Joan Miró (1893-1983)


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

8 Seiten


Leseprobe


Joan Miró (1893-1983)

Von:Buongustaio

Leben:

Joan Miró wird am 20. April 1893 als Sohn eines Uhrmachers und Goldschmieds in

Barcelona geboren. Der Vater stammt aus der Provinz Tarragona, die Mutter von der Insel Mallorca. Seiner Geburtsstadt und der Heimat seiner Eltern bleibt Miró über Jahrzehnte hinaus verbunden. Er wächst im elterlichen Haus in der Pasaje del Credito in der Altstadt Barcelonas auf.

Schon in der Schulzeit nimmt Miró an freiwilligen Malkursen teil. Die frühesten erhaltenen Zeichnungen stammen aus dem Jahre 1901. Es sind kleine Blätter mit Zeichnungen von Bäumen und Windmühlen sowie Aquarelle in Postkartengröße. Der Künstler erklärte einmal: "Diese Mühlen stehen noch. Sie finden sie oberhalb der Uferstraße. Am Ende von Palma. Doch ihre Räder drehen sich nicht mehr, und abends werden sie elektrisch illuminiert. Die Räume sind ein modernes Tanzetablissement geworden."

Zeichnen und Malen werden zur Lieblingsbeschäftigung des empfindsamen, verschlossenen und schweigsamen Knaben. Die große Leidenschaft des Vaters ist die Astronomie, mit der sich später auch der Sohn beschäftigt. 1907 wechselt Miró von der Mittelschule zur Handelsschule über. Nebenher besucht er Kurse an der Kunstschule de la Llonja. Er widmet sich vor allem der zeichnerischen Fortbildung. Drei Jahre später wird er Büroangestellter einer Drogerie.

Eine schwere Erkrankung veranlaßt seine Eltern, ihn auf das Landgut in Montroig zu bringen, wo er sich endgültig für die Malerei entscheidet. Mit Zustimmung seiner Eltern kann er endlich 1912 in die Kunstschule von Francesco Gali eintreten, wo er bis 1915 studiert. Er malt seine ersten Ölgemälde.

1915 bezieht Miró gemeinsam mit dem Maler RICART sein erstes Atelier. Eine Reihe von Stilleben entsteht. Er malt 9 fauvistische¹ Portraits sowie ausdrucksstarke Landschaften aus der Umgebung von Montroig. 1918 findet die erste Ausstellung seiner Arbeiten in der Galerie Dalmau statt. Mit den "detaillistischen" Landschaften aus Montroig setzt der entscheidende Stilwandel des Künstlers ein.

Der Begegnung mit Maurice Raynal folgt 1919 die erste Reise Mirós nach Paris. Zu seinem Reisegepäck gehören mehrere Leinwände und einige Xiurells (=bunt bemalte Spielzeugkeramiken aus Mallorca), außerdem noch kleine Landschaftsbilder aus der Umgebung von Montroig sowie seltene Steine und Pflanzen aus seiner Heimat. Sein erster Besuch gilt Picasso, der eines seiner Landschaftsbilder kauft.

1920 siedelt Miró nach Paris über, arbeitet aber weiterhin während des Sommers in Montroig und Barcelona. Er tritt mit den Dadaisten in Verbindung und schließt sich dem Kreis junger Schriftsteller um Masson an. 1921 ist die erste Miró-Ausstellung in Paris. In diesem Jahr freundet er sich mit PRÈVERT, HEMINGWAY und Henry MILLER an.

Mit dem Karneval des Harlekin ist 1924 der neue, phantastisch-surreale Stil Mirós voll verwirklicht. Trotz mancher Verkäufe führt er damals ein Hungerleben. Er berichtete später einmal: "Ich kam abends nach Hause zurück, ohne etwa gegessen zu haben, und ich schrieb meine Gefühle nieder...Ich machte viele Zeichnungen zum Karneval des Harlekin, in denen ich meine Hungerhalluzinationen ausdrückte..." In der Folge entstehen die Traumbilder. Mit Max Ernst arbeitet er 1926 am Bühnenbild für Romeo und Julia für das russische Ballett Diaghilews.

1929 heiratet Miró Pilar Juncosa und läßt sich in Paris in der Rue François Mouthon nieder. Dies ist die Zeit der "imaginären Portraits". Er schafft auch die ersten Lithographien und befaßt sich mit Plastiken. 1931 wird seine Tochter Dolores in Barcelona geboren.

Gouachen² auf Sandpapier leiten in den die folgenden Jahren die "wilde" Periode des Malers ein. Experimente in den unterschiedlichtsten Maltechniken schließen sich an.

Bei Ausbruch des Bürgerkrieges geht Miró 1936 nach Paris zurück. Er zeichnet in der Académie de la Grande-Chaumière wieder nach dem Modell und malt für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 das Wandbild Der Schnitter. Im Atelier von Marcoussis arbeitet er an Radierungen. 1939 läßt er sich in Varengeville in der Normandie nieder und beginnt ein Jahr später die Reihe der 23 Konstellationen, die er nach der Rückkehr nach Spanien 1940 in Palma und Montroig fortsetzt. In diesen Konstellationen verleiht er seiner Naturbeobachtung Ausdruck und bekennt offen seine Liebe zur Natur, zu den Frauen, zum Flug der Vögel und zum Geheimnis der Sterne. Sie lassen an die Zeit denken, als der junge Miró mit seinem Vater die Sternbilder am nächtlichen Himmel betrachtete.

1942 ist Miró wieder in Barcelona. Er arbeitet an den Lithographien der Serie Barcelona und schafft mit Artigas die ersten Keramiken. Der Tod seiner Mutter 1944 trifft ihn schwer.

Der Auftrag für ein Wandbild in Cincinnati läßt Miró 1947 die erste Reise in die USA unternehmen. 1950 bekommt er den Auftrag für ein Wandbild in der Harvard University in Cambridge/USA.

1954 wird Mirós Schaffen in einer Weltausstellung in Deutschland gezeigt. Auf der Biennale in Venedig erhält er den Großen Internationalen Preis für Graphik. Die zweite große Periode der Keramik setzt in der Zusammenarbeit mit Artigas ein; die Malerei tritt bis 1959 völlig zurück.

1956 verläßt Miró Barcelona, um sich endgültig in Palma de Mallorca niederzulassen, wo ihm der Architekt J.L.Sert ein großes, modernes Atelier erbaut hat. 1957/58 arbeitet Miró an zwei Keramikwänden für das UNESCO-Gebäude in Paris, für die er den Großen Internationalen Preis der Guggenheim-Stiftung erhält. Aus Anlaß der großen Ausstellung im Museum of Modern Art reist Miró 1959 zum zweiten Mal nach Amerika.

Er erzählte einmal: "Bevor ich an die eigentliche Keramikarbeit ging, unternahm ich es, ungeheure Felsen direkt zu bemalen; ich wollte mich mit den Elementen der Landschaft ganz vertraut machen, indem ich ihr meinen Stempel aufdrückte. Ich habe im monumentalen Geist gearbeitet und dabei an eine Verbindung mit der Natur gedacht. Das wäre eine Möglichkeit, die Massenbauten zu veredeln und die Menschen, die darin wohnen müssen, nicht als gefühllose Roboter zu behandeln." Miró unternimmt 1961 seine dritte Amerikareise. In großen Ausstellungen wird sein Gesamtwerk 1962 in Paris, 1964 in London und Zürich und 1966 in Japan gezeigt.

In den nächsten 15 Jahren reist er noch einmal wegen Ausstellungen in die Staaten sowie nach Japan. Er erhält zahlreiche Ehrungen, Preise sowie den Ehrendoktortitel der Universität Barcelona.

Am 25. Dezember 1983 stirbt Joan Miró in Palma de Mallorca.

Zeit - Geschichte - Entwicklung - Werk

Die Geschichte der Kunst ist auch im 20. Jahrhundert nicht zuletzt eine Geschichte der Glücksfälle. Gemeint sind jene glücklichen Zufälle, die eine große künstlerische Begabung sich in vollkommenster Übereinstimmung mit der Zeit, in der sie hineingeboren wurden, entfalten lassen. Für Miró gilt das in ganz besonderem Maße, denn sein Werk erfüllt sich gleichsam in einem der Brennpunkte des künstlerischen Geschehens unseres Jahrhunderts. Er ist einer derjenigen, die mit Pinsel und Farbe vorher kaum vorgestellte Bereiche des Sichtbaren wie des Unsichtbaren erkundet und dargestellt haben. Er hat in seinen ebenso wunderbaren wie auf den ersten Blick verwunderlichen Bildern unser Wissen und unsere Erfahrung von der Welt erweitert.

Miró ist Spanier, und von den großen Malern dieses Landes, die für die Kunst des 20.

Jahrhunderts von kaum ermeßlicher Bedeutung sind, ist nur er seiner Heimat unmittelbar verbunden geblieben. Für die beiden anderen, Juan GRIS und Pablo PICASSO, wird Frankreich, vor allem Paris, zur künstlerischen Heimat. Aber auch Miró empfängt seine stärksten und nachhaltigsten Eindrücke in und von jenem Paris. Doch bleibt für ihn Spanien die immer wieder aufgesuchte Quelle seiner künstlerischen Inspiration: Landschaft und Natur, Einfachheit und Ursprünglichkeit Kataloniens und später der Insel Mallorca sind der notwendige Gegenpol zu der unruhevollen Kunstmetropole Paris. Mirós Werk wäre ohne die fruchtbare Spannung dieser beiden gegensätzlichen‚Welten nicht zu verstehen. So ist er trotz Paris, trotz aller internationaler Bedeutung der im eigentlichsten Sinn spanische Meister des 20. Jahrhunderts.

Die Kunst Mirós ist eine Kunst des Geheimnisvollen, des Rätselhaften und des zauberischen Spiels. In jedem seiner Bilder wird eine Welt beschworen, wie sie niemals jemand zuvor gesehen hat und die es erst gibt, seit man die Bilder dieses Malers kennt. Und dennoch erscheint uns seine Welt trotz Rätsel, Geheimnissen und aller zauberischen Verwandlung als seltsam vertraut, als bekannt im Unbekannten. Allein die Macht seiner Kunst ist es, die diese neue, bisher noch nicht dagewesene, vom Maler erfundene Welt glaubhaft werden läßt. So glaubhaft, als ob sie auf einem fernen Gestirn Wirklichkeit wäre! Aber auch so unmittelbar, als ob sie auf dieser unserer Erde heimisch sein könnte. Denn die Welt des Malers enthält alles, was es in unserer Welt auch gibt: Mensch und Tier, Himmel und Erde, Pflanze und Gestein, Landschaft und Ding, Sonne, Mond und Stern.

Doch erscheint alles Dargestellte niemals so, wie wir es zu erkennen glauben. Die Dinge verwandeln sich unter der Hand des Künstlers, sie bekommen ein anderes, ein beglückendes oder auch ein erschreckendes Aussehen. Die Welt wird nicht mehr abgebildet. Indem sich die Dinge, das Lebendige wie das Leblose, durch Farbe und Form in Zeichen verwandeln, sprechen sie eine neue Sprache, die bisher Unbekanntes anzudeuten, bisher nur Geahntes mitzuteilen vermag. So stehen hinter jeder Form und hinter jedem Zeichen eines Bildes das Erstaunen und die Faszination, die die Dinge dieser Welt auslösen, steht die Erfahrung des Malers, daß auch noch das Geringste dieser Dinge voller Geheimnisse und Wunder ist. Dieses Erstaunen und der Schock plötzlichen Gewahrwerdens bilden den Grund, aus dem die Kunst Mirós wächst. Seine frühen Worte an den Malerfreund RICART, daß ihn vor allem anderen die Kalligraphie³ eines Baumes oder der Ziegel eines Daches, Blatt um Blatt, Zweig um Zweig, Grashalm um Grashalm interessieren, und die spätere Ergänzung, daß man den magischen Sinn der Dinge wiederfinden müsse, umschreiben das Verhältnis des Malers zur Natur. Deshalb leitet die Frage, ob denn Miró ein abstrakter Künstler sei, in die Irre. Seine Bilder sind voller Realität, und jede seiner Bildformen ist der Wirklichkeit entnommen.

Mirós Leben verläuft ohne jene dramatischen oder gar skandalösen Akzente, die manche Künstlerbiographie so abwechslungsreich gestalten. Die Dramen seines Lebens finden sich im wahrsten Sinne des Wortes in seinen Bildern. Denn Malen geschieht bei Miró immer aus dem Schock eines Erlebnisses, das ihn zum Setzen einer Farbe oder einer Form auf die zunächst leere Fläche des Bildes provoziert. Dieses erste Element aber fordert nun seinerseits eine Gegenform, eine Gegenfarbe heraus, bis schließlich das Bild aus vielen Kontrasten zu einem Ganzen zusammenwächst. Das Gesetz des Kontrastes aber gilt generell für Mirós Kunst. Seine Bilder sind zwischen den Polen des Aggressiv-Brutalen und des Lyrisch-Romantischen angesiedelt, dem Kindhaft-Naiven so nahe wie dem Träumerisch-Unbewußten.

Mirós Studienzeit ist vor allem durch die Auseinandersetzung mit den aktuellen Strömungen bestimmt. In Barcelona war damals die Galerie Dalmau ein Zentrum avantgardistischer Kunst und wurde durch Ausstellungen zu einem Umschlagplatz der jungen französischen Malerei. Miró sieht sich hier hauptsächlich den Werken der Fauves und der Kubisten gegenüber. Nicht ohne Einfluß bleibt das Zusammenheften mit PICABIA, der 1917 in Barcelona die dadaistische Zeitschrift "391" herausgibt. 1918 kommt es zur ersten Ausstellung seiner Bilder in der Galerie Dalmau. Die Hauptthemen jener Zeit sind Landschaften aus Montroig und Umfeld und 9 großformatige Portraits, die Elemente katalanischer Bauernmalerei mit expressiver Farbigkeit und gewaltsam-strenger Stilisierung verbinden.

Landschafts- und Menschenbild, beide in intensiver Beobachtung des Wirklichen wurzelnd, stehen so am Anfang seines eigenen künstlerische Weges. Über die Galerie Dalmau ergibt sich schließlich die Verbindung zu Maurice RAYNAL, einem der Propagandisten des Kubismus, der die erste Reise Mirós nach Paris und dem Besuch bei PICASSO vermittelt. Die Summe seiner künstlerischen Absichten offenbart sein Hauptwerk jener Zeit:

Der Bauernhof: Das Bild ist teils in Montroig, teils im Atelier in Barcelona und Paris entstanden. Alles ist hier zu sehen, was wir von einem Bauernhof erwarten: Haus, Scheune und Stall, Brunnen, Wiese, Weg und Feld, Gerät und Kutsche, Mensch und Tier. In der Mitte, als zentrales Motiv, der aufwachsende Baum; im Blau des Himmels die Sonne. Die Vielfalt des nebeneinander Ausgebreiteten weist freilich - ebenso wie die Stille, die Zeitlosigkeit der Darstellung - auf die Fülle einer zauberhaften Vorstellung hin, die alles Gesehene, Bekannte, Gewußte gegenwärtig werden läßt. In diesem umfassenden Bild hat auch das Kleinste, die Schnecke in ihrem Haus, der Grashalm, das Blütenblatt oder der schon ein wenig abgebröckelte Putz der Hausmauer seinen Platz. So ist das Gemälde, weit über das unmittelbar Sichtbare hinaus, ein Gleichnis für das Ganze der Welt, das aus der unendlichen Fülle des Einzelnen besteht.

In den Bildern dieser Zeit ist der künstlerische Stil Mirós voll ausgeprägt; eine sachlichpräzise, harte und plastische Körperlichkeit verbindet sich mit einer gleichwohl naiven, ja kindlichen Stilisierung. Die Genauigkeit der realen Schilderung und die Verfremdung der naiven Stilisierung verleihen dem Bauernhof einen ganz eigenen poetischen Zauber. Die kaum noch zählbaren Einzelmotive schließen sich zu einer bilderbuchartigen, märchenhaften und geheimnisvollen Erzählung zusammen.

Vor dem Hintergrund dieser künstlerischen Voraussetzung vollzieht sich in den kommenden Jahren allmählich ein Wandel des Stiles und damit auch der Weltsicht des Malers. Der Karneval des Harlekin und Gepflügte Erde sind bezeichnend dafür, wie nun Schritt für Schritt die bekannten Motive sich verändern, wie sie zu geheimnisvollen Zeichen für anderes werden. Zugleich kommen wie im Traum geschaute Formen hinzu, und die logische Verbindung miteinander wird mehr und mehr aufgehoben. In diesen Bildern sind Wirkliches und Unwirkliches, Erlebtes und Erträumtes, Gesehenes und Phantastisches zu gleichen Teilen beheimatet. Im Karneval des Harlekin ist alles aus der natürlichen Ordnung in eine zwar phantastische, dafür aber umso größere künstlerische Ordnung hinübergenommen, dennoch hängt auch hier jedes Detail in irgendeiner Weise mit Gesehenem und Erfahrenem zusammen, läßt sich als verwandelte Form bestimmen: Der Harlekin in der Bildmitte als mechanischorganische Figur, die Springteufelchen oder die mit dem Faden spielenden Kätzchen bis hin zu einer Höhlenszene mit grotesken Gestalten und Dingen, die an Hieronymus BOSCH erinnern.

Mirós bürgerliches Leben wäre in jenen Jahren mit dem Wort "miserabel" nur ungenügend gekennzeichnet, denn von allgemeiner Anerkennung oder größeren Einnahmen aus Bildverkäufen konnte keine Rede sein. Er mußte sich mit kargen Mitteln durchschlagen.

Die Bilder Mirós aus jener Zeit wären schwerlich ohne Paris und das besondere Flair dieser Stadt in den frühen 20er Jahren denkbar. Diese Stadt ganz allein bietet ihm die Chance, mit den damals führenden Malern in Verbindung zu treten, und sie ermöglicht ihm die Freundschaft mit jenen Theoretikern, Dichtern und Schriftstellern, die gemeinsam mit ihren Malerfreunden der Welt in ihren Werken ein neues, ein zeitgemäßes Aussehen verleihen wollen, die nach neuen Inhalten und nach neuen Formen des Geistigen und des Ausdrucks suchen.

Es ist zunächst der Kreis der Kubisten mit Max JACOB, Maurice RAYNAL sowie die Dadaisten mit Pierre REVERDY und Tristan TZARA, denen Miró verbunden ist. In folgenden Jahren begegnet er dem Kreis der Surrealisten, befreundet sich mit den Dichtern Louis ARAGON, André BRETON, Paul ELUARD und den Malern Max ERNST, René MAGRITTE und dem Bildhauer Hans ARP.

Miró ist Mitunterzeichner des 1924 von BRETON herausgegebenen Surrealistischen Manifestes, mit dem ein neues Kapitel in der Kunst des 20. Jahrhunderts aufgeschlagen werden sollte. Im nächsten Jahr nimmt Miró an der denkwürdigen ersten Ausstellung der Surrealisten in der Galerie Pierre teil.

So kommt er gerade in jenem Augenblick nach Paris, in dem die literarische und künstlerische Bewegung des Surrealismus ihren Anfang nimmt - und wohl auch ihren Höhepunkt erreicht. In Mirós Werk ist das in voller künstlerischer Freiheit verwirklicht, was den Surrealisten vorschwebt: "Die bisher widersprüchlichen Bedingungen von Traum und Wirklichkeit aufzulösen" (André BRETON). Mirós Bilder werden seinen Freunden zur Offenbarung dessen, was sie selbst ersehnen.

In den kommenden Jahren bricht Miró zu immer neueren, zu immer unbekannteren Zielen auf. Das Gegenständliche tritt mehr und mehr zugunsten des Spieles freier Formen, das Detail zugunsten eines großzügigen und sparsamen Bildaufbaus zurück. Statt der Vielzahl genau und liebevoll betrachteter Einzelelemente sind seine Bilder nun auf wenige Motive konzentriert, die wie im Traum Gesehenes anmuten. Es ist selbstverständlich, daß diesen traumhaften Bildern neue Bildformen entsprechen: geometrische und vor allem unregelmäßige Figurationen, Geschriebenes und immer wieder die gezeichnete Linie als Spur einer Bewegung auf dem Bild. Doch scheinen sich auch jetzt noch organische und figürliche Ausgangspunkte in den gleichsam aus dem Unbewußten aufgestiegenen und niedergeschriebenen Stenogrammen aus Farbstoffen, Linien und Dingfragmenten abzuzeichnen: Teile der Menschengestalt, Kopf, Hand und Fuß, die sich in traumhaft sicherer Schreibgeste der Farbe vermählen.

Als Miró 1927 mit Max ERNST das Bühnenbild zu Romeo und Julia geschaffen hat, bringt diese Arbeit beiden Künstlern heftige Angriffe ihrer surrealistischen Mitstreitern ein, die diese freiheitliche Idee des Surrealismus zugunsten eines Auftrages verraten glauben!

Eine Reise nach Holland im Rijksmuseum bestimmt Mirós Schaffen in den späten 20er Jahren entscheidend: die Bilder, die ihn am meisten beeindrucken, sind die stillen, ganz aus dem Schmelz der Farbe und des Lichts entwickelten Genrebilder des niederländischen Barocks: Innenansichten und Musikantenszenen. So kommt es, daß er später in Paris die Holländischen Interieurs malt. Er setzt dabei die vorbildliche Komposition in die farbig-flächige Rhythmik seines Stiles um; er übernimmt zwar die vorgefundenen Motive, deutet sie aber ins Ironische, ins Humoristische um. Auch bei der Reihe der "imaginären Portraits" wird er von historischen Portraits inspiriert.

So fragt man sich, warum er sich plötzlich an einen bereits gemalten Vorwurf hält: einerseits liegt der Grund dafür im Reiz des Verfremdens, des humorvoll-kritischen Entlarvens einer Kunst; andererseits aber sucht er selbst nach der grenzenlosen Freiheit, die er sich mit seiner Materie gewonnen hat, sowie nach neuer Bindung. So ist es für seine Schaffensweise charakteristisch, daß dieser selbstauferlegten Bindung der Vorstoß in eine noch größere Freiheit des Gestaltens folgt: in die Technik der Collage: diese Bilder werden zu einer spielerisch-traumhaften Komposition aus wie zufällig verteilten Farb- und Formkomplexen.

Daraufhin folgen Aufträge für Lithographien, bis Miró sich schlußendlich noch mit Plastiken beschäftigt: bizarre Objekte aus den unterschiedlichsten Gegenständen und zufällig aufgefundenen Naturdingen, die sich zu verzauberten Gebilden von ebenso aggressiver Drastik wie zarter Poesie zusammenfügen. Und immer sind es Ereignisse der Welt im weitesten Sinn, die den ersten Anstoß zum Malen, Gestalten auslösen, z.B. ein zufälliger Farbklecks auf einer leeren, makellosen Leinwand, ein verfremdetes Ding, das in zufällige Nachbarschaft mit anderen, nicht dazugehörenden Gegenständen gerät, ein schräg geformter Stein, ein bizarres Gewächs aus dem Meer, eine knorrige Wurzel, ein Sonnenuntergang... in jedem Ding und in jeder Erscheinung erkennt er das Einmalige und das Andersartige. Für ihn hat die Natur in allem eine Spur des Geheimnisvollen, des Werdens und Verwandelns, hinterlassen. Es geht ihm darum, den Sprung von dieser Erfahrung des Besonderen, des Erregenden ins Gemalte zu wagen. Die Natur bietet ihm eine Überfülle von dem, wessen er bedarf: er trägt sämtliche Fundstücke (Steine, Korallen, Knochen, Äste, Drähte etc.) in seinem Atelier zusammen und erprobt gleichzeitig in den unterschiedlichsten Maltechniken andere Ausdrucksmöglichkeiten.

Mit diesen Versuchen kommt es zu einem neuen Umbruch: es entstehen die "wilden" Bilder Mirós, die von glühendem Feuer kontrastierenden Farben und von gewaltsamen, hektisch bewegten Formen, von grausam deformierten Gestalten erfüllt sind. In der anschließenden Zeit des Spanischen Bürgerkriegs (1935) greift er plötzlich auf eine realistische Wiedergabe zurück. Doch es geht ihm nicht um eine platte Schilderung von Dingen, seine Bilder werden zu Zeichen des Unheimlichen und der Gewalt, die in allem verborgen ist.

Als er bei Ausbruch des Krieges nach Varengeville zieht, setzt er sich mit Musik auseinander, was seiner Kunst wieder neue Akzente gibt, und es entsteht auch ein Teil seiner Konstellationen.

1940 kann Miró gerade noch vor der Besetzung Frankreichs nach Spanien zurückkehren und richtet sich 1942 ein neues Atelier in Barcelona ein. Für den Künstler wirkt sich der erzwungenen Aufenthalt in Spanien als eine Phase des Experimentierens aus (Arbeiten auf Papier, verschiedenste Techniken, Druckgraphik sowie Lithographie). Als er dann mit dem Töpfer Llorens ARTIGAS zusammentrifft, formt er erstmals Keramiken sowie Plastiken aus Terrakotta. Auch später, von 1953-1959, wendet er sich noch einmal ausschließlich der Töpferei zu.

In der Nachkriegszeit übernimmt Miró Aufträge für Wandbilder, z.B. Frau und Vogel: es ist das vierte Bild einer Reihe, die dem Thema Frau und Vogel gewidmet ist. Bereits seit Jahren befaßt er sich mit diesem Motiv, das er nun in souveräner Freiheit der Zeichnung variiert: Der Zufall verlaufender Farbe im Bildgrund ist hier ebenso als künstlerisches Mittel einbezogen, wie auf vielen gleichzeitigen Bildern der Reiz des Materials zum Ansatzpunkt des Schaffens wird; so bevorzugt Miró die grobe, gewebhafte Struktur einer alten Sackleinwand (Jute), die außerdem noch eine aufgedruckte Beschriftung trägt. Mit wenigen Strichen wird eine Gestalt angedeutet, durch grüne und schwarze Flächen verstärkt. Einige aufgesetzte Tupfen in Weiß, Orange, Rot und Grün leuchten wie farbige Feuerbälle aus der Tiefe des Braun. Im Stenogramm der schwebenden Linien verbinden sich vor der scheinbar sinnlosen Unordnung vorgefundener Druckbuchstaben Frauengestalt und Vogelmotiv zu einem untrennbaren Ganzen, zu einer im tiefsten Grunde mythischen Figur.

Miró verläßt nun Barcelona und findet eine endgültige Heimat auf Mallorca, in einer Landschaft südlicher Helle, pflanzlicher Fülle - in einer zauberhaften Natur. Und abermals berichten seine Bilder davon. Aber der wandlungsreiche Weg des Malers ist noch immer nicht abgeschlossen.

Mit den drei Wandbildern Bleu I, II und III bricht er 1961 erneut ins Unbekannte auf: die drei blauen Bilder müssen wie eines gesehen werden, einzeln genommen passiert nicht gerade viel auf ihnen. Auf subtilen, in verschiedenen Blautönen gehaltenen Bildgründen hat Miró sparsam, aber präzise wenige Zeichen eingesetzt, schwarze Punkte, teils scharf abgegrenzt, teils in die Bildfläche verrieben, dünne, diagonal durch das Bildfeld treibende Linien, und schließlich noch die scharfen roten Kontraste, teils als verschwimmende Flecken, teils als kräftige Balken. Diese wenigen Zeichen bringen jedoch den blauen Raum zum Pulsieren und Vibrieren. Sie öffnen ihn zu einer unauslotbaren Tiefe, lassen den Blick treiben und ziehen ihn schließlich mit in den Sog des Blaus. Dieses Blau ist von eizigartiger Qualität. Es erinnert an Mirós Traumbilder der 20er Jahre, ist aber noch differenzierter und vielschichtiger angelegt. Wenn es einmal eine Geschichte der Farbe Blau geben sollte, so müßte auch dieses Triptychon (dreiteiliges Bild) dazugehören. Die großen blauen Modulationen der Farbe sind ungeheuer sensibel aufgetragen und leicht in den Grund hineinverrieben, sodaß das Pigment gar nicht mehr spürbar wird. Es ist dies eine geistige Farbe im Sinne der romantischen Farbsymbolik, Symbol der inneren und kosmischen Nacht, Sinnbild der künstlerischen Schöpfung und der geistigen Reinheit - ein Blau, das die Farbe der Träume ist. Wie Miró dann mit den wenigen Zeichen diese Farbe zusätzlich belebt, sie der Imagination zu endlosen Räumen öffnet, gehört zu seinen Meisterleistungen.

Während der nächsten 20 Jahre fertigt Miró Skulpturen, riesige Keramikinstallationen für den Flughafen von Barcelona, Wandgemälde für die Weltausstellung in Osaka, einen Wandteppich sowie eine große Mosaikarbeit an.

Viele seiner Werke wurden und werden immer noch in Museen und großen Ausstellungen präsentiert.

¹Fauves: französisch: die "Wilden"; Gruppe von nachimpressionistischen Malern, die 1905 erstmals gemeinsam im Pariser "Herbstsalon" ausstellen.

²Gouaches: französisch: Deckfarbmalerei, Art der Aquarellmalerei, wobei die Farben nicht durchscheinen oder sich miteinander verbinden, sondern sich decken. ³Kalligraphie: griechisch: Schönschrift; hier schöne Zeichnung:

Ausgewählte Bilder:

Der Bauernhof 1921/22

Karneval des Harlekin 1924/25 Frau und Vogel 1960

Blau I, II, III 1961

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Joan Miró (1893-1983)
Autor
Jahr
1999
Seiten
8
Katalognummer
V94870
ISBN (eBook)
9783638075503
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Joan, Miró
Arbeit zitieren
Buongustaio (Autor:in), 1999, Joan Miró (1893-1983), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94870

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Joan Miró (1893-1983)



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden