Gottesgeschöpf


Seminararbeit, 1999

7 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


GOTTESGESCHÖPF

Esse Ellenbeck

„...Love is a flame,

a devils`thing, a violent storm,

about to be born..."

Danzig

Schweißgebadet schrecke ich aus bizarren Träumen hoch. Mein Kopf schmerzt, Muskeln und Sehnen brennen. Es ist wie ein Virus, aber es gibt kein Medikament dagegen. Denn es ist tief in meinem Kopf verwurzelt. Ich bin süchtig und kein Dealer kann mir die passende Droge beschaffen. Dabei könnte ich mir in dieser Hinsicht durchaus alles erdenkliche leisten. Aber was ich wirklich zum Überleben brauche ist unbezahlbar.

Letzte Woche habe ich mich dazu aufgerafft einen Arzt aufzusuchen. Doch nach zermürbenden Untersuchungen kam er nur zu dem Schluß, daßer nicht wüsste, was mir fehle und gab mir Antidepressiva. An der Bushaltestelle vor der Praxis warf ich das Präparat in den Papierkorb. Sinnlos es einzunehmen. Vielleicht würde ich nicht mehr körperlich zerfallen und könnte wieder voller Tatendrang sein, aber letztlich würden diese paar Pillen die Ursache nicht kurieren. Ich spiele schon mit dem Gedanken mich an die Presse zu wenden als medizinischer Präzidenzfall! Aber dann bin ich wieder der festen Überzeugung, dass es Millionen Menschen so geht wie mir.

Doch meinem Träumen kam ich zu dem Entschluß, dass es so nicht weitergehen kann. Jede Nacht träume ich, wie ich in der Gestalt eines hungrigen Wolfes durch die Straßen hetze, auf der Suche nach einer magenfüllenden Beute. Nach schier endlosem Umherstreifen zwischen verfallenen Ruinen erreiche ich ein kleines Cafe, in dem noch Licht brennt. Ich halte inne und nehme die Witterung auf. Dann sehe ich sie im Neonlicht. Sie steht an einem der Tische, mit einem Schlüssel in ihrer Hand. Hinter einigen Mülltonne versteckt, beobachte ich, wie sie das Licht ausschaltet, aus dem Cafe kommt, sich anschickt die Türe zu schließen. Jetzt treibt der Wind ihren Geruch zu mir. Süßlich, betäubend. Ich springe aus meinem Versteck empor, mit weit aufgerissenem Maul und drohenden Krallen. Doch sie erschreckt nicht. KOMM ZU MIR! Ihre Lippen bewegen sich nicht, dennoch höre ich ihre Stimme. Langsam hebt sie ihre Hand, zwingt mich zu Boden. Plötzlich wandelt sich ihre Gestalt. Im fahlen Mondlicht wachsen ihr Flügel, weiß, rein, wie die eines Engels. Bevor mein Gehirn dies erfassen kann, schrecke ich aus dem Traum hoch. Jedesmal.

Ich greife zu meiner Uhr. Es ist kurz nach Mitternacht. Das halte ich nicht mehr aus.

Irgendwann werde ich noch durchdrehen. Dann zerren sie mich mit verdrehten Armen aus dem Haus unter den mitleidigen Blicken der Nachbarn. Sperren mich in einen dieser vergitterten Wagen. Dann bringen sie mich weit fort und ich werde nie erfahren, was es mit diesen Träumen auf sich hat.

Die Wände des Zimmers scheinen immer engere Kreise um mich zu ziehen. Ich mußhier raus!

Die Nacht ist kühl. Das wird mir helfen einen halbwegs klaren Kopf zu bewahren. In letzter Zeit habe ich mich oft in die Nacht geflüchtet, nach diesen Träumen. Doch diese ist anders. Die Straßen sind menschenleer. Dabei lebe ich inmitten eines Kneipenviertels, in dem um diese Zeit sonst immer noch das Leben tobt. Die Leuchtreklamen verlöschen meist erst gegen Morgen. Auf meinem Weg werfe ich einen Blick in eine der Kneipen. Drinnen sitzen nur wenige Menschen. Man sieht ihnen an, dass es jene bedauernswerten Geschöpfe sind, die ihren Lebensweg alleine beschreiten und die Gesellschaft mit ihresgleichen der Stille ihrer eigenen vier Wände vorziehen. Ich bin einer von ihnen. Es ist seltsam, aber dennoch fühle ich mich ihnen nicht zugehörig. Man möchte immer lieber anders sein.

ICH WARTE.

Verwirrt halte ich inne. Jetzt höre ich die Stimme schon hier draußen. Damit bin ich reif für die Klapsmühle, fährt es mir durch den Kopf. Schaue mich um. Da ist niemand. Die Straße ist immer noch menschenleer.

HIER.

Nur nicht zu auffällig umherstarren. Die Leute hinter dem Fenster werden sonst noch auf mich aufmerksam. Unnötig ihnen zu erklären, was hier passiert. Sie stempeln mich gleich als paranoid ab. Mit schnellen Schritten gehe ich weiter. Halte mir die Ohren zu, doch die Stimme findet dennoch einen Weg in meinen Kopf.

HIER.

In einer kleinen Sackgasse bleibe ich schweratmend stehen. Drücke mich an das Mauerwerk. „Wo...bist du?", stammele ich.

Stille.

NEBEN DIR.

Stocksteif bleibe ich stehen. Vorsichtig werfe ich einen Blick zur Seite. Sie steht direkt neben mir! Aber ich war alleine hier! Es war menschenleer!

„Bitte,..wenn das ein Scherz ist...", fasse ich mich.

MIT DER LIEBE SCHERZT MAN NICHT.

Sie tritt heraus aus dem Dunkel. Lange rote Haare winden sich um ihren Körper bis zu den Füßen, auf dem Kopf zusammengehalten von einem gewundenen Kranz mit bunten Schleifen.

Unter einem roten Samtkleid zeichnet sich ihre zierliche Gestalt ab. Ihr Gesicht ist weiß, wirkt zerbrechlich im Mondlicht. Wie Porzellan. Obwohl es kalt ist, sind ihre Füße nackt. Wäre ich nicht vor Angst einem Herzinfarkt nahe, würde ich sie durchaus für attraktiv halten. Unter anderen Umständen durchaus. Wie in meinem Traum spricht sie, ohne die Lippen zu bewegen.

Ihr Satz hallt in meinem Kopf minutenlang nach.

„Wieso...Liebe?"

Mit einem schnellen Griff packt sie meine Hand, zerrt mich tiefer in die Sackgasse hinein. Die grünen Augen funkeln böse. Dann drückt sie mich mit der linken Hand an die Wand. Ihre rechte hebt sich empor, schlägt in das Mauerwerk. Kleine Steinchen fliegen umher. Zweimal betrachte ich verwundert die Wand, denn ihr Schlag hat einen fast unglaublichen Rißim Mauerwerk verursacht.

ICH BIN DIE LIEBE. GESCHAFFEN, UM DIE MENSCHEN ZUSAMMENZUFÜHREN. UND ICH GEHORCHE MEINEM SCH ÖPFER SEIT EWIGKEITEN VOLLER PLICHTERFÜLLUNG. ER GAB MIR KEINE STIMME, KEINE GEFÜHLE, DOCH SIE KEIMTEN MIT DER ZEIT IN MIR. UND SIE FORDERN NUN IHR RECHT!

„Das ist schön...äh Liebe, aber was willst du dann von mir?", räuspere ich mich und versuche sie mit einem Lächeln milde zu stimmen.

DUMMES MENSCHENKIND!

Ihre Hände umfassen meinen Hals, schleudern mich gegen die andere Seite der Wand. Wie eine Marionette lässt sie mich sekundenlang in der Luft zappeln, um mich dann wie einen Sack auf den Boden plumpsen zu lassen. Ich habe keine Chance gegen ihre Kräfte.

„Es wird nicht mehr viel von mir übrig sein, wenn du so weitermachst!"

Meinen schmerzenden Kopf reibend, versuche ich aufzustehen, doch es gelingt mir nicht. Alles dreht sich.

ES REICHT FÜR MICH!

Mit diesen Worten packt sie mich am Kragen und zerrt mich zu einer grauen Tür, die mir vorher durch die Dunkelheit nicht aufgefallen war. Mit einer Hand öffnet sie die Klinke, mit der anderen verpasst sie mir einen Faustschlag in den Nacken, der mich außer Gefecht setzt.

Ohne Übertreibung wurde diese Nacht die schlimmste meines Lebens. In einem kargen weißgetünchten Raum, entführt sie mich in ihre für mich geschaffene Welt. Regungslos mit gelähmten Gliedern liege ich auf einer fast vermoderten Matratze, während sie mich zu ihrem Werkzeug macht. Sie lebt ihren Haßan mir aus, beschimpft mich, erniedrigt mich. Dann wieder läßt sie mich für einige Sekunden frei. Auf allen Vieren sehe ich die Tür durch Schleier hinweg, krieche darauf zu. Doch als ich nach der Klinke greifen will, steht sie vor mir, lächelnd, rücklings an die Tür gelehnt. Ein tiefer resignierender Seufzer entfährt meiner Kehle, ehe sie mich wie eine Katze umschleicht. Mit zuckersüßer Stimme flüstert sie mir Liebkosungen ins Ohr. Mein Verstand gibt seinen Dienst auf. Sie spielt mit mir. Mit zitternden Händen taste ich mich an ihrem Kleid empor, bis zu ihrem Hals. Jetzt oder nie. Es ist noch ein winziges Etwas Überlebenskampf in mir, die Situation ist günstig. Ich verkralle meine Hände fast in ihren Hals, meine Knöchel treten blutleer hervor. Zu meiner Verwunderung tut sich nichts. Sie röchelt nicht einmal.

MEIN KLEINER SCHATZ HAT NOCH ZUVIEL EIGENEN WILLEN!

Laut lachend tritt sie mir in den Magen. Es ist sinnlos. Also lasse ich mich von ihr in ein erneutes Martyrium zurückziehen.

„Guten Morgen!"

Eine piepsige Kleinmädchenstimme direkt neben meinem Ohr läßt mich hochschrecken. Meine Augen starren in ein sommersprossiges Kindergesicht mit blonden Locken. Es hat eine Puppe in der Hand, die es mir dann entgegenstreckt.

„Sag guten Morgen zu dem Mann, Sophie!"

„Was?!", frage ich verwirrt.

Es ist Tag. Die Sonne scheint mir direkt in die Augen. Ich taste vorsichtig nach meinen Beinen, dabei fällt mein Blick auf die graue Tür. Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken.

„Warum schläfst du zwischen den Mülltonnen? Hast du keine Wohnung?"

Meine Hand greift in einen blauen Müllsack. Der Inhalt scheint schon längere Zeit der prallen Sonne ausgesetzt zu sein. Sofort ziehe ich die Hand wieder zurück. Das Mädchen hat Recht. Ich stelle fest, dass mich dieses Weib wie Müll fortgeworfen hat.

Eine elegant gekleidete Frau geht auf das Kind zu, nimmt seine kleine Hand und zerrt es fort.

„Anna, das ist doch nur ein Penner!"

Nur ein Penner! Wenn ihr wüsstet! Schwerfällig raffe ich mich auf. Es ist die gleiche Sackgasse wie letzte Nacht.

Auf der Straße starren mich die Menschen an, als wäre ich gerade von einer durchzechten Nacht auf dem Heimweg. Irgendwie fühle ich mich auch so. Vor einem Schaufenster starre ich mein Spiegelbild an. Meine Sachen sind mehr oder weniger zerfetzt, schmutzig.

Angewidert wende ich mich ab. Tausend Gedanken gehen mir bis zu meiner Wohnungstür durch den Kopf. Wieso gerade ich? Wird sie wiederkommen? Gottseidank bin ich noch am Leben. Wieso hat sie mich überhaupt am Leben gelassen? Wo ist sie hin?

Ich verriegele die Tür. Sinke zu Boden. Mit angezogenen Knien bleibe ich so sitzen, bis die Nacht hereinbricht. Doch sie kommt nicht zurück.

Corrie schenkt noch Wein nach, streicht durch ihr pechschwarzes Haar. Jede ihrer Bewegungen hat etwas magisches, finde ich. Selbst wenn sie einfach nur so dasitzt, verlegen mit ihren Fingern den Hals des Glases berührt. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal auf jemanden treffe, der mir dann so nahe steht. Wir kennen uns jetzt über ein Jahr. Meist erzählt sie von sich. Ich ziehe es vor, sie nicht in die Geschehnisse der Nacht einzuweihen, in der ich dieser Teufelin begegnete.

„Warum erzählst du nie von den Frauen vor mir?", fragt Corrie in die Stille hinein und reißt mich aus meinen Gedanken.

„Es gab keine.", winke ich ab.

„Das nehme ich dir nicht ab."

Ein ungläubiges Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie weiß, dass ich lüge. Dafür kennt sie mich schon lang genug.

„Glaubst du nicht, es würde dich kränken, wenn ich von ausschweifenden Liebesabenteuern mit anderen Frauen erzähle?"

„Ich glaube nicht.", sie senkt ihren Blick, fingert an der Tischdecke herum, „Es ist doch normal, dass man so etwas wissen will."

ERZ Ä HL IHR VON MIR! SAG`IHR, WIE SCH ÖN ES WAR!

„Nein!"

Entsetzt springe ich auf, mein Stuhl fällt zu Boden.

„Jan, was ist denn?"

Auf Corries Gesicht zeichnet sich blankes Unverständnis ab.

„Es ist nichts, gar nichts!"

Vielleicht habe ich mich geirrt, eine ganz normale Sinnestäuschung, weil ihre Worte mich daran erinnert haben.

„Du bist ja ganz blaß.", stellt sie mit ruhiger Stimme fest, dann nimmt sie mich in den Arm.

„Sag mir, was los ist? Meine Frage kann dich doch nicht so aus der Bahn werfen, oder?" Zögernd schüttele ich den Kopf.

„Ich hab bloßan eine miese Sache gedacht, die mir mal passiert ist."

ALSO ICH HATTE MEINEN SPASS! KOMM` ZU MIR, MEIN KATERCHEN!

„Laß` mich in Ruhe!", schreie ich.

Corrie geht zwei Schritte zurück.

„Was?"

Es ist nur in meinem Kopf. Es ist nicht real. Fang` dich wieder, dann ganz schnell raus mit ihr aus der Wohnung. Irgendwo essen gehen. Vielleicht hört der Spuk dann auf.

WAS HAT SIE, WAS ICH NICHT HABE?

Das Weib singt sich in mein Hirn!

„Komm wir gehen!", beschließe ich, greife ihren Mantel und schiebe sie zur Tür.

„Wohin?"

„Irgendwo `was essen."

Ich zwänge sie in den Mantel, öffne die Tür.

„Verrätst du mir dann, was los ist?", flüstert sie, versucht zu lächeln.

DA BIN ICH WIEDER!

Vor mir steht dieses Weibsbild, in Corries Kleidung. In ihrem roten Haar prangt die gleiche braune Holzspange. Ihre Hand berührt mein Gesicht.

„Verschwinde! Laßmich endlich in Ruhe!"

Mit einem kräftigen Stoßschubse ich sie fort. Sie taumelt an den Rand der Treppe, scheint für Sekunden auf der obersten Stufe zu tänzeln, dann stürzt sie hinab. Unten auf den Fliesen bleibt sie liegen.

Hat sie geschrien? Niemand kommt aus den anderen Wohnungen. Lautloses Ende. Meine Hände verkrampfen sich um das Treppengeländer. Es war nur ein Unfall, rumort es in meinem Kopf. Dieses Weib ist nicht real. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Gleichzeitig fühle ich eine unglaubliche Erleichterung in mir.

WAS MACHST DU NUR FÜR SACHEN, KATERCHEN?

Ein Arm legt sich um meine Schulter. Ich kneife die Augen zusammen, starre dann entgeistert nach unten- auf Corries zerschmetterten Körper. In die Erleichterung mischt sich blanke Verzweiflung. Ich fange an zu weinen.

Mit tränenerstickter Stimme wende ich mich zur Seite.

„Warum?"

KOMM IN MEINE ARME, GELIEBTER! ICH TR ÖSTE DICH!

Engelsgleich wirkt sie, wie sie so dasteht mit weit ausgebreiteten Armen. Nickend werfe ich mich in diese.

JETZT KANN UNS NICHTS MEHR TRENNEN. ES WAR MEIN FEHLER, DICH ALLEINZULASSEN. DA KONNTEST DU GAR NICHT ANDERS, ALS VOR SEHNSUCHT NACH MIR DIESES FLITTCHEN ZU UMGARNEN. ABER JETZT SIND WIR WIEDER VEREINT.

Die grünen Augen ruhen auf meinen.

DU LIEBST MICH DOCH AUCH, ODER?

„Ja...ich liebe dich, Liebe!"

Bedächtig nimmt sie meine Hand. Wie ein gebeutelter Hund folge ich ihr die Treppe hinunter. Unten trage ich sie über Corrie hinweg, setzte sie ab und folge ihr in die Nacht.

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Gottesgeschöpf
Veranstaltung
Seminar für Creative Writing
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
1999
Seiten
7
Katalognummer
V94739
ISBN (eBook)
9783638074193
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gottesgeschöpf, Seminar, Creative, Writing
Arbeit zitieren
Esse Ellenbeck (Autor:in), 1999, Gottesgeschöpf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94739

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