Antisemitische Tendenzen unter muslimischen Jugendlichen


Bachelorarbeit, 2018

39 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Annäherung an den Begriff
2.1 Antijudaismus
2.2 Antisemitismus
2.2.1 Latenter Antisemitismus
2.2.2 Antizionistischer Antisemitismus

3. Antisemitismus in der Geschichte
3.1 Antisemitismus in Deutschland
3.2 Judenfeindschaft in frühen islamischen Gesellschaften

4. Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen
4.1 Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus
4.2 Studie zu muslimischen Jugendlichen in Deutschland
4.3 Antisemitismus und junge Muslime in Europa

5. Beweggründe und Faktoren
5.1 Der Nahostkonflikt und Israelkritik
5.2 Antisemitismus in Jugendkultur und Rap

6. Sind muslimische Jugendliche antisemitisch?

7. Ansätze für Präventionsmaßnahmen
7.1 Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V

8. Schlussbetrachtung und Kritik

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kürzlich hielt der Vizepräsident des Zentralrats für Juden, Mark Dainow, eine Ansprache anlässlich der Tagung „Provokation und Propaganda - Neue Dynamiken antisemitischer Agitation“, in der er die aktuellen Antisemitismus-Debatten thematisierte und seinen Besorgnisse um die Sicherheit der in Deutschland lebenden, jüdischen Gemeinden, kundtat:

„[...] Wer hätte gedacht, dass sich über 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und der Offenbarung des Ausmaßes der Schoa, der Ermordung von sechs Millionen Juden, die von Nazi-Deutschland ausging, wir heute im demokratischen Deutschland wieder über die Sicherheit jüdischen Lebens besorgt sein müssen.[...]“1

Dainow bezieht sich in seiner Rede auf eine Reihe antisemitischer Übergriffe, die in jüngster Vergangenheit bekannt gemacht wurden und einen gesellschaftlichen Diskurs über Antisemitismus im Allgemeinen, aber auch einen Antisemitismus speziell unter Muslimen2 anregten. Insbesondere wird nach aktuellen Geschehnissen die Judenfeindlichkeit unter jungen Muslimen diskutiert. Wenige Wochen vor Dainows Ansprache wird in den Medien ein Video publik, auf dem ein Jugendlicher einen Kippa tragenden Mann mit einem Gürtel angreift. Auf diesem ist zuhören, dass der Täter das Opfer mehrmals als „Yehudi“ bezeichnet, welches in mehreren Sprachen als „Jude“ übersetzt wird.3 Nach Angaben der Medien sei der Täter syrischer Herkunft.4 Ob diese Tat islamisch motiviert war ist nicht bekannt, dennoch gilt der unter dem Namen „Kippa Vorfall“ bekannt gewordene Angriff auf den jungen Israeli seither als Exempel für einen sich radikalisierenden Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen.5

Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz dieser Thematik wird im Rahmen dieser Forschungsarbeit versucht herauszufinden, inwiefern antisemitische Vorurteilsstrukturen unter muslimisch sozialisierten Jugendlichen vertreten sind und welche Faktoren eine antijüdische Haltung begünstigen. Hierfür handelt der erste Teil von der terminologischen Klärung und durchleuchtet die historische Entstehung des Begriffs. Anschließend wird im dritten Kapitel sowohl die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland behandelt, als auch ein Bruchteil der Geschichte der Juden in der islamischen Welt. Hierzu werden unterschiedliche Forschungsstände diskutiert. Im vierten Kapitel werden verschiedene Studien vorgestellt, die die Frage nach einem Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen behandeln, wobei ebenfalls die zentrale Forschungsfrage nach den möglichen Faktoren für eine antisemitische Einstellung junger Muslime gegenüber Juden konstatiert wird. Weiterhin zielt das fünfte Kapitel darauf ab, die Faktoren der in Kapitel vier festgestellten Ergebnisse zu erörtern, indem in zwei, kurzen Unterkategorien mögliche Beweggründe, wie der Nahostkonflikt analysiert werden. Daraufhin folgt der Versuch die Frage nach einem Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen auf der Grundlage der erforschten Ergebnisse zu beantworten. Abschließend erfolgt eine kurze Vorstellung der präventiven Arbeit der Kreuzberger Initiativen gegen Antisemitismus. Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung der gesamten Forschungsergebnisse ab. Die Motivation dieser Forschungsarbeit entspringt der Aktualität dieser Thematik in Verbindung mit der eigenen Betroffenheit.

2. Annäherung an den Begriff

Da der Begriff des Antisemitismus eine zentrale Rolle in dieser Forschungsarbeit spielt, wird im Folgenden versucht sich dem Begriff zuerst kontextlos zu nähern, um ihn dann historisch einordnen und von verwandten Begriffen abgrenzen zu können. Der Begriff setzt sich aus zwei Bausteinen zusammen. Zum einen das griechische Präfix Anti, welches mit gegen oder wider übersetzt werden kann. Zum anderen enthält der Begriff den Ausdruck des Semitismus. Als Semiten werden im weiten Sinne ein Volk verstanden, das sich in semitischen Sprachen unterhält. Im engeren Sinne sind Semiten heutzutage ein Synonym für jüdische Menschen.6 Der Wortherkunft nach beschreibt das Wort eine Ablehnung gegen Menschen jüdischen Glaubens oder Menschen, die als jüdisch verstanden werden. Der Begriff der Judenfeindlichkeit sollte an dieser Stelle angeführt werden, der als Oberbegriff für die Beschreibung der Abneigung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens dient. Judenfeindlichkeit spaltet sich in die Unterkategorien des Antisemitismus und des Antijudaismus, einem verwandten, aber nicht identischen Begriff.

2.1 Antijudaismus

Der Antijudaismus geht auf Traditionen der Antike zurück.7 Ihre Wurzeln findet diese antijüdische Bewegung in der Abspaltung der frühen Christen vom Judentum und dem damit verbunden Kampf um den wahren Glauben.8 Die Christen bezeichneten sich als „neuen Bund“ und das „wahre Israel“ und sprachen den Juden somit den Anspruch auf Zugehörigkeit des Gottesbundes ab.9 Die frühen Christen, die selbst einmal Teil der jüdischen Gemeinschaft waren, trennten sich von den Juden und warfen diesen vor, Jesus gekreuzigt zu haben.10 Sie setzten die Juden gleich mit Ketzern, Heiden und Häretikern, indem sie diese als „Christusmörder“ und „Verweigerer des göttlichen Heilplanes“ bezeichneten.11 Diese Art der Ablehnung jüdischer Menschen, die sich in der christlichen Theologie manifestierte, übertrug sich infolge dessen in den christlich­abendländischen Raum und begründete daher eine religiös motivierte Abneigung gegen Juden. Folglich gehörten Juden, die in jenen christlich-abendländischen Gesellschaften lebten, fortan zu einer marginalisierten Gruppe und waren in einigen Ländern sogar Zwangstaufen ausgesetzt.12

Auch durch das Mittelalter zog sich die Diskriminierung jüdischer Menschen. Aufgrund ihres Glaubens wurden Juden verschiedene Zugänge verwehrt, beispielsweise konnten sie sich nicht in die Ständegesellschaft integrieren, weil sie, unter anderem, in keine Zunft eintreten durften. Schließlich konnten von Menschen jüdischen Glaubens lediglich Berufe ausgeübt werden, die einen schlechten Ruf genossen, wie Pfandleiher.13

2.2 Antisemitismus

Der Begriff des Antisemitismus entstand erst im 19.Jahrhundert und ist daher deutlich jünger als der des Antijudaismus. Wolfgang Benz bezeichnet die religiös-christlich- motivierte Tradition der Judenfeindschaft als „Wurzelgrund“ des im 19. Jahrhunderts entstandenen „modernen Antisemitismus“, welcher als eine Art „Erbe christlicher Judenfeindschaft“ fungiert. Der neue Begriff des Antisemitismus entstand vor allem, um den Umstand zu beschreiben, dass die Ablehnung gegen Menschen jüdischen Glaubens nicht mehr religiös, sondern aufgrund von anderen Merkmalen und vermeintlichen Eigenschaften wie der Volkszugehörigkeit oder einer zugeschriebenen Rassenzugehörigkeit zu begründen. Ab dem 19. Jahrhundert transformierte sich die Legitimation der Judenfeindschaft daher. Der religiös-motivierten Antijudaismus, der das Ziel verfolgte Juden zum Christentum zu bekehren, wurde daher zunehmend vom „modernen Antisemitismus“ abgelöst, bei dem Juden lediglich aufgrund ihrer Existenz und ihres Jüdisch-Seins angefeindet, ausgegrenzt und vertrieben wurden.

Den Höhepunkt erfuhr der zeitgenössische Antisemitismus während des Holocaust, der systematischen Ermordung jüdischer Menschen durch die Nationalsozialisten in ganz Europa.14 15 16 17 18 19 Als Initiator des Begriffes gilt der deutsche Journalist Wilhelm Marr, der versuchte einen Terminus für seine kritische Haltung gegenüber Juden zum Ausdruck zu bringen.

Ob Marr tatsächlich den Begriff eingeführt hat, wird unter Forschenden kontrovers diskutiert, da anderen Untersuchungen zufolge der jüdische Gelehrte und Orientalist Moritz Steinschneider schon vorher über den Begriff sprach.

Demzufolge solle Steinschneider Ernst Renan für seine „antisemitischen Vorurteile“20 21 22 kritisiert haben. Dabei bezog sich Steinschneider auf eine feindselige Einstellung Semiten gegenüber, die in Renans Text anklang. Helmut Dahmer fasst die Prägung des Begriffs wie folgt zusammen: „Moritz Steinschneider hat den Terminus (1860) geprägt, Wilhelm Marr (1879) ein politisches Schlagwort daraus gemacht.“23

Als eine Art Wortneuschöpfung wurde der Begriff eingeführt, um eine allgemeingültige, wissenschaftlich legitime Bezeichnung für die kritische Haltung gegenüber Juden24 und die rassistisch begründete Ablehnung dieser festzulegen.25 Der Soziologe und Antisemitismusforscher Werner Bergmann definiert den Antisemitismus als eine im frühen 19.Jahrhundert entstandene politische Ideologie und Protestbewegung gegen die Juden, da diese als wirtschaftliche, geistige und rassistische Destruktion für die entstehenden Nationalstaaten galten, weshalb diese antijüdische Bewegung die gleichrangige Stellung der Juden im Land zu verhindern beabsichtigte.26 Weshalb Menschen überhaupt zu einer Feindschaft gegenüber Juden neigen, beschreibt der Philosoph Theodor W. Adorno in einem aus dem Jahre 1962 stammenden Vortrag wie folgt:

„Antisemitismus ist ein Massenmedium, in dem Sinne, dass er anknüpft an unbewußte Triebregungen [...], die er verstärkt und manipuliert [...]. Er ist eine durch und durch antiaufklärerische Macht...“27

Adorno durchleuchtet das Phänomen aus psychologischer Sicht und stellt die These auf, dass dem Antisemitismus eigene Ängste und Konflikte, die dem Menschen innewohnen, vorausgehen und eine antisemitische Einstellung begünstigen würden.

Heute meint der Antisemitismus alle negativ konnotierten Äußerungen oder Handlungen gegenüber Juden und dient als Umschreibung für eine feindselige Haltung diesen gegenüber.28 Wird Antisemitismus allerdings aus rein linguistischer Sicht betrachtet und analysiert, suggeriert der Begriff nicht nur eine Ablehnung der Juden, sondern eine Ablehnung gegen allen semitischen Völkern gegenüber.29 Der deutsche Historiker und Politikwissenschaftler, Berger Waldenegg fasst in seinem Werk über die Diagnose des Wortes Antisemitismus auch die Araber zu den Semiten, und erklärt, dass der Antisemitismus nicht nur auf die feindselige Haltung Juden gegenüber anzuwenden sei, da der Begriff „Semit“ ursprünglich nur eine bestimmte Sprachfamilie bezeichnet hätte, weshalb Semiten nicht nur Juden seien, sondern auch die Araber.30

Richard Mitten dagegen, vertritt die Meinung, dass der Antisemitismus als Bezeichnung für die Judenfeindlichkeit berechtigt ist und bezieht sich hierbei auf Theodor Fritschs „Antisemitismus Katechismus“, indem dieser eine Definitionen des Begriffs aufstellt. Antisemitismus bezeichne die Bekämpfung des Semitismus. Unter dem Begriff des „Semiten“ versteht Mitten nach Fritsch „das Wesen der semitischen Rasse“, die in Europa hauptsächlich durch die Juden repräsentiert und folglich auf diese projiziert wurde, weshalb heutzutage unter dem Begriff des Antisemitismus allein Judenfeindlichkeit verstanden werden würde.31 Trotz der umstrittenen Bedeutung, die dem Begriff zugrunde liegt, hat sich dieser als Bezeichnung für Judenfeindlichkeit etabliert und fungiert als übergreifender Terminus.32

Der Diskurs um die allgemeingültige Definition des Antisemitismus ist umstritten, dennoch von besonderer Bedeutung, da die Problematik und die Ungenauigkeit dieser Bezeichnung sich sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der gesellschaftspolitischen Aktualität widerspiegeln. So sei nach dem israelischen Politologen David Ranan Antisemitismus nicht gleich Antisemitismus, weshalb Antisemitismusvorwürfe undifferenziert angelastet werden würden, da es auch innerhalb eines solchen Phänomens Nuancen gäbe, die nicht immer den Hass gegenüber Juden implizierten.33

Diese Ansicht vertritt auch der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber. Er bezeichnet den Antisemitismusbegriff als „Sammelbezeichnung“34 für verschiedene ideologische Motive, die die Feindschaft gegenüber Juden begründen würden.35 Der Antisemitismus ist vielfältig und kann in mehreren Erscheinungsformen auftreten. Menschen, die als antisemitisch gelten, können verschiedene Beweggründe für ihre Judenfeindlichkeit haben. Daher wird der Antisemitismus häufig mit Beifügungen wie latent, religiös oder antizionistisch spezifiziert, um die verschiedenen Nuancen des Begriffs sichtbar zu machen.36

2.2.1 latenter Antisemitismus

Der latente Antisemitismus ist der Begriff, der am häufigsten verwendet wird, um das Phänomen des Antisemitismus zu beschreiben.37 Der Latenz-Begriff meint im Hinblick auf den Antisemitismus ein Kommunikationsverbot bestimmter antisemitischer Einstellungen und Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs, wodurch der Antisemitismus in der Öffentlichkeit gemieden wird.38 Der latente Antisemitismus ist nach Dichanz und Breidenbach auch bekannt als der „versteckte Antisemitismus“39, der durch die öffentliche Zensur entsteht.40 Trotz der Tabuisierung lasse sich innerhalb der Gesellschaft kein Rückgang antisemitischer Vorbehalte verzeichnen.41 Diese Tatsache wird als „latenter Antisemitismus“ bezeichnet und meint den Rückgang von antijüdischen Einstellungen aus der Öffentlichkeit, aber nicht diesen aus den privaten Meinungen.42

2.2.2 antizionistischer Antisemitismus

Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Antizionismus heutzutage als eine Art des Antisemitismus betrachtet wird, weshalb es für diese Forschungsarbeit von Bedeutung ist, sowohl den Begriff des Zionismus, als auch die „Gegenströmungen“ zum Zionismus kurz anzuführen. Der Zionismus ist eine jüdische Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der europäischen Nationalbewegung gegründet wurde. Mit der Bestrebung der Gründung eines unabhängigen Staates für die in der Diaspora lebenden und verfolgten Juden, entstand diese Vereinigung.43

Der Antizionismus bildet eine entgegensetze Position dazu und spricht sich gegen den Zionismus als staatstragende, politische Ideologie des israelischen Staates und der mehrheitlich jüdischen Bevölkerung im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina aus.44 Der Antisemitismus sei eine unvermeidbare Folge des Antizionismus, so der ehemalige deutsche Politiker Joschka Fischer.45 Doch ist nicht jede Form von Antizionismus unmittelbar antisemitisch.46 Der „universalistisch“47 motivierte Antizionismus nimmt den Bezug zum Nah-Ost-Konflikt auf und kritisiert die gesellschaftliche und politische Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Politik.48 Der „partikularistische“49 Antizionismus dagegen zeichnet sich lediglich durch die Ablehnung des Zionismus aufgrund der jüdischen Herkunft dieser Bewegung aus.50 Auch innerhalb jüdischer Gemeinden steht man der zionistischen Bewegung in Israel kritisch gegenüber. Beispielsweise werden in ultraorthodoxen Strömungen des Judentum ebenfalls Verfechter des Zionismus gefunden, die die Meinung vertreten, der Zionismus würde nicht der jüdischen Doktrin entsprechen.51 Im arabischsprachigen und islamischen Raum ist der Antizionismus in gleicher Weise weit verbreitet und ist dort mit der Kritik an der israelischen Politik und den Konflikten im Nahen Osten realpolitisch begründet.52 Trotzdem gelten der arabisch und islamische Antizionismus aufgrund ihrer partikularistischen Erscheinungsformen als antisemitisch.53 Nach Fischer sei der Antizionismus zwar nicht zwingend antisemitisch konnotiert, doch sei dies abhängig von der Gesinnung und politischen Positionierung derer, die antizionistisch eingestellt sind. Beispielsweise seien israelfeindliche, antizionistische Bewegungen innerhalb rechtsradikaler Szenen zweifellos als antisemitisch einstufbar.54 Antizionistische Bewegungen sind also immer differenziert zu betrachten und müssen nicht zwingend eine Art des Antisemitismus sein, erklärt Fischer.

3. Antisemitismus in der Geschichte

Um die Entwicklungen antisemitischer Tendenzen in der deutschen Gesellschaften analysieren zu können, ist das Wissen um die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland unumgänglich. Deshalb wird in diesem Kapitel die historische Entstehung antisemitischer Einstellungen knapp angerissen. Dabei soll verdeutlicht werden, dass der Antisemitismus kein Phänomen der Neuzeit ist und bis in die Antike zurückreicht. In Kapitel 3.2 wird sich der der Forschungsfrage und der damit verbundenen Frage nach einem Antisemitismus, der in den islamischen Traditionen verankert ist, genährt. Hierfür werden kontroverse Theorien diskutiert.

3.1 Antisemitismus in Deutschland

Wolfgang Benz bezeichnet die religiös-christlich-motivierte Tradition der Judenfeindschaft als „Wurzelgrund“ des im 19. Jahrhunderts entstandenen „modernen Antisemitismus“, welches als eine Art „Erbe christlicher Judenfeindschaft“ über Generationen hinweg tradiert werden würde, wenn auch nicht unbedingt kommunikativ, sondern eher in Form ständiger, unbewusster, geistiger Präsenz.55

Die Mehrheit der Deutschen assoziiert mit dem Begriff des Antisemitismus den Holocaust.56 Der Lehranalytiker Werner Bohleber benennt den Holocaust zwischen 1933 und 1945 als Grund dafür, dass der Antisemitismus weiterhin in der deutschen Gesellschaft existiere57, denn Nationalisten würden erwarten, dass die deutsche Geschichte verziehen werden würde, doch die Existenz der Juden erweise sich bei dem Wunsch des Vergessens als hinderlich. Eine Schuldzuweisung gegenüber den Nationalsozialisten sei beständig und verhindere daher einen gut fundierten Aufbau einer deutschen Identität. Dies begründe den anhaltenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und bediene klassische Vorurteile gegenüber Juden wie beispielsweise dem „rachsüchtigen“ Juden und dem, der nicht vergeben könne.58 Antisemitische Vorfälle stellen in Deutschland keine Seltenheit dar, weshalb sie zur Lebenswirklichkeit vieler Juden gehören. Im Jahre 2017 erfasst die Statistik für politisch motivierte Kriminalität (PMK) des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat 1.504 antisemitische Fälle. Im Vergleich zum Vorjahr 2016 lässt sich ein Zuwachs von 2,5% verzeichnen.59 Knapp 95 Prozent der verzeichneten, antisemitischen Straftaten seien laut Bundesinnenminister Horst Seehofer auf die rechte Szene zurückzuführen.60 Trotzdem lässt sich anhand jüngster Ereignisse auch eine steigende Tendenz der antisemitischen Angriffe von Jugendlichen aus muslimisch sozialisierten Kontexten feststellen,61 worauf im Laufe der Arbeit genauer eingegangen wird.

[...]


1 Zentralrat der Juden, 6.6.2018

2 Für die bessere Lesbarkeit der Arbeit wird die männliche Form verwendet.

3 Spiegel Online, 18.04.2018

4 Welt, 19.06.2018

5 Osthold, C. (2018): Nach Kippa-Vorfall in Berlin: Wie islamisch geprägter Judenhass bekämpft werden kann.17.04.2018

6 Gniechwitz, S.: Antisemitismus im Lichte der modernen Vorurteilsforschung: Kognitive Grundlagen latenter Vorurteile gegenüber Juden in Deutschland. 1.Auflage. Berlin: Wvb Wissenschaftlicher Verlag, 2006. S.11

7 Benz, W.: Was ist Antisemitismus? 2.Auflage. München: C.H.Beck Verlag, 2004.S.65.

8 Bergmann, W.: Geschichte des Antisemitismus, München 2002. 1.Auflage, S.9.

9 Vgl. ebd., S.9.

10 Vgl. ebd., S.9f.

11 Vgl. Benz, 2004, S.65

12 Vgl. ebd., S. 65- 82

13 Vgl. Fromm, E.: Das jüdische Gesetz. Zur Soziologie des Diaspora-Judentums, Heidelberg 1922. S.99

14 Vgl. Bergmann, 2002, S.6.

15 Vgl. ebd., S.6.

16 Ohne Autor: Bundeszentrale für politische Bildung: Antisemitismus Dossier. S.11.

17 Vgl. Gniechwitz, S.11.

18 Vgl. Bergmann, S.6.

19 Berger Waldenegg, C.: Antisemitismus: „Eine gefährliche Vokabel?“, Diagnose eines Wortes, Wien 2003. 2. Auflage, S.24.

20 Vgl. Gniechwitz, S.12.

21 Vgl. Berger Waldenegg, S.23.

22 Vgl. Gniechwitz, S.12.

23 Dahmer: „Antisemitismus und Xenophobie“ in: Otto, H./Merten, R. (Hrsg.): Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. Jugend im gesellschaftlichen Umbruch. 1.Auflage. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1993.S.80.

24 Vgl. Berger Waldenegg, S.24.

25 Rürup/Nipperdey: Antisemitismus, in: Brunner, O./Conze, W./Koselleck, R.(Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 1.Auflage. Band 1: A-C. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag, 1972.S.129.

26 Vgl. Bergmann, S.6.

27 Claussen, Detlev: Die antisemitische Alltagsreligion. Hinweise für eine psychoanalytisch aufgeklärte Gesellschaftskritik, in: Bohleber, W./ Kafka, J.S. (Hrsg.): Antisemitismus. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 1992.S.163.

28 Mitten, R.: „Synkretistischer Antisemitismus. Zur Kontinuität antisemitischer Vorurteile in Österreich“ in: Pelinka, A.: /Wodak, R.: Dreck am Stecken. Politik der Ausgrenzung. 1.Auflage. Wien: Czernin Verlag, 2002. S.34.

29 Vgl. Gniechwitz, S.11.

30 Vgl. Berger Waldenegg, S.27.

31 Vgl. Mitten, S.34.

32 Vgl. Gniechwitz, S.11.

33 Ranan, D.: Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland? 1.Auflage.Bonn: Dietz Verlag, 2018.S.33-34

34 Pfahl-Traughber, A.: Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus. In: Bundeszentrale für politische Bildung, [online] https://www.bpb.de/apuz/30327/ideologische-erscheinungsformen-des- antisemitismus?p=all

35 Vgl. Pfahl-Traughber

36 Vgl. Ranan, S. 34

37 Bergmann/Erb: Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der empirischen Forschung von 1946-1989. 1.Auflage. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1991. S.275

38 Vgl. ebd.

39 Vgl. Gniechwitz, S.41

40 Vgl. ebd.

41 Vgl. ebd. Bergmann/Erb, S.275

42 Vgl. ebd.

43 Auffarth, C./ Bernard, J./Mohr, H.(Hrsg.): Metzler Lexikon Religion. Gegenwart- Alltag- Medien. Band 3: Peganismus- Zombie. 1.Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 2000. S.714

44 Fischer, L.: Zwischen Internationalismus und Staatsräson: Der Streit um den Nahostkonflikt in der Partei DIE LINKE.Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2016. S. 53

45 Kreis, G.: Israelkritik und Antisemitismus - Versuch einer Reflexion jenseits von Religion und Nationalität, in: Zuckermann, M. (Hrsg.): Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Band XXXIII: Antisemitismus, Antizionismus,Israelkritik. Göttingen: Wallstein Verlag, 2005.S.21

46 Vgl. Fischer, S. 53

47 Vgl.ebd.

48 Vgl.ebd.

49 Vgl.ebd.

50 Vgl.ebd.

51 Vgl.ebd.

52 Vgl.ebd.

53 Vgl.ebd., S. 53f.

54 Vgl.ebd. Fischer, S. 54

55 Vgl. Benz, S. 82

56 Bohleber, Werner: Antisemitismus als Gegenstand interdisziplinärer Erforschung. Einführung in das Konferenzthema, in: Bohleber, W./ Kafka J.S. (Hrsg.) : Antisemitismus. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 1992. S. 12-13.

57 Vgl. ebd.

58 Vgl. ebd.

59 Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat, .08.05.2018, S.5

60 Zeit Online, 08.05.2018

61 Süddeutsche Zeitung, 27.03.2018

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Antisemitische Tendenzen unter muslimischen Jugendlichen
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
39
Katalognummer
V961687
ISBN (eBook)
9783346308252
ISBN (Buch)
9783346308269
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antisemitismus, muslimische Jugendliche, Islam, Der Islam in Deutschland, Migration, Nah-Ost-Konflikt
Arbeit zitieren
Zainab Al-Windi (Autor:in), 2018, Antisemitische Tendenzen unter muslimischen Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/961687

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