Footing. Eine Einführung anhand des Textes "Footing" von Erving Goffman


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

12 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Nixons Missgriff oder Wozu überhaupt Footings analysieren?.

2. Footing
2.1 - Footing | Code-Switching
2.2 - Traditionelles Gesprächsmodell | Defizite
2.3 - Gespräch als Teil eines Gespräches
2.4 - Hörer | Subordinierte & Dominante Kommunikation |
2.5 - Gespräch und Publikum
2.6 - Subjekt und Objekt der Aufmerksamkeit |
2.7 - Sprecher | Animateur | Urheber | Prinzipal |
2.8 - Einbettung | Projektierter Animateur | Multiple Einbettung
2.9 - Transformation von Teilnehmerstatus |
2.10 - Mehrere Footings zur selben Zeit

Vorbemerkung

Diese Hausarbeit versteht sich als eine Einführung in das Thema Footing. Sie basiert nahezu ausschließlich auf dem Text "Footing" von Erving Goffman. Aufgrund der Tatsache, daß es sich hierbei um nur eine Quelle handelt und die Gliederung des Textes übernommen wurde, wurde auf Fußnoten verzichtet. Statt dessen wurden alle Anmerkungen direkt in eckigen Klammern den jeweiligen Textstellen beigefügt. Da es sich bei dem Text wie er hier vorliegt um eine eigene Übersetzung handelt, kann es vorkommen, daß manche der deutschen Übersetzungen sich von eventuellen anderen Übersetzungen unterscheiden. Um Mißverständnisse zu vermeiden wurden deswegen jeweils die Originaltermini angeführt, beziehungsweise in Ausnahmefällen bevorzugt verwendet, einerseits um Eindeutigkeit zu schaffen oder auch mangels eines adäquaten deutschen Begriffes.

Ziel dieser Hausarbeit war und ist es, den englischsprachigen und nicht immer einfachen Text Goffmans in eine deutsche und leichter verständliche Form zu bringen und dadurch dem interessierten Leser den Zugang zum Begriff des Footings zu erleichtern. Das heißt, diese Arbeit beabsichtigt, den englischen Originaltext zu ergänzen oder in Abschnitten sogar gleichwertig [als Übersetzung beziehungsweise Zusammenfassung] zu ersetzen. Schon aufgrund des Umfanges dieser Seminararbeit wurde nicht versucht, den Begriff Footing als solchen genauestens zu analysieren oder auseinanderzunehmen. Auch wenn deswegen der Schwerpunkt auf einer möglichst inhaltsgetreuen Übersetzung des Textes lag, geht diese Arbeit über eine bloße Umsetzung hinaus, indem versucht wurde, jeweils das Wesentliche eines Abschnittes zu erfassen und in seinen Kernpunkten prägnant darzustellen. Auf ein Glossar wurde bewußt verzichtet, da der vorgegebene Umfang schon mit dieser Fassung überschritten wurde; anhand des ausführlichen Inhaltsverzeichnisses sollte aber das nachschlagen oder auffinden bestimmter Definitionen kein Problem darstellen.

Diese Arbeit kann als Word 97 Datei im Internet abgerufen werden, unter der URL: www.hausarbeiten.de im Bereich Linguistik.

1. Nixons Missgriff oder Wozu überhaupt Footings analysieren?

Gegeben sei die folgende Situation:

Das Weiße Haus, Präsident Nixon unterzeichnet vor einigen Journalisten ein Gesetz. Danach erhebt sich der Präsident und spricht eine anwesende Journalistin, Helen Thomas, mit den Worten an: "Helen, tragen Sie immer noch Hosen? Ziehen Sie diese wirklich vor? Jedesmal wenn ich ein Mädchen in Hosen sehe, erinnert es mich an China." - Irritiert weist Helen Thomas den Präsidenten darauf hin, daßFrauen in China verstärkt dazu tendieren, westlichen Hosen zu tragen. Der Präsident fährt fort: "Dies ist nicht auf eine unhöfliche Weise gemeint, aber bei manchen Leuten verbessern Hosen etwas, und bei manchen nicht. Aber ich denke Sie machen sich recht gut. Drehen Sie sich."

Und während Präsident Nixon, und weitere hochrangigen Gesetzesvertreter lächelnd zusehen, dreht Helen Thomas eine Pirouette für den Präsidenten. Sie trägt weiße Hosen, eine marineblaues Hemd und marineblaue Schuhe.

Nixon fragt Miss Thomas, ob ihr Ehemann es bevorzugt, wenn sie Hosen trägt.

"Es macht ihm nichts aus." - antwortet diese.

"Sind sie billiger als Kleider?" - fragt der Präsident. "Nein" - antwortet Helen Thomas.

"Dann wechseln Sie [ihre Kleidung]." - befielt der Präsident mit breitem Grinsen unter dem schallenden Gelächter der anderen Reporter.

Was läßt sich aus dieser Anekdote erschließen?

Als Helen Thomas für den Präsidenten eine Pirouette drehte, erschuf sie innerhalb ihrer situationsbedingten Rolle als Journalistin bei der Arbeit eine weitere. Und zwar die einer Frau, auf Ihr äußeres Erscheinungsbild, auf Ihr Aussehen, angesprochen wird. Zweifellos sind die hier arbeitenden Kräfte die von Sexismus und natürlich von Präsidenten, aber besagte Kräfte können hier nur deswegen auf diese Weise zur Wirkung kommen, weil wir über die Möglichkeit verfügen, eine Handlung in eine [vollkommen unterschiedliche] andere einzubetten.

Indem Helen Thomas eine Pirouette dreht, paßt sie sich an ein Verhaltensmuster an, das normalerweise dem Laufsteg oder einer Theatervorstellung angemessen wäre, dabei befindet sie sich doch auf einer offiziellen Pressekonferenz. Und dennoch findet keiner der Anwesenden diese Adaption [von Theater zur Pressekonferenz] merkwürdig.

Und: Man darf annehmen, daß Präsident Nixon nicht nur deswegen aufgestanden ist, und Helen Thomas angesprochen hat, um deutlich zu machen, daß der offizielle Teil nun vorüber sei, und man jetzt zu einer informelleren Haltung übergehen könne, sondern auch, um darzustellen, daß er ein Mensch mit Persönlichkeit sei, jederzeit fähig, sich von seinem Status als Präsident auf ein normales Niveau zu begeben.

Das Publikum wird allerdings, obwohl die Anwesenden laut auflachten, seine Geste wohl eher als forciert oder hölzern angesehen haben. Als eine Geste, mit der sich Nixon durch einen Mißgriff in Benimm und Selbstsicherheit schon wieder außerhalb Ihrer Gruppe plaziert und sich von ihnen separiert hat.

Dies alles muß bedacht und verstanden werden, um näheren Einblick in Nixons [Selbst-] Darstellung zu erhalten, näheren Einblick auf seine Ausrichtung gegenüber den Anwesenden, kurz: auf sein Footing.

Unter dem Begriff Footing [englisch für Basis, Verhältnis, Stand, Zustand, Halt] versteht Goffman in etwa das Folgende: Ein Individuum, das kommuniziert [was natürlich auch das Zuhören einschließt], befindet sich in einem bestimmten Zustand, einem Footing, das von der Situation abhängt, in der sich das Individuum befindet, oder auch davon, wen es beispielsweise als Sprecher anspricht etc.

Zur Analyse von Kommunikation und Gesprächen ist es wichtig, diese Footings, beziehungsweise deren Wechsel, zu analysieren, da sie uns mehr Aufschluß über das Gespräch als solches, die Intentionen hinter den Sprechakten [oder den Handlungen allgemein] geben können, als es Worte allein vermögen.

2. Footing

2.1 - Footing | Code-Switching

Ein einfaches Beispiel für Footing, beziehungsweise Wechsel im Footing ist das sogenannte Code- Switching: Wann immer zwei miteinander bekannte Personen aufeinander treffen, um geschäftliche Vereinbarungen zu besprechen, wird das eigentliche Gespräch zumeist durch eine kurze Phase von Small-Talk eingeleitet und beendet. Man erkundigt sich nach dem Wohl der Familie des anderen, dem Wetter, spricht in lockerem Ton kurz über aktuelle Ereignisse [Footing 1], wechselt dann in einem sachlicheren Tonfall über, um das Geschäftliche zu klären [Footing 2] und wechselt eventuell zum Schluß oder zur Verabschiedung noch einmal auf eine freundschaftlicherer Basis [Footing 3 bzw. Footing 1b]. Dabei wird innerhalb jedes Footings zumeist ein anderer Code benutzt, wobei sich Code hier im linguistischen Sinn als Dialekt oder Sprache definiert. Es finden [im obigen Beispiel] also mindestens zwei Codewechsel statt.

Besagtes Code-Switching kommt in nahezu allen [Konversations-] Lebensbereichen vor, es ist erkennbar an oder funktioniert z.B. durch:

- Gebrauch von direkter oder indirekter Rede
- Wahl des Rezipienten, beziehungsweise der Rolle des Rezipienten · Gebrauch von Ausrufe, Interjektionen
- Wiederholungen
- Persönliche Direktheit oder persönlicher Einbezug · Darlegung neuer oder alte Informationen · Betonung
- Trennung von Thema und Objekt
- Art des Diskurses [z.B. Vorlesung oder Diskussion]

Bemerkenswert dabei ist, daß ein solches Code-Switching nur selten anhand des Textes allein zu erkennen ist, es sind ohne große Überlegung Situationen denkbar, in denen innerhalb eines einzigen Satzes mehrere Male das Footing gewechselt wird, ohne daß das Statement dadurch zerrissen wird, oder ein offensichtliches Code-Switching stattgefunden hat.

Zum Beispiel der folgende Satz: "1 Jetzt hört mir mal alle zu, 2 wir haben um zehn eine Versammlung, und ich möchte daß Ihr dort alle hingeht und still zuhört, wenn der Direktor spricht; 3 hör auf, so herum zu spielen, paß auf, wenn ich rede." - den ein Lehrer an seine Schulklasse richtet, läßt sich ohne weiteres in drei verschiedene Footings aufteilen, 1 den Aufruf zu sofortigem Verhalten, 2 eine Ankündigung und 3 eine Bemerkung zu einem einzelnen Kind. Obwohl an Hand des Textes keine Veränderung in Dialekt oder Sprache stattgefunden hat, sind eindeutige Veränderungen im Verhalten auffällig. Dies wird als Code-Switching-artiges Verhalten ohne echtes Code-Switching bezeichnet.

Der Begriff des Footings allerdings, umfaßt viel mehr, als bloß reines Code-Switching, oder CodeSwitching-artiges Verhalten. Das Spektrum reicht von kleinsten subtilen Veränderungen im Tonfall, oder auch nur dem [bewußten] Heben einer Augenbraue [zum Beispiel um eine Aussage still zu kommentieren, also eventuell bedingte Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren], bis hin zu unübersehbaren Gesten oder direkten Ausrufen. Um kommunikative Situationen einzuschätzen und zu analysieren, sind für uns die Wechsel im Footing, also der Übergang von einer Teilnehmerrolle, einem Profil, zu einem anderen am interessantesten. Denn anhand dieser Wechsel lassen sich die Spannungen oder Bindungen zwischen den einzelnen Gesprächsteilnehmern einschätzen, und somit vielleicht die Richtung, in die das Gespräch geht, erkennen.

Ein Wechsel im Footing ist erkennbar an verschiedenen Indikatoren, unter anderen:

- Die Haltung, Ausrichtung, Stellung und Selbstdarstellung [bevorzugt des Sprechers] ist auf irgend eine Weise unzusammenhängend oder unpassend. D.h. wie schon Eingangs im Beispiel mit Nixon beschrieben: Jemand verhält sich nicht so, wie es der Situation angemessen wäre.
- Die Darstellung kann einem Verhaltensmuster gegenübergestellt werden, das kürzer ist als ein grammatischer Satz, oder länger, so daß Satzgrammatik hier nicht weiterhilft, obwohl klar zu sein scheint, daß eine kognitive Einheit [minimal] enthalten ist, z.Bsp. eine lautliche Bestimmung/Unterton [phomemic clause]. Gemeint sind prosodische Elemente, nicht syntaktische [also beispielsweise ein heben oder senken der Stimme um wichtige Dinge zu betonen].
- Das Spektrum hierbei reicht von deutlichen Änderungen in Stellung/Haltung bis zu den kleinsten Schwankungen im Tonfall, die gerade noch wahrnehmbar sind.
- Auf der Seite des Sprechers kommt [normalerweise] Code-Switching vor, und falls nicht dies, dann zumindest die Klangmerkmale, die Linguisten studieren; wie Höhe [pitch], Lautstärke [volume], Rhythmus etc.
- Das Umschließen [einklammern] einer Kommunikationsphase höheren Niveaus oder Interaktionsepisode tritt normalerweise auf; das neue Footing, der neue Zustand, hat eine abgrenzende Rolle, dient als ein Puffer zwischen zwei anderen Episoden [Small-Talk - Geschäftliches - Small-Talk].

2.2 - Traditionelles Gesprächsmodell | Defizite

Das traditionelle Gesprächsmodell sieht in etwa [grob vereinfacht] so aus:

- Zwei [und nur zwei!] Personen sind einbezogen,
- jederzeit spricht einer über seine Gefühle, Gedanken etc. - und der andere hört zu,
- volle Aufmerksamkeit des Zuhörers/des Sprechers,
- der Diskurs ist Hauptaufgabe der beiden,
- die zwei sind die einzigen, die wissen wer spricht, wer hört was gesagt wird, daß überhaupt gesprochen wird,
- sie sind isoliert; unerreichbar für andere,
- Rollenwechseln im Aussage/Antwort Format; die Sprechrechte [the floor] werden hin- und her getauscht.

Dies wird als Konversation oder Gespräch bezeichnet:

Dieses Modell ist allerdings zu grob und unflexibel [was u.a. das Hinzufügen neuer Personen, von Zeit und Ort etc. betrifft], um wirkliche Analyse speziell von Footing zu betreiben.

Schon alleine die Termini Sprecher/Zuhörer implizieren, daß es hierbei nur um Klänge geht - obwohl offensichtlich auch visuelle Eindrücke oder sogar Berührungen innerhalb von Gesprächen signifikant sein können.

2.3 - Gespräch als Teil eines Gespräches

Die einfachste Erweiterung des Modells dürfte sein, daß man Gespräch [talk] in jedem Moment als Teil eines Gespräches [ a talk] ansieht, das sich in mehrere Teile gliedern läßt [Eröffnung, neue Teilnehmer kommen hinzu, rituelle Handlungen/Klammern [z.B. Begrüßung, Verabschiedung etc.]. Dies alles ergibt eine gesellschaftliche Begegnung [social encounter]].

Zum Gespräch selbst können auch Phasen gehören, in denen niemand [direkt] spricht. Ignoriert man diese und bezieht sich nur auf das Sprechen, vernachlässigt man zwangsläufig wichtige Aspekte des Gespräches.

Die Isolierung eines Gespräches zur eigenen autonomen Einheit allerdings wirft wiederum Probleme auf, da das Gespräch selbst eine Teil-Einheit anderer Gespräche sein, oder dadurch beeinflußt werden kann etc. Dies wird zu komplex zur Analyse.

Daher bietet es sich an, Gesprächsmomente [moments of talk] zu analysieren, allerdings immer unter dem Vorbehalt, daß jede breite Klassifizierung [z.B. als Gespräch, Konversation...] unreif und unvollständig ist. Man darf nicht einen Gesprächsmoment als Synonym für das ganze Gespräch nehmen.

2.4 - Hörer | Subordinierte & Dominante Kommunikation | Teilnehmerstatus & -raster

Man muß unterscheiden zwischen dem Prozeß / dem Akt des Zuhörens, und seinem gesellschaftlichen Kontext oder Status. Es ist ohne weiteres möglich, offizieller Zuhörer oder Teilnehmer eines Gespräches [ratified participant, z. Bsp. Student in einem Seminar] zu sein, ohne wirklich zuzuhören. Ebenso ist es natürlich möglich, daß man einem Gespräch zuhört, ohne ein offizieller Zuhörer zu sein. Man unterscheidet bei letzterem zwischen dem Lauscher [eavesdropping], der ein nicht für ihn bestimmtes Gespräch verfolgt [z.Bsp. mit dem Ohr an der Tür], und dem zufälligen Zuhörer [Overhearer, z.Bsp. in der Straßenbahn]. Personen, die keine offiziellen Zuhörer sind, werden als Statisten [Bystander] bezeichnet, sobald sie zuhören, sind sie entweder Lauscher oder Overhearer.

Bystander bekommen von einem Gespräch immer etwas mit, selbst wenn Sie zu höflich sind, um zu lauschen, so können sie doch zumindest erkennen, ob oder wer spricht. Hier zeigt sich wieder die Wichtigkeit des visuellen Aspektes im Gespräch. Selbst eine taube Person kann [bei Blickkontakt] erkennen, ob ein Gespräch stattfindet, oder nicht.

Kommunikation zwischen offiziellen Zuhörern und Bystanders läßt sich aufteilen in dominante [der eigentliche, hauptsächliche Teil des Gespräches] und subordinierte [weitere, untergeordnete] Kommunikation. Die subordinierte Kommunikation wird wiederum unterteilt in drei Untergruppen:

1. Byplay - subordinierte Kommunikation in einer Untergruppe der offiziellen Teilnehmer,
2. Crossplay - Kommunikation zwischen offiziellen Teilnehmern und Bystanders über die Grenzen des Gespräches hinweg,
3. Sideplay - Wortwechsel zwischen Bystanders.

Diese subordinierte Kommunikation wird in den meisten Fällen nicht verdeckt, falls doch gibt es dafür mehrere Möglichkeiten:

1. Die komplette Verheimlichung der Kommunikation,
2. Den Anschein geben, die verdeckte Kommunikation sei unwichtig oder harmlos,
3. Die Nutzung von Insiderwissen und -Zeichen, die, obwohl von allen gehört, harmlos klingen und nur von Eingeweihten entschlüsselt werden können.

Beispiele: Ein Gespräch bei Tisch. Von den anwesenden sechs Personen sind drei in ein Gespräch vertieft, die drei anderen sind zwangsläufig Bystanders. Da [geheimes] Lauschen an einem Tisch eher schwierig ist, werden sie wohl eher Overhearer sein; wenn sie miteinander sprechen betreiben sie Byplay, und wenn einer der Bystander mit einen der offiziellen Teilnehmer über ein gesprächsexternes Thema spricht, so ist dies Crossplay.

Oder: Äußerungen, die wir ohne offizielle Zuhörer, scheinbar an uns selbst richten, [z.B. Oops, was mach ich den da... - wenn man etwas fallen läßt] werden auch an die umstehenden Bystanders gerichtet. In diesem Fall wollen wir nur Overhearer, keine Zuhörer.

Die Beziehung, in der ein Teilnehmer [ob offiziell oder als Bystander] zu einem Gespräch steht, wird als sein Teilnehmerstatus [participation status] bezeichnet. Die Beziehung, aller dieser Personen zueinander ist das Teilnehmerraster [participation framework].

Der Status ist im Normalfall ständigem Wechsel unterworfen, die Rollen sind nicht fixiert, es ergibt sich für jeden Teilnehmer ein weites Feld von Partizipationsmöglichkeiten.

2.5 - Gespräch und Publikum

Die Zuhörer einer Rede sind Publikum, keine Gesprächsteilnehmer im üblichen Sinne. Ein Publikum hört auf eine besonderen, ihm eigene Art. Im Gegensatz zu normalen Gesprächspartner darf Publikum den Sprecher direkt anstarren, was im normalen Gespräch unhöflich, oder sogar beleidigend wirkt. Das Publikum ist normalerweise inaktiv, seine Aufgabe ist das Zuhören, nicht das mitsprechen. Es gesteht [dem Redner] das Rederecht zu, nimmt es normalerweise nicht selbst in Anspruch. Innerhalb der verschiedenen Arten von Publikum [von Talkshows, im Theater, in der Kirche, bei Reden], die natürlich auf unterschiedliche Art und Weise angesprochen werden, gibt es verschiedene Varianten, die sich vor allem darin ähneln, daß sie keine Gesprächspartner sind. Publikum ist eher ein Element einer Bühnenhandlung [stage event] denn einer Sprechhandlung. Das Teilnehmerraster von Podiumsveranstaltungen unterscheidet sich [zwangsläufig] von dem Teilnehmerraster des Zwei- Personen-Gespräches, und aus dem Raster des Zwei-Personen-Gespräches läßt sich leider nicht viel über das Teilnehmerraster als solches ableiten.

2.6 - Subjekt und Objekt der Aufmerksamkeit | Äußerungen im nichtlinguistischen Kontext

In einem Gespräch teilen die Teilnehmer normalerweise einen kognitiven, meist auch einen visuellen Sachverhalt. Dessen Bestimmung ist jedoch ziemlich komplex. Das Subjekt der Aufmerksamkeit ist meist eindeutig bestimmbar, festzulegen, wer oder was Objekt ist , ist zumeist schwieriger.

Es gilt als unhöflich, den Sprecher zu lange direkt anzustarren, ebenso aber auch, weg zu sehen. Es scheint, als sollte man auf die Worte des Sprechers blicken [die man ja eindeutig nicht sehen kann], ohne diesen zu offensiv anzusehen.

Der Sprecher allerdings hat die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf ein weiteres Objekt [welches kein Individuum oder Teilnehmer sein muß] zu lenken, das dadurch ein vollständiger Teilnehmer wird.

Es gibt Situationen, in denen Äußerungen gemacht werden, die nicht als Gespräch in irgend einem Sinn zu bezeichnen sind. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen das Rederecht beziehungsweise die Hauptaufmerksamkeit von nichtlinguistischen Elementen beansprucht wird. Die Frage nach der Uhrzeit, oder die Bitte um Salz [bei Tisch] mögen als Beispiele dienen. Oder auch ein Arzt, der eine Patientin nach ihren Symptomen befragt. In diesen Fällen wird kein Gespräch geführt, statt dessen werden Rituale befolgt, Checklisten abgearbeitet oder andere Aktionen stehen im Vordergrund.

Ohne visuelle Information werden diese Äußerungen im nichtlinguistischen Kontext meist nicht verstanden, der Tonbandmitschnitt eines Kartenspiels, dürfte ohne Bilder nur minimalen Informationsgehalt besitzen, ebenso Aufzeichnungen der Äußerungen der Mechaniker bei der Reparatur einer Maschine, die sicherlich lange Passagen enthalten, in denen gar nicht gesprochen wird, oder auf eine Äußerung nur durch Maschinenlärm geantwortet wird, und umgekehrt.

Es ist ersichtlich, daß viele Worte Teil von Aktivitäten sind, und nicht von Gesprächen. Erst der Zweck [die Handlung an sich] gibt diesen Äußerungen Sinn. Diese Worte mögen zweifelsfrei in natürliche Einheiten gegliedert werden können, aber keine davon wird sich als Gespräch bezeichnen lassen.

2.7 - Sprecher | Animateur | Urheber | Prinzipal | Produktionsformat

In einem einfachen Gespräch ist einer der Teilnehmer "die sprechende Maschine, ein Körper in akustischer Aktivität, aktiv in der Aufgabe der Äußerungsproduktion". Er fungiert als ein sogenannter Animateur. Der Terminus des Animateurs bezieht sich weniger auf eine soziale Funktion, als vielmehr auf eine technische, seine Aufgabe ist die einer Schaltung, eines Funktionsknoten im Kommunikationssystem. Er bezieht sich im Gegensatz zum Terminus des Sprechers auf seine technische Natur [die Äußerung von Worten].

Ihm gegenüber, beziehungsweise zur Seite, stehen weitere Begriffe, als da wären einerseits der Urheber [author] der Worte als jemand, der die Worte gewählt beziehungsweise geschaffen hat. Und andererseits der Prinzipal [principal] als jemand, dessen Position durch diese Worte definiert wird, für den diese Worte verbindlich sind.

Bei der Verwendung bezieht man sich weniger auf einen Körper, oder ein Individuum, als vielmehr auf eine Person innerhalb eines gesellschaftlichen Umfeldes, spezifiziert durch die soziale Stellung [in diesem Bereich fällt u.a. auch das "Wir" eines Pressesprechers, der sich mit seiner Organisation identifiziert].

Natürlich kann das Individuum seine soziale Rolle wechseln - und dabei seine Rolle als Animateur oder Autor wahren. Durch Nennung seines sozialen Status kann der Sprechende eine Distanz zwischen sich und dem Gesagten, oder auch dem Adressaten aufbauen.

Die Konzepte von Animateur, Urheber und Prinzipal zusammengenommen, können und Hinweise geben, auf das Produktionsformat [production format] einer Äußerung.

Bei Gebrauch des Wortes "Sprecher" wird häufig angenommen, daß das Individuum, welches spricht [=Animateur], seine eigenen Texte formuliert [=Urheber], und seine eigene Position [=Prinzipal] vertritt. Dies ist nur natürlich. Allerdings gibt es Ausnahmen Das Zitieren eines auswendig gelernten Textes, oder lautes Vorlesen - man animiert Worte, die nicht selbst formuliert wurden, und die vielleicht nicht einmal die eigene Meinung ausdrücken.

Ebenso ist es möglich, für jemanden zu sprechen, oder in seinen Worten. Der Knackpunkt dabei ist, daß wir, wenn wir uns in sogenanntem "Fresh Talk" befinden [die Formulierung von Text aus dem Stehgreif aus der Dringlichkeit sofortiger Antwort auf eine Situation], häufig nicht unsere eigenen Worte verwenden, oder die Position dieser Worte vielleicht gar nicht wirklich vertreten.

Ebenso wie wir einer Konversation folgen können, ohne offizieller Zuhörer zu sein, können wir schnell unsere Worte oder Emotionen einbringen, wenn andere Teilnehmer gerade eine kurze Pause einlegen. Mehr noch, wenn andere uns stillschweigend das Rederecht zugestehen können wir doch besserwisserische Einwürfe tolerieren oder sogar dazu einladen, in dem Bewußtsein, daß wir für einen kurzen Moment die Chance haben, zuzuhören, ohne dabei den Status des Sprechers zu verlieren, ebenso wie der andere einen kurz unterbrechen kann, ohne dabei aufhört, ein Zuhörer zu sein.

2.8 - Einbettung | Projektierter Animateur | Multiple Einbettung

Wie sich herausgestellt hat, sind die einfachen Definitionen von Sprecher und Hörer zu grob, da die des Hörers eventuell komplexe unterschiedliche Teilnehmerzustände verdeckt, die des Sprechers komplexe Fragen zur Produktion von Text aufwirft.

Der Entwurf von Teilnehmerrastern und Produktionsformaten biete eine strukturelle Basis zur Analyse von Veränderungen im Footing, zumindest ausreichend für jene Veränderungen, wie sie zu Anfang beschrieben wurden.

Allerdings tendiert diese Sichtweise zu sehr zu einer nüchtern soziologischen Basis, wo gerade der freischaffende, selbstbezogene Charakter des Sprechens keinen Platz mehr hat. Das kreative, phantasievolle, spielerische Element von Gesprächen wird vernachlässigt. Um dieses zu erschließen gibt uns die Linguistik, nicht die Soziologie, den Weg vor. Deren Belange sind es, die uns die Möglichkeit geben, eine strukturelle Basis für noch die kleinsten Veränderungen im Footing zu finden.

Ein Ansatz hierfür ist, zu untersuchen, auf welche Weise Aussagen konstruiert werden, besonders im Hinblick auf "Einbettung" [embedding].

Angenommen, ein Individuum äußert einen Satz ohne Pronomen oder Bezeichner, wie "Warum hier?", oder "Schließ das Fenster!". Diese Worte scheinen einen direkten Wunsch auszudrücken, und zwar der Person, die sie äußert. Das "Selbst" [self] der Person, die diese Laute animiert ist unzweifelhaft eingebunden, sozusagen als das "Adressierende Selbst" [adressing self]. Ebenso wie Deixis in Bezug auf Zeit und Ort.

Diese Äußerungen werden direkt verbunden mit der Person, die sie animiert, und mit dem Status [capacity] den diese Person innehat. Sie erhalten ihre Autorität durch diesen Status. Viele, aber nicht alle Äußerungen, werden auf diese Weise konstruiert.

Als Sprecher repräsentieren wir uns durch ein Personalpronomen, typischerweise "Ich", das zu der Welt gehört, über die gesprochen wird, nicht zu der, in welcher gesprochen wird. Daraus resultiert eine immense Flexibilität: Erstens, Konstruktionen wie Ich "wünsche", "hoffe", "denke" etc. werden möglich und erschaffen Distanz zwischen der Figur und ihrem Eingeständnis. Tatsächlich wird eine doppelte Instanz geschaffen, da wir unbedingt hinter der bedingten Aussage stehen, sonst müßten wir etwas sagen wie "Ich denke, daß ich denke..."; d.h. wenn wir auf Äußerungen zurückgreifen wie "Oops, da habe ich mich vertan..." oder "Ich wollte sagen...", projektieren wir uns selbst als Animateur in das Gespräch. Doch selbst dieser ist noch eine Figur - nicht der tatsächliche Animateur, nur etwas, was ihm recht nahe kommt.

Zweitens, uneingeschränkter Zugriff auf Raum und Zeit wird möglich. Mit einem Satz wie "Ich sagte, schließ das Fenster!" können wir etwas wiederholen, das wir vor fünf Minuten gesagt haben, oder aber auch ein zehn Jahre zurückliegendes Ereignis aufgreifen. Hier kann man von zwei Animateuren sprechen, der eine physisch aktiv, der andere eingebettet und nur existent in der Welt, von der gesprochen wird. Ebenso einfach, wie wir eigene Worte wiedergeben können, können wir auch die Worte anderer aufgreifen. Auf die Frage "Was sagte er?" sind die Antworten "Er sagte, schließ das Fenster!" und "Schließ das Fenster" gleichwertig.

Ist das System von Einbettung erst einmal akzeptiert, sind multiple Einbettungen kein Problem mehr. Dazu ein Beispiel: "Soweit es mich betrifft, 1 denke ich, 2 ich sagte, 3 ich lebte einst auf diese Art." Hierbei ist 1 genau jetzt wahr, und bezieht sich auf den Animateur, 2 ist ein eingebetteter Animateur und 3 ist eine doppelt eingebettete Figur, die Inkarnation einer Inkarnation.

Es ist klar ersichtlich, daß die Signifikanz von Produktionsformaten nicht angesprochen werden kann, ohne daß man sich mit den Einbettungsfunktionen vieler Gespräche befaßt. Wenn wir von dem Ausdruck aktueller Gefühle zum Ausdruck vergangener Emotionen wechseln, wechseln wir natürlich ebenso unser Footing, wie wenn wir von dem äußern eigener Erlebnisse zum denen anderer wechseln.

2.9 - Transformation von Teilnehmerrastern | Einbettung von Interaktions-Vereinbarungen

Es ergibt sich, daß wir gewisse Teilnehmerraster oder Verhaltensmuster ritualisieren und aus dem üblichen Gebrauch in andere Situationen übertragen. So ist es üblich, Äußerungen, die einen negativen oder geheimnisvollen Charakter haben, hinter vorgehaltener Hand zu äußern, auch wenn kein objektiver Grund vorhanden ist; wenn die Äußerung gar nicht negativ oder geheimnisvoll ist, können wir ihr auf diese Weise dennoch den Anschein geben, und sie von anderen Äußerungen abheben.

Alle diese Verhaltensmuster können isoliert und ritualisiert werden, und dann übertragen werden in andere Situationen. In linguistischer Sicht heißt das, wir betten nicht nur Äußerungen ein, sondern sogar Interaktions-Vereinbarungen [interaction arrangements]. Und natürlich führt auch dies wieder zu einem Wechsel im Footing.

So wie ein Dramatiker jede Welt auf der Bühne darstellen kann, können wir jedes Verhaltensmuster oder auch Produktionsformat in unsere Konversation einbauen, um z.Bsp. Effekte wie Wichtigkeit oder auch Interesse etc. hervorzurufen.

2.10 - Mehrere Footings zur selben Zeit

Eine Veränderung, ein Wechsel im Footing ist jedoch keine endgültige Angelegenheit. Wenn wir z.Bsp. nach der Äußerung eines Argumentes von der Rolle des Sprechers in die des Zuhörers wechseln, können wir direkt im Anschluß wieder zurück in die erste Rolle zurückgehen. Es muß also möglich sein, daß wir das selbe Footing mehrere Runden lang aufrecht erhalten - und innerhalb unserer Ausrichtung ein vollkommenes weiteres aufrecht erhalten. Es scheint in Gesprächen möglich und sogar üblich zu sein, daß wir gleichzeitig fest auf zwei Beinen stehen und währenddessen auf- und ab springen. D.h. daß wir mehrere Footings gleichzeitig aufrecht erhalten [können].

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Footing. Eine Einführung anhand des Textes "Footing" von Erving Goffman
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Hauptseminar Sprache, Situation
Autor
Jahr
1998
Seiten
12
Katalognummer
V95590
ISBN (eBook)
9783638082686
ISBN (Buch)
9783656827481
Dateigröße
385 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Einführung basierend auf dem Text von E. Goffman, in Goffman: Forms of Talk: Philadelphia: University Press 1981
Schlagworte
Footing, Hauptseminar, Sprache, Situation, Leitung, Thomas, Spranz-Fogasy, Universität, Mannheim
Arbeit zitieren
Steffen Ritter (Autor:in), 1998, Footing. Eine Einführung anhand des Textes "Footing" von Erving Goffman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95590

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