Alternative deskriptive Präferenztheorien


Seminararbeit, 1997

21 Seiten


Leseprobe


Gliederung :

I. Einleitung

II. Irrationales Verhalten in Experimenten
II.1 Der Besitztumseffekt
II.2 Das Allais-Paradox II.3 Das Ellsberg-Paradox
II.4 Inkonsistente Wahrscheinlichkeitsschätzungen

III. Alternative Präferenztheorien
III.1 Die Rangplatzabhängige Nutzentheorie
III.2 Die Dissapointment-Theorie
III.3 Die Prospect-Theorie
III.4 Der lokale Erwartungsnutzen
III.5 Die Theorie von Schmeidler
III.6 Die Regret - Theorie
III.7 Die SSB - Nutzentheorie

IV. Fazit

I. Einleitung

Unter deskriptiver Nutzentheorie versteht man Modelle, die versuchen an Hand von gegebenen Präferenzen verschiedener Individuen deren Verhalten bei Entscheidungen unter Risiko vorherzusagen. Entscheidungen unter Risiko sind Entscheidungen, bei denen mindestens eine zu wählende Alternative eine unsichere Auszahlung für die zu entscheidende Person (oder Gruppe von Personen) enthält.

Alternativ deshalb, weil der Gegensatz dazu eine normative, auch präskriptive genannte, Theorie darstellte, die von John von Neumann und Oskar Morgenstern bereits in den 40er Jahren entwickelt wurde.

Diese Theorie von Neumann/ Morgenstern, wird auch Erwartungsnutzentheorie oder kurz EU-Theorie (expected utility) genannt.

Dieses Modell basiert jedoch auf Axiomen, deren Richtigkeit bei empirischen Versuchen immer wieder widerlegt wurden. Das Hauptproblem war dabei, das die Menschen nicht so rational denken und handeln wie die EU-Theorie dies verlangt. Einige Beispiele hierfür werde ich später noch ansprechen.

Um nun trotzdem die Grundidee des EU-Modells anwenden zu können, haben verschiedene Wissenschaftler nun versucht, das festgestellte, anscheinend "irrationale" Verhalten der Menschen in Modellen festzuhalten. Dabei wird meist von der Erwartungsnutzen-Theorie ausgegangen und durch Variation oder Abschwächung der verschiedenen Axiome, insbesondere des Unabhängigkeitsaxioms, versucht, das menschliche Handeln vorherzubestimmen. Diese verschiedenen "Variationen", aus denen unterschiedliche Modelle entstanden sind, nennt man nun alternative oder deskriptive Präferenztheorien. Alternativ, da die Modelle von dem bisherigen EU-Modell abweichen; deskriptiv, da mit Hilfe der "neuen" Modelle versucht werden soll, das "intuitive" Entscheidungsverhalten der Menschen zu beschreiben (im Gegensatz zur EU-Theorie, die auch als präskriptiv oder normativ bezeichnet wird, wo den Entscheidern mit Hilfe der Axiome eine konkrete Anleitung zum Handeln gegeben wurde).

Warum ist es denn eigentlich so wichtig, zu wissen, wie sich die Menschen wirklich verhalten ? Reich es nicht aus, Ihnen zu sagen, das ihr Verhalten irrational ist und sie sich mit Hilfe der Axiome von von Neumann/Morgenstern "rationales" Verhalten angewöhnen sollen ?

Nun, es ist erstens nicht sehr einfach, allen Menschen, die auf dieser Welt Entscheidungen treffen, das Erwartungnutzen-Modell zu verdeutlichen. Und selbst bei Versuchen, wo die Probanden explizit auf Ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht wurden, hat dies nicht immer zu einer Veränderung ihres Verhaltens zu einer rationalen Entscheidungshaltung geführt. Also muß man versuchen, die alternativen Modelle so zu gestalten, daß scheinbare Irrationalität schließlich doch rational erklärbar ist. Mit diesen Modellen lassen sich dann (hoffentlich) reale Zusammenhänge im täglichen Leben erklären. Einige Anwendungsbeispiele wären etwa

- Marketing : wie kommen Konsumenten zu Kaufentscheidungen ?

=> damit ließen sich Marktanteile von Produkten vorhersagen

- Kapitalmarkttheorie : das Verhalten beim Kauf/Verkauf von Aktien gerade bei

Kleinaktionären hat sich bis jetzt immer wieder als scheinbar irrational beschreiben; Wie verhält sich ein Aktionär ?

=> man könnte exakte Gleichgewichtspunkte auf dem Kapitalmarkt bestimmen

- Organisationstheorie : Das Principal-agent-Modell basiert u.a. darauf, daß das Verhalten des Agenten durch z.B. monetäre Anreize des Principals gesteuert werden kann; In der Praxis ist dies nicht immer zu sehen.

=> der Nutzen des Principals könnte maximiert werden, falls er das genaue Entscheidungsverhalten seines Agenten kennt

Das waren jetzt nur drei kleine Beispiele, wozu die dekriptiven Nutzentheorien, die übrigens auch non expected utility (NEU) - Theorie genannt werden, angewandt werden können. Weitere Beispiele lassen sich leicht finden, da immer wieder scheinbar irrationales Verhalten (ausgehend von der EU-Theorie) zu beobachten ist. Diese Irrationalität ist auch in verschiedenen Versuchen bewiesen worden, wie ich jetzt kurz zeigen möchte :

II. Irrationales Verhalten in Experimenten

Wie bereits erwähnt, war ein Hauptgrund zur Erstellung neuer Theorien, das sich in Experimenten zeigte, das sich die Probanden nicht an die Axiome der Erwartungsnutzentheorie hielten. Einige dieser Abweichungen, teilweise auch Paradox genannt, werde ich jetzt kurz skizzieren :

II.1) Der Besitztumseffekt

Wie Thaler 1980 feststellte, kann es zu großen Diskrepanzen zwischen Kauf- und Verkaufswert einer bestimmten Sache kommen. Als Bsp. könnte man den Besitz einer Eintrittskarte heranziehen. Wenn ein Proband im Besitz dieser Karte ist, ist bereit, diese Karte zum Preis x zu verkaufen. Falls er die Karte aber noch nicht besitzt, ist der Preis, den er bereit ist, dafür auszugeben kleiner als x. Diesen Besitztumseffekt (engl. endowment effect) könnte man mit folgendem Satz beschreiben :

"Was ich einmal besitze gebe ich nicht wieder her."

Thaler kommt dadurch zu dem Schluß, das Konsumenten ein Produkt nicht, wie von Neumann/Morgenstern gefordert, absolut beurteilen, sondern einen Referenzpunkt festlegen. Je nachdem ob das Produkt vom Referenzpunkt aus gesehen im Gewinn- oder Verlustbereich liegt, sind die Präferenzen für ein und dasselbe Produkt sehr unterschiedlich.

Ein anderes Experiment, ebenfalls von Thaler, verdeutlicht dies : Hier wurde den Probanden folgende Fragen gestellt :

1) Wieviel sind Sie höchstens bereit zu zahlen, um die Möglichkeit zu vermeiden, daß eine schwere Krankheit bei Ihnen mit 10 % iger Wahrscheinlichkeit auftritt ?
2) Wieviel müßte man Ihnen zahlen, damit Sie die Möglichkeit übernehmen, daß eine schwere Krankheit bei Ihnen mit 10 % iger Wahrscheinlichkeit auftritt ?

Nach der EU-Theorie müßten beide Alternativen mit demselben Preis angegeben werden. In dem Experiment verlangten jedoch die Befragten meist mehr als das Zehnfache, um ein zusätzliches Krankheitsrisiko zu übernehmen, verglichen mit der Situation, in der sie das Risiko um denselben Prozentsatz senken konnten.

Um dieses Verhalten erklären zu können, wurde die Prospect-Theorie entwickelt, auf die ich später noch eingehen werde.

II.2) Das Allais - Paradox

Bereits 1953 entdeckte Allais, daß bei bestimmten Lotterien das Unabhängigkeitsaxiom der EU-Theorie verletzt wird :

Bei dem Experiment wurden den Probanden zwei Lotteriepaare vorgelegt, bei denen die Entscheider jeweils eine Lotterie wählen mußten. Die Lotteriepaare sahen dabei wie folgt aus :

Bei genauen Betrachten erkennt man, das A´ und B´ nur Transformationen von A bzw. B sind. Man hat die Wahrscheinlichkeiten für die Auszahlungen einfach durch vier dividiert und die Wahrscheinlichkeit für die Null-Auszahlung dementsprechend angepaßt. Wenn sich jemand für A entscheidet müßte er sich auch zwingend für A´ entscheiden, falls er sich stochastisch dominant verhalten würde und dem Unabhängigkeitsaxiom von Neumann/Morgenstern gerecht werden wollte. Das Experiment aber zeigte, daß sich fast alle Probanden in der ersten Lotterie für A und in der zweiten Lotterie für B´ entschieden. Ihnen war die sichere Auszahlung lieber als eine höhere, aber nicht ganz sichere; bei unsicheren Entscheidungen wählten sie jedoch die mit dem größeren Wert, obwohl diese noch etwas unsicherer war. Man könnte dies mit der folgenden Aussage beschreiben : " Wenn die Chance auf den Gewinn schon relativ niedrig ist, dann will ich, wenn ich schon gewinne auch die höhere Auszahlung bekommen. Rechnen tue ich mit dem Gewinn aber eigentlich nicht. In der ersten Lotterie aber möchte ich kein Risiko eingehen. Hier ist es mir lieber den Betrag sicher zu haben, anstatt möglicherweise mit leeren Händen dazustehen."

Diesem Phänomen werde ich mich noch in der rangplatzabhängigen Nutzentheorie widmen. Um das Ergebnis darzustellen verwendet Allais das Drei-Ergebnis-Diagramm und zeigt, daß die Indifferenzkurven nicht parallel verlaufen sondern auseinander gehen. Auf dieses "Fanning-out"-Prinzip werde ich noch anhand der Disappointment-Theorie später eingehen.

II.3) Das Ellsberg-Paradox

Auch hier liegt ein Experiment zugrunde :

Folgendes Urnenmodell wurde den Probanden vorgestellt :

In einer Urne liegen 30 rote Bälle und 60 weitere, die entweder schwarz oder gelb sind. Über die Verteilung wurde keine Angabe gemacht. Jetzt wurde eine Kugel aus den insgesamt 90 herausgezogen. Die Probanden mußten sich nun vorher für jeweils eine der folgenden Auszahlungen entscheiden:

a) man gewinnt, falls ein roter Ball gezogen wird
b) man gewinnt, falls ein schwarzer Ball aus der Urne gezogen wird

und

a´ ) man gewinnt, falls ein roter oder gelber Ball gezogen wird
b´ ) man gewinnt, falls ein schwarzer oder gelber Ball gezogen wird

Wenn man sich die Konstellation genau anschaut, stellt man fest, das in der zweiten Lotterie die erste nur um die Möglichkeit erweitert wurde das jetzt zusätzlich auch das Ziehen eines gelben Balles zum Erfolg führt. Auf die Präferenzen dürfte dies jedoch, von der EU-Theorie ausgehend, keinen Einfluß haben. Doch in den Experimenten stellte sich heraus, das wieder die Mehrheit der Probanden sich für die Möglichkeit a) und dann für b´) entschieden. Die nach Neumann/Morgenstern einzig zulässige Lösung wäre jedoch a´).

Ellsberg versucht dieses Verhalten damit zu erklären, daß der Mensch nicht gerne unsichere Entscheidungen fällt. Bei a) und b´) hat er sichere Wahrscheinlichkeiten von 1/3 bzw. 2/3. Da er die genaue Verteilung der gelben und schwarzen Bälle nicht kennt, hat er für die beiden Alternativen b) und a´) keine Anhaltspunkte. Dieses Phänomen wird auch als Ambiguitätsscheu bezeichnet.

Um auch dieses Paradox erklären zu können, befassen wir uns später mit dem Modell von Schmeidler.

II.4) Inkonsistente Wahrscheinlichkeitsschätzungen

Bei dem folgenden Beispiel von Tversky und Kahnemann (1983) fällt es sogar den Wissenschaftlern schwer eine Erklärung für das folgende Verhalten zu finden. Die Untersuchungen für ein derartiges Modell konnten noch nicht abgeschlossen und es ist nicht sicher, ob man dieses Verhalten überhaupt je erklären können wird. Das Experiment :

Ein sechsseitiger Würfel, auf dem vier rote und zwei grüne Seiten zu finden sind, wird 20 mal geworfen. Die Probanden sollten nun wetten, welche der folgenden Sequenzen auftauchen würde :

a) rot, grün, rot, rot, rot
b) grün, rot, grün, rot, rot, rot
c) grün, rot, rot, rot, rot, rot

Die meisten Versuchspersonen (63%) setzten nun auf die Kombination b). Wenn man aber nun b) und a) vergleicht, stellt sich heraus, daß beide Alternativen identisch sind, mit der Ausnahme, daß bei b) zuvor erst noch grün gewürfelt werden muß. Anders ausgedrückt : jedesmal wenn b) auftritt, tritt auch a) auf. Aber nur in 1/3 der Fälle tritt auch b) auf, wenn a) auftritt (nämlich genau dann, wenn vor der a)-Kombination grün gewürfelt wurde).

=> a) zu wählen ist, rational gesehen, immer besser als b).

Wie bereits erwähnt gibt es zu diesem Paradox bisher noch kein Erklärungsmodell. Es sei jedoch erwähnt, das daran gearbeitet wird und erste Ansätze schon vorhanden sind, z.B. von Tversky und Koehler aus dem Jahre ´93.

Dies war jetzt nur ein kleiner Einblick in Studien von Experimenten, die zeigten, daß sich die Menschen nun scheinbar doch nicht so verhalten, wie sie dies nach der EU-Theorie tun sollten.

Wie bereits erwähnt, gibt es verschiedene Modelle, die versuchen, dieses Verhalten zu erklären. Die wichtigsten werde ich im nächsten Abschnitt versuchen vorzustellen.

III. Alternative Modelle

Wie bereits erwähnt, gibt es verschiedene Modelle, um die Abweichungen von der EU- Theorie, die sich in den Experimenten ergeben haben, zu erklären. Während die Erwartungsnutzentheorie von Neumann/Morgenstern bereits in den 40er Jahren entwickelt wurde, sind die alternativen Modelle noch nicht so "alt". Die meisten wurden erst in den letzten zwanzig Jahren aufgestellt und die Entwicklung scheint noch längst nicht beendet zu sein. Da es aber sehr viele Modelle, die meist nur Variationen der EU-Theorie darstellen, gibt, werde ich mich hier auf die, meiner Meinung nach, wesentlichen konzentrieren.

III.1) Die Rangplatzabhängige Nutzentheorie

Die rangplatzabhängige Nutzentheorie (engl. rank dependent expected utility Theory, daher auch RDEU abgekürzt) wurde erstmals 1982 von Quiggin als Modell vom antizipiertem Nutzen vorgestellt. Hierbei wird nun erklärt, wie das Allais-Paradox mit rationalem Verhalten in Einklang gebracht werden kann.

Beim Allais-Paradox hatte sich gezeigt, daß durch Transformation einzelner Wahrscheinlichkeiten Verstöße gegen die stochastische Dominanz festgestellt wurden. Um dieses Problem zu umgehen, hat Quiggin nicht die einzelnen Wahrscheinlichkeiten, sondern kumulierte Wahrscheinlichkeiten, in Abhängigkeit vom Rangplatz der Konsequenz, transformiert. Formal ergibt sich daraus folgende Nutzenfunktion :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

wobei U(p) den "antizipierten Nutzen" für x1 <x2 < ... < xn darstellt.

g ist dabei eine streng monoton steigende Funktion mit g(0) = 0 und g(1) = 1.

Wenn jetzt die Lotterie, hier mit p gekennzeichnet, durch ihre kumulative Verteilungsfunktion, F genannt, repräsentiert wird, entspricht der antizipierte Nutzen der Lotterie F genau dem Erwartungsnutzen der Lotterie g(F).

Der Erwartungsnutzen nach Neumann/Morgenstern ist also hier ein Spezialfall des antizipierten Nutzen-Modells, der genau dann auftritt, wenn g(?) = ??ist, für alle ? zwischen 0 und 1.

Im allgemeinen wird jedoch angenommen, daß g konkav ist, d.h. man geht davon aus, daß die Entscheider risikoavers sind. Durch diese Konkavität werden die weniger präferierten Konsequenzen überproportional gewichtet, d.h. Auszahlungen, die man überhaupt nicht mag, versucht man nun noch stärker aus dem Weg zu gehen als die EU-Theorie dies zuläßt.

Als Beispiel können wir den alten Lotterienvergleich aus dem Allais-Paradox noch einmal verwenden :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Angenommen die Nutzenfunktion des Entscheiders sei linear, d.h. u(0 DM) = 0,

u(3000 DM) = 0,75 und u(4000 DM) = 1 so lassen sich folgende antizipierende Nutzen berechnen :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn der Entscheider jetzt also die RDEU-Theorie anwendet, muß er sich bei der ersten Entscheidung für a (0,75 > 0,60) entscheiden, bei der zweiten Lotterieauswahl müßte er b´ wählen (0,12 > 0,105). Und genau dieses Verhalten konnte ja in den Experimenten beobachtet werden. Inwieweit diese Ergebnisse auch über die Laborversuche hinaus anwendbar sind werde ich im abschließenden Fazit noch kurz beleuchten.

Zu dieser rangplatzabhängigen Nutzentheorie sei allerdings noch erwähnt, daß das Axiomsystem der EU-Theorie auch hier erfüllt sein muß. Natürlich mit Ausnahme des Unabhängigkeitsaxiom, das hier abgeschwächt wurde, um eine breite Klasse von Verhalten zuzulassen. Das Stetigkeitsaxiom, das Dominanzaxiom und das Axiom der schwachen Präferenzordnung (Vergleichbarkeit und Transitivität) müssen also auch hier erfüllt sein.

Abschließend können wir uns hier kurz noch die Indifferenzkurven einer antizipierten Nutzenfunktion in einem Drei-Ergebnis-Diagramm anschauen. Dabei stellen wir fest, daß die Indifferenzkurven (im allgemeinen) nicht linear sind. Für eine risikoaverse Person ist die Steigung der Indifferenzkurven immer positiv und an den Rändern treten keine Unstetigkeitsstellen auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III.2) Die Disappointment - Theorie

Die Disappointment-Theorie, die erstmals 1985 von Bell und ein Jahr später von Loomes und Sudgen vorgestellt wurde, läßt sich am bestens mittels eines Beispieles verdeutlichen :

Der Entscheider muß zwei Lotterien durchlaufen. Er hat dieses Mal keinen Einfluß auf die Wahl. Diese wird per Zufall gewählt. In der ersten Lotterie erhält der Spieler mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit 10.000 DM und mit 1 %iger Wahrscheinlichkeit bekommt er 0 DM.

Die zweite Lotterie ist genau umgekehrt : mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit muß der Spieler 10.000 DM abgeben, mit der Restwahrscheinlichkeit von 1 % muß er nichts zahlen.

Der Spieler erfährt nun nach Durchführung der Lotterien das er in der ersten Lotterie nichts gewonnen und in der zweiten Lotterie nicht verloren hat, das also zweimal das Ereignis mit der sehr kleinen Wahrscheinlichkeit aufgetreten ist.

Bei der Disappointment-Theorie betrachtet man nun nicht das Ergebnis direkt sondern wie dieses wahrgenommen wird. Typischerweise ist der Spieler enttäuscht darüber, daß er bei der ersten Lotterie nicht gewonnen hat (Disappointment); er ist hingegen erfreut darüber, daß er bei der zweiten Lotterie nichts bezahlen mußte (Elation). Der Kontext, in dem die realistische Konsequenz von 0 auftritt (man muß ja damit rechnen bei der ersten Lotterie 10.000 DM zu gewinnen und diese bei der zweiten Lotterie wieder zu verlieren => Erwartungswert = 0), scheint die Beurteilung der Konsequenz zu beeinflussen. Diese Berücksichtigung bei der Beurteilung des Kontextes gibt es bei der EU-Theorie nicht. Wie fließen aber nun diese Beurteilungen in das Entscheidungsverfahren ein ?

Es könnte sein, daß die Entscheider mögliche Disappointment- und Elationseffekte antizipieren. Dies könnte ihre Entscheidung möglicherweise soweit beeinflussen, daß sie z.B. auf die Möglichkeit eines höheren Gewinnes verzichten, um die Möglichkeit einer Enttäuschung vermeiden zu können.

Die Disappointment-Theorie berücksichtigt also Gefühle, die aus dem Vergleich der Konsequenzen einer Lotterie resultieren. Dabei geht man von der Existenz einer Wertfunktion im Sinne einer meßbaren Wertfunktion, v genannt, aus. Man kann nun den Erwartungswert E(v(a)) der Verteilung der Werte der Konsequenzen als Erwartung des Entscheiders für eine Lotterie definieren. Diese Erwartung, ob der Spieler von dem Ergebnis erfreut ist oder nicht, bezeichnet man mit v*. Der Nutzen einer Konsequenz u(ai) wird als Summe des Wertes der Konsequenz plus der für diese Konsequenz möglichen Enttäuschung bzw. Freude definiert. Wir gelangen so also zu folgender Formel :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

wobei D(v(ai) - v*) eine Funktion ist, die die Freude, bzw. die Enttäuschung abbildet. Den Disappointment-Nutzen einer Alternative ist folgendermaßen definiert : DE(a) = ??pi (v(ai) + D(v(ai) - v*)) [die Summe läuft von i=1 bis n)

Falls D(v(ai) - v*) linear ist reduziert sich der Disappointment-Nutzen zum normalen Erwartungsnutzen der EU-Theorie.

Man nimmt jedoch an, daß D(..) konvex ist für "Freude" und konkav ist für "Enttäuschung".

Auch hier können wir dann die Indifferenzkurven in einem Drei-Ergebnis-Diagramm einzeichnen, wobei wir dann folgende Grafik erhalten :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhand dieses Diagramms kann man nun auch das Allais-Paradox erklären. Die Veränderung der Steigung der Indifferenzkurven ergibt sich daraus, das die Indifferenzkurven jetzt von zwei verschiedenen Punkten außerhalb des Diagramms auffächern. Dieses Auffächern nennt man auch "fanning out", das ich ja bereits beim Allais-Paradox kurz erwähnt habe.

III.3) Die Prospect - Theorie

Die Prospect-Theorie wurde 1979 von Kahnemann und Tversky entwickelt. Sie stellt eine Verallgemeinerung der Nutzentheorie dar und unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten von dieser :

1. Bei der Prospect-Theorie gibt es eine Editing-Phase, d.h. der Entscheider bearbeitet die ihm vorliegenden Alternativen, entscheidet also nicht reflexartig. Zur Editing-Phase gehört auch das Setzen eines Referenzpunktes bezüglich dessen alle Konsequenzen der Alternativen bewertet werden. So wird beispielsweise häufig das derzeitige Vermögen als Referenzpunkt gesetzt und die möglichen Gewinne und Verluste dann entsprechend in Relation gesetzt.

Zu der Editing-phase gehören auch noch Segretion, Combination und Cancellation. Diese Zusammenhänge hier darzustellen würde aber den gegebenen Rahmen sprengen, ich verweise daher auf den entsprechenden Kapitel im Eisenführ/Weber : Kapitel 15, Seite 336

2. Auch bei der Prospect-Theorie haben wir eine Wertfunktion, bei denen die Konsequenzen relativ zu dem vorher festgelegten Referenzpunkt bewertet werden. Diese Wertfunktion hat typischerweise folgenden Verlauf :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es gibt eine Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion, die mit π (p) bezeichnet wird. Wie der Name schon sagt, gewichtet der Entscheider hier die Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeiten sind somit also nicht mehr objektiv , sondern subjektiv.

Der erwartete Nutzen der Prospect-Theorie einer Alternative a wird jetzt wie folgt definiert : PT(a) = π (p1) v(a1) + π (p2) v(a2) [a Element aus A]

Der Nachteil an dieser Formel ist, daß sie nur für spezielle Lotterien gilt, die auch regular prospects genannt werden : Es dürfen nur Lotterien mit drei Ergebnisse verwendet werden, bei denen ein Ergebnis negativ, eines Null und das andere positiv sein muß.

Auch bei der Prospect-Theorie kann man auf einige wichtige Axiome nicht verzichten. Neben der Vollständigkeit, der Transitivität und der Stetigkeit der Präferenzen muß auch ein abgeschwächtes Unabhängigkeitsaxiom erfüllt sein.

Wenn man sich jetzt das Drei-Ergebnis-Diagramm anschaut, stellt man fest, daß es dem Diagramm der rangplatzabhängigen Nutzenfunktionähnelt. Nur treten hier an den Randstellen, wo pn und pm die Werte 0 oder 1 annehmen, Unstetigkeiten auf. Mit Hilfe dieses Diagrammes kann man jedoch auch die beim Allais-Paradox typischerweise auftretenden Präferenzen abilden :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Neben dem bereits erwähnten Nachteil, daß die Prospect-Theorie nur in der Lage ist, Entscheidungsverhalten bzgl. Alternativen mit zwei bzw. Drei Konsequenzen abzubilden, gibt es bei diesem Modell noch ein kleines Problem : Bei der Transformation der Wahrscheinlichkeiten in Entscheidungsgewichte können stochastisch dominierte Alternativen bevorzugt werden. Als (Not-) Lösung nimmt man daher an, daß stochastisch dominierte Alternativen bereits in der Editing-Phase vom Entscheider eliminiert wurden.

III . 4) Der lokale Erwartungsnutzen

Bei dem Modell vom lokalen Erwartungnutzen, das 1982 von Machina entwickelt wurde, wurde das Unabhängigkeitsaxiom einfach weggelassen. Die Transitivität, Vollständigkeit und Stetigkeit müssen jedoch gewährleistet sein. Diese implizieren eine reellwertige Nutzenfunktion U der Menge L. Außerdem muß U differenzierbar sein. Weitere struktrurelle Anforderungen an die Präferenzen bestehen nicht.

Wir erhalten folgende Formel :

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten](die Summe läuft wieder von i=1 bis n)

Da für eine Lotterie q, die gemäß[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]einen geringeren Abstand zu p aufweist, der lineare Term der Gleichung den Restterm höherer Ordnung o dominiert, kann U(q) - U(p) durch die Differenz der Erwartungsnutzen approximiert werden.

III.5) Die Theorie von Schmeidler

Schmeidler entwickelte 1989 dieses Modell, bei der jeder Alternative Konsequenzen zugeordnet werden, die in Abhängigkeit von Umweltzuständen auftreten. Bei dieser subjektiven Nutzentheorie fordert man jetzt das Unabhängigkeitsaxiom nur für komonotone Alternativenpaare, d.h. es darf kein Paar von Alternativen geben bei denen sich die Konsequenz der einen Alternative beim Übergang vom einen zum anderen Zustand verbessert, während sich die Konsequenz der anderen Alternative beim selben Übergang verschlechtert.

Falls dies gegeben ist, erhält man die "Choquet expected utility theory" , kurz CEU-Theorie genannt. Mit Hilfe dieser CEU-Theorie kann man nun versuchen, die Ambiguitätsscheu, dich ich bereits beim Ellsberg-Paradox ansprach, zu zeigen. Die Nutzenfunktion sieht dabei wie folgt aus :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei der Berechnung des CEU-Wertes müssen also zunächst die Umweltzustände entsprechend des Nutzens der bei ihnen eintretenden Konsequenzen für jede Alternative in absteigender Reihenfolge geordnet werden. Mit Hilfe der CEU-Theorie kann man nun also Ambiguitätsscheu nachweisen. Der Grund für eben diese Ambiguitätsscheu konnte bis jetzt noch nicht gefunden werden. Aber auch hier sind Untersuchungen im Gange, und es zeigt sich wieder einmal, daß die alternativen Nutzentheorien noch lange nicht am Ende angelangt zu sein scheinen.

III.6) Die Regret - Theorie

Nachdem ich bis jetzt nur Modelle gezeigt habe, die mehr oder weniger das Unabhängigkeitsaxiom der EU-Theorie angreifen, komme ich nun zur Regret-Theorie, die das Axiom der Transitivität abschwächt. Diese Theorie wurde 1982 von Bell und Sugden das erste Mal vorgestellt.

Die Kernidee der Regret-Theorie besteht darin, daß nicht mehr der Nutzen einer Alternative betrachtet wird, sondern Alternativenpaare gemeinsam bewertet werden. Die Konsequenzen einer Alternative werden also die möglichen Konsequenzen einer anderen Alternatve gegenübergestellt. Durch die paarweise Betrachtung der Alternativen können nun auch Präferenzen, die einzeln intransitiv sind, abgebildet werden.

Bsp.: a > b > c >a => intransitiv

jetzt fassen wir a und b zusammen :

ab > c (da b>c) ; c ist jetzt nicht mehr besser als a, da a und b ja zusammen gefaßt wurden und

c immer schlechter ist als b also auch schlechter als ab.

III.7) Die SSB - Theorie

Diese Theorie, die Fishburn 1984 vorstellte, basiert auf der Regret - Theorie, d.h. auch hier wird das Axiom der Transitivität angegriffen. Zusätzlich zu der Berücksichtigung intransitiver Präferenzrelationen wird aber auch noch das Unabhängigkeitsaxiom abgeschwächt. Die Axiome der Konvexität, der Symmetrie und der Stetigkeit bleiben aber unangetastet. Das Stetigkeitsaxiom impliziert nun die Assymetrie der strikten Präferenzrelationen und damit die Vergleichbarkeit der schwachen Präferenzrelationen. Aus diesen Axiomen folgt aber keine Transitivität. Folglich besitzt auch nicht jede endliche Alternativenmenge ein Element, das gegenüber allen anderen Elementen dieser Menge schwach präferiert wird.

Die hieraus resultierenden Probleme in Bezug auf die Entscheidungsfindung werden durch die Einführung gemischter Alternativen gelöst : bei dieser gemischten Alternative wird die eigentliche Entscheidung mittels eines Zufallsmechanismus getroffen. Diese gemischten Alternativen werden spieltheoretisch auch gemischte Strategien genannt.

Zeichnet man nun die Indifferenzkurven in das Drei-Ergebnis-Diagramm ein, so erhält man folgende Grafik :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Problem der SSB - Nutzentheorie ist, das sie dynamisch inkosistentes oder inkosequentes Entscheidungsverhalten zuläßt. Dies läßt sich unter anderem dadurch erklären, daß eine kostenlose Information einen negativen Wert besitzen kann. Um dies zu zeigen kann man ein Beispiel heranziehen, auf das ich aber hier verzichten muß. Dieses Beispiel ist hervorragend in dem Artikel "Zur Relevanz alternativer entscheidungstheoretischer Konzeptionen für ökonomische Forschung" von Ralf Diedrich erklärt.

Es ließen sich sicherlich noch weitere alternative Präferenztheorien anfügen, so z.B. die Nutzentheorie mit Betweenness-Eigenschaft oder die MAV- Theory von Tversky und Kahnemann. Ich denke aber das ich die wichtigsten Modelle angeführt habe. Bliebe also nur noch das abschließende Fazit.

IV. Fazit

Abschließend bleibt eigentlich nur die Kernfrage übrig : Können die alternativen Präferenztheorien die bisher angewandte Erwartungsnutzentheorie von Neumann/Morgenstern ersetzen ?

Diese Frage kann man so nicht bejahen. Sicherlich haben die Modelle den Vorteil, daß sie die widersprüchlichen Ergebnisse aus Experimenten erklären können, wo die EU-Theorie anscheinend versagt. Allerdings geht dies zu Kosten der Einhaltung der Axiome. Da auch noch unterschiedliche Axiome (das Unabhängigkeits- und das Transitivitätsaxiom) bei den verschiedenen Theorien abgeschwächt oder ersetzt werden, kann man sehen das diese alternativen Modelle nicht allgemeingültig sind, sondern nur jeweils für ein Paradox der EU- Theorie herhalten können. Die Erwartungsnutzen-Theorie ist also der Ausgangspunkt aller anderen Modelle. Diese scheinen auf den ersten Blick nur so konstruiert worden zu sein, damit man die in Experimenten festgestellten "Irrationalitäten" erklären kann. Ob sie auch im wirklichen Leben zur Anwendung kommen ist meist reine Spekulation. Diesem Argument schließen sich auch einige bekannte Wissenschaftler an, die zwar die Ergebnisse der alternativen Modelle nicht bezweifeln, jedoch der Ansicht sind, daß letztendlich nur das EU- Modell von Neumann/Morgenstern zu berücksichtigen sei :

- für reale ökonomische Situationen sind die alternativen Präferenztheorien irrelevant (Smith 1991)
- Urnenexperimente sind nicht ohne weiteres auf die Realität übertragbar (Schauenberg 1990)
- Märkte erziehen die Konsumenten zu rationalen Entscheidungen (Weber 1990)
- genügend hohe monetäre Anreize treiben die Entscheider wieder zur Nutzentheorie zurück (unbekannt)

Gerade aber gegen die letzte Aussage gibt es ein Gegenargument. Kroll, Levy und Rapoport haben in einem Großexperiment in Zentralafrika, da war es noch möglich, die Wirkung monetärer Effekte zu studieren ohne dabei arm zu werden, gezeigt, daß "hohe monetäre Anreize manchmal zu noch stärkeren Abweichungen von rationalem Verhalten führen".

Ein weiteres Argument gegen die alternativen Modelle ist auch, daß Spieler, die sich nach Neumann/Morgenstern rational verhalten und wissen, daß ihre Mitspieler dies nicht tun, diese Mitspieler ausnutzen könnten. Doch auch hierzu gibt es ein Gegenbeispiel wie Russel und Thaler 1985 bewiesen.

Zu dem Argument, daß Märkte ihre Entscheider zu rationalem Verhalten erziehen, spricht auch die Untersuchung von Sarin und Weber, die 1993 0123

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Details

Titel
Alternative deskriptive Präferenztheorien
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Veranstaltung
VWL
Autor
Jahr
1997
Seiten
21
Katalognummer
V95272
ISBN (eBook)
9783638079518
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alternative, Präferenztheorien
Arbeit zitieren
Marc Friederich (Autor:in), 1997, Alternative deskriptive Präferenztheorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95272

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