Steven Spielbergs "Der Weiße Hai"


Hausarbeit, 1998

42 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. BIOGRAPHIE STEVEN SPIELBERG

3. DER FILM ,,DER WEIßE HAI"
3.1. Inhaltsangabe und Szenenprotokoll
3.2. Produktion und Filmtechnik
3.3. Darsteller
3.4. Werbekampagne und Vermarktung des Films

4. FILMANALYSE
4.1. Das Desaster-Movie
4.2. Die amerikanische Gesellschaft in den 70er Jahren
4.3. Gesellschaftsbilder in JAWS - Kritik am american way of life ?
4.3.1. Erste Hälfte: Verharmlosung und Eskalation der Gefahr
a) Der Bürgermeister Vaughn
b) Der Ort ,,Amity" und seine Bewohner; Touristen
4.3.2. Zweite Hälfte: Kampf gegen den Hai - Beseitigung der Gefahr Die Rolle der Charaktere Brody, Quint und Hooper
4.3.3. Gesellschaftsbezug als Spannungselement
4.4. Gewaltdarstellung

5. FAZIT

6. ANHANG
6.1. Literaturverzeichnis
6.2. Überblick: Katastrophenfilme
6.3. Filmografie Steven Spielberg
6.4. Credits

1. Einleitung

,,Steven Spielberg ist der kommerziell erfolgreichste Regisseur der Kinogeschichte."[1] Seine Filme brechen regelmäßig die Zuschauerrekorde. Während er früher als der Geschichtenerzähler galt und seine Werke als Popcorn-Kino oder Massenkino bezeichnet wurden, tritt er mit seinen neuen Werken Schindlers Liste, Amistad und Der Soldat James Ryan als amerikanischer Moralist auf.

In der vorliegenden Arbeit wollen wir seinen Film ,,Der Weiße Hai" aus dem Jahre 1974 (Original ,,Jaws") unter der Berücksichtigung des gesellschaftlichen und historischen Kontextes analysieren. Dabei soll Bezug auf den allgemeinen Trend der Katastrophen- und Monsterfilme aus dieser Zeit hergestellt werden. Das neue amerikanische Angst- und Terrorkino der 70er Jahre, das mit dem ,,Exorzisten" begonnen hatte und dann solche Produkte wie ,,Erdbeben", ,,Ein Mann sieht Rot" und ,,Flammendes Inferno" hervorgebracht hat, fand in ,,Jaws" einen vorläufigen Höhepunkt, so schrieb das Nachrichtenmagazin ,,Der Spiegel" in seiner Berichterstattung zum Filmstart in Deutschland.[2] Ob dieser damalige Trend mit der amerikanischen Politik und Gesellschaft in einem Zusammenhang steht, wollen wir in dieser Arbeit am Beispiel von ,,Jaws" untersuchen. Vor allem soll die Frage beantwortet werden, ob es sich bei diesem Film nur um sogenanntes ,,Popcorn-Kino" handelt, oder ob Spielberg auch hier bereits gesellschaftskritische Ambitionen hatte und die Filmhandlung sogar den ,,american way of life" kritisiert. Nicht nur in den USA wurde dem Film der Vorwurf gemacht, ein eiskalt auf Kasse machendes, mit den irrationalen Ängsten der Menschen spielendes Leinwandspektakel zu sein und das er eher ,,Rufmord" am Hai begehe.[3] Ob die Produktion die gesellschaftlichen Ängste und Probleme der damaligen Zeit nur aus kommerziellem Kalkül aufgriff oder doch eine Anregung zur reellen Konfliktbewältigung darstellte, wollen wir anhand einer Inhaltsanalyse und mit Hilfe einer Darstellung der geschichtlichen und politischen Verhältnisse der USA in den siebziger Jahren untersuchen.

2. Biographie Steven Spielberg

Steven Spielberg wurde am 18. Dezember 1947 in Cincinatti/Ohio als Sohn von Arnold Spielberg, einem Ingenieur und Leah Spielberg, einer Pianistin geboren. Er hatte drei Geschwister: Sue, Nancy und Anny. Das Interesse am Filmen begann für Steven, als sein Vater eine 8-mmFilmkamera geschenkt bekam. Da seine Eltern ihn nicht fernsehen ließen, begann er, sich mit Hilfe der Kamera eigene Phantasiewelten zu erschaffen. So drehte er als Schüler mehr als 15 Kurzfilme, in denen meistens seine Geschwister als Darsteller zu sehen waren. Schon in dieser Zeit experimentierte Steven mit Trickfilmen: Nachdem er mehrere Male erfolglos versucht hatte, einen Crash zwischen zwei Loks zu filmen und sein Vater ihm drohte, die Kamera wegzunehmen, falls er noch mehr kaputtmachen würde, drehte er den Film per Einzelbildschaltung im Stop-Motion-Verfahren.[4]

Es folgten weitere Filme, darunter ein vierminütiger Western, genannt The Last Gun (1959) und zwei Kriegsfilme, die er mit seinen Pfadfinderfreunden im Wald drehte. Mit Firelight (1961) filmte Steven mit 14 einen ersten Science-fiction-Film, in dem seine Schwester Nancy die Hauptrolle spielte. Im Alter von 17 Jahren nahm Steven an einer Rundfahrt durch die Universal Studios teil und war davon sofort begeistert. Bei einer Toilettenpause setzte er sich ab und erkundete auf eigene Faust die Studios. Dort traf er auf einen Studiomitarbeiter, den er überreden konnte, ihm einen Besucherausweis zu geben. So kam er zum erstenmal in Kontakt mit Kameraleuten, Regieassistenten und Cuttern.[5] Wenig später zog seine Familie nach Kalifornien und er bewarb sich an allen namhaften Filmhochschulen der Westküste. Doch keine der renommierten Schulen wollte ihn haben. So begann er Englisch zu studieren. Während dieser Phase verbrachte er viel Zeit auf dem Gelände der Universal Studios, wo er inzwischen eine Reihe von Freunden gefunden hatte. Doch niemand wollte seine Filme sehen. Also studierte er weiter, ging so oft wie er konnte ins Kino und arbeitete mit ein paar Freunden an seinem ersten 35-mm Film Amblin (1969), nach dem auch später seine Produktionsfirma ,,Amblin Entertainment" benannt wurde. Über seine Kontakte bei Universal gelang es Steven, Sid Sheinberg, dem Chef der Fernsehabteilung von Universal, den Film vorzuführen.

Sheinberg war von dem Film so beeindruckt, daß er Spielberg einen Regievertrag gab. Erst später stellte Spielberg fest, daß er sich mit diesem Vertrag auf sieben Jahre verpflichtet hatte, Fernsehfilme zu produzieren.[6] Seine erste Produktion war der Pilotfilm der Serie The night Gallery (der Nachfolgeserie zu Twilight Zone), der nicht besonders gut aufgenommen wurde. Seine Kollegen waren alle um die 45 Jahre alt und machten es ihm nicht leicht, sich zu behaupten.[7] Es folgten weitere Episoden für verschiedene Serien, darunter die erste Folge von Columbo. In dieser Zeit lernte Spielberg gewissenhaft und diszipliniert zu arbeiten.[8] 1971 drehte er seinen ersten Fernsehspielfilm namens Duell, bei dem ein Auto von einem unheimlichen großen schwarzen Truck verfolgt wird. Trotz der kurzen Zeit für die Nachbearbeitung von drei Wochen wurde der Film vom Publikum begeistert aufgenommen, avancierte schnell zum Kultfilm und gewann einige Preise. Nach diesem Erfolg gab es eine Menge Angebote, die Spielberg jedoch nicht sonderlich interessierten. Erst 1974 fand er den geeigneten Stoff für seinen ersten Kinofilm Sugarland Express, der die Geschichte eines Paares erzählt, das ihr Baby, das ihnen von der Fürsorge weggenommen worden ist, zurückholen will und dabei eine Odyssee quer durch die USA unternimmt, in deren Verlauf sie einen Polizisten kidnappen und deswegen von mehreren Polizeiwagen verfolgt werden.

Sugarland Express wurde trotz der guten Kritiken kein Erfolg und spielte gerade mal die Produktionskosten ein. Trotzdem ließen ihn die Produzenten einen weiteren Film drehen: Der weiße Hai (1974), der der bis dahin erfolgreichste Film überhaupt werden sollte. Jaws war nicht Spielbergs eigene Idee, sondern eine Auftragsarbeit für die Produzenten David Brown und Richard Zanuck.[9] Die Handlung basierte auf dem Erfolgsroman von Peter Benchley, der auch das Drehbuch größtenteils verfaßte.[10] Spielberg befürchtete jedoch, daß das Drehbuch zu politisch werden würde, und der Hai nur als Synonym für Figuren des WatergateSkandals herhalten sollte. Daraufhin versuchten sich Howard Sackler, John Milius und Carl Gottlieb am Script. Spielberg wollte ein Drehbuch, das auf die Darsteller abgestimmt ist.[11] Der Film erhielt Oscars für die Musik (John Williams), den Ton (Robert L. Hoyt, R. Heman, Earl Madery, John Carter) und den Schnitt (Verna Fields) und war nominiert als bester Film.[12] Mit Der Weiße Hai begann eine lange Serie internationaler Kassenschlager.

Danach standen Spielberg endlich sämtliche Türen offen. Es folgte Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) , Jäger des verlorenen Schatzes (1981) und schließlich E.T. - der Außerirdische (1982). Ähnlich wie bei dem weißen Hai rechneten die Produzenten bei ,,E.T." mit einem Flop, der nach den vorangegangenen Erfolgen ihrer Meinung nach früher oder später kommen mußte und sparten an der Promotion.[13] Doch ,,E.T." brauchte keine Werbung. Das Publikum war begeistert von dem Film und so konnte Spielberg sich selbst noch einmal übertreffen: ,,E.T." brachte schließlich über 700 Millionen Dollar ein.

In den nächsten Jahren folgten viele Filme, die überwiegend alle große kommerzielle Erfolge waren und sich dem Pocorn-Kino zuordnen ließen. Der Erfolg seiner Filme liegt vor allem darin, das sie einen hohen Unterhaltungswert haben und in der Regel keinen hohen Anspruch an den Zuschauer stellen. Spielberg gestaltet seine Filme nach den Interessen der Zuschauer und geht mit den jeweiligen Trends der Zeit. In seinen Filmen herrscht durchgehend Spannung und ,,Action", wodurch dem Zuschauer nie langweilig wird.[14] So beschreibt der Spiegel Spielberg auch als Meister des gefühlvollen Unterhaltungskinos für die ganze Familie, der das geistige Erbe von Walt Disney antreten könne.[15]

Mit Die Farbe Lila (1985) und Das Reich der Sonne (1987) versuchte Spielberg sich von dem Image des ,,Märchenerzählers"[16] zu lösen, was ihm jedoch bis Schindlers Liste (1994) nicht gelang. Bei Schindler habe er sich zum ersten Mal für die Wahrheit interessiert, so elend die auch sei", erklärte er in einem Spiegel-Interview.[17]

,,Ich fühlte mich zwar ganz sicher im Filmemachen für mein Publikum; ich wußte ganz genau, wie ich Leute zum Lachen oder zum Weinen bringen kann; wußte, wie ich es anstellen muß, daß sie vor Angst schreien oder vor Begeisterung klatschen. Aber um Schindler drehen zu können, mußte ich erst die Erfahrungen von Die Farbe Lila und Das Reich der Sonne machen."[18]

Erst Schindlers Liste brachte ihm die lang ersehnte Trophäe des Regieoscars. Und seine Chancen, ihn 1999 für Der Soldat James Ryan erneut zu bekommen, stehen nicht schlecht.

Neben seinen zahlreichen Regiearbeiten hat Spielberg auch als Produzent und Drehbuchautor agiert. So stammen Filme, wie Poltergeist (1982), die Zurück in die Zukunft - Trilogie (1985/1989/1991) oder auch Falsches Spiel mit Roger Rabbit (1988) aus dem Hause Amblim Entertainment. 1994 hat Spielberg mit Dreamworks eine zweite Produktionsfirma gegründet. Neuere Filme, bei denen Spielberg als ausführender Produzent tätig war, sind Men in Black (1996 ), Deep Impact (1997) und Die Maske des Zorro (1998).

Bereits in seiner Anfangszeit sagte man Spielberg ein außergewöhnliches, handwerkliches Können in allen Modegenres zu.[19] Schaut man sich die Filmografie Spielbergs an, kann man in der Tat behaupten, daß er in allen Genres zu Hause ist und er ein besonderes Talent dafür hat, neue Trends und Wandel im Hollywood-Geschäft vorauszuahnen oder unmittelbar nachzuvollziehen.[20] Die Indiana-Jones Triology biete klassische Abenteuerund Action-Elemente; Unheimliche Begegnung der dritten Art und E.T. sind Beispiele für Fantasy- und Science Fiction Filme; bei Die Farbe Lila und Das Reich der Sonne handelt es sich um seriöse Literaturverfilmung; Schindlers Liste, Amistad und 1998 erneut mit Der Soldat James Ryan hat Spielberg sozialkritisches, tragisches Kino hervorgebracht. Vorwiegend drehte Spielberg aber Abenteuerfilme verschiedener Couleur und erst in den 90er Jahren perfektionierte er seine Arbeit an moralischen Filmen.

Versucht man die Filme Spielbergs zu analysieren, fällt oft ein zentrales Merkmal auf - Der Aspekt des Erwachsenwerdens:

Konkret inhaltlich fällt in seinen Filmen besonders das Motiv des kindlichen im Kontrast zur Erwachsenenwelt auf, des Märchenhaften im Gegensatz zur Alltagsrealität - und damit das Motiv des Erwachsenenwerdens.[21]

In Duell wird der Aspekt des Erwachsenwerdens mit der Darstellung einer Herausforderung, der sich der Protagonist stellen muß, verarbeitet. In Jaws geht es um das ,,Phänomen der Verdrängung". Das verdrängte muß an die Oberfläche des Bewußtseins geholt werden.[22]

3. Der Film ,,Der Weiße Hai"

3.1. Inhaltsangabe und Szenenprotokoll

Am Strand des Inselortes Amity wird ein Mädchen von einem Hai angegriffen und getötet. Als die Überreste der Leiche angetrieben werden, will der Polizeichef der Stadt, Martin Brody, den Strand sperren. Der Bürgermeister Vaughn widersetzt sich aber diesem Vorhaben. Das erste Ferienwochenende steht bevor und eine Sperrung der Strände wäre ein großer kommerzieller Verlust, so seine Begründung. Vaughn will die Angelegenheit vertuschen und vertraut darauf, daß der Hai weiterzieht. Gleich am nächsten Tag taucht der Hai erneut am Strand auf und greift den kleinen Jungen Alex Kintner an und tötet ihn. Seine Mutter setzt daraufhin eine Belohnung von 3.000 Dollar auf den Hai aus. Der Haijäger Quint bietet sich an, das Tier für 10.000 Dollar zu töten. Aber der Bürgermeister lehnt ab. Kurz darauf geht eine große Anzahl von selbst ernannten Haifängern in Volksfeststimmung auf die Jagd. Einige der Amateurfischer erlegen bald darauf tatsächlich einen großen Hai. Doch der junge Meeresbiologe Matt Hooper, der von der Polizei Amities vom Festland angefordert wurde, bezweifelt, daß es sich bei diesem Fisch um den gesuchten Hai handelt.

Gemeinsam mit Brody untersucht er den Mageninhalt des gefangenen Hais, um für seine Vermutung einen Beweis zu finden. Es zeigt sich, daß dieser tatsächlich nicht der Mörder sein kann, da sich keine menschlichen Überreste im Magen des Tiers befinden. Noch in der selben Nacht machen sich Brody und Hooper auf, um den Hai zu suchen. Aber sie finden nur ein demoliertes Fischerboot. Bei einem Tauchgang findet Hooper die Leiche des Fischers und einen großen Zahn von einem Weißhai. Aber auch von diesem Fund läßt sich der Bürgermeister nicht überzeugen und befielt die Eröffnung des Strandes für die Touristen. Gerade am Unabhängigkeitstag taucht der Hai wieder auf und frißt einen Ruderer vor den Augen der Kinder Chief Brodys. Endlich ist der Bürgermeister bereit, das Angebot des Haifischjägers Quint, das Tier für eine Prämie von 10.000 Dollar zu töten, anzunehmen.

Gemeinsam mit Hooper und Brody macht sich Quint auf die Suche nach dem Hai. Schon bald werden sie fündig. Mehrere Versuche, den Hai zu fangen, schlagen fehl. Dem Wissenschaftler Hooper gelingt es nicht, den Hai mit einer Giftspritze zu töten und kann dem Tier gerade noch entkommen. Der Fisch demoliert das Boot und tötet Quint. Schließlich gelingt es Brody, dem Hai eine Preßluftflasche in den Rachen zu werfen und diese durch einen Schuß zum explodieren zu bringen. Gemeinsam mit Hooper rettet sich Brody zum Strand.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2. Produktion und Filmtechnik

Da die Geschichte sehr dünn war, hing alles von der Darstellung des Hais ab. Die Produzenten einigten sich auf eine Kombination aus dokumentarischem Filmmaterial, das an der australischen Küste aufgenommen wurde und einer Hai-Maschine, die den Spitznamen ,,Bruce" bekam. Drei dieser aus Polyorethan hergestellten Modelle (Stückpreis 150 000 $) kamen zum Einsatz. Mit der Wartung und Bedienung der Modelle entstanden allein Kosten von 3 Millionen Dollar, also ein Drittel der gesamten Filmkosten.

Neben den Spezialeffekten setzt Spielberg eine Reihe weniger komplizierter, dafür aber kinogerechter Schaueffekte ein, die Jaws zur ,,effektvollen und wirksamen Unterhaltungsmaschine machten."[23] Er nutzt die konventionellen filmischen Mittel und Erzählformen. Dabei bedient sich der Regisseur auch der Kameratechnik Hitchcocks und setzt gezielt auf ,, Suspense" (vortäuschen von Gefahr), wie ihn Hitchcock ebenfalls angewandt hat. So basiert die Spannung des Films im wesentlichen auf dem ,,Spiel mit den Erwartungen und Ängsten des Zuschauers".[24] Zwei Szenen verdeutlicht diese Dramaturgie recht gut: · (Szene 9) Brody sitzt am Strand und beobachtet die Badegäste. Plötzlich glaubt er eine Haiflosse zu sehen, die sich aber als Kopf mit Badekappe entpuppt. Als er Schreie hört, sehen wir eine Nahaufnahme seines verzerrten Gesichts. Doch die Schreie stammen von einem Liebespaar, das im Wasser tobt. In dieser Szene kommt auch Hitchcocks berühmter Kamera-Zoom aus Vertigo zum Einsatz.[25]

- (Szene 23/24) Die Sicherheitsleute schlagen Alarm, weil sie glauben, eine Haifischflosse gesehen zu haben. Unter den Badenden bricht Panik aus und sie rennen Richtung Strand. Doch der Hai stellt sich als Kinderstreich mit einer Pappflosse heraus. Dann schlägt der Hai tatsächlich zu, nämlich dort, wo es der Zuschauer am wenigsten vermutet hätte: Er taucht in der kleinen Bucht auf, in der Brody seinen Sohn mit Freunden aus Sicherheit zum baden hingeschickt hat.

Bei der Erzeugung von Spannung spielt die subjektive Kamera eine wesentliche Rolle: Der Zuschauer weiß von der Existenz des Hais, bekommt ihn aber bis zur Hälfte des Films nicht zu sehen. Die Opfer im Wasser sehen wir aus der Perspektive des Tieres, das sich auf seine Beute zubewegt (z.B. Szene 3). Ein weiteres Spannungselement liegt in der Schnittechnik von Verna Fields. So zählt die zweite Hälfte des Films laut Karasek auch zur schwächeren, da der Hai sichtbar würde:

Die sichtbare Bestie (obwohl Spielberg ihren Anblick geschickt zu dosieren weiß und auf ihre Wirkung, wie durchs Wasser geschleuderte Tonnen, zerrissene Drahtseile etc. setzt), bleibt hinter dem Schrecken, die sie unsichtbar in der Phantasie freisetzte, zurück.[26]

Ursprünglich waren für den Film 2 Millionen Dollar veranschlagt worden. Letztendlich stieg das Budget auf 8 Millionen an. Auch sonst lief bei den Dreharbeiten nicht alles so wie es sollte: Aus 52 geplanten Drehtagen wurden schließlich 155 (die Wochenenden nicht eingerechnet), das Wetter war schlecht, die Schauspielergewerkschaft beklagte sich über die schlechten Arbeitsbedingungen für Team und Darsteller. Und die Bewohner der Insel waren überhaupt nicht damit einverstanden, daß an ihrem Strand ein Hai sein Unwesen treiben sollte. Wie Spielberg erst später erfahren sollte, erwogen die Produzenten Zanuck und Brown ernsthaft, das ganze Projekt einfach abzublasen.[27]

Spielberg selbst erinnert sich jedoch positiv an die Dreharbeiten:

,,Gerade eine solche Chaos-Produktion ist eine

Herausforderung. Die Darsteller und der Drehbuchautor saßen oft abends mit mir zusammen und wir überlegten, wie wir Szenen am nächsten Tag gestalten würden. Das war eine wichtige Erfahrung für mich."[28]

Auch für die Nachbearbeitung ließ er sich viel Zeit. Ganze sechs Monate dauerte der Schnitt, weil ihm immer neue Szenen einfielen, die den Film noch besser machen sollten. Viele Sequenzen wurden lange nach den ersten Testvorführungen aufgenommen. So wurde eine Szene, in der Hooper einen toten Fischer findet, im Swimming-Pool der Cutterin Verna Fields gedreht.[29] Als der Film dann endlich fertig war und Spielberg das Werk den Studiochefs präsentierte, erhielt er als Kommentar nur ein ,,War das alles?" und auch die Kritiken hielten sich in Grenzen. Um so erstaunlicher war der finanzielle Erfolg: Nach vier Wochen hatte der Film 60 Millionen Dollar eingespielt und acht Wochen später erreichte ,,Der weiße Hai" als erster Film die 100 Millionen Dollar Grenze. Schließlich spielte er weltweit über 400 Millionen Dollar ein.[30]

3.3. Darsteller

Da den Rollen[31] in Jaws aufgrund der eher dünnen Handlung keine bedeutende Rolle zukommt, wollen wir nur kurz auf die drei Hauptdarsteller eingehen:

Roy Scheider (Polizei Chef Martin Brody) wurde am 10. November 1935 in Orange, New Jersey, geboren An der Seite von Gene Hackman spielte er in William Fredkins The French Connection (1971). Für diese Rolle wurde er als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert. 1979 spielte er in Bob Fosses All The Jazz und war auch hier als bester Schauspieler nominiert. In der Fernsehserie Sea Quest DSV (produziert von Steven Spielberg) spielte er eine Hauptrolle. In den Fortsetzungen Jaws 2 und Jaws 3 spielt er erneut den Chief Brody.

Robert Shaw (Haijäger Quint) wurde am 9. August 1927 in Westhoughton, Lancashire, UK geboren und starb am 28. August 1978. Sein erster bekannter Film war A Man For All Seasons (1966), für den er auch als bester Nebendarsteller nominiert war. Weitere bemerkenswerte Rollen hatte er in The Sting (1973), Der Richter und sein Henker (1976) und Black Sunday (1977). Auch spielte er in einer weiteren BenchleyVerfilmung, nämlich in Die Tiefe mit.

Richard Dreyfuss (Meeresbiologe Matt Hooper) wurde am 27. Oktober 1947 in Brooklyn, New York geboren. Für seine Rolle in The Goodbye Girl (1977) bekam er den Oscar als bester Darsteller. Dreyfuss ist auch in einigen weiteren Filmen von Steven Spielberg zu sehen, dazu gehören Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) und Always (1989). In der letzten Zeit spielte er in einigen erfolgreichen Komödien, so in Down And Out In Beverly Hills (1986), Tin Men (1987) und Was ist mit Bob ? (1991).

3.4. Werbekampagne und Vermarktung des Films

Jaws sei einer der ersten Blockbuster in der Filmgeschichte und repräsentiere das, was das New Hollywood ausmache: Er gehöre zu jenen Genreproduktionen der 70er, die nach den Erfolgsmustern des traditionellen Hollywoods gestrickt seien und zugleich mit dem Einsatz modernster Tricktechnologie neue Maßstäbe setzten.[32] Allein in Nordamerika spielte Jaws in den USA eine Summe von 129 549 325 Dollar ein.

Mit Jaws wurde erstmals eine neue Art Verkaufsstrategie eingeführt; die Kinder und Eltern gleichermaßen ins Kino locken sollte. So war der Film auch für die ganzen Familie, denn eine Alterbeschränkung gab es in dem Sinne nicht; der Film wurde mit PG (parental guidance) bewertet und setzte somit nur die Begleitung der Eltern voraus.[33] Mit dem weißen Hai setzte auch erstmals ein neues Vermarktungskonzept ein - das Merchandising. Spielzeuge, T-Shirts und zahlreiche Begleitartikel wurden auf den Markt geworfen. Die Vermarktung der Nebenprodukte artete sogar soweit aus, daß die Filmproduktionsfirma (MCA Universal) in Annoncen darauf hinwies: Es ist auch ein Film.[34] Bei der Werbung zum Film setzte man ganz gezielt auf die latente Angst der potentiellen Zuschauer, in dem man den Hai zur realen Gefahr hochstilisierte. Die Reklame sprach die Sensationsgelüste der Menschen an. Der Trailer zum Film ist ein Beispiel dafür, wie die Sensationslust der Menschen angeregt wird; so erklärt der Sprecher:

,,Es gibt eine Kreatur - die heute noch lebendig ist und Millionen Jahre der Evolution überlebt hat - ohne sich zu verändern. Sie lebt, um zu töten. - Eine erbarmungslose, fressende Maschine. Sie attackiert und verschlingt alles. Es ist als hätte Gott den Teufel erschaffen - und ihn einen Kiefer gegeben.[35]

Dann schließt der Trailer mit dem Satz: ,,See it - Before you go swimming."

Die Wirkung der neuen Strategie wirkte sich auch in der Berichterstattung der Presse aus, die auf der einen Seite die Angstmache und Sensationslust kritisierte und auf der anderen Seite bedauerte, daß der eigentliche Film im Werberummel unterginge. Während sich der Spiegel z.B. um den Ruf des Hais sorgte und richtigstellte, daß sich ein echter Hai anders als ein Plastikhai verhalten würde,[36] kritisierten andere Zeitungen den Werberummel. So titelte auch die Süddeutsche Zeitung: ,,Dummer Rummel um einen anständigen Film" und bemängelte, daß der Reklamerummel den eigentlichen Film in den Hintergrund dränge:

(...) der CIC-Verleih wollte auch hierzulande nicht kleckern, sondern klotzt im Rahmen der aufwendigsten Reklameschlacht, die je in Deutschland für einen Film geschlagen wurde, nun dem Anzeigenleser und potentiellen Haiopfer mannigfaltige Pseudo-Aufklärung mit Tatsachen über den Hai entgegen.[37]

Auch die Frankfurter Allgemeine schaute argwöhnisch auf die Kritiken hinsichtlich des Reklamerummels und stellte fest: ,,Sitzt man erst mal im Kino und hat vom weißen Hai auch nur den Vorspann gesehen, so sind alle Theorien vergessen, denn ein spannender und oft ein atemberaubender Abenteuerfilm zieht uns in den Bann."[38]

4. Filmanalyse

4.1. Das Desaster-Movie

,,Die Katastrophe kann jederzeit hereinbrechen und jegliche menschliche Existenz vernichten. Diese und ähnliche Weltuntergangsvisionen prägen in zahllosen Varianten vor allem den amerikanischen Film in den 70er Jahren und treffen - wie sich an der Kinokasse zeigt - auf entsprechende Publikumsbedürfnisse."[39] Auch der weiße Hai läßt sich diesem Genre zuordnen.

Der Erfolg von Spielbergs Film läßt sich anhand des Booms der damaligen Katastrophenfilme, der sogenannten ,,Desaster-Movies", erklären. Die ersten Produktionen wie Airport (1969), Höllenfahrt der Poseidon (1972) als Prototyp dieser Filmgruppe[40], Erdbeben, Flammendes Inferno (alle 1974) bis zum Weißen Hai, zählen zu den eigentlichen Begründern des Katastrophenfilms als formal und inhaltlich ausgeprägtes Genre, das sich in die Kategorien Natur- und Technikkatastrophen, sowie TierMonsterfilme unterteilen läßt.[41] Mit dem Weißen Hai setzte in den USA eine Welle typischer Tier-Monsterfilme ein; viele Folgefilme griffen die Variante erneut auf und überlagerten die Natur- und

Technikkatastrophen als Gegenstand und lösten ihn sogar weitgehend ab. Mit Produktionen wie King Kobra (1980), Grizzly (1976) oder auch Orca - Der Killerwal (1977) wurde das Genre weiter fortgesetzt. (Eine genaue Übersicht über die Katastrophenfilme der 70er Jahre befindet sich im Anhang dieser Arbeit.) Die Handlung und die Aussagen sind bei allen Katastrophenfilmen weitgehend identisch, nur die Sujets der Handlung wechseln und das Ausmaß der Katastrophen wird immer gigantischer.[42] Ein klassisches Merkmal des Genres ist die Gruppe von Charakteren, die sich von Anfang an der Gefahr bewußt sind und die Initiative ergreifen wollen. Eine Person oder Gruppe möchte in der Regel die Gefahr nicht wahr haben oder vertuscht und verharmlost sie aus wirtschaftlichen und persönlichen Interessen. Meist haben diese Personen mehr Macht als die Initiatoren. Dieses für Katastrophenfilme typische Spannungselement wird auch in Spielbergs Jaws angewandt: Hier sind es Brody, Quint und Hooper, die den Hai von Anfang an als Gefahr ansehen und bekämpfen wollen, aber den Bürgermeister nicht überzeugen können. Auch hier eskaliert dadurch erst die Katastrophe. Dieses Spannungselement ist z.B. auch im Film Untergang der Poseidon zu finden, in dem eine kleine Gruppe die Gefahr auf sich nimmt und einen Ausweg aus der Katastrophe sucht. Auch in Erdbeben (1974) erkennt ein aufstrebender, junger Geologe von Anfang an die Bedrohung eines kommenden Bebens. Doch seine Warnungen und Forderungen auf Evakuierung werden verdrängt.

Das Aufkommen dieses Katastrophenfilm-Genres läßt sich aber vor allem mit der damaligen gesellschaftlichen und politischen Situation Amerikas erklären. Die Konjunktur des Genres entsprach in den 70er Jahren dem weit verbreiteten Krisenbewußtsein der amerikanischen Gesellschaft, ohne dessen Ursachen und Bezugspunkte aufzugreifen. Die Filme bestätigten es und lenkten gleichzeitig davon ab.[43] Für Helmut Korte ist dies nichts weiter als ein bewährter Mechanismus der Angstbewältigung:

Sie dienten dem Zuschauer vor allem als Angstventil; ,,konnte man hier doch die eigenen, in der Realität angestauten, aber vielfach nur unklar lokalisierten Ängste in ihrer ganzen Ambivalenz ungestraft ausleben und sich dem lustvollen Betrachten des Unglücks anderer hingeben und sich Mut für den eigenen Lebenskampf holen (...)."[44]

4.2. Die amerikanische Gesellschaft in den 70er Jahren

Um den Gesellschaftsbezug in Jaws herstellen zu können, muß zunächst die politische und gesellschaftliche Situation der USA in den 70er Jahren genauer beschrieben werden: Ende der 60er Jahre hatte sich der Wirtschaftswachstum weltweit und vor allem in den USA verlangsamt. Mit der 1973 einsetzenden Ölkrise, die eine weltweite Rezession und steigende Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, verschlimmerte sich die Situation. Die Umweltverschmutzung wurde immer offenkundiger, genauso wie die Armut in den Ländern der ,,Dritten Welt". Waren die Amerikaner es zuvor gewohnt, ihr Land als großes Vorbild zu sehen, wurde nun das Selbstvertrauen der amerikanischen Gesellschaft erschüttert. Weltweit machte das Wort des ,,häßlichen Amerikaners" die Runde.[45] Der auslösende Grund für den Identitätsverlust war vor allem der Vietnam-Krieg, der als das ,,Vietnam-Trauma" in die amerikanische Geschichte einging: Im August 1964 nahmen die USA den ,,TongkingZwischenfall" (Angeblich waren amerikanische Schiffe von Vietnamesischen Torpedobooten beschossen worden) zum Anlaß für die Intervention mit eigenen Streitkräfte in Südvietnam und einem Luftkrieg gegen Nordvietnam. Die USA befürchtete, daß Südvietnam durch den Nordvietnamesischen Einfluß kommunistisch würde und damit auch die benachbarten Länder vom Kommunismus bedroht werden könnten (Domino-Theorie). In der amerikanischen Bevölkerung, die täglich das Grauen des Krieges in den Medien verfolgen konnte, entwickelte sich eine Anti-Kriegsbewegung, die 1967 weite Kreise der Gesellschaft erfaßt hatte. Im Jahre 1970 erreichte der Krieg einen seiner ersten Höhepunkte. Die USA hatte Kambodscha angegriffen (die Invasion war geheim beschlossen worden) und bei Demonstrationen an der Kent University (Ohio) waren Studenten von der Nationalgarde erschossen worden. ,,Der Mord an Frauen und Kindern durch amerikanische Soldaten in My Lay und Berichte über Drogenmißbrauch innerhalb der Armee und anderes mehr erschütterte das Selbstvertrauen der Amerikaner, die zunehmend die Richtigkeit der amerikanischen Politik bezweifelten."[46] Die Mehrheit der Bevölkerung war entsetzt von den ständigen irreführenden Verlautbarungen und Versuchen des Landes, eigene Mißstände und

Mißachtungen der Verfassung zu vertuschen. (Präsident Johnson hatte ab 1965 Kampftruppen nach Vietnam geschickt, aber der Kongreß hatte nie offiziell den Krieg erklärt und dennoch alljährlich die hohen Militärausgaben bewilligt.)[47] Die Einmischungen der USA in Vietnam, Laos und Kambodscha wurden von Anfang an unter dem beschönigenden Begriff ,,Informationskontrolle" geheimgehalten.[48] Nicht zuletzt wegen den Protestbewegungen in der Bevölkerung wurde der Vietnam-Krieg 1973 unter Präsident Richard M. Nixon (1969-1974) mit einem Waffenstillstand beendet. Nach Abzug der amerikanischen Truppen gingen die Kämpfe weiter, bis 1975 auch der letzte Widerstand der Südvietnamesen zusammenbrach. Die USA waren mit großen Plänen nach Indochina gekommen, hatten es aber unverrichteter Dinge wieder verlassen müssen. Während des Vietnam-Krieges kamen über 55 000 Amerikaner und weit über eine Million Asiaten ums Leben.[49] Die erfolglose Intervention Amerikas ,,gegen ein drittrangiges Entwicklungsland" war die erste Niederlage der Weltmacht USA. Das hinterließ ein bleibendes Trauma, das wie bereits erwähnt auch verstärkt in Hollywood-Produktionen seinen Ausdruck fand und laut Helmut Korte auch maßgeblich für den Katastrophenfilm-Boom verantwortlich war:

,,Von zentraler Bedeutung war zweifellos der VietnamKrieg (ab 1965) und nicht nur die Brutalität der Kriegführung, sondern vor allem der damit zusammenhängende weltweite Widerstand in der Öffentlichkeit, der schließlich zum Rückzug der USTruppen (1975) führte."[50]

Die politischen Skandale der Zeit schadeten der Selbsteinschätzung der Amerikaner zusätzlich. Neben den CIA-Aktivitäten in Lateinamerika ist die Watergate-Affäre von 1973 die gravierendste: Während des Wahlkampfes um die Präsidentschaft 1972 waren Anhänger des Wiederwahlkomitees Nixons unter dessen Mitwissenschaft in die nationale Parteizentrale der Demokraten eingebrochen. Nixons persönlicher Geheimdienst (Die White House Special Investigation Unit) waren in das Hauptquartier des Gegenkandidaten McGovern im Watergate-Hotel eingedrungen, um Abhörwanzen zu installieren.[51] Bei späteren Verhandlungen kam heraus, das jener privater Geheimdienst auch im Weißen Haus ,Wanzen` angebracht und Telefonate aufgezeichnet hatte.[52] Wegen der Vertuschung strafbarer Handlungen seiner Wahlhelfer und unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit trat Nixon schließlich im August 1974 von seinem Präsidentenamt zurück, um so einem drohenden Impeachment-Verfahren zuvorzukommen. Nachfolger wurde sein Vize Gerald Ford. Das Mißtrauen gegenüber staatlichen Institutionen, vor allem gegenüber dem Präsidentenamt, stieg durch die politischen Skandale stark an.

Aufgrund dieser historischen Ereignisse befand sich die amerikanische Bevölkerung in den 70er Jahren in einer schweren Identitätskrise.[53] In wie weit auch Jaws dieses Gesellschaftsbild verarbeitet hat, wollen wir im folgenden Kapitel analysieren.

4.3. Gesellschaftsbilder in JAWS - Kritik am american way of life ?

Ein Schwerpunkt des Films liegt in der Darstellung der Verharmlosung und Vertuschung der Gefahr durch den Bürgermeister und des naiven und stupiden Verhaltens der Inselbewohner. Gerade hier lassen sich Parallelen zur gesellschaftlichen Situation der 70er Jahre erkennen. Diese Thematik wird in der ersten Hälfte des Films (Szenen 1-25) behandelt und kann durchaus als Kritik am american way of life verstanden werden. Das Verhalten der naiven Touristen und geldgierigen Inselbewohner, die auf Kosten der Sicherheit an das Tourismusgeschäft denken, läßt sich vor allem auf den ,,konsequenten und egoistischen Individualismus"[54] beziehen, der ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Lebensweise und Ideologie ist. Eigentum und Wohlstand sei Teil der persönlichen Sphäre, so Peter Lösche: ,,Die eigene Persönlichkeit konstituiert sich erst dadurch, daß zu ihr Eigentum gehört, welches vor Übergriffen eigens geschützt, ja nachgerade heiliggesprochen werde."[55] Auch in Jaws bestehen die Menschen in Amity auf ihr Eigentun, nämlich die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft. Dies führt gerade am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, zur Eskalation der Katastrophe. Die zweite Filmhälfte (Szenen 26-35), in der Brody, Quint und Hooper auf die Jagd nach dem Hai gehen, ist eher charakteristisches Popcorn-Kino und beinhaltet vor allem Elemente des Abenteuerfilms. Betrachtet man den Charakter Martin Brody aber gerade in der zweiten Hälfte genauer, läßt sich auch hier ein Gesellschaftsbezug feststellen.

In der folgenden Analyse wollen wir die beiden Filmhälften einzeln untersuchen und anhand ausgesuchter Szenen die Gesellschaftsbezüge und Kritikpunkte am american way of life herauskristallisieren.

Abschließend wollen wir die Absichten Spielbergs untersuchen, um herauszufinden, ob der Gesellschaftsbezug als Kritik dient und eine Moral beinhaltet, oder lediglich für die Erzeugung von Spannung genutzt wird. Doch zuvor wollen wir den Begriff etwas genauer klären: Unter dem Begriff ,,american way of life" muß die Gleichheitsauffassung und das Freiheitsprinzip der Amerikaner, sowie das Streben nach Verwirklichung der eigenen Interessen verstanden werden,[56] ebend der oben genannte Individualismus. Die Lebensweise der Amerikaner umfaßt die alten Tugenden der Pionierzeit, wie das setzen klarer, moralischer und verbrämter Ziele, sowie ihre Verwirklichung mit Pragmatismus und Gottvertrauen.[57] Es umfaßt den Gedanken, daß individuelle Arbeit und Leistung zum Erfolg führen; also den sogenannten ,,american dream".[58] Im Vordergrund steht das Streben nach Selbstverantwortung. Für den Amerikaner ist z.B. Verwaltung gleichbedeutend mit dem Eingriff in seinen persönlichen Freiraum.[59]

4.3.1. Erste Hälfte: Verharmlosung und Eskalation der Gefahr

a) Der Bürgermeister Vaughn

Die erste Hälfte des Films schildert zunächst ausführlich das Milieu des Ortes und den politischen Konflikt zwischen dem Poizeichef Brody, der den Strand von Anfang an sperren will und dem Bürgermeister, der um den Badebetrieb und die Einnahmen durch den Tourismus besorgt ist. Die Thematik hat bereits in der Romanvorlage von Benchley eine große Bedeutung und wird dort sogar noch intensiver behandelt. (Im Roman wird Brody mit der Entlassung gedroht, wenn er sich nicht nach den Vorstellungen des Bürgermeisters richtet). [60] Diese Meinungsverschiedenheiten prägen die erste Stunde des Films. Während Brody fortwährend um die Sicherheit der Menschen besorgt ist, vertuscht und verharmlost der Bürgermeister die eigentlich eindeutige Situation. Der Charakter des Bürgermeisters wirkt von vornherein unseriös (allein durch die Farben seines Jacketts wirkt er auf den Zuschauer wie ein unseriöser Staubsaugervertreter oder Gebrachtwagenhändler). Mehrere Filmszenen zeigen die Vertuschungsmaßnahmen, Korruption und Verharmlosungen des Bürgermeisters.

- Beispiel 1: (Szene 8: Gespräch auf der Fähre)

Brody fragt den Amtsarzt nochmals nach der Todesursache des ersten Opfers (Crissie).

Vaughn: ,,Eine Schiffsschraube ?"

Amtsarzt: ,,Nun, ich denke,...möglicherweise ja. Ein Bootsunfall !"

Brody: ,,Gerade hat das aber noch anders geklungen."

Amtsarzt: ,,Bitte. Ich habe mich geirrt; Wir ändern unsere Berichte ebend entsprechend."

Brody: Und sie werden dafür einstehen." Amtsarzt: Ja, ich stehe dafür ein."

Der Bürgermeister überredet den Amtsarzt zu der Diagnose, daß die Verletzungen des ersten Opfers auch von einer Schiffsschraube herrühren könnten.

- Beispiel 2: (Szene 23: , Interview mit dem Bürgermeister am Strand) In dieser Szene verharmlost der Bürgermeister in einem Interview die Hai-Unglücke und verheimlicht, daß die Gefahr immer noch nicht gebannt ist.

Vaughn: ,,Ich bin glücklich über die Gelegenheit zu betonen, daß wir tatsächlich vor einigen Tagen einen großen Raubfisch erlegen konnten, der angeblich einige Leute verletzt hat. Aber sehen sie diesen wundervollen Tag; der Badestrand ist geöffnet und überall freut man sich seines Lebens. Amity heißt übersetzt bekanntlich Freundschaft."

b) Der Ort ,,Amity" und seine Bewohner; Touristen

Aber auch die Inselbewohner interessieren sich eher für das Touristengeschäft als für die Sicherheit. So sind die Geschäftsleute von Amity auch empört und wütend, als Brody die Strandsperrung auf einer Versammlung im Rathaus verkündet (Szene: 10). Eine Hotelbesitzerin erklärt Brody sogar : ,,Das ist nicht nur ein menschliches Problem, sondern auch ein geschäftliches." Die Darstellung der Inselbewohner und Touristen, sowie des Milieus, fällt durch seine überhebliche Idylle auf. Spielberg präsentiert uns eine perfekte friedliche Kleinstadt mit gepflegten, weißen Häusern. Jeder kennt jeden und Brody spricht alle beim Vornamen an. An einer Stelle des Films zwitschern sogar die Vögel und Brody schaut zufrieden in den Himmel (Szene 7); an einer anderen Stelle machen sich Brody und seine Frau über den Dialekt Amities lustig (Szene 4). Benchley hat das Dorf sicherlich nicht zufällig Amity, also Freundschaft, genannt. Die Inselbewohner haben nur geringfügige Probleme. Brody muß sich lediglich um Falschparker kümmern und sich die Klagen über einen beschädigten Zaun und Fahrradreifen anhören (Szene 7). Als seine Frau ihn bittet, vorsichtig zu sein, sagt Brody belustigt: ,,In dieser Stadt ?" (Szene 4). Auch ein Beamter erklärt: ,,Wir haben noch nie Ärger in unseren Gewässern gehabt." (Szene 8) Der ,,Heile-Welt-Gedanke" zieht sich durch die erste Hälfte des Films. Die Naivität der Inselbewohner wird vor allem deutlich, als der Hai angeblich gefangen wurde (Szene 17). Fröhlich stellt sich der Bürgermeister mit einigen Inselbewohnern für ein Zeitungsfoto vor den getöteten Tigerhai, der offensichtlich nicht für die Morde verantwortlich war. Bei den Menschen gilt das Problem als gelöst. Sie haben einen Sündenbock gefunden, so daß endlich die Touristen kommen können. Außer Brody erkennt keiner der Inselbewohner den Ernst der Lage.

,, Jaws lebt von diesem Kontrast zwischen einer scheinbar schier sorgen- und konfliktfreien Zivilisationsidylle, einem Ferienparadies an der US-Ostküste, und der bedrohlich urtümlichen Natur; verkörpert im weißen Hai."[61]

In Amity herrscht der geschäftige Frieden der beginnenden Badesaison.[62]

Durch das Auftauchen des weißen Haies wird letztendlich das

,,Sicherheitsgefühl" der Menschen zerstört, die glaubten, die Natur bezwungen und sich untertan gemacht zu haben.[63]

Stellt man nun den gesellschaftlichen Bezug und politischen Kontext zum ersten Teil des Films her, spiegelt vor allem die Darstellung des korrupten Bürgermeisters Vaughn die Nachwirkungen der Watergate-Affäre und des Vietnam-Traumas, also das Mißtrauen und die Skepsis der Bevölkerung über die Entscheidungsträger des Landes wider. Die stupide Darstellung des Ortes ,,Amity" und dessen Bewohner verschärft den Effekt. Nicht nur die Inselbewohner wirken naiv, sondern auch die anreisenden Touristen, da diese ebenfalls die Gefahr des Hais bis zur Eskalation der Katastrophe kaum wahrnehmen. Auch Spielberg wird im ,Spiegel` dem entsprechend zitiert, der seinen Hai als ,,Volksfeind" bezeichnete:[64]

,,An Watergate erinnere ihn der Filmschauplatz: Der von stupiden Touristen bevölkerte Badeort wird von geldgierigen Geschäftsleuten und einem korrupten Bürgermeister beherrscht, die erst nach etlichen Hai-Toten die Strände sperren und die Badenden warnen lassen."[65]

Laut Spiegel würde hiermit die Moral beiläufig mitgeliefert. So sei Regisseur Spielberg auch um die ,,Zukunft des guten, starken und aufrechten Amerika besorgt.[66] Das Vertuschen und Verharmlosen der

Katastrophe durch die Behörden, sowie das Verhalten der Inselbewohner, die auch auf Kosten der Sicherheit an ihre Geldeinnahmen denken, führt schließlich zur Eskalation der Katastrophe. Dies alles läßt sich durchaus als Kritik am ,,american way of life" verstehen. Schließlich ist es ja gerade der ,,übertriebene Geschäftsgeist des Bürgermeisters und der Geschäftsleute Amities, die für die Ausbreitung der Gefahr verantwortlich ist.[67]

4.3.2. Zweite Hälfte: Kampf gegen den Hai - Beseitigung der Gefahr

Während sich also die erste Hälfte des Films mit der gesellschaftlichen und politischen Moral der Zeit auseinandersetzt, kann die zweite Hälfte des Films, nämlich die Jagd auf den Hai, am ehesten als ein typisches Popcorn-Kino-Element verstanden werden. Hier überwiegt die ,Action`. An dieser Stelle erinnert die Story an Hermann Melvilles Moby Dick (1851).[68] Vor allem Quint ähnelt Kapitän Ahab. In der Einsamkeit des Meeres wird die Bedrohung der Menschen durch eine unheimliche Naturgewalt sinnlich erfaßbar und erfahrbar.[69] Der Film wird mit seiner zweiten Hälfte zu einen klassischen Abenteuerfilm. Während die Filmmusik in der ersten Hälfte eine beängstigende und erschreckende Atmosphäre erzeugt und den Zuschauer in Unruhe und Angst versetzt[70], vermittelt sie in der zweiten Hälfte das Gefühl von Freiheit und Abenteuer.

Aber auch hier findet ein Bezug zur damaligen Gesellschaftssituation statt, indem der american dream thematisiert und aktualisiert wird. Dieser wird vor allem bei der Betrachtung der Hauptrollen deutlich.

Die Rolle der Charaktere Brody, Quint und Hooper Mit Brody, Quint und Hooper wird der Kampf gegen den Hai von drei Männern geführt, die sich nicht nur vom Charakter her unterscheiden, sondern auch eindeutig gesellschaftliche Unterschiede aufweisen. Laut Karasek handle es sich sogar um eine Männerkameraderie, die aus extrem feindlichen Typen bestehe: Martin Brody als kleinbürgerlicher Durchschnittsamerikaner, Quint als rauher Seemann und der Intellektuelle Meeresbiologe Hooper aus reichen Familienverhältnissen, verstünden einander schon wegen ihrer Klassenunterschiede nicht.[71] Doch die Gefahr und das gemeinsame Interesse, die Bedrohung zu beseitigen, schweißt sie zusammen. Die Unterschiede werden besonders zwischen Quint und Hooper deutlich. Beide verstehen sich auf Anhieb nicht und geraten leicht in Streit. So zerdrückt Quint in einer Szene seine Bierdose, woraufhin Hooper mit verzerrten Gesicht seinen Pappbecher mit der Hand zerdrückt (Szene 30). Quint, erfahrener Haijäger, nimmt aus beruflichem Interesse an der Jagd teil. Er verkörpert Erfahrung, Brutalität und Kraft.[72] Aber hier muß er versagen, denn er wurde bereits einmal von Haien fürchterlich geschädigt. Nachdem er seine Erlebnisse aus dem Krieg und von dem Untergang der Indianapolis erzählt hat, scheint er sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Er bekommt Panik und zertrümmert z.B. das Funkgerät. Letztendlich wird er gefressen. Matt Hooper, der reiche Hai-Experte sucht aus Abenteuerlust und wissenschaftlichem Interesse nach dem Hai. Er ist ebenfalls ein Profi, doch seine technische Ausrüstung versagt hier und er steht ebenfalls als Versager dar.[73]

Martin Brody allerdings wird von moralischer Verantwortung getrieben. Er hat offensichtlich Gewissensbisse, weil er den Tod des Kintner-Jungen nicht verhindern konnte und das Leben seiner eigenen Kinder unmittelbar in Gefahr war[74] (Szene 24). Er ist es, der von Mrs. Kintner die Schuld für den Tod ihres Sohnes bekommt (Szene 17). Brody verkörpert im Film den kleinen, durchschnittlichen amerikanischen Familienvater, der von Anfang an die Gefahr erkennt und gegen die Vertuschungen des korrupten Bürgermeister von Amity kämpft. Der kleine durchschnittlicher Polizist ist mit seiner Familie von New York auf die Insel gezogen, um der hohen Kriminalität zu entkommen. Obwohl er wasserscheu ist und auch während der ganzen Jagd auf den Hai eher einen panischen und ängstlichen Eindruck macht (Zitate: Wir werden ein größeres Boot brauchen. ( Szene 30) ; Ich bin noch nicht betrunken genug, um auf ein Boot zu steigen (Szene 19) .; etc.), geht er aus dem Kampf letztendlich als einziger Sieger hervor. Dabei kämpft er in der letzten Szene praktisch mit dem Hai Auge um Auge:

(Szene 33): Das Boot sinkt und Brody klammert sich am Mast fest. Er befindet sich im Element des Hais - im Wasser. Ohne zu zögern wirft er dem Hai eine Sauerstoffflasche in den Rachen und schießt mehrmals gezielt auf den Hai, bis dieser schließlich explodiert. Brody: ,,Komm her du Schwein, ich spreng` dich in die Luft, du Teufel..."

Unerbittlich setzt er dem Hai zu. Obwohl die Situation aussichtslos erscheint, gibt Brody nicht auf. Hier wird in Gewisser Weise der a merican dream aktualisiert. ,,Jeder ist seines Glückes Schmied, Hoffnung ist immer vorhanden, auch in ausweglosen Situationen - wenn man sich nicht blind dem Schicksal ergibt und verzagt, sondern handelt.[75] Der Charakter des Chief Brody nimmt an dieser Stelle eine Vorbildfunktion ein. Das erschütterte und mißtrauische Volk soll den Glauben an den Amerikanischen Traum wiedergewinnen. Brody überwindet am Schluß also seine Ängste und löst das Problem. Er nimmt praktisch eine Wandlung vor, die auch sein letzter Satz ,,Und ich war mal wasserscheu", unterstreicht. Der eigentliche Anti-Held aus der Mittelschicht besiegt die Gefahr, nachdem der erfahrene Haifänger Quint und der Meeresforscher Matt Hooper trotz seiner High-Tech-Geräte, kläglich scheitern.

,,Indem der kleine Polizist Brody die Katastrophe bewältigt, gibt dieser dem amerikanischen Publikum das Vertrauen in die Lösbarkeit derartiger Konflikte zurück."[76]

Der Kampf und die Konfliktbewältigung des Einzelnen, kleinen Normalbürgers mit dem Weißen Hai sei eine überschaubare Konfliktbewältigung und biete eine Ventilfunktion für die eigenen Ängste.[77] Der Hai ist vor allem in der ersten Hälfte eine unsichtbare Bedrohung, der man nicht entkommen kann. Er wird zu einer ,,anonymen, ungreifbaren Macht hochstilisiert. So verkörpert der ,,Weiße Hai", von dem die Gefahr im Film ausgeht, die allgemeinen Ängste, Probleme und Krisen, die in den 70er Jahren, die für die Verunsicherung des amerikanischen Volkes verantwortlich waren. Laut Spiegel zeige Spielberg seinem Publikum so ein Lehrstück des Überlebens.[78] Indirekt würde ,,Jaws" auch die Werte wie Treue und Familie verherrlichen, anstelle der Verherrlichung von heldenhaften Einzelgänger.[79] Auch hierbei könnte man einen Kritikpunkt am american way of life sehen. Jaws feiert nämlich nicht wie üblich das Individuum und den leadership-Gedanken, ,,wie es mit Rambo über John Wayne bis hin zum Staranwalt in Filmen zelebriert würde"[80], sondern krönt den durchschnittlichen, kleinen Familienvater zum Helden.

4.3.3. Gesellschaftsbezug als Spannungselement

Spielberg nutzt die Symbole der Kleinstadt offensichtlich dazu, die Spannung des Films zu steigern. Er übertreibt die Darstellung und schafft so einen absolut friedlichen Ort. Indem er diese idyllische Szenerie schafft, in die ein riesiger Killer-Hai hereinbricht, wird das Grauen erst richtig zur Katastrophe. Spielberg nutzt diese Darstellungen also gezielt für seine Filmdramaturgie, um den Zuschauer zu fesseln. Die gleiche Absicht steckt hinter dem Bild des Konfliktes zwischen Brody und Vaughn, durch den die Handlung erst seine Dramatik bekommt.

Das Spielberg auch sozialkritische Ambitionen gehabt hat, ist fraglich. Die gesellschaftskritischen Ansätze sind eher auf die Romanvorlage von Peter Benchley zurückzuführen: In der Romanhandlung steht die Dorfbevölkerung und der Bürgermeister im Vordergrund, die den Tod der Badegäste in Kauf nehmen, um sich nicht das Saisongeschäft verderben zu lassen. Hier spielen auch Sensationsgier und Sensationsjournalismus eine Rolle. Diese Akzente hat Spielberg offensichtlich bewußt weggelassen, um den Film nicht zu politisch zu gestalten. Bei ihm steht die Jagd auf den Hai im Vordergrund; die gesellschaftskritischen Ansätze dienen nur seiner Spannungsdramaturgie, mit der er klassisches Popcorn-Kino geschaffen hat.

4.4. Gewaltdarstellung

In Jaws ist die Gewalt ein klarer Bestandteil; dies verlangt allein schon die Handlung, denn eine Geschichte über einen mörderischen Hai läßt sich nicht ohne Gewalt darstellen. Sie wird dennoch nicht zum Selbstzweck, wie auch die FAZ in einem Artikel bemerkte: ,,Meisterhaft sorgt die Dramaturgie des raschen Perspektivwechsels dafür, daß das Grauen sich humoristisch auflöst."[81] Auf der anderen Seite wird die Gewalt sehr direkt und teilweise grausam in Szene gesetzt. Wir sehen, wie der Junge Alex Kintner von etwas unter Wasser gezogen wird und eine Blutfontäne aus den Wasser hochsteigt. Es wird in Großaufnahme gezeigt, wie Quint in den Rachen des Hais rutscht. Nachdem der Hai zuschnappt, sickert Blut aus Quints Mund. Nicht nur einmal werden dem Zuschauer abgerissene Gliedmaßen gezeigt. Angesichts dieser Gewaltdarstellung muß man sich fragen, mit welcher Berechtigung der Film in den USA 1974 für Kinder freigegeben war, die mit ihren Eltern ins Kino gingen. (siehe 3.4.) Die Tatsache, daß die Gewalt vom Hai ausgeht und somit unberechenbar ist, verschärft die Wirkung und den erschreckenden Effekt beim Zuschauer. In Jaws geht die Gewalt nicht vom Menschen aus, sondern die Menschen sind es, die einer unberechenbaren Gewalt ausgesetzt werden. Das löst beim Zuschauer beklemmende Angstgefühle aus, die dramaturgisch so gewollt sind. Vergleicht man die Gewaltdarstellung in Jaws mit den Filmen, die zuvor in unserem Seminar behandelt wurden, fällt folgendes auf: Hier wird die Gewalt erstmals gezielt eingesetzt, um ,,Spannung" oder auch Angst zu erzeugen. Der Zuschauer soll an die Handlung gefesselt werden. Das dieser ,,Thrill" auf große Resonanz stieß, läßt sich nicht zuletzt an den Publikumszahlen ablesen. Will man auch hier einen Gesellschaftsbezug herstellen, läßt sich die Funktion der Gewalt als Angstventil begreifen, wie auch Andrea Gronemeyer meint:

,,Wenn Hollywood vormals seinen Zuschauern mit der ständigen Variation des amerikanischen Traums bei der Verdrängung ihrer tristen Wirklichkeit geholfen hatte, so läßt sich die populäre Eskalation der Gewalt auf den Leinwänden möglicherweise damit erklären, daß das Kino nun mit der ständigen Beschwörung der Katastrophe die reale Welt als vergleichbar harmlos erscheinen ließ und damit von einer als immer bedrohlicher empfundenen gesellschaftlichen Atmosphäre entlastete."[82]

Im weitesten Sinne ist Jaws ein Horror-Schocker. Der Zuschauer weiß, was ihn in Sachen Gewalt erwartet.

5. Fazit

Wir haben gezeigt, daß der ,,weiße Hai" mehr als nur reines Unterhaltungskino ist, da er die gesellschaftlichen Probleme der damaligen Zeit aufgreift. Besonders 1974 konfrontierte der Film die Zuschauer sicherlich mit der realen Gesellschaftssituation, indem er das Krisenbewußtsein der Menschen und die Nachwirkungen der WatergateAffäre und des Vietnam-Traumas aufgriff. Doch dies muß auf die Romanvorlage Benchleys zurückgeführt werden. So kritisiert die Handlung teilweise den american way of life, doch stellt der Film nicht den Anspruch, eine politische Botschaft übermitteln zu müssen. Der Erfolg des Films begründet sich in der Tat darauf, daß er die realitätsnahe Situation, nämlich eine Bedrohung durch einen Hai, als Spannungselement nutzt und mit der Angst der Zuschauer spielt. Die überspitzte Inszenierung der Idylle des Handlungsortes setzt der Regisseur gezielt ein, um den Schockeffekt beim Zuschauer zu verschärfen. Erst dadurch, daß die Gefahr in diese extreme Idylle einbricht, wird der Film zu einen spannenden und fesselnden Erlebnis für den Kinobesucher. Spielberg hat sich nicht als Ziel gesetzt, die Zuschauer zu belehren. Er hat mit dramaturgischen und technischen Mitteln einen Film geschaffen, der den Zuschauer begeistern soll. Die Produzenten wollten an den Erfolg des Romans anknüpfen. Im Film ist die Botschaft Benchleys noch vorhanden, aber nicht sein Anlaß. In der ersten Linie soll der Film also unterhalten und keine Botschaft übermitteln, das steht außer Frage. Doch betrachtet man die Elemente genauer, weist der Film ein starkes Potential auf, das über das übliche Popcorn-Kino hinausgeht. Nicht zu unterschätzen ist auch die Funktion als Angstventil vor allem 1974 und 1975, auf die wir im Zusammenhang mit der Gewaltdarstellung eingegangen sind. Der Film hatte eine ablenkende Wirkung.

Aus heutiger Sicht wirkt die Tricktechnik, die im Film zum Einsatz kommt, im Vergleich zu Jurassic Park ein wenig hölzern, auch wenn sie für die damalige Zeit recht fortgeschritten war. Der Film setzte mit Sicherheit Maßstäbe für weitere Kinofilme im Unterhaltungsbereich. Jaws ist ein zeitloser Filmklassiker, der auch den heutigen Anforderungen des Popcorn-Thrillers gerecht wird und wie damals spannende Unterhaltung bietet.

6. Anhang

6.1. Literaturverzeichnis

- Benchley, Peter, 1974: Der weiße Hai, Berlin u.a.

- Benderson, Benjamin; Beier Brigitte; u.a., 1988: Meilensteine des 20. Jahrhundert, Stuttgart.

- Böhm, Ekkehard, Dr., Goertz, Heinrich, u.a. (Hrsg.), 1987: Kulturspiegel des 20. Jahrhunderts, Braunschweig.

- Bundeszentrale Für politische Bildung (Hrsg.), 1990: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Bonn.

- Faulstich, Werner, Korte, Helmut (Hrsg.), 1992: Fischer Filmgeschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M.

- Giesen, Rolf, 1979: Der phantastische Film, Berlin

- Gronemeyer, Andrea, 1998: Schnellkurs Film, Köln

- Jäger /Weltz, 1995: Regierungssystem der USA, München, u.a.

- Karasek, Hellmuth, 1994: Mein Kino, die 100 schönsten Filme, 3. Aufl., Hamburg.

- Koebner, Thomas (Hrsg.), 1995: Film-Klassiker, Bd. 3, Stuttgart · Krusche, Dieter, Reclams Filmführer, Stuttgart, 1996.

- Loderhose, Willy, 1995: Steven Spielberg. Der Herr der Träume, Bergisch Gladbach.

- Lösche, Peter, 1989: Amerika in Perspektive, Darmstadt.

- Monaco, James, 1979: American Film Now, 2. Aufl., München u.a.

- Quard, Leonard, Auster, Albert (Hrsg.), 1991: American Film and Society since 1945, 2. Aufl., New York.

- Robertson, Patrick, 1993: Guinnes-Buch des Films, Berlin.

- Stresau, Norbert,1985: Der Oscar, 2. Aufl., München.

- Stockmann, Ralf, 1998 (Hrsg.): Textsammlung. Filme in den USA I. Gesellschaftsbilder, Göttingen.

Tageszeitungen, Zeitschriften:

- Süddeutsche Zeitung, 19.12.1975, Nr. 292.

- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.1975, Nr. 296. · Der Spiegel Ausgabe, Nr. 30/1975.

- Ausgabe, Nr. 51/1975.

- Ausgabe, Nr. 8/1994. · Ausgabe, Nr. 11/1994. · Ausgabe, Nr. 12/1994.

- Der Tagesspiegel, 21.10.1975, Nr. 9202. · Die Welt, 30.12.1975, Nr. 302. Internet:

- http://www.imdb.com

- http://www.winternet.com/~tandj04/jaws/

6.2. Überblick: Katastrophenfilme

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

6.3. Filmografie Steven Spielberg

Amateurfilme:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fernsehfilme Regie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Episoden zu Fernsehserien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kinofilme (Produzent (P) bzw. Regie (R):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

6.4. Credits

Polizeichef Martin Brody: Roy Scheider

Matt Hooper: Richard Dreyfuss

Capitan Quint: Robert Shaw

Ellen Brody: Lorraine Gary

Larry Vaughn: Murray Hamilton

TV-Reporter am Strand: Peter Benchley

Produzenten: Richard D. Zanuck David Brown

Drehbuch: Peter Benchley, Carl Gottlieb Kamera: Bill Butler

Unterwasserkamera: Rexford Metz, Michael Duggan Haiaufnahmen: Ron und Valerie Taylor Spezialeffekte: Robert A. Mattey Mechanische Effekte: Joseph Alves jr. Musik: John Williams

Schnitt: Verna Fields

[...]


1 Zitiert nach Spiegel, 8/94, S.169.

2 Vgl.: Spiegel, 30/75, S. 81-82.

3 Zitiert nach Spiegel, 51/1975, S. 118.

4 Loderhose, Willy, Steven Spielberg. Der Herr der Träume, Bergisch Gladbach 1995, S. 48.

5 A.a.O.: S. 16.

6 A.a.O.: S. 20.

7 A.a.O.: S. 23.

8 A.a.O.: S. 25.

9 Monaco, James, 1979: American Film Now, 2. Aufl., München u.a., S.137.

10 A.a.O.: S.137.

11 Loderhose, S. 46.

12 Stresau, Norbert,1985: Der Oscar, 2. Aufl., München, S. 346.

13 A.a.O.: S. 75.

14 Meinung der Hausarbeitsverfasser.

15 Spiegel, 8/94, S. 182.

16 Spiegel, 8/94, S.3.

17 A.a.O.: S. 3.

18 A.a.O.: S. 185.

19 Gronemeyer, Andrea, 1998: Schnellkurs Film., S. 171.

20 Vgl.: a.a.O.

21 Stockmann, Ralf, 1998 (Hrsg.): Textsammlung. Filme in den USA I. Gesellschaftsbilder, S. 185, Göttingen.

22 A.a.O.: S. 186.

23 Monaco, S. 137.

24 Vgl.: Koebner, Thomas (Hrsg.), 1995: Film-Klassiker, Bd. 3, Stuttgart S. 364.

25 Karasek, Hellmuth, 1994: Mein Kino. Die 100 schönsten Filme, 3. Aufl., Hamburg, S. 410.

26 A.a.O., S. 411.

27 Loderhose, S. 47.

28 A.a.O, S. 48

29 Loderhose, S. 48.

30 a.a.O., S. 49.

31 http// www.winternet.com/~tandj04/jaws/

32 Gronemeyer, S. 168.

33 Vgl.: Karasek, S.408.

34 Textsammlung, S. 181.

35 zitiert aus dem Kinotrailer zu Jaws, den wir ins Deutsche übersetzt haben.

36 Spiegel, .51/75, S. 118-120.

37 Süddeutsche Zeitung, 19.12.75., S. 10.

38 Frankfurrter Allgemeine Zeitung, 22. 12.1975, S. 17.

39 Vgl.: Korte, Helmut, 1992: Ängste und Katastrophen. Die Höllenfahrt der Poseidon. In: Fischer Film-Geschichte, Bd.4, Frankfurt, S. 222.

40 A.a..O.: S. 223.

41 Vgl.: A.a.O., S. 230.

42 Vgl.: Giesen, Rolf, 1979: Der Phantastische Film, Berlin, S.162.

43 Vgl.: Böhm, Ekkehard, Dr., Goertz, Heinrich, u.a. (Hrsg.), 1987: Kulturspiegel des 20. Jahrhunderts, Braunschweig, S.731.

44 Vgl.: Korte,Faulstich, S. 236.

45 Bundeszentrale Für politische Bildung (Hrsg.), 1990: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Bonn, S. 21.

46 Vgl.: a.a.O., S. 21.

47 Vgl.: a.a.O., S. 21.

48 Vgl.: Lösche, Peter, 1989: Amerika in Perspektive, Darmstadt, S. 170.

49 Benderson, Benjamin; Beier Brigitte; u.a., 1988: Meilensteine des 20. Jahrhundert, Stuttgart, S.325.

50 Korte, Faulstich, S. 235.

51 A.a.O.: S. 151.

52 A.a.O.: S. 162,163.

53 Vgl.: A.a.O.: S. 731.

54 Vgl.: Lösche, S. 282.

55 A.a.O.: S 282.

56 Jäger /Weltz, 1995: Regierungssystem der USA, München, u.a., S. 41.

57 Vgl.: Das Politische System der USA S. .

58 A.a..O.: S. 41.

59 Die Vereinigten Staaten von Amerika, S. 43.

60 Vgl.: Benchley, Peter, 1974: Der Weiße Hai, Ausgabe 1993, Berlin, S. 27- 46ff.

61 Karasek, S.407.

62 A.a.O.

63 Giesen, S.166.

64 Spiegel, 30/1075, S. 81.

65 A.a.O., S. 81.

66 A.a.O., S. 82.

67 Vgl.: Giesen, S. 167.

68 A.a.O.: S. 168.

69 Krusche, Dieter, 1996: Reclams Filmführer, Stuttgart, S. 316.

70 Vgl.: Karasek, S.409.

71 Vgl.: a.a.O.: S. 411.

72 Textsammlung, S. 186.

73 Vgl.: A.a.O., 187.

74 Vgl.: Korte,Faulstich, S. 365.

75 A.a.O.: S. 236.

76 Koebner, S.365.

77 A.a.O., S. 365.

78 Vgl.: Spiegel, 30/1975, S. 81.

79 Vgl.: Quart, Leonard; Auster, Albert, 199: American Film And Society Since 1945, New York, S. 124-125.

80 Vgl.: Lösche, S. 283.

81 A.a.O.

82 Gronemeyer, S. 153-154.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Steven Spielbergs "Der Weiße Hai"
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Anfängerübung: Film in den USA - Gesellschaftsbilder
Autor
Jahr
1998
Seiten
42
Katalognummer
V94884
ISBN (eBook)
9783638075640
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Steven, Spielbergs, Weiße, Georg-August-Universität, Göttingen, Institut, Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Anfängerübung, Film, Gesellschaftsbilder, Dozent, Dipl, Sozialwirt, Ralf, Stockmann
Arbeit zitieren
Stephan; Kater Giesers (Autor:in), 1998, Steven Spielbergs "Der Weiße Hai", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94884

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Steven Spielbergs "Der Weiße Hai"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden