Probleme der Friedenskonsolidierung im Libanon nach dem Ta`if Abkommen


Seminararbeit, 1996

16 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. EINLEITUNG

2.) AUFGABE UND ZIELBESTIMMUNG VON FRIEDENSKONSOLIDIERUNG
2.1 Die Bedeutung von Friedenskonsolidierung als Prävention von Krieg
2.2 Friedensdefinition als Notwendigkeit der Evaluierung der Tragfähigkeit von Friedensprozessen

3.) KONFLIKTURSACHEN

4. DAS TA`IF ABKOMMEN ALS GRUNDLAGE DER ZWEITEN REPUBLIK
4.1 Der innenpolitische Teil
4.2 Der zweite Teil des Ta`if Abkommens: die Ta`if Uhr und die "besonderen" syrischlibanesischen Beziehungen
4.3 Bewertung der durch das Ta`if Abkommen geschaffenen Voraussetzungen für den Friedensprozeß

5. PROBLEME DER FRIEDENSKONSOLIDIERUNG IM LIBANON NACH DEM TA`IF ABKOMMEN.
5.1 Politischer Konfessionalismus als Hindernis friedlicher Koexistenz
5.2 Das Problem der nationalen und historischen Identität
5.3 Die libanesische Demokratie unter syrischem Einfluß: Souveränität und Glaubwürdigkeit der Regierung Hariri

6. AUSBLICK

LITERATURLISTE:

I. Einleitung

Frieden ist mehr als Nicht-Krieg. Dieser "so scheinbar einfache(n) wie richtige(n) Einsicht1 " und dem Ende des Kalten Krieges ist die neuartige Kategorie des "post-conflict-peace- building" (dt. Friedenskonsolidierung) zu verdanken.

Forschung und Politik hatten sich dieser Erkenntnis lange Zeit verschlossen. "Sobald nicht mehr geschossen wurde, also nach landläufiger Meinung "Frieden" herrschte, nahm das öffentliche Interesse rapide ab.2 " Erst zu Beginn der 90er Jahre wurde für die internationale Gemeinschaft und die Friedensforschung der Blick frei für die Bedeutung konstruktiver Nachkriegszeiten, für den Zusammenhang von Friedenskonsolidierung und Kriegsprävention.

In der folgenden Arbeit soll die politische und gesellschaftliche Situation im Libanon, der vor seinem 15 Jahre andauernden (Bürger-)Krieg drei Jahrzehnte lang "als ein Beispiel erfolgreicher, friedlicher und demokratischer Koexistenz, als einer der wenigen gelungenen Fälle einer Konkordanzdemokratie außerhalb Europas3 " galt, unter diesem Aspekt untersucht werden.

Auf einem Friedensbegriff basierend, der vorrangig die Realisierung des gewaltfreien Konfliktaustrages als Bedingung friedlicher Koexistenz in den Vordergrund stellt, ist es das Ziel dieser Arbeit, nach einer Bewertung der durch das Ta`if Abkommen als Grundlage der Kriegsbeendigung geschaffenen Voraussetzungen, die konkreten Erfordernisse und Hindernisse auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden zu benennen. Obwohl Friedenskonsolidierung im ersten Teil der Arbeit als ein komplexer gesamtgesellschaftlicher Prozeß definiert wird, dessen Gelingen die Lösung sicherheitspolitischer, politischer, ökonomischer und sozialer Probleme gleichermaßen erfordert, ist es im eingeschränkten Rahmen dieser Arbeit und im Falle des Libanon sinnvoll, sich auf die Behandlung des politischen Konfliktpotentials in der vertraglichen Grundlage und der zweiten Republik selbst, zu beschränken. Denn - ohne die Bedeutung sozio-ökonmischen Krisenpotentials im Vorkriegslibanon zu leugnen- haben vorrangig die Folgen der politischen Institutionalisierung von Gemeinschaften in Form des politischen Konfessionalismus und die damit verbundene mangelnde Integration in den gemeinsamen Staat eine entscheidende Rolle bei der Destabilisierung der ersten Republik gespielt.

Somit wird, gerade in Anbetracht der unsicheren regionalen Situation, die Lösung dieser Fragen entscheidend für die Konsolidierung des inneren Friedens im Libanon sein. In diesem Sinne versucht die Arbeit darzulegen, daß nur im Rahmen einer Entpolitisierung konfessioneller Gegensätze und der Stärkung demokratischer Konfliktkultur zukünftige Konflikte inhaltsbezogen und gewaltfrei bearbeitet werden können und die friedliche Koexistenz der Gemeinschaften im Libanon dauerhaft ermöglicht wird.

2.) Aufgabe und Zielbestimmung von Friedenskonsolidierung

2.1 Die Bedeutung von Friedenskonsolidierung als Prävention von Krieg

Der Problembereich der Friedenskonsolidierung ist inhaltlich im Forschungsfeld der Friedensursachenforschung zu verorten. Innerhalb des komplexen Prozesses der Transformation vom Krieg zum Frieden stellt eine erfolgreiche Friedenskonsolidierung einen wichtigen Bestandteil für eine dauerhafte Stabilisierung gegebener Friedenszustände dar. Das bis zum Beginn der 90er Jahre anhaltende Desinteresse an einer Erforschung von Zuständen, die über einen negativen Frieden hinausgingen, verkannte "die immense Bedeutung konstruktiver Nachkriegszeiten, die bei mangelnder Implementierung von Friedensregelungen und mißglückter Bewältigung von Kriegsfolgen schnell wieder zu Vorkriegszeiten werden können. Die Konsolidierung des Friedens nach dem Ende von Kriegen ist also immer auch schon ein Element der Prävention, der Vorbeugung eines neuerlichen Ausbruchs kriegerischer Gewalt4."

Hierbei wird deutlich, daß sich Friedenskonsolidierung auf einen erweiterten Friedensbegriff stützt, der zumindest über die Vorstellung, Frieden sei allein durch die Abwesenheit direkter physischer Gewalt, bzw. Krieg vorhanden, hinaus reicht. Andererseits ist auch die positive Definition Galtungs5, wonach Frieden als ein realisierter Zustand sozialer Gerechtigkeit bzw. als Abwesenheit struktureller Gewalt beschrieben wird problematisch, u.a. da bezweifelt werden muß, "daß das Ziel eines positiven Friedens jemals erreichbar ist, da das, was der Mensch sein kann, historisch variabel ist und darum selbst Gegenstand gewaltsam ausgetragener Kontroversen werden kann. Der maximalistische Friedensbegriff Galtungs muß insofern seinen höheren normativen Anspruch gegenüber dem minimalistischen Friedensbegriff (Nicht-Krieg) mit einem Verlust an Konsensfähigkeit, das heißt dem Verlust seiner Pazifizierungsfunktion, bezahlen6 ". Dennoch kann eine Orientierung an Galtungs Konzept über den Zustand des Nicht-Krieges hinaus auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse hinweisen, die gegeben sein müßten, um dauerhaft und verläßlich Gewalt- und Kriegsträchtigkeit abzubauen.

2.2 Friedensdefinition als Notwendigkeit der Evaluierung der Tragfähigkeit von Friedensprozessen

Die Feststellung eines Zustandes von negativem Frieden im Sinne Galtungs als Abwesenheit direkter physischer Gewalt ist empirisch relativ einfach zu treffen.

Jeder Versuch einer Evaluierung von Friedenskonsolidierung, bzw. die Benennung von Problemen bei derselben macht aber eine Annäherung an eine positive Begriffsbestimmung von Frieden notwendig, um überhaupt anhand einiger Zielvorgaben einen Maßstab der Problembewertung herstellen zu können.

Da eine konsensuale Bestimmung weiterhin aussteht, scheint es für diese Arbeit sinnvoll, einen prozeßorientierten Friedensbegriff zu verwenden, der "historisch- konkret zu substantiieren ist und der sich graduell an bestimmte Erfordernisse und Zielvorgaben anzunähern beginnt7 ". Somit soll Frieden verstanden werden, "als ein gewaltfreier und auf die Verhütung von Gewaltanwendung gerichteter politischer Prozeß, in dem durch Verständigungen und Kompromisse solche Bedingungen des Zusammenlebens von gesellschaftlichen Gruppen (...) geschaffen werden, die nicht ihre Existenz gefährden und nicht das Gerechtigkeitsempfinden oder die Lebensinteressen einzelner oder mehrerer von ihnen so schwerwiegend verletzen, daß sie nach Erschöpfung aller friedlichen Abhilfeverfahren Gewalt anwenden zu müssen glauben8 ". In diesem von Dieter Senghaas entwickelten Konzept werden als Rahmenbedingungen friedlicher Koexistenz ein legitimiertes Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit, demokratische Beteiligung, soziale Gerechtigkeit, Affektkontrolle sowie eine konstruktive Konfliktkultur genannt. Obwohl dieses "Zivilisatorische Hexagon" aufgrund seines Eurozentrismus schon hinreichend kritisiert und hinterfragt wurde, ist es, auch mangels Alternativen dennoch möglich es, in Verbindung mit dem o.g. Friedensbegriff, als grobes Zielmodell zu benutzen, mit dessen Hilfe man Annäherungswerte feststellen kann, um den Prozeß der Friedenskonsolidierung bewerten und einschätzen zu können. Im Fall des Libanon läßt sich dies zudem noch überzeugender durch die Überlegungen Ghassan Salamés begründen, der das Vorhandensein sowie die Notwendigkeit von Demokratie dadurch legitimiert "that it is the only system in a position to organize peaceful power sharing in a society where a hegemonic group could not establish an exclusivist or, at least an openly dominant position9 ".

Wird nun der Begriff der Friedenskonsolidierung mit dieser Definition inhaltlich gefüllt, so wird zum einen der prozeßhafte Charakter der Friedenskonsolidierung deutlich, andererseits wird aufgrund dieser Herangehensweise bei einer Bewertung auch die Frage im Vordergrund stehen, ob die Konflikte, die in der Vorkriegszeit innerhalb des bestehenden Systems nicht gelöst werden konnten und somit zum Ausbruch des Krieges geführt haben, in der Nachkriegsordnung eine gewaltfreie Behandlung und Lösung erfahren. Abgesehen davon ist mit Friedenskonsolidierung die Bewältigung einer großen Zahl von Problemen und somit neuem Konfliktpotential verbunden, die durch den (Bürger-)Krieg überhaupt erst entstanden sind, z.B. die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität und die Umwandlung einer Kriegs- in eine Friedenswirtschaft. Somit wird Friedenskonsolidierung als ein "komplexer gesellschaftlicher Prozeß der Rehabilitation, der Rekonstruktion und Erneuerung verstanden, der ökonomische, soziale, psychische, humanitäre, politische und sicherheitspolitische Problemaspekte einschließt10 ".

Wie in der Einleitung dargelegt, beschäftigt sich diese Arbeit im weiteren Verlauf mit den politischen Problemaspekten dieses Prozesses. Hierbei soll zunächst die Frage nach den Konfliktursachen gestellt und anhand des Ta`if Abkommen die Voraussetzungen friedlicher Koexistenz in der zweiten Republik bewertet werden.

3.) Konfliktursachen

Innerhalb der Diskussion um die Konfliktursachen des libanesischen (Bürger-)Kriegs stehen sich im wesentlichen zwei Anschauungsweisen gegenüber: "Es hat im Libanon keinen Bürgerkrieg gegeben, sondern nur einen Krieg anderer auf unserem Territorium"11. Diese 1993 von Staatspräsident Elias Hrawi vorgetragene Sichtweise illustriert die Meinung, der Krieg sei vor allem Ersatzkrieg für den Palästinakonflikt, sowie für die syrisch-israelischen Auseinandersetzungen gewesen. Andere nennen innere Faktoren, vorrangig den politischen Konfessionalismus in Verbindung mit sozio-ökonomischen Konflikte aufgrund von Modernisierungs- und Urbanisierungsproblemen als ausschlaggebend. Keine dieser beiden Betrachtungsweisen kann für sich stehend eine ausreichende Erklärung für den Ausbruch, die Dauer und Heftigkeit geben, mit der die Auseinandersetzungen geführt wurden. Erst die Kombination beider Elemente kann diese leisten: Tatsächlich hat der Konflikt zwischen Israelis und Arabern erst zur Kreation des "Palästinenserproblems" und somit zu israelischen Interventionen auf libanesischem Boden, sowie syrischer Druckausübung geführt. Auch ältere regionale Faktoren, Syriens Rolle im arabischen Osten betreffend, die Frage der Legitimität kolonialer Grenzen gleichermaßen wie der "neuere" Umstand des Ost-West Konflikt hatten Auswirkungen auf den Krieg12. Andererseits, ohne die äußeren Umstände in Frage stellen zu wollen, hätten "externe Kräfte ohne die inneren Widersprüche der libanesischen Gesellschaft keinen Effekt, in jedem Fall aber nicht ihren tatsächlichen Effekt gehabt13 ". Zudem haben die politisch institutionalisierten inneren Spaltungen entlang der Konfessionslinien und die damit verbundene Mobilisierung aufgrund der Angst von einer anderen Gemeinschaft politisch und somit auch kulturell dominiert zu werden dazu geführt, auf externe Kräfte zu setzen, um sich innere Macht zu sichern: "In order to gain the upper hand in this bloody struggle, no Lebanese group has ever been ready to count only on its own forces. The greater its feelings of weakness, the more it counts on external support14."

Auch wenn an dieser Stelle deutlich wird, wie problematisch eine Trennung interner und externer Konflikte und Akteure ist, sollen in dieser Arbeit vorrangig diejenigen Hindernisse einer friedlichen Koexistenz der Libanesen untersucht werden, die Salim al-Huss als "innere Widersprüche der Gesellschaft" bezeichnet hat, also den fortbestehenden Konfessionalismus und das damit verknüpfte Problem eine neue Formel für das politische System zu finden, die alle libanesischen Gruppen akzeptieren können.

4. Das Ta`if Abkommen als Grundlage der Zweiten Republik

Das Ta`if Abkommen von 1989 und das daraus hervorgegangene "Dokument der nationalen Verständigung" stellt die Vertragsgrundlage der Zweiten Republik dar und ist gleichermaßen die Basis, auf der die Herstellung eines negativen Friedens möglich wurde. Es besteht aus einem innenpolitischen Teil, der Aussagen zu Charakter und Identität des Libanon, sowie Bestimmungen über das politische15 System enthält, und aus einem zweiten, der die "speziellen Beziehungen" zu Syrien thematisiert und die Wiederherstellung der Autorität des libanesischen Staates mit syrischer Hilfe im zeitlichen Rahmen der "Ta`if Uhr" vorgibt.16

4.1 Der innenpolitische Teil

Der innenpolitische Teil des Ta`if Abkommens, auf dessen Grundlage im August 1990 Verfassungsänderungen beschlossen wurden, definiert zunächst den Libanon als "eine souveräne, freie und unabhängige Nation17 ", als "endgültiges Vaterland für alle seine Söhne in der Einheit von Land, Volk und Institutionen18 " und bestätigt als formalen Rahmen des politischen Systems die demokratische und parlamentarische Regierungsform. Weiterhin bekennt er sich zu freien Marktwirtschaft, sowie zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit.

Es wird betont, daß es "keine anerkannte Legalität der Macht geben (kann A.d.V.), wenn diese nicht mit dem Pakt der Koexistenz übereinstimmt19 ". Der bis zu diesem Zeitpunkt ungeschriebene Pakt der Koexistenz von 1943 (Nationalpakt) besteht aus "einer Anzahl gegenseitiger Verzicht- und Garantieerklärungen, einer Kompromißformulierung über die Identität des Landes und über die Teilung der Macht zwischen den Religionsgemeinschaften20 ".

Desweiteren wird die Abschaffung des politischen Konfessionalismus zum nationalen Ziel erklärt, für die Umsetzung dieses Ziels aber kein zeitlicher Rahmen festgelegt. Somit ist die Verteilung der politischen Macht an die konfessionellen Gruppen weiterhin durch ein Proporzsystem gegeben, das durch das Ta`if Abkommen aber modifiziert wurde. Zwar bleibt der seit 1930 bestehende Usus, daß der Staatspräsident immer ein Maronit, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit sein, muß unverändert, die Kompetenzen der einzelnen Ämter wurden aber grundlegend verändert und teilweise an die Realität der entsprechenden Bevölkerungsanteile angepaßt. So wurde die bis zu diesem Zeitpunkt herausragende Machtposition des Präsidenten weitgehend auf zeremonielle Aufgaben beschränkt. Somit wurde die exekutive Gewalt auf den Ministerrat verlagert, der vormals nur dem Präsidenten bei der Ausübung der selben assistieren durfte. Ebenso wurde die Stellung des Parlamentspräsidenten wurde gestärkt, da bei der Bildung des Ministerrates der Rat des Parlamentes eingezogen werden und sich dieser nach 30 Tagen einer parlamentarischen Vertrauensabstimmung stellen muß21.

Auch im Parlament wurde die 6:5 Mehrheit der Christen durch ein paritätische Aufteilung ersetzt.

4.2 Der zweite Teil des Ta`if Abkommens: die Ta`if Uhr und die "besonderen " syrischlibanesischen Beziehungen

Durch die sogenannte Ta`if Uhr, die mit dem Inkrafttreten der22 Verfassungsänderungen anläuft, wird der Zeitplan für die Wiederherstellung der staatlichen Autorität über das Territorium festgelegt. Innerhalb von sechs Monaten sollen die Milizen entwaffnet werden. Die Sicherheitsorgane sollen gestärkt und das Recht der Flüchtlinge und Vertriebenen, in ihre Heimatorte zurückzukehren garantiert werden. Hierbei sollen die syrischen Streitkräfte bis zu einem Zeitraum von maximal zwei Jahren behilflich sein; dann sollen die syrische und libanesische Regierung über die Verlegung der Truppen in die Beqaa-Ebene, sowie über Stärke und Verweildauer beschließen. Desweiteren wird dargelegt, daß Libanon und Syrien durch besondere Beziehungen verbunden seinen und daß eine vertragliche Vereinbarung über die Koordination und Kooperation folgen wird. Der Libanon darf "keinen Kräften, Staaten oder Organisationen Raum bieten (...), die darauf abzielen, die Sicherheit Syriens zu bedrohen, während Syrien keine Bedrohung der Unabhängigkeit und Souveränität des Libanon zulassen werde23 ".

4.3 Bewertung der durch das Ta`if Abkommen geschaffenen Voraussetzungen für den Friedensproze ß

Durch die Umsetzung des Ta`if Abkommens konnte seit 1975 im Libanon erstmals ein Zustand negativen Friedens (abgesehen von der israelischen "Sicherheitszone") hergestellt werden.

Nun stellt sich die Frage, welcher Art die durch das Ta`if Abkommen geschaffenen Voraussetzungen für den Nachkriegslibanon sind, d.h. inwieweit sie sich als stabilitätsfördernd erweisen werden.

Obwohl für die Verhandlungen von Ta`if die Formel galt, es gebe "keine Sieger und keinen Besiegten" sind doch bei der Neuverteilung der politischen Macht deutliche Tendenzen zu erkennen. So wurde unter saudi-arabischem Einfluß der Machtanteil der sunnitischen Gemeinschaft in einem Maße gesteigert, der ihr tatsächliches Gewicht übersteigt. Auch Norton nennt, in der Logik des politischen Konfessionalismus, Maroniten und Schiiten die "big losers24 " von Ta`if.

Bei der Kommentierung des innenpolitischen Teils des Ta`if Abkommens werden von den einschlägigen Autoren im wesentlichen zwei Aspekte hervorgehoben.

Einerseits handelt es sich bei dem Dokument "um die zweite Fassung eines Kompromisses, dessen Erstauflage allenfalls beschränkten Erfolg hatte25 " und ist somit von den Libanesen selbst nicht enthusiastisch aufgenommen worden. Gleichzeitig ist es aber "von der Mehrheit als ein wichtiger Schritt akzeptiert worden, der einen Übergang vom Krieg zum Frieden möglich machte26 ". Trotz der erheblichen Fremdeinwirkung ist das Dokument das Produkt legitimer libanesischer Repräsentanten und überzeugt durch seine Umsetzbarkeit: "Erneut erwiesen sich Realismus, Toleranz und Kompromißbereitschaft als wichtigste Qualitäten der alten, aus Wahlen hervorgegangenen Politikerklasse. Die christlichen Abgeordneten waren bereit, unhaltbar gewordenen Positionen aufzugeben, ihre muslimischen Kollegen vermieden es, übertriebene Forderungen zu stellen. Die seit langem faktisch unwirksamen symbolischen Privilegien der Christen wurden abgeschafft. ein längst fragwürdig gewordener Proporz wurde durch eine klare, nicht mehr mit demographischen bzw. pseudo-demographischen Argumenten, sondern auf das Bestehen zweier Religionsgruppen gegründete Parität ersetzt."27 Dieser Argumentation folgend kann dieser Teil des Abkommens, obwohl die Verteilung der politischen Macht noch immer auf der Grundlage des politischen Konfessionalismus vorgenommen wird, durchaus als Grundlage zukünftiger friedlicher Koexistenz bewertet werden. Gerade das vorangestellte Bekenntnis, den Libanon als souveräne, freie und unabhängige Nation, als endgültiges Vaterland erhalten zu wollen, erteilt jedweden Teilungs- oder Anschlußplänen eine deutliche Absage. "Deutlicher als je zuvor wird die Koexistenz der Religionsgemeinschaften als Staatsraison und Staatsziel des Libanon gekennzeichnet."28

Kann man den innenpolitischen Teil unter Berücksichtigung der o.g. Einschränkungen noch als einen "realistischen, von einer breiten Mehrheit getragenen Versuch, den Teil des Libanonkonfliktes zu regeln, der ein Bürgerkrieg war29 " bezeichnen, so sind die Konsequenzen des zweiten Teils, die besonderen syrisch-libanesischen Beziehungen weitaus gravierender.

Zweifellos wäre der libanesische Staat nicht in der Lage gewesen, die Entwaffnung der Milizen eigenständig durchzuführen und somit seine Autorität über das Territorium wiederherzustellen. Andererseits wird durch das Ta`if Abkommen die syrische Truppenpräsenz legalisiert, ein Faktum, das vor allem durch die christliche Bevölkerung abgelehnt wird und somit eine Belastung für die innere Aussöhnung der Libanesen darstellt. Allerdings waren die Formulierungen über die militärischen und politischen Beziehungen zwischen Libanon und Syrien nicht verhandelbar. "Das Konklave hatte also, was den internationalen Teil des Dokuments betrifft, über eine fertigen Text zu befinden30 ".

Letztendlich hatten die Abgeordneten nur die Möglichkeit, für eine Fortsetzung des Krieges oder für dessen Beendigung nach den syrischen Bedingungen zu votieren. Dieser Teil des Abkommens ist gleichermaßen die Bedingung des negativen Friedens und der inneren Sicherheit, wie auch ein Hindernis auf dem Weg zum positiven Frieden im Libanon, da die syrische Präsenz wiederum nur auf der Grundlage der Androhung physischer Gewalt vertraglich festgelegt und bis heute hingenommen wurde.

So betonten auch die meisten Abgeordneten, die an den Verhandlungen teilnahmen "that they saw the accord as part of the process, not a definitive settlement31 ".

5. Probleme der Friedenskonsolidierung im Libanon nach dem Ta`if Abkommen.

"Ta`if konnte dem Libanon aus seinem Bürgerkrieg heraushelfen. Über Ta`if hinaus müssen nun allerdings die libanesischen Akteure versuchen, (...) den keineswegs automatischen Übergang von einer auf Zwietracht basierenden Kriegskultur in eine auf Aufbau und Einheit basierende politische Kultur zu bewerkstelligen."32

Als Notwendigkeiten der entsprechenden Veränderung der politischen Kultur nennt Perthes vorrangig die Überwindung politisch-konfessionalistischer Strukturen, einen Grundkonsens über Identiätsfragen, sowie die Festigung und Erweiterung politisch-kultureller Strukturelemente, die es ermöglichen, eine Konfliktkultur zu entwickeln, in der Macht- und Interessenkonflikte ohne Zuhilfenahme militärischer Mittel entschieden werden können.

5.1 Politischer Konfessionalismus als Hindernis friedlicher Koexistenz

Wie in Abschnitt 3 beschrieben, gilt der politische Konfessionalismus als wichtigste innerlibanesische Konfliktursache, als dasjenige Element, das, in Verbindung mit wirtschaftlicher Ungleichheit wesentlich zur Destabilisierung der ersten Republik beigetragen hat.

Obwohl Vertreter des politischen Konfessionalismus betonen, "daß die libanesische Gesellschaft nun einmal essentiell konfessionell strukturiert sei33 " und konfessionelle Loyalitäten somit stärker seien als alle anderen Bindungen, muß dem doch entgegengehalten werden, daß Konkordanzsysteme im allgemeinen lediglich als eine "zivilisierte Form des Waffenstillstandes34 " bezeichnet werden können, als ein Produkt des Machtgleichgewichts, das immer dann gefährdet ist, "wenn das Gleichgewicht durch demographische Verschiebungen oder externe Einflüsse in Frage gestellt wird35 ". Im besonderen gilt für das libanesische politisch-konfessionale Konkordanzsystem, daß es die konfessionalistischen Züge der Gesellschaft noch verstärkt hat: "es hat die Libanesen an ihre Konfessionsgemeinschaften und deren Eliten gebunden, hat konfessionale und in gewissem Maße auch regionalistische Patronagebeziehungen gefördert, konfessionsunabhängige politische Organisation entlang inhaltlicher, ideologischer Linien und das Entstehen nationaler Parteien behindert, extremistische und ethno-chauvinistische Elemente nicht, wie das Modell will, neutralisiert, sondern ihnen- zeitweise zumindest- die Dominanz über ihre eigenen, notfalls durch Krieg und Terror in die Loyalität gezwungenen Konfessionsgemeinschaften gesichert, und es hat politische und soziale Konflikte konfessionalisiert.36 "

In der Konfessionalisierung politischer und sozialer Konflikte und somit ihrer inhaltlichen Verfälschung liegt auch für die zweite Republik ein nicht zu unterschätzendes Spaltungspotential.

So hat es sich bereits im Nachkriegslibanon gezeigt, daß insbesondere die jeweiligen politischen und im Fall der Maroniten auch religiösen Eliten zum Zwecke der Mobilisierung anscheinend bedenkenlos an tiefsitzende Ängste ihrer Gemeinschaften apellieren und in alter Gewohnheit Konflikte konfessionalisieren. So mündeten bei den Parlamentswahlen 1992 durchaus berechtigte Einwände gegen das Wahlgesetz37, das einen Bruch des Ta`if Abkommens darstellte38 und den Wahltermin, die zudem nicht nur von seiten der Christen artikuliert wurden in einen christlich-maronitischen Boykottaufruf, der zudem noch symbolträchtig im konfessionalistischen Stil untermauert wurde; z.B. fanden die Treffen der Opposition unter der persönlichen Schirmherrschaft des Patriarchen statt, bzw. sollten zur Demonstration des Protestes am Wahltag die Kirchenglocken geläutet werden39. Allerdings zeigte sich auch die Regierungsseite entschieden kompromißlos, anstatt sich ihrer Verantwortung und der Notwendigkeit der politischen Integration aller Gemeinschaften bewußt zu zeigen.

Obwohl es in der libanesischen Bevölkerung eine Mehrheit zur Abschaffung des reinen politischen Konfessionalismus40 gibt und dies auch als nationales Ziel in Art.95 der Verfassung festgeschrieben wurde, wurde auch bei den Parlamentswahlen 1996 die politische Macht auf der Grundlage der Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgemeinschaft verteilt. Auch die umstrittenen Wahlkreiseinteilungen von 1992 wurden, nachdem sie zunächst vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt worden waren und daraufhin mit dem Zusatz versehen worden waren, es handle sich um eine einmalige Ausnahmeregelung, beibehalten41. Mit Maßnahmen zur Überwindung des Konfessionalismus in den Köpfen, wie es das Zuschneiden der Wahlkreise nach den Verwaltungsbezirken wäre, da sich Politiker um christliche und muslimische Wähler gleichermaßen bemühen und sie dann auch entsprechend vertreten müßten tut sich die politische Elite im Libanon offensichtlich schwer, zumal wenn es möglicherweise den Verlust der eigenen Macht bedeuten würde.

Es muß an dieser Stelle allerdings auch darauf hingewiesen werden, daß nicht nur massive machtpolitische Interessen- Einflußverlust der traditionellen politischen Elite, Einflußverlust der sunnitischen "Gewinner" von Ta`if, sowie gegenläufige syrische Interessen, denen "die Existenz vertikaler Scheidelinien in der libanesischen Gesellschaft (...) den Aufbau transnationaler Klientelverhältnisse42 " und somit eine weitere Möglichkeit der Einflußnahme verschafft - sondern natürlich auch tiefsitzende Ängste, vor allem auf seiten der christlichen Bevölkerung, der Abschaffung des politischen Konfessionalismus entgegenstehen. Hier wird deutlich, daß bei der Abschaffung des politischen Konfessionalismus äußerst vorsichtig vorgegangen werden muß, damit das damit verbundene Ziel, politische Streitigkeiten nicht mehr auf der Grundlage von Konfessionszugehörigkeiten auszutragen, sondern auf inhaltsbezogene Art im Rahmen der demokratischen Systems und somit die auf Aufbau und Einheit basierende politische Kultur und die Konsolidierung des inneren Friedens, auch erreicht werden kann.

Der politische Konfessionalismus mag zwar keine Konfliktursache per se sein, ist er aber einmal als Austragungsform eines Konfliktes gewählt, wird er zu demjenigen Katalysator, der wesentlich zur Eskalation und unter Umständen auch zur gewaltsamen Bearbeitung desselben führt. Somit bleibt die bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierte Abschaffung des politischen Konfessionalismus eine der entscheidenden Herausforderungen der zweiten Republik und ein Hindernis auf dem Weg zu einem Verantwortungsgefühls aller Libanesen für ihren Staat.

5.2 Das Problem der nationalen und historischen Identität

Um die Schaffung einer auf Aufbau und Einheit basierenden politischen Kultur zu realisieren, muß es zu einem Grundkonsens über Fragen der nationalen Identität und einer positiven Zielbestimmung des libanesischen Staates kommen, denn der Libanon wird sich "solange nicht zu einem auf die Solidarität seiner Bewohner gegründeten Vaterland entwickeln, wie die Frage nicht positiv geklärt ist, warum es denn einen freien, unabhängigen Libanon geben soll43

Zwar haben sich die verschiedenen Gemeinschaften im Libanon nie als eigenständige Völker oder Nationen verstanden, dennoch haben sie unterschiedliche Orientierungen gegenüber dem libanesischen Staat und dessen Zugehörigkeit vertreten. "Being "Lebanese" (...) took on a strong Maronite and a more generally Christian colouring whereas being "Arab" had definitely a Sunni and a more generally Muslim connotation."44

Trotz des schon in den 60ern in der Bevölkerung erkennbaren Konsenses darüber, ungeachtet weiterer Gruppenzugehörigkeiten, Libanesen zu sein45, fehlte ein Gefühl der Verantwortung für das ganze Land und gegenseitige Solidarität. Den Studien Hanfs zufolge hat sich dies durch den Bürgerkrieg verändert. "Der Konsens darüber, den Libanon zu erhalten, ist trotz Trennung, Vertreibung und Massakern stärker verwurzelt als zur Zeit der Unabhängigkeit. Er gründet heute weniger auf der Kosten-Nutzen-Abwägung einer schmalen Elite als auf leidvollen Erfahrungen eines ganzen Volkes46 ".

Zudem hat "die libanesische Bevölkerung oder richtiger: die an den Kämpfen nicht aktiv beteiligte Mehrheit (...) auch im Krieg Möglichkeiten zu nutzen gesucht, deutlich zu machen, daß sie Frieden, Koexistenz und nationale Einheit will47 ".

Hierin liegt die Chance für eine positive Zielbestimmung des libanesischen Staates, auf deren Grundlage auch die Realisierung des eingangs verwendeten Friedensbegriffes möglich scheint:

"als den immer noch einzigen demokratische Staat im arabischen System, als einen Staat, der im Gegensatz zu seiner Umgebung eine entwickelte zivilgesellschafliche Kultur besitzt (...), als ein Beispiel für die Möglichkeit von Pluralität. Es geht dabei, mit anderen Worten, darum, die unabhängige Existenzberechtigung des libanesischen Nationalstaats dadurch zu dokumentieren und eine gemeinsame libanesische Identität dadurch zu festigen, daß die Verfassungswirklichkeit des Landes möglichst weitgehend mit seinen liberalen, pluralistischen und demokratischen Verfassungsnormen in Einklang gebracht wird48 "

5.3 Die libanesische Demokratie unter syrischem Einfluß: Souveränität und Glaubwürdigkeit der Regierung Hariri

Der beschriebenen positiven Zielbestimmung des libanesischen Staates als Übereinstimmung von Verfassungsnormen und Verfassungswirklichkeit steht die Realität der aktuellen libanesischen Politik entgegen.

Diese ist in einem hohen Maße durch den Preis des negativen Friedens, die besonderen syrisch-libanesischen Beziehungen, die 1991 durch den "Vertrag über Bruderschaft, Zusammenarbeit und Koordination", sowie einen weiteren Vertrag über Verteidigung und Sicherheit konkretisiert wurden, determiniert.

Denn aufgrund des tatsächlichen Kräfteverhältnisses der beiden Partner, unterstrichen durch die syrische Truppenpräsenz, handelt es sich bei den Abkommen um "äußerst ungleiche Verträge, die die sicherheitspolitische Dominanz Syriens im Libanon bestätigen und ein syrisches Hineinregieren in libanesische Angelegenheiten legalisieren49 ". So wurde ein syrisch-libanesischer Hoher Rat geschaffen, dem die Staatschefs, die Ministerpräsidenten und die Parlamentspräsidenten beider Länder angehören. Der Einschränkung der libanesischen Souveränität folgten "restrictions on democracy and on the rule of law50 ". "Seither muß bei jeder Entscheidung, und sei sie noch so unwichtig, die Zustimmung der Machthaber in Syrien eingeholt werden, und die Vertreter der libanesischen Regierung sind permanent damit beschäftigt, in Damaskus anzutanzen.51 "

Die vielfältigen Einschränkung der libanesischen Souveränität und Demokratie durch Syrien zeigte sich beispielhaft an der Verlängerung der Amtszeit Elias Hrawis 1995. Die libanesische Verfassung schreibt für den Präsidenten eine Amtszeit von sechs Jahren vor; er kann frühestens sechs Jahre nach Ablauf dieser Amtsperiode wiedergewählt werden.52 Dem Parlament obliegt es, innerhalb von zwei Monaten vor Ende seiner Amtszeit einen Nachfolger zu wählen. Zum Wohle der politischen Stabilität trat Ministerpräsident Hariri gemeinsam mit Hrawi-Loyalisten frühzeitig für die Änderung des entsprechenden Verfassungsartikels ein, während sich noch Ende September eine Mehrzahl der libanesischen Abgeordneten gegen eine Verfassungsänderung aussprach53. Nachdem der syrische Präsident Assad allerdings am 11.Oktober in einem Interview mit der ägyptischen Zeitung al-ahram "fast beiläufig seine Überzeugung äußerte, daß "alle libanesischen Parteien sich über eine Verlängerung von Hrawis Mandat einig" einig sein54 " stimmten bereits am 19.10 110 Abgeordnete für die Veränderung des Art.49. Für die öffentliche Meinung im Libanon war damit ein "neuer Tiefpunkt politischer Servilität gegenüber Syrien55 " erreicht.

Da aber auch die neue politische Klasse im Libanon nicht unbedingt Hüterin der Verfassungsprinzipien ist, kann in diesem Zusammenhang oftmals schwer auseinandergehalten werden, inwieweit libanesische Politiker auch selbst wieder auf Verhaltensmuster aus dem Bürgerkrieg zurückgreifen, nämlich sich mit der Hilfe Dritter einen Machtanteil in ihrem Land sichern zu wollen, der mit demokratischen Mitteln so nicht zu verwirklichen ist.

Wie sich bereits in der Debatte um die Wahlgesetze 1992 und 1996, sowie an der vorgebrachten Kritik über die Unregelmäßigkeiten bei der letzten Parlamentswahl56 zeigte, spielen machtpolitische Erwägungen auch ohne syrischen Einfluß im Handeln libanesischer Politiker oftmals eine größere Rolle als demokratische Grundsätze.

Der politische Stil Rafiq Hariris "entspricht eher dem saudi-arabischen als einem parlamentarisch-demokratischen57 ". Zudem zeigt er "wie im Zusammenhang des Wiederaufbauprojekts Beirut deutlich wurde, eine Abneigung gegen jegliche Form der politischen Partizipation und der öffentlichen Debatte58 ".

Dieses auch in Verbindung mit Syrien sich manifestierende undemokratische Gebahren libanesischer Politiker stellt eine nicht zu unterschätzende Belastung für die Konsolidierung der Nachkriegsdemokratie dar. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politik und die Hoffnung auf eine langfristige Vertrauensbildung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und deren friedliche Koexistenz.

So setzen die meisten Autoren auch zur Realisierung eines dauerhaften inneren Konsens auf die "lebhaft sich organisierende und hochpolitisierte Zivilgesellschaft - Gewerkschaften, berufständische Vereinigungen, Unternehmerorganisationen, Kulturinitiativen, freie Wohlfahrtsorganisationen59 " - die sich vielfach aktiv für die Erhaltung pluralistischer demokratischer Strukturen einsetzt. So konnte 1994 Hariris Angriff gegen den liberalen Medienpluralismus - durch Kabinettsbeschluß sollte den privaten Fernseh- und Radiostationen die Ausstrahlung von Nachrichten und politischen Sendungen untersagt, sowie die Erhöhung der Maximalstrafen für Verstöße gegen das Pressegesetz von 200 auf 500 Millionen libanesische Pfund60 - abgewehrt werden.

6. Ausblick

Angesichts der dramatischen Verschlechterung der internationalen Rahmenbedingungen des arabisch-israelischen Friedensprozesses wird der Erhaltung der Stabilität, die der Libanon seit der Umsetzung des Ta`if Abkommens erfährt, auch in der westlichen Welt "Priorität vor den sonst hochgehaltenen Prinzipien der "Zivilgesellschaft" eingeräumt61 ".

Ohne die eindeutige Verbesserung der Situation für die libanesische Bevölkerung durch den Zustand des negativen Friedens in Frage stellen zu wollen, muß an dieser Stelle aber darauf hingewiesen werden, daß die Forderung nach der Verwirklichung von Demokratie im Libanon keine moralisierende westliche, sondern in diesem Zusammenhang die Bedingung einer inneren Aussöhnung, Voraussetzung der langfristigen friedlichen Koexistenz aller gesellschaftlichen Gruppen im Libanon darstellt. Mit dem Argument der politischen Stabilität kann möglicherweise kurzfristig der Einsatz autokratischer Maßnahmen begründet werden, für eine Konsolidierung des Friedens, deren präventiver Charakter hier eingangs hervorgehoben wurde stellen sie im Libanon, wo in besonderer Weise auf die Dominanzängste einzelner Konfessionsgruppen geachtet werden muß, ein Hindernis dar. In Anbetracht der durch den "syrischen" Teil des Ta`if Abkommens, sowie durch die Gesamtproblematik des arabisch-israelischen Konfliktes gesetzten Hypotheken für die Realisierung eines mit dem eingangs festgelegten Friedensbegriff korrelierenden Prozesses im Nachkriegslibanon ist es nicht überraschend, daß sich das Ergreifen der notwendigen Maßnahmen, die Abschaffung des politischen Konfessionalismus und die Förderung und Erweiterung demokratischer Strukturelemente weiterhin verzögert.

Doch gerade weil sich die Rahmenbedingungen für einen dauerhaften und gerechten Frieden im Nahen Osten derzeit verschlechtern, zeigt sich die Notwendigkeit dieser Maßnahmen deutlicher denn je. Ohne innere Aussöhnung und der Verankerung des innerlibanesischen Konfliktaustrags im Rahmen demokratischer Strukturen und einer demokratischen Konfliktkultur könnte die zweite Republik genauso leicht zu destabilisieren sein wie die erste.

Literaturliste:

Clauss, Bärbel/ Koblitz, Katja/ Richter, Detlef (Hrsg.): Kriegsansichten - Friedensansichten. Vom Umgang mit Konflikten in Theorie und Realität. Studien zur Friedensforschung. Band 7. Münster/ Hamburg 1993

Foda, Fadida: Die Palästinenser im Libanon: Zukunft ungewiß. In: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten (INAMO), Nr.3/95

Galtung, Johan: Gewalt, Frieden und Friedensforschung. in: Senghaas, Dieter (Hrsg.):Kritische Friedensforschung. Frankfurt a.M. 1975. S.55-104

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[...]


1 Matthies, Volker: Der Transformationsprozeß vom Krieg zum Frieden - ein vernachlässigtes Forschungsfeld. in: ders. (Hrsg.): Vom Krieg zum Frieden. Kriegsbeendigung und Friedenskonsolidierung. Bremen 1995. S.8-38, S.19

2 ebd., S.18

3 Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg. Staatszerfall und Entstehen einer Nation im Libanon. Baden-Baden 1990, S.62

4 Matthies, Volker: Immer wieder Krieg? Wie Eindämmen? Beenden? Verhüten? Schutz und Hilfe für die Menschen?. Opladen 1994, S. 75

5 vgl.: Galtung, Johan: Gewalt, Frieden und Friedensforschung. in: Senghaas, Dieter (Hrsg.):Kritische Friedensforschung. Frankfurt a.M. 1975. S.55-104, S. 86

6 Münkler, Herfried: Gewalt und Ordnung. Frankfurt a.M. 1994, S.14

7 Matthies, Volker: Der Transformationsprozeß vom Krieg zum Frieden, a.a.O., S.29

8 Senghaas, Dieter: Frieden als Zivilisierungsprojekt. in: ders. (Hrsg.): Den Frieden denken. Frankfurt a.M. 1995, S.196-223, S.222

9 Salamé, Ghassan: Small is Pluralistic: democracy as an istrument of civil peace. in: ders. (Hrsg.): Democracy without Democrats. London 1993, S.84-111, S. 86

10 Matthies, Volker: Der Transformationsprozeß vom Krieg zum Frieden, a.a.O. S.23

11 Zitat von Elias Hrawi in al-Hayat, 11.10.1993, zitiert nach Perthes, Volker: Wie definiert man eine Nation? Identitätssuche und Staatsaufbau im Libanon. in: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten (INAMO) Nr.2/95, S.9

12 vgl. Salamé, Ghassane: Lebanon`s injured identities. Who represents whom during a civil war? in: Centre for Lebanese Studies (Hrsg.): Papers on Lebanon 2. Oxford 1986, S.27

13 al-Huss, Salim: Zeit der Beschlüsse und Launen. Regierungserfahrungen in der Phase der Spaltung, 1987-1990. Beirut 1991, S.199. Zitat und Fußnote übernommen aus Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg. Von Ta`if zum gesellschaftlichen Konsens? Baden-Baden 1994. S.9

14 Salamé, Ghassane: Lebanon`s injured identities, a.a.O, S.28

15 zum Zustandekommen des Ta`if Abkommens insbesondere der Durchsetzung syrischer Interessen in demselben vgl. Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.718-725

16 vgl. Norton, Augustus Richard: Lebanon after Ta`if: is the civil war over? in: Middle East Journal Nr.45/1991, S.457-473, S.461

17 Übersetzung des Textes durch Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.727

18 ebd.

19 ebd.

20 ebd., S.99

21 Übersicht der veränderten Kompetenzen der Verfassungsorgane in: Norton, Augustus Richard: Lebanon after Ta`if, a.a.O., S.462/Table 1

22 nach Perthes kann der verwendete Begriff auch als "privilegierte Beziehungen" übersetzt werden

23 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.22

24 Norton, Augustus Richard: Lebanon after Ta`if, a.a.O., S.464

25 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.23

26 ebd.

27 Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.731

28 Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.727/ 728

29 ebd., S.732

30 ebd.

31 Norton, Augustus Richard: Lebanon after Ta`if, a.a.O., S.463

32 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.141

33 ebd., S.131

34 Hanf, Theodor: Konfliktminderung durch Kultutautonomie. Karl Renners Beitrag zur Frage der Konfliktregelung in multi-ethnischen Staaten. In: Erich Fröschl, Maria Mesner, Uri Ra´anan (Hrsg.): Staat und Nation in multi-ethnischen Gesellschaften. Wien 1991. S.61-90, S.69

35 ebd., S.70

36 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.132

37 das Stimmrecht libanesischer Wähler erstreckt sich auf alle zugelassenen Bewerber ihres Wahlkreises. Um integrative Politiker zu stärken wurde durch das Ta`if Abkommen festgelegt, daß im Gegensatz zum Wahlgesetz von 1960, die mehrere Bezirke umfassenden Verwaltungsprovinzen die zukünftigen Regelwahlkreise sein sollten. Im Wahlgesetz Nr.154 wurden diese Vorgaben aber nur selektiv umgesetzt, je nachdem ob sie sich für Regierungsmitglieder machterhaltend oder -gefährdend auswirkten

38 Hanf, Theodor: Coexistence In Wartime Lebanon. Decline of a State and Rise of a Nation. Oxford1993, S.625

39 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.71/72

40 Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.759

41 Scheffler, Thomas: Abschied vom Konfessionalismus? Die Parlamentswahlen im Libanon. in: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten INAMO, Nr.8/96, S.32/33

42 Perthes, Volker: Wie definiert man eine Nation? Identitätssuche und Staatsaufbau im Libanon. in: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten (INAMO) Nr.2/95, S.12

43 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.145

44 Salamé, Ghassane: Lebanon`s injured identities. Who represents whom during a civil war? in: Centre for Lebanese Studies (Hrsg.): Papers on Lebanon 2. Oxford 1986, S.13

45 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.144

46 Hanf, Theodor: Koexistenz im Krieg, a.a.O., S.764

47 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.144

48 Perthes, Volker: Wie definiert man eine Nation?, a.a.O., S.11

49 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.32

50 Hanf, Theodor: Coexistence In Wartime Lebanon, a.a.O., S. 622

51 Kassir, Samir: Der lange Arm Syriens im befriedeten Libanon. Spätfolgen des Bürgerkrieges behindern den Wiederaufbau. in: Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe, 10.11.1995, S.8-9, S.8

52 Art. 49 der libanesischen Verfassung

53 vgl. Rieck, Andreas: Libanon 1995. in: Deutsches Orient Institut (Hrsg.): NahostJahrbuch 1995. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten. S.108

54 ebd., S.109

55 ebd., S.109

56 vgl. Scheffler, Thomas: Abschied vom Konfessionalismus?, a.a.O., S.34

57 Perthes, Volker: Der Libanon nach dem Bürgerkrieg, a.a.O., S.147

58 ebd., S.146

59 ebd.

60 Rieck, Andreas: Libanon 1994. in: Deutsches Orient Institut (Hrsg.): Nahost- Jahrbuch 1994. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten, S.108

61 Scheffler, Thomas: Abschied vom Konfessionalismus?, a.a.O., S.34

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Probleme der Friedenskonsolidierung im Libanon nach dem Ta`if Abkommen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
Vordiplom
Note
1,2
Autor
Jahr
1996
Seiten
16
Katalognummer
V94986
ISBN (eBook)
9783638076661
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Probleme, Friedenskonsolidierung, Libanon, Ta`if, Abkommen, Vordiplom, Otto-Suhr-Institut, Berlin
Arbeit zitieren
Eva Wegner (Autor:in), 1996, Probleme der Friedenskonsolidierung im Libanon nach dem Ta`if Abkommen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94986

Kommentare

  • Gast am 27.11.2001

    hi.

    vielen dank fuer diese sehr gute und informative arbeit.

Blick ins Buch
Titel: Probleme der Friedenskonsolidierung im Libanon nach dem Ta`if Abkommen



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