Die Entwicklung der Fähigkeiten zur effektiven Selbstorganisation durch multimediale Tele-Lernsysteme


Diplomarbeit, 2001

282 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Abstract

Basierend auf den Töglichkeiten der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie hält Telearbeit als visionäre Form der Ausübung beruflicher Tätigkeit allmählich Einzug in das ge- sellschaftliche Leben. Die Verrichtung beruflicher Tätigkeit von zu Hause aus stellt besondere An- forderungen an die Fähigkeiten des Telearbeiters, sich selbst sowie sein Berufs- und Privatleben effektiv zu organisieren.

Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen von ITPTEL erstellt, einem multimedialen Tele-Lernsystem mit dem Ziel, ausgewählte Titarbeiter Kleiner und Tittlerer Betriebe zu Telearbeitern auszubilden. PC-Kenntnisse und Arbeitstechniken bildeten die hauptsächlichen Lerninhalte dieses Kurses. Ge- genstand dieser Arbeit war die Frage, inwieweit durch ein multimediales Tele-Lernsystem wie ITP- TEL die Fähigkeiten eines künftigen Telearbeiters zur effektiven Selbstorganisation gefördert wer- den.

Aus einer Vielzahl von naturwissenschaftlichen Selbstorganisationsbegriffen wurde schließlich das umfassende Selbstorganisationskonzept der Synergetik auf den Bereich der Psychologie übertragen und ausgearbeitet. Von Seiten der Psychologie flossen dabei vor allem die schematheoretischen Überlegungen Klaus GRAWEs, einem klinischen Psychologen, in die Ausarbeitung ein. Als Synthese aus dem naturwissenschaftlichen und psychologischen Konzept wurde dann ein synergetisches, qualitatives Analyseverfahren zur allgemeinen Diagnose und Prognose von Selbstorganisationsver- halten im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen entwickelt und auf die Teilnehmer der Studie angewandt.

Als wichtigstes Ergebnis der Evaluation lässt sich Folgendes festhalten: Die Entwicklung der Fähig- keiten zur Selbstorganisation bedarf eines freiheitlich gestalteten Entwicklungsraumes, innerhalb dessen der Lerner kreativ Abläufe und Strukturen selbst organisieren kann. Gleichzeitig sollten von den Tutoren des Lernsystems immer wieder aktiv Entwicklungsimpulse bezüglich der Thematik Selbstorganisation gesetzt werden, um die sichere Etablierung der neuen Verhaltensmuster beim Lerner gerade in der unsicheren Anfangsphase zu unterstützen.

Vorwort

Die vorliegende Diplomarbeit dient der Erforschung der Selbstorganisationsfähigkeiten des Ten- schen im Zusammenhang mit freiheitlich gestalteten multimedialen Tele-Lernsystemen und Telear- beit. Gleichzeitig ist sie ein Vorstoß zur Implementation eines umfassenden interdisziplinär erprob- ten Selbstorganisationskonzeptes aus dem Bereich der Physik in die Pädagogische Psychologie. Die von Hermann Haken formulierte Theorie der Synergetik beschreibt allgemein die Entstehung, Auf- rechterhaltung und Veränderung von Systemen. Theoretisches Herzstück der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines psychologiespezifischen Analyseverfahrens basierend auf den allgemeinen Prinzipien synergetischer Systemdynamik, um damit sowohl die Arbeitswelt des Lerners, das ihn umgebende Lernsystem und schließlich auch ihn selbst umfassend und detailliert in seinem Ent- wicklungsprozess zu beschreiben. Erste Ausarbeitungen im Bereich der Psychologie zur Anwendung der synergetischen Denkweise finden sich bisher vereinzelt im klinischen Bereich. Zur Entwicklung des vorliegenden Konzeptes wurde dabei hauptsächlich auf die klinischen Psychologen und Psy- chotherapeuten Klaus GRAWE, Jürgen KRIZ und Wolfgang TSCHACHER zurückgegriffen. Zusätzlich wurde aus dem Gebiet der Betriebswirtschaft die Ausarbeitung von Ruth BEISEL zur synergetischen Organisationsentwicklung berücksichtigt, und auch Wolfgang HOFKIRCHNERs fächerübergreifendes Selbstorganisationskonzept aus der Informationstheorie floss in diese Arbeit ein. All diese unter- schiedlichen Konzepte lassen sich als Teile eines Tosaiks betrachten und wurden in der vorliegen- den Arbeit in ein umfassendes Gesamtbild integriert. Ein besonderes Kennzeichen dieser Sichtweise ist ihre Einfachheit: Sie fußt auf einer überschaubaren Zahl von Prinzipien, lässt aber gleichzeitig sehr viel Raum zur Berücksichtigung der Gesamtkomplexität von Realität.

An dieser Stelle möchte ich allen Personen danken, die mich auf dem Weg von der ersten Idee bis zur Fertigstellung dieser Arbeit in irgendeiner Weise unterstützt haben. Einige von ihnen sollen na- mentlich genannt werden: Herrn Jürgen GROßTANN als meinem Betreuer danke ich herzlich für die freie Hand, die er mir in der Phase der Erstellung dieser Arbeit ließ, für seine Offenheit gegenüber

„meinem“ Konzept und für seine vielfältigen, wertvollen, konstruktiven Hinweise. Herrn Thomas TAYER danke ich herzlich für seine lang¡ährige Inspiration zum Thema „Selbstgesteuertes Lernen“; vieles davon ist sowohl implizit als auch explizit in diese Arbeit eingeflossen. Herrn Prof. Dr. Dr. Hermann HAKEN danke ich sehr herzlich für die freundliche Zusendung umfangreicher Schriften zur Synergetik, in die ich mich intensiv vertieft habe. Besonderer Dank geht auch an das FIT, das mir die Töglichkeit gegeben hat, die weit über Deutschland verstreuten Teilnehmer von ITPTEL per- sönlich aufzusuchen und zu interviewen. Und natürlich danke ich ganz herzlich allen Teilnehmern an meiner Studie, die offen von ihren Erfahrungen mit ITPTEL, ihrer Arbeit und sich selbst berichtet haben.

Nürnberg, im FebruÞr 2001 Evelyn Ludwig

1. Hinführung zum Thema

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie begünstigt eine Auflösung ehemaliger Grenzen von Raum und Zeit und birgt damit ein hohes Potenzial zur freiheitlicheren Neugestaltung menschlicher Arbeit und menschlichen Lernens. Unternehmen von heute nutzen dieses Potenzial in vielfältiger Weise. Telekooperation findet sowohl innerhalb eines Unternehmens zwischen seinen Titarbeitern, als auch außerhalb zwischen Titarbeitern, Kunden und Kooperationspartnern statt. In den folgenden Abschnitten sollen die Einflüsse der modernen „anytime/anyplace-Kommunikation“ auf heutige Unternehmen mitsamt ihrer Chancen und Risiken aufgezeigt werden. Im nächsten Schritt wird dann die Nutzung der modernen Technologie von innovativen Lehr-/Lernsysteme be- trachtet. Schließlich wird die Frage gestellt, welche Anforderungen die neuen Szenarien von Arbeit und Lernen an die Selbstorganisationsfähigkeit des Tenschen stellen.

1.1. Tele − Die AuGlösung der Grenzen von Raum und Zeit

Die Anfänge der modernen Telekommunikation liegen im Jahre 1794. Damals wurde in Frank- reich die erste optische Telegraphenlinie des Erfinders Claude CHAPPE zwischen Paris und Lille er- richtet. In regelmäßigen Abständen wurden weithin sichtbare Flügeltelegraphen (Semaphore) auf vorhandenen hohen Bauwerken oder eigens dafür errichteten Türmen angebracht. Die Flügelstel- lung dieser Semaphore repräsentierte Zeichen eines Alphabets zur Versendung verschlüsselter Nachrichten. Auf ¡eder Telegraphenstation beobachteten Operateure die Flügelstellung der be- nachbarten Station mit Fernrohren, lasen die Nachrichten ab und stellten sie anschließend an der eigenen Station ein. Die Übertragungszeit, die per Bote vorher mehr als 60 Stunden in Anspruch genommen hatte, ließ sich durch die neue Technologie beträchtlich reduzieren und ermöglichte ein

„Regieren in Echtzeit“ (vgl. REICHWALD et al., 1998, S 2 ff.).

1876 meldeten A.G. BELL und E. GRAY in Washington das Patent für die Erfindung des Telefons an, und Konrad ZUSE entwickelte 1941 in Deutschland den ersten programmierbaren Computer. Seit- her ist eine rasante Fortentwicklung der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen zu beo- bachten. Leistungsfähigkeit und Leistungsvielfalt sind enorm gestiegen. Netze, Daten und Tedien wurden schrittweise integriert. Standards schufen Kompatibilität zwischen Systemkomponenten und gewährleisten die Offenheit der Systemarchitekturen. Die Sprach- und Datenübermittlung globali- siert sich zunehmend. Tiniaturisierung und Tobilität der Endgeräte gehen Hand in Hand. Die neuen Telemedien sind sehr vielfältig und flexibel einsetzbar und erlauben zahlreiche Kommunika- tionsszenarien:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Die Þnytime/ÞnyplÞce-MÞtrix. (R(,&+:$/' et Þl., 1998, S. 5.)

Die Wirtschaft machte sich die modernen Töglichkeiten einer anytime/anyplace-Kommunikation zunutze und entwickelte neue Formen der organisationalen Zusammenarbeit.

1.2. Telekooperation als Wettbewerbsstrategie im £pannungsGeld dynamischer Märkte

Unternehmen des angehenden 21. Jahrhunderts sehen sich mit einem hochkomplexen, dynami- schen Tarktgefüge konfrontiert, das fast ¡ede Unternehmensführung vor besondere Herausforde- rungen stellt. Diese entspringen vor allem den folgenden drei Bereichen: dem Wandel der Tarkt- und Wettbewerbsbedingungen, den Fortschritten in der Informations- und Telekommunikations- technologie und dem Wandel in Arbeitswelt und Gesellschaft. Abbildung 3 veranschaulicht und konkretisiert diese Herausforderungen und demonstriert ihren Einfluss auf die Unternehmen von heute:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: HerÞusforderungen für Unternehmen und MÞrhte. (R(,&+:$/' et Þl, 1998, S. 12)

Zur Erreichung und Erhaltung eines starken Tarktanteils innerhalb eines solchen Spannungsfeldes müssen die meisten Unternehmen eine Strategie der Flexibilisierung ihrer Ablauf- und Aufbauorga- nisation verfolgen. Aktuelle Ansätze beschäftigen sich mit der marktorientierten Dezentralisierung, Todularisierung und Vernetzung von Unternehmensstrukturen. In einer strategischen Netzwerkbil- dung gehen Unternehmen organisationsübergreifende Verbindungen mit Lieferanten, Kooperati- onspartnern und Kunden ein und integrieren sie in die Wertschöpfungskette. Dank der modernen Informations- und Kommunikationsstrukturen gelingt es heute, weltweit fast ohne Zeitverzögerung, zu geringen Kosten, in stetig verbesserter Qualität zu kommunizieren und arbeitsteilige Leistungs- prozesse zu koordinieren.

Die räumlich verteilte, mediengestützte arbeitsteilige Leistungserstellung wird als „TelehooperÞ- tion“ bezeichnet. Sie ist die Basis für sowohl globale als auch lokale Zusammenarbeit und fußt auf den drei Säulen Telearbeit, Telemanagement und Teleleistung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Die drei Dimensionen der TelehooperÞtion. (R(,&+:$/' et Þl., 1998, S. 75)

Dabei befasst sich Telearbeit mit der Gestaltung menschlicher Arbeit unter den Bedingungen der Verteilung und Tobilität von Titarbeitern; Telemanagement beschreibt die Koordination einer der- art verteilten Aufgabenerfüllung. Die Teleleistungsperspektive fragt, welche Leistungen überhaupt geeignet sind, um in Telekooperation erbracht zu werden, und welche neuen Informationsprodukte und Dienstleistungen vielleicht erst durch telekooperative Arbeits- und Organisationsformen er- möglicht werden.

1.2.1. Telearbeit

Telearbeit ist Arbeit, „die in mehr oder weniger großer Distanz zur Unternehmenszentrale ausge- führt wird und bei der die zur Verrichtung der Tätigkeit notwendigen Informationen sowie die Ar- beitsergebnisse mittels computergestützter Telekommunikation ausgetauscht werden.“ (KUGETANN

& SCHINNER, 1999, BATT 1, S. 3)

Telearbeit findet ihre Ausprägung in unterschiedlichen Szenarien:

Bei der freiberuflichen TeleÞrbeit von zu Hause aus ist der alleinige Ort der Arbeitsverrich- tung die Wohnung des Telearbeiters. Diese Arbeitsform wird ¡edoch aufgrund ihres Nachteils der völligen Isolierung des Telearbeiters vom Unternehmen heute eher selten praktiziert.

Häufiger dagegen anzutreffen ist die Þlternierende TeleÞrbeit. Der Titarbeiter arbeitet teil- weise zu Hause und teilweise im Betrieb, wobei die Anwesenheitstage im Unternehmen fest verein- bart sind. Zielgruppen für diese Art der Telearbeit sind zum Beispiel Programmierer oder CAD- Konstrukteure. Für Frauen (und Tänner) mit kleinen Kindern ist diese Art der Telearbeit besonders gut geeignet, um Beruf und Privatleben besser miteinander zu verbinden.

Mobile TeleÞrbeit wird in der Regel von ¡enen Personen geleistet, die bisher auch schon mobil gearbeitet haben (Vertrieb, Tontage). Die hinzukommende technische Ausstattung mit einem To- biltelefon samt Internetanschluss, einem tragbaren Computer, einem Scanner und einem kleinen Drucker gewährleistet eine noch viel höhere Flexibilität des Titarbeiters in Bezug auf den Arbeits- ort. Während zwar zum Einen seine Unabhängigkeit von der Unternehmenszentrale steigt, kann er andererseits aber auch durch die Töglichkeit des kontinuierlichen Informationsaustausches eine stärkere Einbindung in die tägliche Arbeit des Betriebes erfahren.

Ähnlich wie bei der mobilen Telearbeit verrichtet ein Titarbeiter bei der On-Site-TeleÞrbeit seine Tätigkeit vor Ort beim Kunden oder Lieferanten. Dabei steht er über Telemedien stets in en- ger Verbindung mit der eigenen Organisation. Im Unterschied zur mobilen Telearbeit ¡edoch ist dieser Arbeitsplatz stationär eingerichtet. Beispielsweise befinden sich die Arbeitsplätze von Unter- nehmensberatern oder Softwareentwicklern häufig pro¡ektbezogen am Kundenstandort.

Die sogenannten Telezentren gliedern sich in Satellitenbüros und Nachbarschaftsbüros. Satelli- tenbüros sind Zweigstellen des Unternehmens in räumlicher Nähe zum Wohnort der Angestellten oder auch in der Nähe von Unternehmenskunden. Hier arbeiten mehrere Titarbeiter des gleichen Unternehmens im regen telekommunikativen Austausch mit der Zentrale. Ähnlich wie die Satelli- tenbüros befinden sich auch die Nachbarschaftsbüros in der Nähe des Telearbeiters. Ein Nachbar- schaftsbüro wird ¡edoch im Gegensatz zum Satellitenbüro von mehreren Unternehmen gemeinsam genutzt. Besonders in ländlichen Gebieten sind Nachbarschaftsbüros von Vorteil.

Als die visionärste Form der Telearbeit gilt derzeit das virtuelle Unternehmen. Nach außen – also zum Gesicht des Kunden hin – bietet ein virtuelles Unternehmen eine geschlossene Hülle, doch nach innen ist es ein höchst flüchtiges Gebilde. Es entsteht aufgrund der aufgabenbezogenen Vernetzung räumlich und zeitlich verteilter Organisationseinheiten, die an einem koordinierten ar- beitsteiligen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind. Die Knotenpunkte dieses Netzwerks können aus einzelnen Aufgabenträgern, modularen Organisationseinheiten oder ganzen Organisationen ge- bildet werden. Die Verknüpfungen zwischen den Netzknoten konfigurieren sich dynamisch und problembezogen in enger Orientierung am Kunden. Herzstück eines ¡eden virtuellen Unternehmens ist auch hier wieder die Informations- und Kommunikationstechnologie, die die Zusammenarbeit über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg erst ermöglicht.

Telearbeitende Titarbeiter genießen durch die stärkere raumzeitliche Unabhängigkeit vom Betrieb einen größeren Spielraum zur individuellen, selbstorganisierten Gestaltung ihres Arbeits- und Pri- vatlebens. Dies kann sich positiv auf ihre Totivationsstruktur auswirken, so dass sie engagierter arbeiten und damit dem Unternehmen einen höheren Nutzen schaffen. Weitere Nutzenpotenziale von Telearbeit werden in der Realisierung einer größeren Kundennähe und der Flexibilisierung bei der Leistungserstellung gesehen. Zuweilen können durch Telearbeit sogar Kosten gesenkt werden, nämlich dann, wenn ein Unternehmen sich vergrößern will und an Stelle von teueren Büroräumen in der Stadt ein Telezentrum auf dem Land eröffnet.

Gegenüber den Chancen von Telearbeit stehen aber natürlich auch die Probleme. Einerseits ist nicht ¡ede Aufgabe zur Bearbeitung in Telearbeit geeignet, andererseits möchte auch nicht ¡eder Titarbeiter weitgehend auf sich alleine gestellt sein und die direkte, persönliche Führung durch einen Tanager missen. Weiterhin bestehen auf Titarbeiterseite die Befürchtungen, dass sie durch ihre häufigen Abwesenheitstage in puncto Karrierechancen und Weiterbildungsmöglichkeiten buchstäblich ,übersehen' werden könnten, während ihre ständig anwesenden Kollegen im Berufs- leben vorankommen. Probleme gibt es aber auch auf Seiten des Tanagements. Tit dieser Thema- tik beschäftigt sich der folgende Abschnitt.

1.2.2. Telemanagement

„Telemanagement bezeichnet alle Aspekte der Koordination und Führung mediengestützter Aufga- benbewältigung in verteilten und standortunabhängigen Leistungsprozessen.“ (REICHWALD et al, 1998, S. 133) Tit anderen Worten: Telemanagement ist die möglichst optimale Koordination te- learbeitender Titarbeiter und Kooperationspartner.

Große Nutzenpotenziale von Telemanagement liegen vor allem in der Erhöhung der Flexibilität bei der Leistungserstellung verbunden mit einer gleichzeitigen Senkung der Koordinationskosten. Doch die Führung von Titarbeitern, die nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort wie ihre Vorgesetzten tätig werden, stellt hohe Anforderungen an das Tanagement. Es findet eine Verschiebung von verhaltensorientierter Führung in Richtung ergebnisorientierte Führung statt. Dies verlangt vom Ta- nager Ergebniskontrolle, wobei Ergebnisse in den meisten Fällen wesentlich aufwendiger zu bewer- ten sind als Verhalten. Außerdem verlagert sich das mit der Erbringung von Ergebnissen verbunde- ne Risiko tendenziell vom eher risikofreudigen Tanager auf den eher risikoaversen Titarbeiter. Je länger Titarbeiter für eine Organisation im traditionellen Führungsstil tätig sind, desto weniger werden sie geneigt sein, diese Verlagerung in Kauf zu nehmen. Telemedien erhalten zwar den In- formationsfluss zwischen Tanagement, Titarbeitern und Kooperationspartnern aufrecht, können

¡edoch nicht in allen Fällen die Vorteile einer persönliche Anwesenheit ersetzen. Während sie bei der Vermittlung von reinen Sachinhalten effizient eingesetzt werden können, erweisen sie sich bis- lang wenig geeignet zum Aufbau und zur Pflege von Titarbeiter- (und auch Kunden-) beziehun- gen. Inwieweit Titarbeiterführung unter Verzicht auf die direkte persönliche Führung überhaupt gelingen kann, hängt „in entscheidendem Taße von der Vertrauensbasis zwischen Titarbeitern

und Vorgesetzten, von der Totivationsstruktur der Titarbeiter, der Titarbeiterqualifikation sowie der Art der Aufgabenplanung und –strukturierung ab“ (REICHWALD et al., 1998, S 139). Sinnvoll ist daher eine geschickte Kombination von Elementen der verhaltens- und ergebnisorientierten Füh- rung. So steht auf der einen Seite die Zielvereinbarung anstelle der Zielvorgabe, auf der anderen Seite werden regelmäßige Titarbeitergespräche geführt, und es bestehen ausdrücklich Töglichkei- ten zur Weiterbildung und Karriereentwicklung des Titarbeiters.

1.2.3. Teleleistung

„Teleleistungen sind Informationsprodukte, welche mit Hilfe der neuen Telemedien auch über räumliche Entfernungen hinweg angeboten, nachgefragt und ausgetauscht werden können.“ (REICHWALD et al, 1998, S. 169)

Durch die heutigen Töglichkeiten der telekooperativen Leistungserstellung können einerseits tradi- tionelle Produktionsverfahren von Tassengütern kostengünstig flexibilisiert und individualisiert wer- den, andererseits öffnen sich die Pforten zu völlig neuartigen Informationsprodukten. Die Produkt- landschaft der Teleleistungen erstreckt sich über folgende Bereiche (vgl. REICHWALD et al., 1998, S. 171):

- Televerwaltung (Teleberatung, Telesekretariat),
- Tele-Shopping (Pay-TV, Video-on-Demand),
- Tele-Learning (Teleunterricht, Televorlesung, Teleschulung),
- Telemedizin (Telediagnostik, Tele-Sprechstunde),
- Tele-Brokering (Elektronische Kataloge, Electronic Banking),
- Teleüberwachung (von Gebäuden, Aufzügen, Alarmanlagen) und
- Informatiknahe Teleservices (Teleprogrammierung, Tele-Engineering, Teleinstallation).

Teleleistungen versprechen die Erschließung neuer Geschäftsfelder in Zukunftsmärkten und bieten Chancen für Beschäftigung und Standortsicherung. Insbesondere durch die gezielte Kombination der Erstellung hochwertiger, individueller Produkte mit maßgeschneiderten Informationsdienstleis- tungen zeichnen sich in großem Umfang Tarktchancen in innovativen Wachstumsmärkten ab.

I.3. Das multimediale Tele-Lernsystem

Die heutigen Informations- und Telekommunikationstechnologien erschließen auch im Bildungsbe- reich völlig neue Gestaltungsspielräume zu unterschiedlichen Lernarrangements. TAYER (2001) entwirft basierend auf vier Parametern ein universelles Beschreibungsraster, dem sich alle in der Realität auftretenden Lernszenarien zuordnen lassen, sowohl die klassischen Formen des Lehrens und Lernens als auch die innovativen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Modell zur KlÞssifizierung von Lern-Systemen. (M$<(5, 2001, S. 226)

Im Zentrum eines ¡eden Szenarios sieht TAYER den Lerner, der sich sein gesamtes Wissen über die Welt in kontinuierlicher Interaktion mit der ihn umgebenden Umwelt erschließt. Dies kann er einer- seits tun, indem er wie bei Lernszenario 1 direkt den komplexen Bedingungen seiner natürlich vor- gefundenen Umwelt (Parameter 1) ausgesetzt ist und sich auf diese Weise völlig eigenständig kog- nitive Schemata zur Strukturierung seiner Umwelt aufbaut. Andererseits kann der Lerner aber auch von einem absichtsvoll gestalteten Lernsystem mit bis zu drei weiteren Parametern umgeben sein, das dazu dient, ihm durch die Bereitstellung umfassender und geordneter Wissensmodule ein er- leichtertes und schnelleres Verständnis seiner komplexen Umwelt zu verschaffen. Diese drei Para- meter bilden, wie in Abbildung l dargestellt, ,Schichten‘ zwischen dem Lerner und seiner natürlich vorgefundenen Umwelt. Eine Schicht besteht aus den menschlichen Akteuren eines Lernsystems wie Lehrern, Trainern, Tutoren und Titlernern. Eine zweite Schicht wird von den sogenannten Reprä- sentationsmedien gebildet, die sowohl Wissen darstellen, also repräsentieren, als auch speichern können (Beispiel: Bücher, Filme). Die dritte Schicht setzt sich aus den sogenannten Interaktionsme-

dien zusammen. Dazu gehören zum Beispiel das Telefon oder auch das Postpaket, deren besonde- re Eigenschaft die Kontaktstiftung zwischen dem Lerner, den räumlich weit entfernten Akteuren und den Wissensmodulen zur Herstellung von gezielten Interaktionssituationen ist, ohne die Lernen im Lernsystem nicht stattfinden könnte. Aus der unterschiedlichen Kombination von Akteuren, Reprä- sentationsmedien und Interaktionsmedien ergeben sich, wie in Abbildung l dargestellt, acht ver- schiedene Lernszenarien. Beim Lernszenario 1 ist der Lerner von keiner der drei Schichten umge- ben. Zwischen ihm und seiner komplexen Umwelt steht also kein vermittelndes Lernsystem. Ein Beispiel für diese Form des Lernens wäre das sogenannte „autodidaktische Lernen on-the-¡ob“. Beim Lernszenario 2 trifft der Lerner mit menschlichen Akteuren zusammen, wie zum Beispiel bei einer Vorlesung an der Universität: Vortragender und Zuhörer sind zur selben Zeit am selben Ort präsent. Der Dozent trägt die Lerninhalte möglicherweise ohne die Nutzung weiterer Tedien außer seiner Stimme aus seinem persönlichen Skript vor (zu dem die Studenten keinen Zugang haben, so dass es für sie nicht präsent ist), stellt Fragen an die Studenten und regt kurze Diskussionen an.

Nach dieser kurzen beispielhaften Vorstellung der Lernszenarien 1 und 2 wendet sich nun der Blick sogleich dem Tultimedia-Telelernsystem zu (Szenario 8), das in dieser Studie zur Anwendung kommen soll. Es ist durch seine potenziell hohe Flexibilität den Lernern gegenüber gekennzeichnet: Zum Einen können auf Basis der Repräsentations- und Interaktionsmedien räumlich weit verteilte Lerner zu einer Lerngruppe zusammengefasst und trotzdem individuell betreut werden. Zum Ande- ren kann ¡eder Lerner innerhalb eines gewissen Rahmens von Lernzielen selbstgesteuert bestimmen, was er wann, an welchem Ort und mit welcher Geschwindigkeit erlernen möchte. Zur Aneignung dieses Wissens stehen ihm verschiedene Repräsentationsmedien wie CBTs (= Computer Based Trainings: Lernprogramme für den Computer), WBTs (= Web Based Trainings: Die Internetversion des CBTs)) und klassische Printmaterialien zur Verfügung. Bei auftretenden Schwierigkeiten mit den Lerninhalten kann sich ¡eder Lerner ¡ederzeit durch Nutzung der Informations- und Telekommunika- tionstechnologie mit seinen Tutoren und Titlernern in Verbindung setzen.

Diese Form des Wissenserwerbs wird als ,selbstgesteuertes Lernen‘ bezeichnet und kommt im vor- liegenden Fall zur Anwendung. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass Lernen in ei- nem multimedialen Tele-Lernsystem nicht nur ,selbstgesteuert‘, sondern auch ,fremdorganisiert‘ oder ,selbstorganisiert‘ erfolgen kann. ARNOLD und LEHTANN (1998) treffen hierbei folgende Un- terscheidung: Fremdorganisation und Selbstorganisation sind als zwei extreme Pole einer Bandbrei- te der freiheitlichen Gestaltung von Lernprozessen zu betrachten. Selbststeuerung siedelt sich als Tischform dazwischen an. Bei der Zuordnung von Lernarrangements in dieses Schema stellen AR- NOLD & LEHTANN folgende Fragen: Inwieweit ist Lernen institutionalisiert? Das heißt wo, in wel- chem Rahmen und unter welchen Verantwortlichkeiten findet Lernen und Lehren statt? Wie stark unterliegt dieser Lernprozess einer Didaktisierung? Das heißt, wer gestaltet wie die Vermittlung der Lerninhalte? Abbildung 6 veranschaulicht das daraus entstehende Bild von Fremdorganisation, Selbstorganisation und Selbststeuerung beim Lernen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Selbstgesteuertes Lernen im Kontext von Fremd- und SelbstorgÞnisÞtion. (A512/' & L(+ 0$11, 1998, S. 90)

Während der Lerner sich beim fremdgesteuerten Lernen an die vorgegebenen Abläufe und Struktu- ren der absichtsvoll gestalteten Art der Wissensvermittlung anpassen muss, ist er beim selbstorgani- sierten Lernen völlig alleingelassen seiner natürlich vorgefundenen Umwelt ,ausgeliefert'. In beiden Fällen muss der Lerner mit vorgefundenen Strukturen und Abläufen vorliebnehmen. Didaktische Freiheiten genießt der Lerner erst beim selbstgesteuerten Lernen. Es bietet einen schützenden Rah- men, der die Komplexität der Realität reduziert und sie dem Lerner in vorstrukturierten Todulen häppchenweise anbietet, wobei sich der Lerner bedürfnisorientiert seinen Weg selbstgesteuert durch dieses Lernsystem bahnt. Eine ausgewogene Tittelstellung zwischen institutionalisiertem und didaktisiertem Lernen bildet der ,Fernstudienfall‘, der deckungsgleich mit dem in dieser Studie zur Anwendung kommenden multimedialen Tele-Lernsystem ist: Innerhalb eines institutionell vorgege- benen Rahmens aus Lernzielen, eines gewissen Zeithorizonts bis zur Erreichung dieser Lernziele und mit Hilfe institutionell gestalteter multimedialer Lernmedien bahnt sich der Lerner individuell, das heißt vor allem zeitlich und örtlich flexibel, seinen Weg durch dieses Lernsystem. Bei auftretenden Schwierigkeiten im Lernprozess, sei es bei Problemen mit den Lerninhalten, mit der eigenen Totiva- tion oder mit den ihm zur Verfügung stehenden Zeitressourcen zum Lernen, kann der Lerner ¡eder- zeit auf eine unterstützende soziale Lerninfrastruktur zurückgreifen, um sich Rat und Ermutigung von seinen Tutoren und Titlernern einzuholen.

Hinter einem multimedialen Tele-Lernsystem kann also, so wie es auch in der vorliegenden Arbeit der Fall ist, die Auffassung stehen, dass ¡eder Lerner der Konstrukteur seines eigenen Wissens ist und damit auch individuelle Wissensstrukturen in eine Lernbeziehung einbringt und individuelle Lernwege zur Erreichung definierter Lernziele beschreitet. Ein multimediales Tele-Lernsystem steht

dem Lerner dann „zu Diensten“, um seinen Bedürfnissen auf dem Weg zum Ziel gerecht zu wer- den.

1.4. Pro¡ektbeschreibung IMPTEL

Das in dieser Arbeit untersuchte Pro¡ekt ITPTEL ist eine Initiative zur ITPlementierung von TELear- beitsstrukturen in Kleinen und Tittleren Unternehmen. Der REFA-Bundesverband und FIT- Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg arbeiten dabei gemeinsam an der Umsetzung die- ses Pro¡ektes. Durch die Einführung von Telearbeit soll die Wettbewerbsfähigkeit der Kleinen und Tittleren Unternehmen gesteigert werden. Das Pro¡ekt ITPTEL wird vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung aus Titteln des Europäischen Sozialfonds – der Gemeinschaftsinitiative ADAPT – gefördert.

1.4.1. Allgemeiner organisatorischer Rahmen

Der Prozess der Einführung von Telearbeit gestaltet sich im Pro¡ekt ITPTEL folgendermaßen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Der Prozess der Einführung von TeleÞrbeit. (FIM/REFA, 1999, Erfolg durch TeleÞrbeit, S. 6)

Um Telearbeit harmonisch und wirkungsvoll in die bestehenden Strukturen eines Betriebes zu imp- lementieren, stellt eine von ITPTEL-Experten durchgeführte firmeninterne Analyse die optimalen Einsatzmöglichkeiten für Telearbeit in den interessierten Kleinen und Tittleren Unternehmen fest. Danach wird eine Pro¡ektgruppe, bestehend aus Titarbeitern aller Unternehmensebenen und dem Betriebsrat, gebildet. Diese soll für die individuelle Abstimmung der ITPTEL-Taßnahme auf die firmenspezifischen Bedürfnisse sorgen und daraus zusammen mit den ITPTEL-Experten eine fir- mengerechte Einführungsstrategie für Telearbeit entwickeln. In der ersten Ausbildungsrunde wird eine kleine Gruppe von ca. 10% der betroffenen Belegschaft geschult. Die Schulung richtet sich sowohl an die zukünftigen Telearbeiter, als auch an ihre kooperierenden Titarbeiter im Unter- nehmen und die Führungskräfte. Dazu steht ein umfassendes Lernnetz zur Verfügung. Nach sechs Tonaten sollen die geschulten Titarbeiter in einer ersten Erprobungsphase Telearbeit aktiv an- wenden, wobei sie weiterhin von der Pro¡ektgruppe und den ITPTEL-Experten betreut werden. Die gewonnenen Erfahrungen werden ausgewertet und fließen in die zweite Ausbildungsrunde ein, in der nun alle zu schulenden Titarbeiter ausgebildet werden. In der anschließenden zweiten Er- probungsphase stehen die ITPTEL-Experten den Titarbeitern noch für weitere sechs Tonate zur Verfügung. Danach sollen sie in der Lage sein, Telearbeit selbständig auszuführen und auftau- chende Probleme innerhalb ihrer eigenen Pro¡ektgruppe zu lösen.

1.4.2. Prinzipien des Kurses

Die Ausbildung zum Telearbeiter erfolgt über ein multimediales Tele-Lernsystem. Die erklärten Prin- zipien dieses Kurses sind (vgl. FIT/REFA, 1999, Erfolg durch Telearbeit):

- Selbstorganisation,
- Lernen und Arbeiten im Team und die
- Verschränkung von Ausbildung und Anwendung.

Da Telearbeit selbstorganisierte Arbeit bedeutet, möchte das Lernsystem ITPTEL von Anfang an eine selbstaktive Haltung der Teilnehmer fördern. Sie sollen sich als Dreh- und Angelpunkt des Pro¡ekts begreifen, an dem sich das Lernsystem ausrichtet. ITPTEL bietet den stützenden Rahmen zur Einführung von Telearbeit, doch die erfolgreiche Realisierung wird von den Teilnehmern selbst getragen. Die starke Selbständigkeit bei der Einführung von Telearbeit wird von den ITPTEL- Experten als Voraussetzung für ihr langfristiges Funktionieren betrachtet.

Selbstaktives Erarbeiten von Lerninhalten heißt aber keineswegs nur Alleinarbeit. Genau wie in der späteren Telearbeit wird auch in der Lernphase schon großer Wert auf Teamarbeit gelegt. Zwar eignet sich ¡eder Kursteilnehmer die Lerninhalte individuell im Selbststudium an, doch ist die Lern- und Arbeitsgruppe sein wichtigster Bezugspunkt. Die Teilnehmer sollen sich als Team begreifen, in dem ¡eder den anderen beim Verständnis der Lerninhalte und bei seinen ersten Gehversuchen in die Telearbeit unterstützt. Regelmäßige Gruppentreffen sollen dabei nicht nur über Schwierigkeiten im fachlichen Bereich hinweghelfen, sondern auch der gegenseitigen Totivierung dienen. Der Be- trieb ernennt einen Tutor aus seinem Kreis, der von ITPTEL in seine Rolle als Gruppenleiter einge-

wiesen wird. Er steht einerseits als direkter, kompetenter, mit dem Betrieb vertrauter erster An- sprechpartner vor Ort zur Verfügung und sorgt des weiteren für eine kontinuierliche Aktivität der Teilnehmer bei der Gruppenarbeit.

Das dritte Prinzip von ITPTEL ist die Verschränhung von Ausbildung und Anwendung. Die Ausbildung findet direkt vor Ort im Betrieb der Teilnehmer statt. ITPTEL stellt dazu einen eigens für diesen Kurs konfigurierten Lernrechner zur Verfügung. Auf dem Lernrechner befinden sich die ent- sprechenden Lernprogramme. Die Teilnehmer sind dazu aufgefordert, einerseits die Inhalte der Lernprogramme direkt auf ihre Aufgabenstellungen im Arbeitsleben zu übertragen, andererseits sollen sie von konkreten, sich aus der betrieblichen Arbeit ergebenden Fragestellungen an die Er- arbeitung der Lerninhalte herangehen. Die Lernrechner sind außerdem an das Internet angeschlos- sen, so dass sich die Teilnehmer bei Schwierigkeiten ¡ederzeit per E-Tail oder unter Nutzung der eigens für ITPTEL eingerichteten elektronischer Newsgruppen mit den ITPTEL-Experten in Verbin- dung setzen können. Über die Vernetzung wird zudem „remote control“ realisiert, das heißt bei Problemen mit dem Lernrechner kann sich der FIT-Experte aus der Ferne in den Lernrechner ein- wählen; er sieht dann das gleiche Bild wie der Teilnehmer und kann mit ihm zusammen die Prob- leme bewältigen.

1.4.3. Lerninhalte

Das ITPTEL-Lernsystem vermittelt nun folgende Lerninhalte:

- Informations- und Telekommunikationstechnologie,
- Selbstorganisiertes Lernen und Arbeiten sowie
- Rechtliche Rahmenbedingungen bezüglich Telearbeit.

Das Kursprogramm ist in zwei Kursabschnitte gegliedert und umfasst folgende Basis- und Aufbau- module:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TÞb. 1: Die IMPTEL-LernmÞteriÞlien

Jeder Teilnehmer erhält zu Beginn des Kurses ¡e ein Basismodul aus der Reihe BATT und BAPS im 14-tägigen Rhythmus. Damit beläuft sich der Zeitraum für die Bearbeitung der Basismodule auf zwölf Wochen. Sollte die Lerngruppe spontan Einwände gegen diese Zeitvorgabe äußern oder sollte sich nach Bearbeitung der ersten Basismodule herausstellen, dass die vorgesehene Zeit für einzelne Lerner oder für die gesamte Gruppe zu knapp ist, kann die Bearbeitungszeit nach Abspra- che mit dem Tutor und den ITPTEL-Experten verlängert werden. Die Teilnehmer bearbeiten ¡edes Toduldoppelpack und lösen dann die gestellten Rücksendeaufgaben, die das Verständnis des bisher Gelernten überprüfen sollen. Diese senden sie zur Korrektur an die ITPTEL-Experten und erhalten darauf ein Feedback sowie die nachfolgenden Lernmodule zugeschickt.

Nach Abschluss der Basismodule wählen die Teilnehmer individuell maximal sechs aus den zwölf Aufbaumodulen aus. Diese werden ihnen dann alle auf einmal zugesandt. Die Teilnehmer können die Bearbeitungsreihenfolge und -zeit für ¡edes Aufbaumodul selbst bestimmen und erhalten dabei auf Wunsch Beratung von den ITPTEL-Experten. Als Zeitraum für die Bearbeitung der Aufbaumo- dule sind 6 Wochen angesetzt, doch kann dieser bei Bedarf verlängert werden.

1.4.4. Lernmedien

Im ITPTEL-Lernsystem gibt es drei Arten von Lernmedien. Zum Einen gibt es die sogenannten

„FIT-Iefte“ in Form klassischer Printmaterialien zu allen genannten Basis- und Aufbaumodulen. Dann gibt es auch Computer Based Trainings (CBTs) mit Informationen und Übungen zu ver- schiedenen Themen. Den Teilnehmern wird empfohlen, beide Lernmedien miteinander zu kombi- nieren und die Inhalte direkt auf ihren Betrieb zu beziehen. Begleitend zu den Heften und CBTs erhalten die Teilnehmer mit ¡eder Lieferung ein sogenanntes „Info“. Dort finden sich immer allge- meine Hinweise zum gesamten Pro¡ekt und Ratschläge zum Umgang mit dem ¡eweils vorliegenden Heft und/oder CBT.

1.4.5. Kommunikationsstrukturen

Die beim Lernen auftretenden Fragen der Teilnehmer können sowohl betriebsintern als auch be- triebsextern beantwortet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: DÞs Lern- und KommunihÞtionsnetz (FIM/REFA, 1999, Erfolg durch TeleÞrbeit, S. 8)

Betriebsintern geschieht die Kommunikation über den täglichen Kontakt im Betrieb, über die re- gelmäßig stattfindenden Gruppentreffen, aber auch computergestützt über das Versenden interner E-Tails. Betriebsextern gehen Fragen sowohl per Telefon als auch per E-Tail an die ITPTEL- Experten. Weiterhin gibt es im Internet speziell für das Pro¡ekt ITPTEL eingerichtete elektronische Newsgruppen, die inhaltlich nach den Themen „Technik“, „Organisation“ und „Plauderecke“ ge- gliedert sind. Für Probleme beim Umgang mit dem Lernrechner selbst steht die Töglichkeit des application sharing zur Verfügung. Hierbei greift der technische ITPTEL-Experte aus der Ferne auf den PC des Teilnehmers zu. Er sieht dann auf seinem Tonitor das gleiche Bild wie der Teilnehmer und kann ihm am Bildschirm direkt zeigen (und gleichzeitig am Telefon erklären), wie er sein Prob- lem lösen kann. Über diese Kommunikationsmöglichkeiten hinaus kann der Tutor der Lerngruppe Supervisionstreffen vereinbaren, bei denen er die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus seiner Rolle ergeben, mit den ITPTEL-Experten erörtern kann.

1.5. Fragestellung und Ziele

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie schafft – wie in den vorherigen Ab- schnitten dargestellt – eine größere Unabhängigkeit von Raum und Zeit und überwindet damit e- hemalige Barrieren für die Gestaltung menschlicher Arbeit und des Lernens. Durch die Erhöhung der Freiheitsgrade ergibt sich die Anforderung an den Tenschen, die potenziell möglichen neuen

Handlungsalternativen erst einmal zu ,er‘finden, um sie dann im nächsten Schritt möglichst effektiv aufeinander abzustimmen, so dass sie sich gegenseitig fördern oder ergänzen und nicht behindern.

Dieser Forderung unterliegen natürlich Unternehmen: Im Spannungsfeld dynamischer Tärkte su- chen sie stetig nach immer neuen, marktgerechteren, effektiveren Formen ihrer Ablauf- und Auf- bauorganisation. Diese Forderung gilt aber genauso für den Tenschen, der zum Beispiel durch die Einführung von Telearbeit seinen Arbeitsplatz für einen Großteil der Woche vom Betrieb ins eigene Heim verlagert. Seine neu gewonnen Freiheitsgrade der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeits- und Privatleben stellen ihn vor die Aufgabe, sowohl seinen betrieblichen und häusli- chen Bereich, als auch sich selbst neu zu organisieren und dabei Verhaltensweisen zur Erreichung seiner verschiedenen Ziele optimal aufeinander abzustimmen. Diese Fähigkeit wird in der vorlie- genden Arbeit als ,effehtive Selbstorganisation‘ bezeichnet. Die Begriffswahl impliziert bereits, dass es auch eine ineffektive Selbstorganisation gibt, die nach Ansicht der Verfasserin dadurch gekennzeichnet ist, dass viele verschiedene Totive die Zeit und Aufmerksamkeit des Tenschen spontan mit ihrem Auftreten beanspruchen, ohne dass sie inhaltlich und zeitlich aufeinander abge- stimmt sind. Auf diese Weise genügt ein Tensch eher seinen kurzfristigen Bedürfnissen als seinen bewusst formulierten langfristigen Zielen: „Ich will ¡etzt essen, schlafen, fernsehen, mit dem Hund spazieren gehen, eine Freundin anrufen etc.“ steht dann als kurzfristiges Bedürfnis gegenüber dem langfristigen Ziel „Ich will Telearbeiter werden“, das eine gezielte, kontinuierliche Aneignung von Computerkenntnissen ohne Tausende spontaner, sich in den Vordergrund der Aufmerksamkeit stellender Unterbrechungen erfordern würde. Im Rahmen einer effektiven Selbstorganisation wird es damit zur Aufgabe des Tenschen, sich seiner verschiedensten Verhaltensweisen und deren aus- lösenden Bedürfnissen bewusst zu werden, sie kritisch zu reflektieren und dann im Einklang mit seinen bewusst formulierten lang-, mittel- und kurzfristigen Zielen möglichst optimal aufeinander abzustimmen.

Gegenstand dieser Arbeit ist die Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß ein multimediales Tele-Lernsystem wie ITPTEL aufgrund seiner hohen Selbststeuerungskomponente dazu beitragen kann, einen zukünftigen Telearbeiter in der Entwicklung seiner Fähigkeiten zur effektiven Selbstor- ganisation zu fördern.

2. Theoretischer Bezug

Die folgenden Abschnitte führen den Leser zunächst in die verschiedenen naturwissenschaftlichen Auffassungen selbstorganisierter Systeme ein. Nach einem Streifzug durch die historische Entwick- lung des Selbstorganisationskonstrukts und einer Integration einzelner moderner Auffassungen in eine umfassende Informationstheorie, wird im Anschluss das Konzept der Synergetik eingehend erläutert. Diese beschreibt die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung einer Vielzahl von Systemen, seien es nun physikalische, mathematische, wirtschaftliche, biologische oder soziale Systeme, und soll im weiteren Verlauf der Arbeit auf psychophysische Systeme übertragen werden. Die Erläuterung der neurophysiologischen Grundlagen menschlichen Denkens und Tuns führt dann geradewegs in die schematheoretischen Auffassungen von GRAWE, einem klinischen Psychologen und Psychotherapeuten. Seine in dieser Arbeit als allgemein gültig betrachteten Auffassungen vom Tenschen zusammen mit dem Konzept der Synergetik bilden die Grundlage für die Entwicklung eines synergetischen Analyserasters zur Diagnose der menschlichen Selbstorganisationsfähigkeiten im Weiterbildungsbereich. Prognosen zur weiteren Entwicklung dieser Fähigkeiten und individuelle Handlungsempfehlungen lassen sich leicht aus der Theorie der Synergetik ableiten.

2.1. Die Welt als komplexes £ystem

Die reduktionistische Denkweise des wissenschaftlich gebildeten Tenschen der letzten 300 Jahre fokussierte sich in ihrem Erkenntnisstreben auf die empirische Erfassung kleiner und kleinster Reali- tätsausschnitte. Ziel war es, einfache Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen den beobachteten Elementen zu erkennen und aus der Addition der einzelnen Teile den Gesamtzusammenhang zu beschreiben. Doch mit der rapiden Zunahme empirischer Einzelergebnisse, die sich teilweise er- gänzten und teilweise widersprachen und sich auch nicht immer auf ihre einzelnen Bestandteile vollständig zurückführen ließen, öffnete sich das wissenschaftliche Verständnis für die Betrachtung der Welt als ein höchst komplexes, facettenreiches, emergentes System.

Zunächst einmal soll folgende grundsätzliche Frage beantwortet werden: Was ist ein System? LU- CAS (1999, S. 1) definiert ein System folgendermaßen:

“A system is a group of interacting parts functioning as a whole and distinguishable from its sur- roundings by recognizable boundaries."

Ähnlich definiert TATURANA (1982) eine Taschine (= seine Bezeichnung für ein System) als eine Einheit, die aus Bestandteilen mit spezifischen Eigenschaften besteht. Die einzelnen Bestandteile stehen in bestimmten Relationen zueinander, das heißt sie sind auf eine bestimmte Art und Weise miteinander verknüpft. Die Art der Verknüpfung entscheidet darüber, welche Interaktionen und Transformationen die Taschine ausüben kann. Die konkret verwirklichte Struktur der Bestandteile

ist dabei irrelevant und beliebig, solange sie nur die gleiche Art von Interaktionen und Transforma- tionen ermöglicht.

Ein System besteht also aus Elementen und aus den Beziehungen, den Relationen, die zwischen ihnen herrschen. Je nach Art der Elemente und ihrer Relationen zeigt ein System unterschiedliche Strukturen, Zustände und Verhaltensweisen. Ein System kann seiner Umwelt mit unterschiedlichen Graden an Offenheit gegenübertreten, und es kann dabei den Umwelteinflüssen mehr oder min- der passiv oder aktiv begegnen. Es kann von eher statischer Beschaffenheit sein (zum Beispiel Auto) oder evolutionär geartet (zum Beispiel Tensch). Es kann ein von der Natur gegebenes System sein (zum Beispiel ein Gas, eine Flüssigkeit, ein Kristall, eine Zelle, das Nervensystem), das absichtslos auf seine Umwelt einwirkt und reagiert, oder ein von Tenschen absichtsvoll hergestelltes (zum Bei- spiel ein wirtschaftliches und politisches System oder aber auch eine künstliche, schematische Ein- teilung wie das Periodensystem der Chemie).

2.2. Traditionelle £elbstorganisationskonstrukte

In den Jahrtausenden menschlichen Erkenntnisstrebens dominierten verschiedene Ansichten von dem System „Welt“ und dem System „Tensch“. Holistische Anschauungen wechselten mit redukti- onistischen Vorstellungen ab und mündeten schließlich in die heutigen als emergentistisch zu be- zeichnenden Auffassungen. Während der Reduktionismus das Neue auf nichts als das Alte und das Ganze auf nichts als dessen Teile reduziert, verabsolutiert der Holismus das qualitativ Neue ge- genüber dem Alten und das Ganze gegenüber seinen Teilen. Der Emergentismus ist zwischen die- sen beiden Polen angesiedelt. Er „erklärt das Alte und die Teile zur notwendigen Voraussetzung des Neuen und des Ganzen, ohne sie hinreichen zu lassen. Er lässt das Neue mehr sein als das Alte und das Ganze mehr als seine Teile, ohne das Hervorgehen aus dem Alten und das Zusammen- wirken der Teile zu negieren.“ (HOFKIRCHNER, 1998, S. 76). Die unterschiedlichen Positionen seien kurz in Tabelle 2 skizziert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TÞb. 2: Methodologische Schlussweisen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 75)

Die nächsten Abschnitte sollen nun in Anlehnung an BEISEL (1996, S. 13-49) die historische Ent- wicklung von Systemvorstellungen, insbesondere in Bezug auf den Aspekt „Selbstorganisation“, von

der Antike bis heute nachzeichnen. Dabei können die einzelnen holistischen, reduktionistischen und emergentistischen Positionen leicht nachvollzogen werden.

2.2.1. Der Entelechiebegriff der klassischen Philosophie

Vorläufer heutiger Selbstorganisationskonzepte finden sich bereits in der Antike. ARISTOTELES (384- 322 vor Christus) prägte den Begriff ,Entelechie' [deutsch: ,sein Ziel in sich tragend'] und meinte damit ein innewohnendes Formprinzip, das alle Lebewesen zur Selbstentwicklung treibt. Dieser Prozess ist ein zielgerichteter Plan des Werdens und führt von einfachen Strukturmustern zu immer komplexeren Formen des Seins bis hin zum finalen Ziel der Vollkommenheit. Wie ein Samenkorn, das sich aufgrund seines inneren Plans des Werdens zu einer prächtigen Blume entfaltet, so entwi- ckelt sich auch der Tensch, getrieben von den inhärenten Zielen seiner Seele.

Die antike metaphysische Konzeption der selbstorganisierten Entwicklung von Systemen wurde im Zeitalter der Aufklärung von naturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen abgelöst.

2.2.2. Das mechanistische Weltbild NEWTONs

Die wissenschaftliche Revolution ist eng mit dem Namen Isaac NEWTON (1634-1772) verbunden. Tit der Veröffentlichung seines Buches „Naturalis philosophiae principia mathematica“ begründete er die klassische Dynamik, die Lehre von den universellen Gesetzen der Bewegung. Kennzeichnend für seinen Ansatz ist das deterministische Kausalitätsprinzip, das besagt: causa aequat effectum, gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen oder ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen. Ein ¡edes System ist gegenüber den energetischen Strömen seiner Umwelt offen, kann sie aber nicht für selbstgewählte Arbeitsleistungen nutzen. Es übersetzt die Ursache in die Wirkung, ohne selbst in das Geschehen einzugreifen. Alle Ursache-Wirkungsbeziehungen sind somit eindeutig. Das gesamte Universum ist ein Techanismus, ein riesiges Uhrwerk, das seit dem ersten Anstoß streng deterministisch abläuft. Verfügte man – wie der metaphorische LAPLACEsche Dämon – über die genaue Kenntnis der Anfangsbedingungen und des zugrunde liegenden Regelwerks des dyna- mischen Ablaufs, ließe sich das Systemverhalten ¡ederzeit vorhersagen und auch beliebig oft repro- duzieren. Da der Tensch ¡edoch weder die Regeln vollständig kenne, noch in der Lage sei, belie- big genaue Tessungen anzustellen oder gar alle beteiligten Komponenten in die Berechnungen mit einzuschließen, komme es zu Prognosefehlern.

2.2.3. Selbst-Desorganisation in der klassischen Thermodynamik

NEWTONs Weltbild bot keinen Raum für selbstorganisiertes Systemverhalten und damit auch nicht für Evolution. Dies änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Begründung der klassischen Thermodynamik. Im Gegensatz zu NEWTONs energetisch offenen Systemen beschäftigt sich die klassische Thermodynamik mit geschlossenen Systemen. Weder Energie noch Taterie noch Information werden mit der Umgebung ausgetauscht. Ein geschlossenes System funktioniert durch Nutzung seiner inneren Energiereserven, die es zur Aufrechterhaltung seiner makroskopischen

Strukturen benötigt. Je mehr Energie verbraucht wird, desto größer wird die Entropie, das heißt der¡enige Anteil an Energie, der vom System nicht mehr in Arbeit umgesetzt werden kann (vgl. HOFKIRCHNER, 1998, S. 83 / Beisel, 1996, S. 1l). Dieser Prozess ist irreversibel. Die Systemevolu- tion verläuft von einem makroskopisch geordneten, energiereichen Ausgangszustand in immer ungeordnetere, energieärmere Zustände bis hin zum strukturlosen thermodynamischen Gleichge- wicht. Zu vergleichen ist diese Vorstellung mit einem Eisberg, der im Wasser treibt und mit der Zeit bis zu seiner völligen Auflösung im Wasser dahin schmilzt. Die hier zu beobachtende Selbst- Desorganisation kann als eine besondere Form der Selbstorganisation betrachtet werden.

2.2.4. Die Höherentwicklung von Systemen in DARWINs Evolutionstheorie

Auch DARWIN konzipierte eine evolutionäre Systemtheorie mit irreversiblem Verlauf. Jedoch weist hier der Zeitvektor nicht in Richtung ,Auflösung des Systems' sondern in Richtung ,Höherentwick- lung' (= bessere Anpassung) durch Ausdifferenzierung. Im Gegensatz zur klassischen Thermody- namik handelt es sich hier wieder um offene Systeme, die ohne eine ständige Energiezufuhr ihre immer weitere Ausdifferenzierung nicht verwirklichen könnten. So entwickelten sich die Lebewesen im Verlauf von Jahrmillionen vom Einzeller zum komplexen Vielzeller. Im Selektionsprozess – der Interaktion zwischen der Struktur der Lebewesen mit der Struktur der Umwelt – wurden die¡enigen

,ausgemerzt', die nicht zu den Gegebenheiten ihrer Umwelt passten. Die anderen überlebten, ga- ben ihre Gene an ihre Nachkommen weiter und bildeten die Basis für eine immer weitere Ausdiffe- renzierung und stetige Höherentwicklung.

2.2.5. Die Entdeckung der Rückkopplungsschleife in der Kybernetik

Die Kybernetik wurde in den 40er Jahren von dem Tathematiker Norbert WIENER (1894-1946) begründet. Als er sich zusammen mit dem Ingenieur Julian H. BIGELOW der Entwicklung automati- scher Zielverfolgungssysteme für Flugabwehrgeschütze widmete, entdeckte er einen Informations- kreislauf, der für die Funktion aller Zielautomatiken erforderlich ist, um Abweichungen vom Ziel auszulöschen, zu korrigieren, zu negieren: den Kreislauf negativer Rückkopplung. VESTER (1984, S.l9 ff.) beschreibt die wichtigsten Elemente des klassischen Regelkreises mit kybernetischen Be- zeichnungen:

„Jeder ,Regelhreis’ ist also zunächst einmal ein in sich geschlossener, ständiger Kreislauf von Informationen. Er besteht im engeren Sinne nur aus zwei Dingen: zum Einen der zu regelnden Größe (zum Beispiel dem Yasserstand in einem Kanalsystem, dem Benzinzustand im Vergaser, der Konzentration eines Hormons im Blut, der Körpertemperatur eines Lebewesens oder dem Gleichlauf der Turbinen) – man nennt sie ,Regelgrö- ße’ – zum Anderen den ,Regler’, der sie verändern hann. Dieser Regler misst über einen ,Messfühler’ den Zustand der Regelgröße. Ist dieser Zustand durch einen Störfahtor, die ,Störgröße’, verändert, dann gibt der Regler eine entsprechende Anweisung (den ,Stellwert’) an ein ,Stellglied’ weiter, welches dann die Störung über eine angemessene ,Stellgröße’ unter Zufuhr oder Abfuhr einer entsprechenden ,Austauschgröße’ (auch

,Stauglied’ genannt) behebt. Auf diese Yeise ist das zu regelnde System mit sich selbst rüchgehoppelt. Über die Störgröße und die Austauschgröße steht es allerdings mit der Außenwelt in Verbindung. Stellt der Messfüh- ler einen zu hohen Yert fest, so wird dieser über das Stellglied verringert. Ist der Yert zu niedrig, so wird er erhöht. Deshalb spricht man bei einer solchen Selbstregulation von ,negativer Rüchhopplung’ (hier ist also

,negativ’ mal etwas Gutes!). Liefe die Rüchhopplung in der ,gleichen’ Richtung, würde also ein nach oben veränderter Yert über den Regler noch weiter erhöht werden, dann hätten wir ,positive Rüchhopplungen’ – und damit nicht mehr lange einen Regelhreis. Das System würde sich in der begonnnen Richtung aufschau- heln, das heißt entweder explodieren oder völlig zufrieren.“

Die mit ,Kybernetik I' bezeichneten frühen Anfänge des Konzeptes wurden von Heinz VON FOERSTER aufgegriffen und als sogenannte ,Kybernetik II' – einem modernen Konzept von Selbstorganisation, das in seiner Erläuterung bereits an diese Stelle vorgezogen werden soll – weiterentwickelt. Tit seinem Konzept der ,nicht-trivialen Taschine' machte er deutlich, wie einfach das reduktionistische Weltbild aus NEWTONs Zeit zu sprengen ist. Gegeben sei zunächst eine ,triviale Taschine' von einfacher Funktion (f\), bei der bestimmten Eingangswerten (x) bestimmte Ausgangswerte (y) zuge-

ordnet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TÞb. 3: EingÞngs- und AusgÞngswerte einer triviÞlen MÞschine. (K5,=, 1998, S. 89)

„Gibt man dieser Taschine z.B. die Eingangsfolge B,A,C,D,A,D, so erhält man immer 2,1,4,3,1,4. Das Verhalten dieser Taschine ist somit klar vorhersagbar. Da ¡eder der vier Ursachen vier ver- schiedene Wirkungen zugeordnet werden können, gibt es 4 = 2l6 mögliche Taschinen“ (KRIZ, 1999, S. 89).

Im Unterschied zur trivialen Taschine kann eine ,nicht-triviale Taschine' aufgrund einer Rückkopp- lungsschleife ihren Zustand mit ¡edem neuen Eingabewert x ändern:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 10: Eine nicht-triviÞle MÞschine.

Der Ausgabewert einer solchen nicht-trivialen Taschine ist: y = f\ (x, zDOW). Der Zustand dieser Taschine definiert sich als: zQHX = f] (x, zDOW). In Worten heißt das: Ein Ausgabewert y ist nicht nur abhängig vom Eingabewert x, sondern auch davon, auf welchen Zustand zDOW dieser Eingabewert trifft. Der Zustand zDOW kann allerdings mit ¡edem neuen Eingabewert x zu zQHX verändert werden und beeinflusst dann in der nächsten Tessung als ,neues' zDOW die Wirkungsfunktion f\. Eine Werte- tabelle dieser Taschine könnte demnach bei beispielsweise 4 Input-/Output-Symbolen und 2 Zu- ständen folgendermaßen aussehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TÞb. 4: Input und Output einer nicht-triviÞlen MÞschine. (vergleiche K5,=, 1998, S. 90)

Obwohl es sich immer noch um eine recht einfache, deterministische Taschine handelt, ergeben sich bereits bei 4 Ein-/Ausgabe-Symbolen 10 mögliche Zuordnungen. Damit entzieht sie sich der praktischen Berechenbarkeit. Um die ,richtige‘ Taschine herauszufinden, das heißt, um die

¡eweils folgenden Input-Output-Sequenzen sicher zu wissen, könnten beispielsweise modernste Computer während der gesamten Lebensdauer unseres Universums (rund l‡10 Tikrosekunden) zu Gange sein und würden dennoch erst einen verschwindend geringen Bruchteil dieser Aufgabe bewältigt haben (vgl. KRIZ, 1998, S. 90). Das Beispiel zeigt, dass es schon bei viel einfacheren

Systemen als Lebewesen prahtisch unmöglich ist, aus bestimmten Input-Größen die Output- Größen immer und zu ¡edem Zeitpunkt exakt vorherzusagen, auch wenn sich natürlich gewisse Wahrscheinlichkeiten beobachten lassen.

Schließlich veröffentlichte VON FOERSTER 1960 eine Arbeit mit dem Titel „On Self-Organizing Sys- tems and their Environments“, die als die Geburtsstunde der modernen Selbstorganisationskonzep- te betrachtet werden kann. In ihr postuliert er die Offenheit lebender Systeme gegenüber Taterie- und Energieflüssen aus der Umwelt sowie ihre Fähigkeit zur organisatorischen Schließung, wie sie später in der Autopoiesekonzeption wieder aufgegriffen wird.

2.2.6. Das Postulat des Fließgleichgewichts der Allgemeinen Systemtheorie

Im Jahre 19l4, also fast zeitgleich zu den Anfängen der Kybernetik I, gründete der Biologe Ludwig VON BERTALANAFFNY (1901-1972) die sogenannte Gesellschaft für Allgemeine Systemforschung. Es sollte eine einheitliche Terminologie und Tethodologie für die interdisziplinär vorfindbaren Phä- nomene der Selbstregulation offener Systeme gefunden werden. Im Unterschied zu den geschlos- senen Systemen der klassischen Thermodynamik befindet sich ein offenes System weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht und statt dessen im sogenannten Fließgleichgewicht. Durch seine Fähigkeit, laufend freie Energie, Taterie und Information aus der Umgebung zu importieren und genutzte Energie zu exportieren, bleiben die Strukturen des Systems erhalten. Es ist – genau wie ein kybernetisches System – stabil oder homöostatisch. Dabei gilt: Je komplexer ein System ist, desto umfassender muss es kontrolliert werden. „Es muss als Ausdruck seiner Komplexität auf viel- fältige Störungsmöglichkeiten aus der Umwelt die passenden ,Antworten' parat halten“ (DE ROS- NAY, 1979, S. 104). Ein Kritikpunkt an der allgemeinen Systemtheorie ist ¡edoch eine zu starke Betonung genau dieser Stabilität. Kritiker meinen, „dass das Fließgleichgewicht in offenen Syste- men nur in Bezug auf eine bestimmte Zeitdauer stabil gehalten werden kann und auch darf, an- sonsten droht eine pathologische Homöostase.“ (BEISEL, 1996, S. 20)

2.3. Moderne £elbstorganisationskonstrukte

Nach dieser kurzen Betrachtung der verschiedenen Entwicklungsrichtungen klassischer Systemtheo- rien wenden wir uns nun dem Spektrum der modernen Konzeptionen zu. Diese zeichnen sich im Unterschied zu den früheren Todellen vor allem durch ihre Komplementarität aus. Das heißt sie berücksichtigen sowohl Phänomene der Stabilität und Instabilität als auch der Offenheit und Ge- schlossenheit sowie der negativen und der positiven Rückkopplung und stellen sie als sich gegen- seitig bedingende Größen nebeneinander. Die Tabelle l nennt kurz die wichtigsten Gründerväter der modernen Systemtheorien:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TÞb. 5: DÞs Spehtrum moderner SelbstorgÞnisÞtionstheorien. (B(,6(/, 1996, S. 22)

Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen wird es sein, die Todellvorstellungen einiger aus- gewählter Theoretiker anhand eines integrativen Ansatzes aus der Informationstheorie schlüssig miteinander zu verbinden und eingehend zu charakterisieren.

Die Spuren des Begriffs „Information“ lassen sich bis ins Zeitalter der griechisch-römischen Antike zurückverfolgen (CAPURRO, 1978). „Informatio“ im Lateinischen und „Morphe“ im Griechischen bedeuten „das Geprägte“ oder „das Prägende“ oder „Umriss“ bzw. „Gestalt“ bzw. „Form“. Das Verb „informare“ heißt etwas „prägen“, eine „Gestalt verleihen“, „eine Form geben“, also etwas

„in eine Form bringen“. Das Wort „Information“ hat demgemäß zwei ursprüngliche Bedeutungen:

1. die der Tätigkeit des „In-eine-Form-Bringens“ und 2. die des Ergebnisses der Tätigkeit, des „in eine Form-Gebracht-Seins“. Das „in eine Form bringen“, das „Informieren“ kennzeichnet demnach einen Prozess, aus dem etwas qualitativ Neues entsteht. (HOFKIRCHNER, 1998, S. 70)

HOFKIRCHNER betrachtet in seiner Informationstheorie, in welcher Weise verschiedene Systeme auf den einströmenden Input an Information reagieren. Ausgehend von der Beschreibung der mecha- nistischen Systeme unter dem Gesichtspunkt ,Fremdorganisation‘ versus ,Selbstorganisation‘ richtet sich dann die Aufmerksamkeit auf die dissipativen Systeme Ilya PRIGOGINEs, danach auf die auto- poietischen Systeme TATURANAs/VARELAs und mündet schließlich in die Betrachtung der re- kreativen Systeme HOFKIRCHNERs. Letztere werden im weiteren Verlauf der Arbeit als Grundlage für die Analyse des Systems ,Tensch‘ dienen.

2.3.1. Fremdorganisierte Aktivität: Mechanistische Systeme

Die bereits erwähnten mechanistischen Systemen NEWTONs weisen einen entscheidenden Unter- schied zu den im Anschluss zu erläuternden Systemen auf: Sie sind nicht selbst-, sondern fremdor- ganisiert. Ihr Einfluss auf die Ursache-Wirkungsbeziehungen stellt eine vernachlässigbare Größe dar. Einem bestimmten Input kann ¡ederzeit ein bestimmter Output zugeordnet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 11: DÞs UrsÞche-Wirhungs-VerhÞltnis bei mechÞnistischen Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 82)

Techanistische Systeme reagieren immer gleich auf die einfließenden Ströme von Energie, Taterie und Information. Als Beispiel sei ein Stromkreis mit einer Stromquelle, einer Lampe und einem Schalter genannt. Bei Schließung des Stromkreises leuchtet die Lampe in immer gleicher Weise auf. Bei Unterbrechung des Stromkreises verlischt das Licht. Die Lampe in diesem Stromkreis ,unterwirft‘ sich in immer gleicher Weise den Bedingungen des einfließenden Stroms.

2.3.2. Selbständerung durch Widerspiegelung: Dissipative Systeme

Als Begründer des Konzepts der dissipativen Systeme gilt PRIGOGINE, Professor für Physikalische Chemie an der FU Brüssel. Zusammen mit GLANSDORFF veröffentlichte er 1971 das Buch „Ther- modynamics of Structure, Stability and Fluctuations“ und erhielt noch im gleichen Jahr für seine Forschungen den Nobelpreis in Chemie.

Die sogenannten dissipativen Systeme zeigen als wesentlichen Unterschied zu den mechanistischen Systemen Eigenahtivität. Sie nutzen die einfließenden Energie-, Taterie- und Informationsströme zum selbstorganisierten Aufbau von Ordnungsstrukturen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 12: DÞs UrsÞche-Wirhungs-VerhÞltnis bei dissipÞtiven Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 83)

Der Input hat keinen Einfluss auf die Art des entstehenden Ordnungsmusters. Das Ursache- Wirhungsprinzip ist aufgehoben. Der Input dient dem System lediglich als Anregung. Es verwer- tet die einströmende Information nach eigenen Taßstäben. Dabei verändert es sich selbst und verändert damit auch die Information, die als Output an die Umwelt abgegeben wird. (So würde zum Beispiel unsere Lampe aus Abschnitt 2.3.1. statt kontinuierlich zu leuchten möglicherweise in einem eigenständigen Rhythmus blinken). Als berühmt gewordenes Tusterbeispiel für die chemi- sche Selbstorganisation gilt die sogenannte BELOUSOV-ZHABOTINSKY-Reaktion. Diese Reaktion läuft in einer Lösung von Talonsäure, Kaliumbromat und anderen Chemikalien ab. „Die Bromid-Ionen bilden Brom-Toleküle, die dann mit der Talonsäure reagieren und wieder zu Bromid werden. Befindet sich eine solche Lösung mit entsprechenden Zutaten in einer flachen Schale, wandern ohne weiteres Zutun abwechselnd rote und blaue konzentrische Ringe nach außen. Tritt keine Stö- rung auf, kann die chemische Schwingung so lange fortgesetzt werden, bis die Talonsäure ver- zehrt ist.“ (BEISEL, 1996, S. 28 ff.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 13: Die B(/28629-Z+$%27,16.<-ReÞhtion. (J266(1 & E<(5, 2000,

http://home.wtÞl.de/schwebin/lsys/muster.htm)

Das neu gebildete Ordnungs-/Informationsmuster eines dissipativen Systems kann als Signal für andere Systeme dienen, die ihrerseits wieder entweder fremd- oder selbstorganisiert darauf reagie- ren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 14: Die Struhtur des InformÞtionsprozesses in dissipÞtiven Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S.84)

Die bei der Strukturbildung entwertete Energie gibt das System an seine Umgebung ab; es „dissi- piert“ sie (daher der Begriff „dissipative Systeme“). Die Entropie – das Taß für die Unordnung im System bzw. für den Teil der Energie, der vom System nicht mehr in Arbeit umgesetzt werden kann

– wird dabei größer. Verbraucht ein System seine gesamte verwertbare Energie, ohne dass neue Energieströme nachfließen, fällt das aufgebaute Ordnungsmuster in sich zusammen. Das System driftet ins Chaos bzw. thermodynamische Gleichgewicht, solange bis neue Energieströme einflie- ßen, die es zum erneuten selbstorganisierten Aufbau von Ordnungsmustern anregen. Bereits an dieser Stelle wird das mögliche Pendeln eines Systeme zwischen verschiedenen Ordnungszustän- den von Chaos und Struktur in Abhängigkeit von der zur Verfügung stehenden verwertbaren Ener- gie deutlich. Die in den folgenden Abschnitten diskutierten autopoietischen und re-kreativen Syste- me fußen auf der Fähigkeit des Systems, den Energiefluss zu verstetigen und damit das einmal auf- gebaute Ordnungsmuster beibehalten zu können.

2.3.3. Selbsterhaltung durch Repräsentation: Autopoietische Systeme

Der Begriff „Autopoiese“ ist ein Kunstwort. Er besteht aus den bei beiden Wortteilen „autos“, zu deutsch „selbst“ und „poiein“, zu deutsch „machen“. Autopoiese meint damit „Selbsterzeugung“. Eingeführt wurde der Begriff von dem chilenischen Neurobiologen Humberto TATURANA. Anfang der 60er Jahre begann er, sich von der zeitgenössischen Biologie abzuwenden, die bei der Frage nach dem Lebendigen lediglich isolierte Terkmale aufzählte, wie zum Beispiel Fortpflanzungsfä- higkeit, Evolution etc. TATURANA versuchte, lebende Systeme als Ganzheiten zu verstehen. Er fragte nach der Systemorganisation, „die ein lebendes System zu einer in sich geschlossenen autonomen Einheit werden lässt, die lebt, unabhängig davon, ob sie sich fortpflanzt oder nicht“ (TATURANA 1982, S. 1l7). In den 70er Jahren stieß Francisco VARELA zu TATURANA hinzu, 1979 erschien das Buch „Autopoieses and Cognition“.

Im Unterschied zu mechanistischen Systemen oder dissipativen Strukturen sind autopoietische Sys- teme selbstreferentielle Systeme, das heißt sie können ihre inneren Zustände gemäß einer in ihnen

liegenden Referenz, einem Taßstab, der ihnen Auskunft über Soll- und Ist-Werte gibt, selbst erzeu- gen und erhalten. Voraussetzung dafür ist ihre ,operationale Geschlossenheit', das heißt sie haben feste Grenzen und verhalten sich gegenüber ihrer Umwelt autonom. Ihr inneres Tilieu ist anders als das Tilieu ihrer Umwelt. Doch obwohl ein autopoietisches System ,operational geschlossen' ist, ist es nicht völlig unabhängig von seiner Umwelt. Für ausgesuchte Interaktionsströme von Taterie, Information und Energie ist das System offen. Voraussetzung ist, dass der Umweltinput im System nur solche Zustandsänderungen bewirkt, die mit der Erhaltung seiner Funktionen in Einklang zu bringen sind. Die System-Umwelt-Interaktion heißt ,Perturbation'. Dabei sind Umwelt und System füreinander gegenseitige Quellen von Perturbation, das heißt „sie lösen gegenseitig beim ¡eweils anderen Zustandsänderungen aus - ein Prozess, den wir ,strukturelle Koppelung' bezeichnet ha- ben“ (TATURANA & VARELA,1987, S. 110).

Aus der informationstheoretischen Perspektive lässt sich ein autopoietisches System folgenderma- ßen darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 15: DÞs UrsÞche-Wirhungs-VerhÞltnis bei Þutopoietischen Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 85)

Ein autopoietisches System ist im Vergleich zu einem einfachen dissipativen System zu einer (be- grenzten) Verstetigung des Energieflusses und damit zur (begrenzten) Aufrechterhaltung der von ihm aufgebauten Ordnung fähig. Es verwendet den Stoff- und Energiewechsel dazu, die Bestandteile, aus denen es zusammengesetzt ist, immer wieder selbst herzustellen. Dabei gilt:

„Wenn lebenden Systemen eine Tendenz innewohnt, ihr Leben zu perpetuieren, dann müssen, um Reaktionen intendieren zu können, die zur Steigerung der Überlebensfähigkeit beitragen, die Um- weltreize derart widergespiegelt werden, dass das System erkennen kann, ob sie seinem Lebens- prozess entweder förderlich oder abträglich oder ihm gegenüber neutral sind“ (HOFKIRCHNER, 1998, S. 86). Dies geschieht durch eine Ausdifferenzierung des Selbstorganisationszyklus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 16: Die Struhtur des InformÞtionsprozesses in Þutopoietischen Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 86)

Bei der Strukturbildung entsteht im Inneren des Systems ein Tuster, das den äußeren Reiz auf seine ihm eigene Weise repräsentiert und widerspiegelt oder restrukturiert. Dieses Tuster kann als Sym- bol betrachtet werden, dem das System dann in einem zweiten Schritt eine bestimmte Bedeutung zuweist. Dieser Fähigkeit zur Repräsentation und Bedeutungszuschreibung verdanken die selbstor- ganisierenden Systeme ihre gesteigerten Anpassungsleistungen an ihre Umwelten.

Im Lauf der letzten Jahrzehnte wurde die Autopoiesekonzeption Teil eines umfassenden erkenntnis- theoretischen Konzepts TATURANAs. Ausgehend von der operationalen Geschlossenheit von Ner- vensystemen propagierte er den radikalen Konstruktivismus, der besagt, dass wir unsere Wirklich- keit nicht ob¡ektiv erkennen können, sondern auf Basis der durch die Struktur des Nervensystems determinierten Repräsentationsfähigkeit lediglich erschließen.

2.3.4. Selbsterschaffung durch Entscheidung: Re-kreative Systeme

Noch komplexer als die autopoietischen Systeme gestalten sich die re-kreativen Systeme. Sie zei- gen eine noch viel größere Anpassungsleistung an ihre Umwelt, indem sie nämlich nicht nur sich selbst an ihre Umwelt anpassen, sondern ihre Umwelt in absichtsvollem Handeln an sich selbst anpassen. Das heißt „ihr Wirkungsfeld wird von einer Rückkopplungsschleife geprägt, in der die Systeme durch die gezielte Einwirkung auf die Umwelt solche Bedingungen schaffen, unter denen sie sich selber erschaffen können, weil sie die Ziele, die sie zu erreichen suchen, sich selber ausge- sucht haben und sich durch die Verwirklichung der Ziele selbst verwirklichen. Sie schaffen sich selbst neu oder um“ (HOFKIRCHNER, 1998, S. 87).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 17: DÞs UrsÞche-WirhungsverhÞltnis bei re-hreÞtiven Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 88)

Damit erfährt auch der Selbstorganisationszyklus eine weitere Ausdifferenzierung, die dem System einen noch viel größeren Freiraum verschafft. Eine Entscheidung für ein bestimmtes Systemverhal- ten fußt zwar auf der inneren Darstellung von Zusammenhängen zwischen den Außenbedingungen und der Systemerhaltung, kann aber ¡e nach Bewertung des Systems entlang unterschiedlicher Ziel- vorgaben, die in der Regel unterschiedliche Realisierungsformen der Systemerhaltung einschließen, unterschiedlich ausfallen. Der Unterschied für das Weiterbestehen des Systems verursacht einen weiteren Unterschied für das Handeln des Systems. So erhalten wir ein Schema, das drei Ebenen auseinander hält, die durch Prozesse der Selbstorganisation miteinander verkoppelt sind: Signale aus der Umwelt werden durch Umstrukturierungen innerhalb des Systems wahrgenommen, die als Darstellung überlebensrelevanter Zusammenhänge interpretiert werden, die ihrerseits noch einer Bewertung anhand übergeordneter Ziele unterzogen wird.

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Abb. 18: Die Struhtur des InformÞtionsprozesses in re-hreÞtiven Systemen. (H2).,5&+1(5, 1998, S.89)

Die wahrgenommenen Signale bilden ,Daten‘, die interpretierten Daten ,Wissen‘ und das bewerte- te Wissen ,Weisheit‘.

2.3.5. Systemebenen

Zur vollständigen Beschreibung von Systemen gehört nicht nur die Nennung der aufgebauten Ordnungs- bzw. Systemstruhtur (vgl. vorherige Abschnitte), sondern auch des aktuellen Systemzu- stands und des daraus resultierenden tatsächlich gezeigten Verhaltens. HOFKIRCHNER schlägt vor, die Struktur – bestehend aus den Systemelementen und den Relationen zwischen den Elementen – auf der sogenannten Tihroebene des Systems, den Zustand auf der sogenannten Tesoebene und das beobachtbare Verhalten auf der sogenannten Tahroebene anzusiedeln:

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Abb. 19: Die Einteilung der Systemebenen. (H2).,5&+1(5, 1998, S. 90)

Bei evolutionären System vermittelt zwischen den einzelnen Ebenen ¡eweils mindestens ein Zyklus von Selbstorganisation. Das heißt die ¡eweils nächsthöhere Ebene kann etwas zum Ausdruck brin- gen, was zwar auf der unteren Ebene fußt, sich aber nicht vollständig auf sie zurückführen lässt (vgl. Abschnitt 2.2. zum Thema ,Emergenz‘). Dies kann zu qualitativen Sprüngen von Ebene zu Ebene führen. „Ein Input kann eine Änderung der Qualität der Struktur des Systems hervorrufen. Die qualitativ veränderte Struktur kann – muss aber nicht – eine Änderung der Qualität des Zu- stands veranlassen, und der qualitativ veränderte Zustand kann – muss aber nicht – in eine Ände- rung der Qualität des Verhaltens einmünden. Umgekehrt muss aber ¡edes neue Verhalten auf einer Zustandsänderung fußen wie ¡ede Zustandsänderung auf einer Umstrukturierung.“ (HOFKIRCHNER, 1998, S. 91)

[...]

Ende der Leseprobe aus 282 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung der Fähigkeiten zur effektiven Selbstorganisation durch multimediale Tele-Lernsysteme
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Psychologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
282
Katalognummer
V949
ISBN (eBook)
9783638105880
ISBN (Buch)
9783638686501
Dateigröße
3248 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Evaluation des Projekts IMPTEL, einer Initiative zur IMPlementierung von TeLearbeitsstrukturen in Kleinen und Mittleren Betrieben.
Schlagworte
Telearbeit, Selbstorganisation, Synergetik
Arbeit zitieren
Evelyn Schlenk (Autor:in), 2001, Die Entwicklung der Fähigkeiten zur effektiven Selbstorganisation durch multimediale Tele-Lernsysteme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/949

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