Ricardo Palmas Tradiciones über die Inkazeit


Hausarbeit, 1998

13 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


1. Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit sind Ricardo PalmasTradiciones,welche den geschichtlichen Stoff der Inkazeit als Grundlage haben. In der AusgabeTradiciones peruanas completas, hrsg. v. Edith Palma fallen der zeitlichen Einteilung nach sechsTradicionesin die Epoche der Inkazeit. Drei davon können unmittelbar inhaltlich mit dieser Periode in Verbindung ge-bracht werden:La gruta de las maravillas, La achirana del incaundPalla-Huarcuna.Die anderen dreiTradicionesfallen zwar in den gleichen Zeitrahmen, setzen sich aber in erster Linie mit der Machtübernahme durch die Spanier, also dem Übergang zumVirreinato,oder mit der Überlistung des letzten Inkaherrschers Atahualpa durch Pizarro auseinander.

Ziel der Arbeit ist es unter Berücksichtigung zentraler Forschungsstandpunkte dieTradicionesder Inkazeit im Rahmen des Gesamtwerkes Palmas vergleichend zu betrachten und eine Stellungnahme zur literarischen und kulturellen Wirkung seines Oeuvres zu entwickeln.

Das folgende Kapitel über die geschichtlichen Hinter-gründe setzt sich des Umfangs wegen nicht zum Ziel, der Arbeit einen objektiv geschichtlichen Unterbau zu geben und in dieTradicioneseingegangene Tatsachen kritisch zu be-trachten, sondern es soll einige Aspekte, die für die dreiTradicionesder Inkazeit relevant sind, lediglich zur Verdeutlichung des geschichtlichen Kontextes des " Textes der Geschichte ", hervorheben. Der zweite Abschnitt spricht einige Punkte zur Epoche desVirreinato an, jedoch nur insofern sie in Beziehung zu den hier behandeltenTradiciones stehen, oder wenn sie für Palmas Geschichtsbild der Inkazeit von Bedeutung sind.

Das dritte Kapitel bespricht drei Aspekte des literari-schen Werks Palmas, die im allgemeinen dieTradicionescha-rakterisieren und im besonderen im vierten Kapitel am Bei-spiel der drei erwähntenTradicioneserörtert werden sollen. Während das dritte Kapitel auf Sekundärliteratur eingeht, konzentriert sich das vierte Kapitel auf die Texte derTradiciones.

2. Geschichtliche Hintergründe

2.1. Das inkaische Peru

Durch den Zusammenschluß mehrerer Fürstentümer um 1000 und 1200 im Gebiet des späteren Tawantinsuyu begannen sich die Machtverhältnisse im Inkareich zunehmend zu konsolidieren. Während vor dieser Zeit mehr oder weniger lose Verbünde von Stämmen und Dörfern von Jägern, Fischern und Sammlern bestan- den, machte die Entwicklung von Landwirtschaft, handwerkli-chen Techniken und Straßenbau eine Ausweitung, Bürokratisie-rung und Stabilisierung des Herrschaftsbereichs möglich. Mit den ersten entscheidenden Siegen des Inkaherrschers Pacha-cútec Yupanqui (1438-1471) setzte die imperialistische Phase ein, woraufhin sich das Reich enorm ausgedehnte, dementspre-chend straff organisiert wurde und gewisse totalitäre Züge annahm. In den drei hier behandelten Tradicioneshat Palma diese Tatsachen eingebracht. Jeweils drei Herrscher, nämlich Mayta Capac, Pachacutec und Tupac-Yupanqui, werden als Herrscher geschildert, die entweder einen Eroberungsfeldzug führen oder in Ausübung ihrer Macht ihr Herrschaftsgebiet durchreisen. Über die Art und Weise der Herrschaftsausübung kann man sich bei den ersten Inkaherrschern nur auf Legenden und Erzählungen berufen. Die Rekonstruktion einer Geschichte nach geschichtlichen Tatsachen wird noch dadurch erschwert, daß die frühe Geschichte der Inka durch "ihre in früher Kolonialzeit aufgezeichnete Herrschaftsideologie mit mythi-schen Schöpfungsereignissen vermischt ist" Dies bedeutet für die Figuren in den Tradiciones,daß über Mayta Capac schwer objektive Tatsachen zu gewinnen sind, da die Möglichkeit absoluter Datierung erst mit dem Beginn der Herrschaft Pacha- cutecs einsetzen kann. Was Pachacutec und seinen Sohn Tupac Yupanqui angeht, so können sowohl geschichtliche Tatsachen, als auch volkstümliche Erzählung zu der Rekonstruktion der geschichtlichen Figur beitragen. Wie Ricardo Palma diese Figuren in ihrem geschichtlichen Kontext beschreibt, wird weiter vorne besprochen werden. Zunächst werden noch einige Punkte zur Kolonialzeit Erwähnung finden müssen, da die Zeit desVirreinatound die darauffolgendeIndependenciadas eigentliche Interesse Palmas auf sich zogen, was man nicht zuletzt an der Anzahl der Tradiciones, die er den jeweiligen Themen gewidmet hat, erkennen kann.

2.2. Von der Kolonialzeit zur Independencia

Wenn man sich nach Palmas Bild von der Epoche desVirreinatofragt, so stellt man fest, daß es nicht so einfach ist, ihm eine eindeutige politische Position zuzuordnen. Palma erlebte als Kind das Land in seiner schwierigen Phase der Autonomi-sierung und des Aufbaus eigener politischer, sozialer und wirtschaftlicher Strukturen. Mit dem Ende der spanischen Hegemonie begann für Peru eine Neubesinnung auf Werte und Geschichte des eigenen Volkes, die zuvor von den Spaniern unterdrückt worden

waren. Dies hatte zur Folge, daß die kulturellen Werte dieser Zeit teils radikal verachtet und jeder Befürworter jener Ära als konservativer Gegner der neuen Reformbemühungen gescholten wurde. In dieser Hinsicht lag eine Diskrepanz zwischen differenzierender Akzeptanz des überlieferten Traditionsguts und radikaler Ablehnung dieser Werte vor.

Den Beginn desVirreinatobringt man mit der Eroberung Perus durch die Spanier, insbesondere durch Francisco Pi-zarro, in Verbindung. Als Pizarro 1532 in Peru landete, hatte Atahualpa gerade erst einen Bürgerkrieg um die Nachfolge des Inka gegen seinen Rivalen Huascar zu seinen Gunsten entschie-den. Dennoch war das Land durch den Bürgerkrieg zerrüttet, und die zentralistische Staatsform erlaubte mittels geschick-ter Eliminierung der inkaischen Elite die rasche Machtüber-nahme und somit begann für das peruanische Volk eine Zeit der Unterjochung, die weitgehend vom Interesse der spanischen Krone an den reichen Bodenschätzen des Landes bestimmt wurde. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß dem Volk dabei die spanische Sprache aufoktruiert wurde, und daß "das Ver-hältnis von Spaniern und Indianern in Peru (wie auch sonst in Lateinamerika) von Anfang an ein feindliches war und die Indianer sich immer wieder erhoben, um die Fremdherrschaft abzuschütteln." Aber man kann zusammenfassend sagen, daß das Nebeneinander dieser beiden essentiell verschiedenen Kulturen das Entstehen neuer Kulturmuster ermöglichten und somit für das Verständnis Palmas sich die Verschmelzung von Altherge-brachtem mit materiellen und geistigen Elementen europäischer Herkunft als konstituierend erweist.

3. Das literarische Werk Ricardo Palmas

3.1. Ein Meister der Ironie

Unangesehen der literarischen Funktion ist die Ironie zu-nächst ein Stilmittel, das etwas sagt und dabei etwas anderes meint. Dieses Andere ist transparent, das heißt, der Leser kann die Ironie erkennen und dadurch eine distanzierte Hal-tung zum Gegenstand einnehmen. DieTradicioneshaben auf Grund ihrer Kürze und Geschlossenheit in den meisten Fällen einen leicht einzugrenzenden Gegenstand. Es wäre diesbezüg-lich verfehlt, anzunehmen, daß Palma die Ironie einsetzt, um sich über den behandelten Gegenstand zu erheben. Diese ein-fachste Form der Ironie wird meist gebraucht, wenn der Gegen-stand für den sachverhaltgemäßen Ausdruck zu banal erscheint und darum die Anspielung auf das Gegenteil die eigene Überlegenheit hervorzuheben beabsichtigt. Bei Ricardo Palma ist die Absicht jedoch eine ganz andere. Palma ist sich seiner ironischen Schreibweise bewußt und betont zum Beispiel in derTradición: Rey del Monte:

"[...]no son asuntos para artículos del carácter ligero de mis Tradiciones."

Ruft man sich diese zentrale Haltung Palmas in Erinnerung, dann ist leicht einzusehen, daß sich Palma der Schwierigkeit eines sorgfältigen und bewußten Umgangs mit dem Stilmittel der Ironie bewußt erweist. In dieser Hinsicht kann die Ironie entweder den Ernst einer Sache vollkommen verfehlen oder in polemischer Grundhaltung mehr intellektuelle Hilflosigkeit, als Erhabenheit über den Gegenstand darstellen. In Anlehnung an Gonzáles Prada, hat man Palmareaccionarismo, pasadismoundtradicionalismo ultraderechistavorgeworfen. Auch seine Ironie wurde in dieser Linie verurteilt. Diese scharfe Kritik sieht Anreu bei vielen Autoren vertreten und beschreibt sie mit den Worten:

"Serious issues he avoided, human suffering is glossedover or diluted by humour, and the social criticism, hidden behind a smiling irony, is never openly offensive and rarely goes beyond the level of street-corner murmuring."

Andreu ist einer der Apologeten des Werks Palmas, da er in ihm die Dimension eines Autors erkennt, der entgegen der Abgrenzung des literarischen Kanons der gebildeten Gesell-schaftsschicht volkstümliche Erzählung zu Wort kommen läßt und somit die Bedürfnisse und Wertvorstellung der sozial niedereren Schichten anspricht. Bei Oviedo und Alberto Sánchez sieht er die Vorwürfe gegen die Ironie Palmas in paradigmatischer Form vertreten:

"Culpan al escritor de que se mantenga siempre a nivel de la broma, de la sonrisa, sin profundizar ni entrar en lo esencial."

Er verteidigt also Palma und sieht die Diskussion um sein literarisches Werk als Bestätigung, daß es sich um einenmito del lenguaje palmiano8 handelt.

Die Ironie und humoristische Schreibweise kam nicht von ungefähr, sondern war in der "costumbristischen" Schreibweise verwurzelt, die vielerseits als oberflächlich und flach abgeurteilt wurde. Martínez-Tolentino und Andreu berufen sich beide auf Mikhail Bakhtin und betonen, daß Palma auf diese Weise die Nähe zum Volk erreichte, und daß die Verurteilung des "costumbristischen" Schreibstils eine Verwechslung vonliteratura cultaundliteratura popularsei. Im Kapitel über Palmas Geschichtsauffassung soll die damit verbundene Absicht noch eingehender behandelt werden. An dieser Stelle interessiert lediglich, daß diese Art humoristischen Schreibens bewußt von Palma dem Zeitgeist gemäß gewählt ist, da sie ihm die Nähe zu einer breiten Leserschaft garantiert und nicht, wie man annehmen könnte, weil es sich um einen avantgardistischen Stil handelte.

"the greatest vogue in the decades after Independence should be the essentially journalistic form of the costumbrist sketch."

Man kann allerdings annehmen, daß es Palma nicht in erster Linie um Belustigung seiner Leser ging. Dagegen spricht das didaktische Element im Werke Palmas, das immer die Absicht der Vermittlung konkreter, wissenswerter Tatsachen in sich birgt. Außerdem urteilt eine derart allgemein gehaltene Kritik an denTradicionesüber die inhaltliche und stili-stische Vielfalt der einzelnen Variationen hinweg. In gleicher Weise, wie solche Kritik Gefahr läuft, die Viel-schichtigkeit derTradicioneszu verkennen, erweist es sich als problematisch, die Ironie bei Palma als eine einheit- liche, nicht-differenzierte einzuordnen, und Palma sozusagen vorzuhalten, er könne die Angemessenheit der Ironie nicht einschätzen und würde damit menschliches Leiden humorvoll verschleiern. Es können unzählige Beispiele wie beispiels-weise dieTradición: Los buscadores de entierrosangeführt werden, in welcher eine vehemente moralische Verurteilung der skrupellosen Grabplünderung und der rücksichtslosen Geldgier vor dem Hintergrund einer amüsanten Geschichte vom Goldrausch gepackter Kapitalisten, die sich von in spanischen Gefängnis-sen fabrizierten Schatzkarten in die Irre leiten lassen, verborgen liegt. In dieserTradición liegt das besondere der Ironie darin, daß sie entgegen der verzweifelten Ohnmacht gegenüber menschlicher Geldgier, in erstaunlicher Leichtig-keit die Absurdität aufzeigt, die solch ein menschliches Verhalten beinhaltet. Skrupellose Schändung des Volkserbes - was im Französischen mit dem vielschichtigen Begriffpatrimoine bezeichnet wird - entbehrt ungeachtet der sonst humorvollen Geschichte aller Ironie:

"No hace un cuarto de siglo que, con anuencia ministerial, se organizóen Lima una sociedad para buscar tesoros en San Pedro, y en un tumbo de dado estuvo que derrumbasen la monumental iglesia. Y derrumbada habría quedado por los siglos."

Dies zeigt mit aller Deutlichkeit, daß Palma die Ironie nicht unreflektiert um der Wirkung willen gebraucht, sondern daß er sie mit Feingefühl einsetzt, wo sie mehr als der unmittelbare Ausdruck Groteskes und Absurdes darstellen kann. Die Ironie Ricardo Palmas ist mehr als Satire, nämlich eine Art Raffinesse, die die Grundsubstanz allen Humors ist. Lamour hat also recht, wenn er in seinem Aufsatz auf die Besonder-heit Palmas Ironie hinweist:

"L'ironie satirique, quand elle est au premier plan, repose sur un sentiment de

superiorité[...] Ricardo Palma atteint un degrésupérieur, infiniment plus raffiné, quiest celui de l'humour."

Palma läßt verschiedene Absichten erkennen, die die Ironie nicht von selbst mit sich bringt. Zunächst der Aspekt der Geschichtsvermittlung, der weiter vorne angesprochen wird, dann die an das Volk gerichtete Anregung zu konstruktivem Nachdenken, und darüber hinaus ein literarisches Konzept, das auf die sozialen Verhältnisse besonders eingeht.

"[...]la parodia trajo consigo la desnivelación: degrada todo lo que es alto, espiritual e idealizado, y lo remontaba a la esfera de lo mundano. Por otro lado, elevaba, espiritualizando, todo aquello considerado por los canones tradicionales como lo vulgar y lo ordinario."

Und um diese Kunst des Humors zu beherrschen, muß der Künstler sich selbst zum Objekt seiner Ironie machen - Lamour nennt diesauto-ironie -,das heißt er muß sich über sich selbst und seine eigene Eitelkeit erheben können. Woher rührt nun eigentlich diese Selbstironisierung, die in Palmas Werk eine sehr wesentliche Rolle spielt? Robert Bazin weist in seinem Aufsatz auf die drei entscheidentsten Krisen im Leben Palmas hin und macht deutlich, wie sehr Palma phasenweise vom politischen und kulturellen Leben -que no proporciona sino sinsabores y desengaños- enttäuscht war. Bazin charakterisiert den Umgang Palmas mit dieser Enttäuschung als"vie de prose, le mieux est d'en rire. Mais vie de prose n'est pas forcément vie sans drame ni sans crise.", und unterstützt damit die Behauptung, daß Palma nicht willkürlich jeden Gegenstand der Ironie preisgibt, sondern daß er auf feinfühlige Weise mit der niederschlagenden Aporie umgeht, die ihm jahrelange Erfahrung in der Politik offenbart hat.

3.2. Palmas literarische Geschichtsschreibung

Es muß nicht näher erläutert werden, daß die Geschichte keine einheitlich überlieferte Ganzheit ist, sondern daß sie über eine notwendig-zeitliche Auslese und menschliche Interpre-tation, Hervorhebung und Vergessen in jeder Epoche auf unterschiedliche Weise definiert wird. Während die europä-ische Geschichtsschreibung des späten 19. Jahrhunderts sich zum Ziel gesetzt hatte, die verfälschenden subjektiven Fak-toren methodisch auszumerzen, um so ein objektives Geschichtsbild zu erstellen, zeichnet die Herangehensweise Ricardo Palmas sich durch einen betont subjektiven und spielerischen Umgang mit Geschichte aus. Es soll damit nicht über den wesentlichen Unterschied von Geschichtsschreibung und Literatur hinweggetäuscht werden. Es ist ein konstitu- ierendes Element der Literatur, daß sie abstrahiert, ver-zerrt, übertreibt, vertauscht und sich in einem Raum zwischen Fiktion und Wirklichkeit frei bewegt. Aber paradoxerweise ist es gerade dieser "verfälschende" Aspekt der Literatur, der dem Leser auf eine besondere Weise die historische Wirklich-keit erschließen kann. Nun ist es bekanntermaßen eines der zentralen Stilmittel Ricardo Palmas, Jahreszahlen, Ereignisse und Namen heranzuziehen, die dem Leser den Eindruck von Objektivität vermitteln. In dieser Hinsicht kann man davon ausgehen, daß es ihm sehr wichtig war, von seinem Lesepubli-kum auch als Chronist, also als Geschichtsschreiber ernst-genommen zu werden.

"Conquête du public par l'humour, c'est un souci de chroniqueur, et Palmaétait unchoroniqueur."

Für andere war er dies gerade nicht. Es wurde ihm vorgeworfen geschichtliche Tatsachen zu verfälschen und dem Volk eine romantisch verklärte Vorstellung von der Zeit der spanischen Vormachtstellung zu vermitteln. Wie die Vorüberlegungen über den geschichtlichen Hintergrund angedeutet haben, muß man bedenken, daß Palma die Zeit desVirreinatonicht miterlebt hat. Etwa 10 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung Perus geboren erlebte er als Kind das Land in voller Aufbauphase. Folglich konnte er auf unmittelbare Erlebnisse nicht zurück-greifen. In seineTradicionesgehen sowohl geschichtliche Tatsachen, als auch traditionelles, volkstümliches Wissen ein. Letzteres dergestalt, daß er dem Leser oft ein Schmunzeln abgewinnt und eine gewisse Nostalgie hervorruft. Auch dies wurde ihm zum Vorwurf gemacht, aber auch gegen diesen wurde er verteidigt:

"The accusation frequently levelled against him that he helped create a nostalgic myth of a colonial arcadia hardly seems justified, therefore, on the evidence of the 'tradiciones' themselves."

Wie gesagt obliegt der Literatur nicht die Aufgabe objektiver Erfassung von Tatsachen, so daß man den Vorwurf vorbringen könnte, Palma verfälsche die Geschichte. Die Beschuldigung zielt in den meisten Fällen auf das Stilmittel Palmas, die Daten und Fakten in seineTradicionesso einzuweben, daß sie dem Schein von Objektivität zuträglich sind. Gonzales Prada war einer der intellektuellen Widersacher Palmas. Bazin hebt die Attacken Pradas gegen Palma sogar als eine der drei ein- schneidensten Krisen in seinem Leben hervor. Die Angriffe gegen Palma, wie sie äußerst polemisch von Gonzales Prada vorgebracht wurden, waren in der Tat radikal:

Para Gonzales Prada, las tradiciones no eran ni historia ni cuento, sino una 'falsificación...de la historia' y una caricatura...de la novela."

Die Diskussion um die Angemessenheit dieses Vorwurfs würde zu keiner Lösung kommen, wenn man nicht die eigentliche Frage auf den künstlerisch literarischen Wert derTradicioneslenkt. Diese Frage soll im folgenden Kapitel behandelt wer-den, in welchem ein Teil der hier behandelten Frage weiter-gehend beantwortet wird. Denn wenn Ricardo Palma in die pe-ruanische Literaturgeschichte als Romantiker eingereiht wird, dann ist dieser Aspekt auch relevant für die Geschichtsauf-fassung.

3.3. Ricardo Palma als Romantiker

Man darf nicht den Fehler begehen, die europäische Romantik undifferenziert auf die Romantik Perus zu übertragen. Aber gewisse Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen, die auch in Peru, wenn auch in anderer Form, ihre Wirkung gezeigt haben. In Europa ist die Romantik im Rahmen des politischen Übergangs von der Aristokratie auf das Bürgertum zu ver-stehen. Was Ricardo Palma betrifft, so kann man den Wert seines Werkes kappen, wenn man ihn als Romantiker aburteilt, und ihm Verherrlichung der alten politischen Ordnung vorwirft. DieTradiciones del Peru independientesprechen eindeutig dagegen. Sie weisen eine sehr kritische und natürlich ironisierende Darstellung der spanientreuen Figuren auf und zeigen des weiteren, daß Palma eine sehr argwöhnische Haltung politischer Macht gegenüber vertritt.

Der Vorwurf, wie er gegen Vertreter der Romantik vorgebracht wird, läßt sich zusammenfassend auf den Punkt bringen, daß sie die Realität - Realität ist hier im engeren Sinn des Wortes als Abfolge von Tatsachen gemeint, denn eigentlich ist der Begriff in der Literaturwissenschaft problematisch - auf Grund einer bestimmten Ideologie verfälschen würden. Diese Ideologie wird meist umrissen als eine auf subjektiven Empfindungen basierende hochstilisierte Weltanschauung, die den unmittelbaren Gefühlen, wie auch der Nostalgie zum Beispiel, Zugang gewährt. Die Geschichte wäre in dieser Hinsicht eine Art Zufluchtsort für diejenigen, welchen die Gegenwart keine Handlungsmöglichkeiten mehr einräumt. Im Falle Palmas ist dies am Beispiel der Geschichte leicht einzusehen, denn die "trockene" Geschichte, die geschickt verpackt auch dem gemeinen Volk Interesse abgewinnen will, wird ganz offenbar verzerrt, und der Vorwurf läßt sich auf den selben Ursprung, wie der der Kritik an der Ironie Palmas, zurückführen, nämlich daß er keinen Gegenstand der Lächer-lichkeit preiszugeben scheue. Aber selbst Higgins, der ihn, wie bereits zitiert, die Ironie betreffend tadelte, vertei-digt ihn gegen diesen Einwand:

"[...]the distinctive form of the tradición, a chatty anecdote recounting episodes fromnation's history with a rouguish, down-to-earth humour that has little in common withmelodramatic Romantic idealisations of the past"

Vor allem das politische Engagement spricht gegen die Abur-teilung Palmas zum verklärten Romantiker, und man könnte in dieser Hinsicht davon ausgehen, daß "[...]trois grandes crises ont fait conaîtreàRicardo Palma la saveur de l'amertume."

Higgins dagegen bringt gerade das Argument der Enttäuschung Palmas von der Politik vor, um davon Palmas Realitätsflucht zu deduzieren:

"It would seem that in part the past represented for Palma a form of escapism. [...] Inhistory and literature he found refuge from personal disappointments and from the depressing reality of contemporary politics, with which he had become progressively disillusioned after years of active involvement."

Aber es ist wichtig, zu erkennen, daß die gleichen Gesichts-punkte auch genau

entgegengesetzt interpretiert werden kön-nen, wie beispielsweise von Oviedo, den Martínez-Tolentino treffend zitiert:

[Palma tenía] la posibilidad artística de contar la historia de un modo original, a su manera. Palma veía en el pasado nacional lo que ningún 'bohemio' alcanzóa ver: la poesía de la historia misma, el raro encanto de mirar hacia atrás y encontrarse con imágenes consabidas..."

Angesichts dieser gegensätzlichen Positionen wird verständ-lich, warum, wie auch im letzten Kapitel schon angedeutet, die Beurteilung des literarischen Werkes nur im Spannungsbo-gen zwischen dieser politisch-philosophischen Diskussion und der Debatte um den ästhetischen Wert des Werkes stattfinden kann. Das bedeutet, daß stilistische und strukturelle Elemente, sowie die Gesamtheit sprachlicher Konstruktion sich nicht unter ersterem Diskurs begraben lassen dürfen. Es erweist sich oftmals, daß die Seite selbst, die die Vorwürfe vorgebracht hat, einer fraglichen Ideologie verhaftet war, und den ästhetisch-künstlerischen Wert übergangen hat. Aber auch dieser Aspekt wird bei Palma in Frage gestellt:

"Si fuéramos a aceptar la opinión de Oviedo en cuanto a la estructura, el estilo y elvocabulario de las Tradiciones peruanas, tendríamos que concluir que no se trata de una gran obra literaria."

Das Argument, daß die Zeit die wirkliche Auslese vollbringe, und daß die Tatsache allein, daß ein Werk zu einem litera-rischen Kanon gehört, seinen Stellenwert legitimiere, ist selbstverständlich nicht Grund genug, PalmasTradiciones, die ohnehin sich nicht der größten Popularität erfreuen, als wertvollen Bestandteil der Literaturgeschichte zu bezeichnen. Aber wenn die in den letzten drei Kapiteln besprochenen Aspekte weiterhin zur Sprache gebracht werden, so zeugt dies doch von einer einmaligen Bedeutung derTradiciones peruanas.

4. Drei ausgewählte Tradiciones über die Inka-Zeit

In den folgenden drei Abschnitten sollen die im dritten Kapitel besprochenen Aspekte in bezug auf dieTradiciones derInkazeit überprüft werden. Es stellt sich die Frage, wie die Ironie, Palmas Geschichtsbild und romantische Elemente in diese Tradicioneseingehen.Dabei sollen auch die Struktur und stilistische Besonderheiten Erwähnung finden.

4.1. La gruta de las maravillas

DieTradición: La gruta de las maravillasist klar struktu-riert. Sie beginnt mit einem kurzen Abschnitt, der einführend eine Art "Touristenatraktion", nämlich die in der Überschrift genanntegruta de las maravillasin der Provinz Chumbiro, die ein prodigio de la Naturalezaist, beschreibt. Nach diesem Abschnitt folgt die Überleitung, mit der der Erzähler angibt, eine volkstümliche Erzählung zu referieren:

"Ahora referimos la leyenda que cuenta el pueblo sobre la gruta de las maravillas."

Daraufhin folgt die Erzählung, die die Legende berichtet, wie die prachtvolle Höhle entstanden ist. Am Ende wird sie abge-schlossen mit den Worten:

"Tal es la leyenda de la gruta maravillosa"

Dadurch erlangt dieseTradiciónihre geschlossene Form, denn sie wird durch den einleitenden und den Schlußsatz eingerahmt.

Stilistisch fällt sofort das Fehlen der gewohnten Ironie auf. Ganz zu Beginn herrscht sogar der Eindruck vor, es han-dele sich um eine schlichte Beschreibung ohne jeden Unterhal-tungsanspruch. Palma verwendet eine sachliche und einfache Sprache, die sich lediglich einiger Wendungen bedient, die einen herzlichen und dem Leser nahestehenden Eindruck vermitteln. Er beschreibt beispielsweise die Flucht Huacaris und seiner Soldaten vor dem Inkaherrscher Mayta-Capac derge-stalt, daß dem Leser doch ein amüsantes Bild dargebracht wird, wie es sicherlich nicht die Art objektiver Geschichts-schreibung ausmachen würde:

"La invasión del puente, el primero que se vióen América dejo admirados a los vasallos de Huacari e infundióen susánimos tan supersticioso terror, que muchos,arrojando las armas, emprendieron una fuga vergonzosa."

Gegen Ende der Legende, als der Erzähler die Pracht der Sta-lagmiten und Stalagtiten hervorhebt, wird auch die Sprache preziöser und verleiht der Geschichte einen leicht romanti-schen Anstrich.

Die bereits zitierte Einleitung, die angibt, daß diese Legende das Volk erzählt, zieht zum einen die Konsequenz nach sich, daß die Erzählinstanz in bezüglich ihrer tragenden Funktion in den Hintergrund gerückt wird, und vermittelt des weiteren den Eindruck von mündlicher Überlieferungstradition.

Dennoch taucht auch in dieserTradiciónder Erzähler als Historiker und Chronist auf, der konkrete Daten und historische Figuren explizit nennt. Er kombiniert dabei Gegenwartsgeschichte mit der Geschichte der Inka dadurch, daß er zu Beginn die namhaften Ex-Presidenten Perus aufzählt, die die Höhle besichtigten und ihre Namen in die Felsen ritzten: Castilla, Vivanco, San Román und Pezet. Wie schon im Kapitel über die Inkageschichte erwähnt, ist es schwer, diese klar zu rekonstruieren, weil sich mythische Ursprungslegenden mit geschichtlichen Tatsachen vermischen. Mayta-Capac, der in dieserTradicióneinen Eroberungszug anführt, gehört zu der frühen Phase der zweiten Dynastie vor Pachacutec. Dennoch verleiht der Erzähler der Geschichte Authentizität, indem er mit Einschüben, wie:"dicen los historiadores" auf wissen-schaftliche Autorität verweist, die die Glaubwürdigkeit der geschichtlichen Implikationen konsolidieren sollen. Außerdem verweisen genaue Jahreszahlen auf historische Fakten:"Por los años 1181 de la era cristiana Mayta-Capac emprendióla conquista".Was den Hergang der Eroberung und die damit verbundene phantastische Erzählung betrifft, so hält sicht der Erzähler präzise an die chronologische Handlungsfolge.

Was die inhaltliche Seite anbelangt, so bringt es schon die Kürze dieserTradiciónmit sich, daß nur wenige Teil-aspekte der Geschichte angerissen werden können. Dies ist zum einen der Aspekt der imperialistischen Phase und der Ausdeh-nung des Herrschaftsbereichs, wobei hier der provisorische Brückenbau die eindeutige technische Überlegenheit der Inka zeigt. Ebenso die beiläufige Erwähnung, daß Mayta-Capac"una calzada de piedra, de tres leguas de largo y seis varas de ancho" gebaut hat, spricht für diese Wirkungsaspekt. Zum anderen fließt in die Erzählung auch der religiöse Aspekt der inkaischen Kultur mit ein, denn die Schutzgötter, die soge-nanntenauquisoderdioses tutelares,haben aus Mitleid den Palast in den sich der Prinz mit seinen verbliebenen Soldaten zurückgezogen hat, in jene zauberhafte Höhle verwandelt. Außerdem beinhaltet die Geschichte eine Art Heldenmythos, denn sowohl der Inkaherrscher Mayta-Capac(para el emprendedor no había obstáculo que no fuese fácil de superar),als auch sein Widersacher Huacari mit seinen Männern(prefirieron morir de hambre antes que rendir vasallaje al conquistador), waren von außerordentlichem Mut und sind, wie es der Erzähler berichtet, gewissermaßen der Ursprung für das Sprichwort:Antes la muerte que el oprobio de la servidumbre.

Man kann abschließend zu dieserTradiciónsagen, daß sie sicherlich nicht im entferntesten in der Absicht geschaffen wurde, ein stück präkolonialer Geschichte wissenschaftlich fundiert zu manifestieren, sondern lediglich, dergruta de las maravillasdie volkstümlichen Legenden beizufügen, ohne dabei einen Wahrheitsanspruch zu behaupten.

4.2.La achirana del Inca

Auch dieseTradiciónist sehr klar strukturiert. Sie gliedert sich in drei Teilbereiche: Die Einleitung, in welcher der Inkaherrscher Pachacutec kurz mit seinem Eroberungsvorhaben vorgestellt wird, und auch das Treffen mit dem jungen Mädchen aus dem imvalle de Icaansässigen Stamm angekündigt wird. Der zweite Teilbereich unterscheidet sich offenkundig formal durch die Dialogform. Das Mädchen unterhält sich mit dem Herrscher Pachacutec abwechselnd in jeweils kurzen Redeab- schnitten. Im dritten Teilabschnitt ergreift wieder der heterodiegetische Erzähler das Wort und führt die Geschichte fort. Trotz unterschiedlicher Erzählform greifen die Teil-abschnitte ineinander, so daß die chronologische Folge ein-strangig bleibt.

Stilistisch gesehen ähnelt dieTradiciónder zuletzt besprochenen bis auf den Dialog zwischen Pachacutec und dem jungen Mädchen, welcher in seinem leicht überschwenglichen Ton eine leichte Ironie zumindest andeutet, die jedoch keineswegs pejorative Züge annimmt. Als Beispiel kann fol-gende Rede des Pachacutec dienen. Nachdem er eingesehen hat, daß er keine Aussichten auf das Mädchen hat, da sie bereits unsterblich in einen anderen Jungen verliebt ist, ist Pachacutec überwältigt und sagt:

"Quédate en paz, paloma de este valle, y que nunca la niebla del dolor tienda su velosobre el cielo de tu alma. Pídeme alguna merced que, a ti y a los tuyos, haga recordar siempre el amor que me inspiraste."

Auch in dieserTradiciónfinden sich stilistische Elemente, die einen "historischen Effekt" bewirken sollen, denn dieTradiciónbeginnt mit der Nennung der Jahreszahl und den historischen Figuren:

"En 1412 el Inca Pachacutec acompañado de su hijo el príncipe imperial Yupanqui, emprendióla conquista del valle de Ica."

Die typische Ironie Palmas ist auch hier nur in Spuren zu finden. Man kann sie zum Beispiel an der Beschreibung der Überheblichkeit Pachacutecs erkennen:

"El conquistador de pueblos creyó también de fácil conquista el corazón de la joven."

Wobei sich die Ironie in diesem Fall mehr als eine Art Groteske ausmacht, denn es ist nicht der Fall, daß das Gegenteil vom Gesagten gemeint ist, sondern es besteht lediglich ein unermeßliche Diskrepanz der Machtverhältnisse, was den Herrscher ein wenig karikiert. Trotz dieser wenigen Aspekte ist die Ironie praktisch nicht vertreten, und es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Man kann aber vermuten, daß Palma sich selbst in Ermangelung unmittelbaren Wissens nicht in gleicher Weise an die Frühgeschichte heranwagte, wie er das gegenüber den Zuständen des modernen Perus zu tun pflegte. Letzteres nämlich war ihm bekannt. Er war in der Politik tätig und wußte welche Machenschaften und welche Korruption er wie karikieren konnte und wo er die Grenzen zu ziehen hatte. Dies konnte er auch mit der jüngst vergangenen Epoche desVirreinatomachen, bei der frühen Geschichte Perus aber, so könnte man vermuten, fehlten aufschlußreiche Dokumente und ein Wissen, daß es zuließ, den Stoff ironisierend zu ver-arbeiten.

In bezug auf die inhaltliche Seite dieserTradiciónwurde bereits erwähnt, daß es sich auch hier um den Erober-ungsfeldzug eines Inkaherrschers handelt. Der Inkaherrscher Pachacutec läßt sich, wie die geschichtlichen Betrachtungen zeigten, als historische Person relativ genau nachweisen. Der Erzähler verwendet allerdings bewußt subjektive Beschreibungselemente, die keines gesonderten Nachweises bedürfen. Er bezeichnet Pachacutec beispielsweise als einensagaz monarca,wobei offensichtlich ist, daß er sich dabei jeder beliebigen Quelle bedient haben könnte. In der Absicht dasvalle de Icazu erobern, schlägt ihnen der Herrscher, was auch auf geschichtlichen Tatsachen basiert, zunächst eine friedliche Annektierung und Unterwerfung unter seine Herrschaft vor, was die an Waffengewalt unterlegenen Iqueñosschließlich auch annehmen. Pachacutec trifft aber im folgenden auf das junge Mädchen des Dorfes, in welches er sich verliebt. Sie erwidert diese jedoch nicht, da sie bereits in einen jungen Mann aus ihrem Dorf verliebt ist. Er ist überwältigt von der Treue und der Reinheit ihrer Liebe und gesteht dem Mädchen einen Wunsch zu. Auf Grund dieses Wunsches wurde die Bewässerungsanlage für eine große Anzahl anhaziendasgeschaffen, die der Erzähler auch alle aufzählt.

Daran wird ersichtlich, daß es eine konkrete Absicht war, alle diesehaziendaszu benennen, um den Ursprung der in der Volkslegende verborgen lag, festzuhalten:

"Tal, según la tradición es el origen de la achirana, voz que significa lo que corre limpiamente hacia lo que es hermoso."

Um den Unterschied zu der vorhergehendenTradiciónkurz zu benennen, könnte man sagen: Während in der einen der Mut und das Heldentum im Mittelpunkt stehen, so ist es in diesem Fall die Liebe. Die Legende berichtet einen Mythos der einen geographischen Bund der aufgezähltenhaziendasschafft. Die Legende, wie sie Palma darstellt, erzählt einen ursprünglichen Akt unendlicher Liebe, der das Unmögliche möglich machte, nämlich Kriegsabsichten in einen altruisti-schen Akt der Hilfe zu wandeln. Mit Sicherheit ist dies eine sehr romantische Vorstellung von dem Verhältnis der Unter-worfenen zu ihren Unterwerfern, das doch de facto meist nur durch blutige Kämpfe zu erwirken war.

4.3. Palla-Huarcana

DieseTradiciónhebt sich stilistisch deutlich von den anderen beiden ab. Rhetorische Fragen und direkte Ansprache, die nicht an den Leser gerichtet sind, geben dem Prosatext lyrischen Charakter. Zum Beispiel:

"¡Mujer! Abandona la rueca y conduce de la mano a tus pequeñuelos para que aprendan, en los soldados del Inca, a combatir por la patria."

Während in derTradicióm: La gruta de las maravillasundla achirana del Incader Handlungsstrang eindeutig und auf klare Zuordnung von den Funktionen der Figuren ausgelegt ist, weist dieseTradicióneinen weit höheren Abstraktionsgrad auf. Aber dieseTradiciónbeschäftigt sich mehr mit der Vorahnung der Ankunft Pizarros und ist eine fast nostalgische Trauer um den bevorstehenden Untergang des herrlichen Inkareichs. Der folgende Abschnitt faßt den Gegenstand prägnant zusammen:

"El cóndor de alas gigantescas, herido traidormente y sin fuerzas ya para cruzar elazul del cielo, ha caído sobre el pico más alto de los Andes, tiñendo la nieve con susangre. El gran sacerdote, al verlo moribundo, ha dicho que se acerca la ruina del imperio de Manco, y que otras gentes vendrán, en piraguas de alto bordo, a imponerle su religión y sus leyes."

Man sieht den religiösen Aspekt, der in dieTradicióneingeht, aber im allgemeinen handelt sie mehr vom Ende und dem Untergang des Inkareichs, als von der eigentlichen inkaischen Geschichte. Aus diesem Grund können im engeren Sinne nur von ersten beidenTradicionesgesagt werden, daß sie wirklich die die inkaische Geschichte als Stoffgrundlage haben.

5. Schluß

Betrachtet man die wenigenTradicionesder Inkazeit vor dem Hintergrund des Gesamtwerkes Palmas, so wird deutlich, daß Palma dieser Zeit entweder nicht ebensoviel Bedeutung beige-messen hat, oder daß er nicht über ausreichend Informationen verfügte, die er hätte verarbeiten können. Der Historiker müßte sicherlich urteilen, daß der geschichtliche Stoff äußerst oberflächlich behandelt wurde, und daß die Komplexi-tät und der kulturelle Reichtum dieser Epoche in den Werken Palmas zu reduziert dargestellt wurden. Man muß jedoch zu Palmas Verteidigung anbringen, daß die Daten und Fakten zwar in dieseTradiciones eingegangen sind, um den bekannten historischen Effekt zu bewirken, aber sicherlich nicht in erster Linie die Rekonstruktion peruanische Frühgeschichte im Sinne hatten.

Zu der Methode dieser Arbeit muß man erwähnen, daß für eine fachgerechte Beurteilung auch geographische Kenntnisse und Wissen über die realen Korrelate der Objekte derTradiciones, wie diegruta de las maravillasoder dieachirana del inca,die mit Sicherheit auch in Wirklichkeit existieren, von Nöten gewesen wären.

Wenn dieseTradicionesauch nur sehr wenig Aufschluß über die Geschichte geben, so sind sie dennoch amüsant zu lesen, aber bezüglich ihres literarischen Wertes sicherlich nicht mit anderenTradicionesaus anderen Epoche vergleichbar.

BIBLIOGRAPHIE

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WELLENBERGER, Georg: Der Unernst des Unendlichen: die Poetologie der Romantik und ihre Umsetzung durch E. T. A. Hoffmann, Marburg 1986.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Ricardo Palmas Tradiciones über die Inkazeit
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
13
Katalognummer
V95606
ISBN (eBook)
9783638082846
Dateigröße
374 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
lateinamerikanische Literatur
Schlagworte
Ricardo, Palmas, Tradiciones, Inkazeit
Arbeit zitieren
Sven Schlarb (Autor:in), 1998, Ricardo Palmas Tradiciones über die Inkazeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95606

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