Der Volksverein für das katholische Deutschland in der Weimarer Republik


Seminararbeit, 1999

32 Seiten, Note: zwei +


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Katholische Kirche und Arbeiterbewegung vor 1914

Der Volksverein in der Weimarer Republik
Politische Mitwirkung bei der Gründung der Weimarer Republik
Organisationsprobleme, Aufgabenerweiterung, Führungswechsel
Schicksalskurve des Volksvereins
Der Volksverein als Generalstab oder Hilfsverein
Konkurrierende Organisationen
Der Volksverein und die BVP
Integralismus hinter den Kulissen
Finanzielle Krise und die Hilfe von außen
Die Instrumentalisierung des Volksvereins

Berufsständische Ordnung und Nationalsozialismus
Quadragesima anno

Der Volksverein im Nationalsozialismus

Schlußbetrachtung

Quellen und Literaturverzeichnis
Archivalien
Quellen
Zeitschriften
Literatur

Einleitung

Der „Volksverein für das katholische Deutschland“ war eines der zentralen Glieder der katholischen Arbeiterbewegung. In einer Zeit, in der die soziale Frage immer stärker diskutiert wurde, konnte sich auch die katholisch Kirche dieser Problemstellung nicht entziehen. Auch die katholische Arbeiterschaft sollte versorgt werden. Doch inwieweit konnte der Volksverein seine Bestimmung verwirklichen? Welches waren die geistigen Grundsätze? Und in welcher Beziehung stand der Verein zur katholischen Kirche? Welche politische Rolle spielte der Volksverein und welche Position hatte er im Bezug zu den anderen katholischen Vereinen? Obwohl der Volksverein nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung vertrat, da er ein rein katholischer Verein war, so spielte er doch eine wichtige Rolle in der Politik des Zentrums. Wie weit reichte sein Einfluß auf die Politik? Welche Gründe hatte der Untergang des Volksvereins und welche Rolle spielten dabei politische und soziale Aspekte? Diese Fragen möchte ich in meiner Arbeit näher erläutern. Dabei beschränke ich mich hauptsächlich auf die Zeit der Weimarer Republik - eine Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung Deutschlands. Eine Zeit, in der der Volksverein gezwungen war, neue Wege zu gehen.

Katholische Kirche und Arbeiterbewegung vor 1914

1880 gründeten katholische Industrielle in Zusammenarbeit mit Geistlichen den Verband „Arbeiterwohl“, dessen Generalsekretär 1881 Franz Hitze wurde. Sie stellten sich zur Aufgabe, die vorhandenen Glieder der katholisch sozialen Tätigkeit zu sammeln, zu fördern und zu unterstützen. Damit bereiteten sie die Gründung des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ zehn Jahre später vor. Daneben konnte der Verband unter den katholischen Unternehmern die Einsicht über die Notwendigkeit der katholischen Arbeitervereine verbreiten.

1884 regte Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika „Humani generis“ erneut die Bildung von katholischen Arbeitervereinigungen an. Seit dem entstanden in Deutschland bis 1889 280 katholische Arbeiter- und Gesellenvereine.

Eine erbitterte Feindschaft zwischen der katholischen Kirche und den Sozialisten prägte die damaligen sozialen Bemühungen. Die Sozialisten hielten die Kirche für Verbündete der herrschende Klasse. Die Katholiken bezeichneten den Sozialismus als eine Irrlehre - sie war unvereinbar mit dem christlichen Naturrecht.

1878 lehnte das Zentrum zwar das Sozialistengesetz als ungesetzliches und unrechtes Mittel ab, bestritt aber nie die Notwendigkeit der Bekämpfung der Sozialdemokratie. Nach dem Kulturkampf war der einzige Feind der katholischen Kirche nur noch der Sozialismus. Daraus ergab sich die Erkenntnis, dass eine fortschrittliche Sozialpolitik und die bisherigen eigenen organisatorischen Bemühungen nicht mehr genügen würden, um das Anwachsen der Sozialdemokratie einzudämmen. Im Zuge dessen wurde der „Volksverein für das katholische Deutschland“ am 24.10.1890 in Köln gegründet.1 Die ersten Impulse dafür gingen von Tilmann Pesch aus, der eine antiprotestantische Stoßrichtung mit sozialem Charakter für den Verein vorsah. Doch nach dem Kulturkampf herrschte immer noch die Angst vor der Ausgrenzung von Katholiken vor, darum bemühte sich Ludwig Windhorst um eine politische Integration des Vereins durch das Zentrum. Er rief alle Katholiken zur Mitgliedschaft im Volksverein auf, da der Verein als Massenverein konzipiert war.

Vereinsrechtlich war der Volksverein keine kirchlich errichtete Einrichtung sondern ein Verein, der ohne kirchlichen Rückhalt von Privatleuten gegründet wurde.2 Orientierungspunkt für das sozialpolitische Engagement war das „Rerum novarum“ Am 15. Mai 1891 erschien die Enzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII., in der er eine grundlegende Stellungnahme der katholischen Kirche zur sozialen Frage formulierte. Der Papst bestätigte die Teilung der Gesellschaft in zwei Klassen, die Verelendung der Besitzlosen und die Zuspitzung der sozialen Konflikte. Er bezeichnete den Sozialismus als Irrlehre.3 Laut Leo XIII existierte das Naturrecht des Besitzes von privatem Eigentum. So sollte es auch jedem Möglich sein, sich privates Eigentum anzueignen. Die damaligen sozialen Verhältnisse ließen dieses Recht nicht für jeden zu. Die Mehrheit schien nicht in der Lage zu sein, sich privates Eigentum anzueignen. Der Papst stellte Forderungen nach der Reform der sozialen Zustände. Die sozialen Verhältnisse im allgemeinen und die Lohnverhältnisse im speziellen sollten so gestaltet sein, dass der Erwerb und Schutz des privaten Eigentums möglich war. Diese Aufgaben sollten dem Staat zugewiesen werden.

Im Gegensatz zur sozialistischen Lehre sah die katholische Soziallehre keine Gleichmachung von arm und reich in der Gesellschaft vor, da die Gesellschaft dadurch nie frei von großer Plage sein würde.

Zur Hebung des Ü bels verbreiten die Sozialisten, indem sie die Besitzlosen gegen die Reichen aufstacheln, der private Besitz m ü sse aufh ö ren, um einer Gesellschaft der G ü ter Platz zu machen, welche mittels der Vertreter der st ä dtischen Gemeinwesen oder durch die Regierungen selbst einzuf ü hren w ä re. Sie w ä hnen durch eine solche Ü bertragung allen Besitzes von den Individuen an die Gesamtheit, alle Mi ß st ä nde heben zu k ö nnen, es m üß te nur einmal das Verm ö gen und dessen Vorteile gleichm äß ig an alle verteilt sein. Indessen dieses Programm ist weit entfernt, etwas zur L ö sung der Frage beizutragen; es sch ä digt vielmehr die arbeitenden Klassen selbst; es ist ferner ungerecht, indem es die rechtm äß igen Besitzer vergewaltigt... “ 4

Im Gegenteil: die Gesellschaft fordert eine Verschiedenheit der Kräfte; es existiere ein von der Natur aus unversöhnlicher Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Nach dieser Lehre sollten sich die Arbeiter dazu verpflichten, die Arbeitsleistungen treu und vollständig zu verrichten, keine Auflehnung und Gewalttätigkeiten auszuüben. Im Gegenzug dazu sollten die Arbeitgeber ihre Arbeiter aber nicht wie Sklaven behandeln - der Arbeiter sollte seine Würde bewahren.

Der Papst erkannte die kapitalistische Sozial- und Wirtschaftsordnung an. Er forderte keine Reform des Systems sondern eine Reform der Gesinnung. Diese Aufgabe sollte die Kirche übernehmen. Der Arbeiter selbst sollte aber auch zur Lösung der sozialen Frage beitragen, und sich deshalb zur Vertretung seiner Rechte in christlichen Arbeitervereinen einbringen. Selbst der Streik wurde als Mittel zur Durchsetzung der Rechte nicht ausgeschlossen. Die Sozialpolitiker der Zentrumsfraktion im Reichstag, an dessen Spitze Franz Hitze, strebten bei der Ausgestaltung der Sozialpolitik die berufsgenössische Organisation der Arbeiterversicherungen und die Zusammenarbeit von Arbeitern und Unternehmern in den Betrieben an.

In den nächsten Jahren wurden die Rückständigkeiten des Katholizismus, welche durch den Kulturkampf verursacht worden waren, auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet aufgeholt. Während der wirtschaftlichen Expansion um die Jahrhundertwende formte sich die Parole „Hinein in die Industrie, hinein in die Großindustrie!“

Doch die katholische Arbeiterbewegung stand dem Sozialismus weiterhin ablehnend gegenüber. Die Haltung der sozial verantwortungsbewußten deutschen Katholiken wurde zwar bestimmt von der Anerkennung sozialer Verantwortung aus dem Glauben heraus (Nächstenliebe) und der klaren Einsicht in die Situation der Arbeiter, aber gleichzeitig war diese Haltung zumeist gekennzeichnet von einer patriarchalisch - hierarchischen Einstellung, die eine wirkliche Partnerschaft mit den Arbeitern nicht zuließ.

Diese Einstellung belastete die katholische Arbeiterbewegung und benachteiligte sie gegenüber den Sozialisten, denn einerseits kämpfte die Arbeiterbewegung gegen die Sozialisten, sie wollte aber andererseits auf der gleichen Stufe für die soziale Gleichberechtigung der Arbeiter kämpfen.

Ab 1891 kam es zu regionalen Zusammenschlüssen der katholischen Arbeitervereine, die 1911 ohne die Beteiligung Berlins einen Kartellverband bildeten, der 1914 auf 500 000 Mitglieder angewachsen war.

Die Vereine standen ausnahmslos unter geistlicher Führung, die die Aufgaben der kirchlich religiösen Betreuung, der Abwehr des Sozialismus und die Standeserziehung der Mitglieder hatten. Besondere Fach- und Berufsabteilungen sollten spezielle Berufsinteressen vertreten. Jedoch übernahmen die Arbeitervereine weder gewerkschaftliche noch politische Aufgaben, sie waren eher als Vorstufe zu den Gewerkschaften gedacht.

Der „Volksverein für das katholische Deutschland“ spielte damals eine besondere Rolle - er sollte die Stütze für die Arbeitervereine und die Gewerkschaften sein. Die Leitung des Volksvereins war in Mönchen - Gladbach, die Ortsgruppen und Vertrauensmänner verteilten sich über das ganze Land. Mit einer Mark Mitgliedsbeitrag im Jahr sollte für jeden Katholiken der Eintritt in den Verein erschwinglich werden. Der Volksverein erfuhr ein Wachstum auf 182 000 Mitglieder bis 1900, bis 1914 wuchs der Verein nochmals auf 805 000 Mitglieder an. Die Aktivität des Volksvereins bezog sich auf drei Arbeitsgebiete: Publizistik, Ausbildung und Schulung und praktisch soziale Hilfestellung.5

1897 wurde der Caritasverband gegründet; er faßte die katholische Sozialarbeit zusammen. 1900 kam es zur Gründung des katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder, 1903 entstand der katholische deutsche Frauenbund.

Im Mai 1899 war das Gründungsjahr des „Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften“, dessen Generalsekretär Adam Stegerwald sie nach dem Vorbild der freien Gewerkschaften organisierte.

Durch deren Initiative kam es 1903 zur Gründung des deutschen Arbeiterkongresses, dem Dachverband aller nichtsozialistischen Gewerkschaften.6

Die christlichen Gewerkschaften hatten anfangs große Schwierigkeiten zu verzeichnen. Zum einen gab es eine große lokale Zersplitterung, zum anderen existierte eine große Planlosigkeit während der Gründungen. Auch war das Verhältnis zu den konfessionellen Arbeitervereinen ungeklärt. Ursache all dieser Probleme war die Unklarheit über den Zweck und das Ziel der christlichen Gewerkschaften.

Doch beide konfessionellen Seiten waren sich darüber klar, dass die Gewerkschaften im Gegensatz zu den freien Gewerkschaften interkonfessionell und unparteiisch sein sollten. Doch trotz der gesetzten ideologischen Unterschiede waren die Aufgaben, die sich die christlichen Gewerkschaften stellten ähnlich denen der freien Gewerkschaften. Diese waren: die berufliche und sozialpolitische Schulung, die Arbeitsvermittlung, die Unterstützung der Arbeitslosen, die Mitwirkung bei Tarifverträgen, die bedingte Anerkennung und Anwendung des Streiks als Durchsetzungsmittel.

Politisch fanden die christlichen Gewerkschaften Unterstützung bei dem Zentrum und den christlich Sozialen. Aber es fehlte ihnen an einer positiven Bestimmung der eigenen weltanschaulichen Motivation, da immer noch Angst vor möglichen Konflikten vorherrschte. Dafür zeigten sie sich aber weiterhin betont antisozialdemokratisch.

Die Grundlage für die Gewerkschaftsorganisation war der Berufsstand und nicht die Klasse, die christlichen Gewerkschaften verstanden sich als Standesbewegung, dessen Aufgaben die Integration des Arbeiters in die bestehende Ordnung war und als Instrument zur Korrektur dieser Ordnung hin zu einer von christlichen Prinzipien geleiteten Gesellschaft. Die Betonung des interkonfessionellen Charakters löste einen Konflikt innerhalb des deutschen Katholizismus aus, was sich als ein großes Problem erwies, da die Mehrheit in den Gewerkschaften katholisch war. Die katholischen Arbeiter sahen die Gewerkschaften als eine Chance zur Emanzipation von der Vormundschaft des Klerus.7

Der Volksverein in der Weimarer Republik

Politische Mitwirkung bei der Gründung der Weimarer Republik

Während des ersten Weltkrieges war der Volksverein und dessen Verlag in den Dienst des Krieges gestellt. Somit leitete die Novemberrevolution 1918 einen Zusammenbruch des Volksvereins ein. Für ihn war die Weimarer Demokratie das Ergebnis einer ordnungspolitischen und außenpolitischen oktroyierten Vermeidungsstrategie, denn nach wie vor galt der Parlamentarismus und die Parteidemokratie als vernunftwidrig, und sie würden zu einer korrupten Gewaltherrschaft führen. Diese Einschätzung wurde nach 1918 nicht revidiert sondern nur differenziert und mit Wünschen nach einer entsprechenden Gesetzgebung untermauert. Für den Volksverein war es nicht auszuschließen, dass die Ausgleichsparteien (von denen es nur eine gab, nämlich die christliche) die Massenparteien verdrängen würden. Dem Volksparlament (eine undefinierte Masse) sollte ihrer Meinung nach eine besondere Vertretung der wirtschaftlichen Stände gegenüber stehen, der sogenannte Reichswirtschaftsrat.8 Dieser sollte weder von einer Partei noch von einer Masse beherrscht werden, und alle Stände sollten gleich viele Vertreter wählen. Es war natürlich klar, dass dieses Modell nicht funktionieren würde. Es basiert auf der Idee der Verschiedenheit der Glieder, die alle einen Leib bilden, der um so effektiver ist, wenn die Zusammenarbeit intensiver wird.9 Außerdem hatte sich dieses Modell schon im Mittelalter bewährt.10 Demnach müsse das Ziel der katholischen Politik sein, die Formdemokratie in einen organischen Volksstaat umzuwandeln, wie er von der Natur aus vorgesehen war. Das berufsständische Modell der Katholiken wurde aber nicht lagerübergreifend diskutiert, da es ein Teil der katholischen Gesellschaftslehre war und somit andere Lager damit nichts anfangen konnten. Doch von August Pieper wurden später Zugeständnisse gemacht. Er appellierte an die Katholiken, die Diskussion um die Staatsform zu beenden, da das katholische Verfassungsmodell keine Zustimmung bei den Reichsparteien gefunden hat.

Die kulturpolitischen Experimente, z. B. die des radikal - atheistischen Kulturministers Hoffmann, drängten die Katholiken zum politischen handeln in Form von Protestaktionen.

Dabei erwies sich der publizistische Teil des Volksvereins als unentbehrlich. Der Volksverein stellte sich auf die Seite der demokratischen Ordnung und schärfte den katholischen Deutschen die politische Partizipation als Gewissenssache ein. Somit konnten er die Beteiligung an der neuen Ordnung sichern, die durch die verfassungsgebende Nationalversammlung erstellt wurde.11 Bemerkenswert ist, dass der Volksverein das pro - parlamentarische Bündnis des Zentrums mit dem „Feind“, den Sozialdemokraten hatte vermeiden wollen. Doch es gab wohl keinen anderen Ausweg, wenn man auch in Zukunft in der Politik mitreden wollte, da bis dahin der Volksverein immer noch den Unterbau des Zentrums darstellte, und sie somit miteinander verbunden waren.

Innerhalb des politischen Katholizismus initiierte Heinrich Brauns ( der damalige Direktor des Volksvereins) Programmdiskussionen, in denen er die interkonfessionelle Öffnung der Zentrumspartei forderte sowie eine Umbenennung und Neuformierung als Volkspartei mit betont sozialen und demokratischen Zielen. Die Forderung nach der Namensänderung konnte sich aber nicht durchsetzen, doch die Vorschläge dienten als Diskussionsgrundlage für die Leitsätze der Politik der deutschen Zentrumspartei. Damit waren die Programmdiskussionen abgeschlossen.

Der Volksverein leistete dem Zentrum publizistische und organisatorische Hilfe in den Wahlkämpfen zur Nationalversammlung und zur preußischen Landesversammlung. Dafür bekamen mehrere Vorstandsmitglieder des Volksvereins einen Sitz in der Nationalversammlung. Durch diese Beteiligung an der verfassungsgebenden Versammlung gelang es dem politischen Katholizismus , kulturpolitische Forderungen zu verankern, kirchliche Rechte und Freiheiten zu sichern und die strikte Trennung von Kirche und Staat abzuwenden.

Im sozialpolitischen Bereich gelang es dem Volksverein, Räteparagraphen im Sinne von politischer Mitbestimmung durchzusetzen, auch hatte der Volksverein einen Anteil am Zustande kommen von Betriebsräten. Heinrich Brauns war von 1920 bis 1928 Reichsarbeitsminister. In seinem Amt trieb er die Arbeitsrechts - und die Sozialversicherungsgesetzgebung an, die Armenpflege wurde von der Reichsfürsorge abgelöst, und die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde neu geregelt.12 Durch die enge Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege wurde das Reichsarbeitsministerium zum Gegengewicht zu den Kommunen, die auf sozialem Gebiet expandierten. Somit schien die kontinuierliche Ausgestaltung der sozialen Gesetzgebung erfüllt, der Ausgleich bestehender Klassengegensätze auf der Grundlage des gleichberechtigten Zusammenwirkens von Arbeitnehmern und Arbeitgebern schien bestritten. Die sozialpolitischen Aufgaben des Volksvereins schienen erfüllt zu sein.13

Organisationsprobleme, Aufgabenerweiterung, Führungswechsel

1918 besetzten belgische Truppen Mönchengladbach, damit wurde der Kontakt der Zentralstelle zu den Ortsgruppen behindert, und der Volksverein errichtete in Hagen vorübergehend seine Zentralstelle. Den aktuellen Erfordernissen entsprechend beschloß der Volksverein eine Erweiterung des Aufgabenbereichs durch die Errichtung einer eigenen Schulabteilung in der neuen Zentralstelle, in der eine Schulung und die staatsbürgerliche Aufklärung der deutschen Katholiken stattfinden sollte, und die christliche Schule und Erziehung in der Öffentlichkeit verteidigt und gefördert werden sollte.

Daneben fand ein Führungswechsel im Vorstand statt, künftig sollten Laien den Posten des Generaldirektors innehaben. Wilhelm Marx wurde zum Generaldirektor, doch seine Dienstzeit war schon 1920 zu Ende. Danach wurde er zum Stellvertreter des Vorsitzenden und sollte für den Ausgleich des Volksvereins mit der Schulorganisation sorgen. 1921 wurde er dann nach dem Tod Karl Trimborns zum ersten Vorsitzenden gewählt.

Der Generaldirektor Hohn konnte auf die literarische Produktion der Zentralstelle, die sich immer mehr nach rechts wandte, keinen Einfluß mehr nehmen. Auch die personelle Auszehrung des Vorstands, der dann von August Pieper ausgefüllt wurde, prägte entscheidend die literarische Produktion.14

Schicksalskurve des Volksvereins

Durch die katholische Mobilisierungs - und Solidarisierungswelle gegen die kulturkämpferischen Attacken der Revolutionsregierung gewann der Volksverein am Anfang der Weimarer Republik neue Mitglieder. Dadurch konnte er finanzielle Rückstände abbauen und die Bildungs - und Schulungsarbeit nach und nach reorganisiert werden. Doch durch den Versailler Vertrag hatte der Volksverein immer noch schwere Mitgliedereinbußen im Osten und Westen zu verzeichnen, mehrheitlich in den katholischen Gebieten (z. B. Elsaß - Lothringen). Die Vereinsorganisationen in Danzig und im Saarland blieben bestehen und wurden 1923 in die Verbandsstatistik aufgenommen. Die weiblichen Mitglieder nahmen im Volksverein zu, doch hatten sie keinen Zugang zu Vorstands - und Funktionärsposten. Die innerkatholischen Anfeindungen im Volksverein ließen mit Beginn der Republik nach. Die Bischöfe in Fulda (Bertram von Breslau) und Köln (Karl Joseph Schulte) galten als sozialpolitisch aufgeschlossen. Es gab also eine günstige Ausgangsposition für den Volksverein am Anfang der Weimarer Republik. Durch die politisch soziale Mitbestimmung wurde die antikatholische Stimmung abgebaut. Die Katholiken hatten durch die Zentrumspartei Zugang zu den höchsten Ämtern der Republik. Dadurch überwanden die Katholiken den Makel der Reichsfeindschaft. Dies war der Durchbruch des deutschen Katholizismus in der Politik. Doch 1922 begann ein Rückgang der Mitgliederzahlen im Volksverein, der dadurch immer mehr an Einfluß und Bedeutung verlor. Besonders die männlichen Mitglieder verließen in einer hohen Zahl den Volksverein. Für diese Entwicklung gab es mehrere Ursachen.

Zum einen lagen die Ursachen in der Verbindung mit dem politischen Katholizismus. Die Wählerstimmen für das Zentrum und die Bayerische Volkspartei gingen zurück, besonders die männlichen Wähler wanderten zu anderen Parteien ab, obwohl mehr Frauen nun für das Zentrum stimmten. Die Aktivität der katholischen Parteien für die Jung - und Neuwähler ließ nach, der politische Alleinvertretungsanspruch für die katholische Bevölkerung wurde in Frage gestellt. Der Volksverein mußte die sinkende Popularität der Zentrumspartei mittragen, da er ja als Stütze der Partei galt. Dadurch entstanden auch permanente wirtschaftliche und politische Schwierigkeiten. Der Vereinsvorsitzende Wilhelm Marx sollte als Zentrumskandidat 1925 bei der Präsidentenwahl antreten, er scheiterte aber bei der Wahl.

Die Vereinsarbeit wurde immer mehr durch die Kritik am Vereinswesen erschwert, die öffentlich ausdiskutiert wurde. Die Pfarrgemeinde zum Beispiel als der katholische Idealverein lehnte die politische und soziale Vereinstätigkeit als Überlastung ab. Die Vereine würden die territorialen Pfarrgemeinden und somit die Seelsorge stören. Die öffentlichen Vereine sollten an die Pfarrgemeinden angeschlossen werden, was auch teilweise verwirklicht wurde. Es wurden Forderungen laut, das übergeordnete Verbandswesen zu vereinfachen und abzubauen, doch bei der Neuordnung herrschte keine Konsequenz.

Bei der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands 1923 in Zell wurde eine Entscheidung gegen die Rückführung zu den kirchlichen Vereinigungen und gegen die Fusion der katholischen Vereine getroffen. Als Weg zur Vereinfachung wurde die Zusammenarbeit der Organisationen auf Pfarr, - Bezirks, - Diözesan, - und Reichsebene empfohlen. Die Teilnehmer plädierten jedoch für einen weiteren Ausbau leistungsfähiger Verbandszentralen. Trotz der häufigen Kritik am Volksverein und des starken Mitgliederschwunds wurde aber an seiner Existenzberechtigung kein Zweifel gehegt. Doch die Schwerpunktverlagerungen des Verbandskatholizismus haben den Spielraum des Volksvereins weitgehend eingeengt.15

Der Volksverein als Generalstab oder Hilfsverein

Der Volksverein wurde während des Krieges stark erschüttert. Durch die Einberufung zum Militär fehlte es an Laien in den Ortsgruppen, neue Leiter konnten aber nur von der Zentralstelle berufen werden. So verwaisten die Ortsgruppen, und die Versammlungsarbeit wurde erschwert.

Nach dem Ende des Krieges wurde die traditionelle Arbeitsteilung unter den politischen Organisationen des Katholizismus in Frage gestellt. Das Zentrum wurde zu einer Mitgliederpartei .Ursache dafür war die neudefinierte Rolle der Parteien innerhalb einer parlamentarischen Demokratie und die Änderung des Wahlrechts und der Wahlkreiseinteilung. Die Parteianhänger drängten auf innerparteiliche Partizipationsmöglichkeiten für das einzelne Mitglied. Diese Tendenz konkurrierte mit der Rolle des Volksvereins, der die Parteiorganisation des Zentrums ersetzte. Das Zentrum wandelte sich von einem vom Volksverein unterstützten Honoratiorenkomitee zu einer Partei mit eingeschriebenen Mitgliedern und Mitgliederbeiträgen.16

Daneben erhielt die katholische Schulorganisation eine erhöhte Bedeutung, da man befürchtete, die katholische Kirche könnte aus der Schule verdrängt werden. Auch deren Tendenz zur Massenorganisation bedrohte den Volksverein. Wie sollten diese Organisationen finanziert werden, und wie sollte die Aufgabenverteilung aussehen? Daneben war es auch schwierig für diese drei großen Organisationen, die Mitglieder zu rekrutieren. 1919 faßte der Gesamtvorstand des Volksvereins in Hagen Beschlüsse über das Verhältnis des Vereins zur Schulorganisation. Demnach sollte die Schulorganisation kein Massenverein werden, sondern eine Dachorganisation für die lokalen Arbeitsausschüsse von Eltern und Klerikern bleiben, da die alleinige Konzentration auf Schulpolitische Fragen nicht ausreichen würden, um eine Massenorganisation zu rechtfertigen. Dafür übernahm der Volksverein aber die landesweite Propagierung der Forderungen der Schulorganisation. Der Volksverein wollte eigens dafür ein Schuldezernat in der Zentralstelle einrichten und sich an den Kosten der Schulorganisation beteiligen. Die Schulorganisation sollte sich auf die unmittelbare Arbeit mit den Elternausschüssen konzentrieren.

Zwischen dem Zentrum und dem Volksverein sollte die traditionelle Funktionsteilung beibehalten werden. Der Volksverein blieb für die staatsbürgerliche Bildung und das Zentrum für die politische Propaganda verantwortlich. Der Volksverein war gegen den Aufbau zentrumseigener Vereine und Bildungseinrichtungen. Statt dessen gab der Verein organisatorische Ratschläge. Z.B. sollte das Zentrum eine territorial zugeschnittenen Parteiorganisation bekommen, da es eine interkonfessionelle Organisation war, der Verein dagegen eine rein katholische. Diese Aufteilung wirkte sich aber langfristig negativ für den Verein aus, da sie die Aktivisten dazu drängte, sich für oder gegen den Volksverein zu entscheiden, also für die parteipolitische oder traditionelle Variante. Viele Mitglieder wandten sich von der Bildungsarbeit des Volksvereins ab und der parteipolitischen Arbeit des Zentrums zu, die mehr Partizipationsmöglichkeiten bot. Auch die Parteipolitiker referierten lieber auf Parteiversammlungen als auf Vereinsversammlungen.

Diese Entscheidung spiegelt die Blindheit des Volksverein gegenüber dem Pluralismus wieder. Der Verein hielt an seinem Alleingeltungsanspruch fest, besonders in einer Zeit, in der die alten Maßstäbe nicht mehr galten. Doch der Katholizismus lehnte weiterhin den Pluralismus als Regulativ ab. Die Hagener Beschlüsse waren ein Alleingang des Vorstandes des Vereines. Vielleicht um einen Ausgleich zu schaffen, wurde deshalb auf der Sitzung Wilhelm Marx, der Leiter der Schulorganisation, zum Generaldirektor des Volksvereins ernannt.17

Konkurrierende Organisationen

Die Entwicklung der katholischen Vereine stellte den Führungsanspruch des Volksvereins in Frage. Nachdem der Aufbau der Vereine durch den Volksverein vollzogen war, wurden sie der Kirche unterstellt.18 Der Einfluß des Volksvereins sank. Auch die organisatorische Verbindung mit dem Zentrum stellte die Existenz des Volksvereins in Frage.

Die katholischen Standesvereine wurden zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für den Volksverein während der Weimarer Republik, da sie im Gegensatz zu ihm, die Interessen einer kleineren Gruppe widerzuspiegeln versuchten. Um die Vormachtstellung innerhalb der katholischen Verbände weiterhin zu behaupten, versuchte er diese durch publizistischen Aufwand zu proklamieren. Der Volksverein sah seine Aufgabe im Interessenausgleich zwischen den Ständen.

Mit der Isolierung der Standes - und Berufsorganisationen büßte der Volksverein die Führung im sozialen Katholizismus ein. Die neuen Vorreiter waren nun die katholischen Arbeitervereine. Sie waren auf Pfarreibasis organisiert, die Leitung übernahmen geistliches Präsides. Die Arbeitervereine wurden vom Volksverein unterstützt, der besonders die Zentralisierung auf Bezirks - und Diözesenebene förderte. Die westdeutschen Arbeitervereine konnten ihre Position immer mehr ausbauen im Gegensatz zum Berliner Verband. Während der Weimarer Republik wuchs die Entfremdung zwischen dem Volksverein und den Arbeitervereinen immer mehr an, deshalb wurde 1928 die Verbandszentrale der Arbeitervereine von Mönchengladbach nach Köln verlegt. Auch die christlichen Gewerkschaften vollzogen einen Emanzpationsprozeß vom Volksverein.19

Die Leitung des Volksvereins hatte die christlichen Gewerkschaften, die im katholischen Lager sehr umstritten waren, in der Öffentlichkeit verteidigt, organisatorisch unterstützt und deren Funktionäre geschult. Während des ersten Weltkrieges stiegen die Zahlen der Mitglieder der christlichen Gewerkschaften, partiell kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten, da die katholischen Gewerkschaftler zu religiös orientiert waren, und die evangelischen Gewerkschaftler deutschnational und antirepublikanisch betont waren. Die Gesamtorganisation der christlichen Gewerkschaften wurde 1918 durch die Gründung des deutschen Gewerkschaftsbundes gestrafft, er galt als die Dachorganisation für Gewerkschaften mit ausschließlich christlich - nationaler Programmatik. Der deutsche Gewerkschaftsbund baute seine Bildungseinrichtungen aus und stellte somit nun auch eine Konkurrenz zum Volksverein dar. Auch die christlichen Gewerkschaften emanzipierten sich immer mehr von der Massenorganisation Volksverein.20

Während des ersten Weltkrieges wurde der Caritasverband in die katholische Kirche eingegliedert, doch wie auch die anderen katholischen Organisationen entwickelte sich der Caritasverband in der Weimarer Republik zu einem modernen Großverband mit eigenen Publikationen und Bildungseinrichtungen. Sie stellten nun eine Konkurrenz für den Volksverein auf dem Gebiet der Sozialpolitik, Fürsorge und Wohlfahrtspolitik dar. Als der Volksverein 1927 in der Zentralstelle ein Referat für Wohlfahrts - und Fürsorgewesen einrichtete, kam es zu Auseinandersetzungen mit der Caritas. Der Volksverein mußte auch in diesem Bereich sein Monopol abgeben.

In den 20iger Jahren sank der Einfluß des Volksvereins auf die katholischen Jugendorganisationen. Spezialorganisationen erwiesen sich auf Dauer anziehender für die Jugendlichen, da sie oft in die Lebenssituationen der Jugendlichen Einblick hatten. So erfuhren die Jugendvereine in der Weimarer Republik ein Mitgliederwachstum. Seit 1921 existierte auch ein Dachverband für die katholischen Jugendorganisationen, die katholische Jugend Deutschlands.21

Auch in diesem Bereich ging der Einfluß des Volksvereins während der Weimarer Republik verloren.

Da der Einfluß des Volksvereins innerhalb der katholischen Verbände als Verein der Vereine immer mehr verloren ging, begann eine Suche nach einem neuen Selbstverständnis des Vereins. Dabei stand aber nicht nur die Selbsteinschätzung als Mittelpunkt der katholischen Verbände im Weg, sondern auch die Einseitigkeit der Definition, die von der Zentrale ausging, welche aber nicht vereinbar war mit der der Landesorganisationen. Nach der Erschütterung des Führungsanspruches bestand nun die Gefahr, nur noch als Hilfsverein für Gelder und Wahlkampf betrachtet zu werden.22 Von außen kam ein Vorschlag, die Spitzenorganisation aller Spezialverbände zu werden und den Vereinsapparat zur Verfügung zu stellen. Doch dabei hätte der Volksverein sein eigenes Profil verloren. Auch der Vorschlag der Kleriker, den Volksverein zu einem Seelsorgeverein und zu Sprachrohr der Kirche zu machen, stieß auf Ablehnung.23 Der Volksverein wollte ein konfessioneller und kein klerikaler Verein sein. Statt wie früher ein Verein für das Volk wollte der Volksverein nun ein Verein des Volkes sein - eine „Gemeinde im Kleinen“.24

Über der propagandistischen, demonstrativen und wahlpolitischen Zweckbindung des Vereins habe jetzt seine neue Qualität als Lebensgemeinschaft zu stehen. Doch das sollte keine Hinwendung zu einer religiösen Verinnerlichung bedeuten. Vielmehr sollte die Lebensgemeinschaft eine Vorstufe zur angestrebten Volksgemeinschaft sein. Da der Volksverein aber als Propagandaverein und nicht als Lebensgemeinschaft angesehen werden konnte, wäre eine grundlegende Veränderung des Vereinsapparates unumgänglich gewesen. Auf nationaler Ebene waren entsprechende Bemühungen auch ansatzweise zu erkennen, doch in den Ortsgruppen war wenig von dem neuen Geist zu bemerken. Die Aufforderung der Zentrale, in den Ortsgruppen Arbeitsgemeinschaften zu bilden, fand keinen Widerhall.

Eine der Ursachen für den Zustand des Volksvereins war die abstrakte und schwierige Schreibweise des Veriensblattes und die Zerrissenheit des Kirchvolkes. Außerdem herrschte ein allgemeines Mißfallen zum positiven Verhältnis zur Demokratie, das sich bis dahin entwickelte, und zur Verbindung mit dem Zentrum, das als zu „links“ galt. Dem Zentrum wurde die Zusammenarbeit mit der SPD in Preußen verübelt. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen des Vereins mit der SPD verlagerte sich auf das kulturelle Gebiet und konzentrierte sich auf schulpolitische Fragen und den Kampf gegen die Freidenker als Ergebnis des sozialdemokratischen Atheismus. Inzwischen wurden die sozialistischen Theorien vom Volksverein anerkannt, da sie eine guten Willen zeigten, der mit christlichen Ideen vereinbar schien.

Eine Integration des Vereins in die Parteiorganisation des Zentrums kam nicht in Frage, da bei einer möglichen Parteispaltung der Volksverein endgültig verloren sein würde.

Deshalb wurde 1924 in den neuen Hagener Beschlüssen nochmals die Arbeitsteilung mit dem Zentrum bestärkt, obwohl die Partei eigene Vereine gegründet hatte, was der Volksverein eigentlich verhindern wollte. Der Volksverein übernahm weiterhin die staatsbürgerliche Bildung und Schulung; das Zentrum sollte praktische, politische Fragen beantworten. Das Zentrum verzichtete auf eine eigene literarische Produktion zugunsten des Volksvereins.1927 wurde jedoch das Reichsgeneralsekretariat des Zentrums in Berlin um die Abteilung für politische Bildung erweitert, der „Gesellschaft zur Förderung der politischen Bildungsarbeit e.V.“. Damit übernahm das Zentrum endgültig die politische Schulung ihrer Mitglieder.25

Auch das Verhältnis zur Schulorganisation wurde 1922 nochmals durch eine Vereinbarung erneuert. Die Aufgabenstellung und die Satzung wurde auf beiden Seiten anerkannt. Die Schulorganisation blieb die offizielle Vertretung der Eltern, Lehrer und der Kirche. Der Volksverein blieb der Propagandist und die Hilfsorganisation zum Vertrieb der Schriften der Schulorganisation und ein finanzkräftiges Mitglied in den Ausschüssen der Schulorganisation. Doch dieses Abkommen wurde vom Volksverein nur nachlässig erfüllt. Deshalb entzog die Schulorganisation dem Verlag des Volksvereins 1925 die Kommissionsrechte.26

Die Absicht des Volksvereins, konkurrierende Bildungsgesellschaften organisatorisch an die Zentralstelle in Mönchengladbach zu binden, ließ sich nicht verwirklichen. Auch die Versuche, den Mitgliederbestand durch verstärkte Mobilisierung der Zentrumswähler zu sichern, war wenig erfolgreich.

Der Anspruch es Zentrums auf die alleinige politische Vertretung der Katholiken wurde aber auch immer fragwürdiger, auch dort wanderten die Mitglieder ab. Besonders die Arbeiter wählten nun verstärkt links. Damit zeichnete sich auch die antisozialistische Frontstellung des Volksvereins als negativ für das Zentrum aus. 1928 wurde dann in einer Denkschrift der Mönchengladbacher Zentralstelle die Forderung nach einer Trennung von Zentrum und Volksverein konkretisiert. Der Volksverein dürfte nicht zu einem Parteiverein werden, beide Organisationen dürften nicht gleich gestellt werden.

Der Volksverein und die BVP

Die bisher gängige Identifizierung des Volksvereins mit dem Zentrum hatte besonders in Bayern die Arbeit des Vereins erschwert. Die Bayerische Volkspartei spaltete sich vom Zentrum ab, somit war die politische parlamentarische Einheitsfront der Katholiken in Deutschland gesprengt. Nach der endgültigen Trennung der BVP vom Zentrum 1920 sammelte der Sekretär des Volksvereins für Unterfranken die Gegner der BVP in der Christlich Sozialen Partei, die sich 1921 dem Zentrum anschloß. Sie wurde somit zum „bayerischen Zentrum“. Diese Zusammenarbeit endete aber 1925, da der Parteivorsitzende Heller den vermeintlichen Rechtskurs des Zentrums nicht mittragen wollte. 1927 verschmelzten dann die Christlich Sozialen mit der „Christlich - Sozialen Volksgemeinschaft“, die sich dann in die „Christlich - Soziale Reichspartei“ umbenannte., doch diese Partei war bei der Reichstagswahl 1928 wenig erfolgreich.

Trotz all dieser Neuerungen blieb der Volksverein in Bayern wenig erfolgreich, da immer noch die Meinung vorherrschte, dass der Volksverein mit dem Zentrum gleichzusetzen ist. Die turbulenten Beziehungen beider Parteien in Bayern führten bei dem Volksverein zu hohen Mitgliedereinbußen. Der Mitgliederbestand halbierte sich seit 1920 in Bayern.27

Integralismus hinter den Kulissen

Während der Weimarer Republik kam es zu einer starken Kritik an der Organisation und Aufgabenstellung innerhalb des Volksvereins. Der Verein sei politisch einseitig und nur auf die Arbeiterfrage und die Gewerkschaften fixiert. Deswegen entwickelte sich eine Abneigung gegen den Volksverein. Auch die staatsbürgerliche Aufklärung war auf die Parteien übergegangen, und die soziale Aufklärung hatten die Standesvereine übernommen. Der Volksverein hatte sein Monopol verloren. Er mußte restlos katholisch eingestellt werden. Das erforderte eine Dezentralisierung und die Unterstellung unter die Bischöfe. Das oberste Ziel sollte die Ausbildung von Laienaposteln werden, die sich um die Verbreitung des Evangeliums bemühten. Das bedeutete: keine politische Öffentlichkeitsarbeit mehr. Doch der Vorstand des Volksvereins entgegnete diesem Vorschlag, dass die Bischöfe nicht für die Aktionen des Vorstandes verantwortlich gemacht werden könnten - quasi als Schutzmaßnahme für die Bischöfe.28 Außerdem beruhe der Ruf des Vereins auf der Unabhängigkeit von den Bischöfen. 1924 wurden dann nochmals von der Seite der Kirche Vorbehalte gegen den Volksverein in einer internen Denkschrift der Diözese Trier vorgetragen. Der Volksverein würde sich nicht in erster Linie auf die katholische Kirche als einzige Heilsgemeinschaft berufen. Sie hielte eher an der Konzeption der interkonfessionellen Gewerkschaften fest und spräche von Christentum und gleichberechtigten Kirchen.29

Der Volksverein versuchte daraufhin in internen Schriften, die Vorwürfe zu entkräften. Die Kontroverse mit der Kirche wurde aber Mitte der 20iger Jahre auf der Ebene der Finanzen, Organisation und Personen ausgetragen und nicht mehr auf der ideellen Ebene. Ursache für diese Wende ist die Finanzkrise, in die der Volksverein geraten ist, und für deren Überwindung der Verein auf die Hilfe der großen Verbände und auf die Unterstützung der Bischöfe angewiesen war.

Finanzielle Krise und die Hilfe von außen

1928 verfaßte der Generaldirektor des Volksvereins - Hohn - eine interne Denkschrift zur finanziellen Situation des Volksverein.30 Darin stand, dass der Verein ein Zuschußunternehmen des Verlages wird und somit den Verlag in Gefahr bringt. Doch der Verlag war allein schon durch die eigentümliche Geschäftspraxis Hohns gefährdet, der auch der Geschäftsführer des Verlags war, was nicht in der Denkschrift stand. Der engere Vorstand beschloß daraufhin auf einer Versammlung, Hohn eine kaufmännische Fachkraft zur Seite zu stellen, und Unterstützung für den Verein bei den Bischöfen zu suchen, die Geldsammlungen durchführen sollten.

Das Gesamtausmaß der Finanzkrise wurde dann bei einer Sitzung des Gesamtvorstandes im Juni 1928 sichtbar. Anfangs beschloß der Vorstand, erst den Volksverein und dann den Verlag zu retten, doch die rechtliche Lage zeigte, dass der Verein nicht von der GmbH zu trennen sei, außerdem war der Volksverein kein eingetragener Verein sondern eine Bürgergemeinschaft. Und somit konnte jedes einzelne Mitglied haftbar gemacht werden. Auch aus politischen Gründen mußte die Sanierung beider Organisationen gleichzeitig geschehen. Die Phönix - Versicherung unterbreitete dem Volksverein das Angebot, dem Verein einen Vorschuß von 500 000 RM auf Provision zukommen zu lassen. Dafür sollte der Verein für die Versicherung Mitglieder werben. Ein ähnliches Angebot machte auch die Deutsche Lebensversicherungsgesellschaft - „Deutschleben“ - der christlichen Gewerkschaften. Der Volksverein sollte von ihr ohne eine materielle Bindung 500 000 RM erhalten. Der Verein ging auf das Angebot von „Deutschleben“ ein.31

Die Bischöfe verhielten sich zunächst abwartend, die Fuldaer Bischofskonferenz sah sich nicht im Stande, die Summen für den Verein zu übernehmen. Die Konferenz wollte dem Erwartungsdruck ausweichen. Statt dessen wurde der Verein auf einzelne Bischöfe verwiesen, die allein entscheiden konnte, ob sie den Verein unterstützen wollten. Die Bischöfe in Bayern untersagten die Geldsammlungen des Volksvereins in der Kirche. Die Einwände der Bischöfe schienen berechtigt, da der Volksverein immer noch mehr ausgab, als er einnahm.

Inzwischen nahm der Sanierungsplan für die GmbH konkrete Formen an. Ende 1929 schlugen die Großgläubiger einen Vergleich vor und wollten somit einem Konkurs zuvorkommen, da es in den Reihen des Vereins schon einige Spekulanten gab, die sich an einem Konkurs bereichern wollten. 1930 wurde der Vergleich abgeschlossen: die GmbH sollte alle Vermögenswerte an die Gläubiger abtreten außer den Liegenschaften und der Druckerei. Durch die rechtliche Lage mußte auch der Volksverein an die Gläubiger die Schulden abbezahlen, die vom Verlag gemacht wurden. Dies war eine zusätzliche Belastung für den ohnehin schon geschwächten Verein. Deshalb mußten wieder Spenden bei den Bischöfen gesammelt werden. Stegerwald, der Vorsitzende der christlichen Gewerkschaften und Leiter von „ Deutschleben“ stellte dem Verein wieder 50 000 RM in Aussicht für die Propaganda bei Hindenburgs Wahlkampf.32

Die Instrumentalisierung des Volksvereins

Durch die finanzielle Krise des Volksvereins veränderte sich das Verhältnis zum Klerus und den großen Verbänden. Auf dem Katholikentag 1928 in Magdeburg fand eine inoffizielle Besprechung über die Zukunft des Vereins statt. Es wurde Diskussionen über die finanzielle Sicherung geführt, und man erörterte die konzeptionelle Neuorientierung und die Reform der Satzung. Es gab vier Perspektiven für den Volksverein: die Auflösung, die Eingliederung in die katholische Aktion, der Volksverein würde Dachorganisation der katholischen Verbände werden oder ein Zentrumsverein. Man entschied sich für die Reduzierung zur Dachorganisation. Den deutschen Bischöfen wurden zwei Sitze im Vorstand eingeräumt, doch Kardinal Bertram wies diesen Vorschlag zurück. Der Volksverein bot als Alternative an, den Vertretern der Bischöfe Sitze im Vorstand mit beratender Funktion einzuräumen. Doch auch dieser Vorschlag wurde abgewiesen. Als Begründung kam der einstiege Einwand des Volksvereins, dass die Bischöfe nicht für die Aktionen des Volksvereins verantwortlich gemacht werden dürften. Statt dessen sollte der Vorstand in ständiger Verbindung mit dem Ordinarius bleiben, was auch ohne Erwähnung in der Satzung möglich war.

Der strittigste Punkt der Satzungsreform war die Zweckbestimmung des Volksvereins besonders im Verhältnis zur katholischen Aktion. Ziel der katholischen Aktion war eine verstärkte Einbindung in die Seelsorge aber auch die weltliche Praxis der Kirche unter dem organisatorischen Primat des Ortsbischofs. Der Vorschlag des Volksvereins, ihn zum Träger der katholischen Aktion zu machen, wurde von den Bischöfen abgelehnt. Die katholische Aktion ging von der Kirche aus, der Volksverein war eine kirchenunabhängige Gründung. Kardinal Bertram schlug die Eingliederung in die katholische Aktion vor. Durch die Mitarbeit des Volksvereins sollten die Kräfte des Katholizismus in allen Gebieten des Lebens geweckt und gesammelt werden. Doch es sollte keine organisatorische Eingliederung geschehen.

Vielmehr verpflichtete sich der Volksverein der katholischen Aktion. August Pieper schrieb dazu, dass der Volksverein die Ziele der katholischen Aktion im öffentlichen Leben propagieren und mitverfolgen sollte, da sich der Volksverein als ein Laienverein nicht der innerkirchlichen katholischen Aktion angliedern konnte.33

Damit wollte Pieper einen Anspruch auf die Mitwirkung am Laienapostolat aufrechterhalten, dem in der katholischen Aktion eine zentrale Rolle zukam. Ziel des Volksvereins sollte sein, die Laien für die katholische Kirche zurückzugewinnen, was aber mit der althergebrachten Pastoration anhand der überlieferten Morallehre und Philosophie nicht möglich sei. Deshalb habe man das Apostolat nicht als ausschließliche Aufgabe des Klerus betrachtet. Für Pieper war mit der Satzungsreform 1928 das letzte Gefecht gegen die Klerikalisierung des Volksvereins verloren gegangen.

Mit der Satzungsreform war auch eine Umstrukturierung der Dezernate der Zentrale verbunden, deren Anzahl wurde nun auf vier reduziert: die Dezernate für Volk und Religion, für Volk und Kultur, für Volk und Wirtschaft und dem Dezernat für Volk und Staat. Die wichtigsten Führungspositionen wurden mit Ausnahmen mit Klerikern besetzt. Der Nachfolger für Wilhelm Hohn wurde Joseph van der Velde, dem späteren Bischof der im Nationalsozialismus errichteten Diözese Aachen. Damit endete die Amtszeit Brauns. August Pieper übernahm das Dezernat für Volk und Staat. Die Organisationsleitung des Vereins unterstand Karl Martin.

Die Auswirkungen der Satzungsreform auf die Arbeit der Zentrale und des Vereins im Land für die Zeit zwischen 1928 - 1933 ist nur in Bruchstücken nachzuvollziehen, da die Jahresberichte des Vereins ohne Kassenberichte und seit 1930/ 31 überhaupt nicht mehr veröffentlicht wurden. Am deutlichsten wurde die Neugestaltung an der Vereinszeitung sichtbar. Die Hefte hatten nicht mehr nur ein Thema sondern waren mehreren gewidmet. Auch lag der Schwerpunkt nicht mehr in den säkulären Bereichen gesellschaftlicher und politischer Fragen, vielmehr traten geistliche Themen und kirchengeschichtliche Beiträge in den Vordergrund. Bis zum Ende 1929 wurden die Angebote an zentralen Unterrichtskursen verkürzt. Da das Paderborner Kurs - Heim aufgegeben werden mußte, wurden die Kurse wieder in Mönchen - Gladbach abgehalten. Die mit dem Besitzwechsel verbundenen organisatorisch Unsicherheiten haben das Ende der zentralen Kurse des Volksvereins beschleunigt. Die Kursarbeit wurde weitgehend dezentralisiert, was ein Ausdruck des neuen Selbstverständnis der Volksvereins war, der sich nun als Parrverein begriff. Die neue Form der Vereinsarbeit sollte institutionalisiert werden.34

Berufsständische Ordnung und Nationalsozialismus

Für die zentralen Kurse des Volksvereins war der aufkommende Nationalsozialismus kein eigenständiges Thema. Auch die Mitgliederzeitung beschäftigte sich mit einer Ausnahme nicht mit diesem Thema. Die Zentrale veröffentlichte 1931 zwei Broschüren mit Aufsätzen August Piepers zum Nationalsozialismus. Diese wurden in einer dritten Broschüre erneut und mit Stellungnahmen der deutschen Kirchenprovinzen veröffentlicht. Für Pieper war der Nationalsozialismus eine Gefahr für den Katholizismus, die Republik und die Nation. Die rassische Definition verstoße gegen das katholische Prinzip der Universalität und der Gedanke der Rassenzucht sei unmoralisch. Der Nationalsozialismus strebe das Staatskirchentum an und bekämpfe den demokratischen, volksfreiheitlichen Staat, um eine Parteidiktatur zu errichten. Der Nationalsozialismus habe ein bürgerliches Gepräge und gebe vor, gegensätzliche Interessen integrieren zu wollen, denen er ein ökonomisch widersprüchliches Parteiprogramm anbiete. Deshalb sei der Nationalsozialismus langfristig zum scheitern verurteilt. Es gebe jedoch ein Mittel zur Überwindung des Nationalsozialismus: der Versailler Vertrag müsse fallen, das Finanzkapital müsse allein der Produktion dienen, Parteien - und Fraktionsbürokratien müssen abgeschafft werden und die Listenwahl sollte durch die Persönlichkeitswahl ersetzt werden. Die Etablierung der Berufsstände sei die Alternative zur faschistischen Diktatur, die durch eine Volksbewegung verhindert werden müßte.35

Quadragesima anno

Die Idee der wirtschaftlichen Berufsstände, die der Volksverein nie aufgegeben hatte, bildete die Brücke zu den gesellschaftlichen Vorstellungen des Vatikans, der diese Ideen in der Enzyklika „Quadragesima anno“ aufgriff. Die Enzyklika und die Beschlüsse der Fuldaer und Freisinger Bischofskonferenz legten die neuen Schwerpunkte der Propaganda und Schulungsarbeit des Volksvereins fest. Sie übertrugen dem Volksverein die Abwehr der bolschewistischen und kommunistischen Bewegung und der Freidenkerverbände, was die bayerische Bischofskonferenz festlegte. Die Fuldaer Bischofskonferenz, beschloß, dass der Volksverein rechts- und linksradikale Strömungen abwehren sollte. Der Volksverein gründete daraufhin eine Forschungs - und Auskunftsstelle über Bolschewismus und Freidenkerverbände, die später mit einer Stelle für Rechtsradikalismus ergänzt wurde. Diese Entwicklung läßt eine enge Zusammenarbeit des Vereins mit den Bischöfen erkennen. Doch jegliche Propaganda gegenüber dem Bolschewismus und der Freidenker dominierten gegenüber der Abwehr des Nationalsozialismus.

Im Januar 1932 etablierte sich in der Zentrale das „Institut für Gesellschafts - und Wirtschaftsordnung“, was einer Institutionalisierung des „Königswinterer Kreises“ gleichkam. Der „Königswinterer Kreis“ war eine Gruppierung von Klerikern, Ordensgeistlichen und Laien des Volksvereins, die sich nach der Satzungsreform zusammengefunden hatten, um auf einer Reihe von Tagungen über die Notwendigkeit einer berufsständischen Ordnung zu diskutieren. Deren Vorstellungen stimmten mit der späteren Quadragesima anno überein.36

Das Zentralkomitee der Katholikentage veranlaßte das „Institut für Gesellschafts - und Wirtschaftsordnung“, eine Studientagung über die „Idee und praktische Möglichkeiten der berufsständischen Ordnung“ zu veranstalten, um die Möglichkeit der Umsetzung der päpstlichen Konzeption in Deutschland zu diskutieren. Ausgangspunkt dafür war die Kritik an der bisherigen Sozialpolitik. Der Staat entwickle sich zum zentralistischen totalitären Staat, und die Wirtschaft verblute im Klassenkampf. Es seien die Dezentralisierung des Staates und der korporative Zusammenschluß des Arbeitsmarktes nach Berufszweigen anzustreben. Die Leitlinie dafür war: „Soviel Gesellschaft wie möglich, soviel Staat wie nötig!“ Doch der Vorrang des Privateigentums sollte nicht angetastet werden. Und auch sonst gab es keine konkreten konstruktiven Vorschläge zur Durchsetzung des Programms.

Nach dieser Studientagung im September 1932 wandte sich der Vorsitzende des Volksvereins an den Papst, um seinen Plan für die erste soziale Woche des Volksvereins vorzustellen. Die von der Enzyklika aufgeworfenen Fragen sollten dann vor einem größeren Publikum diskutiert werden. An dieser Konferenz im Oktober nahmen 400 Wissenschaftler, Wirtschaftler und Seelsorger teil. Dies war die letzte Bildungsveranstaltung des Volksvereins. Die Studientagung blieb im Rahmen der Enzyklika, die die Verfassungsfrage ausgespart hatte.37 Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen berufsständischer Ordnung und der Staatsform wurde ausgeblendet, da zu diesem Zeitpunkt kein Konsens über die Standesmodelle oder andere Staatsmodelle erzielt werden konnte. Zu dieser Zeit existierten keine katholischen berufsständischen Organisationen, und an diesem Zustand wurde auch nichts geändert. Die Machtübernahme der NSDAP betrachtete der Volksverein unter religiösen Aspekten. Joseph van der Velde sah es als Gebot der Stände, staatliche Aufbauarbeit zu leisten; der Katholizismus müßte sich auch einbringen. Er übte nur zaghafte Kritik am neuen System und hegte die Hoffnung, dass Freiheit und Recht erhalten blieben.

Der Volksverein im Nationalsozialismus

Die Volksvereinszentrale täuschte sich bei der Machtübernahme Hitlers. Sie sah nicht, dass er die Politik maßgeblich mitbestimmte. Doch der Volksverein und die katholische Massenorganisationen beanspruchten ein politische Partizipation und verurteilten deshalb die neue politische Lage. Die Ereignisse nach dem Tod Brünings wurden als nationales Verderben charakterisiert. Vor den Reichstagswahlen warnte der Volksverein vor dem Extremismus und propagierte die demokratische Ordnung und die Verfassungstreue. Die Nationalsozialisten sahen diesen Aufruf als Kampfansage an. Durch die Notverordnungen vom 04.02. 1933 wurde die Presse - und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Im Zuge dessen kam es auch zu einem Erscheinungsverbot der katholischen Zeitungen in Preußen. Diese Verbot konnte aber vom Berliner Generalsekretär des Zentrums abgewendet werden, und es kam nur zu einer Verwarnung. Diese Handlung wurde von einigen Katholiken als ein schwächlicher Rückzug angesehen. Der katholische Volksteil hätte auch zu einer erhöhten Einigkeit gegen das neue Regime aufgerufen werden können. Der Volksverein blieb weiterhin das Objekt nationalsozialistischer Erschütterungsversuche.38

Am 1. Juli 1933 besetzte die geheime Staatspolizei die Geschäftsstelle des Volksvereins und beschlagnahmte das Schriftenmaterial und das Vermögen. Im Januar 1934 wurden die Vermögenswerte des Volksvereins, des Verlages und der Druckerei „zugunsten“ des Preußischen Staates eingezogen, da der unbegründete Verdacht der strafbaren Handlungen bestehen würde, was auch als Begründung für die Besetzung der Gladbacher Zentrale genannt wurde. Es kam nur zu einem „kleinen“ Prozeß, in dem Wilhelm Hohn angeklagt war, doch der Verdacht konnte nicht bestätigt werden. Das Problem bei der Liquidierung des Volksvereins durch die neue Regierung war die Arbeitslosigkeit der Beamten und Mitarbeiter des Volksvereins. Die Kleriker konnten in ihre Heimatdiözesen zurückkehren.

Am 2. März 1934 besetzte die SA die Vereinszentrale und hißte die Hakenkreuzflagge auf dem Vereinshaus. Mit diesem Schritt wurden endgültig die letzten Hoffnungen auf einen Volksbund des Volksvereins mit der Schulorganisation und der Caritas zerschlagen. Der Volksverein für das katholische Deutschland existierte nicht mehr.39

Schlußbetrachtung

Der Vereinskatholizismus hatte zu Beginn eine kompensatorische Funktion für die gesellschaftlichen, materiellen und funktionalen Verluste durch den Kulturkampf. Später manifestierte sich der universelle Anspruch der katholischen Kirche im Aufbau eines funktional differenzierten Organisationsgeflechtes. Auf der weltlichen Ebene gab es bis zu Beginn des Nationalsozialismus kaum einen Bereich ohne katholische Organisationen. Durch ihre konfessionelle Exklusivität begaben sich diese Organisationen aber auch in ein kulturelles Ghetto.

Die vom Volksverein erhobenen Forderungen nach Gleichberechtigung der Arbeiter in den Vereinen zielten nur auf den Berufsstand ab, sie rüttelten aber nicht an den theologischen Vorbehalten gegen das autonome Individuum. Die Gründung der Weimarer Republik war für den Volksverein außenpolitisch indiziert, ordnungspolitisch ohne Alternative und konfessions - und sozialpolitisch vielversprechend. Das Bekenntnis zur Republik sparte jedoch das Bekenntnis zum Parlamentarismus aus. Man übte eher Kritik an der neuen Parteienlandschaft und hatte Vorbehalte gegen den neuen Pluralismus. Innerhalb des Katholizismus meinte Demokratie nicht Pluralismus sondern Populismus. Besonders „das alte Schlachtroß“ Volksverein versuchte auf die katholische Bevölkerung durch seinen publizistischen Apparat Einfluß zu nehmen. Das aber seine Ansichten veraltet waren und der Verein zu starr war, zeigte sich an dem Mitgliederschwund während der Weimarer Republik. Nun standen dem Volk alle Möglichkeiten offen - es gab andere Organisationen, die die Bedürfnisse der Katholiken effektiver vertraten. Der Volksverein tat sich zu schwer, sich auf die neuen Umstände einzustellen. Er blieb unverändert zentralistisch, wie er geplant worden war. Die Identitätssuche und die ständige Kritik beschleunigten des Ende des Vereins. Er konnte sein Monopol im Vereinskatholizismus nicht behaupten. Auch die Souveränität gegenüber der Kirche war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Bindung mit dem Zentrum zerbrach, weil diese Partei keinen Unterbau mehr brauchte. Welche Rolle spielte der Volksverein noch? Der Volksverein hatte sich durch den Erfolg seiner subsidiären Organisationspraxis überlebt. Die Vereine, die er anfangs mit aufgebaut hat, machten sich selbständig.

Die kirchliche Solidarität der Arbeiter sanken in den 20iger Jahren, ein Verein, der sich interkonfessionell nicht öffnete, wurde zunehmends unattraktiver. Das Zentrum und der Volksverein vertraten am Ende der Weimarer Republik immer weniger das Kirchvolk.

Nach 1928 mit dem Beginn der katholischen Aktion wurde der Volksverein immer mehr an die Bischöfe gebunden. Durch die finanzielle Krise war er nicht mehr in der Lage, selbständig Entscheidungen zu treffen. Ein wichtiges Kriterium des Vereins, die Unabhängigkeit von der katholischen Kirche, ging verloren. Nach dem Ende des Volksvereins 1934 wurde die Idee einer Neugründung nach 1945 nicht mehr aufgegriffen. Die Parteianhänger des Zentrum fusionierten mit den christlichen Gruppierungen zur CDU/ CSU.

Der Volksverein als Verein der Vereine war zu starr, um sich neuen Entwicklungen seit seiner Gründung anzupassen. Er wurde während der Weimarer Republik zu einem Klotz am Bein, der in der neuen politischen und sozialen Situation keinen Platz mehr finden konnte - er hatte sich überlebt.

Quellen und Literaturverzeichnis

Archivalien

- Bundesarchiv, Abteilung Potsdam 74 Vo1, Nr. 1 -. 252 (Archiv des Volksvereins)

Quellen

- Enzyklika Rerum Novarum, http://198.62.75.1/www1/overkott/rerum.htm

Zeitschriften

- Der Volksverein. Zeitschrift des Volksvereins für das katholische Deutschland, Jg. 1 - 42, Mönchen - Gladbach 1891 - 1932

Literatur

- Helga Grebing, Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1, Auflage, München 1970, 7. Auflage, München 1976
- Heitzer, Horstwalter, Der Volksverein für das katholische Deutschland im Kaiserreich 1890 - 1918, Mainz 1976
- Klein, Gotthart, Der Volksverein für das katholische Deutschland, Paderborn, München, Wien, Zürich 1996
- Haffert, Claus, Die katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands in der Weimarer Republik, Essen 1996
- Pieper, August, Der deutsche Volksstaat und die Formdemokratie, Mönchen - Gladbach, 1923
- Ritter, Emil, Die katholisch - soziale Bewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert und der Volksverein, Köln 1954
- Rudloff, Michael, Weltanschauungsorganisationen innerhalb der Weimarer Republik, Frankfurt/ Main 1991

[...]


1 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, München 1976, S. 76 - 87

2 Gotthart Klein, Volksverein für das katholische Deutschland, Paderborn, München, Wien, Zürich 1996, S. 37 - 71

3 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 120 - 121

4 Rerum novarum, http://198.62.75.1/www1/overkott/rerum.htm, S. 2

5 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 124 - 130

6 Von der Arbeiterfrage zur neuen sozialen Frage, http://cda-bund.de/wir/zeittafel.htm

7 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 130 - 134

8 Der Volksverein, 29. Jg., 1919, H. 6, S. 94 f.

9 siehe dazu: Neues Testament, Römerbrief, 12, 4 - 5, Darin steht, dass alle Christen den Leib Christi bilden als eine Gemeinde.

10 August Pieper, Der deutsche Volksstaat und die Formdemokratie, Mönchen - Gladbach 1923, S. 83

11 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 75 ff.

12 Von der Arbeiterfrage zur neuen sozialen Frage, S. 4 ff.

13 Gotthart Klein, Volksverein für das katholische Deutschland, S. 78 f.

14 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 79 - 84

15 Gotthart Klein, Der volksverein für das katholische Deutschland, S. 85 - 92

16 Gotthart Klein, der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 102 ff.

17 Protokoll der Sitzungen des engeren Vorstandes vom 31.01. 1919 in Hagen, in: Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 17, Bl. 61 - 68, hier Bl. 68

18 Die Zukunft des Volksvereins (Denkschrift), in: Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vol, Nr. 8, Bl. 64 - 72, hier Bl. 69

19 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 110 ff.

20 Gotthast Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 116 ff.

21 Von der Arbeiterfrage zur neuen sozialen Frage, http://cda-bund.de/wir/zeittafel.htm, S. 4 f.

22 Der Volksverein, 34. Jg. 1924, H. 4, 2. Umschlagseite

23 Horstwalter Heitzer, Der Volksverein für das katholische Deutschland im Kaiserreich 1890 - 1918, Mainz 1979

24 Der Volksverein, 33. Jg., H. 4, S.64

25 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 105 ff.

26 Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 218, Bl. 48

27 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 105 ff.

28 Protokoll der Sitzung des Gesamtvorstandes am 31.01. 1919, in Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 14, , Bl. 44 - 48, hier Bl. 46

29 Der Volksverein für das katholische Deutschland im Lichte des katholischen Glaubens, in: Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 9, Bl. 40 - 57

30 Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 32, Bl. 2 - 11

31 Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1, Nr. 14, Bl. 121 ff.

32 Bundesarchiv, Potsdam, 74 Vo1 Nr. 17, Bl. 254

33 Brief Piepers an Marx, vom 1.10. 1928, in Bundesarchiv, Potsdam, Nr. 29, Bl. 235 f.

34 Emil Ritter, Die katholisch - soziale Bewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert und der Volksverein, Köln 1954, S. 462 ff.

35 Der Nationalsozialismus, 2 Hefte (hrsg. Von August Pieper), Mönchen - Gladbach 1931

36 Emil Ritter, Die katholisch - soziale Bewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert und der Volksverein, S. 471 ff.

37 Emil Ritter, Die katholisch - soziale Bewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert und der Volksverein, S. 474 f.

38 Gotthart Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland, S. 150 - 164

39 Emil Ritter, Die katholisch - soziale Bewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert und der Volksverein, S. 479 ff.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Der Volksverein für das katholische Deutschland in der Weimarer Republik
Note
zwei +
Autor
Jahr
1999
Seiten
32
Katalognummer
V96107
ISBN (eBook)
9783638087841
Dateigröße
400 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Volksverein, Deutschland, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Katharina Runkel (Autor:in), 1999, Der Volksverein für das katholische Deutschland in der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96107

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