Das Streßkonzept als Motiv eines integrativen Paradigmas


Hausarbeit, 1998

23 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Streßkonzept - Konstrukt mit interdisziplinärem Charakter
2.1 Grundmuster der Streßgenese
2.2 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
2.3 Person-Environment-Fit
2.4 Streß als Einflußgröße auf die Leistungskapazität
2.4.1 Das Phänomen der Erlernten Hilflosigkeit

3 Zusammenfassung und Ausblick

Literatur

Erklärung

1.Einleitung

Ziel dieser Hausarbeit darf und kann es - selbst unter Aufbringung allen zur Verfügung stehenden "psychophysischen" Aufwands - nicht sein, eine als vermeintlich die wissenschaftlichste Auffassung zum Streßkonzept in ihrer datenprodzierenden Wut reflektierend darzustellen und zu bewerten, vor allem, wenn es sich um einen sonderlich beleuchteten, detailliert-physiologischen Vorgang innerhalb des hier betrachteten mehrdimensionalen Phänomens dreht (vgl. WARBURTON 1979; SELYE 1976 a,b; SELYE 1977 u. a.).

Vielmehr: zielt die Absicht durch eindeutige Unterstreichung eines integrativen Ansatzes darauf hin, den interdisziplinären Grundcharakter dieser Forschungsrichtung zu betonen. Zwar ist es unbestreitbar, daß bis dato wesentliche Dimensionen des sog. Streßsyndroms analysiert worden sind, gleichwohl: sind diese vom jeweiligen Forscher angetriebenen Analysen doch mitunter eher ungerichtete wissenschaftliche Schlaglichter, die bestenfalls noch von ihren mit ihm unmittelbar in Arbeitskontakt stehenden Kollegen/Kolleginnen aufgenommen und rezipiert werden. Ein konzeptueller Gesamtrahmen (nämlich: eine anschließende Synthese) für eine - im wahrsten Sinne der leider schon allzu inflationär gebrauchten Trendvokabel - diesbezüglich ganzheitlich orientierte Forschungsauffassung ist zwar schon schemenhaft am Horizont zu erkennen, vorausgesetzt, man ist denn gewillt, danach Ausschau zu halten.

Insofern: richte ich mein ("ganzheitliches") Augenmerk nach den grundlegenden Wechselwirkungen der Streßentstehung bspw. auf die beiden Modellkonzepte, die unter den Namen Belastungs-Beanspruchungs-Konzept bzw. Person-Environment-Fit bekannt geworden sind. Nicht ganz zufällig fällt die Auswahl auf diese Ansätze, veranschaulichen doch gerade sie in eindrücklicher Weise, daß die Hatz nach der "one-and-only"-Analyse zur Erklärung eines faktisch mehrdimensionalen Phänomens a priori nur gemäß dem Hornberger Schießen ausgehen kann.

Unmittelbar im Zusammenhang mit jener weiter oben angedeuteten Wechselwirksamkeit steht die Frage, inwieweit wirkt sich das subjektive Erleben eines Belastungs-/Streßreizes auf die individuelle Leistungsfähigkeit und -bereitschaft aus.

Daß und wie sich diese - im negativen Sinne - Auswirkungen auf die generelle Einstellung der individuellen Handlungskompetenz manifestieren, wird ausgehend unter der sog. erlernten Hilflosigkeit thematisiert.

2.Das Streßkonzept - Konstrukt mit interdisziplinärem Charakter

2.1 Grundmuster der Streßgenese

Streß entstünde wohl zwangsläufig bei denjenigen Autoren, die auch nur hinreichend differenziert versuchten, die wissenschaftlich bedeutsamen Ansätze in der aktuelleren Streßforschung nachzuzeichnen (vgl. LAZARUS 1966, LEVI 1972, SELYE 1974, SCHÖNPFLUG und SCHULZ 1977 u. a.). Nicht weniger müßig allerdings erscheint es, der einen "wahren" Gegenstandsdefinition nachzustellen, mit der sich - quasi als interdisziplinärer Kompromiß - die beteiligten "scientific communities" annähernd zufriedengeben könnten.

Statt dessen liegt es methodologisch näher, das gemeinsame "Wesen" des Forschungsgegenstandes zunächst eingehender zu sondieren, dergestalt, daß man auf abstrakter Ebene diesen zumindest phänotypisch in erster Annäherung zu umreißen versucht. Grundsätzlich läßt sich zur Ursache der Streßentstehung innerhalb des Individuums vor allem die Diskrepanz zwischen akuter Handlungsnotwendigkeit und der subjektiv empfundenen Handlungsschwierigkeit bei der Befriedigung von als wesentlich erachteten Bedürfnissen konstatieren. Diese Feststellung akzentuiert vor allem die zielgerichtete und wechselwirksame Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt.

Wohlgemerkt: soll und darf an dieser Stelle nicht einseitig auf die biophysiologische Bedürfnisbefriedigung einerseits und die soziale andererseits abgestellt werden. Mit der unbefriedigenden, weil disziplinspezifisch defizitären Konsequenz, nach der die offizielle schulmedizinische Auffassung de facto den sozialen Charakter des Individuums bestenfalls vernachlässigt oder aber diesen gänzlich ausblendet, psychologisch-kognitive Ansätze die biophysiologische Grundlage hingegen als obligatorische Randbedingung degradieren und entsprechend peripher abhandeln.

Demzufolge kann die Schlußfolgerung nur dahingehend lauten, daß sich erst dann ein glaubwürdiges ("ganzheitliches") Streßkonzept herausbilden kann, wenn die disziplinspezifischen Wahrnehmungsschablonen ihren traditionell gewachsenen Alleinvertretungsanspruch aufgeben und sich den anderen Ansätzen als grundsätzlich aufgeschlossen zeigen - als wissenschaftlich fundierte Grundlage zur Entwicklung eines integrativen Konzeptes. Wohlgemerkt: nicht in dem Sinne eines unüberschaubaren Potpourris, in dem sich die Disziplinen langfristig verlören, sondern eingedenk der akzeptierten Stärke der jeweiligen Forschungsperspektive allmählich zu dem so oft postulierten Paradigmawechsel gelangen, der letzten Endes dazu führen muß, daß der Mensch als biopsychosoziale Einheit (vgl. SCHEUCH & SCHRÖDER 1990) begriffen wird (im Gegensatz zu derjenigen, die die jeweilige Fachrichtung offiziell als wissenschaftlich deklariert). Dies aber nicht aus einem hehren Grundkonsens heraus oder weil eine zeitgenössische Wissenschaftsethik derart argumentierte, sondern vielmehr als axiomatische Prämisse, die den Menschen in seiner ganzen Komplexität zu verstehen bereit ist - einer Komplexität, die sich gerade durch die faktisch nicht abstrahierbare Verschränkung/Wechselwirkung zwischen der biologischen Ebene einerseits und der psychosozialen andererseits konstituiert.

Wesentlich im Zusammenhang mit einem integrativen Streßkonzept ist gleichermaßen der Abschied von der klassischen These, eine Streßsymptom01

"Eine Überforderung in der Handlung und Tätigkeit entsteht, wenn Ziele nicht erreicht oder Bedürfnisse/Motive nicht befriedigt werden können, wenn die Relation zwischen Anforderung und Leistungsvoraussetzung ungünstig ist, der psychophysische Aufwand über die Zeit zu hoch wird, die Situation keine Bewältigungsreaktionen trotz vorhandener Voraussetzungen zuläßt. Eine Unterforderung ist bei zu geringen Anforderungen (qualitativ oder quantitativ) im Vergleich zu den Leistungsvoraussetzungen zu verzeichnen, wenn dadurch bestimmte Bedürfnisse/Motive nicht befriedigt werden." (SCHEUCH & SCHRÖDER 1990, 88, Hervorhebung R. A.)

Demzufolge betrachten die Autoren "den Streßmechanismus (vielmehr, R. A.) als einen Beitrag zur Entwicklung des Lebewesens". Sei die Bewältigung nicht erfolgreich, würden fehlerhafte Strategien und Handlungsfähigkeiten erlernt, gebe es keine Weiterentwicklung der Bedürfnisse, so komme es zur Fehl- oder Rückentwicklung (ebd., 89).

Entscheidend hierbei ist vor allem, an keiner Stelle zu unterschlagen, daß diese skizzierten Konstellationen sich niemals nur aus der objektiven Ausgangssituation noch nur aus der Person heraus entwickeln. Beide Dimensionen sind nicht voneinander zu abstrahieren, sondern bilden in ihrer Wechselwirkung die Elementarkategorien für das sog. Streßsyndrom, ohne die keine nachhaltige Analyse des Entstehungsprozesses möglich ist. In diesem

Zusammenhang kommt allerdings noch eine weitere Schlüsselkategorie hinzu, nämlich die des Willens und dessen Intensitätsausprägung (vgl. HECKHAUSEN 1980). Diese Kategorie fungiert quasi als relativ flexible Pufferzone zwischen den angesonnenen und als wesentlich erachteten Anforderungen von außen einerseits und den eigenen Bedürfnissen andererseits (der Begriff der Selbstdisziplin wäre in diesem Zusammenhang wohl ebenfalls zutreffend).

Mit Hilfe dieses Puffers ist es - je nach Kapazität zeitlich befristet - für das Individuum machbar, selbst eklatant gegen seine eigene Bedürfnisdisposition laufende Anforderungen ohne Herausbildung einer Streßsymptomatik zu ertragen. Allerdings ist hierzu eine "Uminterpretation" der bisherigen intrapersonellen Bedürfnishierarchie vonnöten (vgl. FESTINGER 1957). Überschreitet diese empfundene Fremdbestimmung jedoch eine individuellspezifische Zeitspanne, ohne daß sich die Ausgangslage für den Betroffenen zum positiven verändert hat, kommt es zum "Ausbrennen" (vgl. auch die einschlägige Literatur zum "Burnout"-Syndrom). Die zusätzlich mobilisierten Energiereserven sind aufgezehrt und das Individuum läuft Gefahr - bei fehlender Kompensation -, eine ernsthaftere psychosomatische Symptomatik auszubilden.

Nochmals: Der Mensch interagiert mit seiner Umwelt und bewegt sich in ihr zielgerichtet.

Diese Bewegung kann als sog. Homo sociologicus allerdings a priori nicht konstant mit seiner individuellen Bedürfnisdisposition in Übereinstimmung gebracht werden. Insofern: wird er in seinen Handlungsplänen bzw. Tätigkeiten - nolens volens - regelmäßig unterbrochen. Diese permanenten Unterbrechungen führen in der Folge - vorausgesetzt, sie werden als wesentliche Bedrohung der eigenen Bedürfnisbefriedigung empfunden - mutmaßlich zu heftigen Streßreaktionen führen. Oder in anderen Worten:

"The important point to be noted is that any interruptive event must be analysed in terms of the level of plans and relevant hierarchies involved. Thus when all levels of plans are threatened (cannot be completed) by some event the degree of automatic arousal will be intense and the stress most severe." (MANDLER, in: HAMILTON & WARBURTON 1979, 196)

Gleichwohl: ist es ein zu wohlfeiles Mißverständnis, der beständigen Störung unseres vorentworfenen Handlungsplans lediglich eine unbefriedigende und destruktive Rolle zuzuweisen. Geht man in der Analyse diesbezüglich tiefer und bezieht auch nicht sofort ins Auge springende Perspektiven mitein, spätestens dann wird klar:

"In either case the interruption of a current cognitive structure apparently automatically focuses consciousness on that structure and the interruptive event or thought. I noted earlier that one of the functions of consciousness is that it becomes the arena for trouble-shooting when conscious or unconscious structures fail. This phenomenon has been labelled the law of awareness by Claparède; people become aware of automatic actions when these are disrupted or fail (CLAPARÈDE, 1934). It is reasonable to assume that one of the adaptive functions of interruption is to bring some problem into conscious, where repair and coping activities can take place. If such ‘snapping into consciousness’ takes place we expect the field of focal attention to be narrowed and, under many circumstances, other ongoing activity to be impaired because of the restricted amount of focal capacity that remains available." (Mandler, ebd.)

Spätestens dürfte nun bewußt werden, daß dem Phänomen Streß als integrativer Forschungsansatz keineswegs ausschließlich der destruktive Charakter innewohnt, sondern gerade auch als Alarmreaktion der biopsychosozialen Einheit Mensch (von Streßreaktionen anderer Lebewesen sei an dieser Stelle bewußt einmal ausgeklammert) dient, das erst dann zu einem ernsthaften und nachhaltigen Problem wird, wenn sich das Individuum diesem wider besseren Wissen nicht bewußt stellt und sich somit sukzessive "auffressen" läßt (vgl. LEWIN 1936). Insofern: wäre die plakative Metapher von der Flucht oder dem Angriff nicht allzu weit hergeholt, vorausgesetzt, man ersetzte Flucht durch (passives) Ergeben.

Fazit: Solange es keinen authentischen ‘common sense’ hinsichtlich eines ganzheitlich integrativen Streßkonzeptes gibt bzw. sich nicht allmählich im Zuge der nachwachsenden "Forschergemeinschaft" ein gemeinsamer und vor allem: tragfähiger Paradigmawechsel in puncto Menschenbild einstellt, solange wird sich die Streß"forschung" - nolens volens - wohl weiterhin in erster Linie durch emsiges (Nebeneinander-)Produzieren von mannigfaltigen Modellen auszeichnen, die ihrem Gehalt nach zu erfassen in der Tat eine heftige Streßreaktion beim Rezipienten auslösen dürften.

2.2 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept

Eine mögliche Annäherung an die schon mehrfach betonte Mensch-Umwelt-Relation ist der theoretische Rahmen, der als Belastungs-Beanspruchungs-Konzept bekannt geworden ist. Aufgrund der mißverständlichen Assoziationen, die diese beiden Schlüsselkategorien geradezu provozieren, sei an dieser Stelle eine abgrenzende Klärung derselben vorausgeschickt. Demzufolge läßt sich folgendermaßen näher differenzieren:

"Belastung unter arbeitswissenschaftlichen Gesichtspunkten ist die wertfreie Bezeichnung für die aus der Art der Arbeitsaufgabe und deren Arbeits- und Ausführungsbedingungen resultierenden Einflüsse auf den Menschen, die eine Reaktion im Organismus auslösen. Weitergefaßt beinhaltet Belastung Anforderungen bzw. Anforderungskomplexe und moderierende Faktoren der Situation, mit denen sich ein Lebewesen auseinandersetzen muß, um die Homöostase der Körperfunktionen und das Gleichgewicht zur Umwelt zu erhalten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen und Bedürfnisse bzw. Motive zu befriedigen.

Beanspruchung ist die Wirkung der Belastung auf das Lebewesen und dessen Wechselbeziehung zur Umwelt. Sie umfaßt die belastungsbedingten Reaktionen und Veränderungen von Organen und Organsystemen, die Handlungsfähigkeit sowie das Beanspruchungserleben. Damit soll die psychophysische Komplexität der Beanspruchung unterstrichen werden." (SCHEUCH & SCHRÖDER 1990, 76 f.)

Was nun auf den ersten Blick klar erscheint, wird von einer weiteren determinierenden

Variable relativiert, nämlich die der individual- und situationsspezifischen Verarbeitung der jeweils ablaufenden Beanspruchung. Diese Variable repräsentiert quasi eine vermittelnde bzw. kompensatorische Position zwischen den einströmenden Belastungseinflüssen einerseits und den Beanspruchungsreaktionen andererseits. Solch eine relative Größe subsumiert "habituelle Merkmale" (Charaktereigenschaften, anatomisch-biophysiologische Disposition, Grad der körperlichen wie der geistigen "Fitneß", Bedürfnishierarchie, Bewältigungsstrategien, idiosynkratische Reaktionsweisen einzelner Organe oder ganzer Organsysteme usw.) wie auch "situative Merkmale" (Bereitschafts- und Aktivitätsniveau des Organismus im gegebenen Zeitintervall, für das Verhalten in der Situation relevante Einstellungsdispositionen, gespeicherte Erfahrungen aus ähnlichen Situationskonstellationen usw.). Auch hieraus wird deutlich: Das Individuum wird als biophysiologisches und gesellschaftliches Wesen verstanden, das sich zwangsläufig aktiv und zielgerichtet - im undramatischen Sinne verstanden - mit seiner Umwelt auseinandersetzen muß.

In der steten Interaktion zwischen Belastung einerseits und der individuellen Konstitution andererseits erwächst die spezifische Beanspruchung mit den in ihr innewohnenden kompensatorischen Reaktionen, die wiederum originär mit der konkret auf das Individuum einströmenden Belastung verflochten sind. Kann dieser als Belastung empfundenen

Reizkombination produktiv und befriedigend begegnet werden, ist es offensichtlich zu einer Anpassungs(re)aktion gekommen, dergestalt, daß der Betroffene von nun an mit erheblich geringerem psychophysischen Aufwand vergleichbare Resultate erzielen kann (von der ursprünglichen Anpassungsreaktion zur künftigen Verhaltensstragie), ohne Gefahr zu laufen, erneut durch dieselben Beanspruchungsreaktionen in seiner eigentlichen Verhaltenssequenz unterbrochen oder zumindest behindert zu werden. So oder so: hat de facto eine Entwicklung stattgefunden.

Gelingt dies dem Individuum allerdings nicht, können die Folgen mittel- und langfristige Leistungseinbußen aufgrund des anforderungsinadäquaten psychophysischen Aufwands sein. Wie bereits weiter oben erwähnt, brennt derjenige buchstäblich aus. Offensichtlich: hat hier keine(progressive) Entwicklung stattgefunden.

Aus den auf die unmittelbare Belastung bezogenen Beanspruchungsreaktionen können längerfristige Beanspruchungsfolgen hervorgehen (positive: verbesserte Anpassungsfähigkeit, Charakterentwicklung etc.; negative: psychophysische Schädigungen, Regression der Handlungskompetenz etc.). Im diesem Zusammenhang ist akuter Streß unter den Beanspruchungsreaktionen und chronischer unter den negativen Beanspruchungsfolgen einzuordnen.

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Beanspruchungsreaktionen sind Ausdruck der Bewältigungsversuche - ob positiv oder negativ - auf seiten des Betroffenen. Die länger anhaltenden Konsequenzen aus diesen Versuchen sind demgemäß die Beanspruchungsfolgen - seien diese nun negativ oder positiv für das 0

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Daß diese gegenseitigen Verflechtungen einen komplexen und vor allem: dynamischen Regelkreis und nicht etwa ein geschlossen lineares System repräsentieren, dessen Aufgabe lediglich darin bestünde, reaktiv die einströmende Belastung möglichst schonend für den gesamten Organismus zu verarbeiten, geht aus dem obigen Schaubild deutlich hervor. Bspw. ist hier anschaulich zu entnehmen, daß zwar die in einem spezifischen Zeitintervall konkret auf das Individuum wirkende Belastung anfänglich kaum beeinflußt werden kann. Die durch sie ausgelöste Beanspruchungsreaktion allerdings wirkt unmittelbar auf das potentielle Arbeitsergebnis, welches in der Folge wiederum auf die als Belastung empfundene Reizkombination rückwirkt.

Die Wahrscheinlichkeit wächst also dergestalt, daß sich auf seiten des Betroffenen bei "gesunder" Reizverarbeitung bei künftig dergleichen oder zumindest ähnlichen Reizkombination ein "mäßigeres" Erregungsniveau einstellt, daß sich bei entsprechenden Wiederholungsphasen weiter absenken dürfte.

Nochmals: Dies ist kein quasi automatisch ablaufendes, reaktives Regulationssystem zur adäquaten Anpassung an ein unumgängliches Belastungsmuster, sondern erfordert die bewußte und aktive Auseinandersetzung (siehe "Rückwirkungen" im Schaubild) des Individuums mit diesem, um eine der Belastung entsprechende veränderte Verhaltensstrategie zu entwickeln. Andernfalls: ist mit negativen Beanspruchungsfolgen in dem schon angesprochenen Sinne zu rechnen, daß der einzelne sich von der streßerzeugenden Belastung aufzehren läßt, als es im nicht gelingt, von dem hohen Erregungsniveau, selbst unter wiederholter Konfrontation mit der Ausgangsreizkombination, herunterzukommen (man denke bspw. an die sog. Prüfungsangst!).

2.2 Person-Environment-Fit

Dem Prinzip konsequent folgeleistend, nach dem weder dem (re)agierenden Subjekt noch die ihm dargebotene Umwelt einseitig besondere Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Erforschung der Streßgenese geschenkt werden darf, kommt man daher nicht umhin, auf jenes Modell einzugehen, das dieses Prinzip manifest in seinem Programmnamen trägt: das des sog. PERSON-ENVIRONMENT-FIT. Wobei "Environment" nicht zuletzt die Struktur des Arbeitsplatzes, als zwangsläufig besonders prägendes Umfeld, repräsentiert.

Dieses theoretische Konzept gründet vor allem auf Erkenntnisse im Zusammenhang mit Motivationsvorgänge von LEWIN und MURRAY (vgl. LEWIN 1951; MURRAY 1959). Als erste grob orientierende thematische Annäherung und je nach Perspektivenwahl ließe sich sagen: Prinzipiell entscheidend ist hierbei einerseits, inwiefern die Fertigkeiten und sonstigen Kompetenzen der Person zu den Anforderungen und Voraussetzungen des jeweiligen Berufs "passen", andererseits, inwiefern die Umgebung des Arbeitsplatzes die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen in der Lage ist. Analog heißt es:

"Two kinds of fit between the individual and the environment are considered. One kind of fit is the extent to which the person’s skills and abilities match the demands and requirements of the job. Another kind of fit is the extent to which job environment provides supplies to meet the individual needs. When misfit of either kind threatens the individual’s well-being, various health strains will result." (VAN HARRISON, in: COOPER & PAYNE, 1978, 175)

Weitere grundsätzliche Unterscheidungen innerhalb des Konzepts sind die Objekte und Ereignissen der Umwelt, wie sie unabhängig von der wahrnehmenden Person bestehen, und denjenigen, wie sie - subjektiv - von der wahrnehmenden Person wahrgenommen und interpretiert werden. Die "objektive Umgebung" repräsentiert insofern sowohl diejenigen Objekte und Ereignisse, die nicht in unmittelbaren Kontakt zu dem betreffenden Individuum treten, als auch umgekehrt (bspw.: die familiäre, die physikalische Umgebung, andere existierende Phänomene der sozialen und physikalischen Umwelt, wie sie unabhängig von der Wahrnehmung des einzelnen bestehen). Besondere Berücksichtigung findet in diesem Zusammenhang die jeweilige Arbeitsplatzstätte als zentrale Bezugsgröße des interagierenden Menschen.

Die objektive Umgebung hängt ursächlich mit der subjektiven zusammen, dergestalt, daß die letztere die Wahrnehmung und Interpretation der objektiven darstellt, d. h. die Konstruktion der Welt, wie sie sich auf seiten des Individuums präsentiert.

Objektive Person bezieht sich demgemäß auf die "wertfreie" Registrierung des Betroffenen mitsamt seinen Eigenschaften, Werteinstellungen, Bedürfnissen und anderen halbwegs konsistenten Personalattributen. Subjektive Person umfaßt somit die Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit, gemäß der im Laufe der Biographie herausgebildeten Identität mit deren Einstellungen, Bedürfnissen etc.

Die eigentlich sensiblen Stellen in dem vorstehenden Modell, die letztendlich Aufschluß darüber geben, ob eine "Passung" zwischen der personellen Komponente einerseits und der Umweltkomponente andererseits (auf subjektiver bzw. objektiver Seite) besteht, sind Indikatoren für die durch den möglichen Diskrepanzgrad resultierende Streßintensität. In anderen Worten:

"P-E fit can be used to define job stress. A job is stressful to the extent that it does not provide supplies to meet the individual’s motives and to the extent that the abilities of the individual fall below demands of the job which are prerequisite to receiving supplies. In both cases, the individual needs and values will not be met by supplies in the job environment." (VAN HARRISON, a. a. O., 178)

Offensichtlich legt das obige Modell zwar besonderes Augenmerk auf die negative Konsequenzen einer unzureichenden "P-E fit", gleichwohl darf und soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß gerade die wiederholt erfahrende positive "Passung" in der PersonUmwelt-Spannung zu einer deutlichen und anhaltenden Steigerung des Selbstwertgefühls, des Vertrauens in die eigene Handlungskompetenz etc. entscheidend beitragen kann.

Durch diese potentiell stete Selbstverstärkung wird die eigene Charakterentwicklung in nicht unwesentlicher Weise gelenkt bzw. gar erst ermöglicht. In diesem Zusammenhang besonders essentiell erscheint gleichfalls die indirekt aber unmittelbar wirksame Ausstrahlung auf die sog. Selbst-Achtung (vgl. auch HAIDER 1973). Diese beeinflußt wiederum das Körperbewußtsein, gesundheitliches Präventions-, Ernährungsverhalten etc.

Darüber hinaus sind die bereits in dem Modell angezeigten Bewältigungsstrategien der streßerzeugenden Diskrepanz kennzeichnend: einerseits die des sog. Coping und andererseits jene der sog. Defence. Coping betont den aktiven Versuch, entweder die objektive Ausgangssituation ("environmental mastery") und/oder vorbehaltlos die objektiv personellen Eigenschaften ("adaption") zu verändern (vgl. FRENCH, ROGERS & COBB 1974), Defence hingegen den reaktiv-kognitiven, die objektive Umgebung und das objektive Selbst-Konzept in der Wahrnehmung der Person umzustrukturieren. Diese Bewältigungsstrategien laufen (vor allem) unbewußt bzw. unreflektiert ab. Sie versetzen das Individuum in die Lage, eine zumindest halbwegs erträgliche, konsistente Selbst-Identität vor dessen subjektiven Auge zu (be)wahren, die die aus der Ausgangssituation resultierende Belastungs-/Streßintensität zu reduzieren hilft (vgl. FESTINGER 1957; FREUD 1966). So ließe sich bspw. denken, daß der einzelne - hingegen der objektiven Personenstruktur - subjektiv seine vom jeweiligen Berufsbild geforderten und vorausgesetzten Fähigkeiten und Fertigkeiten tatsächlich überschätzt (überschätzen will?). Oder: die aktuell auf das Individuum auflaufende Arbeitsbelastung wird - wider die tatsächlich aus der objektiven (Arbeits-)Umgebung stammende - kognitiv als niedriger umstrukturiert, sprich: auf seiten des Individuums derart wahrgenommen.

Obwohl die defensive Bewältigungsstrategie a priori nicht zu einem besseren " objektiven P-E fit" zwischen Individuum und Umgebung führt, so verbessert sie dennoch die subjektiv wahrgenommene "P-E fit"(subjektive P-E fit). Gleichwohl: es demzufolge zu einer Verringerung der subjektiv empfundenen Belastungsintensität (Streß) kommt, verringert sich gleichermaßen und konsequent die bereits in dem vorstehenden Modell thematisierte "contact with reality" bzw. die "accuracy of self-assessment".

D. h. dem Individuum droht mittel- und langfristig dasjenige "Feedback" verloren zu gehen, anhand dessen es sich selbst in seiner subjektiven Wahrnehmung im Verhältnis zur "neutralen" Außenwelt, vor allem der seines Arbeitsfelds, (immer wieder012)

2.4 Streß als Einflußgröße auf die Leistungskapazität

"Zwischen Streßausprägung und Leistungsminderung bestehen sowohl in der Handlung als auch in der Tätigkeit lineare Beziehungen." (SCHEUCH & SCHRÖDER 1990, 115)

Insofern: ist die reduzierte Leistungskapazität ein unmittelbarer Maßstab für den Wirkungsgrad des Syndroms, das wir Streß nennen. Dabei gilt allerdings zu beachten, daß nicht jede Reduzierung gleich auf das Vorhandensein jenes Syndrom zurückzuführen ist und zurückgeführt werden darf.

Einbußen der Leistungsfähigkeit müssen zudem auch nicht oder nicht unmittelbar für einen neutralen Beobachter sichtbar oder anderweitig registrierbar werden. Sie können - unter Aufbringung des schon mehrfach thematisierten überproportionalen psychophysischen Aufwands - derart kompensiert werden, daß vor allem das jeweilige Selbstbildnis (vgl. BERGER & LUCKMANN 1970; BERGER 1970; GOFFMAN 1973; GOFFMAN 1975) des Individuums auf Kompromißbasis aufrechterhalten werden kann.

Dies funktioniert aber nur dann in vollem Umfang und in der vorweggenommenen Qualität, wenn dieser zusätzliche Aufwand zeitlich befristet und genau umrissen ist, da es ansonsten zu einem schrittweisen Abfall der Leistungsressourcen kommt, die nicht beliebig strapaziert werden können, ohne daß es zu schwerwiegenderen psychosomatischen Ausfallerscheinungen kommt.

Denn: für das in die Zukunft vorentworfene Handlungsergebnis bzw. dessen Konzeption gilt:

Es ist eine (theoretisch) konsistente und zugleich effiziente Vorhersage der Teilschritte dorthin anzustellen.

"Streß läßt diese Vorhersage jedoch nicht zu, so daß aufwandserhöhtes Orientierungsverhalten notwendig wird oder das Leistungsergebnis dem Zufall überlassen bleibt." (SCHEUCH & SCHRÖDER, ebd., 116)

In diesem Zusammenhang oft verschwiegen oder einfach übersehen ist die Tatsache, daß Streß nicht nur aus dem aktiven Handlungsvollzug entstehen kann, sondern sich ebenso - wenn auch nicht direkt erkennbar - aus den durch die Ausführung induzierten Rückkoppelungen konstituiert. Diese Rückmeldungen erlauben nämlich dem Individuum erst, das faktisch erzielte Handlungsergebnis mit dem vorentworfenen zu vergleichen bzw. nachfolgend einzuordnen und für seine künftige jeweilige Handlungsstrategie zu be- und verwerten. Entsprechend wirkt sich jede nicht erhaltende Rückmeldung bzw. Ambivalenz desorientierend auf den Betroffenen aus und schafft somit eine wesentliche Ursache für das Auftreten von Streßsymptomen, die sich unmittelbar auf die Leistungsbereitschaft und - fähigkeit auswirken. Das Individuum hat also keine fundierte Einschätzung darüber, welchen Aktivierungsgrad es entsprechend der zu bewältigenden Aufgabe tunlichst wählen soll (man denke hier nur an den auf der Überholspur im ersten Gang schwitzenden Autofahrer, der den rechts neben ihn fahrenden Nachbarn leidenschaftlich zu überholen trachtet).

Bei der möglichen allmählichen Absenkung des Leistungsniveaus aufgrund inadäquaten Aktivierungsniveaus kommt es OBUCHOWSKI (1982, 320) zufolge u. a. zu folgenden Wechselwirkungen:

"- eine Einengung oder eine vollständige Blockierung des Kanals, auf dem die äußeren Informationen die im Zusammenhang mit der aktuell zu lösenden Aufgabe tätigen Operationsregionen des Gehirns erreichen,
- die Vergrößerung des Anteils der inneren Informationen an der Orientierungstätigkeit, was in einigen Fällen zu einem vollständigen Abbruch der Beziehung zur aktuellen äußeren Situation führt,
- eine kompensierende Funktion hat die Senkung der Unterschiedsschwelle der rezeptorischen Apparate, die eine sofortige Registrierung von unvorhergesehenen Veränderungen der äußeren Umwelt sichert".

SCHEUCH und SCHRÖDER (1990, 119) zeigen sich in diesem thematischen Zusammenhang davon überzeugt:

"Wir nehmen zwischen Streß und Leistung eine lineare negative Beziehung an, d. h. je ausgeprägter der Streß, desto schlechter die Leistung. Erfolgreiche

Kompensationsbemühungen des Lebewesens reduzieren Streß und führen damit auch zur Verbesserung der Leistung und der Leistungsfähigkeit. Die Abhängigkeit von Streß und Leistung trifft sowohl auf ein Zuwenig als auch auf ein Zuviel an Aktivierung entsprechend der Aufgabenstellung zu. Die Art der Leistungsverschlechterung kann unterschiedlich sein. So werden bei zu hoher Aktivierung vorwiegend überschießende, falsch positive Handlungen beschrieben."

Kommt es zudem - und dies dürfte im Verlaufe des Alltagslebens nicht zu selten vorkommen - gleichzeitig zu mehreren Ausgangsreizen mit Aufforderungscharakter, wird sich auf diejenigen konzentriert (und die übrigen ausgeblendet oder zumindest vorerst zurückgestellt), die der einzelne in seiner aktuellen Situation als für sich unmittelbar wesentlich deutet.

Differenzierend geben SCHEUCH und SCHRÖDER (1990, 120) zu bedenken:

"Die Auswirkungen hängen auch von der Schwierigkeit der Aufgabenstellung ab. Leichte Aufgaben werden in ihrer Qualität und Effektivität später beeinträchtigt als schwierigere. Routinehaft durchführbare Handlungen bleiben länger ohne Beeinflussung als neu erlernte."

Eine potentielle und effektive Aufgabenerfüllung kann aber auch durch "Grübelkognitionen" (generelle Ängste, noch nicht gelöste, aber anstehende Probleme etc.) sabotiert werden, dergestalt, daß das Individuum mehr oder minder regelmäßig von innen heraus in seinem der eigentlichen Aufgabe zugedachten Gedankenstrom, also in der faktischen Leistungsfähigkeit, unterbrochen wird.

"In extremen Fällen kommt es zur Blockade der Afferenzen und mangelnder Kontrollierbarkeit von Efferenzen. Das führt zum vollkommenen Zerfall eines zeilgerichteten Handlungsprozesses. In weniger extremen Streßprozessen ist eine Primitivierung der

Handlung, eine Einschränkung der Handlungsplastizität zu verzeichnen." (SCHEUCH & SCHRÖDER, ebd.)

Zugegeben: ist hier ausschließlich von den negativen Auswirkungen des Streßsyndroms auf die Leistungskapazität die Rede. Nicht verschwiegen werden kann und darf, daß das Phänomen Streß/Belastung tunlichst keineswegs allein als einheitliche, mit einem negativen Vorzeichen versehene Einflußgröße betrachtet werden sollte. Zweifelsohne: ist das Individuum generell genauso in der Lage, aus den gemachten Streßerlebnissen - wie bereits angedeutet - persönlichkeitsförderliche und hier vor allem: leistungsförderliche Erfahrungen zu gewinnen, dem ursprünglichen Sinne gemäß, nach dem die Streßreaktion primär als psychophysische Alarmreaktion gedeutet wird. Also: Sehr wohl (Handlungs-)Druck und Belastung - als nolens-volens-Motivation einer "sollenden" Veränderung: sei es einerseits "nur" zur Flucht ("aus dem Felde gehen" [vgl. LEWIN 1936]) oder doch zum offensiven Angriff.

2.4.1 Das Phänomen der Erlernten Hilflosigkeit

Nachhaltig nicht erfahren und begreifen zu können, ob denn die Kontrolle des individuellen (bisherigen und zukünftigen) Lebensverlaufs in erster Linie auf seiten des jeweiligen einzelnen liegt oder ob er sich lediglich als "ein Opfer der Umstände" und demzufolge (zumindest primär) fremdbestimmt fühlt, kann zu einem internalisierten Gefühl von a priori- Hilflosigkeit führen.

Diese Gefühlsqualität, die häufig auf einige wenige "Schlüsselerlebnisse" basiert, wird nun aus ihrem Ursprungszusammenhang herausgelöst und auf andere Situationen transferiert bzw. generalisiert. Aufgrund dieser nun negativen, gelernten Grundeinstellung läßt der Aktivitätsgrad im Verhältnis zu einer potentiell "helleren" Grundhaltung nach. Die Erwartungen an die persönliche zukünftige Entwicklung werden eher pessimistisch-realistisch eingestuft, das Emotionsleben ist unverkennbar von "melancholischen" Perspektiven mitgeprägt (vgl. SELIGMAN 1975).

Die SELIGMANsche Theorie der gelernten Hilflosigkeit geht grundsätzlich von zwei Grundthesen aus:

"Wenn die Beziehung zwischen Reaktionen und aversiven Stimuli durch Unabhängigkeit gekennzeichnet ist, wird diese fehlende Kontingenz kognitiv repräsentiert, indem die

Erwartung gebildet wird, daß Reaktion und Ergebnis voneinander unabhängig sind. Der zweite Schritt bezieht sich auf die Art und Weise, wie sich diese Erwartung auf das Verhalten auswirkt. Aufgrund der wahrgenommenen Unkontrollierbarkeit der Situation ergibt sich ein Nachlassen der Reaktionsbereitschaft, weil Initiativen als sinnlos erscheinen. Zum einen wird die Motivation, die Ergebnisse zu kontrollieren, reduziert. Zum anderen führt die Lernerfahrung der Unkontrollierbarkeit zu einer Interferenz mit nachfolgenden Lernprozessen in Situationen, in denen Kontrollierbarkeit gegeben ist." (BIERHOFF, 1993, 206)

Besagtes Theoriegebäude hat selbstverständlich im Verlaufe der Zeit Veränderungen und Erweiterung durch andere, fachspezifisch kompatible Theorien erfahren. Darunter auch die sog. Attributionsthorie, die das besagte Konzept u. a. um zwei Kategorien ergänzte. Zum einen: um die der persönlichen und zum anderen: um die der universellen Hilflosigkeit. Die persönliche repräsentiert die Haltung, den als negativ oder als mehrdeutig empfundenen Ausgangsreiz mittels eigenem kontingenten Eingreifen nicht positiv für sich selbst zu beeinflussen, wohingegen anderen vergleichbaren Personen eben dies zugetraut wird. Insofern: drängt sich die weitere Schlußfolgerung auf, daß jener Personenkreis ein zumindest manifestes Defizit in bezug auf Selbstvertrauen bzw. Selbstwertgefühl aufweist.

Demgegenüber drückt die universelle Hilflosigkeit jene Einstellung aus, die weder sich selbst als Zentrum der jeweils aktuellen Handlungskonstellation noch anderen Außenstehenden eine wirksame kontingente Reaktion auf einen potentiell gleichgearteten Ausgangsreiz zutraut.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Internale Attribution bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes, als daß das sich der ausschließlich persönlich für seinen Schicksalsverlauf verantwortlich machende einzelne seiner eigenen Person eine negative (Handlungs-) Kompetenz zuschreibt. Demgegenüber gewährleistet die externale Zuschreibung ebendiese Verantwortung von sich selbst auf andere, in der Außenwelt liegende Gründe zu delegieren (die "bösen anderen" dort draußen etc.).

Darüber hinaus wird im dem besagten ergänzten Konzept zwischen der sog. Generalität in der solcherart gelernten und internalisierten Einstellung der Hilflosigkeit (bezogen auf unterschiedlichste Situationen im Vergleich zu spezifisch umrissenen) einerseits und der Stabilität ("nur" akut oder chronisch) andererseits unterschieden.

"Spezifische Auswirkungen werden erwartet, wenn das Versagen auf eine eng eingegrenzte Ursache zurückgeführt wird (und somit spezifisch attribuiert wird). Kurzfristige Auswirkungen werden erwartet, wenn die Hilflosigkeit auf instabile Ursachen (wie vorübergehende Kreislaufschwäche) statt auf stabile Ursachen zurückgeführt wird." (BIERHOFF, 1993, 207)

Der attributionstheoretische Ansatz geht in der Folge davon aus, daß der vermeintliche Antizipationsgrad der eigenen Hilflosigkeit von der jeweiligen generell-spezifischen bzw. stabil-instabilen Zuschreibung im Verlaufe jeweils gemachter Situationserfahrungen und den durchlaufenden Zeitepisoden abhängt. BIERHOFF (1993, 208) konstatiert insofern, daß eine breite Generalisierung dann auftrete, wenn die Erwartung der Hilflosigkeit auf globale und stabile Faktoren attribuiert werde (bspw. "Frauen ziehen - genetisch bedingt - gegenüber Männern per se den kürzeren!"). Hieraus könnten depressive Gefühle entstehen.

In diesem Zusammenhang berichtet er (1993, 209) von einer sich über fünf Jahre erstreckenden Längsschnittuntersuchung, in der ca. 500 Drittkläßler in Halbjahresepisoden untersucht wurden (NOLEN-HOEKSEMA, GIRGUS & SELIGMAN, zit. nach BIERHOFF 1993). Sie scheint zu bestätigen, daß als wesentliche Verlusterlebnisse empfundene Gefühle eine depressive Prädisposition konstituieren können. In einem Alter von ca. 10 Jahren ließ sich dann u. a. feststellen, daß Kinder mit einem eher depressiven Attributionsstil weitaus heftiger auf Verlusterlebnisse reagierten, als es Gleichaltrige mit einem eher optimistischen Attributionsstil zeigten. Besonders interessant in diesem Zusammenhang: Kinder schienen den depressiven Attributionsstil beizubehalten, wenn sie einmal wesentliche depressive

Episoden erlebt hatten. Die Schlußfolgerung BIERHOFFs in dieser Hinsicht mündet in der Hypothese, daß den betreffenden Kindern womöglich "negative Kognitionen" zugänglicher gewesen wären als denen, die von depressiven Episoden verschont geblieben waren.

Fraglich jedoch bleibt dann: Inwiefern bzw. inwieweit unverrückbar ist das betreffende Kind von jener Art des Attributionsstils geprägt, und vor allem: wie wirken sich qualitativ entgegengesetzte Erlebnisse auf die bisherige Disposition aus? Ferner: Wie weit läßt sich eine mögliche genetisch-depressive Prädisposition von der der erlernten signifikant unterscheiden.

Nichtsdestotrotz: sind die resultierenden Symptome, wie wir sie bereits weiter oben von "klassischen" Belastungs- bzw. Streßsituationen her kennen, eindeutig: nachlassendes Aktivitätsniveau bzw. nachlassende Aggressionsbereitschaft, intellektuelle Leistungseinbußen bis hin zur Schwächung des kompletten Immunsystems.

3. Zusammenfassung und Ausblick

In der Tat: Eine nur noch zu entdeckende Streßformel wird und kann es a priori hier oder sonstwo nicht geben. Weder der biophysiologisch Orientierte noch der überzeugte Verfechter eines (der diversen) psychologischen Ansätze wird sie in seiner Forscherklause jemals finden (der alte Disput: Körper vs. "Geist"?). ‘Welch eine Binsenweisheit!’ mag man entgegnen. Wahrhaftig: ist dieser Vorwurf nicht ganz von der Hand zu weisen, allerdings mit der Einschränkung, daß es dieser nachlesbar/nachweisbar noch nicht nachhaltig genug gelungen ist, den Weg in den Kreis der jeweils entscheidungstragenden "scientific communities" zu finden.

Dies wird sich auch schwerlich signifikant ändern lassen, solange noch die (zwangsläufig: schwächer werdenden) Ausläufer eines Wissenschaftsparadigmas ihre Auswirkungen zeitigen, die einem Verständnis von Wissenschaftlichkeit folgen, das aus den Anfängen der systematisch betriebenen Forschung stammt und dort - nolens volens - sicherlich nicht unwesentlich zur Durchsetzung des "neuen" Weltbildes beitrug (vgl. bspw. DESCARTES u. a.).

Demgegenüber wird insbesondere anhand der in Abschnitt 2.1 bzw. 2.2 beispielhaft skizzierten Konzeptansätze deutlich, daß es nur und erst dann zu einer fundierten analytischen Erfassung und der in der Folge unerläßlichen mehrdimensionalenSynthese kommen kann, wenn die - womöglich der kategorisierenden Übersichtlichkeit halber - Pseudo-Trennung: hier das biomechanistisch-regulative Körpersystem, dort der von diesem weitgehend als unabhängig gedachtepsychologisch-kognitive Apparat, faktisch aufgehoben und die Verneinung der evidenten Wechselwirksamkeit innerhalb dieser Einheit aufgegeben wird.

Spätestens aber in der konkreten, individuell-strukturierten beruflichen Auseinandersetzung tritt diese Einheit besonders deutlich hervor. Entsprechend argumentiert auch HACKER (1987), indem er betont, daß die möglichst vielseitigen beruflichen Aufgaben u. a. Möglichkeiten zur Stabilisierung der psychischen und physischen Gesundheit beinhalten sollten.

Zusammenfassend: ist es demnach - vor allem: im Hinblick auf die Vorbeugung gesundheitlicher Integrität bzw. die Wahrung der veränderlichen Feinabstimmung des individuell-spezifischen "Homöostasebereichs" - das Wesensmerkmal des auf den einzelnen unmittelbar und als irritierend wahrgenommenen Streßausmaßes, daß in ihm gleichzeitig das belastende Moment und sich gegebenenfalls im zeitlichen Verlauf ins Destruktive umschlagende einerseits innewohnt als auch derjenige "Stachel im Fleisch", aufgrund des so induzierten Handlungsdrucks - wohlgemerkt: im bewertungsneutralen Sinne - tunlichst eine zwischen seinem Selbst und seinem jeweiligen Lebensraum "opportunere" Passung zu erreichen. Dies kann selbstredend von schlichter Anpassung an die äußeren Umstände reichen ("Chamäleonverhalten") bis zu tiefgreifenden Charakter- bzw. Verhaltensmodifikationen, die von dem Betroffenen mitunter zu Recht letztendlich als Gewinn erlebt werden (müssen), sprich: Streß in der Tat als evidentes Lasterlebnis, gleichwohl: Ausgangspunkt und potentielle

Chance, den individuellen Charakter, das Verhalten, die Einstellungen, bewußtgewordene kognitive Schemata u. a. - so oder so - weiterzuentwickeln.

Literatur:

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HACKER, W.: Tendenzen und Erfordernisse der psychologischen Gestaltung von Arbeitsaufgaben. Psychologische Praxis Berlin (DDR) 1987

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SELYE, H.: The Stress Concept and Some of its Implications. In: HAMILTON, V. and WARBURTON D. M. (Ed.): HUMAN STRESS AND COGNITON: An Information Processing Approach. London: Wiley 1979

VAN HARRISON, R.: Person - Environment Fit and Job Stress. In: COOPER C. L. and PAYNE R. (Ed.): STRESS AT WORK. Wiley 1978

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Streßkonzept als Motiv eines integrativen Paradigmas
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V95947
ISBN (eBook)
9783638086257
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Einführung in die Arbeits- und Organisationspsychologie
Schlagworte
Streßkonzept, Motiv, Paradigmas
Arbeit zitieren
René Aden (Autor:in), 1998, Das Streßkonzept als Motiv eines integrativen Paradigmas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95947

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