Nordkoreas Nuklearpolitik. Motive der Außen- und Sicherheitspolitik


Seminararbeit, 2020

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aktueller Forschungsstand

3. Historische Entwicklung der nordkoreanischen Nuklearambitionen

4. Erklärung und Analyse des Nuklearstrebens aus (neo-)realistischer Sicht
4.2 Neorealistischer Ansatz nach Kang

5. Konstruktivistischer Ansatz nach Ballbach

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Auch nach dem Aufeinandertreffen der Staats- und Regierungschefs Chinas, Südkoreas und der USA mit dem dritten Machthaber der Demokratischen Volks-republik Korea (DVRK), Kim Jong-Un, im Jahr 2018, stellt Nordkoreas Nuklearstreben ohne Zweifel eine der drängendsten gegenwärtigen sicherheitspolitischen Herausforderungen im ostasiatischen Raum dar. Das nordkoreanische Nuklear-programm birgt neben der Gefahr eines regionalen Wettrüstens oder sogar einer direkten militärischen Eskalation unter einem möglichen Einsatz von Kernwaffen vielfältige Risiken der Weiterverbreitung von (Atom- bzw. Massenvernichtungs-) Waffen sowie Waffentechnologie, was Instabilitäten in anderen Weltregionen zu verschärfen droht. Neben der Bedrohung regionaler sowie einem erhöhten Sicherheitsrisiko für weit entfernte Staaten stellen die nuklearen Ambitionen überdies bestehende internationale Ordnungsstrukturen – wie etwa den Vertrag über die Nicht-verbreitung von Kernwaffen (1968) – vor unmittelbare Effektivitäts- und Legitimitäts-probleme. Denn trotz langjähriger Versuche der internationalen Gemeinschaft, Nord-korea auf diplo­matischem Weg von seinem Pfad der nuklearen Aufrüstung abzu-bringen, hat Pjöngjang die multilateralen Regelwerke und Beschlüsse der inter-nationalen Gemeinschaft, beispielsweise des UN-Sicherheitsrates, nahezu durchweg ignoriert und sein Bestreben offenbar gegen alle Widerstände unbeirrt weiterverfolgt. Mehr noch, Nordkorea betreibt eine Außen- und Sicherheitspolitik, die von inter-nationalen Beobachtern widerholt als provokant, unvorhersehbar oder sogar als irrational bezeichnet wird, sodass die Motive des nuklearen Strebens trotz beträchtlicher politischer, medialer und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit in weiten Teilen noch immer ein Rätsel darstellen.

Obwohl der nunmehr seit über einem halben Jahrhundert andauernde „Nordkorea-Konflikt“ eine multidimensionale, viele historisch bedingte Interessen- und Problemlagen beinhaltende Herausforderung darstellt und es grundsätzlich einer breiten Betrachtung bedarf, um dieser Vielschichtigkeit angemessen gerecht zu werden, soll der Fokus in dieser Arbeit – allein aufgrund des Umfangs – auf der wissenschaftlichen Analyse der nordkoreanischen Motive der Außen- und Sicherheitspolitik im Kontext der nuklearen Aufrüstung liegen.

Zunächst soll ein Überblick über die bestehende Forschung erfolgen, ehe die historischen Hintergründe des Nuklearprogramms Nordkoreas und der bisherigen Nuklearkrisen in groben Zügen nachgezeichnet werden. Grund bildet die Annahme, dass – obwohl überwiegend Bezug auf die Entwicklungen seit 1990 genommen werden soll – eine historisch-isolierte Betrachtung kein tieferes Verständnis ermöglicht. Basierend auf dieser Darstellung sollen zentrale, auf den Annahmen der klassischen Denkschulen der Internationalen Beziehungen beruhende, neorealistische sowie konstruktivistische Erklärungsansätze hinsichtlich der Beweggründe der Kim-Dynastie für die Etablierung des nordkoreanischen Nuklearprogramms dargelegt, analysiert und in Hinblick auf ihre Erklärungskraft diskutiert werden. Es handelt sich im Kern also um eine theoretisch-analytische Arbeit. Im Fokus soll dabei folgende Fragestellung stehen: Weshalb macht das nukleare Streben aus der Sicht Pjöngjangs Sinn?

2. Aktueller Forschungsstand

Das nukleare Streben Pjöngjangs und die Nuklearkrisen auf der koreanischen Halb-insel wecken immer wieder das Interesse der internationalen Forschung.1 Allerdings beschränkt sich ein Großteil der Studien bei der Analyse der Motive Nordkoreas und dessen Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf die Nuklearambitionen noch immer auf nicht-theoretische, rein deskriptive (historiographische) Heran-gehensweisen sowie politikrelevante und sicherheitsorientierte Bewertungen. Der Fokus liegt häufig auf der Nachzeichnung und Diskussion der verschiedenen politisch-diplomatischen Initiativen und Prozesse in Form von Chroniken oder der Beurteilung der mit dem Nuklearstreben einhergehenden globalen Heraus-forderungen für die Staatengemeinschaft sowie vermeintlich adäquaten Strategien und Politiken im Umgang mit Nordkorea.2 Im Gegensatz dazu ist die Zahl der theoretisch-informierten Ansätze, die den Wert sozialwissenschaftlicher Theorien erfüllen und den analytischen Fokus unmittelbar auf Nordkorea einschließlich der innenpolitischen Dimension des nuklearen Strebens legen, vergleichsweise gering. Gleichwohl decken die bestehenden theoretischen Perspektiven auf Nordkoreas Außen- und Sicherheitspolitik im Kontext der Nuklearfrage die drei zentralen theoretischen Denkschulen der Internationalen Beziehungen – den (Neo-)Realismus, (Neo-)Liberalismus sowie Konstruktivismus – ab. Im Rahmen dieser Arbeit soll der Schwerpunkt auf (Neo-)realistischen und konstruktivistischen Theorieansätzen liegen. Der Fokus rührt daher, dass sich der Großteil der bestehenden Analysen auf die dominierenden materialistischen und positivistischen Theorien stützt und die konstruktivistischen Ansätze sich in ihrer Abgrenzung und Kritik gerade auf die bestehenden Erklärungsansätze beziehen sowie im Wesentlichen Motive aufgreifen, die die „traditionellen“ Ansätze vernachlässigen (vgl. Ballbach 2016: 392).

Einen realistischen Theorie- bzw. Erklärungsansatz bietet unter anderem V. Cha (Cha 2002; Cha/Kang 2003: 13-403 ). Mit dem Beginn der zweiten Nuklearkrise 2001/2002 lässt sich allgemein eine stärkere (sozial-)wissenschaftlich-analytische und empirische Hinwendung zur Nordkorea-Politik erkennen, während Cha bis dato zurecht ein „glaring hole“ (Cha/Kang 2003: 8) insbesondere im Bereich der Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik Pjöngjangs identifiziert.4 Auch D. Kang (Cha/Kang 2003: 41-69) schildert, dass aufgrund der geringen wissenschaftlichen Befassung lange viel Raum für nicht fundierte, ad-hoc-basierte Analysen geboten wurde, die sich häufig nicht über die schlichte Konstatierung der Irrationalität Pjöngjangs hinaus mit den Motiven des Nuklearstrebens befassten (vgl. Cha/Kang 2003: 64f.).

Entgegen solcher Studien bildet das Werk von Cha und Kang (Cha/Kang 2003) eine der ersten englischsprachigen Studien, die sich analytisch und empirisch fundiert – über die deskriptive Darstellung sowie Diskussion möglicher Handlungs-entscheidungen Pjöngjangs hinaus – mit der Analyse der Motive Nordkoreas hinsichtlich des nuklearen Strebens beschäftigt. Während den Kern der Argumentation zwar eine Policy-Empfehlung der Autoren bildet – beide plädieren im Zuge der damals hochaktuellen zweiten Nuklearkrise 2001/2002 für eine glaubhafte (internationale) diplomatische Einbindung Pjöngjangs (vgl. Cha/Kang 2003: 15ff.; 67ff.) – liegt den Analysen hinsichtlich der Erklärung des nordkoreanischen Verhaltens in der Nuklearfrage ein leicht unterschiedliches theoretisches Verständnis zugrunde. Cha kommt im Zuge eines realistischen Ansatzes zu dem Schluss, dass Nordkoreas Niedergang seit Ende der 1980er-Jahre den Ausschlag für das nukleare Aufrüsten als Instrument für eine „ coercive diplomacy “ gegeben habe. Kangs Erklärungsansatz dahingegen basiert auf den Grundannahmen des defensiven Neorealismus. Er sieht den Grund der nordkoreanischen Nuklearambitionen in den verstärkten Sicherheitsbedenken Nordkoreas nach dem Ende des Kalten Krieges.

Neben diesen „traditionellen“ IB-Ansätzen ist die Bandbreite der Erklärungstheorien in jüngster Zeit insbesondere durch konstruktivistische Ansätze erweitert worden.5 Der Konstruktivismus entstand im Wesentlichen ohnehin als Reaktion auf die, den bestehenden Theorieansätzen vorgeworfenen, Defizite bezüglich der Erklärung des Endes des Kalten Krieges.6 Demzufolge sind gerade die Beiträge zur Situation Nordkoreas, das nach Zusammenbruch der UdSSR vor gewaltigen Herausforderungen stand, aus dem Vorwurf der bisherigen Nichtberücksichtigung zentraler Elemente der komplexen Motivationskette Nordkoreas im Rahmen der „klassischen“ Theorieansätze entstanden. Den Kern des analytischen Interesses bilden im Zuge dessen zunehmend immaterielle Erklärungsfaktoren wie Werte, Normen, Identitäten oder Emotionen (vgl. Ballbach 2016: 392). Annahme ist, dass Nordkoreas Entscheidung, nuklear aufzurüsten, weit über materielle Kosten-Nutzen-Kalkulationen oder strategisch-sicherheitspolitische Motive hinausgeht, vielmehr „as central to its identity“ (Pollack 2011) ist und dies neue Perspektiven für ein tieferes Verständnis des Verhaltens der DVRK bietet.

3. Historische Entwicklung der nordkoreanischen Nuklearambitionen

Zunächst soll ein kurzer historischer Überblick über die Genese der Nuklearkrisen im Zuge der Entwicklung des nordkoreanischen Nuklearprogramms gegeben werden.

3.1 Ursprünge und erste Schritte

Die Ursprünge der nordkoreanischen Nuklearambitionen lassen sich bereits in den 1950er-Jahren nach der Teilung Koreas infolge des Korea-Krieges (1950-1953) mit der Unterzeichnung früher Kooperationsverträge mit der verbündeten ehemaligen Sowjetunion und erster konkreter personeller sowie materieller sowjetischer Lieferungen erkennen (vgl. Oberdorfer 1997: 252).7 Die ersten internationalen und insbesondere US-amerikanischen Bedenken hinsichtlich der Motive der Volksrepublik traten im Zuge der Entdeckung von Reaktorarbeiten im sogenannten Yŏngbyŏn -Atomforschungszentrum, das bereits in den frühen 1960er-Jahren in Betrieb genommen worden war, Anfang der 1970er-Jahre zutage (vgl. Ballbach 2015: 509). Nachdem Nordkorea auf Druck der Sowjetunion bereits 1974 der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) beitrat und ein partielles „Nuclear Safety Management Treaty“, das regelmäßige Inspektionen beinhaltete, unterzeichnete, trat Nordkorea dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag, NVV) letztlich 1985 bei (vgl. Ballbach 2015: 509). Die Unterzeichnung des Safeguards-Abkommen mit der IAEO, welches die Grundlage der Inspektionen im Zeitraum 1992 bis 1993 bildete, sowie die „Gemeinsame Erklärung zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel“ mit Südkorea, konnte nach dem Abzug aller US-Nuklearwaffen aus Südkorea und der Bekräftigung einer Nichtangriffsgarantie, an die Nordkorea weitere Abkommen geknüpft hatte, sowie bis dato beispiellosen bilateralen Dialoginitiativen mit Seoul und Washington schließlich im Jahr 1992 erreicht werden (vgl. Ballbach 2015: 509).

3.2 Am Rande eines Krieges

Infolge des Verdachts auf geheime (Plutonium-)Wiederaufbereitungsanlagen zur Waffenproduktion, der darauffolgenden Zurückweisung geforderter Sonder-inspektionen und der Drohung des Austritts aus der IAEO durch Pjöngjang, kam es zur brenzligen Verschärfung der Auseinandersetzung mit dem Kim-Regime, was die koreanische Halbinsel im Sommer 1994 sogar an den Rande einer militärischen Eskalation führte (vgl. Ballbach 2015: 509f.; Hilpert/Meier 2018: 9). Letztlich konnte dieses Szenario durch ein Treffen des damaligen US-Präsidenten J. Carter und dem ersten nordkoreanischen Machthaber Kim Il Sung abgewendet werden, nachdem Carter für eine Reihe von Zusagen, welche die Versicherung des Verzichts auf einen US-Nuklearschlag und die Lieferung von Schweröl sowie zweier Leichtwasser-reaktoren beinhalteten, im Gegenzug erreichen konnte, dass sich Nordkorea im Genfer Rahmenabkommen 1994 (Agreed Framework) und der nachfolgend neu etablierten Korean Peninsula Energy Development Organization (KEDO) bereit erklärte, seine bisherigen Nuklearaktivitäten einzufrieren, die bestehenden Nuklearanlagen abzubauen und diesen Prozess durch die IAEO überwachen zu lassen (vgl. Ballbach 2015: 510). Schließlich standen die Zeichen, trotz der Tatsache, dass Pjöngjang auch weiterhin Trägersysteme für Atomwaffen exportierte und testete, um die Jahrtausendwende ernsthaft auf Entspannung (vgl. Hilpert/Meier 2018: 9). Im Zuge der formellen Überarbeitung der amerikanischen Nordkoreapolitik und der vom südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung erwirkten Annäherungen mit dem Norden („Sonnenscheinpolitik“) kam es zu mehreren bilateralen Gesprächen – allen voran im Rahmen des Staatsbesuchs der US-Außenministerin M. Albright – zwischen Washington und Pjöngjang (vgl. Ballbach 2015: 510; Hilpert/Suh 2018: 22).

3.3 Ende der Entspannungsperiode und Entwicklungen bis heute

Mit dem Amtsantritt des US-Präsidenten George W. Busch im Januar 2001 lässt sich eine Abkehr von der bis dato forcierten bilateralen Engagements- und Normalisierungspolitik der USA gegenüber Nordkorea feststellen (vgl. Kindermann 2005: 353). Im Zuge des nach den Anschlägen des 11. September deklarierten obersten außenpolitischen Ziels der Bekämpfung des internationalen Terrorismus verhärtete sich die Haltung der Bush-Administration gegenüber Nordkorea, das man als Mitglied der „ axis of evil “ neben der Unterstützung terroristischer Aktivitäten der Betreibung geheimer Anlagen zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen beschuldigte (vgl. Cha 2002: 40; Ballbach 2015: 511). Nachdem Bush die Verachtung Kim Jong-Ils offen zur Schau trug und die Absicht verlauten ließ, die Verhandlungen mit Nordkorea bezüglich dessen Raketenprogramm nicht wiederaufnehmen und den Kampf gegen den Terrorismus notfalls auch präventiv führen zu wollen (vgl. Ballbach 2015: 511), trat Pjöngjang endgültig aus dem NVV aus und bezichtige das Oval Office, die Volksrepublik machtpolitisch erdrücken zu wollen (vgl. The People’s Korea, 09.02.2002). Dies ließe dem Land keine andere Wahl, als sich mit mächtigen Angriffs- und Verteidigungswaffen auszurüsten (vgl. Autorenkollektiv 2004: 32).

Im Herbst 2002 spitzte sich der Konflikt noch weiter zu. US-Vorwürfe, Pjöngjang habe die Existenz eines enthüllten Geheimprogramms zur Herstellung von nuklearen Waffen eingeräumt, wies die Kim-Führung unter der Erklärung, es handle sich um eine Politik der gezielten Unterdrückung Nordkoreas, vehement zurück und reagierte auf die nachfolgende Aussetzung der Schweröllieferungen mit der Ausweisung der IAEO-Inspekteure und der Reaktivierung eines Reaktors in Yŏngbyŏn (vgl. Manyin u.a. 2005; Ballbach 2015: 512). Washington setzte sich daraufhin, unterstützt durch China8, für die Etablierung eines multilateralen Forums unter Einbezug der regionalen Schlüsselmächte ein, während Nordkorea weiter auf eine bilaterale Verhandlungs-lösung pochte (vgl. Ballbach 2015: 512). Doch auch in den arrangierten „Sechs-Parteien-Gesprächen“ (2003-2007) – Verhandlungen, an denen nun zusätzlich Russland, Japan und Südkorea teilnahmen – wurde schnell deutlich, dass Pjöngjang nicht an einer multilateralen politischen Konfliktlösung, an deren Anfang die irreversible Aufgabe des Nuklearprogramms geknüpft wurde, interessiert war, sondern weiter an seiner Vorstellung eines bilateralen Beschlusses mit den USA, der die Zusicherung eines Nichtangriffs sowie eine in erster Linie wirtschaftliche Normalisierung der Beziehungen beinhalten sollte, festhielt (vgl. Bluth 2008: 169; Ballbach 2015: 512f.). Nach der erfolgreichen Verabschiedung einer ersten Verhandlungslösung 2005 reagierte Nordkorea auf das Einfrieren der Konten der Banco Delta Asia (BDA) durch die USA, worunter auch ca. 50 nordkoreanische Konten fielen, mit dem Umschwenken auf eine autonomiemaximierende Außenpolitik (vgl. Ballbach 2013: 215-239). Die erstmalige offizielle Bestätigung Nordkoreas, den Status einer Nuklearmacht erreicht zu haben, der erste Nukleartest 2006 sowie die nachfolgend verhängten UN-Resolutionen, welche verschärfende finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen beinhalteten, bedeuteten schließlich eine neue Qualität der Spannungen und markierten den Tiefpunkt der bis dato umgesetzten Bemühungen der von den USA geführten internationalen Staatengemeinschaft, durch diplomatischen Dialog das Nuklearstreben der DVRK zu verhindern (vgl. Hak-soon 2007: 26; Ballbach 2015: 513). Trotzdem konnten die Gespräche 2007 wiederaufgenommen und mit dem „February 13 Agreement“ ein beachtenswerter Durchbruch hinsichtlich der Denuklearisierung Nordkoreas erzielt werden. Nordkorea gewährte einem Expertenteam Zugang zu den Yŏngbyŏn -Anlagen, erklärte sich zur deren Abschaltung bereit9 und händigte ein Dokumentenpaket mit Informationen über das Nuklearprogramm an die Vereinigten Staaten aus (vgl. Ballbach 2015: 514). Im Gegenzug verpflichteten sich die USA und Japan zu Sicherheitsgarantien, Hilfs- und Schweröllieferungen sowie der Aufnahme bilateraler Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen (vgl. Hilpert/Meier 2018: 9).

Trotz dieser zahlreichen diplomatischen Bemühungen in den vergangenen 30 Jahren kam es seitdem – nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur Etablierung eines Verifikationsmechanismus, wodurch der Prozess ab Ende 2008 ins Stocken geriet – zu zahlreichen Raketen- und Nukleartests (2009, 2013, 2016, 2017) sowie dem Ausstieg der DVRK aus den Six-Party-Talks 2009, was erneute Sanktionen und den Stillstand der Verhandlungen zur Nuklearfrage zur Folge hatte (vgl. Ballbach 2015: 514f.; Shin 2009: 1). Insbesondere seitdem Kim Jong-Un 2011 die Macht in dritter Generation übernommen hat, wurden die Nuklear- und Raketenprogramme beschleunigt. Zieht man nun in die Betrachtung mit ein, dass sich das Land in seiner überarbeiteten Verfassung seit 2012 auch konstitutionell erstmals selbst als Nuklearstaat bezeichnet und gerade in den vergangenen Wochen wieder häufiger Raketentests durchgeführt wurden (März und April 2020), dann scheinen damit – dem Tweet D. Trumps10 nach seinem Treffen mit Kim Jong-Un, der sein Moratorium zur Aussetzung von Atomtests vom Sommer 2018 Anfang des Jahres 2020 für beendet erklärte, zum Trotz – (vorerst) alle Zweifel am Nuklearstreben ausgeräumt zu sein (vgl. Ballbach 2018: 14; Ballbach 2016: 392, 400).

[...]


1 Einen ausführlichen Überblick über die Forschungsliteratur etwa bei: Lynn, Gillian Goh Hui 2006: Seeing beyond the Security Imperative: Rethinking North Korea’s Motivations for a Nuclear Program. In: Lee Kuan Yew School of Public Policy Faculty Working Papers 11; Ballbach, Eric J. 2015: Identität/Macht/Politik: Die Nuklearkrise und Nordkoreas Außenpolitik. In: Eun-Jeung, Lee/Mosler, Hannes B. (Hgg.): Länderbericht Korea. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 453-468, v.a. 515ff.

2 Vgl. etwa bei: Pritchard, Charles L. 2007: Failed Diplomacy. The Tragic Story of how North Korea got the Bomb. Washington: Brookings Institution Press; Funabashi, Yoichi 2007: The Peninsula Question: A Chronicle of the Second Nuclear Crisis. Washington: Brookings Institution Press; Hilpert, Hanns Günther/Meier, Oliver 2018 (Hgg.): Facetten des Nordkorea-Konflikts. Akteure, Problemlagen und Europas Interessen. SWP-Studie 18/2018. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, online verfügbar unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/59930. Ein zentrales Problem im Hinblick auf eine fundierte Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik Nordkoreas liegt darin, dass diese Arbeiten in der Regel ein konventionelles Verständnis von Außenpolitik zugrunde legen.

3 Dieser Beitrag Chas im Werk von Cha und Kang stellt eine überarbeitete Version des Aufsatzes Cha 2002 dar und unterscheidet sich im Kern nur wenig von ersterem.

4 Anmerkungen zum Trend der bis dato „unwissenschaftlichen“ Betrachtungen Nordkoreas im Hinblick auf das Nuklearstreben etwa bei: Haggard, Stephan 2004: The Balance of Power, Globalization, and Democracy: International Relations Theory in Northeast Asia. In: Journal of East Asian Studies 4/1, 1-38.

5 Anzuführen sind hier etwa: Hymans, Jaques E.C. 2008: Assessing North Korean Nuclear Intentions and Capacities: A New Approach. In: Journal of East Asian Studies 8/2, 259-292; Chull, Kim Sung 2009: Identity, Critical Junctures, and Adaptation: North Korea’s Path to Nuclear Diplomacy. Paper prepared for the Annual Meeting of the American Political Science Association. Toronto, September 3-6; Sook-Ok, Shin 2009: North Korea’s Nuclear Ambition and Identity Politics: The Security Dilemma in the Six-Party Talks. Paper prepared for the Annual Meeting of the American Political Science Association. Toronto, September 3-6; Pollack, Jonathan D. 2011: No Exit: North Korea, Nuclear Weapons and International Security. New York: Routledge; Ballbach 2014.

6 Diskussion der bis dato dominierenden traditionellen Ansätze etwa bei: Hymans, Jaques E.C. 2006: Theories of Nuclear Proliferation: The State of the Field. In: The Nonprofileration Review 13/3, 455-465.

7 Eine detaillierte, allumfassende Darstellung der historischen Entwicklung des nordkoreanischen Nuklearstrebens etwa bei: Mansourov, Alexandre Y. 2004: North Korea’s Road to the Atomic Bomb. In: International Journal of Korean Unification studies 13/1, 21-58.

8 Zur Rolle Chinas, das als proaktiver Mediator die weit auseinanderliegenden Positionen zu überbrücken und diplomatische Prozesse im Verlauf der zweiten Nuklearkrise zu initiieren versuchte, um eine militärische Eskalation in Nordostasien unbedingt zu vermeiden etwa bei: Kim, Samuel S. 2006: China’s Conflict-Management Approach to the Nuclear Standoff on the Korean Peninsula. In: Asian Perspective 30/1, 5-38.

9 Dazu gehörte u.a. die medienwirksame Sprengung eines Kühlturms in der Yŏngbyŏn -Anlage 2008.

10 Vgl. dazu bei: Donald J. Trump 13.06.2018: twitter.com, https://twitter.com/realDonaldTrump/status/ 1006837823469735936 (Zugriff am 18.02.2020). Trump schrieb, Nordkorea stelle nun keine nukleare Bedrohung mehr für die USA dar. Dahingegen verweist ein Großteil der Beobachter darauf, dass Pjöngjang – entgegen der Aussage Trumps – keine konkreten Abrüstungsschritte in Aussicht gestellt hatte und weiterhin im Besitz von Nuklearwaffen sei (Hilpert u.a. 2018: 7).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Nordkoreas Nuklearpolitik. Motive der Außen- und Sicherheitspolitik
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Einführung in die Internationalen Beziehungen
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
25
Katalognummer
V956399
ISBN (eBook)
9783346300713
ISBN (Buch)
9783346300720
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nordkorea, Nuklearfrage, Internationale Beziehungen, Pjöngjang, Asien, Ferner Osten, Nuklearstreben, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Internationale Politik, Theorie der Internationalen Beziehungen, Neorealismus, Realismus, Konstruktivismus, Poststrukuralismus
Arbeit zitieren
Yannick Uppenbrink (Autor:in), 2020, Nordkoreas Nuklearpolitik. Motive der Außen- und Sicherheitspolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/956399

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