Wiedergänger und liturgisches Totengedenken


Seminararbeit, 1999

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort

1. Einleitung

2. Die frühe kirchliche Ablehnung der Totengeister

3. Akzeptanz und Christianisierung der Totengeister

4. Die „Invasion der Totengeister“ und die Verbreitung kirchlicher Vorstellungen von liturgischem Totengedenken
4a. Cluny, die Erneuerung des Memorialwesens und die Totengeister
4b. Banalisierung und Säkularisierung der Totengeister

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis:
1. Quellen
2. Literatur

0. Vorwort

Im Zentrum dieser Hausarbeit steht das Motiv der Wiedergänger/Totengeister und die Frage, inwiefern mittelalterliche Berichte über die Wiederkehr von Toten die Entwicklung des liturgischen Totengedenkens widerspiegeln und tradiert haben.

Im ersten Teil wird eine Einführung in das Thema unter Berücksichtigung der literarisch-kulturellen Wurzeln des Wiedergängermotivs und der Grundlagen der liturgischen Memoria geleistet. Der zweite Teil zeigt wie schwer die Kirche und die Kirchenväter sich mit der heidnischen Tradition der Wiedergänger anfänglich taten eh sich die Berichte über Totengeister als „didaktisches“ Mittel im 6. Jahrhundert entfalten konnten und populärer wurden. Die Akzeptanz und „Christianisierung“ der Totengeister und die Verknüpfung dieses Motivs mit der liturgischen Memoria ist Thema des dritten Abschnitts. Unter der Überschrift „Invasion der Totengeister“ wird dann der immer deutlichere Niederschlag von Wiedergängern in schriftlichen Quellen ab dem 10. Jahrhundert verfolgt, was mit der Ausformung der Memorialpraxis in Verbindung gebracht wird. Unter Punkt 5. werden die wichtigen Veränderungen der liturgischen Memorialpraxis, die von Cluny ausgingen, abgehandelt und gezeigt, daß die cluniacensischen Reformen (wie die Einführung des Allerseelenfestes) unter Verwendung des Totengeistermotivs legitimiert wurden. Die Banalisierung der Totengeister, die durch die „Predigermaschinerie“ sogenannter Bettelorden oder der Zisterzienser bewirkt wurde, wird im sechsten Abschnitt thematisiert. Mit der massenhaften Verbreitung des Totengeistermotivs und der Etablierung eines relativ festen Systems des liturgischen Totengedenkens tritt ab dem 13. Jahrhundert auch eine „Säkularisierung“ der Totengeisterberichte ein. Nicht nur Kleriker, sondern auch weltliche Autoren verwendeten nun das Wiedergängermotiv und illustrierten damit, daß die kirchlichen Anstrengungen zur gewohnheitsmäßigen Umsetzung des christlichen Totengedenkens erfolgreich waren und in weiten Kreisen, auch außerhalb kirchlicher Institutionen, Anklang fanden und reproduziert wurden. Diesem Gedanken ist Punkt 7. gewidmet. Schließlich werden die Ergebnisse dieser Arbeit in einem Fazit kurz zusammengefaßt.

Neben verschiedenen Quelleneditionen stützt sich die vorliegende Arbeit vor allem auf die Bücher von Jean-Claude Schmitt „Die Wiederkehr der Toten“, Claude Lecouteux „ Geschichte der Gespenster und Wiedergänger im Mittelalter“ und die Studie von Peter Dinzelbacher „Vision und Visionsliteratur im Mittelalter “. Schmitt, dessen Buch von 1994 die aktuellste Monographie zum Thema darstellt, gibt einen detaillierten Überblick zu den Totengeistern, vernachlässigt m.E. jedoch die enge Verbindung des Motivs mit der Herausbildung des christlichen Memorialsystems. Lecouteux benutzt in seinem Buch vor allem Quellen, mit denen er das Weiterleben heidnischer Totengeistmotive in der christlichen Gesellschaft verfolgt. Die Verbindung zwischen christlichen Totengeistern und Memoria wird allerdings auch hier nur kurz gestreift. Dinzelbacher gibt den umfassensten Einblick in das Thema und berücksichtigt gleichzeitig nicht nur die Visionen über Wiedergänger, sondern zu einem großen Teil die Reisen von Lebenden ins Jenseits, die hier allerdings weniger von Bedeutung sind. Wichtig zur Anfertigung dieser Hausarbeit war der schon etwas ältere, aber sehr informative Aufsatz von Franz Neiske über „Vision und Totengedenken “ von 1986, der – wie der Titel schon sagt - genau die Elemente verbindet, um die es im Folgenden gehen soll: Totengeister und Memoria. Der Aufsatz „ Theologie und Liturgie der mittelalterlichen Toten-Memoria “ von Arnold Angenendt erwies sich für die Darstellung der Entwicklung des liturgischen Totengedenkens ebenfalls als sehr wertvoll.

1. Einleitung

Das griechisch-römische Heidentum kannte zahlreiche Totengeister ebenso wie die germanischen Kulturen. In den aus diesen Kulturen überlieferten Sagen über Totengeister lassen sich vor allem Erzählmotive finden, die die Geister als brutal darstellen. Sie kehren aus dem Jenseits zurück, um unter den Lebenden Blutbäder anzurichten, Landstriche zu verwüsten und die Bewohner bestimmter Orte zu zwingen, Haus und Hof zu verlassen. Die vorchristlichen Totengeister, so schreibt auch Schmitt, zeichneten sich durch ihre furchtbare Gewalttätigkeit und Körperlichkeit aus. Man konnte sich von ihnen nur durch die Vernichtung der Leichname entledigen.[1] Grundsätzlich galten die germanischen Totengeister als unerwünscht. Aus Angst, Mitgefühl oder Schuldbewußtsein wollte man ihre Rückkehr zu den Lebenden verhindern. Deshalb enthauptete man Leichname, fesselte, durchbohrte oder verbrannte sie. Überhaupt interpretieren Ethnologen die Tatsache, daß Menschen begraben wurden, als einen Akt, um die Toten gefangen- und vor einer Wiederkehr zurückzuhalten. Dazu diente u.a. die Beschwerung der Toten mit Steinen auf dem Grab.[2] Man erhoffte sich dadurch, die Leichen handlungsunfähig zu machen. Reminiszenzen dieser Angst vor den Toten und ihrer Macht gab und gibt es auch in der christlichen Kultur. Die versuchte jedoch den Übergangsritus zum Jenseits und die Interaktion zwischen Lebenden und Toten, also die Memoria, anders zu gestalten, „zivilisierter“ und – wie wir sehen werden – im Mittelalter durch die Etablierung eines totenliturgischen Systems, das versprach, die Toten in Frieden ruhen lassen zu können.

Selbstverständlich war das Gedenken an die Toten im frühen Christentum zunächst nicht. Zwischen Tod und Auferstehung schien der Seele, weil sie ohne Körper nichts war, nur übrigzubleiben, im Jenseits schlafen zu müssen. Das Leben galt mit dem Tod als abgeschlossen, wenn auch noch nicht „gerichtlich“ überprüft und sanktioniert. Im Hinblick auf seine Sünden konnte man allenfalls an die Barmherzigkeit Gottes am Jüngsten Tag hoffen – eine Vorstellung, die im frühen Christentum als eine „Naherwartung“ galt. Je mehr sich die Vorstellung eines baldigen Jüngsten Gerichtes jedoch als Täuschung erwies, desto dringender wurde die Frage nach dem Zwischenzustand zwischen Leben und Wiederauferstehung. Dies hatte zur Folge, daß sich die Vorstellungen über den Zwischenzustand bald auszudifferenzieren begannen. Der Glaube entwickelte sich dahin fort, daß schon vor dem endgültigen Gericht eine Scheidung in Gerechte und Sünder getroffen wurde, daß also das irdische Leben im voraus mit Belohnung oder Strafe sanktioniert werden konnte. Das bedeutete gleichsam, daß die Seele nicht mit dem Tod eines Menschen zu existieren aufhörte. Die Seele wurde nach dem Tod zwar körperlos, aber sie hatte eine weitere Existenz, und das Weiterexistieren der Seele im Jenseits erlaubte es, einen „außerirdischen“, sozialen Raum zu konstruieren, der sich nach christlichen Wertvorstellungen richtete. Ein Gedanke, der schon bald die Grundlagen der christlichen Anthropologie bestimmte, dernach der Mensch aus einem von Gott geschaffenen, sterblichen Körper und einer ebenfalls von Gott geschaffenen, unsterblichen Seele besteht. Wenn ein Mensch starb, dann wurde sein Körper, der nur eine zeitweilige Hülle der Seele war, beerdigt. Der Körper verfaulte. Die Seele jedoch und das ihr innewohnende göttliche Prinzip lebte weiter. Sobald sie sich vom Körper gelöst hatte, mußte sie, sofern sie nicht direkt nach dem Tod errettet oder ewig verdammt wurde, eine Läuterung erfahren, um das endgültige Heil zu erlangen. Die Idee der Läuterung im Jenseits wurde schließlich im Mittelalter insbesondere mit der „Geburt des Fegefeuers “ (LeGoff) populär. Die Bedeutung menschlichen Handelns wurde dadurch mit in das Jenseits getragen. Insofern wurde das Totenreich unter Christen nicht mehr als ein Antagonismus zum Diesseits aufgefaßt, sondern als eine Einheit mit dem Diesseits. Die apostrophierte Verbundenheit zwischen Diesseits und Jenseits bedeutete folglich auch eine immerwährende soziale Verbindung zwischen Lebenden und Toten.

In diesem Kontext ist zu sehen, daß Begriffe wie Sünde, Bußleistungen (z.B. Gebete, Almosen, Fasten, Meßfeiern, etc), Seelenheil und Vorstellungen von der Minderwertigkeit diesseitigen Lebens eine wichtige Rolle spielten. Menschen sündigten und waren, weil Sünden auch im Jenseits nicht ihre Geltung verloren, der ständigen Gefahr ausgeliefert, nach ihrem Tod in der Hölle zu schmoren. Diese Angst muß als real für den mittelalterlichen Menschen gewertet werden und war der Antrieb, Sünden möglichst noch zu Lebzeiten durch Wiedergutmachung zu neutralisieren. Fromme Werke oder Almosen konnten da für Abhilfe schaffen. Aber was passierte, wenn man plötzlich starb, keine Zeit mehr hatte, Gutes zu tun, um seinen irdischen Sündenkatalog abzusühnen; kurzum was passierte, wenn der Übergangsritus zum Jenseits nicht problemlos verlief? Wie erwähnt galt die Ausgleichsforderung in Bezug auf die Sünden über den Tod hinaus. Tröstlich mußte gelten, daß man mit der Idee des Fegefeuers auch nach dem Tod von Sünden gereinigt werden konnte. Gleichzeitig konnten sich aber auch die Verbliebenen mit Hilfe von Suffragien für das Seelenheil eines Verstorbenen einsetzen. Das Kompensations- und Austauschprinzip, auf dem das „Sündensystem“ der Kirche beruhte und über das man für sein Seelenheil aktiv werden konnte, wurde damit auf die Verbliebenen eines Toten übertragen. Die stellvertretende Bußableistung bedeutete letztlich eine nicht endende Verantwortung der Lebenden für die Toten. Wir kommen zum Kern dessen, worum es in der Hausarbeit gehen soll. Kamen die Verwandten und Freunde der Aufgabe, sich für das Seelenheil eines Toten einzusetzen, nicht nach, konnte der Verstorbene seinen jenseitigen Aufenthaltsort verlassen, nicht um sich – nach germanischen Mustern – zu rächen, sondern um Suffragien einzufordern. Der Katalog von Dienstleistungen für die Toten wurde im Laufe des Mittelalters immer größer und soll im Folgenden noch genauer untersucht werden. Die in solchen Situationen auftauchenden Totengeister, egal ob sie körperlich greifbar, schemenhaft erkennbar oder unsichtbar waren – der materielle Wert dieser Erscheinungen soll hier nicht interessieren – erteilten den Lebenden eine Lektion über das Jenseits und über die Strafen, die einen dort erwarten konnten. Die Tatsache, daß die christlichen Totengeister fast ausschließlich mit der Bitte um Suffragien in Erscheinung traten, stellt dieses Motiv in engen Zusammenhang mit der Herausbildung des liturgischen Totengedenkens.

Ein Aspekt soll noch vorab geklärt werden: Wie ernst kann man sich heute den Glauben an Totengeister im Mittelalter vorstellen? Meiner Ansicht nach existierten die Wiedergänger nur in der Phantasie der Lebenden. Jedoch die Phantasie als Interaktionsraum zwischen Lebenden und Toten für irrelevant und handlungsunmächtig zu erklären wäre falsch. Es gab, so scheint es, eine Realität des Irrealen.[3] In diesem Sinne argumentiert auch Schmitt, wenn er darlegt, daß der Glaube an die Existenz von Totengeistern in einer Kultur, die zutiefst religiös war und mit dem Tod und den Toten vertraut war, etwas allgemein Akzeptiertes darstellte.[4]

Allgemein akzeptiert wurden die Totengeister jedoch nicht von Anfang an. Es war ein langer Weg, eh sie Eingang in die kirchliche Predigerrethorik fanden.

2. Die frühe kirchliche Ablehnung der Totengeister

Durch die Christianisierung wurden die Berichte über Wiedergänger diskreditiert und zurückgedrängt. Heidnische Traditionen versuchte man auszulöschen. Zum einen begründete sich diese Ablehnung eben mit der paganen Tradition der Wiedergänger, zum anderen ließen sich Totengeister in dem für den christlichen Glauben ausschlaggebenden Buch, der Bibel, kaum finden. In der Tat gibt es nur einen einzigen biblischen Bericht über den Geist eines Toten, wenn man die Wiederauferstehung Jesu und andere göttlichen, "übernatürlichen" Erscheinungen mal zur Seite läßt, aber Jesus - genauso wie Engel und Heilige - waren natürlich nicht irgendwelche Wiedergänger, sondern spielten als Sohn, beziehungsweise als Boten Gottes eine besondere Rolle und sollen außer Acht gelassen werden, denn in dieser Arbeit soll es um „normale“ Wiedergänger gehen. Bei dem einzigen Bericht über einen Totengeist handelt es sich um die Geschichte von Saul und der Totenbeschwörerin von En-Dor (1 Samuel, 28,3-25). Auch wenn diese Geschichte ein Beispiel hätte sein können, daß die grundsätzliche Möglichkeit der Wiederkehr von Toten unter Beweis stellt, wurde dieser Akt der Nekromantie insbesondere von den Kirchenvätern negativ beurteilt.[5] Andere Texte der Bibel können explizit als Ablehnung des Geisterglaubens gedeutet werden. Zum Beispiel das Gleichnis von Lazarus und dem reichen Mann. Darin wird eindeutig gesagt, daß die Toten nichts mit der diesseitigen Welt zu tun haben (Lk., 16, 19-31). Insgesamt kann man die Bibel also im Sinne einer Ablehnung der Totengeister auslegen.

[...]


[1] Schmitt, Jean-Claude, Die Wiederkehr der Toten. Geistergeschichten im Mittelalter. Aus dem Französischen von Linda Gräz, Stuttgart 1995, S. 25

[2] Lecouteux, Claude, Geschichte der Gespenster und Wiedergänger im Mittelalter. Mit einem Vorwort von Lutz Röhrich, Köln 1987, S. 29f

[3] vgl. Schadewaldt, Hans, Die mittelalterliche Physiologie des Traumgeschehens, in: Hiestand, Rudolf, Traum und Träumen. Inhalt, Darstellung, Funktion einer Lebenserfahrung im Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1994, S. 207-224

[4] Schmitt, Wiederkehr, S. 14

[5] ebd., S. 27

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Wiedergänger und liturgisches Totengedenken
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichte)
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
29
Katalognummer
V9555
ISBN (eBook)
9783638162289
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wiedergänger, Totengedenken
Arbeit zitieren
Alexander Schug (Autor:in), 1999, Wiedergänger und liturgisches Totengedenken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9555

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