Fügung und Zufall in der Physik des Aristoteles


Seminararbeit, 2001

17 Seiten, Note: k. A.


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Hauptteil
1. Ursachen der Veränderung in der Physik
2. Fügung und Zufall im Verständnis der Physik
3. Die Bedeutung von Fügung und Zufall für die Physik
4. Kritische Einschätzung

C. Schluß

D. Literaturverzeichnis

A. Einleitung

In der “Physik” strebt Aristoteles den “Nachweis der Existenz der Bedingungen der Möglichkeit einer Naturwissenschaft”[1] an, d.h. er versucht, Begrifflichkeiten zu klären, die Naturwis­senschaft ermöglichen sollen. Zu diesen Begrifflichkeiten gehö­ren auch Zufall und Fügung.

In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie Aristoteles diese Begriffe versteht und welche Bedeutung er ihnen innerhalb der Physik beimißt.

Dazu wird zunächst dargestellt, wie A. die Naturabläufe ver­steht und auf welche Ursachen er sie zurückführt. Im zweiten Teil wird untersucht, wie A. Zufall und Fügung definiert und in sein Verständnis von Ursachen und Wirkungen eingebettet. An­schließend wird in einem dritten Teil erörtert, welche Bedeu­tung diesen Begriffen im Kontext der Physik zukommt. In einer kritischen Einschätzung soll zuletzt versucht werden, das ari­stotelische Verständnis von Fügung und Zufall im Hinblick auf heutige naturwissenschaftliche Interpretationsmuster zu über­prüfen.

Die Arbeit bezieht sich im Wesentlichen auf den Primärtext. Als Interpretationshilfe wurden allerdings die Dissertationen von Johannes Fritsche[2], vornehmlich aber von Helene Weiss[3] heran­gezogen. Wenn im Verlauf der Arbeit kaum auf die beiden Autoren verwiesen wird, ist dies dem Umstand geschuldet, daß hauptsäch­lich die letztere Arbeit eher als inspirierende Analyse genutzt wurde. Die dort vorzufindenen Explikationen mit denen des Ver­fassers abzugleichen, wäre dem Umfang dieser Arbeit nicht ange­messen.

B. Hauptteil

1. Ursachen der Veränderung in der “Physik”

In seiner Physik, die, wie in der Einleitung bereits angedeu­tet, als Meta-Naturwissenschaft[4] aufgefaßt werden kann, defi­niert A. den Gegenstandsbereich naturwissenschaftlicher Er­kenntnis als den der “natürlichen Gegenstände”. Ihnen allen sei gemein, daß sie “entweder alle oder zum Teil dem Wechsel” un­terworfen seien.[5] Den Wechsel charakterisiert A. als Prozeß, der in einer Umformung, einem Hinzutun bzw. Fortnehmen, einer Zusammenfügung oder einer Eigenschaftsveränderung vorliege.[6] Wichtig ist in diesem Zusammenhang, darauf hinzuweisen, daß diese Prozesse sich nicht an sich, sondern an mehr oder minder beliebigen Gegenständen vollziehen.

Vor diesem Hintergrund wird die Schlußfolgerung verständlich, die A. aus der Auseinandersetzung mit den Eleaten im 1. Buch seiner Physik zieht. Die “Prinzipien” oder “Grundbausteine” der natürlichen, d.h. veränderlichen Gegenstände beziffert A. mit drei: An einem Gegenstand (A. spricht auch vom Stoff)[7] voll­zieht sich eine Eigenschaftsveränderung aus dem Gegensatz zweier entgegengesetzter Prinzipien.[8] Daraus resultiert nicht zwangsläufig, daß sich eines der Prinzipien vollends durchsetzt: Mittelzustände sind durchaus möglich, letztlich aber immer auf die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien zurückführbar. A. wählt dazu das Beispiel von “Schwarz” und “Weiß”, aus dem sich alle Grautöne, die an einem Gegenstand vorgefunden werden können, ableiten lassen.[9]

Für den Fall, daß sich eines der entgegengesetzten Prinzipien vollends durchsetzt, geht Aristoteles implizit davon aus, daß das jeweilige Gegenstück der Möglichkeit nach weiterhin exi­stiert.

Mit der Rückführung auf drei Prinzipien verbindet A. eine wei­tere Differenzierung: Derjenige Gegenstand, der der Veränderung unterliegt, der Stoff, erhält durch das an ihm erfolgende Wech­selspiel der entgegengesetzten Prinzipien eine je bestimmte Form.[10] Hiermit löst A. auch die vorgebliche Aporie, mit der sich seine Vordenker konfrontiert sahen. Die Schwierigkeit, das Entstehen von “Seiendem” aus “Nichtseiendem” zu erklären, ent­steht bei A. gar nicht erst, da der Stoff an sich bereits be­stehe und lediglich ein Glied des jeweiligen Gegensatzpaares in Wirklichkeit vorliege oder aber nur der Möglichkeit nach vor­handen sei.[11]

Hinsichtlich der Untersuchung des Stoffes trifft A. eine Ein­schränkung. Seine Beschaffenheit an sich wie auch die Frage nach seiner (potentiellen) Einheit ist für den Naturforscher und dementsprechend auch für den Theoretiker der Naturwissen­schaft irrelevant; innerhalb des Bereiches naturwissenschaftli­cher Reflexion kann und soll nur das Wechselspiel von Stoff und Form untersucht werden.[12]

Analog hierzu verweigert sich A. auch einer ausschließlichen Betrachtung der Form, die sich, wie in der Mathematik, von der Berücksichtigung der materiellen Gegebenheiten vollkommen los­zulösen versucht.[13]

Für den “Physikos”[14], den naturwissenschaftlich Nachdenkenden, drängt sich vielmehr die Frage auf, wie das Zusammenspiel von Stoff und Form hinsichtlich seiner Ursachen zu erklären sei.

Um diesem Ziel näher zu kommen, differenziert A. zwischen Ge­genständen, die von Natur aus vorkommen, und solchen, die von Menschen gefertigt werden.[15]

Hinsichtlich der aus der Natur selbst hervorgehenden Gegen­stände bemerkt er, daß diese den Anfangsgrund oder Anstoß zu ihrer Veränderung in sich tragen. Er veranschaulicht dies in Rückbezug auf Antiphon am Gegenbeispiel der Liege. Aus diesem Artefakt entstehe, wenn man ihn vergrabe, nicht wieder eine Liege, sondern ein Sproß von Holz.[16] Desweiteren bemerkt A., daß die natürlichen Gegenstände die Richtung ihres Veränderungspro­zesses, ihr Ziel also bereits in sich trügen.[17]

Bei der Herstellung von Artefakten hingegen legt der Herstel­lende A. zufolge bereits die Auswahl der geeigneten Stoffe und die Art ihrer Bearbeitung im Hinblick auf eine vorbestimmte Form fest.[18]

Aus der Unterscheidung zwischen natürlichen Gegenständen und Artefakten gewinnt A. somit zwei weitere Ursachen für die Ver­änderung von Gegenständen: Den Anstoß und das Ziel, die natür­lichen Gegenständen inhärent seien, bei Artefakten hingegen an diese herangetragen würden.

Mithin benennt A. explizit vier Ursachen möglicher Veränderung von Gegenständen. Zum einen bildet der Stoff selbst eine Ursa­che dafür, daß aus ihm ein weiterer Gegenstand entsteht oder hergestellt wird. Vorrangig dem Stoff gegenüber aber stellt A. die Form als Ursache eines Gegenstandes dar.[19] Die Vorrangstel­lung der Form gegenüber dem Stoff ergibt sich für A. daraus, daß in ihr ein Gegenstand zur Wirklichkeit gekommen ist, wohin­gegen er im Stoff nur als Möglichkeit existiert hat.[20]

Diese Überlegung ergänzt sich mit der Betrachtung des Ziels als Ursache von Veränderungsprozessen.[21] Schließlich nennt A. noch den oben bereits erwähnten Anstoß oder Anfangsgrund als Ursache möglicher Veränderung.[22]

A. geht in seinen Überlegungen nicht von monokausalen Erklä­rungsmustern aus; vielmehr weist er explizit auf das mögliche Zusammenwirken verschiedener Ursachen hin. Auch benennt er die Möglichkeit sich wechselseitig verursachender Ef­fekte.[23] Insbesondere gilt dies für die Trias aus Form, Ziel und Anstoß, in deren Zusammenwirken der Stoff häufig nur als Grund­lage diene.[24]

Für A. folgt aus seinen Überlegungen, daß eine Ursache auch verschiedene Wirkungen zeitigen könne, insofern ihre An- bzw. Abwesenheit gegenteilige Effekte veranlasse.[25]

A. zufolge kann ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis auf verschie­dene Weisen ausgedrückt werden. Es kann eine konkrete Ursache im Hinblick auf eine spezifische oder allgemeine Wirkung be­nannt werden; ebenso aber kann auch eine abstrakt formulierte Aussage als Ursache für ein abstrakt oder konkret formuliertes Phänomen aufgezeigt werden.

Desweiteren gilt es nach A. zu beachten, ob der Zusammenhang sich aus einer wesentlichen Bestimmung der Ursache oder aber aus einer für diese nur nebensächlichen (akzidentiellen) Er­scheinung ergebe. Für beide Formen ergibt sich wieder die Mög­lichkeit einer abstrakten (generalisierten) oder einer konkre­ten (aktualisierten) Formulierung.[26]

Ferner könnten, so A., diese Aussageformen alleinstehend eine erklärende Ursache für ein Phänomen darstellen oder aber nur in Verknüpfung miteinander. Als Beispiel für die letztere, recht kompliziert anmutende Konstruktion benennt A. den “Bildhauer Polykletos” als Ver ursache r eines konkreten Standbilds: In sei­ner für ihn als Mensch nebensächlich erscheinenden, generali­sierten Bestimmung (Bildhauer) hat ein konkreter Mensch (Polykletos) eine bestimmte Statue geschaffen.[27]

Desweiteren gilt es A. zufolge in der Formulierung eines Kau­salzusammenhangs darauf zu achten, ob ein Zusammenhang nur der Möglichkeit nach besteht oder im konkreten Fall wirklich nach­gewiesen werden kann. In dem Beispiel des A. wird zwischen der Notwendigkeit eines Baumeisters für den Hausbau einerseits und der tatsächlichen Mitwirkung eines konkreten Baumeisters ande­rerseits unterschieden.[28]

Ferner verdient A. zufolge die eventuelle Gleichzeitigkeit resp. Zeitverschobenheit von Ursache und Wirkung Aufmerksam­keit.[29]

Als Maßstab einer Beurteilung der jeweils angemessenen Formu­lierung eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses betrachtet A. die größtmögliche Genauigkeit einer Aussageform.[30]

2. Fügung und Zufall im Verständnis der “Physik”

Die Explikation von Fügung und Zufall erfolgt in der Physik im direkten Anschluß an die Erläuterung möglicher Ursachen von Veränderung.

Den Zusammenhang zwischen diesen Bereichen begründet A. im Rückgriff auf die Gewohnheit, Fügung und Zufall in den Katalog der Ursachen einzureihen.[31] In einem Problemaufriß verweist A. auf seine Vordenker, bei denen diese Phänomene häufig keinerlei Erwähnung fänden, woraus er schließt, daß sie alles Geschehen als notwendig betrachtet hätten.[32] Notwendig ist im Verständ­nis von A. jeder Zusammenhang, der aus einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis mit Gewißheit abgeleitet werden kann. Da A. dies für fast alle Vorgänge in der Natur annimmt, kann er Naturbeschaf­fenheit und Notwendigkeit - zunächst einmal - in eins setzen.[33]

[...]


[1] Vgl. J. Fritsche, Form und Formmangel im ersten Buch der Physikvorlesung des Aristoteles, Berlin, 1982, S. 15

[2] Ebenda

[3] Helene Weiss, Kausalität und Zufall in der Philosophie des Aristoteles, Darmstadt, 1967

[4] Johannes Fritsche, a.a.O., S. 15

[5] 185 a

[6] 190 b

[7] 192 a

[8] 189 b

[9] 188 b

[10] 191 a

[11] 191 b

[12] 185 a

[13] 193 b Der Verfasser dieser Arbeit ist sich bewußt, daß die “Physik” nicht als Gesamtwerk konzipiert ist. Um aber die Bedeutung verschiedener Grundbegriffe zur Explikation des Zufalls heranziehen zu können, hält er die inhaltliche Verknüpfung der Aussagen aus verschiedenen Büchern für zulässig.

[14] H. Weiss, Kausalität und Zufall in der Philosophie des Aristoteles, Darmstadt, 1967, S. 50

[15] 192 b

[16] 193 a

[17] 193 b

[18] 194 b

[19] 194 b

[20] 193 b

[21] Diese Auffassung gewinnt an Anschaulichkeit, wenn man sich die Bedeutung des genetischen Codes für den Bauplan selbst kleinster Organismen vergegenwärtigt. Unter 4. wird dieser Aspekt erneut aufgegriffen.

[22] 194 b

[23] 195 a

[24] 198 a In diesem Zusammenhang können Ziel, Anstoß und Form als hinreichende, Stoff hingegen als notwendige Bedingung verstanden werden.

[25] 195 a

[26] 195 b

[27] 195 b Die Explikation des Beispiels geht auf A. zurück, ist hier aber der Verständlichkeit halber weiter ausgeführt.

[28] 195 b

[29] 195 b

[30] 195 b

[31] 195 b

[32] 196 a

[33] 200 a Für den Zusammenhang zwischen Naturbeschaffenheit und Notwendigkeit siehe auch 3.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Fügung und Zufall in der Physik des Aristoteles
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Philosophie)
Note
k. A.
Autor
Jahr
2001
Seiten
17
Katalognummer
V9476
ISBN (eBook)
9783638161732
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fügung, Schicksal, Zufall, Freiheit, Kontingenz, Naturwissenschaft
Arbeit zitieren
Thomas Eimer (Autor:in), 2001, Fügung und Zufall in der Physik des Aristoteles, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9476

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