Zweifelhafte Zustände: Sergius III. (904-911)


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

14 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Vorgänger des Sergius
1.1. Formosus (891-896) und die Leichensynode von 897
1.2. Romanus (Aug. - Nov. 897)
1.3. Theodor II. (Nov. 897)
1.4. Johannes IX. (Jan.898 - Jan.900)
1.5. Benedikt IV. (Mai/Juni 900 - Aug.903)
1.6. Leo V. (Aug. - Sept. 903)
1.7. Christophorus (Sept. 903 - Jan. 904)

2. Sergius III. (29.1.904-14.4.911)
2.1. Der Tetragamiestreit
2.2. Wiederaufbau der Lateranbasilika
2.3. Das Vorgehen Sergius III. gegen seine Gegner
2.3. Sergius III. und seine Vorbehalte gegen eine Kaiserkrönung

3. Die Begründung der Dynastie der Theophylakten

4. Die Quellenlage
4.1. Eugenius Vulgarius
4.2. Auxilius
4.3. Liutprand von Cremona

Fazit

Einleitung

Die nun folgende Arbeit geht keiner speziellen Frage nach, sondern versucht einen Überblick über die problematischen Zustände in Rom, vor und in der Amtszeit Sergius III. (904-911) zu geben. Dabei ist die Vorgehensweise meist chronologisch.

Die Arbeit geht in vier Schritten vor. Der erste Teil beginnt mit Formosus und der Leichensynode und endet mit der Machtergreifung des Sergius III., der zweite Teil ist eine Biographie desselben, der dritte handelt von der mächtigsten Familie in Rom den Theophylakten und der vierte Teil geht auf die problematische Quellenlage zu jenen Jahren ein.

1. Die Vorgänger des Sergius

1.1. Formosus (891-896) und die Leichensynode von 897

Als Formosus am 6.10.891 die Papstwürde entgegennahm, gab es bereits einen Kaiser.

Herzog Wido von Spoleto hatte seinen Rivalen Berengar I. von Friaul 889 an der Trebbia geschlagen und ließ sich zum König von Italien und im Februar 891 zum Kaiser krönen. Schon 892 ließ er seine Kaiserkrönung wiederholen und erhob seinen Sohn Lambert (892- 898) zum Mitkaiser, um so die dynastische Nachfolge zu klären und zu sichern1. Die Kaiser von Spoleto stammten zwar vom Karolingergeschlecht ab, konnten aber keine zwingende verwandschaftliche Legitimation daraus ableiten. Tatsächlich dürfte der einzige Grund für die Krönung des Herzogs von Spoleto zum Kaiser der gewesen sein, daß er durch seine geographische Nähe zu Rom dort zu einem bedeutenden Machtfaktor geworden war2. Die Kaiser fühlten sich als die Oberherren des alten Karolingerreiches und des Abendlandes; dies stand jedoch im krassen Mißverhältnis zur tatsächlichen Größe des beherrschten Gebietes3. Dennoch hatte diese Allianz für das Papsttum den Vorteil der ständigen Präsenz. Die Kaiser sollten dem Papst ursprünglich als Schutzherren dienen. Daß sich die Spoletiner zu den tatsächlichen Herrschern Roms wandelten, war nicht unbedingt beabsichtigt. So um seine Unabhängigkeit besorgt, bat Papst Formosus den ostfränkischen König Arnulf um Unterstützung. Dieser ließ sich am 22.2.896 zum Kaiser krönen, verschwand jedoch bald darauf, ohne Kaiser Lambert4 wie erhofft beseitigt zu haben. So war sowohl der Papst als auch das Kaisertum in einer prekären Lage; der Papst, weil er nun einen feindlich gesinnten Kaiser zum Nachbarn hatte, und das Kaisertum, weil es einen Kaiser zu viel hatte. Das Zweikaiserproblem löste sich durch den tödlichen Jagdunfall Lamberts 898 von selbst und auch Formosus mußte seine Feinde zu Lebzeiten nicht mehr lange ertragen, da er am 4.4.896 verstarb.

Nam Formoso defuncto atque Arnulfo in propria extincto is, qui post Formosi necem constitutus est, expellitur, Sergiusque papa per Adelbertum constituitur. Quo constituto, ut inpius doctrinarumque sanctarum ignarus 5 , Formosum e sepulcro extrahere atque in sedem Romani pontificatus sacerdotalibus vestimentis indutum collocare praecepit. Cui et ait: ,Cum Portuensis esses episcopus, cur ambitionis spiritu Romanam universalem usurpasti sedem?' His expletis, sacratis mox exutum vestimentis digitisque tribus abscisis, in Tiberim iactare praecepit cunctosque, quos ipse ordinaverat, gradu proprio depositos iterum ordinavit. 6

Nach seinem Tod wurde er von seinem zweiten Nachfolger7 Papst Stephan VI. (?.5.896- ?.8.897) im Januar 897 vor Gericht ,,gesetzt". Dazu wurde sein Leichnam exhumiert und in päpstlichen Gewändern auf einen Thron gesetzt. Er wurde des Meineides, anmaßender Ansprüche auf den Papstthron und der Verletzung des Kirchenrechts, das die Translation von Bischöfen untersagte, für schuldig befunden. Seine Amtshandlungen und die von ihm gespendeten Weihen wurden für null und nichtig erklärt. Anschließend wurden ihm die drei Schwurfinger abgehackt und sein Leichnam in einem Massengrab verschachert8. Im Verfahren wurden dem Leichnam Anwälte dazugegeben, die sich aber, während Stephan IV. den Toten beschimpfte, still verhielten9. Dieses ,,Gerichtsverfahren" ging als Leichensynode in die Geschichte ein. Nun stellt sich natürlich die Frage nach den Gründen für dieses Verfahren und welchen Nutzen man sich daraus versprach.

Als Formosus im Okt. 891 zum Bischof von Rom geweiht wurde, war dies tatsächlich nicht seine erste Bischofsweihe gewesen, da er vorher bereits Kardinal von Porto gewesen war. Nach einer alten Rechtstradition war es nicht gestattet, ein Bistum gegen ein anderes einzutauschen, also auch nicht römischer Bischof zu werden, da man den Bischofsring wie einen Ehering verstand10.

Zynischerweise hatte auch Stephan VI. schon einmal das Amt des Bischofs inne und behauptete, er sei unfreiwillig von Formosus zum Bischof von Anagni geweiht worden. Eine weitere Absicherung erhielt er durch die Verurteilung des Formosus. Da nun alle seine Amtshandlungen annulliert wurden, war Stephan VI. nie Bischof gewesen und konnte sich folglich auch nicht der Translation schuldig gemacht haben11. Da nun aber nicht nur seine, sondern alle Weihen ungültig waren, die Formosus gegeben hatte, war nicht nur die Verwirrung groß, sondern auch die Zahl der Feinde. Es bildeten sich zwei Gruppierungen, die der Formosusanhänger (Formosianer) und deren Feinde, die Antiformosianer.

Als sich im Sommer 897 ein Erdbeben ereignete, das die Lateranbasilika zum Einsturz brachte, sah die Bevölkerung darin ein Gotteszeichen gegen den Leichenfrevel und sie rebellierte, was Stephan VI. das Leben kostete12.

In der Folgezeit kam es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien um den Papststuhl. Charakteristisch war der hohe Papstverschleiß. Wie in den nächsten kurzen Kapiteln deutlich wird. Bei vielen Päpsten ist nicht viel mehr, als ihre Existenz bekannt.

1.2. Romanus (Aug. - Nov. 897)

Formosusanhänger

Er hatte sein Amt lediglich von Aug. - Nov. 897 inne. Möglicherweise war er nicht tatkräftig genug und wurde von den eigenen Parteifreunden gestürzt13.

1.3. Theodor II. (Nov. 897)

Formosusanhänger

Er ging in den 20 Tagen seiner Amtszeit tatkräftig ans Werk und hielt zunächst eine Synode, welche die ,,Leichensynode" von 897 annullierte. Außerdem wurde der Leichnam erneut bestattet14.

1.4. Johannes IX. (Jan. 898 - Jan. 900)

Formosusanhänger

897 kam es zur doppelten Papstwahl. Von den Antiformosianern wurde Sergius zum Papst erhoben, doch bald darauf setzte sich der von den Formosianern zum Papst erhobene Johannes durch. Sergius wurde gewaltsam, mit Unterstützung des Kaisers von Spoleto, aus dem Palast entfernt und mußte fliehen. Johannes IX. wurde daraufhin im Januar zum Papst gekürt. Er berief eine Synode ein, auf der wieder die auf der ,,Leichensynode" gegen Formosus verhängte Kirchenstrafe für ungültig erklärt wurde. Die Teilnehmer der Synode wurden begnadigt, da sie sich darauf beriefen unter Zwang gehandelt zu haben. Nur Sergius und fünf weitere Anhänger wurden mit dem Kirchenbann belegt.

Außerdem wurde Kaiser Lambert als legitim bestätigt. Die Salbung Arnulfs wurde als abgepreßt angesehen und verworfen. Prozesse gegen Tote wurden untersagt. Auf einer zweiten Synode halfen sich der Papst und der Kaiser gegenseitig15.

Sie ergriffen mehrere Maßnahmen. Um ein Schisma in Zukunft zu verhindern, beschloß man, daß die Weihe des Papstes nur in Anwesenheit von Legaten des Kaisers stattfinden dürfe. Die Position des Kaisers als Oberherren über die Rechtsprechung wurde bestätigt und im Gegenzug erkannte der Kaiser die territorialen Besitzungen des Heiligen Stuhls an16.

1.5. Benedikt IV. (Mai/Juni 900 - Aug. 903)

Formosusanhänger

Nachdem Kaiser Lambert ums Leben gekommen war und keine männlichen Thronerben hinterlassen hatte, krönte er Ludwig II. zum Kaiser (Febr. 901). Als dieser jedoch von seinem Widersacher Berengar besiegt wurde (Aug. 902), durfte er nicht mehr italienischen Boden betreten. Der Papst stand wieder ohne Schutzherren da. Wahrscheinlich war es Berengar ,der ihn ermorden ließ17.

1.6. Leo V. (Aug. - Sept. 903; _ Frühjahr 904)

Wahrscheinlich ebenfalls Formosusanhänger

Er war Gemeindepriester in einem Ort südlich von Rom und wurde wahrscheinlich aufgrund von Rivalitäten in Rom als Außenstehender gewählt, nach 30 Tagen gestürzt und ins Verließ gesperrt18.

1.7. Christopherus (Sept. 903 - Jan. 904; gestorben Frühjahr 904)

Formosusanhänger

Christopherus kam über einen Putsch gegen seinen Vorgänger an die Macht, doch ihm blieb nicht lange Zeit, um seinen Triumph auszukosten, denn schon Anfang 904 rückte Sergius mit einer Streitmacht gegen Rom vor und ließ ihn später aus ,,Mitgefühl" über die elende Lage im Kerker zusammen mit Leo V. hinrichten19.

2. Sergius III. (29.1.904-14.4.911)

Der von Formosus zum Bischof von Caere geweihte Sergius20 nahm an der Leichensynode teil und ließ sich freudig zum Diakon degradieren, um dann wieder von Stephan VI. zum Priester geweiht zu werden. Durch die Annulierung der Weihen des Formosus stand ihm wieder der Weg zum Heiligen Stuhl frei, da er sich nun nicht mehr der Translation schuldig machen konnte. Nachdem er im Dezember 897 sein Ziel erreicht hatte und von den Antiformosianern zum Papst gewählt wurde, blieb ihm nur wenig Zeit, um in das Amt eingeführt zu werden, da der von den Formosianern aufgestellte Johannes IX. sich letztlich durchsetzte und ihn vertrieb. Johannes IX. rief ein Konzil zusammen, welches Sergius und einige seiner Getreuen verurteilte. Die nächsten sieben Jahre mußte er sich im Exil versteckt halten, bevor er 904 mit der Hilfe des Herzogs Alberich I. von Spoleto wieder zurückkehren konnte und am 29.1.904 zum Papst geweiht wurde21.

Seine Amtszeit, die bis zu seinem Tod am 14.4.911 andauerte, zeichnete sich durch mehrere z.T. voneinander unabhängige Handlungen aus, weshalb ich diese auch getrennt behandeln werde.

2.1. Der Tetragamiestreit

Der oströmische Kaiser Leon VI. war trotz seiner drei Ehen ohne männlichen Nachfolger geblieben und war seit 901 verwitwet, als ihm seine Maitresse Zoe Karbonopsia einen Sohn gebar. Als er sie Anfang 906 heiraten wollte, geriet er mit dem Patriarchen Nikolaos in Streit, denn dem Kaiser wären nach eigenem Gesetz nur zwei Ehen erlaubt gewesen, so daß er sich bereits einmal darüber hinweg gesetzt hatte. Der Streit ging sogar so weit, daß ihm die Teilnahme am Gottesdienst untersagt wurde.

In dieser Situation wandte sich der Kaiser an den Papst, um einen Dispens zu erlangen. Sergius III. vermittelte in dieser Situation gerne, da er sich eine Obödienz der griechischorthodoxen Kirche und die endgültige Beseitigung des Streits, der seit Mitte des 9. Jahrhunderts herrschte, erhoffen konnte. Nicht unwesentlich dürfte auch die persönliche Schmeichelei gewesen sein.

Da es in der römischen Ehegesetzgebung kein solches Verbot gab, legitimierte sein Gutachten die Ehe. Durch dieses Gutachten gestärkt, ließ der Kaiser eine Synode abhalten und vertrieb den Patriarchen22.

2.2. Wiederaufbau der Lateranbasilika

Die Lateranbasilika war unter Konstantin dem Großen erbaut worden und galt als Hauptkirche der katholischen Christenheit. Als sie im Sommer 897 durch ein Erdbeben zerstört wurde, war die Folge eine Revolte gegen den Papst Stephan VI., da ihr Einsturz als Gotteszeichen gewertet wurde.

Schon Johannes IX. hatte versucht, sie wiederaufzubauen, verfügte aber nicht über die ausreichenden Mittel. In der Folgezeit wurden die Ruinen ausgebeutet. Erst Sergius III. ließ die Lateranbasilika renovieren. Ein nicht unerheblicher Beweggrund dürfte für ihn gewesen sein, die ständige Erinnerung an Formosus und Stephan IV. so auslöschen zu können23.

Für den Wiederaufbau wurde er sogar von seinen Gegnern gelobt, wobei gerne übersehen wurde, daß es sich lediglich um eine Renovierung und nicht um einen Neubau handelte.

2.3. Das Vorgehen Sergius III. gegen seine Gegner

Im Jahre 904 berief Sergius III. ein Konzil ein, welches Formosus erneut verdammte und seine Weihen von neuem für ungültig erklärte. Sergius hatte daran ein großes persönliches Interesse, da er 893 von Formosus zum Bischof von Caere geweiht worden war. Davor war er Diakon in Rom gewesen. Möglicherweise wollte ihn Formosus loswerden und beförderte ihn deshalb zum Bischof.

Als Formosus 896 starb, verließ Sergius sein Bistum, um als Priester in Rom zu arbeiten.

Durch seine Papstwahl 897 verletzte er wie auch schon Formosus die kanonischen Bestimmungen. Durch das Konzil jedoch wurden die Bischofsweihen des Formosus ungültig, so daß er nie der legitime Bischof von Caere war, dafür aber ein legitimer Papst24. Durch die neuerliche Verdammung des Formosus ergaben sich jedoch neue Probleme, da jetzt eine Lücke in den Pontifikaten25 entstand und viele Priester sich auch nicht sicher sein konnten, von einem durch Formosus geweihten Bischof geweiht worden zu sein. Für das Volk bedeutete es, sich nicht sicher sein zu können, daß die priesterlichen Handlungen legitim waren, so daß unter Umständen alle Beichten und Salbungen nicht rechtmäßig waren und so ihr Seelenheil gefährdet war.

2.4. Sergius III. und seine Vorbehalte gegen eine Kaiserkrönung

Auffällig am Pontifikat des Sergius III. ist, daß er keinen neuen Kaiser krönte. Es gab zwar den burgundischen Kaiser Ludwig III. den Blinden, dieser hatte aber keinen Einfluß mehr auf Italien. Wie wenig zeigt allein schon die Tatsache, daß man ihn selbst auf den Urkunden zu erwähnen vergaß26. Man kann also annehmen, daß Sergius III. keine Skrupel gehabt hätte, einen neuen Kaiser zu krönen. Dies läßt den Schluß zu, daß er entweder keinen geeigneten Kandidaten hatte, oder aber keinen zum Kaiser erheben wollte.

Wahrscheinlich dürfte beides der Fall gewesen sein, denn ein geeigneter Kandidat hätte jemand sein müssen, der nicht nur Macht besaß und diese auch zum Schutz der ,,Kirche" einsetzen wollte, sondern auch einer, der längerfristig diese Macht behalten würde. Beispiele für gescheiterte ,,Allianzen" gab es zu genüge:

Die Kaiserkrönung von 889 stellte sich als Fehler heraus, weil Kaiser Wido zwar Macht in Italien besaß, sie aber zu seinen eigenen Gunsten einsetzen wollte. Kaiser Arnulf (896) hatte nur die Kaiserwürde im Sinn und dachte nicht daran, sich wegen des Papstes in Konflikte hineinziehen zu lassen27, und auch die letzte Kaiserkrönung hatte sich als Fehlschlag erwiesen, da Ludwig III. seinen Einfluß auf Italien verloren hatte.

Abschreckend dürfte für Sergius III. gewesen sein, daß sich Kaiser Lambert auf die Seite der Formosianer geschlagen hatte und so ein direkter Feind von Sergius III. wurde. Dennoch gab es einen, der durchaus die Absicht hatte, Kaiser zu werden, doch Berengar wurden die Appeninenpässe aus genau diesem Grund von dem Markgrafen von Tuszien und seinen Verbündeten gesperrt28.

3. Die Begründung der Dynastie der Theophylakten

Die Familie stammte aus Tuskulum, einer Stadt südöstlich von Rom. Um das Jahr 890 verließ Theophylakt Tuskulum und ließ sich in Rom nieder29.

Mit dem Niedergang des Papstums im 9. und 10. Jh. kam es zu einem Aufstieg der adligen Familien in Rom. Sie stammten oft aus altrömischen Senatorengeschlechtern, die durch die päpstliche Administration auch als Laien an Ämter kamen. Diese Ämter gaben einen Anreiz, den Papst selbst zu bestimmen, da er als Landesherr und Kirchenoberhaupt einige Ämter zu vergeben hatte30. In dieser Zeit wurde das Kardinalskollegium immer mehr auf geistliche Belange zurückgedrängt31.

Zur Zeit des Sergius III. war der römische Senator und Konsul Theophylakt Vestarar (Kämmerer) des Papstes, vom Kaiser eingesetzter Richter, sowie Herzog und Heermeister der Stadt. Als Heermeister hatte er die ganze militärische Macht der Stadt inne und wurde zuweilen als Dominus Urbis betitelt. Theophylakt dürfte mit an der Spitze jener Kreise gestanden haben, die Sergius III. 904 nach Rom ,,riefen", um so an die begehrten Ämter zu gelangen. Dies war bereits sein zweiter Erfolg, denn er hatte Sergius III. unterstützt und die Zeit vor seiner Wiederkehr in Rom überlebt. Vom Jahr 900 an beherrschte seine Frau Theodora die Annalen der Stadt. Warum sie die dominierende Rolle übernahm und ihren Mann zurückdrängte, bleibt jedoch unklar32.

Seine Tochter Marozia wurde mit dem Herzog Alberich von Spoleto verheiratet33.

Wahrscheinlich war es Alberich von Spoleto, der Sergius III. während des Exils beherbergte und ihm bei der Rückeroberung des Heiligen Stuhls half. Offiziell wurde Sergius III. natürlich von den Römern zurückgerufen34.

Theodora scortum inpudens, huius Alberici qui nuper hominem exiit avia,quod dictu etiam fedissimum est, Romanae civitatis non inviriliter monarchiamob tinebat. Quae duas habuit natas, Marotiam atque Theodoram, sibi nonsolum coaequales, verum etiam Veneris exercitio promptiores. Harum Marotia ex papa Sergio, cuius supra fecimus mentionem, Iohannem, qui post Iohannis Ravennatis obitum Romanae ecclesiae obtinuit dignitatem, nefario genuit adulterio 35 ;

Diese Zeit wird als Pornokratie bezeichnet. Wahrscheinlich hängt diese Bezeichnung mit der proformianischen Propaganda zusammen, die von den Geschichtsschreibern übernommen wurde.

Zu dieser Bezeichnung haben entscheidend zwei Frauen beigetragen. Die eine war Theodora, die Frau des Theophylakts, und die andere seine Tochter Marozia. Marozia wird nachgesagt, sie habe den Herzog Alberich von Spoleto in Wirklichkeit gar nicht geheiratet und sei nur seine Konkubine gewesen. Außerdem soll sie ein Verhältnis mit dem Papst Sergius III. gehabt haben, aus dem ein Kind, der spätere Papst Johannes XI.(931-936), hervorgegangen sei36. Desweiteren wird ihr auch noch eine zweite und dritte Ehe nachgesagt. Nach dem Tod des Vaters wurde sie Senatrix in Rom, da der Vater keine männlichen Nachkommen gezeugt hatte. Diese Stellung brachte ihr vermutlich den Ruf ein, wie ihre Mutter Theodora herrschsüchtig zu sein37.

4. Die Quellenlage

Die Quellenlage zu dieser Zeit ist äußerst dünn. Da gibt es neben dem Liber Pontificalis noch einige Grabinschriften und ein paar Urkunden, die aber für meine Betrachtungen fast ohne Bedeutung sind38: Weiter gibt es die Chronik eines Mönchs aus dem Kloster Soracte, die Werke des Auxilius und Vulgarius und schließlich noch das Buch antapodosis39 des Liutprand von Cremona, welches schon dem Titel nach alles andere als Objektivität verspricht. Im Anschluß folgen kurze biographische Hintergründe der drei wichtigsten Autoren, um zu zeigen, daß ihre Werke eher mit Vorsicht zu genießen sind.

4.1. Eugenius Vulgarius

Der süditalische Kleriker Vulgarius, der aus Neapel stammte, schrieb zwei proformosianische Traktate gegen Sergius III. Als dieser ihn nach Rom zitierte, ließ er sich kurzerhand wegen Krankheit entschuldigen, was wahrscheinlich eher ein Zeichen für seine Ängste vor einem Zusammentreffen mit Sergius III. widerspiegelt, als es als ein Zeichen für seine gesundheitliche Labilität zu werten sei. Zumindest sah Sergius III. dies so, der ihn exkommunizierte und ihn in Klosterhaft nahm. Später kam es zu einer ,,Versöhnung" der beiden. Von nun an feierte er Sergius III. in seinen Gedichten40.

4.2. Auxilius

Dieser war genauso wie Vulgarius ein süditalischer Kleriker, der von Formosus die Ordination empfangen hatte und vier Schriften gegen Sergius III verfaßte. Zwei dieser Schriften waren auf Bestellung des Bischofs von Neapel und von Nola entstanden.

4.3. Liutprand von Cremona

Von Geburt war er Langobarde und als solcher Feind von allem, was mit Rom zusammenhing. Er führte Marozia und ihre Mutter, als dubiose Gestalten in die Geschichte ein und wurde später im 16. Jh., als Kardinal Baronius eine Papsttumsgeschichte verfaßte, von diesem kopiert, da er die einzige Quelle darstellte, die ihm zur Verfügung stand. Er war es, der den Ausdruck der Pornokratie prägte41.

Auch nach dem Tod von Sergius III. wurden Schriften über Formosus verfaßt42. Erörtert wird dabei oft die Frage nach der Autorität des Papsttums, nach den Grenzen der Jurisdiktion und nach dem Gehorsam, den man Rom schuldig sei43.

Fazit

Das Schlußwort möchte ich, da meine Arbeit nicht einer bestimmten Fragestellung nachgegangen ist, dazu nutzen meine persönliche Meinung über Sergius III. niederzulegen. Das Grundproblem über das man sich bei der Beschäftigung mit diesem Papst im klaren sein muß ist, daß die Quellenlage sehr schlecht ist und fast ausschließlich von seinen Gegnern geschrieben wurde. Man kann also davon ausgehen, daß viele seiner Vergehen entweder nie begangen wurden oder es sich aber um Übertreibungen handelt. So wird sich wohl nie klären lassen, ob er tatsächlich ein Verhältnis und ein Kind mit Marozia gehabt hat oder nicht. Dennoch zeichnen sich ein paar Charaktereigenschaften ab. Sein hartes und unnachgiebiges Vorgehen gegen seine Gegner kann, trotz der schwierigen Quellenlage als gesichert angenommen werden. Er muß in jedem Fall einen ausgeprägten Machtinstinkt besessen haben, da er sich um ein vielfaches länger an der Macht und am Leben halten konnte, als seine Gegner. Wenn man sich dieser Charaktereigenschaften bewußt ist, kann man sich auch vorstellen, daß er zynisch und grausam gewesen ist. Im übrigen glaube ich, daß bei so viel übler Nachrede das eine oder andere Körnchen Wahrheit sich wohl darunter befindet.

Literaturliste

Quellen

Bauer, A., Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, Darmstadt 1977 S.332-335.

Duchesne, L., Le Liber Pontificalis Bd.2, Paris 1955 S.236-238.

Sekundärliteratur

Chamberlin, E. R., Unheilige Päpste, Tübingen 1969, S.30-41.

Dümmler, E., Auxilius und Vulgarius, Leipzig 1866.

Hauschild, W.-D., Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte Bd.1, Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh 1995 S.418-423.

Karpf, E., Lexikon des Mittelalters Bd.5, Art. Liutprand von Cremona, München 1991 Sp.2041-2042.

Kelly, J. N. D., The Oxford Dictionary of Popes, Oxford 1986.

Kühner, H., Das Imperium der Päpste, Zürich 1977, S.106-112.

Schimmelpfennig, B., Das Papsttum von der Antike bis zur Renaissance, Darmstadt 1996.

Seppelt, F. X., Geschichte des Papsttums Bd.2, Das Papsttum im Frühmittelalter, Zürich 1977, S.320-349.

Tellenbach, G., in: Moeller, B. (Hg.), Die Kirche in ihrer Geschichte Bd.2, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, Göttingen 1988, S.36-53.

Zimmermann, H., Das dunkle Jahrhundert, Graz 1971 S.22-43.

[...]


1 Kühner, S. 106-108.

2 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 23.

3 Ebd., S. 24.

4 Sein Vater war bereits 894 verstorben.

5 Vielmehr Stephanus VI.

6 Liudprandi antapodosis I 30, aus A. Bauer, S. 279.

7 Sein direkter Nachfolger Bonifaz VI. regierte lediglich 14 Tage.

8 Kelly, Art. ,,Formosus", in: Reclams Lexikon der Päpste Stuttgart 1988, S. 129 ff. Bei Chamberlain wird er dem Straßenpöbel vorgeworfen und dann in den Tiber geschmissen, wo ihn Fischer herausziehen und beerdigen. Chamberlin, S. 32. Nach Zimmermann wird er von Mönchen beerdigt. H. Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 25.

9 Chamberlin, S. 31.

10 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 26 f.

11 Zimmermann, Das Papsttum im Mittelalter, S. 96.

12 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 25.

13 Kelly, Art. ,,Romanus", S. 132.

14 Kelly, Art. ,,Theodor II.", S. 132.

15 Kelly, Art. ,,Johannes IX." S. 132 f.

16 Kelly, Art. ,,Johannes IX." S. 133.

17 Kelly, Art. ,,Benedikt IV.", S. 133 f.

18 Kelly, Art. ,,Leo V.", S. 134f.

19 Kelly, Art. ,,Christopherus", S. 135.

20 Nach eigenen bekunden war dies gegen seinen Willen geschehen. Kelly, Art. ,,Sergius

III.", S. 135.

21 Kelly, Art. ,,Sergius III.", S. 135.

22 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 35.

23 Ebd., S. 36.

24 Ebd., S. 37.

25 Er selbst betrachtete sich seit seiner ersten Wahl als einzig legitimer Papst und alle Päpste seit Johannes IX. als Usurpatoren.

26 Zimmermann hat hierbei eine, wie ich finde, widersprüchliche Argumentation, da er einerseits sagt, daß man Ludwig III. nicht einmal mehr in den Urkunden erwähnte, andererseits wird als einer der Gründe für die Nicht-Krönung eines neuen Kaisers dessen verwandtschaftlichen Verflechtungen mit dem oströmischen Kaiser Leon VI. aufgeführt. Ich denke, wenn Sergius III. etwas Respekt vor diesen Verflechtungen gehabt hätte, hätte er zweifellos wenigstens den Schein gewahrt. Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 34 f.

27 Siehe auch S. 1.

28 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 34.

29 Chamberlin, S. 38.

30 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 40.

31 Ebd., S. 41.

32 Chamberlin, S. 39.

33 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 41.

34 Ebd., S. 42.

35 Liudprandi antapodosis II 48, aus A. Bauer, S. 333.

36 Zimmermann, Das Papsttum im Mittelalter, S. 98.

37 Ebd., S. 98.

38 Chamberlin, S. 33.

39 Griechisch für Vergeltung.

40 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 38.

41 Chamberlin, S. 39.

42 Zimmermann, Das Dunkle Jahrhundert, S. 39.

43 Ebd., S. 40.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zweifelhafte Zustände: Sergius III. (904-911)
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Veranstaltung
Hauptseminar: Entwicklungslinien des Papsttums vom 9. bis 13. Jahrhundert
Autor
Jahr
1998
Seiten
14
Katalognummer
V95240
ISBN (eBook)
9783638079198
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zweifelhafte, Zustände, Sergius, Hauptseminar, Entwicklungslinien, Papsttums, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Manuel Montero Pineda (Autor:in), 1998, Zweifelhafte Zustände: Sergius III. (904-911), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95240

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