Theorie oder Metapher - Historische Entwicklung und Theoriebildung des Agenda-Setting-Ansatzes


Seminararbeit, 1996

21 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Ursprünge des Agenda-Setting
2.1. Die Untersuchung McCombs und Shaws

3. Entwicklung der Theorie des Agenda-Settings
3.1. Grundsätzliche Ansätze im Wirkungsmodell
3.2. Rezipientenvariablen
3.3. Medienzentrierter Ansatz
3.4. Kommunikatorzentrierter Ansatz
3.5. Aktueller Stand

4. Methodische Probleme

5. Theoriebildung

6. Schlußfolgerungen und Zusammenfassung

Literaturangaben

Theorie oder Metapher

Historische Entwicklung und Theoriebildung des Agenda-Setting-Ansatzes

Erweiterte Referatsausarbeitung von Philipp Müller

im Proseminar "Einführung in die Publizistikwissenschaft"

von Gregor Daschmann

In dieser Arbeit soll die in der Sekundärliteratur verstreut auftauchende Frage behandelt werden, welchen Weg der durch McCombs und Shaw angeregte Forschungsansatz der Publizistik, der mit Agenda-Setting umschrieben wird, genommen hat, inwieweit die Ergebnisse, die in fast 30 Jahren erarbeitet wurden, Material dazu hergeben, eine annähernd kohärente Theorie zu formulieren, und inwieweit dies möglich oder schon geschehen ist. Zu diesem Zweck soll noch einmal die Untersuchung, die den eigentlichen Startschuß darstellte, nachgezeichnet werden. Die nachfolgende Entwicklung wird derart dargestellt werden, daß zunächst kurz grundsätzliche Ansätze im Wirkungsmodell der Publizistik beschrieben werden, die zur Einordnung des darauf folgenden Teils dienen, in dem die Spezifizierung und Auffächerung der Forschung thematisiert wird. Mit unterschiedlichen Fragestellungen bei der Annäherung an die Hypothese des Agenda-Settings (publikumsorientiert, medienzentriert sowie kommunikatorzentriert) ergaben sich unterschiedlichste Teilbefunde und Einschränkungen der Wirkung, die zunächst aufgelistet erscheinen werden. Im abschließenden Teil, der auf einen Abschnitt über methodische Probleme folgt, ist zusammengestellt, wie die Sekundärliteratur den Allgemeinzustand der hier thematisierten Forschungsrichtung sieht. In der Zusammenfassung dieser Arbeit wird die These vertreten, daß Agenda-Setting zur Zeit noch nicht als Theorie bezeichnet werden kann - ohne den Theoriebegriff hier zu diskutieren - , es werden vielmehr die Möglichkeiten der kritischen Betrachtung des massenmedialen Kommunikationsprozesses dargestellt, die die Fragestellung birgt, die dem Agenda-Setting zugrundeliegt.

1. Einleitung

Agenda-Setting übersetzt Burkhart deutsch mit "Thematisierungs- und Themenstrukturierungsfunktion der Massenmedien", die "so etwas wie eine 'Tagesordnung' der Themen der öffentlichen Kommunikation bereitstellen, die die Rezipienten übernehmen." Er drückt es weiter aus mit, "daß sie uns sozusagen vorgeben, worüber wir denken." (Burkart 1977, S.106). Es wird unterschieden zwischen einer Medienagenda, also der Themenstruktur in den Medien und einer Publikumsagenda, die die thematischen Prioritäten der Rezipienten beschreibt. Die These ist, daß beide korrellieren.

Mit der Formulierung dieser These durch Cohen 1963 wurde ein entscheidender Schritt in der Medienwirkungsforschung unternommen. Die direkte kausale allmächtige Wirkung der Medien wurde von der Annahme der Persuation des Was zum Wie verringert. Statt nach kurzfristigen Verhaltensänderungen wurde nun die Beeinflussung des Wissens- und Informationsstandes untersucht, "lediglich", wie Burkhart ironisierenden meint.

"Die Medien erleichtern es uns in besonderem Maße, solche Bilder von der Realität zu entwickeln. Die Macht der Massenmedien liegt daher eher darin, daß diese eine Strukturierung der Realität leisten, die Welt für uns definieren, und weniger in den kurzfristigen Überzeugungswirkungen." (Schenk, S.194) Daß Medien dazu dienen, bei der Konstruktion von Realität behilflich zu sein, findet sich in vielerlei Überlegungen wieder, evolutionsgeschichtlich bei Merten 1977. Hier geht es um die konkrete Annahme, daß die Medien den Menschen bei seiner Wahrnehmung beeinflussen, welche Themen zur Zeit relevant seien und damit eventuell auch, worüber er denkt und spricht.

Die Wirkungen ergeben sich "aus den für die Massenkommunikation typischen inhärenten Selektions- und Strukturierungsprozessen, durch die die reale Welt in die Medienwelt übersetzt wird und die Umweltwahrnehmung der Rezipienten gesteuert werden." (Schenk, S.196) Dazu Abbildung 19, S.196.

Rezipienten können in aller Regel ihre Informationen zu sie betreffenden Themen nicht mehr persönlich ansammeln. Die nationale Politik ist das beste Beispiel für diesen Umstand, sie hat direkte Auswirkungen, die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme geht allerdings gegen Null. Medien übernehmen hier die Vermittlungsfunktion. "Es geht um unsere Aufmerksamkeit, unser Wissen und Problembewußtsein gegenüber den täglich berichteten Ereignissen, Personen, öffentlichen Themen und Fragestellungen, über die wir zumeist nur Informationen aus zweiter Hand - nämlich aus den Medien - erhalten." (Schenk, S.194)

Rezipienten können also in dieser Form nur mit vermittelten Informationen Kontakt aufnehmen, die Aufgabe der Übermittlung, Selektion und Aufbereitung ist an den Journalisten delegiert. "In der Tat scheinen Individuen aus den Massenmedien zu lernen, und zwar in besonderem Maße Themen und Ereignisse. Genau dieser Vermittlungsprozeß ist bekanntlich ja Aufgabe von Journalismus: Herstellung und Bereitstellung von Themen für die öffentliche Kommunikation." (Schenk S.227)

Mit der These des Agenda-Settings wird den Medien nicht vorgeworfen, daß sie vermittelten, sondern die Frage aufgeworfen, welche Auswirkungen diese Vermittlung hat. Von der psychologischen Warte aus gesehen, lautet die ähnliche These, daß Erfahrungen, Gespräche oder Begebenheiten Auswirkungen auf die persönlichen Themen, die Verhaltensweisen oder die gesetzten Prioritäten im Leben haben. In unserer Gesellschaft sind viele der Themen nicht mehr direkt erfahrbar, viele Erfahrungen werden medienvermittelt gemacht. Die Ausgangsfrage gilt deshalb der Vermittelung, den Veränderungen, die an dieser heiklen Stelle angebracht werden, wobei die psychologischen Überlegungen an den Rezipienten wieder auftauchen werden. Schenk weist in diesem Zusammenhang auf die in seinem Augen folgenreichen Konsequenzen der hier diskutierten These hin. Medien können nach Bestätigung des Agenda-Setting-Effekts sehr wohl zum Beispiel Wahlen mitentscheiden, wenn Themen so gesetzt werden, daß sie einen Kandidaten bevorzugen. Journalisten müssen sich deshalb ihrer schweren Aufgabe bewußt werden, eine in jedem Falle einflußreiche Agenda aufzustellen, da "Agenda-Setting durchaus als ein politischer Prozeß zu sehen" ist (Schenk, S.197). Andererseits hat die Bestätigung der These mit Sicherheit Überlegungen zufolge, wie das Pressewesen strukturiert sein darf, wenn es derartigen Einfluß nehmen kann.

Ganz einfach verhält es sich mit der Überprüfung der These allerdings nicht. Ganz offensichtlich reden und denken nicht alle Menschen über das, was in den Medien primär thematisiert wurde. Wer redet und denkt nun über was und wann und weshalb? Wonach wird ausgewählt, was sind Voraussetzungen, was Fremdeinflüsse? Im Laufe der Forschungsgeschichte auf diesem Gebiet kam es zu zahlreichen Wandlungen, Einschränkungen, Umformulierungen und Neuausrichtungen. Es ist eigentlich naheliegend, daß über Themen, die außerhalb des Feldes der direkten Wahrnehmung liegen, nur gesprochen werden kann, wenn darüber Informationen ankommen. Da es nur zwei Möglichkeiten gibt, medien-vermittelte und persönliche Kommunikation, muß ein gewisser Teil der Themen durch die Medien gesetzt werden. Daß dieser bei höherem Konsum, höherem Interesse, höherer Zuwendung und stärkerer Eindrucksfähigkeit des Beitrags/Artikels steigt, ist anzunehmen. Die Frage ist also, in welchem Maß Medien Themen setzen, welche Themen und welche Medien stärkeren Einfluß haben, wie lange der Einfluß vorhält, welchen Weg der Einfluß gegangen ist (über Dritte über das Thema informiert werden) und welche gegensteuernden Faktoren es gibt, wie persönliche Kommunikation, persönliches Erleben. Allein durch diese kleine Vorüberlegung kommen zahlreiche Variablen ins Spiel, die alle bei der Beurteilung eines Agenda-Setting-Effektes mitbedacht sein wollen. Die Frage fächert sich dadurch weit auf, ein Vorgang, der im folgenden nachgezeichnet werden soll.

2. Ursprünge des Agenda-Setting

Uekermann/Weiß (S.12f) sehen in Lippmann einen frühen Vorläufer dieser Forschungsrichtung, der 1920 formulierte, daß es die Presse sei, die zu seiner Zeit die öffentliche Meinung aufbaue. Lippmann schrieb den Medien die Verantwortung für "the pictures in our Head" zu.

Cohen knüpfte daran an und übertrug die Annahmen in den wissenschaftlichen Diskurs. Cohen schrieb 1963: "It may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful much of the time in telling its readers what to think about."

McCombs und Shaw gingen von der Aussage von Lang und Lang aus, daß "Sie [die Medien] präsentieren fortlaufend Objekte, die vorschlagen, worüber die Individuen der Masse denken und etwas wissen bzw. fühlen sollen." (Schenk, S.196 nach: Lang und Lang 1966). Die Untersuchung von McCombs und Shaw bezog sich auf den Präsidentschaftswahlkampf von 1968 in den USA, die Ergebnisse wurden 1972 in Journalism Quarterly veröffentlicht. Dies war die erste empirische Überprüfung der Agenda-Settings Hypothese.

Die Autoren beschränken den Untersuchungsbereich auf politische Informationen, da das Publikum auf diesem Gebiet fast vollständig auf die Medien als Vermittler angewiesen seien. Direkte Kontakte zu politisch Handelnden, zu Gremien und Entscheidungsprozessen bestehen praktisch nicht. Sie gehen davon aus, daß es bewiesen ist, daß Menschen aus den Informationen lernen, zumindest die politisch Interessierten (und damit auch die höher gebildeten) erfahren, welche Standpunkte Kandidaten zu verschiedenen Themen einnehmen. Rezipienten sehen sich den öffentlichen Bildern gegenüber, die die Medien aufbauen und ihnen präsentieren. Da es nicht sehr schlüssig sei, daß Menschen ihre Einstellungen durch Kampagnen ändern, ist nach McCombs und Shaw doch anzunehmen, daß sie aus den Medieninhalten lernen und zwar, worüber sie denken sollen. Sie wählten den Bevölkerungsausschnitt von 100 nichtentschlossenen Wählern, da sie annahmen, bei unentschlossenen am ehesten einen Agenda-setting-effekt feststellen zu können.

Daraus folgte die berühmt gewordene These zum agenda-setting, die sich auf Cohen bezieht: "... is hypothesized that the mass media set the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes toward the political issues." (McCombs/Shaw, S.18)

2.1. Die Untersuchung McCombs und Shaws

Es wurde bei zufällig ausgewählten Bewohnern der Stadt Chapel Hill verglichen, was sie als die Hauptthemen der Kampagne ansehen und dem aktuellen Inhalt der Massenmendien, die sie während dieser Zeit konsumierten. Es wurde unterschieden in Unentschlossene und entschlossene Wähler, wobei nur erstere weiter untersucht wurden. Sie sollten die ihrer Meinung nach zentralen Themen nennen, ohne Rücksicht auf die Position der Kandidaten. Gleichzeitig wurden Inhaltsanalysen der hauptsächlich genutzen Medien durchgeführt. Zwei regionale, zwei überregionale und eine nationale Zeitung, zwei nationale Nachrichtenmagazine und zwei abendliche Nachrichtensendungen wurden beachtet und deren Inhalte in major und minor Themen unterschieden.

Tabelle eins zeigt, mit welchen Themen die Medien auf einzelne Kandidaten bezug nahmen, die Kategorien waren verschiedene Themen, die einzelnen Kampagnen und die anderen Kandidaten. Tabelle zwei zeigt, wie die Themenschwerpunkte der Kandidaten in den Medien dargestellt wurden. Diese korrellieren mit +.967 (Major) und +.979 (minor) mit den Ansichten der Befragten. Sie scheinen die zusammengestellten Themen der Massenmedien zu reflektieren.

McCombs und Shaw gehen davon aus, daß, wenn Zuschauer sich eher an Nachrichten über ihre eigene Partei orientiert hätten (selektive Wahrnehmung), die Korrelation mit der agenda der Nachrichten über die eigene Partei sehr hoch sein müßte. In 18 von 24 Fällen ist die Korrelation mit allen Nachrichten aber höher. Dies würde besser mit der agenda-setting Funktion der Massenmedien erklärt, sagen sie.

Die Autoren weisen darauf hin, daß die Korrelationen nicht durchgehend hoch sind, vor allem gibt es Unterschiede innerhalb der Medien. Es gibt zwar einen Konsens über das, was in den Kampagnen wichtig ist, perfekt ist dieser jedoch nicht. Sie unterscheiden sich soweit, daß zu sagen ist, daß die Massenmedien die aktuelle Kampagne von 1968 "less than perfekt" abbilden.

Als Gründe dafür geben sie an

1. Strukturelle Unterscheidungen zwischen den einzelnen Medien. (Erscheinungsweisen) Die Korrellationen sind deshalb innerhalb des gleichen Medientyps am höchsten.
2. Verschiedenen Blickwinkel. Große Themen werden weitgehend übereinstimmend wichtig angesehen, wozu auch die Nachrichtensysteme beitragen, an die alle angeschlossen sind. In diesen Fällen greifen auch allgemeine Nachrichtenwerte. Je minor das Thema, desto mehr Interpretationsspielraum bleibt bei jeder einzelnen Veröffentlichung.

Die Autoren halten fest, daß die Medien die politische Welt nicht perfekt abbilden. Das Ergebnis dieser Studie, daß die Wähler dazu tendieren, die allgemeine, zusammengestellte Medienagenda zu teilen, was wichtig ist, legt eine agenda-setting Funktion der Massenmedien sehr nahe.

In der Diskussion der Ergebnisse geben sie zu bedenken, daß die agenda-setting Funktion nicht bewiesen ist, das Ergebnis aber in Übereinstimmung mit den Bedingungen ist, die existieren müssen, wenn Agenda-setting durch die Medien auftritt. Die Studie sei ein erster Test der Hypothese, der Untersuchungen folgen müßten, in denen individuelle Einstellungen und individuelle Mediennutzung verglichen werden. Sie weisen noch einmal darauf hin, daß es keine vernünftige Alternativerklärung für die Ergebnisse gibt, da die Rezipienten ihre Informationen aus den Medien haben müssen. Deshalb wird nahegelegt, daß die Medien ihre Botschaft dem Publikum aufgedrückt haben. Ein Fall, der der allgemeinen Beobachtung widerspricht, daß die Nachrichtenwerte von Autoren und Rezipienten auseinander gehen. Die Nachrichtenwerte wären von den Medien durchgesetzt, gegenüber einem Publikum, das keine Wahlfreiheit hat.

McCombs und Shaws Arbeit war der Ausgangspunkt für vielerlei Forschungen, sie bleist aber eine "gleichwohl sehr fruchtbare Pilotstudie" (Ehlers, S.107), die in der Folge aber immer wieder kritisiert wurde. Es war eine zu kleine Gruppe befragt worden, deren Mediennutzung nicht untersucht und deren persönliche Daten nicht aufgenommen worden waren.

Die Studie zeigte einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Themenstruktur in den Medien und den thematischen Prioritäten der Wähler. Hier handele es sich aber "nur um eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für einen kausalen Zusammenhang" (Ehlers, S.104), wie die Autoren selbst einschränkten.

3. Entwicklung der Theorie des Agenda-Settings

3.1. Grundsätzliche Entwicklungen im Wirkungsmodell

Die Forschung auf dem Gebiet des Agenda-Settings war auch von dem gerade aktuellen Wirkungsmodell abhängig. Je nach Vorannahmen wurden bestimmte Effekte gesucht, bis die Befunde andere Theorien erforderlich machten. Im Groben lassen sich drei Wirkungsmodelle unterscheiden (Ehlers, S.108 od Schenk, S.198)

a) salience

Die Themenrangfolge der Medienagenda schlage sich spiegelbildlich in einer ebensolchen Publikumsagenda nieder. Diese These wird laut Burkhart heute nicht mehr vertreten (Burkhart, S.243)

b) priorities

Die Rangfolge der in den Medien hervorgehobenen Themen wird fast identisch im Bewußtsein der Rezipienten widergespiegelt.

c) awareness-Modell (Aufmerksamkeitsmodell)

beschreibt den Prozeß, mit dem bestimmte Themen als diskussionswürdig bekannt und bewußt gemacht, andere vernachlässigt werden. (Thematisierungsfunktion der Medien)

Die Spiegelbildhypothese und auch die Annahme der priorities wird heute praktisch nicht mehr vertreten. Zum Beispiel wurde festgestellt, daß die Themen nicht immer auf der Höhe der Zeit sind, wie Schenk zeigt, und in einer von ihm zitierten Studie werden den Medien allenfalls in der Anfangsphase der Problemerkennung eine wichtige Rolle zuerkannt. Statt Spiegelbild wurde - auch von dieser Beobachtung ausgehend - das Modell eines rekursiven Prozesses mit der Wirklichkeit aufgestellt, das über das letztgenannte awareness-Modell eher noch hinausgeht. (Schenk, S.220).

Spezifizierungen:

3.2. Rezipientenvariablen/ intervenierende Publikumsvariablen

Die Untersuchungen wurden im Laufe der Jahre weiter spezifiziert. Es wurden intervenierende Variablen mitberücksichtigt, die bei McCombs und Shaw noch keine Beachtung gefunden hatten, weswegen ihre Untersuchungsergebnisse anzweifelbar blieben. 1972 wurden publikumsorientierte Variablen wie Parteipräferenz, Mediennutzung, Interesse am Wahlkampf, interpersonale Kommunikation und Gratifikation für Zeitungslektüre miteinbezogen (McLeod/Becker/Byrnes/ Ehlers, S.109) und damit die ursprüngliche Kausalhypothese modifiziert.

Damit kam die Zeit des rezipientenorienten Ansatzes in der Agenda-Setting-Forschung. "Persönlichkeitsmerkmale und-erfahrungen, Gruppenperspektiven und reale Bedingungen" beeinflussen den Themenstrukturierungsprozeß beim Publikum mit. Dies führt die Autoren zu dem Schluß, daß ein publikumsgesteuertes Modell der Medieneffekte angemessener ist. (Schenk S.221f)

Uekermann und Weiß sehen in dieser Entwicklung Parallelen zur Entwicklung der gesamten Wirkungsforschung, die auch zunächst von kausalem allmächtigem Einfluß der Massenmedien ausging, später rezipientenorientierte Variablen miteinbaute, und weiterhin den Einfluß der verschiedenen Medientypen, der Kommunikatoren und der Präsentationsmerkmale mitzuberücksichtigen begann.

"Faktisch wiederholte sich in der Entwicklung der Agenda-Setting-Forschung die Geschichte der klassischen, auf Einstellungs- und Verhaltensveränderungen bezogenen Wirkungsforschung..." (Uekermann/Weiß, S.24), womit sie sich auf intervenierende soziologische und psychologische Variablen beziehen, sie heben besonders das Ausmaß der alltäglichen Mediennutzung und das Orientierungsbedürfnis hervor.

Im folgenden werden die wichtigsten Variablen kurz zusammengefaßt, mit Hinweisen auf entsprechende Untersuchungen zum Thema:

Intensität der Mediennutzung

Wer die (politische) Medienberichterstattung intensiver nutzt, der nennt auch häufiger Themenprioritäten, die der Medienagenda ähnlich sind. (McClure/Patterson 1976 in Burkhart S.244) Dies wurde vor allem bei Zeitungslesern beobachtet, nicht jedoch bei erhöhtem Fernsehkonsum. Es wurde daraus geschlossen, daß zielgerichtete Zuwendung wichtig ist. (Ehlers S.117) und (Schenk S.207)

Schenk spricht davon, daß "Der Grad der Zuwendung bzw. des Medienkontaktes eine notwendige Voraussetzung kumulativer Agenda-Setting-Effekte [ist]" (Schenk, S.198).

Dies ist selbst wieder durch zwei Variablen determiniert: 1.Bedeutsamkeit "Relevance" der Information für den Rezipienten bzw.Interesse und 2. Grad der Unsicherheit "Uncertainty" über den Gegenstand der Aussage

Orientierungsbedürfnis (McCombs/Weaver 1973)

Hohes Orientierungsbedürfnis führt - vermittelt über verstärkte themenspezifische Mediennutzung - zu ausgeprägten Agenda-Setting Effekten (Weaver 1980). Auch gegensätzliche Befunde: stärkere Effekte bei nicht-Interessierten (McLeod u.a., Ehlers S.117)

Obstrusiveness

Die Aufdringlichkeit der Themen bestimme den Agenda-Setting-Effekt. Aufdringliche Themen sind z.B. persönlich und direkt erfahrbar, Kriminalität, lokale Politik, Inflation, unaufdringliche sind internat.Beziehungen, nationale Politik, damit nicht direkt erfahrbar. Bei letzteren lassen sich eher Themenstrukturierungseffekte nachweisen. (Schenk 1987, S.206), Ehlers geht soweit zu schreiben, "nur bei unaufdringlichen" (Ehlers, S.116)

Zwischenmenschliche/interpersonalen Kommunikation

Die zwischenmenschliche Kommunikation beeinflußt direkt die Mediennutzung und damit indirekt das Wirkungspotential und ist eine Alternative zur Befriedigung des Orientierungsbedürfnisses über die Medien, kann diesem Faktor demzufolge entgegenwirken.

Ohne zwischenmenschliche Kommunikation erhöht sich dahingegen die Abhängigkeit von den Medien als Quelle, was die Wahrscheinlichkeit der Medienwirkung erhöht (Hügel/Degenhardt/Weiß 1992, S.157 in Burkhart 244)

Einfluß realer Umweltbedingungen

Mediennutzer erfahren eine "Themensensibilisierung", wenn sie selber von dem Thema betroffen sind (Arbeitslosigkeit, Inflation, Energieversorgung) und übernehmen dann auch stärker die Inhalte der Berichte aus den Medien. (Ehlers S.118). In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, daß politisch Aktive werden weniger als politisch Inaktive beeinflußt werden.(Schenk, S.225)

Es kann immer auch eine dritte Variable geben, die sowohl Ursache wie Wirkung ausgelöst hat, die sich nur dadurch unterscheiden, wie schnell sich diese dritte Variable auf sie auswirkt. (Ehlers, S.113)

Reflexionshypothese: Es könnte sein, daß die Themensetzung in den Medien nur den Vorstellungen der Rezipienten entspricht, die diese über Marktmechanismen durchsetzen. Hier kann auf die Untersuchung zu news values von McCombs/Shaw verwiesen werden, in denen die Ansichten über Interesse bzw. Nachrichtenwert weit auseinandergingen.

Publikumsorientiert (Ebring/Goldenberg/Miller):

Dieser etwas liberalere Ansatz geht davon aus, daß der Agenda-Setting-Effekt entscheidend von der Sensibilität der Mediennutzer für ein bestimmtes Thema abhängt. Diese sind in ihren Bedürfnissen und Voraussetzungen höchst unterschiedlich und stehen in einem "fairen Handel" (McCombs) mit den Massenmedien, die ebenso wie der Konsument als aktive Partner betrachtet werden.

3.3. Medienzentrierter Ansatz

Auch dafür gibt es Vertreter, wie Schenk S.196, "Somit reiht sich das AGS-Modell gut in die Tradition der medienzentrierten Wirkungsforschung ein."

Unterschieden werden kann zum Beispiel, über welches Massenmedium die Information übermittelt wurde. Es wurde untersucht, ob es medienabhängig unterschiedlich starke Themensetzungseffekte gibt. Herausgefunden wurde, daß die Tageszeitung mitunter stärkere Thematisierungseffekte als das Fernsehen ausübt, u.a. weil sie stärker hervorheben könne. Der Zeitung werden seitdem häufig mehr Themenstrukturierungseffekte, dem Fernsehen mehr "Scheinwerfereffekte" zugeschrieben (Schenk 1987, S.209). Ein wichtiger Punkt ist, daß der Zeitungsleser seinen Medienkonsum zeitlich individuell steuern und wichtige Teile wiederholen kann, was dem Fernsehkonsumenten nicht ohne weiteres möglich ist. (Schenk, S.208)

Diese Unterschiede in der Wirkfähigkeit der Medien nennen Uekermann/Weiß "mit das wichtigste Ergebnis der gesamten Agenda-Setting-Forschung"(S.27).

Brosius führt allerdings neuere Untersuchungen an, die Agenda-Setting-Effekte auch für das Fernsehen nachweisen (Cook &Co., Behr und Iyengar..) Zurückgeführt wird dies auf verändertes Informationsverhalten und höhere Glaubwürdigkeit des Fernsehens. (Publ.39/94, S.273)

Außerdem werden durch verschiedenen Massenmedien unterschiedliche Rezipientenschichten angesprochen. (Schenk S.209) "Erneut bestätigt sich damit also, daß das Medium die Botschaft formt und deren soziale Rolle determiniert." (Schenk, S.208)

Eine weitere Beobachtung ist, daß auf lokaler Ebene stärkerer Einfluß der Tageszeitung, auf nationaler Nachrichten der nationalen Fernsehstationen festzustellen ist. Im Lokalen aber weniger Agenda-Setting Effekte anzutreffen sind, was wiederum auf verstärkte Einflüsse der persönlichen Kommunikation zurückzuführen ist (Ehlers S.118).

Diese Ergebnisse sind allerdings nicht sehr gut belegt, da meist nur wenige Medien, nur ausgewählte Teile (Titelseiten, politische Teile) und im Fernsehen oft nur der gesprochene Text untersucht wurden.

Präsentationsmerkmale

Der Effekt hängt auch von Art der Präsentation der Information ab. In den Nachrichten muß zwischen Kurzmeldung, Live-Bericht, Hintergrundreportage u.ä. unterschieden werden.

3.4. Kommunikatorzentrierter Ansatz

Aus dem Ansatz des Agenda-Setting haben sich Agenda-building genannte Überlegungen abgespalten. Lang/Lang sind hier Vertreter, die in Frage stellen, daß die Journalisten die Themen setzen, sondern vielmehr eine Art Gatekeeper-Theorie nahelegen, in der Nachrichten durch Journalisten weitergegeben werden, die z.B. durch das politische System konstruiert wurden oder durch einfaches Abschreiben von Nachrichtenquellen zustande kamen. Damit wäre die Quelle der Themen der Bevölkerung an eine andere Stelle versetzt.

3.5. Aktueller Stand

1995 ordnet Burkhart die Agenda-Setting-Hypothese "zweifelsfrei der kommunikatorzentrierten Betrachtungsweise" (S.240) zu. Er zitiert Schenk mit "Es geht um unsere Aufmerksamkeit, unser Wissen und Problembewußtsein gegenüber den täglich berichteten Ereignissen, Personen, öffentlichen Themen und Fragestellungen." (Schenk 1987, S.197, in: Burkhart S.240). Sein Hauptaugenmerk ist damit auf die Kraft der Frage des Agenda-Settings gerichtet - was es zeigen kann, nicht was es bewirkt steht im Vordergrund.

Roland Burkhart veröffentlichte 1987 in dem Kapitel Medienorientierte Perspektiven eine Zusammenfassung der Ergebnisse der bis dato aktuellen Agenda-Setting-Forschung von Renate Ehlers. Er sieht eine Entwicklung von der klassischen Stimolous-orientierten Perspektive, in der die Aussage als der entscheidende Wirkungsfaktor angesehen wurde, über die rezipienten-orientierte Sichtweise hin zu einer neuen Wirkungsforschung, die sich partiell wieder dem stimolous-Denken zuwendet, den Medien aber nicht mehr kurzfristige Verhaltens- und Aussageänderungen, sondern lediglich die Beeinflussung des Wissens- und Informationsstandes der Rezipienten zutraut. Dieser Richtung rechnet er außer der AgendaSetting-Forschung die Arbeit an der Wissensklufthypothese zu.

Uekermann/Weiß berichten Ende der 70er Jahre von der Beschreibung des Agenda-Settings als "Theorie", wofür Noelle-Neumann angeführt wird, wobei gleichzeitig immer wieder "die Schwächen der Analyse und Interpretation der Daten kritisiert" werden. Mit dem Verweis, daß das Konzept dadurch gewänne, daß seine Konzeption in "andere rezipientenorientierte Fragestellungen integriert" wird, werfen sie ungewollt die Frage nach der Eigenständigkeit dieser Richtung auf (S.16f) und distanzieren sich von der Beschreibung als eigenständge Theorie.

Sie deuten im Fortlauf des Untersuchungsberichtes ihre Erwartung an, daß die Analyse der Themenstrukturierung und Themensetzung ein "Scharnier" zwischen "der gesellschaftspolitischen und der auf konkrete Kommunikationsprozesse bezogenen sozialwissenschaftlicher Erforschung der Problematik medienvermittelter öffentlicher Kommunikation" darstellen könnte. Hier sehen sie "Entwicklungsmöglichkeiten" (S.20).

Uekermann/Weiß erklären die Modifikation der ursprünglichen Medienwirkungsthese "Medien beeinflussen Menschen" mit Forschungspragmatismus und weniger mit theoretischen Gründen. (Uekermann/Weiß, S.19)

Hans-Bernd Brosius führt die Agenda-Setting-Forschung als Beispiel für eine Entwicklung hin zu einer Theorie der selektiven Medienwirkungsforschung an. Diese Theorien kennzeichnen sich seiner Ansicht nach dadurch aus, "daß nur bestimmte Medieninhalte in bestimmten Präsentationsformen auf bestimmte Rezipienten zu bestimmten Zeiten wirken, wobei die Selektivität sowohl durch Merkmale der Botschaft als auch durch Merkmale der Rezipienten zustande kommt." (Publizistik 39 1994, S.269) Von universeller und direkter Medienwirkung ist demnach Abstand genommen worden und es klingt der begrenzte Rahmen an, in dem Agenda-Setting sicher angenommen werden kann. Die zu eingeschränkte Anwendbarkeit und Allgemeingültigkeit ist ein Hauptargument gegen die Versuche der Theoriebildung und verweisen mitunter auf methodischen Versäumnisse der Forschungsvergangenheit.

4. Methodische Probleme

Ehlers bemängelt grundsätzlich in der Agenda-Setting Forschung terminologische Unklarheiten, da zentrale Begriffe wie issue oder agenda völlig verschienen definiert oder frei genutzt werden. Ohne die Festlegung, was issue umfaßt, fehlt die Kategorie für die Art der Ereignisse, die in die Untersuchung miteinfließen sollen.

Brosius weist darauf hin, daß auch im Deutschen die Begriffe Thematisierung, Themenstrukturierung, 'issue' oder Problem nicht klar voneinander abgesetzt würden. (S.276) Auch Uekermann/Weiß beklagen unzureichende Methodik, die hinter der ambitionierten Weiterentwicklung der Fragestellungen nicht Schritt halten konnte. "Typische Kennzeichen der Agenda-Setting-Forschung sind nicht nur viele methodische Mängel im Detail, sondern vor allem die geringe Vergleichbarkeit der verschiedenen Studien" (Uekermann/Weiß, S.22) Sie weisen außerdem darauf hin, daß es sich hier nicht um ein großes, systematisches Forschungsprogramm handele, sondern um eine "Ansammlung von Forschungsarbeiten, die zumeist im Rahmen von universitärer Ausbildungsprogramme 'angefallen' sind." (Uekermann/ Weiß, S.22)

Methodische Unzulänglichkeiten werden moniert, "gerechtfertigte Kritik" (Ehlers, S.111): "The very minimum of useful scientific information involves at least one formal comparison and therefore at least two careful observations. With that particular requirement agendasetting research has had considerable difficulty." (Donald T.Campbell)

Schenk fordert langfristige Untersuchungen (Schenk, S.201) und stellt fest, daß mit einem Panel Design auch "die durchaus umstrittene Frage zu beantworten, was zuerst da ist: - Die Agenda der Medien oder die des Publikums."

Brosius nennt als einen Grund für die konzeptionelle Unklarheit, daß Forscher aus Geldmangel auf Fremddaten zurückgreifen müßten, in denen Fragen weder gleichlautend noch in regelmäßigen Abständen gestellt würden. (Brosius, S.277) Desweiteren gibt er zu bedenken, daß es fraglich ist, ob Publikum und Forscher die gleichen Beiträge den gleichen Beiträgen zuordnen, wodurch sich die Fehlerquote zusätzlich erhöhen würde. (Brosius, S.278)

5. Theoriebildung

"Ist Agenda-Setting also nur ein Label für eine vage Masse empirischer Forschungen?" fragt Brosius spitz (Brosius, S.278) und Iyengar und Kinder (1987) behaupten in diesem Zusammenhang sogar, Agenda-Setting sei lediglich eine Metapher, keine Theorie.

Gerade die methodischen Unzulänglichkeiten lassen manche Autoren zweifeln, ob die Fortsetzung der Forschungstätigkeit in dieser Art neue Erkenntnisse bringen wird. "Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob das Aneinanderreihen von Ergebnissen empirischer Agenda-setting-Forschung, wie sie bisher ohne vergleichbare begriffliche und methodische Voraussetzungen vorliegen, auch nur ansatzweise zu einer Theorie führen kann." (Ehlers, S.109)

Brosius beschreibt treffend, daß bislang zumeist Randbedingungen formuliert wurden, unter denen man mit Agenda-Setting-Effekten rechnen kann, was aber zu folgender Zusammenfassung des Standes der Agenda-Setting Forschung führt: "Überspitzt formuliert, könnte die Agenda-Setting-Theorie zur Zeit so beschrieben werden: Die Medienagenda beeinflußt die Rezipientenagenda für einige Rezipienten, für andere nicht; bei einigen Themen, bei anderen nicht; zu einigen Zeitpunkten, zu anderen nicht." (S.278f)

Davon ausgehend formuliert Brosius Vorschläge zur Theoriebildung: (S.279ff)

- Die Analogie von einem Zählwerk muß zugunsten einer kohärenten Darlegung der Verarbeitungsstrategien und -mechanismen aufgegeben werden.
- Keine Analogie von Quantitäten mehr, sondern Berücksichtigung von Aufmachung und Präsentation von Beiträgen.
- Die subjektive Verarbeitung der Rezipienten soll in der Zuordnung von Artikeln zu Themen berücksichtigt werden.
- Einbettung in einen breiteren Kontext von Wirkungstheorien.
- Die Agenda-Setting-Wirkung in Zusammenhang mit anderen Wirkungen setzen, die daraus folgen könnten (Durch Thematisierung werden bestimmte Meinungen nahegelegt, Wahlentscheidungen durch Themensetzung)
- Spezielle Agenda-Setting-Datensätze sammeln
- Das Wie Menschen aufgrund der Thematisierung in den Medien über Dinge nachdenken.

Brosius plädiert letztendlich für eine Erweiterung edr Forschungsperspektive und gleichzeitig für die Wiedereingliederung des Agenda-Settings in größere Forschungszusammenhänge.

"Ein theoretischer Fortschritt in der Agenda-Setting-Forschung ergibt sich erst dann, wenn man die Metapher von der Medien- und Rezipienten-Tagesordnung um Konzepte der Nachrichtenauswahl und der Wirkung von Nachrichtengestaltung erweitert. Das Ergebnis einer solchen theoretischen Differenzierung wird vermutlich keine eigenständige Agenda- Setting-Theorie sein. [...] Wahrscheinlicher ist daher, daß sich Agenda-Setting als Wirkungsform etabliert und als solche in allgemeinere Medienwirkungstheorien eingebaut wird." (Brosius, S.284f)

6. Schlußfolgerungen und Zusammenfassung

Es steht mittlerweile praktisch außer Frage, ob es Agenda-Setting gibt oder nicht. Die neueren Studien findet nach Brosius immer häufiger Agenda-Setting-Effekte, so häufig, daß man "die Frage nach der Existenz von Agenda-Setting-Effekten" inzwischen eindeutig mit 'ja' zu beantworten" ist. (Brosius, Publ 39/95, S.271). Was aus diesem Ansatz werden kann und welche Qualität er in Zukunft haben wird, ist weiterhin ungewiß. Stand der Forschung ist in der Tat der, daß in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen unter denen die Effekte mit größerer Wahrscheinlichkeit feststellbar sind, weiter eingegrenzt wurden und noch immer eingegrenzt werden. Unter diesen Umständen ist es natürlich unsinnig von einer Theorie des Agenda-Settings zu sprechen, wenn die theorieimmanente Systematisierungs- und Verallgemeinerungsfunktion nur dann greifen kann, wenn sich mit Sicherheit der Effekt einstellen wird. Zur Zeit geht das Agenda-Setting an der Theoriebildung vorbei, was daran liegen kann, daß noch immer die Ausgangsfehler der zu weit gefaßten Grundhypothese hemmend die Anwendung beeinflussen. Der Weg geht zur Eingrenzung, zur Verkleinerung des betrachteten Raumes, um den Punkt zu erreichen, an dem eine haltbare These formuliert werden kann. Erst wenn dieser Punkt erreicht ist, wenn festgehalten ist, wann Agenda-Setting stattfindet und auch, wie es funktioniert, erst dann kann die gegengesetzte Entwicklung einsetzen, daß sich der Raum wieder öffnet. Dann kann das Erkannte auf unbekannte Fragen angesetzt werden und eventuell Antworten geben, das Agenda-Setting könnte dann in der Art einer Theorie wirken und anwendbar sein. Solange es sich um Einzelbeobachtungen handelt, die auf unsicherer Datenbasis erhoben wurden, die nur Ausschnitte aller Einflüsse beachten, die nebenbei anfielen, weil Studenten Zeit oder ein Institut Geld hatte, kurz, wenn kein in sich geschlossenes Gedankengebäude zum Thema vorliegt, wird Agenda-Setting weiterhin den Makel der ungenauen Metapher an sich tragen.

Aber auch ohne die Theoretisierung der Befunde kann Agenda-Setting als Wirkungsansatz Gutes leisten. Schenk stellte die seiner Ansicht nach zentrale Frage, die dunkelste Stelle in der Frage um den Entstehungsprozeß der Themen umfaßt: "Wer setzt die Agenda?", eine Frage, die nicht ohne praktischen Nutzen sein kann. Burkhart führt in diesem Zusammenhang die Public-Relations-Aktivitäten (Baerns 1991), das "Ereignismanagement" von Wirtschaftsunternehmen, Politikern, Verbänden, anderen Organisationen u.a. und die Erzeugung von Pseudo-Ereignissen (Kepplinger 1992) als Beispiele von einer gesteuerten Vorgeschichte von Themen durch andere gesellschaftliche Gruppen als den Medien an. Alles, was zum Thema Agenda-Setting bislang herausgefunden wurde, wird in dieser oder ähnlichen Richtungen fördernd wirken und damit der Medienforschung einen Dienst leisten.

Renate Ehlers kommt es dann auch nicht so sehr auf die Frage nach der Theoriefähigkeit des Ansatzes an, als vielmehr um die Möglichkeiten und Aufgaben, die sich mit der einmal aufgeworfenen Frage verbinden. "Die Agenda-setting-Forschung sollte - nicht nur in Deutschland - stärker als bisher den gesamten alltäglichen Prozeß untersuchen, mit dem Themen aufgebracht und weitergereicht werden, in die Medien gelangen und möglicherweise vom Publikum übernommen werden. Insbesondere ist es notwendig, die Entstehung von Themen und vor allem die Vernachlässigung anderer, auch möglicher Themen, schon bevor sie veröffentlicht werden, kritisch zu verfolgen und zu erforschen." (Ehlers, S.121)

Wie sie es auch schreibt, sind nicht nur die Themen interessant, die in den Medien auftauchen, sondern auch die, die unterdrückt werden. Agenda-Setting wird noch vielerlei Fragen in dieser Art aufwerfen, die mithelfen können, sowohl die Entstehung von Meldungen wie auch von Meinungen zu verstehen.

Literaturangaben

H.-B. Brosius, Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung, Publizistik, 39.Jahrgang, Heft 3 1994, S.269-288

R. Burkhart "Kommunikationswissenschaft", Wien 1995.

R. Ehlers in R. Burkhart (Hrsg.) "Wirkungen der Massenkommunikation", Wien '87.

M.E. McCombs, D.L. Shaw, The Evolution of Agenda-Setting Researc, Journal of Communication 43(2), Spring 1993

M.E. McCombs, D.L. Shaw, The Agenda-Setting Funktion of Mass Media, in: AgendaSetting, edited by D. Protess, M. McCombs, reprint from Public Opinion Quaterly (1972, Vol.36, pp. 176-185), USA 1991

M.Schenk, "Medienwirkungsforschung", Tübingen 1987.

H.R. Uekermann, H.-J. Weiß, Die Themenstrukturierungsfunktion der Massenmedien, München/Göttingen April 1980

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Theorie oder Metapher - Historische Entwicklung und Theoriebildung des Agenda-Setting-Ansatzes
Veranstaltung
Proseminar "Einführung in die Publizistikwissenschaft"
Autor
Jahr
1996
Seiten
21
Katalognummer
V95160
ISBN (eBook)
9783638078399
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Metapher, Historische, Entwicklung, Theoriebildung, Agenda-Setting-Ansatzes, Proseminar, Einführung, Publizistikwissenschaft, Gregor, Daschmann
Arbeit zitieren
Philipp Müller (Autor:in), 1996, Theorie oder Metapher - Historische Entwicklung und Theoriebildung des Agenda-Setting-Ansatzes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95160

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