Der Turing-Test (Alan M. Turing, "Computing Machinery and Intelligence")


Ausarbeitung, 1997

8 Seiten


Leseprobe


Seminar "Grenzen der künstlichen Intelligenz", SS 97

Alan M. Turing, "Computing Machinery and Intelligence"

Referat von Arno Schödl

Alan Mathison Turing wurde 1912 in London geboren. Er studierte in Cambridge, arbeitete in den 30er Jahren zusammen mit Church am Problem der Berechenbarkeit, erfand die Turing-Maschine und bewies die Unlösbarkeit des Halteproblems. Er wandte sich dann den wirklichen Rechenmaschinen zu und knackte mit ihnen den Code der Deutschen zur Kommunikation mit ihren U-Booten im Zweiten Weltkrieg. Schließlich wurde er mit seinem hier vorgestellten Artikel aus der Zeitschrift Mind, Ausgabe 1950, der Vorreiter der künstlichen Intelligenz. In dem Artikel geht er der Frage nach: "Können Maschinen denken?"

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Der Turing-Test

Eine Antwort auf die Frage, ob Maschinen denken können, scheitert schon an der Definition des Begriffs "denken". Um dieses Problem zu umgehen, schlägt Turing ein Imitationsspiel vor. Ein Fragesteller befragt über einen Fernschreiber oder ein Terminal einen Mann und eine Frau. Er weiß natürlich nicht, wer der Mann und wer die Frau ist und muß es allein durch Fragen herausfinden. Während die Frau den Fragesteller von der richtigen Zuordnung überzeugen muß, muß sich der Mann als die Frau ausgeben. Auf eine psychologische Untersuchung, warum Turing die Aufgaben gerade so herum verteilte, wird an dieser Stelle verzichtet.

Wird nun der Mann durch eine Maschine ersetzt und gelingt es ihr ebenso oft wie ihm, den Fragesteller zu täuschen, ist diese Maschine als denkend anzusehen.

Der Umweg über einen Fernschreiber soll die intellektuellen von den physischen Eigenschaften eines Menschen trennen. Oder, wie Turing schreibt: "Wir wollen weder die Maschine für ihre Unfähigkeit bestrafen, in einem Schönheitswettbewerb zu brillieren, noch einen Menschen bestrafen, wenn er im Wettlauf mit einem Flugzeug unterliegt."

Die Maschine für den Turing-Test

In dem vorgeschlagenen Test muß eine Maschine das menschliche Denken imitieren. Wenn sie zwar denkt, jedoch in einer anderen Weise als wir, wird sie verlieren. Turing ist zuversichtlich, daß trotz dieser zusätzlichen Schwierigkeit eine solche Maschine konstruierbar ist.

Welche Mittel sind zulässig, um eine solche Maschine zu bauen? Geschlechtsverkehr (!) schließt er ebenso wie Klonen aus. Er beschränkt die zulässigen Maschinen auf Digitalrechner und erklärt das Prinzip ihrer Programmierung. Von besonderer theoretischer Bedeutung sind dabei bedingte Sprünge. Da sich der Speicher eines Rechners jederzeit erweitern läßt, kann man Rechner mit potentiell unendlich großem Speicher betrachten. Damit ist Turing konzeptionell bei seiner Turing-Maschine. Eine solche Maschine will er den Turing-Test spielen lassen. Nach Bedarf könnte man dieser Maschine noch ein zufälliges oder pseudozufälliges Element hinzufügen.

Das Modell der Turing-Maschine ist deshalb hinreichend mächtig, weil jede Maschine mit diskreten Zuständen sich mit einer Turing-Maschine simulieren läßt. Auch ein Digitalrechner ist eine solche Maschine mit diskreten Zuständen. Jede solche Maschine ist hinreichend beschrieben durch ihre Zustandsübergangstabelle, die sich natürlich durch eine Turing- Maschine abarbeiten läßt. Alle zukünftigen Zustände einer solche Maschine sind durch den Anfangszustand und die Eingaben bestimmt.

Die anfangs gestellte Frage formuliert Turing also um zu: Gibt es einen Digitalrechner und ein für ihn geschriebenes Programm, das die Rolle des Manns im Imitationsspiel gut spielen kann?

Turing prophezeit in seinem Artikel von 1950, daß im Jahr 2000 Rechner mit einer Speicherkapazität von einem Gigabit und eine geeignete Programmierung zur Verfügung stehen, die bei fünfminütiger Fragezeit in dreißig Prozent der Fälle den Fragesteller täuschen können.

Kritik an der Möglichkeit denkender Maschinen

Ein Hauptteil von Turings Artikel ist die teilweise erheiternde Diskussion von manchmal etwas unwissenschaftlichen Argumenten gegen eine denkende Maschine. Man hat das Gefühl, Turing wollte mit diesem Teil nicht nur seiner wissenschaftlichen Arbeit Genüge tun, sondern auch einige liebe Mitmenschen veralbern.

Der theologische Einwand, der Mensch hat seine Seele von Gott erhalten, Gott hat weder Tieren noch Maschinen eine gegeben, ist leicht zu entkräften: Wer sagt, daß Gott nicht auch Elefanten eine Seele gibt? Wenn wir unsere Maschine bauen, erschaffen wir, ebenso wie bei der Kinderzeugung, keine Seele, Gott wird schon selbst dafür sorgen, daß die denkende Maschine eine Seele bekommt. Der Einwand erinnert etwas an das Verbot der kopernikanischen Lehre durch die katholische Kirche.

Der Vogel-Strauß-Einwand, oder auch: "Es nicht sein kann, was nicht sein darf.", ist natürlich die typische Reaktion der Menschen, wenn sie wieder ein Stück von ihrem Thron gestoßen wurden. Erst ist die Erde nicht mehr der Nabel der Welt, dann sollen die Menschen von schmutzigen Affen abstammen, und nun sind sie nicht einmal mehr die einzigen, die denken können. Das ist schon hart, bedarf aber kaum eines weiteren Kommentars.

Wie soll eine Maschine je ein Bewußtsein besitzen, wie Menschen es haben? Wie soll sie sich wie ein Mensch freuen oder trauern? Diese Frage ist eigentlich nicht zulässig, weil jeder von uns auch nur von sich selbst weiß, daß er Bewußtsein hat. Daß andere es auch haben, schließen wir lediglich aus ihrem Verhalten. Wir sollten daher auch aus entsprechendem Verhalten einer Maschine schließen, daß sie ein Bewußtsein hat. Turing zitiert als Beispiel einen fiktiven Dialog mit einem maschinellen Shakespeare über das Für und Wider von "summer´s day" in seinem bekannten Vers "Shall I compare thee to a summer´s day?". Turing hat Ambitionen.

Das Problem des Bewußtseins ist damit natürlich nicht gelöst, jedoch scheint die Lösung dieses Problems zum Bau der Maschine nicht notwendig, solange das Ergebnis stimmt.

Der mathematische Einwand zielt darauf ab, daß bestimmte Probleme algorithmisch nicht lösbar sind, so z. B. das Halteproblem. Es gibt kein Programm, das für alle ihm eingegebenen Programme nach endlicher Zeit entscheiden kann, ob die es ausführende Turing-Maschine irgendwann anhalten wird oder ob sie unendlich weiterläuft, das hat Turing selbst bewiesen. Solche Probleme können von keiner Maschine gelöst werden. Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz zeigt, daß es in allen hinreichend mächtigen formalen Systeme Wahrheiten gibt, die in ihm nicht beweisbar sind. J. R. Lucas hat in einem Artikel von 1961 den Gödelschen Satz benutzt, um zu zeigen, daß Maschinen grundsätzlich Menschen unterlegen sind, daher ist der mathmatische Einwand heute als das Lucassche Argument bekannt. Die Widerlegung von Lucas´ Artikel steht prinzipiell schon in Turings Aufsatz.

Die Lösung ist einfach: Was für Maschinen gilt, gilt auch für Menschen. Auch wir haben kein vollständiges System aller Wahrheiten und werden es auch nie besitzen. Durch Maschinen nicht lösbare Probleme sind im allgemeinen Fall auch durch menschliches Denken nicht lösbar. Es gelingt uns in einigen Fällen, solche Probleme zu lösen, ab einem gewissen Schwierigkeitsgrad werden aber auch wir versagen. Es gibt Menschen, die intelligenter sind als Maschinen, jedoch sind genauso Maschinen denkbar, die intelligenter sind als Menschen in dem Sinne, daß sie noch mehr Einzelfälle dieser Probleme lösen können, aber alle kann niemand, kein Mensch und keine Maschine, lösen.

"Maschinen können nicht reich sein, gern Erdbeeren mit Schlagsahne mögen, oder jemanden in sich verliebt machen oder irgendeine andere Sache." Augenscheinlich fällt es Turing schwer, dieses Argumente, eine Maschine könne eine bestimmte Sache nicht tun, wirklich ernst zu nehmen. Es entspringt einer naiven Anwendung wissenschaftlicher Induktion auf Gegenstände des Alltags, nach der Art: Sind alle Maschinen, die ich kenne, unflexibel und einfach, gilt es für alle. In der alltäglichen Welt taugt Induktion allerdings nicht viel. Turing schreibt: "Andernfalls könnten wir zu dem Schluß kommen, dass jedermann englisch spricht und es töricht ist, französisch zu lernen." Der Grund der Beschränktheit normaler Maschinen ist ihre geringe Speicherkapazität, ihre geringe Anzahl von Zuständen.

Turing diskutiert den speziellen Einwand, Maschinen könnten keine Fehler machen, etwas genauer. Maschinen machen dann keine Fehler, wenn sie nicht so programmiert sind, das ist normalerweise der Fall. Eine für das Imitationsspiel programmierte Maschine dagegen würde menschliche Fehler vortäuschen. Die Kritik dieser Art beruht auf der Verwechslung von Funktionsfehlern, die durch Fehler in der Hardware oder der Software ausgelöst werden und bei der Betrachtung von abstrakten Maschinen außer Acht bleiben, und von Fehlschlüssen, die von der Interpretation der Ausgabe durch Menschen abhängen. Natürlich kann ein Programm Fehlschlüsse produzieren, jeder kann ein Programm schreiben, das "1=0" ausgibt.

Ein anderer Einwand lautet, eine Maschine könne nur das tun, was ihr vorher per Programm gesagt worden ist. Lady Lovelace hat 1847 einen Bericht geschrieben über die analytische Maschine von Charles Babbage, die erste Konzeption eines Digitalrechners, in der sie diese Feststellung macht. Kurz heißt sie, Maschinen seien nicht kreativ und täten keine unerwarteten Dinge. Komplexe Systeme tun jedoch immer wieder Unerwartetes, obwohl sie durch ihr Programm und die Eingabe vollständig determiniert sind, weil der Benutzer einfach nicht mehr alle Folgen seiner Eingabe überblicken kann. Die Ausgabe der Maschine erscheint uns dann als Schöpfungsakt.

Das Gehirn hat den Digitalrechnern seine stetige Arbeitsweise voraus. Stetige Systeme können chaotisches Verhalten zeigen. Eine kleine Änderung des Ausgangszustands bedingt eine große Änderung im Endzustand, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Tokyo erzeugt drei Wochen später einen Tornado im Mittleren Westen. Diese Effekte sind bei diskret arbeitenden Maschinen ausgeschlossen, sie können aber das Verhalten von stetigen Maschinen in beliebiger Genauigkeit simulieren und aus den Wahrscheinlichkeiten für mehr oder weniger zufällige Einflüsse Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Ausgaben bestimmen. Da die Ausgabe am Terminal beim Imitationsspiel diskret ist, bemerkt der Benutzer den Unterschied zwischen stetiger und diskreter Arbeitsweise nicht.

Ein Mensch besitzt offensichtlich keine festen Verhaltensregeln, zumindest sind sie für uns nicht sichtbar, ein Programm ist dagegen ein festes Regelwerk. Turing argumentiert, daß es zwar keine makroskopischen festen Regeln der Art "Immer wenn die Ampel rot ist, halte ich an." gibt, daß aber die Denkprozesse im Gehirn Gesetzmäßigkeiten unterliegen, die ein Digitalrechner simulieren kann. Es ist kaum möglich nachzuweisen, daß im Gehirn keine solchen Gesetze existieren. Turing führt an, er habe ein nur tausendzeiliges Programm geschrieben, daß eine zwölfstellige Zahl in eine andere umwandle, und von außen könne man die Gesetzmäßigkeit, nach der es geschieht, unmöglich erkennen. Bei dem ohne Zweifel viel komplizierteren Gehirn wird es dann wohl ohne tiefes Verständnis der Funktionsweise kaum gelingen, eine solche Gesetzmäßigkeit auszuschließen.

Als letztes diskutiert Turing noch ein uns merkwürdig erscheinendes Argument. Er ist der Ansicht, es gäbe überwältigende statistische Beweise für außersinnliche Wahrnehmung, insbesondere für Telepathie. Denken könnte gerade ein Prozeß sein, bei denen diese Einflüsse sehr wichtig sind, auch wenn man sie zur Erklärung anderer wissenschaftlicher Phänomene nicht braucht. Für Turing wiegt dieses Argument schwer. Eine Person, die am Imitationsspiel teilnimmt, könnte sich durch einen einfachen Beweis ihrer telepathischen Fähigkeiten als Mensch ausweisen. Wie würde sich eine Maschine in Telepathie schlagen? Sie würde auf Fragen, die telepathische Fähigkeiten voraussetzen, per Zufallsgenerator antworten. Würde sie durch ihren Zufallsgenerator den Fragesteller immer so beeinflussen, daß er unbewußt die richtigen Fragen stellt? Turing schlägt einen telepathie-undurchlässigen Raum für den Turing- Test vor.

Lernende Maschinen

Turing versucht zunächst zu motivieren, weshalb der Versuch, eine intelligente Maschine zu bauen, Erfolgsaussichten hat. Er bezeichnet Intelligenz niederer Art, wie sie alle zur Zeit konstruierten Maschinen und auch die meisten Menschen (!) besitzen, als unterkritisch, gleichsam einer unterkritischen Masse Plutonium, wenn sie nach der Eingabe einer Idee nach einer Weile wieder in Schweigen verfällt, und nichts Neues mehr aus dieser Idee herausholen kann. Überkritische Intelligenzen dagegen können aus Ideen neue Ideen entwickeln, die wiederum als Eingabe weitere neue Ideen erzeugen und damit eine ganze Theorie hervorbringen. Turing entwirft das Bild einer Art Schwelle, einen abrupten Übergang von einfältigem zu intelligentem Verhalten. Auch wenn die heutigen Programme noch sehr dumm sind, weil sie die kritische Intelligenz noch nicht erreicht haben, gibt das Hoffnung, daß eine kleine Steigerung schon den Umschwung zu intelligentem Verhalten bringen kann.

Welche Natur hat unser Denken? Bei der Erforschung, wie das Gehirn denkt, werden wir zunächst auf eher mechanische Strukturen treffen, zum Beispiel Neuronen. Dringen wir in höhere Abstraktionsebenen vor, werden wir jemals auf etwas Nichtmechanisches treffen, was immer damit auch gemeint sein mag? Wenn nicht, ist Denken vollständig mechanisch, wir können hoffen, es auf Maschinen nachbilden zu können.

Das Hauptproblem sieht Turing ganz richtig bei der Programmierung der Maschine. Die von Turing geforderte Hardware mit einem Gigabit Speicher ist heute verfügbar, Turing hielt eine höhere Rechengeschwindigkeit nicht für notwendig, dahingehend dürfte es also heute auch keine Probleme mehr geben.

Der Programmieraufwand wäre dagegen schon allein quantitativ gigantisch. Um die Arbeit zu vereinfachen, schlägt Turing eine lernende Maschine vor. Programmierer schreiben lediglich ein Kindprogramm, daß dann durch einen Erziehungsprozeß zu einer erwachsenen Intelligenz wird. Turing hofft, daß dieses Kindprogramm erheblich einfacher ist als das der erwachsenen Intelligenz. Gute Kindprogramme könnten durch einen Prozeß ähnlich der Evolution entstehen, wobei nach Turing die Intelligenz des Entwicklers sowohl Mutation als auch Selektion beschleunigen sollte, indem sie sie in sinnvolle Bahnen lenkt. Der Erziehungsprozeß wird ebenso problematisch: "Man kann das Geschaffene nicht zur Schule schicken, ohne daß sich andere Kinder maßlos über es lustig machen."

Der Lernprozeß soll durch das Prinzip der Belohnung und Bestrafung funktionieren. Außerdem wäre eine über dieses einfache System hinausgehende Sprache notwendig. Aussagen des Lehrers sollen in Sätze umgeformt werden, aus denen durch eingebaute logische Schlußweisen neue Sätze gebildet werden. Durch diese Sätze sollen nicht nur Tatsachen, sondern auch unscharfe Aussagen wie z. B. Heuristiken zur Anwendung von Regeln ausgedrückt werden. Turing weist darauf hin, daß ein Lehrer einer solchen Maschine ebenso wie bei einem menschlichen Schüler nur sehr eingeschränkt wüßte, was in ihr vorgeht.

Turing schreibt, daß intelligentes Verhalten geringfügiges Abweichen von diszipliniertem Verhalten bei Rechenvorgängen bedeutet, ohne diese Aussage zu präzisieren.

Insbesondere könnte auch der Einsatz von Zufall in den Algorithmen helfen. Gerade bei Problemräumen mit vielen möglichen Lösungen kann er das Finden einer Lösung erheblich beschleunigen. Turing nimmt damit den Ansatz der randomisierten Algorithmen vorweg.

Turing schließt mit einem Ausblick auf die Hoffnung, einmal Maschinen bauen zu können, die mit Menschen auf allen intellektuellen Feldern konkurrieren können. Er schlägt vor, zunächst ebenso abstrakte Dinge wie das Schachspiel als auch menschlichere Dinge wie das Beherrschen von Sprache anzugehen, sieht jedoch deutlich die Größe der Aufgabe, die in jedem Fall vor einem liegt.

Schlußbemerkung

Turing hat in seinem Artikel wichtige Grundlagen der Diskussion über AI gelegt. Er hat mit dem Turing-Test den Prototypen des behavioristischen Ansatzes vorgestellt. Verhält sich etwas wie wir selbst, müssen wir ihm alle Attribute zusprechen, die auch wir selbst haben, etwa Bewußtsein, Denken und Seele. Diesen Grundsatz wenden wir bei Menschen bedenkenlos an, bei Maschinen haben wir jedoch größte Probleme damit. Der Turing-Test sollte weiterhin als hinreichender Beweis für die Existenz von Intelligenz gelten, da ein besseres Verfahren nicht in Sicht ist. Wichtig ist, daß Turing den Turing-Test nicht als notwendiges Kriterium gemeint hat, andere Formen der Intelligenz neben der menschlichen haben durchaus ihre Berechtigung, sind aber eben nicht so leicht zu charakterisieren.

Die Turing-Maschine ist das bisher mächtigste Berechenbarkeitsmodell, die Äquivalenz mit allen anderen, völlig anders entstandenen Berechenbarkeitsmodellen wie z. B. dem Lambda- Kalkül weist darauf hin, daß es sich um das stärkste mögliche Modell handelt. Die Wahl, auf dieser theoretischen Basis die Existenz einer denkenden Maschine zu erörtern, erscheint sinnvoll.

Die Liste der Einwände ist sicherlich zum Teil nicht ganz ernst gemeint, Turing beweist zynischen Humor. Trotzdem argumentiert er darin überzeugend gerade gegen kritische Einwände wie die Grenze der Berechenbarkeit, das Problem des Bewußtseins und die Frage nach der Kreativität. Der Telepathie-Einwand diskreditiert Turing dabei in keiner Weise. Er zeigt, daß Turing neuer Kritik gegenüber aufgeschlossen ist und ernsthaft über sie nachdenkt, auch wenn die Beweise für Telepathie uns heute nicht so stichhaltig erscheinen wie Turing damals.

Auf der anderen Seite sind seine Gedanken zur Konstruktion einer solchen Maschine aus heutiger Sicht etwas naiv. Die Ansicht, es gäbe eine Art kritischer Intelligenz, ist sehr optimistisch. Es erscheint mir ebenso plausibel, daß eine gewisse Höhe maschineller Intelligenz freilich für uns schon sehr schwer, aber immer noch relativ leicht zu erreichen ist im Vergleich zu den Problemen, die bei höheren Ansprüchen lauern. Wir wissen heute aus schmerzlicher Erfahrung, daß eine Formalisierung der Welt viel schwieriger ist, als Turing erwartet hat. Schließlich ist die Annahme, die Programmierung eines Kindprogramms sei erheblich einfacher als das einer ausgebildeten Intelligenz angesichts des biologischen Optimierungsprozesses, der ja nun schon 3 Milliarden Jahre läuft, etwas übereilt.

Ich stimme mit Turing darin überein, daß maschinelle Intelligenz möglich ist, oder provokant ausgedrückt: "Man is a meat machine.", aber eben eine etwas zu komplizierte, als daß wir sie jemals nachbauen könnten.

Unabhängig von persönlichen Ansichten lohnt es sich auf jeden Fall, den Artikel am besten im englischen Original zu lesen, Turings Stil läßt den Leser mehr als einmal schmunzeln.

Der erste echte Turing-Test

Seit 1991 gibt es den Loebner-Prize. Seit 1995 sind den Schiedsrichtern alle Fragen erlaubt, er ist also damit der erste echte Turing-Test. $100000 sind für das erste Programm ausgesetzt, dessen Antworten nicht mehr von denen eines Menschen unterscheidbar sind. Bisher gibt es ein solches Programm nicht. Allerdings werden auch $2000 für das menschenähnlichste Programm vergeben.

Ich habe mich natürlich mit dem 1997er Programm des Gewinners des letzten Jahres mal unterhalten:

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Literatur

Turing, Alan M., "Computing Machinery and Intelligence" in: Mind 59 (1950) S. 433-460

Hofstadter, Douglas R., "G ö del, Escher, Bach: an Eternal Golden Braid", 1979, Basic Books, New York

Loebner Prize Home Page, http://acm.org/~loebner/loebner-prize.htmlx

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Der Turing-Test (Alan M. Turing, "Computing Machinery and Intelligence")
Veranstaltung
Seminar "Grenzen der künstlichen Intelligenz"
Autor
Jahr
1997
Seiten
8
Katalognummer
V96314
ISBN (eBook)
9783638089906
Dateigröße
356 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Turing-Test, Turing, Computing, Machinery, Intelligence, Seminar, Grenzen, Intelligenz
Arbeit zitieren
Arno Schödl (Autor:in), 1997, Der Turing-Test (Alan M. Turing, "Computing Machinery and Intelligence"), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96314

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