Das Wirtschaftswunder - ein vorhersehbares Ereignis?


Seminararbeit, 1999

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Vorbemerkungen
II.1. Vorstellung von Werner Abelshauser
II.2. Die wirtschaftliche Entwicklung in Westdeutschland 1945-1980 - eine Kurzübersicht

III. Vorstellung der Rekonstruktionshypothese
III.1. Das Grundkonzept
III.2. Übertragung auf die deutsche Nachkriegsperiode 1945- 1980

IV. Untersuchung ausgewählter Fragestellungen der Rekonstruktionshypothese
IV.1. Prüfung der These, daß der Wirtschaftsaufschwung bereits vor der Währungsreform eingesetzt hat
IV.2. Überprüfung der Existenz eines langfristigen Entwicklungspfades der deutschen Volkswirtschaft
IV.3. Prüfung der Entwicklung des Humankapital-Angebots

V. Zusammenfassung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Das Wirtschaftswunder, ein vorhersehbares Ereignis ? Mit dieser These traf der Wirtschaftshistoriker Werner ABELSHAUSER vielleicht den Nerv der nachkriegsdeutschen Identität, die soziale Marktwirtschaft, der nach überwiegender Überzeugung der Wirtschaftshistoriker (und auch der Bevölkerung) der rasante Wirtschaftsaufschwung der 50er und 60er Jahre zu verdanken gewesen sei. Wo andere LUDWIG ERHARDT die Vorraussetzungen für das Wirtschaftswunder schaffen sahen, sah Abelshauser puren Automatismus am Werk - fast zwangsläufig mußte seine These in Fachkreisen auf große Kritik stoßen.

In dieser Arbeit soll und kann es nicht um eine vollständige empirische Prüfung der sogenannten „Rekonstruktionshypothese“ gehen, sondern um die Prüfung einiger Kernaussagen, die Abelshauser vertritt. Dafür wird zunächst einmal nach einer kurzen Vorstellung Abeslhausers und der wirtschaftlichen Situation in Westdeutschland 1945 bis 1980 (Kapitel II) die Rekonstruktionshypothese beschrieben (Kapitel III). Danach folgt die Analyse ausgewählter Aspekte dieser Hypothese (Kapitel IV). So wird der Frage nachgegangen, wann der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland tatsächlich eingesetzt hat, ob die von Abelshausers postulierten langfristigen Wachstumspfade von Volkswirtschaften wirklich existieren und wie die Humankapitalentwicklung in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg verlaufen ist. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengetragen und bewertet (Kapitel V).

II. Vorbemerkungen

II.1. Vorstellung von Werner Abelshauser

Prof. Dr. Werner Abelshauser ist einer der bekanntesten und umstrittensten Wirtschaftshistoriker im deutschsprachigen Raum. Abelshauser, 1944 im badischen Wiesloch geboren, begann seine wissenschaftliche Karriere nach dem erfolgreichen Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim an der Ruhr- Universität Bochum als wissenschaftlicher Assistent. Nach seiner Promotion (1973) und Habilitation (1980) wurde im 1983 die Professur in Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Ruhr- Universität Bochum übertragen, die er bis 1989 wahrnahm. Zur Zeit ist Prof. Abelshauser an der Universität Bielefeld Inhaber des „Lehrstuhles für allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsgeschichte“. Abelshauser hat insbesondere durch seine kritische Analyse der Bedeutung der deutschen Wirtschaftspolitik für das sogenannte Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg für Aufsehen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gesorgt.

II.2. Die wirtschaftliche Entwicklung in Westdeutschland 1945- 1980 - eine Kurzübersicht

Kernfrage dieser Hausarbeit ist wie bereits beschrieben die Frage nach den Entstehungsgründen für das sogenannte Wirtschaftswunder und nach den Ursachen für sein Ende.

In diesem Abschnitt soll es nun zunächst darum gehen, die wirtschaftliche Entwicklung in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg in groben Zügen anhand von zwei Indikatoren, dem Brutosozialprodukt und der Anzahl der Arbeitslosen zu skizzieren um so einen Eindruck vom Ausmaß des wirtschaftlichen Aufstieges Westdeutschlands zu bekommen.

Für die ersten Nachkriegsjahre liegen keine Daten für die Arbeitslosigkeit und Sozialprodukt vor. Festzuhalten bleibt jedoch, daß die deutsche Wirtschaft bis 1947 vollständig am Boden lag. Die Ernährungslage war kritisch, das Transportsystem größtenteils zerstört, zusätzlich kam es immer wieder zu Unruhen und lokalen Aufständen.1 Die Periode 1945-1947 kann also als Tiefstperiode der wirtschaftlichen Entwicklung in angesehen werden.

Daten über unsere beiden Indikatoren liegen ab dem zweiten Halbjahr 1948 vor. Das Bruttosozialprodukt lag für dieses Halbjahr bei 813,1 DM2, die Arbeitslosigkeit im Oktober 1948 bei 3,2 v.H.3 Innerhalb von zwei Jahren stieg die Arbeitslosenquote auf 10,0 v.H.4, fast zwei Millionen Menschen waren im Februar 1950 ohne Erwerbsarbeit.5 Anfang 1954 lag die Arbeitslosenquote bei 8,9 v.H., 1,524 Mio. Menschen waren ohne Arbeit.6 Das Bruttosozialprodukt pro Kopf stieg in den Jahren 1950 bis 1954 von 2072 DM auf 3211 DM.7

Dieser rasante Anstieg setzte sich in den nächsten Jahren fort. 1958 betrugt das Bruttosozialprodukt bereits 4446 DM pro Kopf bei einem gleichzeitigem Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf 0,160 Mio.8 Der deutsche Arbeitsmarkt befand sich zu diesem Zeitpunkt faktisch im Zustand der Vollbeschäftigung und konnte diesen Zustand mit Ausnahme des Jahres 1967 (knapp 0,5 Mio. Arbeitslose) bis in die 70er Jahre halten.9 Ab 1973-1974 stiegen die Erwerbslosenzahlen wieder drastisch an und erreichten einen Höhepunkt 1975 mit 1,06 Mio. Arbeitslosen, was einer Quote von 4,7 v.H. entsprach.10

Das Bruttosozialprodukt nahm in den 60er Jahren weiter sprunghaft zu. Während es 1960 5921DM pro Kopf betrug, lag es 1969 bereits bei 9951DM, hervorgerufen durch großes jährliches Wachstum abgesehen von der Entwicklung des Brutosozialproduktes im Jahr 1967, in dem es erstmals im geringen Maße zurückging.11 Ein Blick auf die jährlichen inflationsbereinigten Wachstumsraten des BSP zeigt jedoch das von Abelshauser beschriebene Abflachen des Wachstums auf. Während die deutsche Volkswirtschaft in den Jahren 1950-1954 und in den Jahren 1955 bis1958 noch um 8,8 v.H. bzw. 7,2 v.H. p.A. wachsen konnte, lag die Wachstumsrate in den Jahren 1959-1963 nur noch bei 5,7 v.H. und geht schließlich bis auf 2,5 v.H. in der Periode 1976-1982 zurück.12

III. Vorstellung der Rekonstruktionshypothese

III.1. Das Grundkonzept

Abelshauser stellt in seinem Buch „Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland analog zu den früheren Überlegungen des Ungarn Franz Jánossy die These auf, daß Volkswirtschaften individuellen Wachstumspfaden folgen, zu denen sie nach Störung des wirtschaftlichen Wachstums zurückkehren: „ Dem Modell der Rekonstruktionshypothese liegt die Annahme zugrunde, daßzwischen dem Wachstumspfad einer Volkswirtschaft und Störungen des wirtschaftlichen Wachstums, die von ihm wegführen, unterschieden werden könne. Das vorausgesetzt, haben wirtschaftliche Wachstumsprozesse die Tendenz, nach einer Unterbrechung wieder zum Wachstumspfad zurückzukehren, weil sein Verlauf das wirtschaftlich mögliche und historisch realisierte Wachstum beschreibt “ . 13 In der Rekonstruktionsphase können Volkswirtschaften also nach Abelshauser überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten erreichen, die bis zum Erreichen des Wachstumspfades langsam abnehmen und sich danach auf dem Niveau des Wachstumspfades einpendeln. Die Ursache für diesen Prozeß sieht Abelshauser in der Existenz von sogenannten „Fortschrittsüberschüssen“14. Diesen stellen die Diskrepanz von realer Leistung und potentieller Leistungsfähigkeit dar. Abelshauser vertritt die These, daß diese Diskrepanz nach schwerwiegenden Störungen der wirtschaftlichen Prozesse (wie zum Beispiel im zweiten Weltkrieg und in der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Krieges) diese Diskrepanzen in einem besonders großem Maße vorhanden sind. Kann die exogene Störung des Wirtschaftslebens beseitigt werden, so können Volkswirtschaften nach dieser Auffassung höhere Wachstumraten erzielen als vor der Störung und nähern sich so ihrem langfristigen Wachstumspfad wieder an. Ein langfristiges Einpendeln des Wirtschaftswachstums oberhalb des Entwicklungspfades wird nach Abelshauser dadurch verhindert, daß mit der Annäherung an den Wachstumspfad die Fortschrtittsüberschüsse aufgebraucht sind und ein weitergehendes Wachstum damit nicht mehr möglich ist.

Die Fortschrittsüberschüsse werden dabei aus zwei Quellen gespeist, aus brachliegenden Potentialen beim immateriellen, d.h. Humankapital, und beim materiellen Kapital.

Abelshauser sieht im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg in den vom Krieg zerstörten Ländern also einen Automatismus und wendet sich bewußt gegen die These, daß primär ordnungspolitische Weichenstellungen (Währungsreform, soziale Marktwirtschaft ect.) das „Wirtschaftswunder“ verursachten.

III.2. Übertragung auf die deutsche Nachkriegsperiode 1945- 1980

Das wirtschaftliche Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland wurde nach dem Beginn des Aufschwungs, den Abelshauser entgegen vielfacher Auffasung von Kollegen (z.B. BALLABKINS, WALLICH, KLUMP) schon Monate vor der Währungsreform vom Juni 1948 beginnen sieht15, nach Abelshauser zunächst von den freien Kapazitäten der Kapitalausstattung getragen.

Produktionserhöhungen seien demnach der besseren Anlagennutzung (insb. Anlagenreparaturen) zu verdanken gewesen.16 Mit einem geringen Einsatz an Kapital konnte so ein großer Produktionsschub realisiert werden. Dieser Mechanismus ist belegbar durch den Blick auf den marginalen Kapitalkoeffizienten ? 17. Dieser lag in den Jahren 1951-1955 nach Abelshauser bei ? = 2,4, d.h. es mußten nur 2,4 v.H. des Bruttoinlandproduktes investiert werden, um das Sozialprodukt um 1 v.H. zu erhöhen.18 Nach dieser Phase des konkreten „Wiederaufbaus“, die Abelshauser bis zur Mitte der 50er Jahre faßt19, wurde der weitere Aufschwung zunächst vom kapitalintensiveren Ausbau der Kapazitäten (der Kapitalkoeffizient steigt in dieser Phase auf 4,5 v.H.) und danach insbesondere von der Nutzung von „ akkumulierten Reserven von immateriellen Kapital “ 20 getragen . Eine anschauliche Darstellung dieser Entwicklung findet sich in ALTVATER - HOFFMANN - SEMMLE: „ Hochqualifizierte Techniker sind aufgrund der Zerstörungen und der Depression nach Kriegsende damit beschäftigt, Steine zu klopfen. Die Reparatur zerstörter Fabriken ermöglicht bald ihren Einsatz entsprechend ihrer Qualifikation. Relativ einfache und kurzfristig wirksame Investitionen oder auch nur Reparaturen führen die Ö konomie schnell auf ein höheres Entwicklungsniveau wegen der vorhandenen und nicht erst herzustellenden Qualifikationsstruktur. “ 21

Die Reserven an immateriellen Kapital existierten nach Abelshauser sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht und wurden aus fünf Quellen gespeist: Erstens aus den brachliegenden Arbeitskraftpotentialen der Kriegszeit, zweitens aus dem Abbau räumlicher Mißverhältnisse der Qualifikationsstruktur, drittens aus dem Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus den ehemaligen Ostgebieten und später aus der DDR und viertens aus der Immigration ausländischer ArbeitnehmerInnen, die zwar nicht direkt zu einer Erhöhung des Qualifikationsniveaus der Erwerbstätigen führte, indirekt deutschen Arbeitskräften durch die Übernahme minder qualifizierter Tätigkeiten den Aufstieg in höher qualifizierte ermöglichten und fünftens aus der Arbeitslosenreserve.22 Nach dem Aufbrauchen der Arbeitslosenreserve Mitte der 60er Jahre existierten nach Abelshauser keine akkumulierten Qualifikationsreserven mehr, das Wachstum der deutschen Volkswirtschaft schwächte sich ab, das Ende der Rekonstruktionsperiode schien erreicht. Das Wirtschaftswachstum war - so Abelshausers Überzeugung - „ in die Kontinuität der langfristigen Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft eingemündet “ 23 . Eine graphische Darstellung des Rekonstruktionsprozesses sieht folgendermaßen aus:

Die Strecke AF bezeichnet die Trendlinie der wirtschaftlichen Entwicklung, den langfristigen Wachstumspfad. AB ist die Produktionsentwicklung vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Die Strecke BC beschreibt das Schrumpfen des Produktionsniveaus im Laufe des zweiten Weltkrieges. Nach Erreichen des absoluten Tiefpunktes C beginnt daraufhin mit dem Ende des Krieges die Rekonstruktionsperiode, die über das Vorkriegsniveau D bis zur Rückkehr zum langfristigen Wachstumspfad im Punkt E führt. Die unterschiedlichen Steigungen der Strecken CD und DE resultieren aus der Tatsache, daß das wirtschaftliche Wachstum in den ersten Jahren der Rekonstruktionsphase höher war als in den Folgejahren.24

IV. Untersuchung ausgewählter Fragestellungen der Rekonstruktionshypothese

Anschließend an die eher grobe Skizzierung der abelshauserschen Rekonstruktionshypothese in Kapitel III soll diese nun im folgenden anhand bestimmter Fragestellungen auf ihre Validität untersucht werden.

IV.1. Prüfung der These, daß der Wirtschaftsaufschwung bereits vor der Währungsreform eingesetzt hat

Wie bereits beschrieben, wendet sich Abelshauser in seiner Rekonstruktionshypothese gegen den „Mythos“25 der Sozialen Marktwirtschaft und der Währungsreform als Wachstumsmotor der deutschen Volkswirtschaft.

Seiner Auffassung begann der wirtschaftliche Aufschwung nicht erst mit der ordnungspolitischen Weichenstellung Währungsreform am 20. Juni 1948, sondern bereits vorher. Der Aufschwung ab Herbst 1947 sei vielmehr Voraussetzung für die erfolgreiche Währungsreform gewesen.26 Zu Überprüfen ist nun, ob der Aufschwung in der Tat schon 1947 einsetzte und wie stark der tatsächliche wirtschaftliche Aufschwung nach der Währungsreform ausfiel. Der amtliche Produktionsindex (Basisjahr 1936=100)) lag im zweiten Quartal 1947 bei 40, im dritten bei 42 und im vierten Quartal bei 45. Nach der Währungsreform im zweiten Quartal 1948 stieg er sprunghaft von 50 auf 69 und im vierten Quartal schließlich auf 79. Die Wachstumsraten nach der Währungsreform lagen mit 30,0 v.H. für das dritte Quartal und 21,5 v.H. für das vierte Quartal also eindeutig über den Wachstumsraten für 1947, die bei 5,0 v.H. und 7,1 v.H. lagen.27 Abelshauser bezweifelt jedoch die Validität der amtlichen Statistiken und versucht eine eigene Berechnung. Er geht davon aus, daß aufgrund der in der Zeit vor der Währungsreform herrschenden Hortungswirtschaft die Produktion in der amtlichen Statistik für diese Periode zu gering angesetzt wurde.28 Für seine alternative Untersuchung der Produktionsentwicklung zieht Abelshauser den Stromverbrauch in der Bizone als Indikator heran. Unter Hinzuziehung des Stromverbrauchs kommt Abelshauser dann auch zu Werten, die von der amtlichen Statistik abweichen. Diese sind in der folgenden Abbildung dokumentiert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für das zweite, dritte und vierte Quartal 1947 errechnet Abelshauser einen Produktionsindex von 44, 46 und von 50, für das erste und zweite Quartal Werte von 54 und von 57. Nach der Währungsreform steigt der Index auf 65 im dritten Quartal und schließlich auf 79 Ende 1948.29 Die Wachstumsraten der industriellen Produktion liegen für erste Quartal 1948 bei 8,0 v.H. , für das zweite bei 5,5 v.H., im dritten bei 14,0 v.H. und im vierten Quartal bei 21,5 v.H. Das Wirtschaftswachstum nach der Währungsreform verläuft nach dieser Berechnung also bedeutend gedämpfter als in der amtlichen Statistik und läßt Abelshauser zu dem Schluß kommen, daß die Währungsreform kein einschneidendes und entscheidendes Ereignis für die Entwicklung des Wachstums war.30

Diese Interpretation und auch Abelshausers´ Untersuchungsmethode werden in der wirtschaftsgeschichtlichen Literatur oft kritisiert. Insbesondere KLUMP weißt darauf hin, daß die Produktionszuwächse bei Abelshausers Daten zwar unterhalb der amtlichen Ansätze liegen, in der zweiten Jahreshälfte 1948 jedoch immer noch deutlich über den Wachstumsraten vor der Währungsreform liegen und daher die Bedeutung der Währungsreform bestätigen und nicht negieren.31 KLUMP kritisiert außerdem Abelshausers Ansatz zur Ermittlung der Produktionszuwächse: „ Es sind [...] Zweifel angebracht, ob die neu ermittelten Indexzahlen die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung in der deutschen Nachkriegszeit besser beschreiben als amtliche Statistiken. “ 32 KLUMP weißt auf den Umstand hin, daß Abelshauser nur für das vierte Quartal 1948 und das erste und zweite Quartal 1948 eine Neueinschätzung der Entwicklung der industriellen Produktion vornimmt, für die Perioden danach jedoch wieder die Daten der vorher kritisierten amtlichen Statistik übernimmt.33 KLUMP sieht für diese Rückkehr keine sachliche Begründung, da die amtlichen Statistiken durch die Fixierung auf das Basisjahr 1936 mit einer der damaligen Strukturquote enstprechenden Gewichtung der einzelnen Industriezweige sowohl vor als auch nach der Währungsreform die Industrieproduktion und das Wachstum unterschätzt hätten.34 Hier kann KLUMP jedoch entgegengehalten werden, daß mit der Währungsreform im zweiten Quartal 1948 die Schwächen der amtlichen Statistik aufgrund der vorhergehenden Hortungswirtschaft als beseitigt angesehen werden können. Insgesamt kann jedoch festgehalten werden, daß es Abelshauser nicht gelingt, die Bedeutung der Währungsreform für den rasanten Wirtschaftsaufschwung der späten 40er Jahre zu widerlegen.

IV.2 Überprüfung der Existenz eines langfristigen Entwicklungspfades der deutschen Volkswirtschaft

Abelshausers Rekonstruktionshypothese beruht wie bereits beschrieben auf der Annahme, daß Volkswirtschaften langfristigen Entwicklungspfaden folgen. In diesem Abschnitt soll untersucht werden, ob die Existenz eines Pfades für die deutsche Wirtschaft empirisch bestätigen läßt.

Abelshauser selbst weiß um die Problematik eines Entwicklungspfades der deutschen Wirtschaft: „ Diese Kontinuität des Wachstumspfades im deutschen Fall zu beschreiben, fällt jedoch nicht leicht [...} Die Annahme, der Wachstumspfad der Hochindustrialisierungsperiode habe sichüber alle Störungen des Wachstumsprozesses fortgesetzt und setze sich nun erneut durch, scheint deshalb gewagt. “ 35 DUMKE weißt zurecht darauf hin, daß in Abelshausers eigener Darstellung des Wachstums der industriellen Produktion in Deutschland 1870-1980 die durch die Jahre 1870-1914 gelegte Trendlinie des Wachstums nie mehr nach 1945 erreicht wird.36

BORCHARDT kommt in einer Untersuchung des Nettosozialproduktes pro Kopf zu einem Ergebnis, daß der Rekonstruktionshypothese widerspricht: Das Wachstums der deutschen Volkswirtschaft erreicht nach BORCHARDT bereits 1960 das Niveau einer fortgeschriebenen Trendlinie der Jahre 1850-1914 und folgt dieser in den Jahren nach 1960 nicht wie bei ABELSHAUSER postuliert, sondern wächst in den nächsten 15 Jahren schneller als der Trend.37 Eine Anpassung an den Wachstumspfad findet also nicht statt.

Auch ROHWER kommt in seinen Untersuchungen des Wachstums des Bruttosozialproduktes in Deutschland zu dem Schluß, daß das Wachstum nach 1955 permanent über dem Trend der Jahre 1850- 1913 liegt.38

ROHWER weißt jedoch ausdrücklich darauf hin, daß bei einer Änderung der Bezugsdaten durchaus ein Wachstumspfad extrapoliert werden kann. ROHWER betrachtet das Nettosozialprodukt in Deutschland von 1850 bis 1980 in den Preisen von 1976. Verlängert man nun die Trendlinie des Wachstums der Jahre 1850 bis 1913, so stellt man fest, daß das tatsächliche Wachstum in den späten 60er Jahre zum Wachstumpspfad konvergiert.39 Hier scheint die Rekonstruktionshypothese bestätigt.

In der Literatur wird die Existenz eines langfristigen Wachstumspfades also unterschiedlich bewertet. Die vorliegenden, sich zu widersprechen scheinenden Ergebnisse unterschiedlicher Untersuchungen stützen, wenn schon nicht alle Abelshausers Rekonstruktionshypothese, dann zumindest die Aussage von BOMBACH, der darauf hinwies, daß jeder Trend willkürlich sei, da er vom gewählten Anfang und Ende, der Aufnahme oder dem Ausschluß außergewöhnlicher Jahre sowie der untersuchten Größe abhänge.40

IV.3. Prüfung der Entwicklung des Humankapital-Angebots

Abelshauser zu Folge beruht die Entwicklung des wirtschaftlichen Aufschwungs auf dem Angebot und der Qualität des Humankapitals. Die hohen Wachstumsraten bis in die 60er Jahre resultieren nach dieser Annahme insbesondere aus den akkumulierten und aufgrund des Krieges bisher nicht genutzten Reserven im Arbeitskräftepotential der Bevölkerung in Deutschland und auf dem steten Zustrom neuer Arbeitskräfte aus den Ostgebieten und aus anderer Migration.41 Das abschwächende Wachstum in den 60er und in den 70er Jahren ist folglich für Abelshauser die Konsequenz aus dem aufgebrauchten zusätzlichen Arbeitskräfte-Potential und einem Mangel an höher qualifizierten Arbeitskräften.42

In diesem Kapitel geht es um die Überprüfung der oben skizzierten Entwicklung. Dabei soll insbesondere die Frage im Vordergrund stehen, ob eine relative Verknappung des Angebotes an höher qualifizierten Arbeitskräften in den 60ern und 70ern wirklich existierte und zu einem Abflachen des Wirtschaftswachstums führte. Abelshauser unterstellt nach dem Ende des Weltkrieges ein hohes Potential an ungenutzter Arbeitskraft. Dieses Potential müßte sich sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht belegen lassen. Als quantitativer Indikator soll hier die Arbeitslosigkeit herangezogen werden. Diese lag 1950 bei 1,98 Mio.43 Erwerbslosen und wurde innerhalb von 9 Jahren fast komplett beseitigt (30.9.1959: 0,184 Mio.44 ). Zusätzlich zu diesem Aufbrauchen der Arbeitslosenreserve wurde die Allokation des Humankapitals durch die Förderung der Mobilität der Arbeitskräfte durch den Bau von 8 Mio. Wohnungen verbessert.45 Zu klären ist jetzt noch die Frage, ob die Qualität des Humankapitals durch den Krieg verringert wurde.

DUMKE hat in einer auf KRUG zurückgehenden Untersuchung bewiesen, daß das immaterielle Kapital pro Person (vereinfacht ausgedrückt: Das Qualifikatiosnniveau) auch in den Zeiten der beiden Weltkriege weiter wachsen konnte: It „ provides empirical support for the notion of a long run constant trend line or of a steady- growth of < immaterial capital > per person over a period of 90 years in Germany, 1871-1959. Apparently this is true even in periods of war, when the growth of physical capital stock[...] is substantially shocked. “ 46 Es läßt sich also festhalten, daß Humankapital-Potentiale zu Beginn der Rekonstruktionsperiode sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht existierten.

Abelshauser sieht das Arbeitskräftepotential zusätzlich gespeist durch den Zuzug von Bürgern aus den Ostgebieten und der DDR. Diese seien durch ihre bloße Anzahl und insbesondere durch ihr Qualifikationsniveau für die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs von enormer Bedeutung gewesen.47

1946 lebten nach Angabe des Statistischen Jahrbuches aus dem Jahr 1952 5,96 Mio. Vertriebene in der BRD48 1950 lag die Anzahl bereits bei 8 Mio. und stieg bis 1959 auf 9,8 Mio. an.49 Zu dieser Bevölkerungsgruppe hinzu kamen die Übersiedler aus der DDR, die sich von 1950 (1,02 Mio.50 ) bis 1962 um über 2,5 Mio. auf 3,6 Mio.

Menschen erhöhten.51 Abelshauser weißt bei dieser Bevölkerungsgruppe zurecht darauf hin, daß die Alters- und Erwerbsgruppen, die für das wirtschaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft in der damaligen Zeit besonders wichtig waren, überproportional stark, verglichen mit der Zusammensetzung der sonstigen Wohnbevölkerung der BRD, vertreten waren. 52 Diese Altersgruppe ist jedoch aus zwei Gründen für die Rekonstruktionsentwicklung von besonderer Bedeutung gewesen: Sie waren alt genug, um bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung zu besitzen (es mußte also zunächst nichts mehr in ihr Qualifikationsniveau investiert werden), waren jedoch zumeist noch ungebunden genug, um über ein hohes Maß an Mobilität zu verfügen.

Auch das Qualifikationsniveau der Zuzügler war ausgesprochen hoch. In den Jahren 1952 bis 1964 stellten 20.243 Techniker, 1051 Hochschullehrer und 4546 Ärzte einen Antrag auf Notaufnahme in die BRD.53 Die Dramatik dieser Abwanderung läßt sich auch am Anteil der Ingenieure an der Gesamtbeschäftigtenzahl ablesen: Obwohl die DDR 1958 im Verhältnis zur Gesamtbevölkerungszahl doppelt so viele Ingenieure ausgebildet hatte wie die BRD, lag der Anteil der arbeitenden Ingenieure in Westdeutschland mit 0,33 v.H. fast vier mal so hoch wie in der DDR (0,09 v.H.).54

KINDLEBERGER schätzt, daß der Zuzug von insgesamt über zwölf Millionen Menschen nach Westdeutschland in den 50er Jahren der deutschen Volkswirtschaft ein zusätzliches Potential von sieben Millionen qualifizierten Arbeitskräften verschaffen konnte.55 Wir können zusammenfassend also feststellen, daß es einen Zustrom von qualifizierten Arbeitskräften aus der DDR und den ehemaligen deutschen Ostgebieten in die BRD gegeben hat.

Nach der Abriegelung der DDR trat die Immigration ausländischer ArbeitnehmerInnen an Stelle des Zuzugs aus der DDR. Nach Auffassung Abelshausers konnten diese Gastarbeiter aufgrund ihres geringen Qualifikationsniveaus nicht als Qualifikationsreserve für die deutsche Volkswirtschaft dienen. Indirekt - so Abelshausers Überzeugung - hätten sie jedoch das Qualifikationsniveau der Beschäftigten erhöht, da sie durch die Übernahme minder qualifizierter Positionen deutschen Arbeitskräften den Aufstieg zu höherqualifizierten Stellen ermöglicht hätten.56 Zu untersuchen ist also die Frage, ob die MigrantInnen wirklich minder qualifizierte Arbeitsstellen übernommen haben.

Laut dem Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1980 arbeiteten 1975 2,070 Mio. Ausländer in Westdeutschland, dies entsprach einem Anteil von 10,3 v.H. an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in der BRD.57 Im verarbeitenden Gewerbe (z.B. Automobilbau, Chemische Industrie) lag die Quote der ausländische ArbeitnehmerInnen bei 15 v.H., bei den Kreditinstituten und dem Versicherungsgewerbe nur bei 1,7 v.H.58 1972 dagegen waren nur 8,6 % aller Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe ausländischer Herkunft.59

Auch wenn von diesen Beispielen nur schwer auf die allgemeine Erwerbsstruktur zu schließen ist, ist in jedem Fall eine Tendenz der MigrantInnen zur Aufnahme minder qualifizierter Arbeit zu konstatieren, welche den Anteil der deutschen Arbeitskräfte in diesen Wirtschaftsabteilungen verringert. Abelshausers These der indirekten Erhöhung des Qualifikationsgrades durch die Migration wird durch diese Zahlen also bestätigt.

Abelshauser behauptet, daß der Wachstumsabschwung der 60er und 70er Jahre auf einem relativen Mangel an qualifizierten Humankapital beruhte, die ein weiteres überdurchschnittliches Wachen des technischen Fortschritts verhinderte und so das Wachstum der Volkswirtschaft zum langfristigen Entwicklungspfad zurückführte. Ein Auffüllen des Humankapitals sei durch die erschöpfte Arbeitslosenreserve nicht mehr möglich gewesen. Zu untersuchen sind nun die Fragen, ob die Arbeitskraft-Potentiale wirklich erschöpft waren und ob es wirklich einen Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften gab.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland lag in den 60er Jahren mit Ausnahme des Krisenjahres 1967 kontinuierlich unter 200.000 Erwerbslosen; in Deutschland herrschte also faktisch Vollbeschäftigung.60 Die Zahl der offenen Stellen dagegen betrug im gleichen Zeitraum zwischen 500.000 und 850.000 (wieder ohne 1967).61 Vergleicht man diese Zahlen und zieht man mit ins Kalkül, daß die Arbeitslosigkeit aufgrund von friktioneller und struktureller Komponenten nicht vollständig zu beseitigen war, so stellt man fest, daß es in den 60er Jahren einen immensen Überschuß bei der Arbeitsnachfrage gab, anders gesprochen einen Mangel an Arbeitskräften.

In den 70er Jahren muß die Entwicklung differenzierter gesehen werden. Hier wuchs die Arbeitslosigkeit zwischen 1971 und 1979 von 185.000 auf 876.000 mit Spitzen in den Jahren 1975 und 1976, als die Arbeitslosigkeit über eine Million stieg.62 Die Zahl der offenen Stellen, die 1971 noch deutlich über den Zahl der Arbeitslosen lag (650.000 offene Stellen), verringerte sich 1979 auf 304.000.63 Für die 70er Jahre kann unter quantitativen Gesichtspunkten nicht von einem Arbeitskräftemangel gesprochen werden. Abelshausers Aussage, daß die Arbeitslosenreserve ab Mitte der 60er Jahre aufgebraucht gewesen sei, muß spätestens ab dem Jahr 1974 als falsch kritisiert werden.

Um die Existenz eines eventuellen relativen Mangels an höher qualifizierten Arbeitskräften zu untersuchen, betrachten wir die Entwicklung des relativen Lohns. Wir definieren den relativen Lohn als Verhältnis des Bruttolohnes von hochqualifizierten Arbeitskräften zum Bruttolohn von niedrig qualifizierten Arbeitskräften. Folgende Tabelle gibt Auskunft über die Entwicklung der Löhne und des relativen Lohnes in den Jahren 1957 bis 1953.

Durchschnittliche Bruttostundenlöhne von ArbeiterInnen in der Industrie in Pfennig

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, Übersicht S, VI B7-10

Die Tabelle zeigt, daß der relative Lohn ab 1962 nur noch geringen Schwankungen unterworfen war. Falls die These, daß die abschwächenden Wachstumsraten auf dem Mangel an zusätzlichen hochqualifizierten Arbeitskräften beruhen, zutrifft, müßte bei der Entwicklung des relativen Lohns der hochqualifizierten Arbeitskräfte jedoch ein Anstieg zu verzeichnen sein, da ein Nachfrageüberschuß nach hochqualifizierten Arbeitskräfte zu einem höheren relativen Lohn dieser Arbeitskräfte führt. Diese Argumentation sei anhand des folgendes Diagramms kurz erläutert.

Das Wirtschaftswunder - ein vorhersehbares Ereignis ? Seite 20

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung zurückgehend auf:

Statistisches Bundesamt, Übersicht S, VI B7-10,

Die gestrichelte Kurve gibt an, wie sich der relative Lohn entwickelt haben müßte, falls Abelshauser mit seiner These zum Angebot an qualifizierten Arbeitskräften Recht hat .Zur Vereinfachung ist hier ein linearer Verlauf unterstellt. In der ersten Rekonstruktionsphase müßte der relative Lohn zunächst fallen, da es wie in diesem Kapitel bereits dargelegt eine große Anzahl an hochqualifizierten Arbeitskräften gab, die sich um die wenigen höher qualifizierten Arbeitsplätzen bemühten. Diese Argumentation läßt sich mit Blick auf die Graphik auch belegen. Mit dem Aufbrauchen des akkumulierten Qualifikationsreserven konnte das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften nach Abelshauser mit der Nachfrage nicht mehr Schritt halten, der relative Lohn der höher qualifizierten Erwerbstätigen müßte also steigen. Wie aus der Graphik ersichtlich ist, bleibt der tatsächliche relative Lohn ab 1962 mit nur geringen Schwankungen auf einem Niveau um 1,26 und damit deutlich unter der gestrichelten Kurve des prognostizierten relativen Lohns. Abelshausers Argumentation scheint also empirisch widerlegt.

Diese Aussage gilt jedoch nur, wenn die Löhne in dieser Zeit elastisch waren, das heißt, wenn sie auf Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage in den unterschiedlichen Qualifikationsstufen reagierten. DIEKHEUER weist jedoch darauf hin, daß „ einerseits eine

Verbesserung der Arbeitsmarktlage zum Anlaßgenommen wird, Lohnerhöhungen durchzusetzen, daßaber andererseits eine Verschlechterung der Arbeitsmarktlage keineswegs Lohnsenkungen zur Folge hat “ 64. Diese Einseitigkeit der Lohnflexibilität bzw. Lohninflexibilität resultiert nach DIEKHEUER u.a. aus der Lohnpolitik der Gewerkschaften, die eine relative Besserstellung von Erwerbstätigen mit höherem Einkommen gegenüber den unteren Einkommensschichten nicht akzeptieren könnten.65 Auf unsere Untersuchung bezogen, müssen wir also feststellen, daß es höchst zweifelhaft ist, ob die Löhne der höherqualifizierten und damit auch der höher verdienenden Arbeitskräfte bei einer relativen Nachfrageerhöhung gegenüber weniger qualifizierten Arbeitskräften wirklich stärker steigen als die Löhne der weniger qualifizierten Erwerbstätigen. Existiert jedoch eine Lohninflexibilität nach unten, so erscheint Abelshausers Argumentation wieder schlüssig, da in diesem Fall die Kurve des relativen Lohns konstant sein müßte. Genau diesen Verlauf weißt der relative Lohn ab 1962 jedoch auf.

Wir können also zusammenfassend bemerken:In Deutschland gab es nach dem zweiten Weltkrieg ein großes Potential an Humankapital, sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtspunkten. Dieses wurde zunächst weiter gespeist durch den Zuzug von Menschen aus den ehemaligen Ostgebieten und der DDR, sowie aus der Arbeitslosenreserve und eingeschränkt auch durch MigrantInnen, die jedoch größtenteils minder qualifizierte Stellen übernahmen. Unklar bleibt in Abelshausers Argumentation die Rolle der Arbeitslosenreserve der 70er Jahre. Abelshausers These, daß der Wachstumsabschwung ab Mitte der 60er Jahre mit auf einen relativen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zurück zu führen ist, läßt sich empirisch nicht widerlegen. Eine endgültige Bestätigung konnte hier jedoch auch nicht erbracht werden.

VI. Zusammenfassung

Abelshausers Rekonstruktionshypothese fußt - wie in Kapitel III dargestellt wurde auf einer recht einfachen Argumentation: Volkswirtschaften folgen langfristigen individuellen Wachstumspfaden. Nach einer gravierenden Störung der wirtschaftlichen Entwicklung tendieren Volkswirtschaften durch die Nutzung von Fortschrittsüberschussen beim materiellen und immateriellen Kapital zurück zum Wachstumspfad, bis diese Überschusse aufgebraucht sind. Das sogenannte Wirtschaftswunder der späten 40er, der 50er und 60er Jahre ist nach Abelshauser also nicht auf ordnungspolitische Entscheidungen wie Währungsreform und soziale Marktwirtschaft zurückzuführen, sondern muß als Automatismus bezeichnet werden. Analog zu dieser Argumentation ist auch das Abflachen des wirtschaftlichen Wachstums in den 60er Jahren nicht als eine Wirtschaftskrise zu verstehen, sondern als Annäherung an den langfristigen Wachsumspfad.

In Kapitel IV wurden ausgewählte Aspekte in der abelshauserschen Argumentationskette untersucht, zunächst die Frage nach dem Beginn des Wirtschaftsaufschwungs. Während viele Wirtschaftshistoriker die Währungsreform Mitte 1948 als Initialzündung für den Aufschwung ansehen, terminiert Abelshauser den Aufschwung bereits auf Mitte 1947. Eine genauere Betrachtung der empirischen Daten ließ jedoch den Schluß zu, daß die Währungsreform eine entscheidende Rolle für den Wirtschaftsaufschwung spielte (vgl. Kapitel IV.1).

Kapitel IV.2 prüfte die Existenz eines langfristigen Entwicklungspfades der deutschen Volkswirtschaften. Diese wird in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert. Eine endgültige Aussage bezüglich Existenz bzw. Nichtexistenz war dem Autor dieser Arbeit nicht möglich, festzuhalten bleibt jedoch, daß Abelshauser selbst die Existenz eines solchen Pfades bezweifelt.

Im folgenden wurde die Entwicklung des Humankapitals, welche in Abelshausers Theorie wie oben beschrieben die entscheidende Determinante für die wirtschaftliche Entwicklung darstellt, in Westdeutschland nach 1945 untersucht. Bei dieser Analyse konnte festegestellt werden, daß es in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ein großes Potential an Humankapital, sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtspunkten gab, welche aus unterschiedlichen Quellen gespeist wurden. Abelshauser These, daß der Wachstumsabschwung ab den 60er Jahren auf eine relative Verknappung des Angebotes an hochqualifizierten Humankapitals zurückzuführen war, ließ sich weder verifizieren noch falsifizieren, unklar in Abelshausers Argumentation blieb jedoch insbesondere die Rolle der Arbeotslosenreserve.

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß die Rekonstruktionshypothese von Abelshauser sicherlich einen interessanten und wichtigen Beitrag zu der Frage der Entstehungsgeschichte des sogenannten Wirtschaftswunders liefert, ein empirischer Beweis für die Validität dieser These mit dieser Arbeit - nicht einmal anhand ausgewählter Problemfelder - jedoch nicht gelungen ist. Umgekehrt konnte Abelshauser auch nicht vollständig widerlegt werden. Abelshausers Verdienst bleibt, unabhängig ob seine These jemals bewiesen werden kann, daß er das „Wirtschaftswunder“ ein klein wenig von seiner fast schon mystischen Verehrung befreit hat.

VI. Literaturverzeichnis

- ABELSHAUSER, Werner: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. Frankfurt 1983.
- ALTVATER,ELMAR / HOFFMANN, JÜRGEN / SEMMLER,WILLI: Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise. Ökonomie und Politik in der Bundesrepublik. Berlin 1979.
- DIEKHEUER, Gustav: Makroökonomik. Theorie und Politik. Berlin, Heidelberg 1995.
- DUMKE, Rolf H.: Reassessing the Wirtschaftswunder: Reconstruktion and Postwar Growth in West Germany in an International Context. München 1990.
- GUNDLACH, Erich: Währungsreform und wirtschaftliche Entwicklung; Westdeutschland 1948. Kiel 1987.
- KLUMP, Werner. Die Währungsreform von 1948. Ihre Bedeutung aus wachstumstheoretischer und ordnungspolitischer Sicht. In: Wolfram Fischler (Hrsg,): Währungsreform und Soziale Marktwirtschaft, Erfahrungen und Perspektiven nach 40 Jahren. Berlin 1989.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952. Stuttgart/Köln 1952.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1955. Stuttgart/Köln 1955.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1960. Stuttgart/Köln 1960.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1965.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1967. Stuttgart/Köln 1967.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1970. Stuttgart/Köln 1970.
- STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1980. Stuttgart/Mainz 1980.

[...]


1 ABELSHAUSER, Werner: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945- 1980. Frankfurt 1983. S.40. künftig zitiert: ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte.

2 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952. Stuttgart/Köln 1952. S. 455. Künftig zitiert: STATISTISCHES BUNDESAMT 1952.

3 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 64.

4 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 64.

5 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1952. S. 91.

6 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1955. Stuttgart/Köln 1955. S. 119. Künftig zitiert: STATISTISCHES BUNDESAMT 1955.

7 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1955. S. 506.

8 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1960. Stuttgart/Köln 1960. S. 146, 542. Künftig zitiert: STATISTISCHES BUNDESAMT 1960.

9 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1970. Stuttgart/Köln 1970. S. 125. Künftig zitiert: STATISTISCHES BUNDESAMT 1970.

10 Vgl. STATIST ISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1980. Stuttgart/Mainz 1980. S. 107

11 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1970. S. 490.

12 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte: S.104.

13 ABELSHAUSER, Werner. S.92f.

14 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 92.

15 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 51.

16 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 94.

17 Der marginale Kapitalkoeffizient ? ist nach DIECKHEUER definiert als Koeffizient aus den Sachkapazitäten K und der Produktion X. Er gibt an, wieviel Kapital eingesetzt werden muß, um die Produktion um eine Einheit zu erhöhen. Je höher der Kapitalkoeffizient ist, desto kapitalintensiver ist die Produktionserhöhung.

18 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 94.

19 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 94.

20 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 94.

21 ALTVATER,ELMAR / HOFFMANN, JÜRGEN / SEMMLER,WILLI: Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise. Ökonomie und Politik in der Bundesrepublik. Berlin 1979. S. 46. künftig zitiert: ALTVATER.

22 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 95, 98, 99.

23 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 101.

24 Vgl. zur Beschreibung der Graphik: DUMKE, Rolf H.: Reassessing the Wirtschaftswunder: Reconstruktion and Postwar Growth in West Germany in an International Context. München 1990. Figure 2. Künftig zitiert: DUMKE.

25 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 51.

26 Vgl. GUNDLACH, Erich: Währungsreform und wirtschaftliche Entwicklung; Westdeutschland 1948. Kiel 1987. S. 7f.

27 Alle Daten vgl. KLUMP, Werner. Die Währungsreform von 1948. Ihre Bedeutung aus wachstumstheoretischer und ordnungspolitischer Sicht. In: Wolfram Fischler (Hrsg,): Währungsreform und Soziale Marktwirtschaft, Erfahrungen und Perspektiven nach 40 Jahren. Berlin 1989. S. 52.

28 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 51.

29 Vgl. KLUMP. S. 52.

30 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 51.

31 Vgl. KLUMP. S. 52f.

32 KLUMP. S. 55.

33 Vgl. KLUMP S. 55f.

34 Vgl. KLUMP. S. 56.

35 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 101f.

36 Vgl. DUMKE. S. 9. Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 93.

37 Vgl. DUMKE. S. 9.

38 Vgl. DUMKE. S. 9.

39 Vgl. DUMKE. S. 10.

40 Vgl. DUMKE. S. 9.

41 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 95f.

42 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 98ff.

43 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1952. S. 91.

44 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1960. S. 147.

45 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 95.

46 DUMKE. S. 11.

47 ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 95.

48 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1952. S. 31. Unter Heimatvertriebenen faßt das Statistische Bundesamt die Personen, die vor dem 1.9.1939 in Gebieten des deutschen Reiches wohnten, die nach dem zweiten Weltkrieg unter polnischer und sowjetischer Verwaltung gestellt wurden (ohne DDR).

49 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1960. S. 55.

50 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1952. S. 31.

51 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1967. Stuttgart/Köln 1967. S. 55.

52 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 95.

53 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1965. Stuttgart/Köln 1970. S. 78.

54 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 96.

55 Vgl. DUMKE. S. 12.

56 Vgl. ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte. S. 96.

57 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1980. S. 101.

58 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1980. S. 101.

59 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1970. S. 127.

60 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1970. S. 125.

61 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1970. S. 125.

62 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1980. S. 107.

63 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1980. S. 107.

64 DIEKHEUER, Gustav: Makroökonomik. Theorie und Politik. Berlin, Heidelberg 1995. S.177 Künftig zitiert: DIEKHEUER.

65 Vgl. DIEKHEUER. S. 177

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das Wirtschaftswunder - ein vorhersehbares Ereignis?
Hochschule
Universität Münster
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
26
Katalognummer
V95371
ISBN (eBook)
9783638080491
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Inhaltsverzeichnis am Ende der Arbeit
Schlagworte
Wirtschaftswunder, Ereignis
Arbeit zitieren
Robert Malina (Autor:in), 1999, Das Wirtschaftswunder - ein vorhersehbares Ereignis?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95371

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