Michel Houellebecqs Elementarteilchen - Text und Film


Magisterarbeit, 2008

113 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Michel Houellebecq – Leben und Werk

3. Textanalyse Elementarteilchen
3.1 Ausweitung der Kampfzone bis ins Elementare
3.2 Analytische Grundlagen
3.2.1 Figuren
3.2.2 Inhalt
3.2.3 Narrativik
3.3 Metaphysische Grundlagen
3.4 Interpretation
3.4.1 Literarische Raum- und Zeitmotive
3.4.2 Michels physikalistisches Weltbild
3.4.3 Brunos Obsessionen
3.4.4 Die posthumanistische Perspektive
3.5 Intertextualität
3.5.1 Kopenhagener Deutung
3.5.2 Quantenphysik und Molekularbiologie
3.5.3 Positivismus und Wiener Kreis
3.5.4 Huxley
3.6 Formalästhetik, Struktur und Einordnung
3.7 Kritik und Wertung

4. Filmanalyse Elementarteilchen
4.1 Inhaltliche Reformation der Romanvorlage!?
4.2 Regisseur und Produktionsfirma
4.3 Inhalt und formaler Aufbau
4.4 Interpretation und Vergleiche
4.4.1 Der Ausgangspunkt: Michaels Forschung
4.4.2 Einführung in den Charakter Bruno
4.4.3 Erste Erinnerungen
4.4.4 Bruno als Schriftsteller
4.4.5 Erstes gemeinsames Treffen der Halbbrüder
4.4.6 Sexuelle Belästigung und Psychiatrie
4.4.7 Wiedersehen mit Annabelle
4.4.8 Die Mutter auf dem Sterbebett
4.4.9 Michael und Annabelle
4.4.10 Bruno und Michael im Ort der Begegnung
4.4.11 Gentechnologisches Institut Irland
4.4.12 Ort der Wandlung
4.4.13 Michael setzt seine Arbeit fort
4.4.14 Bruno und Christiane
4.4.15 Annabelles Schwangerschaft
4.4.16 Michaels Sehnsucht
4.4.17 Swinger-Club und Liebesglück
4.4.18 Michaels und Annabelles Schicksal
4.4.19 Brunos und Christianes Tragödie
4.4.20 Ausflug zum See und Ende
4.5 Intertextualität und Intermedialität im Film
4.6 Die Rezeption des Films

5. Synthetisches Resümee aus Text und Film

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Michel Houellebecqs Karriere als Schriftsteller fand 1998 (in Deutschland 1999) einen entscheidenden Höhepunkt mit Elementarteilchen. Seine bis dato produzierten Gedichtbände und sein Erstlings-Roman Ausweitung der Kampfzone legten den Grundstein für eine wütende Abrechnung mit der individualistischen und modernen Welt. Literarisch anspruchsvoller und weitaus komplexer als in seinem ersten Roman erzählt Houellebecq die Ge­schichte zweier Halbbrüder, einer ein beziehungsunfähiger Molekularbio­loge, der andere ein destruktiver Literat mit ausgeprägtem Streben nach unmittelbarer Lustbefriedigung. Beide Lebenswege enden in zwischen-menschlichen Katastrophen. Als posthumanistischer Lösungsvorschlag wird ein geklontes, geschlechtsloses und unsterbliches Wesen jenseits von Egoismus und sexuellem Elend erschaffen.

Nach zahlreichen Theateradaptionen wurde der Roman zuletzt von Constantin im Jahre 2005 verfilmt. In meiner Arbeit möchte ich Roman und Film gleichermaßen behandeln und analysieren. Da die inhaltliche Komplexi­tät der Textvorlage die Möglichkeiten des Films bei weitem übersteigt, wird der textanalytische Fokus auch auf die filmische Adaption ausgerichtet. Nach einer grundlegenden Analyse der wesentlichen Aspekte des Romans mit literatursoziologischem Schwerpunkt soll der Film rezeptionsästhetisch und im Kontext seiner Vorlage betrachtet werden. Inwieweit hat der Film den Roman umgestaltet und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Einer­seits im formal adaptiven Sinne, andererseits gelingt dem Autor und Regisseur Roehler eine Neubesetzung von funktionalen Werten und die Umschreibung einiger Charakterzüge der Protagonisten. Es soll nach der Romananalyse geklärt werden, inwieweit diese Änderungen sich abgrenzen oder ergänzen, welche Auswirkungen das Filmmedium selbst auf die Essenz der Buchvorlage hat und ob die Transformierung mit grundlegend neuen oder modifizierten Wertvorstellungen spielt.

2. Michel Houellebecq – Leben und Werk

Es ist nicht leicht, verlässliche biographische Informationen über den Autor Houellebecq zu sammeln. Die einzige Biographie wurde von Denis Demonpion verfasst und ist nicht autorisiert. Sie beinhaltet weitgehend Gespräche mit Houellebecqs Freunden, die er alle in Hinblick auf die Interviews als „Verräter“ bezeichnet. Demonpion selbst stellt zwei wichtige Aspekte zum Leben von Houellebecq fest: „Beim Spurenverwischen ist Houellebecq durchaus professionell vorgegangen“ und „er will Herr über sein Bild sein, das nach außen dringt.“[1][2] Es ist also anzunehmen, dass seine mediale Präsenz von inszenatorischen Motiven geleitet wird. Im Folgenden nun einige ge-sicherte Fakten zum Leben und Werk, die ohne Bezug auf die vielfältigen mythischen Darstellungen im Internet auskommen sollen.

Houellebecq wurde 1958 auf La Reunion als erstes Kind eines Bergführers und einer Ärztin geboren. Mit sechs wird er zu seiner kommunistischen Großmutter väterlicherseits nach Frankreich abgeschoben. Die Eltern folgen den Selbstverwirklichungsidealen der Hippiebewegung, dessen Thematik er auch in den Elementarteilchen nachgeht. Nachdem er in Frankreich erfolgreich das Gymnasium als Internatschüler beendet hat, studiert er Agrarwirtschaft und macht 1980 sein Diplom als staatlich geprüfter Agronom. Innerhalb kurzer Zeit heiratet er, zeugt einen Sohn, wird geschieden und ist bald arbeitslos. Während dieser Zeit begibt er sich in psychiatrische Behandlung. Später arbeitet er als Agraringenieur und Informatiker für die Nationalversammlung, dessen Reflexion besonders in seinem ersten Roman Ausweitung der Kampfzone Ausdruck fand.

Nach der Veröffentlichung von Essays über H.P. Lovekraft (1991), den Gedichtbänden Les sens du combat, Rester vivant und La poursuite du bonheur erschienen die Romane Extension du domaine de la lutte (Ausweitung der Kampfzone, 1998) und Les Particules élémentaires (Elementarteilchen, 1999) sowie der Essayband Interventions (Die Welt als Supermarkt, 1999). Elementarteilchen gilt als sein Hauptwerk und machte ihn weltberühmt. Im Erscheinungsjahr 1998 ließ er sich auf unbefristete Zeit beurlauben, heira-tete erneut und lebt nun als freier Schriftsteller überwiegend in Irland. Im Jahre 2000 veröffentlichte er eine Kurzgeschichte und einen Bildband über Lanzarote, wo er auch einen Wohnsitz hat. 2001 erschien sein Roman Plateforme (Plattform) und 2004 La Possibilité d'une île (Die Möglichkeit einer Insel). Elementarteilchen wurde an zahlreichen Bühnen als Theaterstück adaptiert und zuletzt von Constantin im Jahre 2005 verfilmt. Die Verfilmung von Die Möglichkeit einer Insel ist in Frankreich in Planung.

Houellebecq ist mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet worden: Für den ersten Lyrikband mit dem „Tristan-Tzara-Preis“ und für den zweiten Band mit dem „Prix de Flore“. 1998 erhielt er den „Grand Prix National des Lettres Jeunes Talents“ für sein Gesamtwerk und im gleichen Jahr für die Elementarteilchen den angesehenen „Prix Novembre“.

3. Textanalyse Elementarteilchen

Der Roman löste nach seinem Erscheinen im Jahre 1999 einen Skandal aus. Houellebecq war von da an als Bestsellerautor ein gefragter Mann und reihte sich neben Philosophen, Soziologen, Medientheoretikern und anderen Wissenschaftlern in Diskurse ein, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Pro-blemen auseinandersetzten. Eine Podiumsdiskussion, die als Buch unter dem Titel Glück ohne Ende - Kapitalismus und Depression erschien, wurde zum Beispiel auf der Grundlage einer Theaterinszenierung von Elementarteilchen geführt. Houellebecq hatte nicht nur für Adaptionsstoff gesorgt, sondern eine ganze Welle an Diskussionen ausgelöst, die bis in die Metaphysik hineinreichten und Philosophen wie Peter Sloterdijk auf den Plan riefen. Aus diesem Grund möchte ich neben der eigentlichen Textanalyse das Phänomen Houellebecq genauer beleuchten, seinen Erstlingsroman miteinbeziehen und die metaphysischen Grundlagen von Elementarteilchen herausarbeiten, um so den Ursachen der Wirkungsweise des Romans nachzuspüren.

Die Interpretation soll weitgehend Inhalte, die auch der Film aufgreift, berücksichtigen. Dennoch wird nicht nur in Hinblick auf den Film gearbeitet. Der Roman steht zunächst in seiner isolierten Dimension als Schriftmedium im Vordergrund und soll schlüssig analysiert werden. Es werden lediglich Passagen, die weder für die Basishandlung noch für die Charaktere und deren Entwicklung von Bedeutung sind, weniger beachtet; zum Beispiel die Thematik rund um die exzessive Gewalt (Snuff Movies, Satanismus) und die frühe Familiengeschichte. Der posthumanistische Ausblick hingegen wird aufgrund seiner Brisanz erläutert, spielt aber in Hinblick auf die filmische Adaption eine marginale Rolle. Angesichts der geringen Anzahl vorhandener Sekundärliteratur stehen eigene Aspekte, die freilich am Text belegt werden, im Vordergrund. Kurze Handlungsabschnitte des Romans, die der Film explizit adaptiert, werden in der Filmanalyse literaturwissenschaftlich betrachtet, um den Ansprüchen eines Vergleichs gerecht zu werden.

3.1 Ausweitung der Kampfzone bis ins Elementare

In Michel Houellebecqs erstem Roman Ausweitung der Kampfzone seziert der Held der Geschichte eine gefühlsfreie Welt, in der es nur um Karriere, Kapital und erotische Bedürfnisse geht: „Die Kampfzone im Titel des Romans ist eine um die Sexualität erweiterte Arena .“[3] Das ganze Buch verfügt über eine depressive Stimmung und klagt den Werteverlust unserer westlichen Gesellschaft an, die sich eine Fassade der Körperlichkeit und des Konsums aufgebaut hat. Für echte Gefühle ist es zu spät; der Hauptcharakter beschreibt seine Umwelt mit einer erschütternden Nüchternheit.

Die Thematik rund um die individualisierte Gesellschaft und deren präzise Obduktion erinnert stark an das Sujet von Elementarteilchen. Die Hauptcharaktere, ein namenloser Ich-Erzähler und Tisserand, sind vereinsamte Subjekte auf der erfolglosen Jagd nach dem weiblichen Geschlecht, dessen Überreste nach dem Fall des Feminismus nur noch „bestürzend“[4] sind. Das zentrale Gefühl der Einsamkeit resultiert wie bei Elementarteilchen aus der modernen Individualgesellschaft, die ihr Glück in einem gesteigerten Subjektivismus sucht, aber auch schnell an den Grenzen der eigenen Haut scheitern kann. So ergeht es dem Protagonisten, der die äußere Obduktion der „Kampfzone“ immer mehr in seinen inneren Zustand vordringen lässt und sich so seinem einsamen und gescheiterten Leben bewusst wird. Obwohl er im kapitalistischen Sinne gut versorgt ist und die Struktur seines Lebens gefestigt erscheint, plagen ihn Gedanken an den Tod und die zwischen-menschliche Vereinsamung. Aspekte, die Houellebecq auch bei Elementarteilchen als zentralen Gegenstand manifestiert und durch den fiktionalen Posthumanismus aufhebt. In der „Kampfzone“ befinden sich diese menschlichen Abgründe jedoch recht plakativ an der Oberfläche; erst die Charakterstudien der Elementarteilchen zeigen detaillierte Züge der individuellen Verzweiflung mit all ihren philosophischen und naturwissenschaftlichen Basen.

Ausweitung der Kampfzone beschreibt die Basis des Unglücks in dem „Widerspruch zwischen beruflichem Erfolg und privatem Misserfolg.“[5] Die Charaktere rund um den Protagonisten inklusive ihm selbst stehen in einem soliden Arbeitsverhältnis und sind gut situiert. Doch niemand hat Familie und alle scheinen in sexueller Hinsicht Verlierer zu sein. Die zwei Kampfzonen, das kapitalistische sowie das Sexualsystem, sind somit unabhängige Bereiche, in denen es auf beiden Seiten Verlierer und Gewinner gibt. Bruno und Michel, die beiden Hauptprotagonisten in den Elementarteilchen, befinden sich in einer ähnlichen Situation. Es differenziert sich jedoch durch ihre Individualität ein elementarer Unterschied zwischen beiden Lebenswegen heraus, der das Sujet der Geschichte maßgeblich prägt.

Der gesteigerte Individualismus der Subjekte in der „Kampfzone“ findet sein Pendant im „Elementaren“ durch den Charakter einer Erlebnis-Gesellschaft, in dieser die Protagonisten resignieren.[6] Diese Resignation begründet sich auch durch Rationalismus und Materialismus, die die moderne Wissenschaft mit sich gebracht haben. Die Sinnentleerung der Begriffe Familie, Partner und Gemeinschaft wirkt als Konsequenz einer radikalen Diesseitsorientierung, die durch ein physikalistisches Weltbild den ausufernden Individualismus erst ermöglicht.[7] Ein Niedergang der ethischen und moralischen Werte, die primär nur durch die Religion gestiftet werden können, mündet in einer metaphysischen Wandlung und dem Zerfall der menschlichen Zivilisation.

Elementarteilchen „setzte fort, was mit der ‚Ausweitung der Kampfzone‘ begonnen hatte.“[8]

3.2 Analytische Grundlagen

Vorweg einige grundlegende Charakteristika des Romans, die mit dem analytischen Instrumentarium der Figuren- und Inhaltsanalyse sowie der Narrativik dargestellt werden sollen.[9] Diese dienen als Einführung in den komplexen Roman und als Basisübersicht der vielfältigen Strukturen im Sinne einer ersten Bestandsaufnahme.

3.2.1 Figuren

In den Elementarteilchen gibt es zwei Hauptfiguren: Der asketische Wissenschaftler Michel Djerzinski und sein Halbbruder der sexsüchtige Lehrer Bruno Clement. Das Innere und Äußere dieser vollgültigen Individuen wird in aller nur denkbaren Komplexität und Ausführlichkeit beschrieben. Wichtige Nebenfiguren (in Klammern die wichtigste Eigenschaft) sind die beiden Frauen Annabelle (Schönheit) und Christiane (Sex), die Mutter Janine alias Jane (68er Ideale), die Großeltern (insbesondere die Rolle der Großmutter; konventionell, gütig), der Wissenschaftler Desplechin (Ratio), Brunos Frau Anne (gewöhnlich, langweilig), Brunos Vater, Brunos Sohn Victor und der posthumane Vollstrecker Frédéric Hubczejak („Übermensch“). Am Rande als eher unwichtige Nebenfiguren stehen Caroline Yessayan (Brunos erste Begierde), Annik (Brunos erste Beziehung und sterbende Geliebte) sowie die Figuren der aufgezeigten Genealogie der Hauptprotagonisten (und auch Annabelle), die allenfalls in ihrer Namensgebung in Bezug auf die Abstammung interessant sind und Houellebecqs aufgefasste Determination von biologischer und sozialer Vererbung verdeutlichen.[10]

3.2.1.1 Figurenkonstellation

Die beiden Halbbrüder treffen erstmalig in ihrer frühen Jugend aufeinander, in der sie von ihrer gemeinsamen Mutter zusammengebracht werden. Nach dem ersten Treffen sehen sie sich regelmäßig. Bruno wächst bei seinen Großeltern auf, wobei er mit dem Tod seines Großvaters und später mit dem Tod seiner Großmutter konfrontiert wird. Von da an schickt man ihn in ein Internat. Michel hingegen wächst alleine bei einer anderen Großmutter auf. Die schöne Annabelle geht mit Michel in eine Klasse und wohnt unweit seiner Großmutter. Annabelle ist offensichtlich in Michel verliebt, dieser ist jedoch nicht in der Lage, etwas mit ihr anzufangen. Sie verbringen gemeinsam (auch mit Bruno) ihre Jugend, verlieren sich im frühen Erwachsenenalter aus den Augen und begegnen sich erst nach knapp 25 Jahren wieder.

Michel verkehrt während dieser Zeit im Raum der Wissenschaft, entwickelt sich vom Physiker zum Gentechniker, hat einmal mit einer Forscherin Sex und unterhält sich ausschweifend mit Desplechin. Bruno nähert sich diversen hier nicht erwähnten Nebenfiguren an und heiratet später die gewöhnliche Anne (Lehrerin), bekommt einen Sohn (Victor), geht regelmäßig fremd und lässt sich dann scheiden. Sein Familienleben inklusive der Beziehung zu seinem Sohn scheitert auf ganzer Linie. Nachdem Bruno der sexbesessenen Christiane begegnet und mit ihr eine Beziehung beginnt, trifft Michel Annabelle wieder und fängt ebenfalls eine Beziehung an. Die beiden Beziehungskonstellationen zeichnen sich durch besondere Intimität auf sexueller und platonischer Ebene aus, jedoch ist bei Michel immer noch nicht von Liebe die Rede. Bruno hingegen erreicht mit Christiane einen Zustand völliger Glückseligkeit. Beide Konstellationen werden durch den Tod der Frauen zerstört. Da nicht nur die Liebe im Besonderen keine Chance hat, sondern die gesamte Menschheit im Allgemeinen zum Scheitern verurteilt ist, muss eine neue Spezies her, die mit Hilfe von dem genialen Hubczejak auf der Grundlage von Michels Forschungsergebnissen im Gen-Labor verwirklicht wird.

3.2.1.2 Figurensoziologie

Houellebecq selbst sagt, er beschäftige sich in seinen Romanen mit normalen Menschen in einem normalen sozialen Umfeld der Mittelschicht. Seine Charaktere sollen als exemplarische Teilchen der Gesellschaft fungieren, mit einem Stellvertreterwert für die Allgemeinheit. In einem Spiegel-Interview zusammen mit Bret Easton Ellis sagt er:

Auch die Diktatur der Jugend und die enorme Bedeutung von Reichtum sind amerikanische Themen. [im Kontext von Ellis American Psycho] Also beschäftigen sich amerikanische Autoren vor allem mit den schönen, jungen Reichen. Für Europäer ist es dagegen angebracht, über mittelschöne, mittelalte, mittelreiche Menschen zu schreiben.[11]

In Ausweitung der Kampfzone sind das gut situierte Informatiker. Bei den Elementarteilchen stechen aus der Mittelmäßigkeit besonders eine hohe Intelligenz und die akademische Stellung der Protagonisten hervor. Um die Position der Individuen im sozialen Raum zu bestimmen, analysiert der Kultursoziologe Pierre Bourdieu die Kapitalstruktur (Summe des materiellen, kulturellen, sozialen, symbolischen und körperlichen Kapitals des Einzelnen).

Das materielle Kapital (Besitztümer: Geld, Immobilien usw.) der Protagonisten ist durchaus der Mittelschicht zuzuordnen und spielt in Houellebecqs Beschreibungen eher eine marginale Rolle. Lediglich Brunos Finanzen werden öfter im Kontext seiner Familienprobleme mit der Versorgung seines Sohnes und der eher schlecht situierten Christiane erwähnt. Sein Lehrerberuf sichert ihm aber durchweg ein angemessenes Einkommen. Insgesamt betrachtet steht das materielle Kapital der Protagonisten als gegebener Faktor, der sich wie selbstverständlich durch den sozialen Status determiniert, im Hintergrund. Auch stellt das Streben nach mehr Reichtum als Motivation der Handlungen keine literarische Substanz dar.

Das kulturelle Kapital (In institutionalisierter Form besteht es aus staatlich anerkannten Bildungspatenten und –Zertifikaten. Die inkorporierte Form umfasst das, was man als die eigentliche Bildung bezeichnen könnte, also Einsichten und Erfahrungen, Kenntnisse und Kompetenzen, die man sich im Verlauf seines Lebens, sei es innerhalb oder außerhalb von Ausbildungseinrichtungen, angeeignet hat.) der Protagonisten hinsichtlich deren Entwicklung ist von äußerst hoher Bedeutung. So wird Michels wissenschaftlicher Werdegang und Brunos Ausbildung zum Lehrer explizit dargestellt und auch die Erfahrungen im Bereich der Sexualität werden ausgiebig von den Protagonisten reflektiert.

Das soziale Kapital (sämtliche Beziehungen einer Person zu anderen Menschen) der beiden Hauptfiguren ist in besonderer Weise reduziert. Obwohl durchaus viele Nebenfiguren, mit denen verschiedene kleine biographische Exempel statuiert werden, in Beziehung zu ihnen stehen, ist ein qualitatives soziales Kapital nicht zu erkennen. Von großer Bedeutung ist lediglich die Beziehung der beiden Halbbrüder untereinander, zu ihren beiden Geliebten (Annabelle und Christiane) und in der Jugend die Bindung an die Großeltern. Es gibt keine guten Freunde, wie sie zum Beispiel der namenlose Erzähler in Ausweitung der Kampfzone hat.

Das symbolische Kapital (Ehre, Ansehen, Autorität, gesellschaftliche Geltung) von Michel und Bruno ist zunächst von ähnlicher Art, entwickelt sich jedoch später ganz differenziert. Michel entwickelt sich von einem neugierigen Kind über einen braven Studenten zu einem angesehenen Wissenschaftler. Ihm wird als „Biologe allerersten Ranges“[12] auch nach seinem Tod eine besondere Ehre entgegengebracht. Bruno genießt als Lehrer ebenfalls Ansehen und Autorität. Allerdings wird die Qualität seines symbolischen Kapitals immer wieder angegriffen. Im Gegensatz zu Michels extremer Stabilität wirkt Brunos gesellschaftlicher Status äußerst instabil. Schon in seiner Jugend wird er durch exhibitionistisches Verhalten auffällig und durch die sexuelle Belästigung einer seiner Schülerinnen während seines Lehrerdaseins steht sein Ansehen auf wackeligen Beinen. Zunächst mit einigen Ausflügen in eine Psychiatrie und einer psychiatrischen Behandlung beseelt, scheitert Bruno am Ende völlig und begibt sich für immer in eine Klinik. Prinzipiell steht das symbolische Kapital der beiden Hauptfiguren am Ende diametral zueinander.

Das körperliche Kapital (Schönheit, Gesundheit, Geschicklichkeit, Körperkraft) ist für Michel nahezu bedeutungslos. Sein geistiges Dasein im Zeichen der Wissenschaft steht zu sehr im Vordergrund. Da er aber von der besonders schönen Annabelle (für sie ist das körperliche Kapital von enormer Bedeutung) begehrt wird, sind seine körperlichen Werte nicht im Negativ anzusiedeln. Während Houellebecq in Ausweitung der Kampfzone die Äußerlichkeiten seiner Figuren als besonderes Element in der Arena der erotischen Attraktivität ansiedelt, stehen sie bei den Elementarteilchen als Grundgerüst im komplexen Raum, der durch vielfältige Faktoren erweitert wurde. In Brunos Leben spielt das körperliche Kapital jedoch eine Rolle. So reflektiert er sein Erscheinungsbild schon während seiner Jugend (dick, weiß, hässlich) und im späteren Verlauf macht ihm insbesondere sein kleiner Penis zu schaffen. Brunos Aspekte der Körperlichkeit resultieren aus seiner gesteigerten Sexualität.

Insgesamt betrachtet steht das körperliche Kapital für Houellebecqs Figuren im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und im Zeichen von Institutionen, wie Medien aller Art, die den Jugend- und Schönheitswahn etablieren. Es sind meist die Geschichten am Rande: Annabelles übernatür-liche Schönheit, die für ein tragisches Schicksal verantwortlich sein wird oder Brunos Vater, der im schönheitschirurgischen Wettbewerb den aus Nordamerika kommenden Trend der Silikonbrüste verpasst.[13] Im Allgemeinen streben die Figuren explizit weder nach Geld noch nach Schönheit. Diese Dinge unterliegen eher Houellebecqs Determinismus.

3.2.1.3 Sympathielenkung und Identifikation

Nach Erkenntnissen der neueren Literaturpsychologie ermöglicht eine Identifikation mit den Figuren im Roman das Erinnern und Durcharbeiten verdrängter seelischer Impulse, gegen deren direkte Thematisierung der betreffende Leser innere Widerstände entwickelt. Die Identifikation kann demnach lösend und befreiend wirken und unter Umständen geradezu therapeutische Wirkungen entfalten. Dabei hängt es damit zusammen, ob ein seelischer Konflikt existiert, den literarische Figur und Leser miteinander teilen. Aufgrund der durchweg vorhandenen auktorialen Erzählinstanz, die auch oft hinter personale Erzählperspektiven der Romanfiguren und deren innerer Wahrnehmung tritt, ist das Identifikationsangebot in den Elementarteilchen sehr reichhaltig. So weiß der Erzähler über alles und jeden sowie über die inneren und äußeren Umstände der Figuren Bescheid, wobei gleichermaßen sehr personale Passagen vorhanden sind. Quantitativ und qualitativ überwiegen freilich die Darstellungen der beiden Hauptfiguren, doch auch mit einer der Nebenfiguren kann sich der/die Leser/in identifizieren. Um ein Beispiel zu nennen, könnte es durchaus sein, dass eine sehr attraktive Leserin unter ähnlichen Beziehungsproblemen wie die Romanfigur Annabelle leidet, deren Ursache aber nicht versteht und aufgrund einer Identifikation nun der Sache nachgeht, mit der Figur mitfühlt und die Erklärungsansätze vom posthumanen Erzähler reflektiert. Teilt ein Leser beispielsweise Brunos Sexmanie, wird er unter Umständen mit Hilfe einer Identifikation ähnliche Ursachenforschung betreiben, wie der Protagonist (durch den auktorialen Erzähler) in seinen Retrospektiven. Gerade Houellebecqs Thesen im Bereich des Determinismus und die dargestellte Kausalität einer (wohl) überspitzten Psychoanalyse im ‚Freudschen‘ Sinne forcieren das Identifikationsangebot. Houellebecqs idealer Leser sucht ebenso wie er selbst nach Kausalität und bezieht den strukturellen Determinismus der beiden exemplarischen Lebensläufe auf sein eigenes Leben.

Eine Strategie zur Identifikationsverhinderung ist dann zu erkennen, wenn der auktoriale Erzähler in echter Distanz zu den Figuren steht. Das wird besonders an Stellen deutlich, wo naturwissenschaftliche Exkurse stattfinden oder Vergleiche zur Tierwelt hergestellt werden.[14]

Houellebecqs Sympathielenkung seiner Figuren erfolgt einerseits über die Intimität und Detaildarstellung im sexuellen Bereich, wo unter Umständen gesellschaftliche Normen oder ethische Grundsätze bewusst gebrochen werden und andererseits die Art und Weise, wie die Figuren mit ihrer Sexualität umgehen. Zum Beispiel ist Brunos exhibitionistisches Verhalten (besonders Masturbation in der Öffentlichkeit oder Entblößen der Genitalien) vielleicht noch als penetranter Jugendstreich zu werten, mit der sexuellen Belästigung einer Schülerin bricht er aber eindeutig gesellschaftliche Moralvorstellungen. Auch Nebenfiguren bekommen Sympathielenkungsmaßnahmen aus dem Bereich der Sexualität, so zum Beispiel der homosexuelle Voyeur Desplechin.

3.2.2 Inhalt

Die Inhalte werden hier zunächst unter vier Aspekten untersucht: Thematologie (allg.), Raumkonzeption, Zeitkonzeption und Kompositionsstruktur.

3.2.2.1 Thematologie (allg.)

Die Vorrede erklärt selbstredend das Hauptthema des Romans:

„Dieses Buch ist in erster Linie die Geschichte eines Mannes, der während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt und den größten Teil seines Lebens in Westeuropa verbracht hat – im Allgemeinen allein, wenn auch ab und zu im Kontakt mit anderen Menschen.“[15]

Weiterhin wird deutlich, dass es um die gesellschaftliche Entwicklung im Ganzen gehen soll und der Naturwissenschaft insbesondere durch den Beruf der Hauptfigur Michel eine besondere Thematik zugesprochen wird. Sinn und Zweck des Ganzen ist eine Vergegenwärtigung vom „Ende der alten Ordnung“[16], die erst durch die Distanz der in einer neuen Ordnung lebenden Spezies in ihrer Darstellung ermöglicht wird.

Anfang und Ende des Romans (auch außerhalb der Vor- und Nachrede) stehen im Zeichen von Michels Forschungen. Deren Entwicklung inklusive dem dazugehörigen Individuum werden in aller Ausführlichkeit thematisiert. Das führt zu einer extrem hohen Intertextualität im naturwissenschaftlichen und auch philosophischen Diskurs, die im Anschluss an den Interpretationsansatz gesondert betrachtet wird, da sie gleichermaßen bedeutsam für Inhalt und Form des Romans ist.

Ein weiteres Hauptthema ist Brunos sexbeladener Lebenslauf von seiner furchtbaren Jugend, über eine gescheiterte Familie bis zu seinem erstrebten Liebesglück, das mit einer Katastrophe abschließt und mit der Flucht in eine psychiatrische Klinik beendet wird.

Die wohl konkreteste und gleichzeitig abstrakteste Themennennung, so trivial es zunächst klingt, wäre wohl der „Niedergang der westlichen Gesellschaft.“ Freilich gibt es viele (Neben-)Themen, wie die 68er Ideale, Medienentwicklung, Esoterik, allerlei aus Philosophie und Naturwissenschaft und das für viele wohl augenscheinlichste „Überthema“ der Gentechnologie, Konstruktion des Humanen, künstliche Reproduktion und die damit verbundene Science-Fiction. Doch vom Umfang der behandelten Themen geht es tatsächlich quantitativ um ein komplex skizziertes Gesellschaftsbild, das mehr und mehr unsere gegenwärtigen Probleme und Zustände aufzudecken versucht.

3.2.2.2 Raumkonzeption

Die Schauplätze der Elementarteilchen sind realistisch und konkret. Die Städte und Länder, in denen sich die Figuren aufhalten, sind immer explizit beim Namen genannt (Paris, Parthenay, Galway, Irland, etc.). Das führt zu einem authentischen Eindruck, den Houellebecq bewusst hervorruft. Im Allgemeinen sind zwar die Makroschauplätze konkretisiert (also nicht Stadt am Rande der Atlantikküste, sondern immer beim Namen genannt), die Mikroschauplätze (Wohnungen, Büros, Swinger-Clubs, etc.) hingegen sind meist nicht sonderlich detailliert beschrieben. Auffällig ist jedoch, dass Naturschauplätze (z.B. die Nudistenkolonie oder der Ort der Wandlung) mit wesentlich mehr Details in der Raumbeschreibung ausgestattet werden.

Die Frequenz der Schauplatzwechsel ist enorm hoch und geht mit der kompositorischen und lektüregliedernden Funktion einher. Retrospektiven fungieren als Kausalitätsfunktion und die Wechsel der beiden Hauptfiguren werden im Sinne einer Komplementarität vollzogen. (Dazu noch mehr bei der abschließenden Strukturanalyse.)

3.2.2.3 Zeitkonzeption

Auffällig ist, dass die Zeiten oft explizit genannt werden (Osterferien 1971, Sommer 1968, Morgen des 1. September, etc). Dabei wird der Leser durch die zu Teilen anachronistische Zeitkonzeption geführt und kann die in ihrer Reihenfolge vertauschten Geschehnisse rekonstruieren. Auch wenn primär dekonstruktivistische Faktoren durch die Semantik den Leser chronologisch „am Laufen“ halten, ist die Zeitkonzeption durchaus von der Basis (Zeichen) auf korrekt strukturiert. Wie bei der expliziten Raumbenennung sorgen auch die Zeiten bewusst für Authentizität: Zum Beispiel spielt der genannte konkrete 15. Juli im Kontext keine Rolle.[17] Die anachronistische Zeitkonzeption löst sich im zweiten Teil des Buches langsam auf und wird in eindeutig bestimmte Retrospektiven der Dialoge oder Einschübe der posthumanen Erzählinstanz eingebunden. Sie ist damit nicht mehr formal segmentiert. Grundsätzlich erlaubt sich aber der Erzähler zu jeder Zeit kurze Rückblicke und Zeitsprünge.[18]

Auf gut 370 Seiten Erzählzeit wird genau genommen die erzählte Zeit von 1882 (Retrospektive der Genealogie[19]) bis 2029 (Schaffung der neuen Spezies[20]) wiedergegeben. Die posthumane Erzählinstanz gibt sich am Ende in der Gegenwart gut 50 Jahre später (also 2079) zu erkennen. Hauptteil der erzählten Zeit hinsichtlich der Handlung sind 50 Lebensjahre der beiden Hauptfiguren von ca. 1960 - 2010. Der Grad der Handlungsraffung und Dehnung wird maßgeblich durch die Intensivierung der personalen Erzählweise (also das Zurücktreten des auktorialen Erzählers) indiziert und bestimmt dementsprechend die Quantität der einzelnen Handlungsabschnitte. So entspricht zum Beispiel als ausführliches Handlungssegment (ca. 10 Tage erzählte Zeit auf 60 Seiten Erzählzeit) der Ort der Wandlung einer sehr personalen Perspektive von Bruno, wogegen die recht unwichtige Genealogie auf wenigen Seiten ganze Jahrzehnte rafft und somit die Geschehnisse distanzierter dargestellt werden. Insgesamt betrachtet ist der Schwerpunkt im Kontext der Handlungsdehnung besonders im Alter der Halbbrüder von Ende dreißig bis Anfang vierzig anzusiedeln.

Abschließend sei noch zur Zeitkonzeption bezüglich der Handlung erwähnt, dass sich Elementarteilchen durch ein sehr hohes Tempo (also viele tiefgreifende Situationsveränderungen durch Zeitwechsel und Veränderungen von Lebenssituationen der Figuren) auszeichnet. Das sorgt für Spannung und erweckt den Eindruck von gehetzten und von der Zeit gepeinigten Protagonisten.

3.2.2.4 Komposition

Die Verteilung von Aktions-, Deskriptions-, Dialog- und Reflexionssequenzen ist stark an die auktoriale Erzählinstanz gebunden. Grundsätzlich unterliegen alle Sequenzen der Deskription, indem der Erzähler auch Empfindungen, Innenperspektiven, Intimitäten, etc. der Figuren beschreibt. Wie bereits erwähnt, gewinnt man aber auch insbesondere durch längere Dialoge (wörtliche Rede) einen personalen Eindruck; dann ist der allwissende Erzähler im Hintergrund und die Personen reagieren innerhalb einer Aktionssequenz. Die Dialoge in der wörtlichen Rede forcieren auch gegenwärtiges Aktionsempfinden der handelnden Personen durch das Präsens.

Die Positionierung und Proportionierung von Haupt- und Nebenhandlungen sind bewusst durchgeplant. Grundsätzlich wird durch den posthumanen Erzähler jegliche Komposition legitimiert, somit auch kleine Reflexionseinschübe inmitten von Handlungssequenzen oder naturwissenschaftlichen Exkursen. Die Struktur des Handlungsverlaufs ist schwierig einzuordnen und soll gegen Ende der Analyse noch genauer beleuchtet werden. Am ehesten entspricht Elementarteilchen wohl der geläufigen episodischen Struktur, jedoch ist auch im gesamten Handlungsverlauf eine gewisse Dramaturgie vorhanden: Exposition der Hauptfiguren – Probleme, Aufgaben und Konflikte – tragisches Ende und posthumane Lösung. Die spät entfaltete Dramatik durch den Tod der beiden Geliebten ist übrigens ähnlich radikal wie bei Houellebecqs neuerem Roman Plattform.

Zum Abschluss der Komposition noch einige Anmerkungen zur Segmentierung. Der Roman ist neben Vor- und Nachrede in drei Teile gegliedert, die wiederum in Kapitel unterteilt sind:

- Vorrede:

Einführung in die Thematik und Bestimmung des Ausgangspunkts und der Zweckmäßigkeit der Geschichte aus einer posthumanen Perspektive.

- Erster Teil: Das verlorene Reich ( 15 Kapitel):

Titel des Teils bezieht sich wohl auf die verlorene Kindheit und Jugend der Protagonisten, die hier hauptsächlich dargestellt wird.

- Zweiter Teil: Die seltsamen Augenblicke (22 Kapitel)

Beginnt mit dem Ort der Wandlung und endet mit dem Tod der Mutter. Dieser umfangreichste Teil besteht weitgehend aus chronologisch sortierten Augenblicken und intensiven Begegnungen von Michel und Bruno.

- Dritter Teil: Emotionale Unbegrenztheit (7 Kapitel)

Der posthumane Erzähler lässt in poetischer Form seinen Emotionen freien Lauf.[21] Bruno bleibt in einer Psychiatrie; Annabelle stirbt; Michel beendet seine Forschungen und verschwindet.

- Nachrede:

Verwirklichung der neuen Spezies und Widmung.

Die äußere ist nicht immer an die innere Segmentierung gebunden. Teilweise dient sie bewusst der Einteilung in Sinnabschnitte, jedoch scheint die Kapitelgliederung auch geradezu Sinnabschnitte ohne direkt erkennbaren Grund zu splitten.[22] Auffällig sind außerdem die unregelmäßigen Kapitelüberschriften und die insgesamt heterogene Wirkung der äußeren Segmentierung.

3.2.3 Narrativik

Es geht im Folgenden um die systematische Analyse der Art und Weise, in der Houellebecq die Relation zwischen fiktivem Erzähler, Figuren und fiktivem Leser künstlerisch gestaltet hat. Prinzipiell handelt es sich bei den Elementarteilchen um eine auktoriale Erzählung. Der posthumane Erzähler lebt nicht im Seinsbereich der Charaktere, ist allwissend und kann als eigenständige Bewusstseinsinstanz identifiziert werden. Er lebt in der „gegenwärtigen Zukunft“ des Romans im Jahre 2079 und erzählt im Präteritum die Geschichte zweier Figuren, die durchaus innerhalb dieser Narration personale Erzählsituationen entfalten. Innerhalb von Dialogen oder Monologen in der wörtlichen Rede tritt der auktoriale Erzähler gänzlich hinter die Figuren, was zu einer ausführlichen Ich-Erzählung führen kann.[23] Außerhalb der wörtlichen Rede rangiert der Erzähler mit der erlebten Rede zwischen der auktorialen und personalen Erzählsituation, indem er die aktuellen Gedanken und Empfindungen einer selbst nicht sprechenden Figur verbalisiert. Dementsprechend gibt es in ihrem Wirkungsgrad personale und auktoriale Narrationen, obgleich hier der Vertreter einer neuen Spezies Bericht erstattet.

Es gibt also Identifikationsangebote durch personale Passagen und distanzierende Darstellungstechniken, die innerhalb der auktorialen Erzählweise ihre Wirkung entfalten. Auf zeitlicher Ebene ist der Erzähler durch das Präteritum und einem zunächst unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft vom fiktiven Leser distanziert. Jedoch unterliegt der Blick auf das letzte Jahrhundert, insbesondere von den 60er Jahren bis ins 21. Jahrhundert hinein, wo die Figuren handeln, keiner großen Distanz zum Rezipienten. Die räumliche Distanz ist auf der Figurenebene ebenso dicht am Publikum: Westeuropa, im Detail französische Provinz, Paris und Irland. Oder allgemeiner gesagt ist es die Wohlstandsgesellschaft der entwickelten Industriestaaten, in denen Houelle-becqs größte Leserschaft lebt.

[...]


[1] Informationen aus: Schober, Auf dem Prüfstand und Hegemann, Glück ohne Ende.

[2] Amazon, http://www.amazon.de/Michel-Houellebecq, (26.1.08).

[3] Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone, S. 3.

[4] Ebd., S. 8.

[5] Kittlaus, http://www.single-generation.de/kritik/rez_kampfzone.htm, (10.11.07).

[6] Vgl. Tabbert, Die Geburt des Posthumanismus…, S. 58ff.

[7] Vgl. Ebd., S. 59.

[8] Steinfeld, Das Phänomen Houellebecq, S. 11.

[9] Aus: Schneider, Einführung in die Roman-Analyse, S. 17ff.

[10] Vgl. Voswinkel. In: Steinfeld, Das Phänomen Houellebecq, S. 132ff.

[11] Wellershoff/Traub, Überall Bilder von perfektem Sex. In: Steinfeld, Das Phänomen Houellebecq, S. 91ff.

[12] Houellebecq, Elementarteilchen, S. 7.

[13] Vgl. Houellebecq, Elementarteilchen, S. 68 (Annabelle) und S. 86 (Brunos Vater).

[14] Vgl. z.B. Houellebecq, Elementarteilchen, S. 53 oder S. 69.

[15] Ebd., S. 7.

[16] Houellebecq, Elementarteilchen, S. 10.

[17] Vgl. Houellebecq , Elementarteilchen, S. 144.

[18] Vgl. z.B. Houellebecq, Elementarteilchen, S. 15.

[19] Vgl. Ebd., S. 26.

[20] Vgl. Ebd., S. 378.

[21] Vgl. Houellebecq, Elementarteilchen, S. 254ff.

[22] Vgl. z.B. Kapitelsegmentierung 2. Teil Kapitel 11/12, Ebd., S. 201ff.

[23] Beispiel einer Ich-Erzählung: Houellebecq, Elementarteilchen, S. 223 – 237.

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Michel Houellebecqs Elementarteilchen - Text und Film
Hochschule
Universität Paderborn  (Kulturwissenschaften)
Note
2
Autor
Jahr
2008
Seiten
113
Katalognummer
V94649
ISBN (eBook)
9783640099726
ISBN (Buch)
9783640117666
Dateigröße
3139 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Michel, Houellebecqs, Elementarteilchen, Text, Film
Arbeit zitieren
Björn Pötters (Autor:in), 2008, Michel Houellebecqs Elementarteilchen - Text und Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94649

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