Didaktik - Chanson und Videoclip


Seminararbeit, 2000

16 Seiten


Leseprobe


Inhalt:

0 Einleitung

1. Das Chanson
1.1 Sachanalyse
1.2 Didaktische Analyse
1.3 Unterrichtsverfahren

2. Der Videoclip
2.1 Sachanalyse
2.2 Didaktische Analyse
2.3 Unterrichtsverfahren

3. Schluß

4. Bibliographie

0 Einleitung

Diese Arbeit soll nicht den umfangreichen Bereich des französischen Chansons ausführlich behandeln, sondern vielmehr eine sinnvolle Verbindung von Chanson und modernen audiovisuellen Medien im Französischunterricht herstellen, um den Schülern aus vielerlei Blickwinkeln ein persönliches Interesse an der französischen Sprache nahezubringen, um die Anzahl der angeregten Kanäle zu erhöhen und um auf beiden Seiten willkommene Abwechslung im Schulalltag zu schaffen.

Eine ausführliche Erörterung der geschichtlichen Entwicklung und der politischen Brisanz des Chansons in den verschiedenen Epochen unseres Jahrhunderts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; ich werde mich insofern darauf beschränken, das Thema „Chanson im Französischunterricht“ zugunsten von „Videoclips im Französischunterricht“ auf das Nötigste zu reduzieren.

Sowohl das Chanson als auch der Videoclip bieten sich dafür an, in eine landeskundliche Unterrichtseinheit integriert zu werden, die es den Schülern gestattet, die Kultur Frankreichs anhand der französischen Chanson-Tradition zu erschließen.

Im folgenden soll neben theoretischen Ansätzen zur Pluralität von Chanson und Videoclip vor allem auf praktische Anwendungsbereiche im Französischunterricht abgezielt werden. Die Vielfältigkeit der Möglichkeiten soll anhand von zwei als Videoclips realisierten Chanson bekannter moderner französischer InterpretInnen demonstriert werden.

Da über das Thema Videoclip sehr wenig empirische Literatur existiert, habe ich mich in erster Linie auf Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften gestützt.

Bei den folgenden Ausführungen gehe ich, wenn nicht anders erwähnt, von Schülern aus, die im 4. Jahr Französisch als Fremdsprache erlernen1.

1. Das Chanson

Wie bereits erwähnt wird der Fokus meiner Arbeit auf die Liaison Chanson-Videoclip gelegt auf Kosten einer eingehenden Bearbeitung des umfangreichen Themas Chanson an sich als Unterrichtseinheit. Diese Schwerpunktbildung resultiert aus der Tatsache, daß das Chanson meistens mit den klassischen französischen Chansons gleichgesetzt wird, was die zeitgenössische Pluralität des Genres ignoriert.

1.1 Sachanalyse

Das französische Chanson, dessen eindimensionales Verständnis sich in Deutschland zumeist auf die traditionellen Werke der bekanntesten InterpretInnen wie Brigitte Bardot und Edith Piaf beschränkt, hat seit den sechziger Jahren viele andere musikalische Bereiche erobert. So erstreckt sich das zeitgenössische Chanson von Variété über Rock, Rap, Blues, Reggae, Jazz, Funk, Worldmusic, Ragga, Java, Afrikanische oder karibische Rhythmen2, was ihm eine Lebendigkeit und eine Kreativität verleiht, die weit über die „nostalgiques de la chanson classique“3 hinausgeht.

Was diesen so sehr verschiedenen Varianten des Chansons gemein ist, ist ein hoher Stellenwert des Textes, ein Fokus auf den sprachlichen Inhalt, der durch die Musik unterstrichen werden soll. So haben sich auch in der Welt des Chanson thematische Strömungen herausgebildet, die je nach Brisanz und gesellschaftlicher Konformität variieren; so gibt es immer noch die weitverbreitetste Variante, das Chanson d’amour, aber auch politisch und gesellschaftlich provokativere Varianten, wie zum Beispiel das Chanson(s) de femme(s), deren sich InterpretInnen sich zumeist mit den Opfern politischer oder gesellschaftlicher Sanktionen solidarisieren.

Das Chanson(s) de femme(s) bezieht seinen gesellschaftlichen und historischen Wert vor allem aus der emanzipatorischen Entwicklung der Frau in der Gesellschaft, welche in den späten sechziger Jahren aufgrund der Revidierung überkommener moralischer gesellschaftlicher Konventionen einen neuen Impuls erfuhr. Der Ursprung der Entwicklung der Auteurs-Compositrices-Interprètes(ACI) läßt sich jedoch schon auf die fünfziger Jahre zurückdatieren, als sich Frauen wie Anne Sylvestre, Barbara und Nicole Louvier mit eigenen Chansons in den Cabarets vor das Publikum wagten.4

Die Meinung, „jedes Chanson [sei] prinzipiell ein engagiertes Chanson“5, wobei versucht wird, „die Abgrenzung zum nicht-wirklichkeitsbezogenen, abstrakten und auf Evasion ausgerichteten Schlager festzuschreiben“6 trifft allerdings nur auf einen kleinen Teil der weiten Chansonkultur zu: jene, die in Zusammenhang stehen mit politischen Ereignissen und/oder Protestäußerungen.

Aber auch im kommerziellen Chanson wird politischer Protest geäußert, in solch gemäßigter und unverbindlichen Form, daß keine gesellschaftlichen Konventionen verletzt werden. Die Schwelle zum gefährlichen Engagement, welches die Zensur auf den Plan ruft, wird überschritten, „wenn politische Institutionen, Wertvorstellungen und Denkmuster unterminiert, die Produktions- und Diffusionsmechanismen des Showbusiness selbst in Frage gestellt oder der Erwartungshorizont bewußt durchbrochen werden.“7

Jedoch bietet nicht nur der Inhalt des Chansons Anlaß zur Diskussion; auch der Ausdruck und die starke Verbindung inhaltlicher Elemente mit der Person des Sängers/der Sängerin und ihrer eigenen Tradition sind wichtige Elemente, die sich lohnen im Unterricht einfließen zu lassen.

Einer der wichtigsten Punkte ist an dieser Stelle die im Chanson verwendete Symbolik, die auch im Videoclip eine bedeutende Rolle spielt. So singt der ACI Renaud in Umgangssprache und setzt das Meer, in Text, Comic, auf dem Plattencover und im Videoclip präsent, im Rahmen seiner persönlichen Tradition gezielt als Metapher für die Freiheit ein8.

1.2 Didaktische Analyse

Das Chanson als Zusammenspiel von zumeist in Versform verfaßter Texte mit Musik eignet sich in besonderer Weise für den Französischunterricht, da der oft eng am Schulbuch orientierte (Frontal-)Unterricht auf eine Art durchbrochen wird, die Freizeitelemente der Schüler einbringt. Die Gefahr liegt, wie bereits angedeutet, darin, das französische Chanson in seinem Wesen auf das klassische französische Chanson zu beschränken, obwohl auch dieses ein wichtiger Teil des Themas ist und ohne dessen theoretische und praktische Kenntnis eine entsprechende Unterrichtseinheit schwer zu realisieren ist.

Das Thema Chanson bietet sich dafür an, in eine landeskundliche Unterrichtseinheit eingebettet zu werden. Auch hier ist zu beachten, daß das Thema die Schüler motivieren soll, sich mit französischer Lebensart auseinanderzusetzen, und sie in keinem Fall abschrecken soll. Das zu behandelnde Chanson sollte daher unter Berücksichtigung einiger wichtiger Punkte ausgewählt und behandelt werden.

Die Auswahl sollte sich an dem Schwierigkeitsgrad des Textes und an der Diskussionsfähigkeit des Inhalts orientieren, um den Unterrichtsgegenstand bestmöglich nutzen und ausbauen zu können. Wenn es irgend möglich ist, sollte auch auf den Geschmack der Schüler eingegangen werden9, um die Motivation zu steigern. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Verständnis des gesungenen Textes; der Interpret/die Interpretin muß auch nach Aussprache gewählt werden. Das mit viel Umgangssprache verzierte Chanson „Morgane de toi“ von Renaud böte sich sicher für einen weiter fortgeschrittenen Kurs an, würde aber sicher eher Frust aufgrund mangelndem Textverständnis bei weniger fortgeschrittenen Schülern zur Folge haben.

Da das Chanson trotz der musikalischen Komponente eine stark textlastige Gattung ist, sollte im Unterricht der zu besprechende Inhalt des ausgewählten Chansons mit einem großen Teil der unbekannten Vokabeln vorweggenommen werden, etwa in Form einer oder mehrerer Unterrichtsstunden zum gleichen Thema, eines Films oder Brainstorming über den/die zentralen Begriff(e), um bei der ersten auditiven Präsentation größtmögliches Verständnis seitens der Schüler zu erzielen. Eventuell könnte das Chanson sogar so gewählt werden, daß es thematisch - zumindest teilweise - an die vorausgegangene Unterrichtseinheit anknüpft.

Im folgenden werden mögliche methodische Vorgehensweisen präsentiert, die jedoch - wenn sie auch isoliert praktiziert werden können - auf eine Kombination mit audiovisuellen Medien abzielen.

1.3 Unterrichtsverfahren

In diesem Punkt, der eine grenzenlose Vielfalt bietet, werde ich mich zugunsten der Unterrichtsverfahren anhand audiovisueller Mittel zurückhalten. Hier nur einige wesentliche Richtlinien.

Nachdem der Text des nach oben genannten Kriterien gewählten Chansons vorentlastet wurde durch eine eingehende Beschäftigung mit dem/den zentralen Begriff(en), was Gelegenheit bietet, die neuen Vokabeln ausführlich einzustudieren, sollte der Text erst einmal ohne die musikalische Komponente gelesen werden. Je nach Vorgehensweise und Leistungsstand der Klasse können inhaltliche Fragen vor oder nach der ersten auditiven Präsentation gestellt werden, um das inhaltliche Verständnis der Schüler zu überprüfen und anzuregen.

Eine weitere auditive Präsentation sollte unter den folgenden Fragestellungen erfolgen, evtl. eine dritte, wenn der Leistungsstand der Schüler dies erforderlich macht. Einige inhaltliche Fragen, die im Plenum erarbeitet werden sollten, sind die folgenden:

Wer singt?

Welches Thema wird besungen? Welche Rolle spielt der Interpret? Wie ist die Musik einzuordnen?

Welche Effekte werden verwendet?

Aus welcher Perspektive wird gesungen? Welche Worte/Metaphern werden verwendet? Inwiefern sind Text und Melodie im Einklang? Welche Instrumente werden verwendet? Mit welcher Wirkung?

Was wird über die Person des Interpreten gesagt/suggeriert?

Anhand dieser Fragen - die Palette ließe sich mühelos erweitern - sollen die Schüler für wesentliche Punkte sensibilisiert werden, an die anschließend angeknüpft werden kann. So ließe sich nach inhaltlicher Erarbeitung eine produktive Phase anknüpfen, in der die Schüler in Partner- oder Gruppenarbeit zu einer vorgegebenen Melodie selbst Texte verfassen, ergänzen oder vervollständigen können.

2. Der Videoclip

Obwohl aus finanziellen Gründen nicht jeder Sänger ein Videoclip seines bekanntesten Liedes herstellen kann, ist der Videoclip als eines der dominanten Kommunikationsmedien unserer Zeit aus der Musikindustrie kaum noch wegzudenken. Videoclips, die sich vor allem an das junge Publikum richten, werden nicht nur in TVMusikprogrammen, sondern auch in Diskotheken und U-Bahnstationen vermarktet10und gewinnen rasant an Bedeutung, die nicht nur auf die Musikindustrie beschränkt ist.

Die Beschaffenheit des Videoclips ist vielschichtig: Das schon plurimediale Genre Chanson wird nun um eine visuelle Komponente bereichert, womit sich bei einigen InterpretInnen der „Traum von der Visualisierung der Musik [erfüllt], d.h. von Ton ‚sehen‘ und Bilder ‚hören‘.“11Dieses in der Gesellschaft und Kommunikation wichtige Medium gilt es in den Schulalltag einfließen zu lassen.

Die Schüler sind ihrerseits stark an die Verwendung und Rezeption von Multimedia gewöhnt; die Handhabung neuer Medien fällt ihnen leicht, besonders im Zusammenhang mit Musik. Außerdem gilt es, das Auge des Schülers kritisch zu schulen gegenüber einem ständig wachsenden Angebot multimedialer Spiele, Bilder, Filme und Musik. Eines der Fernziele sollte eine selbstbestimmte, selbstbewußte und kritische Haltung gegenüber dieser Art von Reizüberflutung sein12.

2.1 Sachanalyse

Der Videoclip ist ein seit den achtziger Jahren in zunehmenden Maße florierendes Medium, welches sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf nahezu allen Ebenen der Telekommunikation etabliert hat und welches vor allem für die Vermarktung nonvisueller Elemente aus Kunst und Werbung benutzt wird, um diese um die visuelle Komponente zu bereichern.

Das Musikvideo bereichert die im Chanson präsente Dichotomie Text - Musik um eine dritte Komponente: Das Bild, welches in größerem Maße als im Gesang eine Interpretation des dargebotenen ermöglicht. Mit anderen Worten wird „die triadische Einheit aus Text, Musik und Interpretation“13 um die Supra-Ebene des Bildes bereichert, welches - im günstigsten Fall - alle drei Aspekte gleichermaßen unterstützen soll, wobei der Fokus normalerweise auf der Selbstdarstellung des Interpreten liegt. Schematisch ließe sich diese Beziehung folgendermaßen darstellen:

Abb. 1:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ausgehend von der Bildsprache kann in vielen Videoclips „die Dominanz einer kommunikativen Funktion festgestellt werden“14, obwohl sich die drei folgenden dominanten Funktionen der Bildsprache in der Praxis kaum voneinander trennen lassen und es immer wieder zu Überschneidungen kommt.

Die erste dominante Funktion ließe sich „in Anlehnung an das Bühler’sche/Jakob’sche Modell der Sprachfunktionen als ‚expressiv‘ (Relation Interpretation - Bild) charakterisieren“15, wobei hier die Inszenierung des Künstlers im Vordergrund steht, um bei späterer Rezeption der Musik beim Hörer automatisch die dazugehörigen Bilder zu aktivieren.

Die zweite Funktion könnte als „referentiell“ (Relation Text - Bild) bezeichnet werden, wobei hier die redundante Vermittlung des Textes durch eine narrative Struktur des Bildes im Zentrum steht, welche die Notwendigkeit eines wörtlichen Textverständnisses abschwächt.

Die dritte dominante Funktion, die „auto-referentielle“ (Relation Musik - Bild) fokussiert auf das Musizieren und das Interpretieren mit dem Sänger als Hauptperson, wobei der Künstler hier eine Doppelfunktion als Musiker und Schauspieler einnimmt. Diese Form des Videoclips basiert häufig auf Konzertmitschnitten und verleiht dem Rezipienten den Eindruck, einem Live-Konzert beizuwohnen16.

Aus kommunikationstheoretischem Blickwinkel handelt es sich hier um eine klassische Zweiweg-Kommunikation zwischen Sender (Sänger) und Empfänger (Publikum) mittels der als Videoclip kodifizierten Botschaft17. So findet der einst direkte Kontakt zwischen Künstler und Publikum heutzutage in erster Linie über die Leinwand statt. Diese indirekte Kommunikation bietet neben den vielbeschworenen Vorwürfen der Vereinsamung und der Passivität - denn man muß nicht mehr ausgehen, um den Künstler live auf der Bühne bewundern zu können - auch den Vorteil, daß viele Videoclips, vor allem die französischen, eine narrative Struktur aufweisen, „mit deren Hilfe der Inhalt auch ohne Textverständnis rekonstruiert werden kann.“18

„L’image animé“19 unterscheidet sich dabei vom Film durch eine besonders starke Symbolik, welche die narrative Struktur unterstützt und mehr auf Eindrücke abzielt als auf eine chronologische, logische Abfolge von Ereignissen - obwohl es auch Musikvideos mit solchen Strukturen gibt.

Natürlich ist ein weiterer wichtiger Aspekt des Videoclips die Werbung für die entsprechende Langspielplatte bzw. Maxisingle, auf deren Vermarktung abgezielt wird, wobei hier der Darstellung des Künstlers eine besondere Rolle zukommt. Diesbezüglich gibt es drei verschiedene Grundformen der Darstellung im Videoclip:

(1) Der Sänger singt in seinem Universum, d.h. die Kamera fokussiert auf eine Bühne, so daß der Eindruck eines Live-Konzerts entsteht. Die Kamera zeigt wenig Bewegung und der Akzent liegt auf der Musik.
(2) Man sieht den Künstler, aber der Hintergrund des Bildes ist mit Animationen gestaltet, die das Universum des Sängers unterstreichen. In diesem zweiten Typ spielt die Symbolik eine besondere Rolle, da auf abstrakter Ebene eine Vorstellung jenes Universums erzeugt wird. Hier stehen das Wesen des Künstlers und seine Interpretation im Mittelpunkt.
(3) Der Videoclip ist in Form eines Szenarios strukturiert; das Chanson hat hier eher eine unterstreichende Funktion. Oft sind Inhalt des filmartigen Videoclips und Text des Chansons analog, der Inhalt spielt eine besondere Rolle.

2.2 Didaktische Analyse

Der pädagogische Wert von Videoclips und deren Verwendung in der Bildung ist allgemein bekannt, da aktuelle Künstler thematisiert werden und der Clip durch Visualisierung der präsentierten Chansons zusätzlich die Möglichkeit bietet, den Künstler in gewisser Weise kennenzulernen und seine Intentionen besser zu verstehen.

Zusätzlich bietet dieses Medium eine sehr lebendige, da aus der Gegenwart gegriffene Möglichkeit, Landeskunde mit Freizeitgestaltung junger Menschen zu verknüpfen, die zu großen Teilen mit Videoclips in jeglicher Form aufgewachsen sind.

Aufgrund ihres geringen Umfangs „ils ont le format idéal pour être utilisé en une séance“20, wenngleich Form, Inhalt, Ausdruck und Interpretation auch Anlaß zu ausführlicheren Studien bieten. Dem Schüler wird auf diese verhältnismäßig angenehme und abwechslungsreiche Art des Unterrichts ein Eindruck über aktuelle Künstler und ihre Werke vermittelt; ein Aspekt der französischen Landeskunde, der den Schüler für Frankreich und seine Kultur interessieren soll.

Neben der konventionellen Unterrichtsform, den Videoclip in seine verschiedenen Komponenten zu zerlegen und diese einzeln zu analysieren, bietet das Medium andere, moderne Vorgehensweisen an, die weniger auf detailgetreues Sprachverständnis als vielmehr auf globales Sinnverständnis abzielen21, da „die formalen filmischen Mittel der Gattung Videoclip mehr als der gezeigte Inhalt die eigentliche Bedeutung transportieren“22. Durch die narrative Struktur und durch die Visualisierung soll der Schüler befähigt werden, den Sinn von Textpassagen aus dem Kontext zu erschließen, um Frust aufgrund von Unverständnis möglichst gering zu halten. Hier steht der zielsprachliche kommunikative Aspekt im Vordergrund; die Neugier des Schülers an der französischen Sprache soll geweckt werden.

Auch bietet sich der Videoclip für Phasen der produktiven Gruppenarbeit an, wie etwa Ergänzungen zu vorgegebenen Texten, entwerfen von Bildern bis hin zum direkten Kontakt mit den Künstlern oder gar Videoprojekte der Klasse, wenn das entsprechende Equipment zur Verfügung steht.

Die gängigste Methode ist jedoch die Zweiteilung in Chanson und szenische Umsetzung. Hier kann je nach Chanson Homogenität oder Diskrepanz zwischen Chanson, Erscheinungsbild des Interpreten und szenischer Umsetzung herausgearbeitet werden. Je nach Leistungsstand und Inhalt können Parallelen geknüpft werden zu ähnlichen Inhalten aus der Tagespresse oder anderen Videoclips.

2.3 Unterrichtsverfahren

Die folgenden möglichen Unterrichtsverfahren beziehen sich nach einem allgemein gehaltenen Teil konkret auf die ChansonsMorgane de toi“ von Renaud und „Fatiguée d’attendre“ von Patrici Kaas; die Auflistung der allgemeineren methodischen Vorgehensweisen soll eine Reihe alternativer Möglichkeiten bieten, die sich einander weder ergänzen noch ausschließen. Von allgemeineren methodischen Vorgehensweisen werde ich dann zu konkreteren anhand oben genannter Chansons kommen. Bei den meisten folgenden Beispielen wäre dennoch eine Vorentlastung anhand einer thematischen Einführung angebracht, um den Arbeitsspielraum der Schüler zu erweitern.

Eine Methode wäre die Präsentation einer Folge von Videoclips vor den Schülern im Unterricht, wobei keinerlei Wortschatzarbeit oder Zwischenfragen vorgesehen sind23. Dieses Vorgehen zielt darauf ab, dem Schüler die französische Sprache als etwas natürliches und selbstverständliches zu präsentieren und ihn dazu zu bewegen, exaktes

Textverständnis zugunsten von allgemeinen thematischen Zusammenhängen zurückzustellen und den Inhalt so anhand von Bild, Ton und verstandenen Wörtern selbst zu erschließen. Dieses Unterrichtsverfahren böte sich bei Schülern des entsprechenden Leistungsstandes an, um Hemmungen abzubauen und Neugier an der Fremdsprache zu wecken. Hier könnte in der Klasse eine nach dem Vorbild der Hitparade strukturierte Punktvergabe für die verschiedenen Clips erfolgen, was wiederum Anlaß böte, anhand des besten Clips die folgenden für die Analyse und Qualifikation eines Videoclips relevanten Kriterien zu erarbeiten und in Hierarchie zu setzen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für die Erarbeitung eines konkreten Videoclips in der Klasse böten sich hingegen andere, speziellere Kriterien an, die jeweils auf Inhalt, Musik oder szenische Umsetzung abzielen:

Inhalt:

- Wer singt?
- Worum geht es?
- Welches Sprachniveau wird verwendet?
- In welcher Lage befindet sich der Künstler?
- Welche Schlüsselwörter werden im Text verwendet? Musik:
- Welche Instrumente sind zu hören?
- Welche Rhythmen werden verwendet?
- Spiegelt die Musik den Inhalt adäquat wieder? Szenario:
- Wie ist das Erscheinungsbild des Künstlers?
- Was strahlt er aus?
- Welche Instrumente sind zu sehen?
- Wie ist der Hintergrund gestaltet?
- Was sagt das Hintergrundbild aus?
- Wie hätten die Schüler das Chanson szenisch umgesetzt?

In Gruppenarbeit sollten die verschiedenen Kleingruppen in getrennten Arbeitsaufträgen eine Auflistung der im Videoclip erscheinenden Orte, Personen, Kameraeinstellungen und Abfolge der Aktionen erstellen, um anschließend in übersichtliches Tafelbild anhand der gesammelten Informationen entwerfen zu können.

Eine andere Vorgehensweise wäre die einmalige Präsentation des Videoclips mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag, die Entwicklung des Clips unter Berücksichtigung möglichst vieler Komponenten nachzuerzählen, um die Auffassungsgabe und das Kurzzeitgedächtnis der Schüler zu aktivieren.

Eine konventionellere Alternative wäre die Rezeption des geschriebenen Textes - wobei hier darauf u achten ist, daß der Vorgang des Lesens nicht zu einer Ausspracheübung degradiert wird - anschließend Vokabelfragen zu klären und nun das Chanson ein- bis zweimal akustisch zu präsentieren, bevor die Schüler in Kleingruppen mit der szenischen Umsetzung anhand von Bildern betraut werden. Je nach Möglichkeiten können die Ergebnisse in Form von Rollenspielen oder Videoprojekt präsentiert und in de3r Klasse kritisch beurteilt werden.

Eine weitere Vorgehensweise wäre die Präsentation des Videoclips unter Ausschluß des Tons und des Untertitels mit dem Arbeitsauftrag an die Schüler, sich anhand der vermittelten Bilder Text und Melodie des umgesetzten Chansons vorzustellen und zu beschreiben. Im Anschluß daran sollte ein kurzer Text unter Einbeziehung der erarbeiteten Begriffe in Partnerarbeit oder Kleingruppen erstellt werden, wobei ggf. Zeilenanfänge als Hilfestellung gegeben werden können. Wichtig ist auch hier die anschließende Präsentation in der Klasse mit kritischer Beurteilung.

Anhand des vermittelten Bildes des Künstlers kann in der Klasse auch ein Porträt der Persönlichkeit des Künstlers erstellt werden mit dem Ziel, ein imaginäres Interview zu erstellen, welches im Rollenspiel vorgestellt und ggf. mit originalen Interviews und Stellungnahmen verglichen wird. Einiges Unterrichtsmaterial bietet hierzu die Möglichkeit, den Künstler anschließend persönlich schriftlich zu kontaktieren, um ihm die Ergebnisse der Klasse mit seinem Material zu präsentieren.

Bei Renauds „Morgane de toi“ böte sich nach ästhetischen, kommerziellen und psychologischen Aspekten ein Vergleich des Erscheinungsbildes des Künstlers im Videoclip mit den gesellschaftlichen Erwartungen an. Das Chanson bietet insofern besondere Möglichkeiten, als daß umfangreiches Material in Form eines Konzertmitschnitts im Zénith, Paris existiert, welcher mit dem vonSerge Gainsbourg erstellten Videoclip verglichen werden könnte. Zusätzlich existiert noch eine Umsetzung es Inhalts als Comic, die versucht, das Spiel mit der französischen Sprache visuell umzusetzen24.

Am konkreten Beispiel von „Fatiguée d’attendre“ von Patricia Kaas wäre die folgenderweise strukturierte Unterrichtsstunde vorstellbar (die Ergebnisse werden an der Tafel schriftlich fixiert):

Patricia Kaas:Fatiguée d’attendre25

- Titel an die Tafel. Arbeitsauftrag für 1. Präsentation: Qui parle? Qui attend qui? Pourquoi?
- Video ein zweites Mal vorspielen, der Fokus liegt auf der Künstlerin: es folgt eine physische Beschreibung: Comment est-elle habillée? Est-ce que ce sont des vêtement pour tous les jours? Imaginez sa personnalité!
- Der Akzent wird auf das Video gesetzt:Que pensez-vous de la musique? Combien d’instruments y a-t-il? Qu’est-ce qu’on entend au début de la chanson? Que pensez- vous de l’interprétation de l’actrice?
- Parallelen in der Selbstdarstellungen werden erarbeitet zu Marlene Dietrich, Edith Piaf und Madonna:Est-ce qu’elle vous rappelle d’autres chanteuses? Weiterführende Fragen für die Analyse des Videos:
- Welche Effekte werden verwendet, um die Künstlerin in ein positiven Licht zu stellen?
- Partnerarbeit: Sucht alle positiven / negativen Begriffe zur Liebe heraus. Was stellt ihr fest?
- Quelle est la situation du personnage féminin? Est-ce qu’elle prend une décision? Laquelle?
- Que pensez-vous de la phrase:„Tu sais, pourêtre femme, on peut bien briser son âme plusieurs fois“? Comment la comprenez-vous?
- Rollenspiel:Imaginez une scène avec deux personnages qui ont un rendez-vous. L’un est très en retard. Il fait des reprochesàl’autre quand celui-ci vient qui essaie de s’excuser.
- Evtl. Vergleich mit dem Clip von Liane Foly mit anschließender Diskussion:Y a-t-il une conception de l’amour différente pour les hommes et pour les femmes?

3. Schluß

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich das Medium Videoclip aufgrund von Gehalt, Umfang und Prägnanz in besonderem Maße für den Fremdsprachenunterricht und vor allem - verknüpft mit der Unterrichtseinheit Chanson - für den Französischunterricht eignet. Trotz einer gewissen Stilisierung des geplanten Unterrichtsablaufes ist beim Einsatz des Mediums Videoclip mit einem besonderen Engagement seitens der Schüler zu rechnen. Der Lerneffekt und das Interesse Ziel dieses vor allem an die Jugend gerichteten Mediums ist es, das Interesse an der Fremdsprache zu steigern und produktive, kreative Phasen anzuschließen. Das in besonderem Maße auf Textverständnis aufgebaute Material ermöglicht einen Einsatz des Videoclips auf nahezu allen Leistungsniveaus, zumal die Thematik der Chansons derart Facettenreich ist, daß ein solcher Clip im Rahmen vieler Themenbereiche einzusetzen ist.

4. Bibliographie

- Boiron, Michel: Approches pédagogiques de la chanson contemporaine. In: Französisch heute, Nr. 4 / 1997, S. 334-341.
- Heinrichs, Volkhard: „La mer“ in „Morgane de toi“ von Renaud: Vergleich des
Chansons als Videoaufzeichnung, als bande dessinée und als Videoclip. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch, Nr. 2 / 1991, S. 35-40.
- Oberhuber, Andrea: Chanson(s) de femme(s) und Videoclip. Zwei Stiefkinder des französischen Chansons. In: Französisch heute, Nr. 2 / 1997, S. 122-139.

[...]


1Einige der unten erwähnten Vorgehensweisen ermöglichen auch die Bearbeitung des Materials in anderen Leistungsständen, was allerdings nicht als Standart gelten soll.

2Vgl. Boiron, M. 1997, S. 334.

3Ebd.

4Vgl. Oberhuber, A. 1997, S. 123.

5Rieger, Dietmar: Französische Chansons: Von Béranger bis Barbara - Frz. Und deutsch, übersetzt und kommentiert von Dietmar Rieger. Stuttgart: Reclam, 1987, S. 441.

6Oberhuber, A. 1997, S. 124.

7Oberhuber, A. 1997, S. 124 f.

8Vgl. Heinrichs, V. 1991, S. 39.

9Etwa in Form eines Vergleichs des klassischen Chansons mit postmodernen Formen o.ä.

10Vgl. Oberhuber, A. 1997, S. 136.

11Oberhuber, A. 1997, S. 136.

12Vgl. Heinrichs, V. 1991, S. 39.

13Oberhuber, A. 1997, S. 137.

14Ebd.

15Oberhuber, A. 1997, S. 137.

16Vgl. Oberhuber, A. 1997, S. 137 f.

17Vgl. Oberhuber, A. 1997, S. 137.

18Ebd.

19Boiron, M. 1997, S. 339.

20Ebd.

21Siehe 2.3 Mögliche Vorgehensweisen.

22Heinrichs, V. 1991, S. 39.

23Dieses Beispiel bezieht sich auf eine Liste von Videoclips mit didaktischer Aufbereitung des Materials. Die Videoclips sind zur Optimierung des Verständnisses mit deutschen Untertiteln versehen.

24Vgl. Heinrichs, V. 1991, S. 36 ff.

25Die folgenden Arbeitsschritte beziehen sich auf das didaktisch aufgearbeitete Material „Des clips pour apprendre“.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Didaktik - Chanson und Videoclip
Hochschule
Technische Universität Berlin
Autor
Jahr
2000
Seiten
16
Katalognummer
V96061
ISBN (eBook)
9783638087384
Dateigröße
364 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Didaktik, Chanson, Videoclip
Arbeit zitieren
Johannes Mory (Autor:in), 2000, Didaktik - Chanson und Videoclip, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96061

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