Neuroanatomie für Psychologen


Skript, 1997

42 Seiten


Leseprobe


Vorbemerkung der Fachschaft:

Ich habe dieses Skript auch in der zweiten Version von Herrn Galley nur als Kopiervorlage mit einer Nur-Text Version auf Diskette bekommen. Deshalb mußte ich die zahlreichen Graphiken einscannen, was einen deutlichen Qualitätsverlust bedeutet. Andererseits kann nur so eine angemessene Verbreitung in der kurzen Zeit bis zur nächsten Klausur gewährleistet werden.

Zu den Graphiken: Die meisten davon habt ihr entweder schon (Galley-Folien, Lehrbücher, etc.), oder ihr könnt sie euch im Zweifelsfall nochmal von der Kopiervorlage aus der IB abkopieren.

Zu den Vorteilen dieser Version zählen einige Layoutverbesserungen (Tabellen!), die ich vorgenommen habe.

In der Hoffnung, daß es bei dieser Version bleibt...

S. Noller

Neuroanatomie für Psychologen eine Skripte nach der entsprechenden Übung - Version 17. März 1997 von Niels Galley

Vorbemerkung: Skripten werden von den Studenten geliebt und von den Dozenten gehaßt. Für beides gibt es gute Gründe. Als Dozent möchte ich auf die altbekannte Tatsache hinweisen, daß eine Skripte das Studium live und aus den Büchern nicht ersetzen kann. Diese Skripte ist unter Zeitdruck entstanden, was man ihr leider anmerkt. Ich bin für Verbesserungsvorschläge dankbar. Die Zahl der Abbildungen muß beschränkt bleiben. Zusätzliche Atlantenarbeit, z.B. mit dem ‘Kahle’erscheint deshalb notwendig. Es gibt darüber hinaus hervorragende Bücher wie den Nauta & Feirtag (1990) oder Rohen (1994), die jedoch nicht für die Bedürfnisse der Psychologie geschrieben wurden. Zur Vertiefung sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen. Es gibt auch Gehirnschnittmodelle in den Mediziner-Buchhandlungen zu erstehen, die die teilweise komplizierte Dreidimensionalität des menschlichen Gehirns anschaulicher machen.

Die Dekade des Gehirns (1990-2000) neigt sich bereits ihrem Ende entgegen. Möge diese kleine Skripte zum Studium des faszinierenden Verhaltens- und Erlebensorgans Gehirn anregen!

1. Kapitel das Gehirn als Ganzes und seine Abschnitte

Als Gehirn bezeichnet man den in der Schädelhöhle liegenden Teil des Nervensystems, als

Zentralnervensystem (ZNS) das Gehirn und das Rückenmark zusammen und als peripheres

Nervensystem, die vom Rückenmark und vom Gehirn abgehenden Nerven, die die peripheren Organe versorgen.

Zum Beispiel ist das Gehirn nicht schmerzempfindlich, da es nicht durch Schmerznervenfasern versorgt ist, wie viele Organe z.B. die Hirnhäute.

Das Gehirn wird in einem embryonalen Anfangsentwicklungsstadium in drei Abschnitte unterteilt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung. 1-1 embryonale Entwicklung des Gehirns

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der einheitliche Schlauch des ursprünglichen Neuralrohrs knickt zwischen dem 25. und 50.Tag

mehrfach ein, wobei das Mittelhirn (3) zeitweilig das Dach (tectum) des Gehirns ist, wie es lange Zeit in der Evolution der Gehirne (s. Abb. 1-4) der Fall war. Das tectum ist bis zu den Reptilien alleine für das Orientierungsverhalten und die Zielmotorik zuständig. Das Kleinhirn (cerebellum), unser motorischer Koordinator, entsteht an der Stelle wo sich die Abknickung von Rautenhirn (4) und Nachhirn (5), die Brücke, pons) wieder zusammenlegt. Die Dreiecksverbindung Endhirn-Kleinhirn- Rückenmark bzw. Endhirn-Rückenmark nimmt auf diese Weise Gestalt an. Die beiden Großhirnbläschen (1) wachsen zuerst nach den Seiten und überwuchern dann als rechte und linke Großhirnhemisphäre (griechisch Halbkugel) beim Menschen schließlich alle anderen Gehirnteile (auch das Kleinhirn). Die Pfeile auf dem Endhirn geben die wichtigen Furchen an, aus deren Verschiebung man die Wachstumsrichtung ableiten kann. Schön sieht man auch, daß der Inselcortex (I) beim Neugeborenen noch nicht vom Frontal- und Temporallappen überwuchert ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1-2 Seitenansicht des sich entwickelnden Gehirns

Die Oberfläche gliedert sich in Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci oder Fissurae) auf Grund des

hohen Wachstumsdruckes in der Primatenreihe; bei der Ratte und dem 100 Tage alten Embryo ist das Großhirn noch fast ganz glatt. Durch Pfeile gekennzeichnet sind Furchen die, die Lappen trennen.

Die vier Hirnlappen des Großhirns sind (s. Abb. 2-1):

a) der Stirnlappen (Frontallappen) lobus frontalis F
b) der Scheitellappen (Parietallappen) lobus parietalis P
c) der Schläfenlappen (Temporallappen) lobus temporalis T
d) der Hinterhauptslappen (Okzipitallappen) lobus occipitalis O

Die seitlich erkennbare Furche, die den Temporallappen vom Frontallappen trennt, nennt man fissura lateralis oder Sylvii.Sie liegt beim Menschen annähern horizontal, während sie beim Affen noch schräg aufwärts gerichtet ist. Damit gibt sie das weitere Wachstum von Frontal- und Scheitellappen zu erkennen. Die Zentalfurche (sulcus centralis) trennt den Stirnlappen vom Scheitellappen. Die Fissura longitudinales (Längsfurche ) trennt die Großhirnhemisphären voneinander. Mehr als 30% des Großhirn ist Frontallappen. Der Okzipitallappen ist vom Parietal- und vom Temporallappen an der

Konvexität (Außenfläche) nicht durch konstante Furchen abtrennbar; an der Medianfläche ist er durch den Sulcus parieto-ocipitalis abgegrenzt.

Die beiden Gehirnhälften sind nach den Ergebnissen der Split-Brain-Forschung funktionell weitgehend unabhängig voneinander, jedoch durch den Balken, corpus callosum, mit einander verbunden. Es werden allerdings fast ausschließlich gleichartige, homologe Orte (gleiche Brodmann-Areale mit Ausnahme von Area 17) der beiden Hemisphären miteinander verbunden. Man hat stärker ausgeprägte Balken bei Frauen und Linkshändern gefunden und interpretiert dies als Ausdruck stärkerer Bilateralität, während rechtshändige Männer ein mehr unilateral arbeitendes Gehirn besitzen sollen. (Witelson 1985, Peters 1988)

Die Lage der Hirnabschnitte zueinander macht man sich am besten klar durch den Medianschnitt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ABBILDUNG 1-3 MEDIANSCHNITT

Dies ist der bevorzugte Sagittal-Schnitt (nach sagitta lat. der Pfeil). Die zweithäufigste benutzte

Schnittebene ist der Horizontal-Schnitt( s. Abb. 5-1) Gebräuchlich sind auch Frontal-Schnitte, die parallel zur Stirn führen (s. Abb. 5-2).

Auf dem Medianschnitt sieht man die ausgedehnte Medianfläche meistens der rechten Hemispäre, den Gyrus cinguli (13) , darunter den durchgeschnittenen Balken (14), und das Zwischenhirn, das Mittel-, Rautenhirn und das verlängerte Mark.

Das Zwischenhirn enthält den Hypothalamus (16) und die Hypophyse !17), ist unser Gehirn für Affekte und Instinktmotorik (vegetatives Gehirn) in Zusammenarbeit mit den Basalganglien (hier nur durch den Thalamus,15, vertreten) und dem limbischen System, die auf dem Medianschnitt nicht gut zu sehen sind. Instinkte sind Gesamtgestimmtheiten des Organismus für eine bestimmte Verhaltensausrichtung, z.B. Brunststimmung, Revierstimmung oder Balzstimmung, auch Flucht und Angriff.

Im Mittelhirn findet sich komplexe angeborene Motorik wie Blickmotorik, Laufmotorik, Zielmotorik wie z.B. der Tötungsbiß der Katze, eine Erbkoordination. Dessen Auslösung durch elektrische Reizung ist auch im Hypothalamus möglich, aber dort zeigt das Tier den zugehörigen Affekt, die Emotion, während aus dem Mittelhirn ein stiller Beißangriff ohne jegliche Emotionsanzeichen ausgelöst wird (Flynn 1970). Zum Mittelhirn gehören auch die colliculi superiores und colliculi inferiores. Die colliculi superiores sind der primitiven, sog. extrastritären Sehbahn zugeordnet. Die striatäre und für uns wichtigere Verbindung, da sie mit dem bewußten Sehen verbunden ist, geht von der Netzhaut über den Thalamuskern, das corpus geniculatum laterale (s. Abb.6-1), zur Sehrinde (Areal 17 s. Abb. 2-3 und 2-4) im okzipitalen Cortex. Das primitivere, extrastriatäre Sehsystem von der Netzhaut zum colliculus superior, stellt ebenfalls eine vollständige Projektion der contralateralen Gesichtsfeldhälfte dar, die von dort über einen separaten Thalamuskern zu den sekundären visuellen Assoziationsareal (Areal 18 & 19 s. Abb. 2-3 und 2-4) aufsteigt. Der colliculus superior ist also für das primitive Sehen und der colliculus inferior für das primitive Hören zuständig. Über das extrastriatäre Sehsystem ist vermutlich das Blickverhalten auf neue Reize ohne bewußte Wahrnehmung geschaltet, das als blindsight Phänomen (Weiskrantz 1996) bei Verletzungen in Area 17 bekannt ist. Der colliculus inferior gehört zu der Hörbahn und ist topographisch geordnet. Im inferior sind die entsprechenden Neuronen, die die Richtung angeben, aus der ein Laut gekommen ist. In der Hörbahn davor werden die beiden Ohr-Ereignisse miteinander verglichen, die sich in Lautstärke und Zeitpunkt des Eintreffens unterscheiden, wenn der Laut seitlich von der Medianebene herkommt. Im colliculus inferior kann man also eine akustische Karte des Raumes entdecken.

In der Tiefe des Mittelhirn finden sich dann entsprechende motorische Zuordnungen für die Augen-, Kopf- und Halsmotorik.

Unterhalb des Mittelhirn befindet sich das Rautenhirn, mit dem Kleinhirn und der Brücke, unser hauptsächliches Gleichgewichts- und Körperhaltungs- und -stellungssystem. Alle Zielbewegungen müssen ja mit der Körperhaltung abgestimmt und richtig dosiert werden. Ob ich irgendwo hinfasse und dabei selber umkippe oder den Gegenstand dabei zum Umkippen bringe, verdeutlicht die Notwendigkeit einer Feinabstimmung der Motorik, und die wird vom Rautenhirn und hier besonders vom Kleinhirn, cerebellum (5), geleistet. Das Kleinhirn hat eine viel feinere Furchung als das Großhirn mit seiner grobe Furchung hat. Auf Grund dieser subtilen anatomischen Struktur mit seinen sehr regelmäßigen Nervenzellabstände scheinen sich die Millisekunden genauen Laufzeiten für die Steuerung der Motorik auszubilden, die zu typischen Störungsbildern bei Klienhirn-Läsionen führen:

- Asynergie ist die Unfähigkeit, die bei einer Bewegung notwendigen Muskeln genau zu dosieren, so daß es zu verschiedenen Störungen im Bewegungsablauf kommt.
- Bewegungsdekomposition: ein komplexes gleichzeitig absolviertes Bewegungsprogramm wird in nacheinander ausgeführte Anteile zerlegt
- Dysmetrie: Bewegungen geraten zu kurz oder zu weit und werden überkompensiert
- cerebell ä re Ataxie: der Gang z.B. wird breitbeinig, unsicher und überschiessend wie der eines Betrunkenen. Der Finger-Nase Zeigeversuch wird in Schlangenlinien ausgeführt.

Die Formatio reticularis (18), ein Netzwerk mit aktivierender Wirkung (s. Abb. 2-6), zieht sich durch drei Hirnabschnitte, Mittelhirn, Rautenhirn und auch in das verlängertes Mark hinein, medulla oblongata, in dem überlebenswichtige Zentren für Atmung, Schlucken, Kreislauf, Erbrechen usw. liegen.

Das sich nach unten anschließende R ü ckenmark, oder Spinalmark (10) außerhalb des Schädels (s. Abb. 4-2), hat neben Leitungsfunktionen auch eine Verarbeitungsfunktion von Information. Der Wischreflex des Rückenmark-Frosches, ist ein gutes Beispiel für die komplexe Leistung des Rückenmarks. Ein Frosch, dessen Rückenmark vom Gehirn abgetrennt wurde und dem man einen Säuretupfer auf die Haut setzt, wischt sich den Tupfer gezielt weg; er kann den Tupfer nicht nur sensorisch orten, sondern auch noch motorisch wegwischen. Dieser Reflex ist demnach bereits ein sehr komplexes Verhalten. Das Rückenmark bereitet auch viele Verschaltungen zum Stehen und Gehen vor: so soll ein Querschnittsgelähmter noch stehen können, und eine spinale Katze (d.h. nach

Abtrennung des Rückenmarks vom Gehirn) macht Laufbewegungen, wenn man ein Laufband unter ihren Pfoten durchzieht.

Das menschliche Gehirn im Vergleich zu Wirbeltiergehirnen

In der Abbildung 1-4 ist das Gehirn mehrerer Tiere in der aufsteigenden Wirbeltierreihe von oben dargestellt, wobei man bedenken muß, daß die Maßstäbe nicht gleich sind, d.h. die Gehirne der kleinen Tiere sind zu groß, die der großen zu klein gezeichnet. Dadaurch werden aber die relativen Größenverhältnisse der verschiedenen Hirnanteile deutlicher

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1-4 Evolution des Gehirns in der Wirbeltierreihe

Betrachtung des Gehirns eines Knorpelfisches: Von hinten her betrachtet sieht man

- verlängertes Mark
- Kleinhirn
- Mittelhirn
- Zwischenhirn
- das Endhirn ist fast ausschließlich ein Riechhirn und erhält seine Zuflüsse aus dem Riechorgan, das keine Augen darstellt. Wohingegen der

- nervus opticus aus dem Zwischenhirn kommt, nicht etwa aus dem Endhirn; daran liegen die Augen, die hier fehlen. Man sieht schön, daß das Gehirn sich weitgehend in eine rechte und linke Hälfte spiegelt, die in der Regel mit der Auswertung der Sinnesinformation der kontralateralen (gegenüberliegenden) Seite beschäftigt ist. Eine Ausnahme bildet die Riechinformation, die ipsilateral (gleichseitig) verarbeitet wird. Aber auch die Motorik ist großenteils kontralateral kontrolliert und nur seitenübergreifende Aktionen werden synchronisiert. Wir werden noch schöne Beispiele für die die seitenspezifische Kontrolle bei der Blickmotorik des Menschen kennenlernen, die deutliche Unterschiede zwischen dem Blicken nach links und rechts erkennen läßt. Die Repräsentation der Welt ist mehr uns bewußt in eine rechts- und linksseitige Hälfte unterteilt.

Betrachtung des Gehirns eines Frosches:

Das Mittelhirn ist größer geworden. Das Mittelhirn ist hier annähernd so groß wie das Endhirn, was man sich als Kontrast zu den Verhältnissen beim Menschen mal klar machen müssen, wo sich das Massenverhältnis auf ca. 500 : 1 verschoben hat. Der colliculus inferior ist deutlich kleiner, was bedeutet, daß diese Tiere weniger akustische Informationen auswerten. Er liegt seitlicher und tiefer. Somit wird der Name tectum opticum verständlich.

Betrachtung des Gehirns eines Alligators:

Ein Alligator-Gehirn sieht so ähnlich aus; Das Endhirn, Telencephalon, hat bereits

‘Groß’hirnhemisphären und einen Cortex, bei dem es sich im Gegensatz zu den Säugetieren jedoch nicht um einen 6 lagigen Neocortex (s.u.) sondern um den primitiveren 3 lagigen Ur-Cortex handelt, wie er bei uns im Archi- und Palaeo-Cortex (z.B. im Hippocampus) vorliegt.

Bei der Taube sieht man ein deutlich gewachsenes Kleinhirn, das die gewachsenen Motorikaufgaben beim Fliegen widerspiegelt.

Beim Kaninchen ist das Wachstum des Großhirns offensichtlich, noch aber gibt es weder Windungen noch Furchen, Gyri und Sulci, es ist noch ganz glatt. Beim Hund hat der Wachstumsdruck der Großhirnrinde zugenommen und Gyri und Sulci sind ausgebildet. Das ursprüngliche vorne liegende Großhirn (auch Vorderhirn genannt, überwuchert jetzt bereits das Mittelhirndach. Das ursprüngliche Vorderhirn der Wirbeltiere ist ein Riechhirn. Auch bei uns haben Riecheindrücke noch eine Sonderrolle: sie sind mit primären Emotionen und Handlungsbereitschaften verbunden und nicht so gut gefiltert wie die anderen Sinnessysteme, die, wenn sie nicht zu stark sind (Knall führt zur reflektorischen Schreckreaktion) zuerst nach Zeit, Ort und ihrer Gegenständlichkeit analysiert werden, bevor eine Handlungsbereitschaft daraus abgeleitet wird. Bei Gerüchen dagegen ist sofort eine Aversion oder Appetenz vorhanden, entweder eine negative oder positiv bewertende Emotion; anders ausgedrückt, wird eine Flucht- oder eine Annäherungstendenz recht unvermittelt ausgelöst.

2. Kapitel Der Neocortex

Das Großhirn enthält mit dem Neocortex ab den Säugetieren eine 6-lagige Struktur, die nach

Braitenberg (1989, 1991) zur bewußten Wahrnehmung, zur Vor-Begriffsbildung und zum Denken (ursprünglich ein Probehandeln) geeignet ist. Insgesamt wird die intermediäre Verarbeitung von

Informationen, die sich als Analyse und Integration im Großhirn zwischen sensorische Auslöser und motorische Erbkoordination geschoben hat, aufgebläht. Wir höheren Primaten müssen mit dieser funktionellen Ausweitung, im Gegensatz zu primitiveren Tieren, nicht sofort handeln; wir Primaten können ersteinmal Nachdenken, Überlegen und Handlungsplanung betreiben.

Der Cortex wird in 4 Lappen und 52 Felder oder Areale nach Brodmann (1909) unterteilt.

Der Frontal- oder Stirnlappen ist durch den Sulcus centralis vom Parietallappen und dieser durch die Fissura lateralis oder Sylvii vom Temporallappen getrennt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-1 Großhirnlappen Waldeyer 227, S. 267): Frontallappen:

Der Stirnlappen ist unter anderem für die Motorik (der motorische und prämotorische Cortex) und Handlungsplanung (der sog. präfrontale Cortex) zuständig. Bei einer Unterfunktion des präfrontalen Cortex (Area 9, 10, 11, 46 und 24 s. Abb. 2-4 und 2-4), nach Verletzungen oder bei Schizophrenie, kommt es zu einer Abflachung der Handlungsplanung; das heißt, komplexe Handlungsabläufe sind nicht mehr möglich. Im Verhalten der Patienten registriert man Perseverationen, er wiederholt immer wieder anfangs erfolgreiche Antworten und kann sich nur schwer umstellen, selbst wenn sein Verhalten in der Situation nicht adäquat ist. Er ist impulsiv, sozial distanzlos und ungehemmt; Handlungsorganisation setzt vor allen Dingen Hemmung inadäquater Verhaltenstendenzen sowie Probehandeln voraus, beides Funktionen des Frontalhirns.

Im Gyrus präcentralis (=Area 4) befindet sich das primäre motorische Projektionsareal, das direkte Verbindung zu den Motoneuronen des Rückenmarks hat und feinmotorische Steuerungen veranlaßt, Fingerbewegungen z.B. Oder das Areal 8, das frontale Augenfeld, das direkten Zugriff auf die blickmotorischen Zentren in der pontinen (horizontaler Blick) und mesencephalen Formatio reticularis hat (vertikaler Blick).

Parietallappen:

Im Scheitellappen, gyrus postcentralis, Area 1-3, befindet sich das primäre sensorische

Projektionareal, das für bewußtes Fühlen, also Berührung, Temperatur oder Schmerz zuständig ist. Weiter caudal befindet sich das Areal 7, das für die Aufmerksamkeit (s. Abb. 7-2) maßgeblich ist. Wird das rechtshemisphärische Areal 7 geschädigt, tritt das sogenannte Neglect-Syndrom auf. Dies äußert sich bei dem Betroffenen so, daß die linke Seite der Welt für ihn nicht existiert. Z.B. wenn ich Ihnen einen Teller mit Essen vorsetze und Sie essen nur die rechte Hälfte auf , und beschweren sich über die kleine Portion. Oder Sie kämmen und rasieren sich nur auf der rechten Seite oder lackieren nur die Finger Ihrer rechten Hand. Sie negieren, Sie übersehen die linke Hälfte der Welt. Das ist ein putziges

Phänomen, aber klinischer Alltag. Es hat nichts mit Blindheit zu tun, sondern mit der Verleihung von Interesse an die interne Repräsentation der einen Welthälfte. Eindrucksvolle Beispiele sind in Sacks (1994) beschrieben. Das ausgeprägt Neglectsyndrom tritt nicht bei Zerstörung des linksseitigen Areals auf, woraus man schließt, daß die rechte Hemisphäre mehr für Aufmerksamkeit im höheren Sinne spezialisiert ist. Bisiach hat den instruktiven Versuch gemacht, Neglect-Patienten aus der Erinnerung mal mit Blick auf den Mailänder Dom, mal von seinem Portal aus den Domplatz beschreiben zu lassen: jeweils die rechte Seite wurde beschrieben, die linke war in diesem Moment jeweils unzugänglich (Bisiach & Luzzatti 1978)! Immerhin lassen sich bei linksseitigem Ausfall von Areal 7 auch Blickabweichungen in das ipsilaterale Gesichtsfeld und Vermeiden des Blickens ins kontralaterale Gesichtsfeld beobachten. Man kann mit dem Parietallapen auch den Begriff "subjektive Raumstrukturierung" oder egozentrische Raumlokalisation verbinden. In dem Übergangsgebiet zwischen Areal 7und Areal 39, wenn man in die Tiefe geht und in Richtung der Insel, findet sich auch das primäre Projektionsareal für den Gleichgewichtssinn. Geht man entsprechend im areal 1-3 in die Tiefe der Fissura Sylvvi auf die Insel zu befindet sich dort auch das primäre Projektionsfeld für den Geschmack.

Temporallappen:

Der Schläfenlappen beherbergt das primäre Hörareal (Area 41& 42, wiederum in der Sylvischen Furche), aber auch sekundäre Hörareale (40), das Wernicke’sche sensorische Sprachareal, das aber auch beim Lesen zusammen mit Areal 39 mitbenutzt wird. Als sekundäre und tertiäre Assoziationsareale bezeichnet man Cortexareale, von denen man früher glaubte, sie erhielten nur aus den primären Arealen Fasern; heut weiß man daß die tertiären z.B. Areal 39 eher multimodale Areale sind, also aus mehreren Sinnesgebiete, z.B. akustische und visuelle Informationen verarbeiten, wie beim Lesen üblich. In den sekundären Assoziationen werden höher spezialisierte Neurone angetroffen, z.B: in Areal 21 & 37 im unteren Temporal-Cortex solche, die bei Primaten selektiv auf Hand und Gesichts-Schablonen reagieren. Eine Störung im unteren Temporal-Cortex (Areal 37), die sogenannte Prosopagnosie, zeigt sich an der Unfähigkeit, vertraute Menschen am Gesicht zu erkennen( Sacks 1994).

Der vordere Pol des Temporallappens (Areal 38) gehört zum Limbischen System und projeziert zum Hippocampus, der sich in der Tiefe des Temporallappens befindet. Läsionen verursachen Ich- Störungen, wie illusionäre Verkennung, Dejavu-Erlebnisse und Halluzinationen; diese Phänomene lassen sich von dort auch durch elektrische Reizung auslösen (Penfield & Roberts 1959).

Okzipitallappen:

Bei Läsionen im Hinterhauptslappen kommt es zu Sehstörungen. Bei Ausfall des primären visuellen

Projektionsareal 17 kommt es zu kortikaler Blindheit. Jedoch kann der Geschädigte eine Blickreaktion auf einen Reiz hin zeigen, ohne jedoch ihn bewußt zu sehen (die Sakkaden stammen aus Areal 7, das auch über das extrastriatäre Sehsystem, Retina, colliculus superior, und nucleus lateralis posterior thalami sowie Pulvinar (s. Abb. 6-1) informiert wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-2 SCHNITTBILD des Cortex, Zell- und Faserbild

Der Neo-Cortex zeigt im Schnittbild 6 Schichten, in denen sich deutliche Unterschiede zwischen dem sensorischen und motorischen Cortex finden. Solche Schichtenunterschiede hatten Brodmann angeregt, Grenzen zwischen verschiedenen Arealen des Cortex zu ziehen (s. Abb. 2-3). Der Cortex ist zusätzlich dreidimensional in Columnen organisiert. Die Zellen des Cortex heißen Pyramiden-, Körner- und Sternzellen. Letztere werden zusammen auch als Interneurone bezeichnet, da sie nur Verbindungen innerhalb des Cortex herstellen. Denn nur die Axone der Pyramidenzellen verlassen den Cortex, die graue Rindensubstanz und tauchen in die weiße Substanz, das Marklager ein, wo die Axone Myelinscheiden erhalten, womit die darüberlaufenden Aktionspotentiale gegen Leitungsverluste geschützt sind.

In der Schicht I gibt es so gut wie keine Zellen sondern nur Fasern. So findet man hier die Apikal- Dendriten der Pyramidenzellen, aber auch ankommende Afferenzen aus anderen Cortexzellen. Falls hier vermehrt Zellen auftauchen, ist das pathologisch. So haben Galaburda & Kemper, 1979, Zellen in der Schicht I in Areal 39 bei einer schweren Legasthenie beschrieben. Hier kommen die unspezifischen (US) neuromodulatorischen Afferenzen aus dem Hirnstamm an und ziehen auch längere Strecken über die Cortexoberfläche im Gegensatz zu den sensorischen Afferenzen aus dem Thalamus und aus anderen Cortexpyramidenzellen, die sich in der Regel nur innerhalb einer Columne ausbreiten.

In der Schicht II, der äußeren Körnerzellschicht, gibt es überwiegend Körnerzellen, vereinzelt auch einige Pyramidenzellen, die als Assoziationsfasern zu ipsilateralen Columnen (C-C) ziehen.

In der Schicht III , der äußeren Pyramidenzellschicht, gibt es viele Pyramidenzellen, die zu ipsi- (C-C) und contralateralen (Ca) Columnen (=Kommissurenfasern) ziehen.

In der Schicht IV gibt es keine Pyramienzellen, sondern nur Interneurone hier kommt die spezifische

(S) sensorische Hör-, Seh-, Fühl-Information an. Da diese Schicht IV also eine weitgehend sensorische ist, reduziert sie sich beim motorischen Cortex-Teil beträchtlich.

Aus der Schicht V, der inneren Pyramidenzellschicht, kommen die Subcortex, in den Hirnstamm (C-S) und das Rückenmark (C-Sp) ziehenden Efferenzen. Aus der Schicht VI projezieren die Pyramidenzellen in den Thalamus (C-T).

Unterhalb der Hirnrinde, die ungefärbt auch als graue Substanz imponiert, finden wir die weiße

Substanz, das sind myelinisierte Axone, also Kabel; während in der Rinde neuronale Verarbeitung

stattfindet, hat die weiße Substanz, das Marklager nur Leitungsfunktion. Unten dem Mark kommen

noch die mit Liquor gefüllten Ventrikel, dazwischen befinden sich aber noch Trennmembranen z.B. die innerste Hirnhaut, die sog. Pia mater, der auch funktionelle Bedeutung zukommt in Form der sog. Blut- Hirnschranke.

Die obere Graphik soll die Säulenstruktur und die Faserverläufe im Cortex veranschaulichen. Die
Fasern verlaufen horizontal und vertikal. Anatomische und physiologische Analysen haben jedoch erst die Columnenstruktur im ganzen Cortex erhärtet, die Dominanz der vertikalen Verbindungen, wonach die horizontale Ausbreitung von Erregung im Cortex in der Regel nur innerhalb einer Säule von ca. 0,5 mm Breite stattfindet. Die Pyramidenzellen benachbarter und weiter entfernter Columnen halten Verbindung nur über girlandenförmige kurze und lange Assoziationsfasern die die Rinde verlassen, in das Mark eintauchen und in die nächste Columne wieder vom Marklager aus eintreten. Die einzige Ausnahme längerer Fasern im Cortex gibt es in der Schicht I, da sich dort in größeren Mengen die unspezifisch aktivierenden, in der Regel aus dem Mittelhirn aufsteigenden Transmitterbahnen ausbreiten, die Noradrenalin, Dopamin und Serotonin enthalten. Die Columnen sind die Elementarbausteine des Cortex: Anatomisch sind die Apikal- und Basaldendriten nicht weiter als eine Säulenbreite ausgedehnt, und physiologisch unterscheiden sich die Antworten der Zellen innerhalb einer Säule nicht bezüglich der Modalität, des repräsentierten Ortes usw., wohl aber im Vergleich zur Nachbarsäule. Z.B. im Areal 17 kann die benachbarte Columne das andere Auge repräsentieren oder einen andereren retinalen Ort, oder eine andere Orientierung einer Kontur oder Bewegung eines visuellen Objektes. Da eine sehr allgemeine Struktureigentümlichkeit auch eine sehr allgemeine Funktionseigentümlichkeit zur Folge haben muß, hat Braitenberg (1991) die Columne auch mit der ‘Begrifflichkeit’ oder wenigstens ‘Vor-Begrifflichkeit’ des Säugetier-Denkens in Verbindung gebracht.

In Abbildung 2-3 und 2-4 sind die 47 (in manchen Darstellungen 52) Areale des Neuranatomen

Brodmann (1909) mit den funktionellen Zuordnungen des Neurologen Kleist (1934) dargestellt; und zwar die Arealaufteilung der linken Hemisphäre von der Seite und der rechten Hemisphäre vom Medianschnitt aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-4 Brodmann-Areale(1909) mit funktionellen Zuordnungen von Kleist 1934

Die Feldgrenzen sind von Brodmann auf Grund von Unterschieden in den Zellschnittbildern definiert worden, die im Prinzip in Abb. 2-2 zu sehen sind; die Unterschiede können in der Dicke verschiedener Schichten, aber auch der Zellzahlen u.ä.bestehen, innerhalb eines Feldes sind sie vernachlässigbar, deutlich an den Feldgrenzen. Die den Areale von Kleist (1934) zugeordneten Funktionen sind auch heute noch meist richtig, für manche Areale haben sie sich als falsch erwiesen. So ist z.B. das Areal 20/21 nicht ein akustisches, sondern ein visuelles Areal. Areal 1, 2, 3 stimmen, es wird aber nicht mehr diese Dreiteilung vorgenommen, sondern hat dies zu einem Areal zusammengefaßt. Das Lesen wird nicht dem Areal 19 sondern 39 zugeordnet, 40 nicht dem Handeln sondern dem sensorischen Sprachverständnis usw.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein paar Worte noch zu den verborgenen Teilen des Neocortex, die in der Tiefe der Sulci, liegen oder aber überwuchert wurden, wie der Inselcortex. In der Tiefe des hinteren parietalen Cortex (Area 40), wenn man in die Fissura Sylvii hineingeht, liegt das primäre Projektionsareal des Gleichgewichtssinn; wenn man auf der anderen Seite wieder herauskommt und auf dem Temporallappen gelandet ist, liegt dort das Areal 41 auch ein primäres sensorische Projektionsareal. Fürs Schmecken liegt das primäre Projektionsareal in Areal 43, ebenfalls in die Tiefe der Fissura Sylvii hineinreichend bis zum

Inselcortex. Riechen hat primäre Projektionsorte im Palaecortex (3 Schichten), im praepyriformen und peri-amygdalären Cortex soll aber nach Klinke & Silbernagel (1994 p.633) auch über einen spezifischen Thalamuskern einen neocorticalen Projektionsort in der Insel und im orbitofrontalen Cortex besitzen.

Die Embryonalgenese des Cortex

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-5 Entwicklung der Neurhirnrinde nach Creutzfeld 2-7 p.16

In der untersten Reihe von Abb. 2-5 B sind aufeinanderfolgende Wochen (10-28) der

Embryonalentwicklung des Ratten-Cortex aufgetragen. Die Schichtenfolge des Cortex entsteht in umgekehrter zeitlicher Abfolge des Auswanderns aus der Ventrikulärzone (V), d.h. die zuerst auswandernden Zellen werden zur Schicht VI, die zuletzt auswandernden zur Schicht II. Die an die Ventrikel, das sind mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume, angrenzende Schicht bildet alle

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-5b Entwicklung der Neuhirnrinde nach Creutzfeld 2-7 p. 16

Cortexzellen, die sich je nach Auswanderungswelle in die unterschiedlichen Cortexzellen differenzieren. Nämlich je höher die Cortex-Schicht, um so später ist das Auswandern erfolgt. Die ersten Zellen, die auswandern, differenzieren sich zu Schicht VI, die nächsten zu V, die dritten zu IV, dann III, II, und in I kommen ja gar keine Zellen mehr vor. Die später gebildeten Zellen müssen durch die anderen durchwandern und dabei verknüpfen sie sich mit diesen. Entwicklungsstörungen kann man also nach diesem Schema teilweise zurückverfolgen. Es leuchtet ein, daß im Endeffekt eine überwiegend vertikale Verknüpfungsstruktur im Cortex resultieren muß, die wir im Konzept der Columnen wieder finden.

Input und Output des Cortex

Wir unterscheiden Assoziations, Kommissuren- und Projektionsfasern; erstere sind corticocorticale Verbindungen innerhalb derselben Hemisphäre, Kommisurenfasern verbinden die beiden Hemisphären untereinander und Projektionsfasern stellen die Verbindung zur Sensorik und Motorik her. Nur die Axone der Pyramidenzellen verlassen die Rinde und werden in der weißen Substanz myelinisiert.

- BITTE betrachten Sie zur Input-Output-Diskussion die Abbildung 2-2 -

Efferenzen: aus Schicht II und III ziehen die Assoziationsfasern, aus III auch die Kommissurenfasern, aus V die subcorticalen und spinalen Efferenzen, d.h. ins Rückenmark ziehende Projektions-Fasern, aus der Schicht VI die thalamischen Efferenzen.

Afferenzen (teilweise die Abbildung 2-2 ergänzend !): in Schicht I und II steigen die unspezifischen

Afferenzen (Noradrenalin- , Serotonin-, Dopamin-haltigen Fasern) auf, nach Creutzfeldt (p.78) steigen auch die kurzen Assoziationsfasern in Schicht I auf (im visuellen Cortex wenigstens), corpus callosum Afferenzen kontaktieren in Schicht I und III. Die spezifisch sensorische Information, das heißt unser Hören, Fühlen und Sehen stammt aus dem spezifischen Thalamus (thalamo-corticale Afferenzen) und kontaktiert hauptsächlich mit Interneuronen in Schicht IV. Letzlich kontaktieren lange Assoziationsfasern über die ganze Breite und auch in tieferen Schichten.

Nach Braitenberg, der quantitative Untersuchungen zu den Verbindungen gemacht hat, gehen bis zu 99% der Verbindugen zu anderen Cortex-Zellen, genauer zu anderen Columnen. Nur ca. 1% der Verbindungen sind Ausgangs- und Eingangsverbindungen zum Cortex, oder mit seinen Worten: "der Cortex beschäftigt sich überwiegend mit sich selbst."

Wo geht der Output hin? Kurze Assoziationsfasern gehen girlandenförmig in die nächste Columne. Aber die Girlande können natürlich auch lang sein, dann heißen sie lange Assoziationsfasern, z.B. von der egozentrischen Lokalisation zu den frontalen Augenfeldern (Areal 7 nach 8). Kommissurenfasern heißen die Efferenzen zur anderen Hemisphäre, die ganz überwiegend durch den Balken, Corpus callosum ziehen. Sie verbinden in der Regel die gleichnamigen Brodmannareale miteinander; allerdings nicht alle - so fehlen Kommissurenfasern zwischen den Arealen 17 und auch im Areal 3 sollen die Hand- und Fußorte nicht kommissural verbunden sein. Projektionsfasern nennen wir die z.B. spinalen Efferenzen aus Schicht V des Motorcortex, aber auch die thalamischen spezifischen sensorischen Afferenzen, d.h. den Cortex mit der Außenwelt verbindende Systeme.

DIE UNSPEZIFISCH AKTIVIERENDEN SYSTEME

Die unspezifisch aktivierenden Systeme, die neuerdings auch gerne Neuromodulatoren genannt

werden, enthalten Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin, Serotonin als Neurotransmitter und verdienen eine extra Erwähnung. Bis auf das Acetylcholin-System kommen die anderen drei Systeme aus dem Hirnstamm und werden deshalb auch aufsteigende aktivierende Systeme genannt. Diese Neuromodulatoren sind entwicklungsgeschichtlich schon sehr alt und spielen bei teilweise sehr unterschiedlichen Funktionen eine Rolle, die nicht logisch sondern historisch evolutionär - wenn überhaupt - zu verstehen ist.

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ABBILDUNG 2-6 die Neuromodulatorischen Systeme nach Kruk und Pycock

Fangen wir mit dem Dopamin an, es ist in drei Ästen vorhanden, das meso-cortico-limbische Dopamin-System, das nigro-striatale und das tubero-infundibuläre System.

Das erste ist Teil unseres Motivationssystem, das Hoffnungs-Erwartungssystem und zieht aus dem Hirnstamm in den Nucleus accumbens, das Cingulum, = den Gyrus cinguli (Areal 24,23) und den Hippocampus, den frontalen und die übrigen Cortices; es reguliert die Response-Bereitschaft, den Antrieb, auch die emotionelle Erregung. Man unterscheidet an den Empfängerzellen noch zusätzlich verschiedene Dopamin-Rezeptoren, D1-Rezeptoren z.B. im Frontalcortex und D2-Rezeptoren im limbischen System. Das meso-cortico-limbische System scheint bei Schizophrenie übererregt und muß mit Neuroleptika, die in der Regel D2-Blocker sind, abgeschirmt werden. Das nigro-striatäre System kommt aus der substantia nigra im Mittelhirn und zieht in das Striatum (Nucleus caudatus + Putamen). Sein Ausfall ergibt die Parkinson-Erkrankung, bei der therapeutisch L-DOPA zugeführt wird, ein die Blut-Hirn-Schranke passierender Precursor- im Gegensatz zu Dopamin, d.h. ein Stoff, den die Gehirn-Zellen in den Transmitter umbauen können. Das tubero-infundibuläre System reguliert u.a. die Prolactin-Bildung und trägt damit u.a. zur Laktation (Milch-Produktion ) bei. Ein zweites, sehr wichtiges Neuromodulatoren-System ist das Noradrenalin-System. Es steigt in einem Hauptast, aus dem Locus coeruleus im Rautenhirn kommend, im dorsalen Bündel auf, erreicht die Basalganglien und den ganzen Cortex, sowie das limbische System. Ein zweites auf- und absteigendes ventrales Noradrenalin-Bündel kommt aus anderen Noradrenalin-haltigen Zellen unterhalb des Locus coeruleus. Es zieht zum Hypothalamus und Amygdalum. Das erstere Noradrenalin-System wird funktionell als Signal-Rausch-Verstärker angesehen, das damit zur Aufmerksamkeitssteigerung beitragen soll (Rockstroh 1993). Auch bei der Schlaf-Wach-Regulation soll es beitragen, z.B. die Muskel-Atonie im REM-Schlaf bewirken und für den Wach-Zustand nötig sein. Das zweite Noradrenalin-System ist funktionell mit Angst verbunden, die vom Amygdalum (s. Abb. 7-5) potenziert werden kann. Beide scheinen auch eine Gedächtnis-verstärkende Wirkung (s. Abb. 6-3) zu haben.

Serotonin steht für eine ganze Reihe unterschiedlicher Funktionen, wie Impulsivität, Agressivität, Temperaturregulation, Halluzinationen, Stimmung, Hunger, deren Zusammenhang keineswegs verstanden ist.

In der kurzen Übersicht darf auch Acetylcholin nicht fehlen. Es mit Wachheit und Konzentration zu tun,; so ist das ARAS , die Fasern, die Moruzzi & Magoun reizten und Erwachen und corticalen Arousal hervorbrachten, Acetylcholinfasern aus dem Hirnstamm, die im unspezifischen Thalamus enden, also nicht im Cortex. Hier gibt es auch Acetylcholin als Neuromodulator; diese corticalen Acetylcholin-Fasern kommen allerdings aus dem Nucleus basalis Meynert, (Kandel p.621) ein Kern unter dem Pallidum gelegen, der Output aus dem Amygdalum erhält.

Neuromodulatoren können ein größeres Areal auf einmal aktivieren, obwohl es nur wenige Herkunftszellen geben kann, z. B. nur 13.000 Noradrenalin-Zellen, die aus dem locus coeruleus aufsteigen, aber jede aktiviert bis zu mehreren Hunderttausend Zielzellen. Unspezifische Systeme, die Motivation oder Aufmerksamkeit repräsentieren, arbeiten eben anders als spezifische, die Objektrepräsentationen in der Außenwelt entsprechen

COLUMNEN UND TOPOLOGIE

Alle primären sensorischen Projektionsareale auf dem Cortex sind topologisch geordnet, d.h. benachbarten Punkten auf dem Cortex entsprechen benachbarten Orten in der repräsentierten Außenwelt. Das trifft für die Netzhaut und der dieser entsprechenden Gesichtsfeld in ihrem Cortexareal 17 ebenso zu wie für unsere Haut auf dem Areal 1-3, was in den üblichen Homunculi- Abbildungen um Ausdruck kommt. Innerhalb der Columnen ist jedoch nur eine einzige Qualität und ein einziger Ort der Außenwelt repräsentiert. Columnen liegen nebeneinander als diskrete Einheiten, und daraus folgert, daß es keine kontinuierliche Topographie im Cortex gibt, sondern eine diskrete. Aber auch die sekundären visuellen Assoziationsareale (z.B. 18) sind retinotop organisiert, wobei teilweise die räumliche Struktur gröber oder abstrakter werden kann.

3. Kapitel Die wichtigsten Bahnen und Verbindungen im ZNS - das NAUTA-SCHEMA

Wir betrachten im folgenden das Nauta - Schema, ein schematisierter Querschnitt durch ein Rattenhirn. Mit römischen Ziffern sind die verschiedenen Verbindungen durchnumeriert. Die kleinen Buchstaben bezeichnen die Hirnabschnitte: a das Mittelhirn, b das Amygdalum, c den Thalamus, d den Hippocampus, e das Riechhirn, f das Striatum, g das Pallidum.

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Hier Abbildung 3-1 NAUTA-SCHEMA

Die Ratte besitzt nicht soviel Cortex wie der Mensch, ist aber ein typisches Wirbel- oder Säugetier und hat im neuroanatomischen Sinne - und nicht nur in diesem - viel mit dem Menschen gemeinsam.

Die im Schema dargestellten Nervenzellen (Dreiecke) sind prototypisch so gezeichnet, daß sie nur über einen Zellkörper und ein Axon verfügen, aber nicht über Dendrite, also entsprechende informationsaufnehmende Organe der Nervenzelle - mit Ausnahme der Bipolar-Zellen der primären sensorischen Neurone, deren in die Peripherie reichender, abgeschnittener Ast ein Dendrit ist (s. Abb. 4-2). Der Informationsfluß läuft also von der Zelle weg über das Axon (teilweise hier mit römischen Ziffern nummeriert) zur nächsten Zelle und stellt dort eine synaptische Verbindung in Form eines kleinen Punktes her. Die schwarzen Zellen sind die sogenannten Motoneurone, jene Zellen, deren Ausgang beim willkürlichen kontrahierbaren Muskel landet. Zusätzlich haben wir noch von vegetativen Fasern angesteuerte, glatte Muskulatur, z.B. um die kleinen Arterien. Wenn diese sich kontrahieren, wird das Gefäß enggestellt und der Blutdruck steigt. Neben den sensorischen Eingängen, den Bipolarzellen sieht man die Hör-Schnecke nebst den Bogengängen, die im 8.Hirnnerv, Nervus statoacusticus (s. Abb. 5-1) in den Hirnstamm zieht. Die Hörbahn erreicht den colliculus inferior (XIII), dann den spezifischen Thalamuskern Corpus geniculatum mediale (VIII) und dann den Neocortex (XX).

Das Riechepitel, welches sich in der Nasenschleimhaut befindet, sendet ein Axon in den bulbus

olfactorius. Das Riechhirn (e) gehört zum Endhirn und ist Teil des 3schichtigen Paläocortex genau wie der Hippocampus. Das corpus amygdalum (b), auch Mandelkern genannt, fungiert als Trieb- und Erregungs-Modulator. Ein Beispiel des Gehirnforschers Delgado (1971) läßt sich dies verdeutlichen. Er hat einen Schrittmacher ins Gehirn eines Stieres eingebaut, dessen Elektroden in das laterale Amygdalum reichten. Dieser Stier wurde nun in einer Arena auf einen Assistenten dieses Forscher losgelassen, der mit einem Telemetriegerät das Amygdalum beeinflussen konnte, so daß die Wut des Tieres verrauchte oder auch angestachelt wurde. Durch den Zugriff auf diese Stelle konnte also Einfluß auf die Stärke der Instinkte, Affekte und Antriebe genommen werden. Das corpus amygdalum macht keine primären Antriebe, aber es moduliert diese Affekte. Auch die ‘startle response’ wird über das Amygdalum moduliert, z.B. verstärkt durch Furchtconditionierung (s. Abb. 7-5). Es gehört auch, wenn auch im weiteren Sinne, zum Limbischen System. Wichtig ist, daß weder das Zusammenschrecken noch die Wut des Stieres vom Amygdalum gemacht wird, es hat lediglich die Aufgabe, die Intension des jeweiligen Affekts zu modulieren.

Sensorische Informationen aus dem Körper, wie Schmerz und Berührung, erreichen den Cortex über den Weg des Rückenmarks (I, III, VI) und können bereits im Rückenmark in Motorik transformiert werden. Da gibt es zum Beispiel die monosynaptischen Reflexe, z.B. der Patellarsehnenreflex, die nur eine einzige Synapse durchlaufen, um dann auf ein Motoneuron zu projezieren, das zum Muskel zieht (V). Monosynaptische Reflexe sind immer Streck- oder Extensoren-Reflexe, funktionell gesehen ein Anti-Einknick-Mechanismus, der mit dem Landgang der Tiere als Anti-Schwerkraft-Reflex entstand; Fische haben ihn nicht. Die meisten Verbindungen im Nervensystem erfolgen über Interneurone, welche immer Netzwerke einschalten. Der monosynaptische Reflex hat dagegen kein Netzwerk, sondern nur einen Sensor, die Muskelspindel, deren Dehnung direkt wieder zur Kontraktion desselben Muskels führt. Er ist der schnellste Reflex, über den die Landwirbeltiere verfügen. Alle anderen Reflexe, z.B. der Wischreflex oder der Beugereflex auf Schmerzreize, sind polysynaptisch, gehen erst über die Interneuronen (VI -> XXV->XVI oder VI->XXIV -> XXI -> XXV-XVI) und dann zur Muskulatur.

Das Nervennetz, formatio reticularis, das u.a. die Wach-Schlaf-Zentren aber auch Blickzentren enhält( s. Abb. 7-3), reicht von der medulla oblongata bis hin zum Mittelhirn (s. Abb. 1-3). Die akustisch

auslösbare ‘startle response’ wird zum Beispiel dort erzeugt (VII->II->XXI->XXV->XVI). Der englische Ausdruck ‘startle response’ erklärt den Reflex besser als der deutsche ‘Schreckreflex’, da hiermit der viel später erst eintretende subjektiv empfundene Schreck als Ursache der Reaktion angesprochen wird, während der Körper aber schon längst mit Zusammenzucken reagiert hat. Ein Lidschlag ist ebenfalls an die ‘startle response’ gekoppelt und dient zur Messung der Stärke der ‘startle response’. Unsere Art der grob motorischen Reaktion (Zusammenklappen) erklärt sich vermutlich evolutionär, da es für unsere Vorfahren angesichts anspringender Großkatzen angebracht gewesen sein dürfte, sich zu ducken.Die startle response ist somit ein rudimentäres Fluchtverhalten und bei den verschiedenen Spezies unterschiedlich. Die Ratte zeigt zum Beispiel Hochspringen (s. Abb. 7-4 A), während ein Fisch einen Hacken schlägt.

Die epikritische Sensorik, wie Fühl-, Temperatur- und Schmerzinformation, wird im Rückenmark und im Thalamus (im nucleus ventrobasalis XXIII, s. a. Abb. 6-1) umgeschaltet und geht dann in den Cortex( I->XXII->XXIII->XX). Jede bewußte Information erreicht den Cortex und ist vorher im Thalamus (c) umgeschaltet worden. Der Thalamus ist eine Aufmerksamkeits-Schaltzentrale, die entscheidet, welche Informationen bevorzugt zum Cortex durchgelassen werden oder als momentan irrelevant weggefiltert wird. Er ist reziprok mit dem Cortex verbunden. Für die Fühlinformation gibt es zwei verschiedene Bahnen, die evolutionär zwei Formen der Empfindung entsprechen, die epikritische, objekthafte Was- und Wo-Information, und die protopathische Sensibilität, die man als Wie-stark, wie schlimm paraphrasieren könnte. Die epikritische Schmerz-Information sagt, wo und was es ist. Die protopathische Schmerz-Informationteilt uns mit, daß es ganz entsetzlich und unerträglich ist. Schon im Aufsteigen sind diese beiden Bahnen unterschiedlich. Die protopathischen Bahn zieht über den tractus spino-thalamicus (III) in den unspezifischen Thalamuskern (III->XVI), die Lamina medullaris interna (s. Abb. 6-1) während die epikritische Information den spezifischen Thalamus erreicht (nucleus ventrobasalis). Die protopathische Bahn hatte vor Erreichen des unspezifischen Thalamus, Bahnen zum zentralen Höhlengrau abgegeben, ein Hirnstammzentrum, das angeborene Schmerzantworten des Organismus initiiert (s. Abb.7-5)

Jede Fühlinformation geht auch ins Kleinhirn, wie auch jeder motorische Impuls aus dem Gehirn hier hereingeht, um dort dosiert zu werden, ja möglicherweise auch gelernt zu werden. Wenn das Kleinhirn fehlt, kommt es auch üblicherweise zu Ataxien, es fehlt die Genauigkeit in der Bewegung.

Das Neuron XXI im Rautenhirn erhält Zuflüsse aus der Haut, dem colliculus superior, dem Kleinhirn, der Hörbahn und dem Zentrum und projeziert zu den Rückmarks-Motoneuronen über ein Interneuron (XXV). Will man ihm eine Funktion zuschreiben, so könnte es an der Orientierungsmotorik zum Beispiel der Kopfwendung beteiligt sein, nicht jedoch an der nahe verwandten Blickwendung, da diese nicht über spinale Motorik ausgeführt wird, also aufwärts führende Bahnen im Schema erforderlich machen würde.

Für die visuelle Information gibt es zwei verschiedene Eingänge in das System, ausgehend vom N. opticus am Augenstil (X), der sich dann teilt; ein Teil geht direkt in das subcortikale System, das Mittelhirn, den colliculus superior (IX), steigt aber über den Thalamuskern Pulvinar (XII) zum Cortex (XX, zum Beispiel Areal 18) auf. Die andere Bahn, das sog. striatäre System geht aus der Retina in den spezifischen Thalamuskern Corpus geniculatum laterale (XI) und von dort in den spezifischen Cortex (XX, Areal 17), der alleine für das bewußte Sehen zuständig ist..

Anhand des Beispiels der epikritischen und protopathischen Bahnen zeigt sich, daß der Neocortex ein Analysator für bestimmte Verhaltensweisen ist, das Verhaltensrepertoire wird aufgefächert. Die Information, daß etwas weh tut, wird nicht mehr durch simple Attacke oder Flucht beantwortet, sondern man kann dezidiert zu diesem Reiz Stellung nehmen, indem er erst einmal analysiert wird; das ist typisch für den Neocortex; er macht Mustererkennung und Lernen. Aber das Lernen ist nicht begrenzt auf unseren Neocortex; assoziatives Lernen ist eine Grundeigenschaft des Nervensystems an sich und kommt bei den primitivsten Tieren vor. Das größte Nervennetz, was der Mensch besitzt, ist der Neocortex, und da alle Nervennetze lernen, lernt dieser auch; und er kann am meisten lernen, da er nicht nur am größten ist, sondern auf Grund seiner Columnen-Struktur vermutlich auch Erfahrungen in äußerst ökonomischen Supercodes, wie Begriffen transformieren kann. Der Cortex der Ratte hat im Verhältnis zum Cortex des Affen noch überwiegend primäre Projektionsareale, also weniger assoziative, multimodale, integrative Areale (wie 7 und der präfrontale Cortex). Und das ist der zweite evolutionäre Gewinn der sekundären Assoziationsareale: ein inneres Modell der Welt aufbauen, probehandeln, planen und überlegen.

4. Kapitel RÜCKENMARK UND PERIPHERES NERVENSYSTEM

Das Zentrale Nervensystem umfaßt das Gehirn und das Rückenmark, das periphere Nervensystem alle Nerven außerhalb des Schädels und des Wirbelkanals.

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Abbildung 4-1 und 4-2 Wirbelsäule und Rückenmarksquerschnitt

Die Wirbelsäule ist in drei Abschnitte unterteilt: der Halswirbelbereich fängt mit dem Altas an und heißt Cervikalbereich, er reicht bis zum siebten Wirbel, die mit C1 bis C7 durchgezählt werden. Der nächste Abschnitt ist der Brustwirbelbereich, Thorakalbereich, mit 12 Wirbeln, die mit Th1 bis Th12 abgekürzt werden. Der nächste Abschnitt ist der Lendenwirbelbereich, Lumbalbereich. Zwischen L4 und L5 kommt es am häufigsten zu den sogenannten Bandscheibenvorfällen. Man kann gut erkennen, daß hier die stärkste Krümmung der Wirbelsäule zu finden ist, die Schwachstelle unseres Abenteuers ‘Aufrechter Gang’, die Lucy sich vor 3,5 Millionen Jahren geleistet haben soll, um gleichzeitig zwei Kinder haben zu können, eines auf dem Arm und zweites an der Hand. Der vorletzte Abschnitt ist der Sakralbereich (S1-5, Kreuzbein), der letzte der Coccygealbereich (Steißbein) mit zwei rudimentären Schwanzwirbeln. Das Rückenmark ist im Wachstum hinter der Wirbelsäule zurückgeblieben, so daß es schon ab dem Lumbalbereich abwärts nur noch Nerven gibt, die ein ganzes Stück abwärts ziehen müssen, um dann aus den Foramina intervertebralia austreten zu können. Hier werden sie bei Abnutzung und Verschiebungen der knorpelartigen Bandscheiben eingeklemmt und machen durch heftige Schmerzen auf ihr zu kleines Austrittsloch aufmerksam.

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Hier Abbildung 4-2 Wirbelkanal und Rückenmarksquerschnitt

Im Querschnitt des Wirbelkanals sind das Rückenmark und die Spinalnerven zu erkennen. Oben zeigt der Dornfortsatz nach hinten, unten ist die dem Bauch zugewandte Seite. Der Wirbelkannal ist mit Fettgewebe und Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) gepolstert Beim Rückenmark, Medulla spinalis, kann man die weiße und die schmetterlingsförmige graue Substanz unterscheiden. Die weiße Substanz enthält die auf- und absteigenden myelinisierten Axone, die graue Substanz die verarbeitenden und umschaltenden Nervenzellen. Die Spinalnerven teilen sich im Wirbelkanal in eine Hinterwurzel, die sensorische Information zur Weiterleitung im Hinter- und Seitenstrang mitbringt, sowie in das Hinterhorn der grauen Substanz eintritt und hier einer Vorverarbeitung z.B. zwischen Schmerz- und Hautafferenzen unterworfen wird, wobei auch die Endorphine, körpereigene Opioide, die Schmerzen reduzieren helfen. Es gibt ja den paradoxen Effekt, daß ein kleiner Nadelstich furchtbar weh tut, während ein abgequetschtes Glied kaum schmerzt. Dafür sorgen die körpereigenen Opioide, die sofort beim Eintritt eines so massiven Reizes zur Ausschüttung angeregt werden, um die Weiterleitung des Schmerzes zu hemmen.

Vor dem Eintritt verdickt sich die Hinterwurzel noch zum Spinalganglion, in dem alle Nervenzellkörper der bipolaren sensorischen Nervenzellen liegen (s. Abb. 3-1), die teilweise sehr lange, myelinisierte Dendriten in die Peripherie, zum Beispiel zur Hand und zum Fuß haben aussprossen lassen, die sich funktionell wie Axone verhalten, also z.B. Aktionspotentiale ausbilden. Weiterhin werden sensorische Afferenzen auf die im Vorderhorn befindlichen Motoneurone aufgeschaltet (Muskelspindel- und Sehnenreflexe). Die motorischen Bahnen liegen im Seiten- und Vorderstrang und treten in der Vorderwurzel aus dem Rückenmark aus. Die Motoneurone haben verschiedene Ziele, die Flexoren, Beuger, und die Extensoren, Strecker. Sie sind normalerweise Antagonisten, ihr Gleichgewicht hat aber auch eine funktionelle Bedeutung; ein erhöhter Extensoren-Tonus heißt, sich groß zu machen, spiegelt Widerstand, Reaktanz und Aggression wieder, ein erhöhter Flexoren-Tonus spiegelt Sich- Kleinmachen, Wegducken, Fluchtbereitschaft wider. Diese Systeme haben also auch eine Ausdruckskomponente. Man kann am Gang und an der Körperhaltung bereits eine depressive Grundstimmung erkennen.

Im mittleren Bereich, zwischen Vorderhorn (motorisch) und Hinterhorn (sensorisch), im sogenannte Seitenhorn sind die vegetativen Umschaltneurone. Die zugehörigen Leitungsbahnen liegen direkt benachbart im Seitenstrang. Das sympathische Nervensystem tritt wie sensorische und motorische Nerven segmental aus, wenigstens im Thorakal- und Lumbalbereich und bildet rechts und links neben den Wirbeln den sog. paravertebralen Grenzstrang aus, eine Perlenkette sympathischer Ganglien. Das parasympathische Nervensystem ist bis zum Dickdarmbereich im Nervus vagus (X. Hirnnerv) beheimatet, also bereits im Schädelbereich als Hirnnerv ausgetreten. Nur im Sakralbereich tritt es segmental aus, wird also bis dahin im Seitenstrang abwärts geführt. Es versorgt mit diesem Ast den Dickdarm, die Blase und die Genitalien parasympathisch.

Zum Verständnis des vegetativen oder autonomen Nervensystems, welches nicht unserem Willen unterliegt, benötigt man noch Informationen zur Funktion und den beteiligten Transmittern

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Abbildung 4-3 vegetatives Nervensystem Becker-Carus

Der Sympathicus ist ergo-trop (= zum Handeln gewandt), aktivitätsfördernd, bei Angriff oder Flucht aktiv; der Parasympathicus ist tropho- (= der Ernährung) oder histo- (= dem Gewebe zugewandt )trop, Ruhe, Erholung aber auch Nestverhalten fördernd. Sexualität ist weitgehend vom Parasympathicus unterstützt und ist ja mit einer gewissen Aufregung verbunden- keine reine Ruhe, aber Nestverhalten. Aus dieser Verhaltensförderung erklären sich auch die einzelnen, teilweise antagonistischen Wirkungen auf die Organe. So erweitert der Sympathicus die Bronchien, beschleunigt den Herzschlag, erweitert die Herz und Muskelgefäße, aber verengt die Haut- und Eingeweidegefäße, damit es zu einer Blutverteilung in die Muskulatur kommt, die bei Kampf oder Flucht besonders benötigt wird. Aber auch die Hemmung der Eingeweidemotilität, die Ausschüttung von Glucose und Fettsäuren dient der Energiemobilisation; und das alles passiert antizipatorisch, bevor Kampf und Flucht losgehen. In der befriedeten Zivilisation kommt es nur noch selten zur Abarbeitung der entsprechenden Gestimmtheit; unser atavistisches sympathisches Nervensystem handelt aber weiterhin nach dem Jahrmillionen bewährten Schema - und kann uns stress-krank machen. Wer Auseinandersetzungen innerlich oder äußerlich nicht aus dem Weg gehen kann, sollte auch ausreichend Jogging machen!

Sym- und Parasympathicus erhalten ihre Befehle aus dem Hypothalamus und werden außerhalb des ZNS noch einmal in einem Ganglion (a-f für den Parasympathicus und 1-7 für den Sympathicus) synaptisch umgeschaltet, enthalten deshalb prä- und postganglionäre Fasern. Hier setzt die u.a. therapeutisch wichtige Unterscheidung nach den verwendeten Transmittern an: 3 von den 4 durchlaufenen Synapsen verwenden Acetylcholin als Transmitter: nämlich der Parasympathicus prä- und postganlionär und der Sympathicus präganglionär. Die postganglionäre Synapse - im Endorgan - des Sympathicus verwendete Noradrenalin als Transmitter. Die Ausnahme zur Regel: die ausschließlich sympathische Innervation der Schweißdrüsen in der Haut verwendet Acetylcholin als Transmitter.

Antagonische Innervation kann, aber muß nicht an entgegengerichtet ziehenden Muskeln ansetzen: Die Erweiterung der Pupillen (sympathisch) z.B. geht über einen Radiärmuskel, die Verengung (parasympathisch) läuft über einen Ringmuskel. Beide Systeme sind spontanaktiv und besitzen einen gewissen Ruhe-Tonus. Atropin (in Belladonna enthalten = schöne Frau) hemmt z.B. den Parasympathicus - wir nennen einen solchen Stoff ein Parasympathicolytikum - die Wirkung: der übrigbleibende sympathische Ruhe-Tonus kommt zum Tragen und es resultiert eine - sympathische Wirkung ausstrahlende (s. Hess 1977) - Pupillenerweiterung. Man kann also aus der Wirkung nicht unbedingt sagen, ob die Wirkung des Sympathicus zugenommen oder die des Parasympathicus abgenommen hat. An ein und demselben glatten Ciliarmuskel gibt es (nach Gilmartin 1986) kontrahierende Wirkung des Parasympathicus (Naheinstellung - Nestverhalten!) und erschlaffende des Sympathicus (Fernsicht - Fluchtperspektiven!).

Versuchen Sie sich an Hand des Schemas klar zu machen, wie ein Sympathicomimeticum, das also wie Noradrenalin wirkt, auf die Bronchien wirkt, wie Angst sich auf die Hautdurchblutung und auf die Hautdurchfeuchtung auswirkt, wie im Schlaf die Pupillen aussehen, die Nieren und der Darm arbeiten.

5. Kapitel HIRNNERVEN

Die meisten Hirnnerven haben nicht nur sensorische, afferente und/oder motorische, efferente

Funktionen, häufig verlaufen auch vegetative oder sensorisch efferente Fasern mit, die die

Sinneszellen in ihrer Empfindlichkeit verstellen können. Die unten gegebene Charakterisierung muß deshalb als grob vereinfachend gelten.

Der erste Hirnnerv ist der Nervus oder bulbus olfactorius (I), er kommt aus der Nasenschleimhaut und hat ausschließlich Riechfunktion, er transportiert hauptsächlich blumige und faulige Geruchsinformation, nicht aber stechende (s.u.). Es ist das einzige sensorische Sytem, das eine ipsilaterale Projektion in der gleichseitigen Hemisphäre besitzt.

Der zweite Hirnnerv ist der N.opticus (II), dessen Fasern sich zur Hälfte kreuzen, er hat hauptsächlich afferente Sehfasern, es gibt aber funktionell ungeklärte efferente Fasern.

Es folgen drei Augenmuskelnerven, der N.oculomotorius (III), der N. trochlearis (IV) und -etwas

vorgezogen - der N.abducens (VI). Der vierte und sechste Hirnnerv innerviert jeweils einen der sechs Augenmuskeln, der oculomotorius die anderen vier, enthält aber auch vegetative Fasern. Der N.abducens (VI) zieht das Auge nach aussen, die Seitwärtsbewegung des Auges durch den M.rectus lateralis. Der N.trochlearis (IV) innerviert den oberen schrägen Muskel, den M. obliquus superior, der eine Augeninnenrollung bewirkt. Alle anderen Bewegungen des Auges, nach innen, oben, unten und Außenrollung werden wie auch die Lidhebung vom N.III übermittelt.

Der fünfte Hirnnerv, der N.trigeminus (V), ist unserer hauptsächlicher sensorischer Gesichts- und

Kopfnerv; bei Zahnschmerzen ist immer dieser Nerv betroffen, aber auch stechende Gerüche aus der Nasenschleimhaut reizen freie Nervenendigungen des Trigeminus. Auch die Fühlinformation der Zunge, die bei der Beurteilung der Speise neben der Geschmacksinformation eine wichtige Rolle spielt, läuft im Trigemnius. Motorisch innerviert der V. Hirnnerv die Kaumuskeln.

Der siebte, der N.facialis (VII), ist für die Motorik des Gesichts, die Mimik, verantwortlich aber auch für die vorderen 2/3 der Geschmacksrezeptoren der Zunge (süß, sauer und salzig), die Speicheldrüsen und die Tränendrüsen.

Der achte, der N.stato-acusticus (VIII) oder auch N.vestibulo-cochlearis genannt, enthält die

Hörinformation aus der Schnecke und die Gleichgewichtsinformation aus den Bogengangs- und Maculaorganen. Er enthält zusätzlich auch efferente, hemmende Fasern für die Gleichgewichts- und Hörrezeptorzellen.

Der neunte, N.glossopharyngeus (IX), ist hauptsächlich mit der Motorik des Schluckens beschäftigt, er versorgt sensorisch den hinterenTeil der Zunge (bitter) und den Gaumen.

Der zehnte Hirnnerv, der N.vagus (X), ist der hauptsächliche parasympathische Nerv, der z.B. die

Bronchien und das Herz vegetativ innerviert; aber er hat auch einen motorischen Ast zum Kehlkopf, ist also unser Stimmgebungsnerv. Er hat außerdem einen kleinen sensiblen Ast zum äußeren Gehörgang. Entwicklungsgeschichtlich ist unser Ohr aus den verschiedenen Kiemenbögen entstanden; die Mittelohrknöchelchen sind aus den Kauwerkzeugen der Haie hervorgegangen.

Der elfte, der N.hypoglossus (XI), innerviert hauptsächlich die Zungenmuskulatur und die Muskel des Halses und des Kehlkopfes.

Der zwölfte, der N.accessorius (XII) innerviert die schrägen Halsmuskel und ist damit für Kopfdrehungen verantwortlich.

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5. Kapitel Kartenarbeit am Horizontal- und Frontalschnitt

Wir betrachten in Abb. 5-1 den Horizontalschnitt (= H) durch das Großhirn in Höhe des Thalamus und den Frontalschnitt (Abb. 5-2, = F) in Höhe des Hippocampus. Ziehen Sie auch den Medianschnitt (Abb. 1-3) hinzu

Man sieht die graue Rinde, das weiße Mark und die eingelagerten Basalganglien, die Längsfurche, fissura longitudinalis (F 3) und die Sylvi’sche Furche (F d).

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Hier Abbl 5-1 Horizontal = H und 5-2 Frontalschnitt = F

Machen Sie sich zuerst klar, wo vorne, unten und rechts ist, warum man auf dem Horizontal- wie auch dem Frontalschnitt den Balken sehen kann, in welcher Höhe die jeweiligen Schnitte anzusiedeln sind ( in F ist durch e die Schnittebene des Horizotalschnittes eingezeichnet, sowe durch 3 die des Medianschnittes).

Jetzt suchen Sie folgende Gebiete auf beiden Schnitten auf und tragen die zugehörigen Buchstben oder Zahlen ein, wobei nicht alle Strukturen auf beiden Schnitten vorhanden sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unten sind die Auflösungen, die sie erst zur Korrektur Ihrer Eintragungungen hinzuziehen sollten. Übersetzungen und Paraphrasierungen einiger anatomischer Begriffe

Richtungsbezeichnungen der alten Anatomen sind immer auf das Vierfüßlertier bezogen:

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6. Kapitel Basalganglien und Limbisches System

Als Basalganglien bezeichnet man Nervenzellanhäufungen an der Basis des Endhirns, die im weißen Mark eingelagert sind. Es ist keine gemeinsame funktionelle Kategorie, da der Thalamus deutlich andere Funktionen als das corpus striatum hat. Zu den Basalganglien zählt weiterhin das Pallidum, das Amygdalum und das Claustrum. Eine funktionelle Erörterung der Basalganglien im Rahmen der Willkürmotorik nach Passingham (1993 pp.172-200) weist daraufhin, daß die Basalganglien vorbereitend bei gelernter Motorik aktiv sind also so etwas wie Bewegungsbilder entwerfen. Das Limbische System ist eine eher funktionell zusammengehörende Kette von Hirngebieten, die anatomisch keine Gemeinsamkeiten aufweisen. Vielmehr kann man das Limbische System als eines der ersten konzeptuellen Nervensysteme ansehen, denen das nächste Kapitel gewidmet ist, also als Versuch unter funktionellen Gesichtspunkten Nervennetze zu definieren, die auch aus weitverstreuten, aber verbundenen und zusammenarbeitenden Nervenzellanhäufungen oder Zentren bestehen. Es handelt sich in der Literatur beim Gebrauch des Limbischen Systems häufig um theoretische Modelle von funktionell definierten Ausschnitten des Nervensystems als um das reale Nervensystem.

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Hier Abbildung 6-1 Thalamuskerne

Man unterscheidet die spezifischen sensorischen Relaiskerne von den limbischen und motorischen Thalamuskernen. Die Relaiskerne der sensorischen Bahnen sind das Corpus geniculatum laterale in der Sehbahn, das Corpus geniculatum mediale in der Hörbahn, der Nucleus ventrobasalis für taktile Information, der Nucleus semilunaris für Geschmack, der dorsomediale für Geruch. Der Thalamus ist die Schalt- und Kontrollstation für alle aus der Peripherie (Umwelt und Innenwelt) kommenden Sinnesmeldungen. Er ist damit das Tor zur bewußten Wahrnehmung, die man als Korrelat der neocorticalen Verarbeitung annimmt. Hier wird ausgewählt, gefiltert, durch cortico-thalamische Rückkopplung - alle Verbindungen zum Cortex sind reziprok ! - das Interesse auf bestimmte Kanäle und Ausschnitte der sensorischen Information fokussiert, nicht Interessierendes zurückgedrängt.

Weiterhin gibt des den anterioren, limbischen, Thalamuskern, der zum Gyrus cinguli projeziert, Er empfängt Erregung aus den trigonum olfactorium und dem Limbischen System und hier hauptsächlich über den Fornix und die corpora mamillaria. Er ist in die episodische Gedächtnisbildung integriert.

Der mediale Thalamuskern projiziert zum Frontalhirn, und erhält Afferenzen hauptsächlich aus dem Amygdalum, er gehört zu der emotional-affektiven Gedächtnisschleife (s. Abb.6-3).

Der motorischen Kern des Thalamus ist der centromedianus.

Weiterhin gibt es den Pulvinar, der zum extrastriatären Sehsystem gehört und z.B. Informationen vom colliculus superior zu den visuellen Assioationsarealen (18, 19, 7, 21) bringt. Intralaminäre Kerne transportieren z.B. blickmotorische Informationen aus dem frontalen Augenfeld (Area 8)

Ein den Thalamus umhüllende Schicht bildet der unspezifische nucleus reticularis, der Zuflüssen aus der formatio reticularis erhält. Im Thalamus kommen auch die ein Wachbewußtsein initiierenden acetylcholinhaltigen ARAS-Fasern an: beim sogenannten apallischen Syndromen, einem Ausfall der Funktionen der Hirnrinde(Cortex) +des Hirnmantels (Pallium= Cortex+Marklager) meist nach schweren Unfällen kommt es zu langandauernden Komazuständen bei erhaltener Funktion des Stammhirns. Beim heutigen Stand der Medizin können solche Menschen über Monaten und Jahre ohne Bewußtsein am Leben erhalten werden. Wenn man jetzt z.B. im Thalamus Elektroden setzt und rythmisch bzw. hochfrequenter reizt, lachen diese Patienten, wenn sie aufwachen, erkennen ihre Verwandten, was man daran sieht, daß sie weinen, wenn diese den Raum verlassen wollen; wenn man den Strom allerdings wieder abstellt, sind sie wieder bewußtlos (Hassler et al. 1969). Solche Experimente würden heute nicht mehr durch die Ethikkommission genehmigt werden, denn es gibt medizinisch keine Möglichkeit, diese Patienten auf Dauer unter Strom zu setzen, so daß sie das Bewußtsein künstlich wiedererlangen könnten. Der Versuch hat aber gezeigt, das der Cortex nur dann wach sein kann, wenn er den dauernden Informationsstrom aus dem Stammhirn erhält; ohne diese aktivierende Wirkung ist man bewußtlos, der Mensch braucht diesen aufsteigenden aktivierenden Impuls.

Dernucleus reticularis thalami wird auch vom Frontalhirn angesteuert, er soll auch die Aufgabe haben, die Sensitivität in den spezifischen Relaykernen gezielt zu drosseln oder zu filtern; z.B. auch für die Habituierung eines evozierten Pozentials zuständig zu sein, d.h. das kleiner, unwichtiger werden eines häufig wiederholten Reizes bewirken (Skinner & Yingling 1977)

Das Striatum, corpus striatum besteht aus dem Nucleus caudatus und dem Putamen, liegt im Nauta- Schema oberhalb des Thalamus und unterhalb des Großhirns und Balkens, ist zuständig für die Spezifizierung motorischer Programme. Motorik ist jedoch evolutionär zunehmend Willkürmotorik geworden, also vorstellungsgeleitet und mehr von Hoffnungen und Erwartungen als von Auslösern kontrolliert. Nicht zufällig gehört der Nucleus accumbens , unser Hoffnungs- Euphorie- aber auch Sucht-Kern zum Striatum. Einfacher als zu erklären, wofür das Striatum zuständig ist, ist zu beschreiben, was passiert, wenn es ausfällt. Bei der Krankheit Chorea Huntington (Veitstanz), benannt nach einem englischen Arzt, der diese Krankheit zuerst beschrieben hat, die als erste menschliche psychiatrische Erkrankung mit ihrem Genlocus aufgeklärt werden konnte, kommt es zu Ausfällen im Striatum. Man sieht eine plötzlich einschießende impulsive Motorik, die von den Betroffenden interessanterweise meist rationalisiert wird, das heißt, in andere sinnvoll erscheinende Bewegungen umgemünzt wird. So schießt dem Patienten eine weitausholende Arm- und Handbewegung ein, und er vollendet sie, indem er sich durch das Haar streicht, was er gar nicht intendiert hatte; aber er versucht seinen ‘es-haften’ Bewegungen wenigstens hinterher einen Sinn zu geben. Das Striatum sorgt also für eine spezifizierte Motorik.

Das Pallidum ist Hauptziel des striatären Outputs und projiziert zum anterioren und ventralen Thalamus, und diese wiederum zum prämotorischen (Area 6 )und präfrontalen Cortex.

Das Amygdalum finden wir in im Limbischen System wie im Nervennetz zur Angst (s. Abb. 7-5) wieder, das Claustrum gilt als abgespaltener Teil des Inselcortex

LIMBISCHES SYSTEM

Zum Limbischen System im weitesten Sinne gehören

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6-2 aus Galley Hagen 8 1986

der Hippocampus (alter Cortex drei-Schichten-Aufbau) das Septum

die Corpora amygdala die Corpora mamillaria

der Gyrus cinguli (Sechs-Schichten-Aufbau) sowie

der mediale und anteriore Kern desThalamus Teile des Temporallappens, die Regio entorhinalis (Area 38)

Der Hippocampus hat enge Verbindung zum Septum, sie gehörten in der Entwicklung zusammen, werden aber durch das starke Wachstum des Cortex auseinandergedrängt. Das Septum ist eine "Powerstation"; wenn man es reizt oder verletzt, bekommt der Betreffende regelrechte Wutzustände. Das Septum, der Gyrus cinguli und die Regio entorhinalis sind Inputs zum Hippocampus. Der anteriore Thalamuskern bringt Informationen direkt zum Gyrus cinguli und erhält seinerseits Informationen aus den Corpora mamillaria, die ihrerseits über den Fornix ein Hauptausfuhrgebiet hipoocampaler Information darstellen. Damit sind Schleifen bereits angedeutet, die in der Modellbildung für das deklarative Gedächtnis eine große Rolle spielen (s. Abbildung 6-3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier Abbildung 6-3 Gedächtnisschaltkreise im limbischen System

Beidseitige Verletzungen im sog. Papez’schen Schaltkreis, der Hippocampus, Fornix,

Corporamamillare, Nucleus anterior thalami, Gyrus cinguli, Area entorhinalis (Area 38) und wieder Hippocampus umfaßt, bedingen anterograde Amnesien, also die Unfähigkeit sich etwas ins Langzeitgedächtnis einzuspeisen; diese Menschen leben in ewiger Gegenwart. Geht man einige Minuten aus dem Zimmer, wird man begrüßt als sei man nie dagewesen. Ein solches KorsakoffSyndrom, die Unfähigkeit sich momentan Geschehenes einzuprägen, tritt bei Alkoholikern auf bei denen die Corpora mamillaria teilweise isoliert geschädigt sein sollen.

Durch die Gedächtnisschleifen über den Hippocampus wird das deklarative Gedächtnis verankert und wieder aufgerufen, welches hauptsächlich unter Verwendung von Sprache Ereignisse benennt und bezeichnet; als episodisches Gedächtnis bezieht es sich auf mein persönliches Leben, was mehr rechtshirnig ablaufen soll (Markowitsch 1996). Als Welt-Wissen betrifft es die Dinge und Ereignisse, die ich in der Schule und auf der Universität gelernt habe. Die Schleifen sind nicht nötig für das prozeduale Gedächtnis wie etwa Fahrrad- oder Autofahren. Das sind Fähigkeiten, die auch schwer Gedächtnisgestörte nicht verlieren, sie können sogar jeder Zeit neue motorische Tätigkeiten erlernen.

Die zweite Gedächtnisschleife wird als basolateraler limbischer Kreis bezeichnet, er verbindet das Amygdalum mit dem medialen Thalamuskern, dem basalen Frontalhirn und führt wieder zurück zum Amygdalum. Hiermit sollen in erster Linie emotional-affektive Inhalte, codiert und decodiert werden.

Der Gyrus cinguli enthält selber keine primären Projektionen irgendwelcher Art, sodern er erhält seine Informationen hauptsächlich aus den Pyramidenzellen des anderen Cortex. Er ist Input- und Outputstelle für den Hippocampus. Der Gyrus cinguli bildet eine Nahtstelle zwischen Limbischem System und dem Cortex.

Die aufsteigenden retikulären Systeme projizieren in fast alle Kerngebiete des Limbischen Systems; in Erinnerung gebracht sei das mesolimbische Dopaminsystem. Aber auch das Noradrenalinsystem aus dem Locus coeruleus projeziert in das Amygdalum; wichtige meist reziproke Verbindungen existieren auch zum Hypothalamus: so kann sich Angst aufschaukeln: Angst führt über Efferenzen aus dem Amygdalum zum Hypothalamus und zur Hypophyse und dort zur Ausschüttung von Stress-Hormonen und zur sympathischen Erregung und Erhöhung des peripheren Noradrenalinspiegels. Dieser wird wiederum zurückgemeldet und erreicht wieder das Amygdalum und führt zur weiteren Zunahme von Angst: Angst führt zur Erregung (zum Beispiel zum Herzrasen) und Erregung zur Steigerung der Angst. Betablocker sind z.B. bei solchen Menschen indiziert, die die Ausschüttung des peripheren Noradrenalins verhindern und damit den Teufelskreis durchbrechen. Glücklicherweise gibt es hier auch negative Rückkopplung, in dem das periphere Stress-Hormon Cortisol zur Hemmung des CRHs (Corticotropin Releasing Hormons) im Hypothalamus führt, das ACTH (AdrenoCorticoTrope Hormon ), was seinerseits das Cortisol freisetzt.

7. Kapitel Konzeptuelle Nervensysteme und NERVENNETZE

Es sind mehrfach Rückkoppelungen und Schaltkreise erwähnt, in denen die neuronale Information zwischen verschiedenen, teilweise auch weit auseinanderliegenden Systemen fließet sich verstärkt oder abschwächt. Dies führt zu den sog. konzeptuellen Nervensystemen, Neuronennetzen, die bestimmten Funktionen zugeordnet werden und die man nicht mit dem realen Nervensystem gleichsetzen darf: es handelt sich immer um Abstraktionen, die mehr oder minder gut neuroanatomisch untermauert sind. Wobei man sehr viel Mühe mit Einzelzellableitungen und dem Nachweis der tatsächlichen Verbindungen aufwenden muß, bevor man sicher sein kann, daß ein Block-Schaltschema auch als gesichert gelten kann. Auf Grund der bildgebenden funktionell- neuroanatomischen Methoden wie PET (Positronen-Emissions-Tomographie ) oder f MRI (functional magnetic resonance imaging), zu deutsch Kernspintomographie, ist es heute möglich durch bestimmte Aufgaben aktivierte Hirngebiete direkt sichtbar zu machen; vermittelndes Korrelat ist hierbei die fein regulierte Durchblutung des Hirngewebes, die in Abhängigkeit von der Beanspruchung zu- oder abnimmt. Verschiedene Aufgaben erzeugen unterschiedliche Aktivitätsverteilungsbilder, deren digitale Korrelate u.a. auch von verschiedenen Personen addiert und subtrahiert werden können, um das Gemeinsame und Trennende zu erhalten, das auf die unterschiedlichen mentalen Operationen zurückgeführt werden kann. Dieser Prozeß benötigt allerdings Einschwingzeiten im Bereich von einigen Sekunden und ist deshalb für nur länger gleichbleibende Aufgaben geeignet. Ein sehr lesenswertes Buch bringt viele herrliche Bilder: Posner & Raichle 1995, Bilder des Geistes, Hirnforscher auf den Spuren des Denkens.

Wir bringen hier zwei Beispiele:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7-1 mentale Operationen mit Wörtern

Zum Verstehen solcher Bilder sollte man sich im Geiste - oder realiter - eine passende Folie der Brodmann-Areale über die Bilder der unterschiedlichen Aktivitätszentren bei unterschiedlichen Tätigkeiten legen. Beim HÖREN von WÖRTERN ist Areal 40 und 39 aktiv, aber auch die Fissura Sylvii leutchtet auf, in deren Tiefe ja Area 41 und 42 der primäre auditorische Cortex liegt. Im Gegensatz dazu ist beim passiven SEHEN von WÖRTERN Area 17 und 18 sowei der inferotemporale Cortex nach Brodmann Areal 37 und der hintere Teil von 21 aktiv. Man weiß, daß hier im Gegensatz zur Annahme von Kleist, die visuelle Figuralwahrnehmung erfolgt. Beim SPRECHEN von WÖRTERN sind der untere Anteil des motorischen Cortex (Areal 4 ) und der sensorische Cortex (Area 3,1,2) aktiv, da Motorik immer auch und zu einem bedeutenden Anteil Überwachung der Tätigkeit also sensorisches Monitoring beinhaltet. Letztlich aktiviert das stumme GENERIEREN von WÖRTERN hauptsächlich frontale Areale (z.B. Areal 44), läßt aber sowohl Mitschwingen sensorischer wie auch Figuralwahrnehmungs-vorstellungen diagnostizieren. Das heißt ohne weitere Hilfsmittel können wir vorgestellte Aktivitäten im Cortex sichtbar machen. Experten könnten aus dem Aktivitätsmaximum im frontalen Cortex sogar vermutlich schließen, daß die Kategorie der zu generierenden Wörter Verben waren, da Substantive in der Regel mehr parieto-okzipital-temporale Aktivität induzieren. Substantive werden aus anschaulichen Erfahrungen abgeleitet, Verben aus Handlungen!

Beim zweiten Beispiel wurde die Aufmerksamkeit beim starrer Geradeaus-Fixation innerhalb des linken oder rechten Gesichtsfeldes verschoben, in dem eine Objekt-Bewegung - wohlgemerkt ohne Blickbewegungen überwacht werden sollte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier Abb.7-2 asymmetrische aufmerksamkeitskorrelierte Aktivität im Parietallappen.

Man sieht beidseitige Aktivität im Areal 7 bei Aufmerksamkeit in der rechten Gesichtsfeldhälfte, dagegen nur rechtsseitige bei solcher in der linken Gesichtsfeldhälfte. Auf der Ebene des Thalamus gibt es nur die jeweilig kontralaterale Aktivierung. Das rechtsseitige Areal 7 hat also bei Aufmerksamkeitsprozessen, wie schon beim Neglect erwähnt, eine übergeordnete Regulationsfunktion.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7-2 asymmetrische aufmerksamkeitskorrelierte Aktivität im Parietallappen

In Abbildung 7-3 sieht man ein konzeptuelles Nervensystem für Blickmotorik nach Pierrot-Deseilligny, 1991.

Horizontale Sakkaden entstehen in der Paramedianen Pontinen Reticulär Formation (PPRF) und vertikale in dem rostralen interstitialen Kern des Medialen Longitudinalen Fasciculus (riMLF, Büttner & Büttner-Ennever 1988). Sie entstehen jedoch weitgehend unter corticaler Kontrolle z.B. antizipatorisch aus dem Frontalen Augenfeld (FEF, Frontal Eye Field, Areal 8), reaktiv aus dem Posterioren Parietalen Cortex (PPC, Areal 7) und als reflektorische Express-Sakkaden aus dem visuellen Areal

18. Drehscheibe ist immer der Colliculus superior (SC) für diese absteigenden Bahnen. Allerdings hat das Frontale Augenfeld auch einen direkten Zugriff auf den Sakkadengenerator. Beteiligt sind bei der Vorbereitung der Sakkaden auch das Supplementären Augenfeld (SMA, im medialen Teil des Areals

6) und der Präfrontale Cortex (PFC, Areal 9), das vermutlich die mit der Fixation verbundene willkürliche Hemmung aufrechterhält.

Es kann hier nur angedeutet werden, daß den Augenfolgebewegungen ein separates neuronales Netz zugrundeliegt, das im Rahmen der Biologischen Psychologie II, Sensomotorik besprochen wird.

Als letztes Beispiel für ein konzeptuelles Nervensystem im Rahmen der Neuroanatomie-Übung soll hier die Schreckreaktion besprochen werden, die im englischen Startle reponse heißt, was eine konkretere Bezeichnung für einen initiale Fluchtreflex darstellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7-4 Startle Response nach DAVIS 1989

Man sieht eine Ratte in einer Skinner-Box, die zugleich mit einem Fußschock ein Lichtreiz erhält. Auf einen lauten Krach springt die Ratte hoch, der unbedingte akustische Startle-Reflex. Die auf den Lichtreiz erworbene ängstliche Erwartung des Fußschocks potenziert den Reflex, wenn sie gelernt ist. Elektrische Stimulation in der Reflexbahn der akustischen Startle reponse zeigt, daß die absteigende Bahn für die Furchtkonditionierung im Formatio reticularis Kern nucleus reticularis pontis caudalis (NRPC) wirksam wird, da nur die elektrische Auslösung des Hochspringens vor diesem Kern mit dem Aufleuchten des Lichtes potenziert werden kann.

In Abbildung 7-5 und 7-6 sind die Vorstellungen skiziiert, wie die Furchtkonditionierung sich im Nervensystem abspielen könnte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7-5 Zentrale Verstärkung der Startle Reponse und

Danach sind absteigende Bahnen aus dem Amygdalum und dem zentralen Höhlengrau, einer Struktur um den Aquaeductus cerebri, der den III. Mit dem IV. Ventrikel verbindet, verstärkende absteigende Bahnen zum NRPC.

7-6 Furchtkonditionierung nach LANG 1995

Das Amygdalum bewirkt durch Einschaltung des zentralen Höhlengraus die Furchreaktionen, des Verhaltens-Einfrierens oder der Furchtverteidigung und über den lateralen Hypothalamus die Aktivierung der Stressachse mit Sympathicusaktivierung und allen hormonalen Folgen.

8. Kapitel Hypothalamus, Hypophyse und die Stressreaktion

Wir hatten erwähnt, daß der Hypothalamus eine Steuerungszentrale für vegetative, autonome

Prozesse (s. Abb. 4-3) ist. In den hinteren Hypothalamuskerne befinden sich die ergotropen (Kampf + Flucht) sympathischen Zentren, im vorderen Hypothalamus sind mehr die histotropen (Nestverhalten), parasympathische Aktivitäten angesiedelt und die Zentren für die hormonellen Aufgaben, die zusammen mit der Hypophyse ausgeübt werden.

Wie hatten anläßlich der Besprechung des Verhaltens der decebrierten Tiere für die Instinktmotorik wie auch für die affektive Komponente des Verhaltens zuständig ist. Man kann z.B. ein ‘agressives’ Verhalten wie den Tötungsbiß der Katze auch im Mittelhirn auslösen, es fehlen dann aber die Anzeichen für den Aggressions-Affekt, das Tier ist sozusagen emotionslos, man spricht auch von einer stillen Beißattacke. Die hypothalamische Beißattacke geht dagegen mit Affekt, Erregung und allen ihren physiologischen Begleitreaktionen einher (Flynn 1970). Ein Hypothalamus-Tier ist energetisiert.

Durch Hypothalamus-Läsionen kann man die reziproke Steuerung von Verhaltensbereitschaften demonstrieren: so gibt es ein Freß- und ein Sättigungszentrum. Schaltet man das letztere aus so zeigen die Tiere Heißhunger und überfressen sich, was bei Tieren sonst selten der Fall ist. Es braucht eine ziemlich neurotische Umgebung bis Hund oder Katze sich überfressen. Bei Läsion des Freßzentrums zeigen die Tiere anorektisches Verhalten. In diesen Schaltzentralen geschieht die Umsetzung von Antrieben in Verhalten, instinktmotorisches Verhalten. Diese Zentren werden durch zahlreiche Zuflüsse modifiziert: so speist die aufsteigende Noradrenalin-Bahn ein: bei Erregung und Angst haben wir keinen Appetit und medikamentöse sog. Appetitzügler sind adrenerge Substanzen oder setzen sie frei. Auch Geruchsafferenzen modulieren dieses System, wie auch umgekehrt: derselbe Speisegeruch, der verlockend war, solange wir hungrig waren, wird ekelerregend, wenn wir satt sind.

Am Beispiel des konzeptuellen Nervensystems für die Stressreaktion wollen wir einen Blick auf das Hypothalamus-Hypophysensystem als Beispiel für die ungemein wichtigen hormonellen Steuerungen werfen. Eine ausführlichere lesenswerte Darstellung findet man z.B. in Klinke & Silbernagel, 1996 Kapitel 17

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8-1 Hypothalamus-Hypophyse

Die Hypophyse, Hirnanhangsdrüse, ist unsere größte übergeordnete endokrine Drüse, und hat zwei Anteile: der Hypophysenhinterlappen (HHL) heißt auch Neurohypophyse und der Hypophysenvorderlappen (HVL) auch Adenohypophyse.Die wichtigsten abhängigen endokrinen Drüsen sind die Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebennierenrinde, Nebennierenmark, Niere, Eierstöcke, Hoden u.a. Viele Gewebe haben darüberhinaus die Fähigkeit, Hormone meistens Peptide, zu bilden, wie der Darm, das Herz, die Leber, die Lunge usw. Im Hypophysenhinterlappen gibt es nur zwei Hormone, das Oxytocin, das u.a Wehenhormon ist) und das antidiuretische Hormon (ADH, das die Harnbereitung in der Niere kontrolliert); der HHL steht unter nervöser, während der HVL unter humoraler hypothalamischer Kontrolle steht. Die humorale Kontrolle des HVL wird durch einen speziellen zusätzlichen venösen Kreislauf realisiert. Die meisten Hormone, die aus der Hypophyse ausgeschüttet werden, stammen aus dem HVL; das ACTH , das TSH, das FSH, das LH und das STH.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch hier gibt es die Aufteilung in ergotrop und histotrop; der HVL ist mehr ergotrop, der HHL mehr histotrop.

Dei Hypohyse steht ihrerseits unter hypothalamischer Kontrolle, die über sogenannte Releasing- oder Inhibitoren-Hormone erfolgen kann. z.B. CRH oder CRF = Corticotropin-Releasing Hormon oder Faktor, das die POMC-Zellen im

HVL stimuliert, die ACTH, Endorphin und MSH produzieren

Es gibt eine Reihe von Zuflüsse zum Hypothalamus, zum Beispiel das erwähnte Amygdalum, oder andere limbische Zentren. Am Beispiel des Furcht-Stresses kann man sich die synergistische Wirkung eines Affektes deutlich machen: nicht nur wird die Kette CRH-->ACTH--> Cortisol in Gang gesetzt, sondern auch der Sympathicus -> Herz, Blutdruck, Atmung, Blutverteilung, Nebennierenmark-- >Noradrenalin+Adrenalin.

Nun sind für das Verständnis die Rückkopplungsmechanismen von Bedeutung; im Diagramm (8-1) sind negative Rückkopplungen mit dem Pfeil-Strich-Symbol gekennzeichnet -->I, gegenüber der positiven Rückkopplung, die nur durch einen Pfeil gekennzeichnet ist. Man sieht, daß sowohl ACTH wie auch Cortisol die CRH-Zellen im Hypothalamus hemmt, was zu einer verzögerten Selbsthemmung des Stressystems führt. Solche negativen Rückkopplungen gelten für fast alle Systeme. Es ist nun von höchstem Interesse, daß bei Depressionen genau dieser Selbsthemmungsprozeß unwirksam geworden ist, wie auch, daß bei posttraumatischem Stressbelastungssyndrom (PTSB), einer andauernden ängstlichen Depressivität nach einem schockartigen Erlebnis wie Folter, Vergewaltigung und Mißbrauch, Todesangst, Kriegs- und Katastrophenerlebnisse usw., dieser Selbsthemmungsprozeß verstärkt ist: man testet dies mit dem sog. Dexamethason-Test. Ein künstliches Corticoid (als Cortisolersatzstoff sozusagen) führt nach mehreren Stunden durch Hemmung von CRH und ACTH normalerweise zu einem deutlichen Abfall des Cortisolspiegels im Blut; dieser bleibt aus bei Depressiven und ist drastischer bei PTSB. Depressive leben demnach in einem Erschöpfungszustand auf Grund eines ungebremsten Stressmechanismus, Opfer in einer Überängstlichkeit.

Streß ist im Grunde genommen ein andauernder Erregungszustand im Zentralnervensystem (ZNS). Er wird über längere Zeit durch äußere und / oder innere Einflüsse auf Ergotropie geschaltet. Normalerweise ist aber das Feind/Flucht-Verhalten kein dauerhaftes, sondern ein zeitlich begrenzter Vorgang; Psycho-Streß hingegen kann ein sehr lange andauernder Prozeß sein, oder aber unerträglich heftig, und so gewissermaßen ein unbiologischer, unphysiologischer Prozeß, der entsprechende Schädigungen nach sich ziehen kann. Wir kennen hier folgenden beteiligten Abläufe.

Das Amygdalum stimuliert den Releasing-Faktor, das CRH; es ist dem ACTH übergeordnet, welches erst in der Nebenrinde zur Wirkung kommt. Das CRH wird in den HVL geschickt und läßt dort das POMC ein Vorläufer-Protein ausschütten, welches zur Bildung von mindestensdrei Hormonen (ACTH, Endorphin und MSH) Anlaß gibt. Das ACTH kommt ins Blut und regt die Glucocortioid-Ausschüttung in der Nebennierenrinde an, welches seinerseits die sowohl die ACTH- als auch die CRH- Ausschüttung wieder hemmt. Wir haben also vom CRH zum ACTH ein kurzes Feedback und von der Nebennierenrinde, dem Cortisol, aus ein relativ langes negatives Feedback. Das heißt diese Reaktion ist sich selbst hemmend, also eigentlich kurzzeitig, so daß sie immer neu stimuliert werden muß, damit die Streßreaktion ausgelöst wird. Das in der Rinde freigesetzte Cortisol wirkt bei der Synthetisierung des Adrenalins im Nebennierenmark mit. Das Adrenalin entsteht nach synergistischer Sympathicuserregung aus dem Noradrenalin, und bei der Abspaltung der Nor-Komponente spielt das Cortisol eine Rolle.

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Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Neuroanatomie für Psychologen
Autor
Jahr
1997
Seiten
42
Katalognummer
V95982
ISBN (eBook)
9783638086592
Dateigröße
818 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich habe dieses Skript auch in der zweiten Version von Herrn Galley nur als Kopiervorlage mit einer Nur-Text Version auf Diskette bekommen. Deshalb mußte ich die zahlreichen Graphiken einscannen, was einen deutlichen Qualitätsverlust bedeutet. Andererseits kann nur so eine angemessene Verbreitung in der kurzen Zeit bis zur nächsten Klausur gewährleistet werden. Zu den Graphiken: Die meisten davon habt ihr entweder schon (Galley-Folien, Lehrbücher, etc.), oder ihr könnt sie euch im Zweifelsfall nochmal von der Kopiervorlage aus der IB abkopieren. Zu den Vorteilen dieser Version zählen einige Layoutverbesserungen (Tabellen!), die ich vorgenommen habe. In der Hoffnung, daß es bei dieser Version bleibt...S. Noller [Abbildungen teilweise leider nur in Druckversion, die Red.]
Schlagworte
Neuroanatomie, Psychologen
Arbeit zitieren
Stephan Noller (Autor:in), 1997, Neuroanatomie für Psychologen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95982

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