieren
Patrick G. Stößer (Autor:in), 1998, Auf dem Weg in die Erlebnisgesellschaft - Schulzes Erlebnismodell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96454

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