England unter Wilhelm dem Eroberer


Hausarbeit, 1996

16 Seiten


Leseprobe


Einführung

Die normannische Eroberung Englands im 11. Jahrhundert übte schon immer eine ganz besondere Anziehung auf die Historiker Englands aus. Schließlich setzte diese Invasion den Grundstein für eine Jahrhunderte andauernde monarchische Regierung der Insel, was zumindest von den in traditionellen Linien denkenden englischen Historikern geglaubt wurde und wird. Als besonders interessant galt in England dabei schon immer, daß gerade einmal 5000 Krieger und vielleicht 40000 Nachfolgende ein ganzes Volk wie das englische beherrschen konnten.1 Die Nachkriegsgeschichtsschreibung setzt direkt in den Fünfziger Jahren ein und hat ihren Schwerpunkt in den Neunziger Jahren.2 In England bemüht man sich dabei mehr um anschauliche Texte als um wissenschaftlich korrektes Arbeiten. Deshalb müssen die meisten Schriften - bis auf wenige Ausnahmen jüngeren Datums - ohne Fußnotenapparat auskommen, was die Sache unnötig kompliziert, da oft genug nicht nachzuvollziehen ist, auf welche Quellen sich ein Autor stützt. In Deutschland beschäftigt sich nur Kurt-Ulrich Jäschke mit der Geschichte Englands im Mittelalter, dafür aber mit der nötigen wissenschaftlichen Präzision.

Eine direkte Quelle vom Hof Williams gibt es nicht, d. h. alle Quellen, die in Frage kommen, sind aus einer gewissen zeitlichen oder räumlichen Distanz geschrieben worden. Dabei ist die Angelsächsische Chronik (ASC) die wichtigste Schrift, sind ihre beiden voneinander unabhängigen Versionen mit Namen "D" und "E" doch im 12. Jahrhundert in Worcester und Canterbury aufgezeichnet worden. Außerdem ist die ASC die einzige nennenswerte angelsächsische Chronik, alle anderen relevanten Quellen sind normannisch.3 Die wichtigsten Quellen aus der Normandie, die allesamt als Propaganda für den neuen englischen Machthaber zu verstehen sind, sind zunächst einmal die Gesta Normannorum ducum 4 des Mönches Wilhelm von Jumièges aus dem Frühjahr 1070, dann die Gesta Guillelmi 5 des normannischen Hofgeistlichen Wilhelm von Poitiers und schließlich die Orderici Vitalis Historia ecclesiastica 6. Alle anderen Zeugnisse müssen sich in ihrer Bedeutung diesen Quellen unterordnen.

Im folgendem werden die drei Schwerpunkte der englischen Geschichtswissenschaft, nämlich die Neuverteilung von Land und Ämtern, der Burgenbau und der Widerstand der Einheimischen behandelt. Dabei stellen sich verschiedene Fragen, nämlich: Wie ging die Neuverteilung von Land und Ämtern vor sich? Stand eine bestimmte Strategie im Vordergrund? Diente der Burgenbau auch einer bestimmten Strategie? Wie sah so eine Burg überhaupt aus? War der Widerstand in England organisiert oder eher nicht? Ging der neue König bei der Niederschlagung der Aufstände mild oder hart gegen die Aufsässigen vor?

2 Stabilisierung durch Neuverteilung von Land und Ämtern

Nach der Eroberung Englands durch die Normannen fand eine umfassende Reorganisation des Landes und seiner Ämter statt, die bisher seinesgleichen suchte. Die Besatzer waren bestrebt, ihre Macht so schnell und so weitreichend wie möglich abzusichern. Dazu nutzten sie eine ganze Bandbreite von Instrumenten, von denen die Neuverteilung des Landes, die Hand in Hand ging mit der Neuverteilung der Ämter, die augenfälligste war. Die englische Forschung ist sich sowohl über Umfang als auch über Art und Weise der Neuverteilung des Landes uneinig. Unstrittig ist aber, daß William als König über ungewöhnlich viel Land verfügte, welches er nutzte, um seine Macht auszubauen. Die Schätzungen Walkers gehen von 20 % des gesamten englischen Landes aus, welches sich in den Händen des Königs befand. Weitere 7 % sollen sich in den Händen seiner Halbbrüder befunden haben und noch einmal 13 % in den Händen von Getreuen.7 Diese 40 % der englischen Landmasse dienten ebenso wie der Rest des Landes zur wirtschaftlichen Absicherung ihrer Besitzer. Das Land war schließlich im mittelalterlichen England der größte Machtfaktor und die Landverteilung war ein politischer, also nicht rein wirtschaftlicher, Aspekt8. Deshalb war eine Neuregulation auch die Sache der direkten post-conquest generation, die mit den Problemen im Land schnell fertig werden mußte. Dabei konnten höhergestellte Engländer allen Besitz verlieren, was aber nicht zwangsläufig der Fall war. Denn zu Beginn der normannischen Herrschaft war es durchaus möglich, daß englische Adlige ihren Besitz gegen eine entsprechende Barzahlung behalten durften9. Wie groß das Bedürfnis des englischen Adels war, seinen Besitz zu erhalten, zeigen die schon frühen Bemühungen sich zu assimilieren, was sich u. a. in der Annahme von normannischen Namen bemerkbar machte10. Derart angepaßt durfte man darauf hoffen, sein Land zu behalten, denn William nahm angeblich nur Land "von Verrätern, die ihn niemals als König akzeptierten"11. Dafür spräche noch die hohe Anzahl von Hochzeiten, die zwischen Besatzern und Besetzten stattfanden.12 Aber ob William in England erst eine feudale Gesellschaft schaffen mußte, wie Baker behauptet, ist sehr fraglich13. Schließlich geht derselbe Autor davon aus, daß immerhin 90% der Engländer ihr Land behalten durften, was ein deutliches Indiz dafür ist, daß bereits vor dem Einfall der Normannen ein funktionierendes feudales System existierte. Diese Strukturen konnten dann von den Normannen zum großen Teil übernommen werden. Beides ist wohl der Versuch Bakers einer späten Rechtfertigung oder zumindest Verniedlichung des offensichtlichen Rechtsbruchs der Normannen durch die Landneuvergabe. Wie groß der Bruch der Besatzer mit den bisherigen Normen war, beschreibt die Angelsächsische Chronik des Jahres 1087. Dort heißt es: "The king sold his land on very hard terms - as hard as he could. Then came somebody else and offered more than the other had given, and the king let it go to the man who offered him more. Then came the third, and offered still more, and the king gave it into the hands of the man who offered most of all, and did not care how sinfully the reeves got it from poor men, nor how many unlawful things they did."14

Daß der Verkauf des Landes keine Ausnahme war, weiß dieselbe Quelle bereits 1066.15 Also war der Landkauf durch den englischen Adel in der ganzen Regierungszeit Williams an der Tagesordnung, obwohl auch viele Engländer in ihrem Besitz bestätigt worden sind.16 Dennoch leugnet die normannische Quelle William von Potier jegliches Unrecht von Seiten des Königs, denn: "to no Frenchman was given anything unjustly taken from an Englishman."17 Richtig ist sicherlich, daß jeder Engländer, der sich für William einsetzte, sein Land behalten durfte. Walker sieht darin das Bemühen des Normannen, seinen Männern eine Rechtsgrundlage zu geben, die jeden Streit um das Land von vornherein unmöglich macht.18 Kurt Jäschke geht sogar von einer weitreichenderen Strategie des Königs aus, wenn er schreibt, William sei bemüht gewesen, die politischen Großregionen des Landes neu zu organisieren. Dabei habe es keine Austauschbarkeit von normannischen und englischen Grafen gegeben, sondern William hätte versucht, die Machtstellung der Großregionen durch die Beseitigung der Amtsherzogsfamilien zu erreichen.19 Oder es seien Großgrafschaften, die vakant wurden, einfach nicht wieder besetzt worden und seien so verschwunden. Dafür spricht nicht nur die in der englischen Forschung vertretene Meinung, die Großregionen seien das Rückrat der normannischen Herrschaft in England gewesen,20 sondern auch die Tatsache, daß von 1066 England noch in 3 Großregionen aufgeteilt war, von denen 1087 noch 4 kleinere Pfalzgrafschaften übrig geblieben waren.21 Der Rest des Landes war fest in normannischer Hand, zum Teil sogar in der Hand von 30 normannischen Klöstern, die sich ihre Ansprüche durch den König absichern ließen.22

Die gesamte Neuverteilung des Landes war mit dem Entstehen des Doomsday books abgeschlossen, denn nun war nicht nur eine Auflistung aller Ländereien zur Steuerabsicherung erstellt worden, sondern ein Akt der Rechtssicherheit und der Befriedung wurde vollzogen. Möglich wurde diese Sicherung des Besitzes aber nicht nur durch die Landvergabe, sondern ebenso durch die Neubesetzung der wichtigsten Ämter im normannischen Sinn. Spätestens nach den ersten blutigen Aufständen, von denen später noch die Rede sein soll, verlor der neue Machthaber jegliches Vertrauen in das normannisch-englische Gleichgewicht.23 Die Angelsächsische Chronik berichtet bereits 1067 von der rabiaten Vorgehensweise Williams:

"He had earls in his fetters who acted against his will. He expelled bishops from their sees and abbots from their abbeys and put thegns in prison."24

Notwendig wurde diese Politik nicht zuletzt durch die lange Abwesenheit des Königs, um sich um die Geschäfte in seinem Heimatland zu kümmern. Schließlich durfte auch eine vierjährige Abwesenheit Williams, zu der es schnell kommen sollte, keine Erschütterung seiner Macht bedeuten.

3 Der Burgenbau als Sicherungspolitik?

Zunächst einmal muß geklärt werden, was unter dem Begriff "Burg" im 11. Jahrhundert in England verstanden wurde. Dabei ist ein historische Analyse anhand der schriftlichen Quellen nur schwer möglich, denn es gab zwar einige Begriffe, die heute allesamt als "Burg" übersetzt werden können, aber diese Begriffe meinten jede Form von Befestigungen. Außerdem konnten Bezeichnungen wie castrum, oppidum, municipium, mota und turris jederzeit in Kombination benutzt werden25. Zu unterscheiden sind zwei Arten von Burgen, nämlich Türme und befestigte Hügel. Beide Formen traten natürlich auch gemeinsam auf. Die durchschnittliche Burg hatte ca. 35 Meter Durchmesser bei 15m2 Wohnfläche und der Turm hatte eine Höhe von 3-4 Metern. Das Baumaterial war meist Holz, was relativ einfach zu beschaffen war und so die Kosten gering hielt26. Denn für den Bau eines Steinturms, für den oftmals Jahre benötigt wurden, brauchte man trainierte Baumeister, die sich ihre Spezialistentätigkeit teuer bezahlen ließen. So konnten selbst mittelprächtige Steintürme ganze Jahreseinnahmen eines Adligen kosten27. Deshalb waren Steinbauten sehr selten, wenn auch einige wie z. B. der Londoner Tower bis heute überdauert haben28. Obwohl Holz gut brennt und Holztürme aus Gründen der Statik nicht sehr hoch gebaut werden konnten, hatten Türme aus Holz einen Vorteil: sie sind schnell in Wochen oder Monaten errichtet. Die Kunst des Burgenbaus stand also noch auf einer recht einfachen Stufe, obwohl schon die geographischen und geologischen Besonderheiten des Berges, auf dem die Befestigung stehen sollte, genutzt wurden und selbst schon vorhandenes Baumaterial integriert worden ist. Einige Hügel sind sogar auf bis zu 40% Steigung aufgeschüttet worden29, was mit den damaligen Mitteln eine gewaltige Leistung war. Unter den englischen Historikern hält sich noch heute hartnäckig die These, es habe keinerlei Burgenbau vor der Eroberung Williams gegben30. Dem widerspricht die Tatsache von mindestens fünf Burgengründungen durch Edward dem Bekenner31. Auffallend ist aber, daß Burgen nach der normannischen Eroberung wie Pilze aus dem Boden schossen32. Über die genaue Zahl wird gestritten, was nicht zuletzt auf die verschiedenen Begrifflichkeiten zurückzuführen ist. Die Schätzungen in der Literatur reichen von 36 befestigten Plätzen über 50 oder 100 Burgen bis hin zu mehreren hundert Burgenbauten unter William33. Genaue Zählungen finden sich nur bei Jäschke, der von 66 Neubauten zwischen 1066 und 1087 ausgeht, wovon 8 Königsburgen gewesen seien. Die Gesamtzahl der Burgen lag nach Jäschke 1087 bei 103, und zwar ohne Wales34. Diese großen Zahlen sprechen für eine immens große Bedeutung der Burgen, auch wenn manchmal ein Adliger wegen der Fragmentierung seines Besitzes mehrere Burgen bauen mußte.

Wieso nahmen die Adligen eine so große Mühe und finanzielle Belastung auf sich? Denn selbst eine einfache Holzburg kostete den Hausherren viel Zeit und Mittel. Was war also die Funktion einer Burg? Burgen waren in erster Linie verteidigte Heimat eines Adligen, kurz sein Zuhause. Daneben erfüllten sie die Aufgaben der Verwaltung und der Kontrolle und dienten zum persönlichen Schutz. So schreibt Pounds:

"The course of the Conquest was marked by the construction of castles, without which the conquered territory could not have been held.35 "

Recht schnell dienten dann die Burgen als Schutz für die gesamte Gemeinde, was die Bindung an die neuen Herrscher erhöht haben dürfte36. Die Burgen beschleunigten so den Normannischen Zugriff, ja sie sicherten das Überleben der Besatzer. Deshalb waren Williams erste Amtshandlungen u. a. Burgenbauten. Strittig ist dabei, inwieweit bei der Durchführung dieser Bauten ein Plan, also eine bestimmte Absicht vorhanden war. Wenn William eine bestimmte Strategie verfolgte, ist dafür unabdingbar, daß er auch bestimmen konnte, wer eine Burg bauen durfte und wo er es durfte. Wenn jeder Adlige, wie es in Deutschland im Mittelalter weitestgehend der Fall war, überall eine Burg bauen durfte, wo er dies für richtig hielt, war an eine bestimmte Strategie des Königs nicht zu denken. So geht ein Teil der Forschung davon aus, daß William immer sein Einverständnis zum Neubau geben mußte37. Daraus folgert sich dann eine Strategie des Eroberers, die sich in der Befestigung der Küstenlinie und der Linie Hereford, Shrewsbury und Chester ausdrückte38. Das wiederum hieße, daß William nicht nur eine imperiale Dynamik sprich Imperialismus, sonder auch einige Defensivmaßnahmen zur Grenzsicherung bewußt eingesetzt haben müßte39. Es ist aber unwahrscheinlich, daß ein mittelalterlicher Herrscher in diesen Begriffen und Strategien der Neuzeit gedacht haben soll. Nicht zuletzt deshalb geht die Gegenrichtung zwar z. T. noch von einer formalen Zustimmung des Königs zum Burgenbau aus und spricht von einer Duldung und genauen Kontrolle des Königs, sogar direkte Aufforderungen an einen Adligen eine Burg zu bauen werden eingeräumt, aber eine Strategie Williams erscheint ihr unwahrscheinlich. Schließlich standen die meisten Burgen in Ballungsräumen und einige dienten zur Verteidigung der Küsten, hatten also regional begründete Aufgaben, andere wiederum wurden nach kurzer Zeit unwichtig und wurden abgegeben. Das System war eher experimentell denn systematisch40. Schließlich wird von Jäschke sogar die These vertreten, daß eine Zustimmung des Herrschers nicht nötig gewesen sei41.

Doch wenn es keine Strategie beim Burgenbau gegeben haben sollte, wenn der Burgenbau zur Sicherungspolitik nur im regionalen Rahmen beigetragen hätte und die schriftlichen Quellen nur bedingt über den Bau von Befestigungen Auskunft geben könnten, dann kann es nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft sein, sich hierüber in Spekulationen zu verlieren. Die Mittel und Methoden der Archäologie sind dafür sicherlich besser geeignet.

4 Der Widerstand der Einheimischen

Doch warum nun die hastige Neuverteilung von Ämtern und von Land, wozu die schnelle Errichtung unzähliger Burgen, die bisher ihresgleichen suchte? Tatsächlich stand der neue König innenpolitisch unter gewaltigem Druck, da er nicht von allen bisherigen Machtinhabern begeistert aufgenommen worden ist. Es kam schnell zu handfesten Auseinandersetzungen, die teilweise in blutigen Kämpfen ausgetragen wurden. Es kam zu Aufständen der Einheimischen.

Die englische Forschung spaltet sich bei diesem Thema in verschiedene Lager. Zum einen geht es dabei um die Frage, inwieweit die Aufstände grausam oder eher mild niedergeschlagen wurden. Zum anderen ist es umstritten, ob diese Kämpfe koordiniert worden sind, oder ob es sich um spontane und ungeplante Kämpfe handelte. Wer ein besonders positives Bild von William konstruieren möchte, geht dabei von der Milde des Königs bei der Niederschlagung spontaner Unmutsäußerungen einzelner Bevölkerungsgruppen aus. Bestes Beispiel dafür ist Ann Williams, die schon einleitend schreibt, es hätte keine Massaker wie unter Knut gegeben, sondern William hätte all jene gefördert, die auf seiner Seite gestanden hätten.42 Dem neuen Machthaber sei es gelungen, bis zum März 1067 eine Stabilisierung in England zu erreichen.43 Die Milde Williams soll sogar die Aufstände provoziert haben.44 Des weiteren spricht Ann Williams nur von einem gnädigen König und beschreibt lediglich die Massaker genau, die an den Normannen verübt worden sind, nicht diese, die von den Besatzern begangen wurden. Diese Darstellung des Geschehens ist zumindest irreführend, da die meisten Quellen die Vorgehensweise des Normannenherrschers anders interpretieren. So schreibt z. B. Henry of Huntingdon in seiner Historia Anglorum:

"In the twenty-first year of the reign of King William [...] there was now no prince of the ancient royal race living in England, and all the English were brought to a reluctant submission, so that it was a disgrace to be called an Englishman."45

Die andere Richtung der englischen Forschung geht von einem unnötig gewalttätigen William aus. Baker formuliert seine These sehr hart, wenn er schreibt, daß für die Übergriffe des Königs in Yorkshire nur der Begriff genocide angemessen sei.46 David Walker benutzt sogar den Begriff des crime against humanity, um die Geschehnisse zu umschreiben.47 Auch wenn beide Begriffe dem 20. Jahrhundert angehören und sicherlich nichts mit dem gemein haben, was die Kämpfe im England des 11. Jahrhunderts bestimmt hat, so ist der krasse Unterschied zu der schon verniedlichenden Interpretation Ann Williams deutlich. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen, und der Satz von Brown, daß William immer zum Mittel der Gewalt griff, "wenn es notwendig war",48 dürfte eher der Realität entsprechen. Doch nicht nur die Gewaltlosigkeit des Normannen ist umstritten, sondern auch die Qualität der Aufstände. Gab es nun Englandweite und organisierte Aufstände, die das Ziel hatten, den Herrscher zu stürzen? Oder waren die Kämpfe regionaler Natur und eher mäßig organisiert? In der Angelsächsischen Chronik heißt es hierzu: "Then the king was informed that the men of the north were gathered together and meant to make a stand against him if he came."49 Die Chronik spricht also von organisiertem Aufstandswillen im Norden des Landes. Noch konkreter wird Orderic Vitalis, wo es heißt:

"After large numbers of the leading men of England and Wales had met together, a general outcry arose against the injustice and tyranny which the Normans and their allies had inflicted on the English. They sent envoys into every corner of Albion, to incite men to recover their former liberty and bind themselves by weighty oaths against the Normans."50

Einerseits war es offensichtlich eine große Anzahl von Männern, die sich zusammenfanden um die Normannen zu bekämpfen, andererseits spricht das Aussenden von Boten und die Bindung durch Schwüre für eine durchdachte Organisation. Nichtsdestotrotz widerspricht ein Großteil der englischen Forschung diesen Quellen und geht von sporadischen, eher naiven Aufstandsversuchen aus. Es taucht häufig der Begriff des guerilla warfare auf, der die Kampfform der Engländer gegen die Normannen erklären soll.51 Das Problem ist hier wieder, daß ein Begriff des späten 20. Jahrhunderts in das Mittelalter projiziert wird. Im England des 11. Jahrhunderts gab es weder das Wissen noch die Waffen, um eine wirkliche Partisanentaktik anzuwenden. Einigkeit herrscht in der englischen Wissenschaft auch darüber, daß die Aufstände nicht nationaler, sondern eher lokaler Natur waren. Sie seien schlecht geführt und nicht geplant gewesen und hätten sich gegen die Grafen und nicht gegen den König gerichtet.52 So etwas wie "nationalen Widerstand" habe es nicht gegeben. Interessant ist dabei, daß selbst wenn es innerhalb Englands keinen organisierten Widerstand gegeben haben sollte, zumindest im Ausland tatkräftig am Sturz des normannischen Monarchen gearbeitet worden sein muß. Denn als die Söhne Harolds 1069 von Irland aus ihren Versuch unternahmen, die Macht zurückzuerobern, hatten sie 60 Schiffe zur Verfügung. Diese Schiffe, die einen unglaublich hohen Wert darstellten, konnten sie nur durch die Hilfe sehr mächtiger Adliger bekommen haben. Ebenso auffällig ist die Unterstützung aus Devon und Cornwall, die die Brüder erreichte, und die gleichzeitigen Aufstände in Dorset und Sommerset. Es spricht also alles für eine weitreichende Unterstützung im in- und ausländischen Adel, ohne die dieser Angriff überhaupt nicht möglich gewesen wäre.53 Noch im selben Jahr konnten die Dänen gewonnen werden, bei den Umsturzversuchen mitzuhelfen. Die Dänische Flotte griff in der Tat York an und wurde dabei von Rebellen aus dem Norden unterstützt. Dennoch geht Golding, nachdem er die Geschehnisse des Jahres 1069 beschrieben hat, davon aus, daß alle Aktionen unkoordiniert abgelaufen seien, daß es keinen gemeinsamen Anführer, keine Basis im Volk und keinen gemeinsamen Grund gegeben habe.54 Schließlich endet die Darstellung Goldings mit der heute sicherlich richtigen Feststellung, daß der gesamte Widerstand die normannische Eroberung lediglich aufgehalten habe.55

5. Schlußbetrachtung

Die englische Geschichtswissenschaft setzt in den letzten 50 Jahren hauptsächlich drei Schwerpunkte bei der Betrachtung Englands unter Wilhelm dem Eroberer, nämlich zunächst die Landneuverteilung, dann den Burgenbau und zuletzt den Widerstand der Einheimischen. In keinem der drei Punkte konnten sich die englischen Historiker wirklich einigen, was vor allem an der schwierigen Quellenlage liegen dürfte. Bei der Neuverteilung von Land und Ämtern ist strittig, inwieweit der neue Herrscher das Land "gerecht" verteilte, oder ob ein Rechtsbruch vorlag. Dabei wird das Vorgehen Williams von verschiedenen Historikern unterschiedlich beurteilt. Wahrscheinlich ist aber, das William nur den Adligen das Land nahm, die sich nicht auf seine Seite schlugen. Diese Adlige, die sich dann schnell offen gegen William stellten, wurden mit Verhaftung und Absetzung bestraft. Aber ob dabei wirklich eine Strategie des Königs vorlag, darf angezweifelt werden. Die Neuordnung der Großregionen, die Jäschke beschreibt, ist zwar eine Tatsache, aber ob der Normanne dabei von Anfang an einen Plan zur Machtbeschneidung der bisherigen Grafen im Hinterkopf gehabt hat, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlich handelt es sich um eine "natürliche" Entwicklung, die erst hinterher von den Historikern als ein Plan oder ein Ziel interpretiert worden ist.

Noch komplizierter ist die Sache dann beim Burgenbau unter Wilhelm dem Eroberer. Zwar kann man durchaus errechnen, wie eine durchschnittliche Burg ausgesehen haben muß, aber wieviel es an welchen Orten gegeben hat, steht völlig im Dunkeln. Die Mittel der Geschichtswissenschaft scheinen auch nicht geeignet zu sein, um diese Frage endgültig zu klären, da die Quellen durch die verschiedenen Bezeichnungen für Burgen und Befestigungen nur sehr schwer zu deuten sind. Außerdem fielen dann alle Burgen heraus, von denen es keine schriftlichen Überlieferungen mehr gibt, was wohl die meisten sein dürften. Aus diesen Gründen ist die Annahme, der König habe eine Strategie beim Burgenbau verfolgt, die wieder bei Jäschke auftaucht, reine Spekulation.

Völlige Verwirrung herrscht schließlich bei der Beurteilung des Widerstands der Einheimischen. Wahrscheinlich ist, daß William mit der damals nötigen Härte gegen die Aufsässigen vorging. Er war sicherlich nicht so grausam wie Knut, aber doch noch grausam genug, um die antinormannischen Quellen seine Härte rhetorisch geschickt ausnutzen lassen zu können. Außerdem sprechen die Quellen, was die Koordination der Aufständischen angeht, eine deutliche Sprache. Offensichtlich hat sowohl innerhalb Englands als auch im benachbarten Ausland eine Absprache stattgefunden, wann und wie William anzugreifen sei.

Es ist doch eher unwahrscheinlich, daß sich Hilfstruppen, Aufständische und so große Flotten wie die des Jahres 1069 zufällig am selben Ort und zur selben Zeit treffen.

6. Bibliographie

6.1 Quellen

Anglo-Saxon Chronicle, revidierte Übersetzung, hg. v. Whitelock, D. ; Douglas, D. C. und Tucker, S. I. , London 1965.

Ordericus Vitalis, The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, hg. v. Chibnall, M. , Oxford Medieval Texts, 6 Bände, 1969-80.

Wilhelm von Jumièges, Gesta Normannorum Ducum, hg. v. Marx, J. , Paris 1914.

Wilhelm von Potiers, Gesta Guillelmi ducis Normannorum et regis Anglorum, hg. v. Foreville, R. , Paris 1952.

6.2 Literatur

Baker, Timothy, The Normans, London 1966.

Brown, Reginald Allen, Die Normannen, München 1988.

Golding, Brian, Conquest and Colonisation. The Normans in Britain 1066-1100, Basingstoke 1994.

Hinton, David A., Archaeology, Economy and Society. England from the fifth to the fifteenth Century, London 1990.

Hudson, John, Land, Law, and Lordship in Anglo-Norman England, Oxford 1994. Jäschke, Kurt-Ulrich, Die Anglonormannen, Stuttgart 1981.

Ders., Die normannische "Landnahme" auf den Britischen Inseln, in: Scheider, Reinhard (Hrsg.), Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters, Sigmaringen 1994.

Kapelle, William E. , The Norman Conquest of the North. The Region and Its Transformation 1000-1135, London1979.

Le Patourel, John, The Norman Empire, Oxford 1976.

Pine, Leslie, They came with the Conqueror, London 1954.

Pounds, Norman, The Medieval Castle in England and Wales, Cambridge 1990. Walker, David, The Normans in Britain, Oxford 1995.

Wiliams, Ann, The english and the norman Conquest, Woodbridge 1995.

[...]


1 Die Zahlen stammen von Pine, L. G. , They came with the Conqueror, London 1954, künftig: Pine, They came, S. 13. Vierzig Jahre später rechnet der deutsche Historiker Jäschke dann vor, daß dies etwa 1% der Gesamtbevölkerung sei. Vgl. Jäschke, Kurt-Ulrich, Die normannische Landnahme auf den britischen Inseln, in: Müller-Wille, Michael, Schneider (Hgg.), Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters, Sigmaringen 1994, S. 213-325, hier S. 219.

2 Hier sind vor allem Baker, Timothy, The Normans, London 1966; Brown, Reginald Allen, Die Normannen, München 1988; Golding, Brian, Conquest and Colonisation. The Normans in Britain 1066-1100, New York 1994, künftig: Golding, Conquest; Williams, Ann, The english and the norman conquest, Woodbridge 1995, künftig: Williams, The english und Walker, David, The Normans in Britain, Oxford 1995, künftig: The Normans zu nennen.

3 Anglo-Saxon Chronicle, revidierte Übersetzung, hg. v. Whitelock, D. ; Douglas, D. C. und Tucker, S. I. , London 1965.

4 Wilhelm von Jumièges, Gesta Normannorum Ducum, hg. v. Marx, J. , Paris 1914.

5 Wilhelm von Potiers, Gesta Guillelmi ducis Normannorum et regis Anglorum, hg. v. Foreville, R. , Paris 1952.

6 Ordericus Vitalis, The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, hg. v. Chibnall, M. , Oxford Medieval Texts, 6 Bände, 1969-80.

7 Vgl. dazu auch Williams, The english, S. 10.

8 Golding, Conquest and Colonisation, S. 65.

9 Ebenda, S. 68.

10 Pine, They came, S. 22.

11 Ebenda, S. 24.

12 Golding, Conquest, S. 36.

13 Baker, The Normans, S. 148.

14 ASC, 1087.

15 ASC, E, 1066.

16 Williams, The english, S. 10 und Golding, Conquest, S. 36..

17 Will. von Potier, S. 238-9, zitiert nach Williams, The english, S. 10.

18 Walker, The Normans, S. 3.

19 Vgl. Jäschke, Die Anglonormannen, S. 90f..

20 So zu finden bei Baker, The Normans, S. 169.

21 Jäschke, Die Anglonormannen, S. 93

22 Ebd. , S. 86.

23 Williams, The english, S. 44.

24 ASC, E, 1067.

25 Pounds, Norman, The Medieval Castle in England and Wales, Cambridge 1990, S. 22.

26 Ebenda, S. 11-13.

27 Ebenda, S. 20.

28 Walker, The Normans, S. 118ff.

29 Ebenda, S. 16f..

30 Vgl. dazu Walker, David, The Normans in Britain, Oxford 1995, S. 15 und Hinton, David A. , Archaeology, Economy and Society. England from the fifth to the fifteenth century, London 1990, S. 107 sowie Brown, Reginald Allen, Die Normannen, München 1988.

31 Jäschke, K. -U. , Die normannische Landnahme auf den Britischen Inseln, in: Müller-Wille u. a. (Hrsg.), Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters, Sigmaringen 1994, S. 290.

32 Walker, David, The Normans in Britain, S. 14 weist ausdrücklich auf die hohe Geschwindigkeit des Burgenbaus hin.

33 Von 36 befestigten plätzen spricht Baker, The Normans, S. 146, von 50 "Befestigungen" geht Pine, They came, S. 23 aus und für Golding, Conquest. S. XIV sind es etwa 80 Burgen in England und Wales zusammen. Pounds, The medieval Castle, S. 10 meint, es hätte wohl hunderte von Burgen gegeben.

34 Vgl. Jäschke, Die normannische Landnahme, S. 290 und 297.

35 Pounds, The medieval Castle, S. 6.

36 Ebenda, S. 27.

37 U. a. Jäschke, Landnahme, S. 277.

38 Diese Richtung wird durch Baker, The Normans, S. 144 und durch Golding, Conquest, S. 52 vertreten.

39 Die Begriffe finden sich bei Golding, Conquest, S. 49.

40 Vgl. vor allem Pounds, The medieval Castle, S. 27, 30 und 58.

41 Jäschke, Die Normannische Landnahme, S. 288.

42 Williams, The english, S. 7.

43 Ebd. , S. 11.

44 Ebd. , S. 23.

45 Henry of Huntingdon, Historia Anglorum, Kap. VI.

46 Baker, The Normans, S. 121. Dem schließt sich Golding, Conquest, S. 41 an, wenn er sagt, die ökonomische Infrastruktur um York sei auf Jahre zerstört worden.

47 Walker, The Normans, S. 28.

48 Brown, Die Normannen, S. 70.

49 ASC, D , 1068.

50 Orderic Vitalis ii, S. 228.

51 So z. B. bei Golding, Conquest, S. 36f. und bei Walker, The Normans, S. 13.

52 Williams, The english, S. 14; Golding, Conquest, S. 36 und Baker, The Normans, S. 132.

53 Zu den Ereignissen des Jahres 1069 vgl. Golding, The Conquest, S. 39.

54 Golding, Conquest, S. 48.

55 Golding, Conquest, S. 59.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
England unter Wilhelm dem Eroberer
Autor
Jahr
1996
Seiten
16
Katalognummer
V95143
ISBN (eBook)
9783638078221
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bereich: Geschichte des Mittelalters
Schlagworte
England, Wilhelm, Eroberer
Arbeit zitieren
Steffen Kathe (Autor:in), 1996, England unter Wilhelm dem Eroberer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95143

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