Die Rechtschreibreform. Fakten und Möglichkeiten didaktischer Umsetzung


Hausarbeit, 1997

15 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Fakten zur Rechtschreibreform
1.1 Begriff
1.2 Historischer Abriß
1.3 Schwerpunkte der Reform
1.3.2. ss und ß
1.3.3. Fremdwörter
1.3.4. Getrennt- und Zusammenschreibung
1.3.5. Schreibung mit Bindestrich
1.3.6. Groß- und Kleinschreibung
1.3.7. Zeichensetzung
1.3.8. Worttrennung

2. Unterrichtsformen
2.1 Überblick
2.2 Ansatz nach Eichler
2.3 Ansatz nach Kern
2.4 Ansatz nach Menzel
2.5 Ansatz nach Brügelmann

3 Ableitungen aus der Ged ä chtnispsychologie
3.1 Einordnung innerhalb der Informationsverarbeitung
3.2 Didaktik nach Gedächtnisparadigmen

Literaturverzeichnis

1. Fakten zur Rechtschreibreform

1.1 Begriff

Die Rechtschreibreform ist ein Maßnahmenkatalog zur Normierung und Erleichterung des orthographischen Systems einer Sprache, indem die geltenden Grundregeln schlüssiger gebraucht bzw. stärker systematisiert werden. Hintergründe, die zu Rechtschreibreformen führen, sind meist von sprachwissenschaftlicher, pädagogischer und sozialpolitischer Natur.

1.2 Historischer Abriß

1901 wurde in Deutschland die im wesentlichen auf Konrad Dudens Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache (1880) zurückgehende Rechtschreibung erstmals durch die Beschlüsse der staatlichen Orthographiekonferenz amtlich festgelegt, um eine Vereinheitlichung zu erzielen.

Da dieses Regelwerk viele Zweifelsfälle offen ließ, die vor allem für die Drucker mißlich waren, entstand daneben bald der sogenannte Buchdruckerduden, der große Verdienste um die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung hat.

1955 beschloß die Kultusministerkonferenz (KMK), dass der Duden für die Rechtschreibung maßgeblich sein soll.

Da die Grundregeln nicht geändert werden sollten, führte die Weiterentwicklung der Sprache zu immer mehr Einzelfallregelungen.

Aufbauend auf Reformvorschlägen verschiedener Kommissionen (u. a. Stuttgarter Empfehlungen, 1954; Wiesbadener Empfehlungen, 1958; Gutachten zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung, 1975), bemühte sich seit 1984 die Kultusministerkonferenz in Zusammenarbeit mit Österreich und der Schweiz um eine Reform, wobei die sogenannten Wiener Gespräche (1986/1990/1994) eine größere Rolle spielten.

Nach mehreren Überprüfungen beschloß die Kultusministerkonferenz im Dezember 1995 eine Neuregelung für alle Bereiche der Rechtschreibung, einschließlich der Zeichensetzung und der Getrennt- und Zusammenschreibung, die in der ersten amtlichen Festlegung von 1901 noch nicht geregelt waren. Diese Neuregelung sollte ab 1. August 1998 in den Schulen unterrichtet werden. Bis ins Jahr 2005 soll die alte Schreibung als überholt, nicht aber als falsch gelten.

1.3 Schwerpunkte der Reform

1.3.1. Zuordnung von Buchstaben zu den Lauten

Bei der Zuordnung von Buchstaben zu den Lauten der Sprache soll künftig das sogenannte Stammprinzip ausschlaggebend sein, d. h. besondere Umlaute und Konsonantverdopplungen richten sich nach der Herkunft des Wortstammes - die alte Schreibung bleibt als Nebenform zulässig: Stengel ? Stängel (zu Stange); schneuzen ? schnäuzen (zu Schnauze); numerieren ? nummerieren (zu Nummer); plazieren ? platzieren (zu Platz); Ballettänzer ? Balletttänzer (wie jetzt noch Balletttruppe); Roheit ? Rohheit (zu roh); essentiell ? essenziell (zu Essenz).

1.3.2. ss und ß

Nach kurzem Vokal wird ß durch ss ersetzt, z. B. bei wässrig (zu Wasser), er lässt (zu lassen) oder dass (anstatt dass).

1.3.3. Fremdwörter

Bei Fremdwörtern wurde eine vorsichtige Angleichung an die Schreibung von Wörtern der Muttersprache vorgenommen, wobei die neue Schreibweise in der Regel nur als Nebenform neben die bisherige Schreibung tritt: quadrophon ? quadrofon; Photometrie ? Fotometrie; Geographie ? Geografie; Orthographie ? Ortografie; Delphin ? Delfin; Spaghetti ? Spagetti; Necessaire ? Nessessär (wie jetzt schon Sekretär); Thunfisch ? Tunfisch.

1.3.4. Getrennt- und Zusammenschreibung

Insbesondere die Getrennt- und Zusammenschreibung ist heute noch von zahlreichen Sonderregelungen belastet. Die Rechtschreibreform geht von der Getrenntschreibung als Normalfall aus: radfahren ? Rad fahren (wie jetzt schon Auto fahren); haltmachen ? Halt machen; sitzenbleiben ? sitzen bleiben; gefangennehmen ? gefangen nehmen; zueinanderfinden ? zueinander finden; laubtragend ? Laub tragend; soviel, wieviel ? so viel, wie viel (wie jetzt schon so viele, wie viele).

1.3.5. Schreibung mit Bindestrich

Bei der Schreibung mit Bindestrich werden die bestehenden Ungereimtheiten beseitigt (z. B. Ichsucht, aber Ich-Laut). Dem Schreibenden soll die Freiheit gegeben werden, seine Aussageabsicht durch Verwendung oder Nichtverwendung des Bindestrichs zu unterstreichen.

1.3.6. Groß- und Kleinschreibung

Im Bereich der Groß- und Kleinschreibung ließ sich die generelle Kleinschreibung der Substantive nicht durchsetzen. Statt dessen wurden formale Kriterien für die Großschreibung entwickelt: In Verbindung mit einem Artikel, Präpositionen oder Verben werden Substantive nun generell groß geschrieben (in bezug auf ? in Bezug auf (wie jetzt schon mit Bezug auf); schuld geben ? Schuld geben.

Ausnahme: In Verbindung mit den Verben sein, bleiben und werden schreibt man Angst, Bange, Gram, Leid, Schuld und Pleite klein. Weiterhin werden substantivierte Adjektive (im Dunkeln), Tageszeiten (heute Mittag) und Sprachbezeichnungen (auf Deutsch) groß geschrieben.

1.3.7. Zeichensetzung

Vereinfachungen gibt es im Bereich der Zeichensetzung, wo mit und bzw. oder getrennte Hauptsätze nicht mehr durch Komma getrennt werden müssen. Auch hier wird dem Schreibenden mehr Freiheit eingeräumt.

1.3.8. Worttrennung

Bei den Worttrennungen wird die alte Regel, st niemals zu trennen, aufgehoben. Außerdem wird ck nicht mehr durch kk ersetzt. Fremdwörter, bei deren Trennung bisher der Herkunftssprache Rechnung getragen wurde, dürfen nun auch wie im Deutschen getrennt werden: We-ste ? Wes-te; Zuk-ker ? Zu-cker; Chir-urg ? Chi-rurg.

2. Unterrichtsformen

2.1 Überblick

Nachdem die Fakten zur Rechtschreibreform genannt sind und außer Frage steht, dass eine solche Umstellung immer mit Schwierigkeiten verbunden ist, stellt sich das Problem der Vermittlung im Zuge der Durchsetzung dieser Reform.

Dazu gibt es verschiedene didaktische Ansätze, von denen im folgenden eine Auswahl zu einer Übersicht zusammengestellt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Insgesamt erweist sich die konkrete Abgrenzung der Methoden von Brügelmann, Kern, Eichler und Menzel als schwierig. In den Begriffen: offener und gebundener Unterricht; analytische, synthetische und Ganzheitsmethode lassen sich zwar Oppositionspaarungen bestimmen, die jedoch durchaus als dialektisch zu sehen sind.

Die rein synthetische Methode wird von Brügelmann und Kern grundlegend abgelehnt. Eichler zieht die Mischung aus gebundenem und offenem Unterricht vor, tendiert aber eher zur synthetischen Methode. Menzel schlägt die Kombination aus analytischer und synthetischer Methode vor. Wichtig ist hier, dass einmal von der Unterrichtsform: offen oder gebunden, und einmal von der Lehrmethode: analytisch oder synthetisch gesprochen wird.

Trotz dem kann die Behauptung aufgestellt werden, dass die analytische Lehrnethode den offenen Unterricht verlangt, Schrift also ganzheitlich aufgefaßt wird; während gebundener Unterricht sich eher an das synthetische Verfahren "bindet". Ohne Zweifel zeigt sich, dass schülerfreundlicher, motivierender Unterricht ohne einen Anteil an offenem Unterricht und ganzheitlich-analytischen Methoden kaum gelingt. Eine Begründung liefert dafür Menzel durch die Tatsache, dass "die Mitnahme ganzheitlicher Wörter [...] von Anbeginn an interessantere, spannendere, sinnvollere und natürlichere Texte ermöglicht, [ohne] etwa auf Wörter wie / ich, wir, macht, hat, ist, spielt" zu verzichten.

Bemerkenswert ist, dass Brügelmann und Kern den Anfangsunterricht über zwei verschiedene Sinnesleistungen (hören und sehen) gestalten, aber sofort mit Text und Wortschatzarbeit beginnen.

Aber welche Methode, welche Unterrichtsform ist nun die bessere?

"Nach dem 1.Schuljahr ist eine Überlegenheit synthetisch unterrichteter Schüler festzustellen; nach 24 Monaten Schulbesuch sind kaum noch Effektivitätsunterschiede der Methoden zu bemerken; ganzheitlich unterrichtete Schüler erhielten allerdings die besseren Aufsatznoten."

Ferdinand hat also festgestellt, dass die Aufsatznoten besser waren, obwohl die Effektivität (Nutzen; erzielte Leistung im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln) gleich war. Daraus läßt sich schließen, dass der Umgang mit Sprache bei den analytisch unterrichteten SchülerInnen wahrscheinlich kreativer ist, ein größerer Wortschatz (Synonyme) vorhanden ist, was Wortwiederholungen vermeidet, die Satzstrukturen korrekter sind. Ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis.

2.2 Ansatz nach Eichler

Eichler nennt, indem er Brügelmanns Konzept des offenen Unterrichts (Siehe Brügelmann) als ein integratives Schriftsprachlernkonzept bezeichnet, die Vor -und Nachteile, die seiner Meinung nach daraus resultieren. Er stellt dessen Projekt als eine "von innen nach außen, von den kommunikativen Schreibmotivationen zu den Techniken" führende Methode dar. Vorteile sind für ihn die folgenden: 1. Das Lernumfeld wird wesentlich verbessert (Erlebnisrahmen). 2. Das Kind bekommt mehr Raum für Eigenaktivität. 3. Die primäre Lese -und Schreibmotivation wird erhöht. 4. Lesen ,Schreiben, Rechtschreiben und Texte-Verfassen ergibt ein ganzheitlich integriertes Lernen der Schrift und der Schriftsprache. 5 Der Lehrer wird zum Helfer, zur Bezugsperson und Organisator. Individuelle Hilfestellung ist besser zu leisten.

Kritik übt Eichler daran, dass ein wirklich kompetenter Lern- und Erziehungsprozeß notwendig ist, damit die Kinder die Schriftsprache erlernen."[...] die Guten sind immer gut und bedürfen oft nur der Anregung und eines guten Lernklimas. Die wirkliche Qualität eines Schrift-Sprach-Unterrichts offenbart sich aber bei der Förderung der Schwächeren. [...] auch setzt das Konzept des offenen Unterrichts die hoch motivierte, erfahrene und sachkompetente Lehrkraft voraus, [die] unvorbereitet einen aktuellen und vielseitigen Unterricht zu entwickeln" vermag.

Weiterhin meint er, dass sich im offenen Unterricht nicht wenige Kinder ungestüm verhalten, und dass es für die Lehrerin/ den Lehrer leichter sei, "Schwächen zu verdecken und den Lernanforderungen auszuweichen."

Dieser Standpunkt ergibt sich notwendigerweise aus Eichlers Reflexionen über den Einsatz von offenem Unterricht, denn er favorisiert ein "Mischkonzept aus gebundenem und offenem Unterricht" und nennt Anhänger des nur phasenweise offenen Unterrichts "klug", denn für ihn bedeutet der Streit zwischen den verschiedenen Konzeptverteidigern des offenen und geschlossenen Unterrichts "nur eine neue Variante des alten Streits zwischen Reformpädagogik und systematischer Unterrichtslehre, noch salopper zwischen "Führen" und "Wachsenlassen", und da wissen wir, dass die Ausgewogenheit beider Prinzipien das Beste für unsere SchülerInnen ist." Aus der Banalität dieser letzten Bemerkung spricht eine Antipositionierung gegenüber offenem Unterricht als alleiniges Konzept. Dafür definiert er den Begriff des Fehlers ähnlich wie Brügelmann und Kern, die ihn als unvermeidlichen Schritt im Schriftsprachlernprozeß sehen, sogar als Zeichen der Kreativität und (beinahe) auch als Notwendigkeit nach dem Schema "try and error". (Damit hat er sich schon fast als Kenner Piagets geoutet, der "Fehler" ebenfalls als notwendige Zwischenschritte auf dem richtigen Weg ansah.) Das Zitat Eichlers dazu: "Nicht immer, ja nicht einmal häufig ist die Ursache für eine abweichende Schreibung ein echter Mangel, also eine Nachlässigkeit oder mangelhafte Konzentration auf lautliche [Bezug Brügelmann] oder visuelle [Bezug Kern] Einzelheiten - z.B. Verwechslung von Buchstaben oder [...] Lauten, Vertauschung oder Weglassung von Buchstaben, Wortsalat u.a.."

Zur Methode Artur Kerns äußert sich Eichler nur kurz und bezeichnet sie als "ältere" in einer "Reihe guter, vor allem allgemeinpädagogischer Didaktiken und Methodiken." Obwohl er an der Wortbildtheorie Kritik übt, "die Vorstellung, der Schreiber stelle sich ein Wortbild vor und male es gewissermaßen nach" ist vielen Lerhrern und Didaktikern die Methodik noch sehr geläufig.

2.3 Ansatz nach Kern

Kern sieht den Menschen in seiner funktionierenden Gesamtheit. Alle Prozesse, die physischen, psychischen und die geistigen bilden Interdependenzen. Eine Krankheit muß demzufolge nicht immer rein physisch begründet sein, sondern steht immer im Gesamtverhältnis zum Organismus. Entsprechend ist die Therapie keine reine Behandlung der Erkrankung der physischen Komponente, sondern der Versuch, eine Kausalbeziehung zu analysieren.

Handlungsorientierter Unterricht verlangt "Ganzheitlichkeit, [...] der ganze Schüler [soll] angesprochen werden. Er soll mit dem Kopf, aber auch mit dem Herzen, den Händen und allen Sinnen dabei sein."

Als Zielbeschreibung für das erste Schuljahr gibt Kern folgendes an: "Das Kind soll mit den Schriftzeichen so vertraut werden, dass es einen Tafeltext ziemlich fehlerfrei abschreiben kann. Dieses Schreiben ist ganzheitlich, es erhält seine Führung von den Wortgestalten, nicht von den Einzelbuchstaben aus. Die Gestalt ermöglicht eine klare Überprüfung des Geschriebenen. [...] Als Lösungsmethode kommt nur die visuelle in Betracht." Kerns Methodik zielt darauf ab, Kinder über das Auge mit wiederkehrenden Mustern der Worte oder Wortteile vertraut zu machen. Durch Übungen wie Abschreiben, Aufschreiben und die Nachschrift, wird eine Bahn vom rein optischen zum inneren Sehsinn geschaffen, die es ermöglicht, durch Vergleichen des Bildes eines Wortes, also seiner Gestalt, richtig zu schreiben. Es soll eine Kette in der Reihenfolge Wort - Wortbild - Wortbildvorstellung - Wortbildschema entstehen. Der Unterschied zwischen Wortbild und Wortbildvorstellung besteht darin, dass letzteres eben nur die Vorstellung, ein Abbild des anschaulichen, sichtbaren Wortes, dem Wortbild, ist. Noch abstrahierter ergibt sich daraus das Wortbildschema "als ein entsinnlichtes Etwas [...]. Es ist nicht gegeben oder vorstellbar [...] Je mehr solcher Schemata beim einzelnen Menschen vorhanden sind, desto leichter und ungehemmter vollzieht sich die Schreibweise."

An anderer Stelle schreibt er: "Alle anderen [rechtschreiblichen Arbeitsformen], wie Lautieren, Trennen, Buchstabieren kennt die Ganzheitsmethode grundsätzlich nicht. Es kann also auch kein Diktat geschrieben werden, das nicht vorher an der Tafel gestanden hat und visuell vorbereitet worden ist."

Kern betont allerdings, dass sich sein Konzept der Ganzheitsmethode grundlegend von der von Bormann entworfenen Wortbildtheorie unterscheidet. Die Übernahme dieser Methodik ist nur scheinbar, da sie zwar auf der gleichen Grundlage basiert, nämlich "das Wort als physiognomisches Gebilde" zu betrachten; jedoch wird kein reines Einprägen von Wortbildern postuliert, sondern die Kinder durchlaufen diese Phase als den Beginn eines Entwicklungsprogrammes, in dessen Verlauf Wortbildvorstellungen im Kopf gesammelt werden. Laut Artur Kern reicht eine gewisse Menge an Vorrat von Wortabbildern aus, die zu "Gruppenbildern" führen, mit denen "Urmuster" geschaffen werden, die zum Ausgangspunkt vieler Neubildungen werden.

Diese visuelle Lösungsmethode soll nach Kern vor allem im ersten Schuljahr angewandt werden. Sie beruht auf dem kontrastiven Vergleich des unsicheren Wortes mit dem sicheren Wort. (Bsp.: Vogel - Fogel.)

Die Auswahl ist nur möglich durch bekanntes Wortmaterial. Sie bietet aber keine Grundlage zur (Neu-) Bildung unbekannter Wörter. Methodisch beginnt der Unterricht also mit der Nachschreibübung: "Finger in der Luft", des weiteren Abschreiben, Aufschreiben und der Nachschrift, bei der tägliche Diktate von drei bis sechs Wörtern geschrieben werden. Die visuelle Lösungsmethode ist laut Kern sehr zielsicher, da " bei Vorherrschen dieser, eine große Reihe von Wortgestalten relativ früh in die Schemastufe überführt werden kann." Besonders praktikabel sei sie bei der Lösung von Rechtschreibproblemen schwachbegabter Kinder.

Als Ergänzung bietet Kern noch eine akusto-motorische Methode an, die Ende des ersten Schuljahres beginnen kann. Kern sieht sie als eine überschätzte Methode an, da sie keineswegs als so logisch angesehen werden kann, wie behauptet wird. Denn sobald das Kind Dialekt spricht oder von der Norm abweichend, bietet sie keine ausreichende Hilfe und es treten Fehler ein, die für das Kind auf dieser Grundlage (seiner eigenen Sprechweise) nicht als Fehler erkennbar sind. Bsp.: Flug/ Pfluk vs. <Pflug>; weitere Aussprachevarianten sind: [ f l u ù X ] , [ p fl u ù k ] usw.

In Verbindung mit dem Luftschreiben soll mitgesprochen werden. So soll den Kindern das "Verhältnis, der Funktion von Buchstabe und Laut", bewußt gemacht werden.

Einer "analogen Lösungsmethode" gibt Kern den Charakter einer "produktiven Grundstruktur" (im Gegensatz zur visuellen, die von rein reproduktivem Charakter ist). Mit Bezug auf die Wortbildtheorie führt er hier an, dass "Ähnlichkeiten [...] wie Endungen, Vorsilben, Lautgruppen [zum Zusammenschluß der Wortbildvorstellungen zu einer] festen Gruppe" führen.

Dieser "festen Gruppe" soll ein "Urmuster" innewohnen; Bsp.: Wahn - Zahn - Kahn.

Der Zeitpunkt für den Einsatz dieser Vorgehensweise sollte etwa am Ende der zweiten Klasse liegen.

Für den Beginn der fünften Klasse ist die logische Lösungsmethode vorgesehen. Damit ist der Rechtschreibunterricht kaum mehr von anderen Methoden unterscheiden, denn jetzt kommen konkrete Rechtschreinregeln ins Spiel. Der relativ späte Einsatz der logischen Lösungsmethode rührt daher, dass "die Anwendung einer Regel ein Schlußverfahren" ist. Das heißt, bevor das Kind nicht eine bestimmte geistige Reife erlangt hat und fähig ist, die aus der analogen Lösungsmethode gewonnenen Regeln zu abstrahieren und Prämissen zu erkennen, kann es den verlangten Schluß (Konklusio) nicht nachvollziehen.

2.4 Ansatz nach Menzel

Menzel gibt in seinem Buch "Lesen lernen - schreiben lernen" als Einführung einen historischen Überblick über die Methodenentwicklung des Schreiben- und Lesenlernens. Die Überschriftenfolge: Buchstabiermethode - Lautiermethode - Ganzheitsmethode, führt als vierte Station zum "Methodenstreit" zwischen den Analytikern und den Synthetikern. Letztere lehren, indem sie Buchstaben/ Laute zu Silben und dann zu Wörtern zusammensetzen lassen. Die Analytiker hingegen "mit ganzen Wörtern oder Sätzen" beginnen. Er nennt die Untersuchungsergebnisse einer zwischen 1966 und 1969 durchgeführten Studie von Willi Ferdinand: "Nach dem 1.Schuljahr ist eine Überlegenheit synthetisch unterrichteter Schüler festzustellen; nach 24 Monaten Schulbesuch sind kaum noch Effektivitätsunterschiede der Methoden zu bemerken; ganzheitlich unterrichtete Schüler erhielten allerdings bessere Aufsatznoten." Menzel entscheidet sich in seiner Konzeption dafür, beide Elemente verschmelzen zu lassen. Die Fibel, im Zusammenhang mit dem (in erster Linie) Erlernen des Lesens, behält seiner Meinung nach ihre Jahrhunderte alte Bedeutung dadurch bei, dass seit den 70er Jahren "nahezu alle Fibeln methodenintegrativ oder, wie man sagt, analytisch- synthetisch" arbeiten.

2.5 Ansatz nach Brügelmann

Eine Grundthese Brügelmanns lautet, dass Kinder schreibend Schreiben lernen. Er betont also den prozedualen Charakter dieses Vorgangs. Gleichzeitig berücksichtigt er aber auch entwicklungspsychologische Spezifika im Lernprozeß. So schreibt er:

"Mit durchschnittlich 3-4 Jahren [entwickeln Kinder] erste Vorstellungen von charakteristischen Merkmalen der Schrift im Gegensatz zum Bild: lineare statt flächige Anordnung; horizontale statt senkrechter oder diagonaler Richtung; Wiederholung einer Grundform oder regelmäßiges Auf und Ab." Kinder sollen erkennen, dass die Schrift aus "wiederkehrenden Einheiten besteht, die ihrerseits aus wenigen Elementen [Bogen, Linien, Halbkreisen, Ovalen usw.] durch unterschiedliche Kombination erzeugt werden können."

Zwei wichtige Einsichten sollen herausgearbeitet werden. Erstens: Die Beziehung zwischen Graphem und Lautindividuum ist arbiträr.

Zweitens: Die Buchstabenfolge ist konventionell.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es nach Brügelmann notwendig, auch auf korrekte Aussprachen zu achten.

Nachdem das phonoakustische Prinzip verstanden wurde, soll das Kind schrittweise zur Normschrift geführt werden. Das geschieht vorzugsweise durch Lesen.

Es bleibt trotz dem eine Übergangsphase, in der aber schon auf graphische Gemeinsamkeiten hingewiesen werden kann "indem man [zum Beispiel] Wortfamilien bildet (fahren/fährt; wildern/Wild) oder Wörter zu einem bestimmten Schreibmuster sammelt (Meer, Teer, leer)" Hier schließt sich als zunehmend an Regeln orientierte Schreibung die Normphase an: Kinder lernen aktiv am effektivsten, sie ordnen Erfahrung systematisch und entwickeln durch Probieren ihre Hypothesen weiter.

"Anzeichen einer Veränderung ist die häufigere Verwendung verbreiteter Schreibweisen. Das Kind achtet mehr auf graphische Muster, statt nur auf die Akustik (Tahl zu Zahl; inn zu innen) und auf Wortverwandtschaft (älter - alt)" Häufig treten Übergeneralisierungen" auf. (Todd für Tod; kohmen für kommen)

Als Hilfe sollen den Kindern Übungen nach der Rechtschreibsystematik angeboten werden, um Muster für die Einteilung von Schreibweisen zu finden: "Parallel zu dieser Musterbildung wächst der Anteil der vertrauten Wörter, deren Schreibung durch häufigere Verwendung automatisiert ist."

Weitere Fördermöglichkeiten bestehen darin, die Kinder zu ermutigen, die Schreibweisen unbekannter Wörter selbst auszuprobieren, (mit der Anleitung zur Selbstkontrolle und/ oder dem Nachfragen beim Nachbarn, der Tischgruppe, der Lehrerin/ dem Lehrer) besonders häufige oder wichtige Wörter durch systematische Wiederholung zu festigen, Wortsammlungen anlegen zu lassen und Fehlschreibungen im 1. und 2. Schuljahr nicht als falsch zu rügen. Die Kinder sollten aber im rechten Maße auf die richtige Schreibung hingewiesen werden. Öffentliche Texte werden korrigiert.

Nachdem den Kindern innerhalb Buchstaben als bedeutungstragende Zeichen (vorrangig vom phonoakustischen Prinzip ausgehend) nahe gebracht worden sind, können sie mit ihrem "Handwerkszeug" selbst die Anwendung und den Gebrauch von Schrift üben. Im Zuge dieser Aneignung lassen sich acht Lernfelder unterscheiden. (Zeichenverständnis, Aufbau der Schrift, Funktion der Schriftverwendung, Lautanalyse, Buchstabenkenntnis, Gliederung in Bausteine, Sicht- Wortschatz, Verfassen und verstehen von Texten) In einer Didaktischen Landkarte stellen sie sich in engster, nicht linearer Verbindung dar.

All diese acht Lernfelder bieten Möglichkeiten, den Schriftspracherwerb individuell dem jeweiligen Fähigkeitsstand der einzelnen SchülerInnen anzupassen, denn in der Regel "betreffen die Defizite [...] nicht alle Lernfelder in gleicher Weise. Es reicht deshalb nicht, für alle Risiko-Kinder ein einheitliches Angebot vorzuhalten, sondern bei jedem einzelnen Kind muß überlegt werden, welche Anregungen am ehesten weiterhelfen können." Der lerntheoretische Ansatz, der in diesem Programm enthalten ist, basiert auf vier notwendigen Ansichten, die kurz zusammengefaßt folgendes beinhalten:

1. Die Schrift ist Trägerin von Information.
2. Die Schrift besteht aus einer begrenzten Anzahl von Buchstaben, die durch Kombination verschiedene Worte ergeben.
3. Die Schrift hat einen phonoakustischen Aspekt. Schreiben ist das Abbilden von Lauten. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Klangform und der Stellung der Buchstaben.
4. Die Schrift basiert auf Orthographie. Es gibt orthographische Muster und Gesetze.

3 Ableitungen aus der Gedächtnispsychologie

3.1 Einordnung innerhalb der Informationsverarbeitung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2 Didaktik nach Gedächtnisparadigmen

Die Struktur des Gedächtnisses ist biologisch determiniert, anforderungs- entwicklungs- und erfahrungsabhängig.

Es besitzt Prozeßeigenschaften, aus denen sich die Notwendigkeit Wiederholung ergibt. Aus dem Paradigma: Das Gedächtnis ist eine Funktion der Zeit, G= f(t), dem strukturellen Ansatz also, (Mehrspeichermodell nach Sperling, Sternberg, Ebbinghaus, Atkinson & Juola) leitet sich didaktisch ein Zwang zur Regelmäßigkeit und zur Wiederholung von Übungen ab.

Der funktionale Ansatz (nach Craik & Lockhart 1972) besagt, dass das Gedächtnis eine Funktion der Verarbeitungstiefe ist. G=f(Verarbeitungstiefe). Das hieße, je tiefer die Verarbeitung, desto höher die Behaltensleistung. Für den Rechtschreibunterricht leitet sich daraus ab, dass bei der Arbeit mit Wortpaaren solche bevorzugt dargeboten werden, die stark voneinander abweichen.

Das kann beispielsweise auf der Bedeutungsebene geschehen (Vergl. die "Schreibmuster" bei Brügelmann.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Oder auf der phonoakustisch/ visuellen Ebene:

Dann ist das Schriftbild stark abweichend und die Bedeutungen korrespondieren miteinander. Man arbeitet also mit Synonymien.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bliebe noch der strukturell-funktionale Ansatz (duale Kodierungstheorie nach Paivio 1971/ Engelkamp '89), genannt auch multimodale Theorie.

Diese besagt, dass mit Zuname der Modalitäten auch die Gedächtnisleistung zunimmt. Kurz: Je mehr Repräsentationsformen (visuelle, akustische, motorische usw.) desto höher die Gedächtnisleistung. Dabei wird von einer Ordnungsbildung als Aufwandsreduzierung ausgegangen.

Für den Rechtschreibunterricht heißt dies, dass tatsächlich keine visuelle, prozeduale oder audielle Didaktik favorisiert werden kann.

Da biologische Determinanten, Anforderungs- Entwicklungs- und Erfahrungsabhängigkeit immer mitspielen, bleibt des weiteren zu bemerken, dass es auch keine Universallösungen im Bereich Didaktik gibt. Dies betont im starken Maße die individuelle Komponente beim Lernen, die konkret umzusetzten wohl die schwierigste Aufgabe eines Pädagogen bleiben wird.

Literaturverzeichnis

Brügelmann, H.: Die Schrift entdecken, Konstanz 1990.

Brügelmann, H./ Richter, S. (HG): Wie wir recht schreiben lernen, Lengwil 1994.

Edelmann, W.: Lernpsychologie, Weinheim 1996.

Eichler,W.: Schreibenlernen, Bochum 1992.

Engelkamp, J.: Das menschliche Gedächtnis, Göttingen 1990.

Hussy, W.: Denkpsychologie Band I & II, Stuttgart 1986.

Jank, W.: Didaktische Modelle, Frankfurt/M. 1991.

Kern, Artur: Rechtschreiben in organisch-ganzheitlicher Schau, Braunschweig 1970.

Menzel, W.: Lesen lernen - schreiben lernen, Braunschweig 1990.

Piaget, J.: Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde, München 1969.

Zimbardo, P.G.: Psychologie, Berlin 1995.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Rechtschreibreform. Fakten und Möglichkeiten didaktischer Umsetzung
Autor
Jahr
1997
Seiten
15
Katalognummer
V94797
ISBN (eBook)
9783638074773
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rechtschreibreform, Fakten, Möglichkeiten, Umsetzung
Arbeit zitieren
Matthias Werner (Autor:in), 1997, Die Rechtschreibreform. Fakten und Möglichkeiten didaktischer Umsetzung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94797

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